Snowdrops and Chocolate von Petey (Die Fortsetzung des gleichnamigen Doujinshi) ================================================================================ Kapitel 10: Vielleicht... ------------------------- Vielleicht Kei lag hellwach in seinem Bett, genau wie er befürchtet hatte. Doch wenigstens waren er und Yuki unentdeckt geblieben. Die Bettdecke hatte Kei fast bis ans Fußende seines Bettes geworfen. Ihm war so heiß. Die Sommerhitze schien auch nachts gar nicht abzukühlen. Sogar seine Wangen glühten. Kei schob es auf die warme Julinacht, dass ihm so warm war. Obwohl ihm selbst der wahre Grund sehr wohl bewusst war. Er wollte es nicht wahrhaben. Sein Shirt roch sogar irgendwie nach Yuki. Die paar Minuten hatten ausgereicht, dass der Stoff den Geruch aufnahm. Oder bemerkte Kei einfach auch die geringste Spur von Yukis Geruch? Wo Yuki ihn berührt hatte, spürte auch jetzt noch ein heißes Kribbeln. Vor allem an der Schulter, den ganzen Rücken hinab, am Ohr, wo der sanfte Hauch von Yukis Atem ihn gestreift hatte, und an der Brust, wo Yukis Hand verweilt hatte, um seinen Herzschlag zu fühlen. Auch der hatte nicht wesentlich nachgelassen. Sein Herz raste noch immer wie verrückt. Kei drehte sich auf die andere Seite. Dann nach einem Augenblick wieder zurück. Dann auf den Rücken. Doch wieder zur Seite. Egal wie er es versuchte zu drehen oder zu wenden. Er konnte nicht einschlafen. Warum nur? Diesen Nachmittag hatte er Kiku im Arm gehalten, fast eine halbe Stunde lang. Sie hatte sich haltsuchend in seine Arme geworfen, ihre Finger sich in sein Hemd gekrallt, er hatte sie an sich gedrückt. Und am Abend hatte er tief und fest geschlafen, bis er durch den Unfall wach geworden war. Nun hatte ihn Yuki umarmt, bestimmt nicht länger als zehn Minuten. Auch wenn es Kei selbst wie eine Ewigkeit vorgekommen war. Und doch konnte er kein Auge mehr zumachen. Irgendwie ging auch diese Nacht vorbei und es wurde Donnerstag. Heute hatten Kei und Yuki frei. Kiku war schon zur Schule aufgebrochen, als Kei gegen halb zehn in die Küche kam. Yuki hatte die Carn versorgt und kam gerade aus dem Stall hinter dem Haus zurück. Ryu trank seine zweite Tasse Kaffee und aß ein paar Kekse dazu, bevor er zu Pierres Praxis aufbrechen würde. Ebenfalls zu Gast war Yukis und Ryus Vater. Er saß am Esstisch Ryu gegenüber, ebenfalls über einer Tasse Kaffee, und versuchte Ryu zu überzeugen, statt den Keksen doch lieber vernünftig zu frühstücken. Doch Ryu ignorierte ihn ebenso gekonnt wie bei dem netten Gespräch am Vorabend im Wohnzimmer. Irgendwann hatten auch Yuki, Kiku und sogar Kei vergeblich versucht, Ryu ein vernünftiges Frühstück anzugewöhnen. Aber Ryu konnte oder wollte so früh morgens noch nichts Gescheites essen, da war er stur. Ein oder zwei Stunden hatte Kei doch noch schlafen können. Doch die hatten auch nicht mehr verhindern können, dass sich tief dunkle Schatten unter seine Augen legten. Bevor Kei herzlich gähnend in die Küche kam, eilte ihm Robin vom Hunger getrieben voraus. Kei füllte Futter in Robins Napf und setzte sich zu den anderen an den Tisch. Herr Natsukori schenkte Kaffee in eine noch unbenützte Tasse und hielt sie ihm grinsend hin. „Du siehst aus, als könntest du einen brauchen.“ „Danke, kann ich wirklich.“ Seufzte Kei und nahm die Tasse gerne an. Eigentlich trank er selten Kaffee. Aber heute war ihm alles recht, was ihn irgendwie wacher machen würde. „Du scheinst ja eine anstrengende Nacht hinter dir zu haben.“ Lachte Herr Natsukori. „Ähm… Nein, nicht anstrengend. Aber zu warm zum schlafen. Ich habe ja das Zimmer auf der Südostseite. Das heizt sich ganz schön auf. Und außerdem war bestimmt Vollmond.“ Nachdem Yuki sich die Hände gewaschen hatte, setzte auch er sich zu ihnen. Ein paar Minuten frühstückten die Vier noch zusammen. Dann verabschiedete sich zuerst Ryu, der sich nun auf den Weg zu seinem Praktikums- und Aushilfsjob bei Pierre machte. Kurz darauf verließ auch Herr Natsukori das Haus, Lancelot an seiner Seite. Wie er es Ryu letzte Nacht angekündigt hatte, wollte er beim Zalei-Rat vorsprechen. So blieben nur Kei und Yuki in verlegenem Schweigen zurück. Viel mehr als „Soll ich dir nochmal nachschenken?“ oder „Kannst du mir bitte das Brot reichen?“ wurde nicht gesprochen. Sie wagten auch kaum, den anderen direkt anzusehen. So fiel Kei auch gar nicht auf, dass Yuki nicht viel wacher aussah als er selbst. Um die peinliche Situation zu verkürzen, kippte Kei schließlich seinen Rest Kaffee hinunter und stand auf. Unter dem Vorwand, mit Robin Gassi zu gehen, verließ er das Zimmer. Kurz darauf kam er noch einmal zurück, weil er Robin vergessen hatte. Der Rat der Zalei kam auch diesen Vormittag nicht vollzählig zusammen. Die Sessel der zwölf Mitglieder des Rats waren im großen Sitzungssaal kreisförmig angeordnet. Verglich man diesen mit einem Ziffernblatt, so fehlten seit Wochen die Elf und die Eins. Die Sessel links und rechts von Meister Adoy waren auch heute leer. Der Nachfolger für Ryami, die zu Adoys rechter Seite gesessen hatte, würde erst in einigen Wochen gewählt werden. Und Lan, für gewöhnlich zu Adoys Linker, war noch nicht wieder in der Verfassung, an Sitzungen des Rats teilzunehmen. So wurde Herr Natsukori also von zehn Ratsmitgliedern erwartet, als er in den großen Sitzungssaal eintrat. Der Saal war wie die Bestuhlung kreisrund. In seiner Mitte prangte ein ebenso rundes Ornament aus Marmor auf dem Boden. Die Wände waren fast ringsum verglast. Man sah direkt in den Innenhof des Ratsgebäudes, wo sich ein gepflasterter Weg durch einen prächtigen Garten zog. Sogar ein kleiner Bach schlängelte sich zwischen den Beeten hindurch. Auf hohen Bäumen saßen exotische Vögel, zwischen Sträuchern und Stauden trieben sich verschiedenste Tiere umher. Alles Carn von Ratsmitgliedern oder Beschäftigen des Ratsgebäudes, die die Aktivitäten der Zalei im ganzen Land überwachten und lenkten. Herr Natsukori trat in die Mitte des Saals, dem Vorsitzenden Meister Adoy zugewandt. Lancelot setzte sich an seiner Seite nieder. „Sehr erstaunt wir waren, als wir gehört haben, dass von deiner Reise zurück du bist.“ „Was ist daran so erstaunlich? Ich hatte nie vor, das Land für immer zu verlassen. Dass ich angesichts der aktuellen Entwicklungen zurückkomme, ist doch logisch. Oder, Adoy?“ Meister Adoy war sichtlich verärgert über diese respektlose Anrede von Herrn Natsukori. Er war der Vorsitzende des Rates der Zalei, wurde jedesmal mit großer Mehrheit wiedergewählt, und er war der älteste Zalei des Landes. Er hatte so viele kommen und gehen sehen, so viele Umbrüche, Reformen und neue Denkansätze. Und dafür erwartete er Respekt. Natürlich waren nicht alle der Entscheidungen, die er in all den Jahren getroffen hatte, überall auf Gegenliebe gestoßen. Dennoch erwartete er, respektvoll mit dem Titel „Meister“ angesprochen zu werden. Nur zwei Zalei wagten es, diese Anrede wegzulassen. Das waren Lan und Herr Natsukori. Lan sah er es meist nach. Denn der war schließlich sein eigener Schüler gewesen und er hatte aufgrund dessen ein etwas vertrauteres Verhältnis zu ihm. Doch dass Herr Natsukori den gewünschten Respekt missen ließ, weil er diesen Respekt tatsächlich nicht hatte, das wusste Meister Adoy ganz genau. Am meisten ärgerte ihn daran, dass Herr Natsukori fast das Recht hatte, auf gleicher Augenhöhe mit ihm zu sprechen. Denn dieser Herr Natsukori war der einzige Zalei, der demselben Rang angehörte wie Meister Adoy selbst. Der einzige, dessen Kraft genauso groß war. „Aktuelle Entwicklungen du sagst?“ schluckte Meister Adoy seinen Ärger hinunter. „Du weißt, dass ich immer gegen die Aufträge war, die du deine Zalei ausführen lässt. Aber diesmal kann ich nicht mehr wegsehen. Ryami Hisui ist gestorben. Lan Sekiei wurde angeschossen. Das geht eindeutig zu weit.“ „Ich sehr bedauere. Ryami und Lan habe ich immer geliebt wie eigene Kinder. Was passiert ist, tut mir sehr leid. Dennoch brauchen wir die Aufträge.“ „Du meinst, die Bezahlung dafür.“ „Auch das, ja. Ich nicht leugne. Wir koordinieren die Aktivitäten der Zalei im ganzen Land. Wir helfen und unterstützen sie, bieten ihnen eine Heimat und eine Arbeit, wenn sie keine haben. Aber das alles kostet Geld. Der Vergnügungspark, die Zirkusse, die Veranstaltungen, auch diesen Zufluchtsort hier, die Gehälter aller Zalei, die dort arbeiten, das alles finanziert sich nicht von alleine. Wenn wir also die Möglichkeit haben, mit unseren Fähigkeiten als Zalei ein wenig Geld zu verdienen, warum sollten wir sie nicht nutzen? Vergiss nicht, dass nicht jeder Zalei das Glück hat, auch einem normalen Beruf nachgehen können.“ „Ein Zalei zu sein ist eine ehrwürdige, alte schamanische Tradition. Sie sollte nicht für Profitstreben missbraucht werden.“ „Profitstreben? Keineswegs um Gewinne es uns geht! Wir machen keine Gewinne, ganz im Gegenteil. Wir sind jeden Monat froh, wenn unsere Einnahmen die Kosten annähernd decken können.“ Herr Natsukori schüttelte ungläubig den Kopf. Meister Adoy würde er keine anders lautende Aussage entlocken können. „Gut, nehmen wir kurz an, das würde stimmen. Aber warum dann solch gefährliche Missionen? Hier eine junge Frau getötet und ein junger Mann schwer verletzt worden. Der Rat, oder du als dessen Vorsitzender, sucht diese Missionen aus. Warum lässt du zu, dass so etwas passiert?“ Bei dieser Frage verschwieg Herr Natsukori ganz bewusst was er von Lan erfahren hatte. Lan hatte ihm natürlich erzählt, dass der Mann von K.R.O.S.S. ihn als sein Ziel benannt hatte. Mit Sicherheit hätte er eine solche Äußerung nie machen dürfen. Nicht nur, dass der Mann ganz offensichtlich gewusst hatte, dass sie beschattet wurden, er wusste auch von wem. Und diesen jemanden wollte er beseitigen. Da lag der Verdacht nahe, dass der Mann von K.R.O.S.S. entweder erfahren hatte, wer ihn beschatten würde und beschlossen hatte, diesen jemanden zu beseitigen, oder dass der Mann von K.R.O.S.S. umgekehrt dafür gesorgt hatte, dass derjenige, den er beseitigen wollte, ihn beschatten würde. Beides wäre aber nur über den Auftraggeber möglich, also über den Rat. Oder aber, diesen Gedanken wollten Lan und Herr Natsukori selbst gar nicht zu Ende denken, der Rat hätte den Mann von K.R.O.S.S. selbst angewiesen, ihn zu beseitigen. Aber das traute dem alten Adoy eigentlich keiner von beiden zu. Insbesondere hätte Adoy nie Ryami in solche Gefahr gebracht, die schon immer sein ganz besonderer Liebling gewesen war. „Das nicht meine Absicht. Wie gefährlich der Auftrag tatsächlich war, wusste ich nicht. Angefangen hat alles mit Aufträgen wie… einer kleinen Artistik auf dem Kindergeburtstag der kleinen Tochter des Bürgermeisters. Erst im Lauf der Zeit wurden die Aufträge mehr und gefährlicher. Gleichzeitig wurde aber auch die Bezahlung besser. Und das Geld brauchen wir, wie gerade ich schon erläutert habe.“ Meister Adoy nickte, sichtlich zufrieden mit seiner Argumentation. „Warum dann diese Organisation? Wenn die ganze Verwaltung, Führung, und so weiter so viel mehr kosten als sie eintragen, warum unterhält man sie dann weiter? Gut, Arbeit und Unterkunft brauchen wir, das sehe ich ein. Aber der Vergnügungspark beispielsweise trägt sich selbst. Er braucht den Rat nicht.“ „Der Rat kümmert sich nicht nur um die Einrichtungen, wie du weißt.“ „Es gab diese Zalei-Tradition schon immer. Aber es hat früher auch sehr gut ohne einen Rat funktioniert, der jede Verantwortung und Kontrolle an sich gerissen hat.“ „Kennst du denn die alten Zeiten? Lass mich dir erzählen.“ Meister Adoys Miene verfinsterte sich zunehmend. Jeder Satz von Herrn Natsukori reizte ihn mehr. Dennoch wurde er nicht müde, ihm die Tätigkeit und das Erfordernis eines kontrollierenden Rates nahezubringen. „Viele Zalei haben früher ihre Kraft missbraucht, um Macht über andere Menschen auszuüben. Sie haben die Kraft ihrer Carn benutzt, um Angst und Schrecken zu verbreiten. So haben sie Geld und Gut erpresst. Wenn neue Zalei ausgewählt wurden, spielte charakterliche Eignung keine Rolle, ebenso wenig die Eignung der Carn. Und die Ausbildung bestand meist nur aus Irrlehren und einer Anleitung, die Erpressungen weiterzuführen. In dieser Zeit waren Zalei verhasst und gefürchtet. Ein Kontrollorgan ist unbedingt nötig, damit diese chaotischen Zustände sich nicht wiederholen.“ Herr Natsukori merkte, dass Meister Adoys Geduld langsam zu Ende ging. Sein Ausdruck hatte sich verfinstert. Seine Brauen waren tief ins Gesicht gezogen, die Augen zu schmalen, funkelnden Schlitzen. In seiner Schläfe traten einige Adern deutlich hervor, die von seiner Wut zeugten. Nicht weniger gereizt war jedoch Herr Natsukori. „Nicht aber, wenn diesem Kontrollorgan seine Selbsterhaltung und sein Einfluss am meisten am Herzen liegen. Dem Rat geht es doch schon lange nicht mehr um die Pflege einer alten schamanischen Tradition!“ Nach diesem Schlagabtausch senkte sich für einige Augenblicke Schweigen im Saal. Herr Natsukori und Meister Adoy funkelten einander wuterfüllt an. Die übrigen Ratsmitglieder hatten sich die ganze Zeit ängstlich zurückgehalten und taten dies auch weiterhin. Allen war klar, dass es keine Einigung geben würde. Sowohl Meister Adoy, als auch Herr Natsukori hatten ihre Gründe dargelegt und vertraten ihre Position mit absoluter Bestimmtheit. Keiner von beiden würde sich auch nur ein Stück auf den anderen zubewegen. Vereinbar waren ihre Ziele ohnehin nicht. Während Meister Adoy vor allem danach strebte, die Ordnung bei der Ausbildung, dem täglichen Leben, der Versorgung und des Gebrauchs der Kräfte seiner Zalei zu wahren und zu kontrollieren, ging es Herrn Natsukori vor allem um den elementarsten Kern der ganzen Tradition, das Leben mit und in der Natur. Konträr und absolut unvereinbar. So war Meister Adoys Vorschlag der einzig konsequente Schritt. „Einigen wir werden uns nie können. Deshalb bitte ich dich zu gehen, Taro Natsukori.“ „In Ordnung. Ich wollte dich sowieso bitten, gehen zu dürfen.“ Nickte Herr Natsukori. „Sie wollen doch nicht wirklich einen Bruch?!“ Nun mischte sich doch ein Ratsmitglied ein. Mika Takano, der zwei Plätze entfernt zu Meister Adoys linker Seite saß. Ein junger, gut gekleideter Mann aus besserem Hause mit etwas längerem, ordentlich frisiertem Haar. Er war empört. „Meister Adoy, Sie wollen Herrn Natsukori ausschließen?... Herr Natsukori, Sie wollen dem Rat kündigen? – Das geht doch nicht!“ „Natürlich geht das.“ Herr Natsukori wandte sich an Mika, die Hände in die Hüften gestützt. „Der Rat ist der Meinung, eine Zusammenarbeit mit mir sei nicht möglich. Diese Meinung teile ich und möchte mich ein für allemal dem Einfluss des Rats entziehen. So einfach ist das.“ „Wir werden dich aus unserer Kartei entfernen und fühlen uns für dich nicht mehr verantwortlich. Dafür erwarten wir von dir, dass du dich aus unserem Einflussbereich gänzlich zurückziehst. Vielleicht möchtest du ja deine Reisen fortsetzen.“ Schlug Meister Adoy vor. Und dann war es passiert. Genau wie Herr Natsukori vorausgesagt hatte, hatte er mit dem Rat gebrochen und der Rat mit ihm. Die vom Rat aufgestellten Regeln galten nicht mehr für ihn, dafür auch nicht mehr seine Angebote. Tatsächlich bedeutete das keine große Umstellung für ihn. Diese Angebote, sei es Arbeits-, Wohnungs- oder finanzielle Gelegenheiten, hatte er noch nicht in Anspruch genommen. An die Regelungen hatte er sich schon lange nicht mehr gehalten. Dennoch war dieser endgültige Schlussstrich unter die Zusammenarbeit mit dem Zalei-Rat ein einschneidendes Erlebnis für beide Seiten. Das war allen Anwesenden bewusst, als sich Herr Natsukori für immer verabschiedete und Lancelot an seinem breiten Lederhalsband nach draußen führte. Er war nicht der erste Zalei, der sich vom Rat getrennt oder den der Rat ausgestoßen hatte. Aber er war der erste verstoßene Zalei mit diesem Rang, dieser Position und diesem Einfluss. Die Tragweite dieser Trennung konnte dennoch noch niemand von ihnen abschätzen. Aus dem geplanten kurzen Gang ums Haus war doch ein ausgedehnter Spaziergang geworden. Ohne dass er es geplant hätte, hatten Keis Füße ihn bis ans Ende der Straße, dann die nächste Straße hinunter bis zu einem kleinen Wäldchen getragen. Dieses Waldstückchen hatten er und Robin durchquert und waren dann auf der anderen Seite des Blocks wieder zurück gewandert. Zuerst war Robin, wie immer, wenig begeistert gewesen, als Kei ihm die Leine anlegte. Aber dann genoss er seinen Auslauf, vor allem in dem Waldstück. So weit es die Leine erlaubte, tobte er hinter einigen Insekten her und erforschte das Unterholz. Nur einmal suchte er wieder Streit mit Kei, als dieser ihm aus einer dichten Hecke zurück auf den Weg zog. Nachdem Kei seine Hand schnell genug wegziehen konnte, floss diesmal kein Blut. Den Spaziergang nutzte Kei, um seine Gedanken ein wenig zu ordnen. Ob er erfolgreich damit war, konnte er allerdings selbst nicht so genau sagen. Er fühlte sich weder besser, noch schlechter als vorher. Ihm war weder ein Licht aufgegangen, noch ein Weg aufgezeigt worden. Zumindest glaubte Kei aber nun, die Ursache seines Problems in eine einzige Frage fokussieren zu können. Es war schon nach Mittag, als Kei und Robin endlich nach Hause kamen. Robins erster Weg war quer durch das Esszimmer in die Küche und schnurstracks zu seinem Fressnapf. So ein ausgedehnter Spaziergang machte hungrig und von den Insekten, die er gejagt hatte, hatte er kaum eines erwischt. Also gab Kei seinem Fuchs das Mittagessen, das er verlangte, und stellte den Napf an den Futterplatz hinter der Terrassentür. Wo er schon da war, überlegte sich Kei, er könnte ja auch in den Garten gehen, statt sich wieder in sein Zimmer zu verkriechen. Er setzte sich auf einen der Terrassenstühle und starrte in den Garten. In der Mitte des Gartens stand ein großer Apfelbaum, auf dem Jack leidenschaftlich gern herumturnte. In Höhe von etwa eineinhalb Metern teilte sich der Stamm in zwei dicke Hauptäste auf, die sich dann noch weiter verzweigten. Ideal zum Klettern, nicht nur für Jack. Auch Kiku stieg oft auf den Apfelbaum, meistens wenn sie versuchte, ihren Carn wieder einzufangen. Jack gehorchte zwar meistens ganz gut, aber nicht wenn er abends wieder ins Haus kommen sollte. Falls Yuki und Ryu auch schon als Kinder hier gelebt hatten, waren sie bestimmt auch oft auf den Baum geklettert. Zumindest hätte er selbst sicher oft auf dem Baum gespielt, dachte Kei. In ihrer Grundschulzeit hatten Kei und Atari sogar einmal versucht, ein Baumhaus zu bauen. Wahrscheinlich hatten sie in irgendeinem Film ein Baumhaus gesehen und sich eingebildet, sie könnten es nachbauen. Mit zusammengeschnorrten Brettern aller Art und Größe waren sie zu einem alten Baum in der Nähe vom Spielplatz am Ende der Straße losgezogen. Nach zwei Tagen der Bauarbeiten war das Unternehmen auch schon gescheitert. Voller Eifer war Kei auf dem Baum herumgestiegen, hatte Brett an Brett gelegt und gehämmert, bis er irgendwann zu übermütig geworden war. Ein falscher Griff und er rutschte ab. Kei konnte sich auch heute noch gut erinnern, dass ihm der Schmerz für einige Augenblicke die Luft abgeschnürt hatte. Er war direkt auf dem Rücken gelandet, zum Glück in einer Wiese. Außer blauen Flecken und Schürfwunden war ihm nichts passiert. Aber der Schreck saß tief genug, um das Baumhaus-Projekt abzublasen. Nicht nur bei Kei, sondern auch bei seinem besten Freund. Atari hatte ihm Jahre später einmal erzählt, er hätte eine Heidenangst um ihn gehabt, als er im ersten Moment leichenblass vor Schreck und ganz reglos unten am Boden liegen geblieben war. Nachdem Robin sein Mittagessen verputzt hatte, nutzte er die Gelegenheit und sprang durch die offenstehende Terrassentür ebenfalls hinaus in den Garten. Dort setzte er sein Toben von vorhin fort, diesmal allerdings nicht eingeschränkt durch eine Leine. Kei beobachtete Robin gedankenverloren, als Kiku nach Hause kam. Sie hatte noch ihre Straßenschuhe an, als sie zu ihm auf die Terrasse kam. Sie sah aus, als hatte sie bis eben noch geweint. Ihre Augen waren rot und ihre Lider leicht geschwollen. Ihre Wangen waren leicht gerötet. Aber ihr Gesicht war fast ausdruckslos. Sie gab sich offensichtlich große Mühe, gefasst zu bleiben. „Was ist denn passiert?“ fragte Kei besorgt. Eigentlich wollte Kiku nicht wieder weinen, vor allem nicht schon wieder vor Kei. Aber noch während sie in Gedanken nach einer Formulierung suchte, um ihm ganz nüchtern zu erklären, was passiert war, traten schon die ersten Tränen in ihre Augen. Kaum dass eine von ihnen den Weg über ihre Wangen gefunden hatte, folgten die weiteren schier unaufhaltbar. Sie versuchte noch, mit beiden Händen ihre Wangen von den Tränen zu befreien. Doch die waren weit in der Überzahl. So gab Kiku auch bald ganz auf und schluchzte ohne Zurückhaltung. Kei stand auf und kam auf sie zu. Eine Hand legte er sanft auf ihre Schulter, um ihr zu zeigen, dass er für sie da war. Dann wiederholte er seine Frage, etwas heiser. „Ich war… Taki war heute wieder nicht in der Schule… Also hab ich sie zu Hause besucht.“ Begann Kiku mit zittriger Stimme. „Sie sah ganz furchtbar aus… Ganz blass, schwarze Augenringe, abgemagert, unfrisiert, in schlampigen Klamotten… So hab ich sie noch nie gesehen.“ Wie schon gestern im Park wusste Kei einfach nicht was er sagen sollte, um Kiku zu trösten. Vor allem glaubte er auch nicht, dass Kiku überhaupt einfach zu trösten war, wenn ihre beste Freundin so schlimm aussah. „Hat sie dir wenigstens erzählt was los ist?“ erkundigte sich Kei vorsichtig. Kiku nickte knapp, während zwei weitere Tränen sich ihren Weg über Kikus Wange bahnten, bis zu ihrem Kinn, von wo aus sie auf ihre Schuhe herabtropften. Einen Moment schwieg Kiku. Sie überlegte wohl, ob sie es Kei überhaupt erzählen sollte. Aber dann sprach sie mit von Tränen erstickter Stimme weiter. „Sie hat gesagt, sie will mit Zalei nichts mehr zu tun haben. Sie will mit mir nichts mehr zu tun haben.“ „Was? Aber warum denn?“ Kei war nun doch fassungslos. Taki und Kiku waren doch schon seit Jahren beste Freundinnen gewesen. Zu seiner Schulzeit hatte er im Pausenhof nie eine von ihnen ohne die andere gesehen. Taki kannte doch Zalei und hatte nie ein Problem damit gehabt. Und war sie nicht sogar sehr stolz auf ihre Schwester, die eine so gute Zalei war? Aber Kiku erklärte ihm nichts weiter. Sie war völlig aufgelöst. Sie weinte Träne um Träne, schluchzte bis sie kaum noch Luft bekam. Kei zögerte einen Moment. Aber dann wiederholte er doch seine Geste von gestern. Er legte ganz vorsichtig seine Arme um Kiku und drückte sie sanft an sich. Kiku ließ es geschehen. Sie stützte ihren Kopf auf Keis Schulter und weinte einfach weiter, ohne sich beruhigen zu können. Einen Moment verharrten beide in dieser Pose. Ein wenig unangenehm war Kei diese Umarmung immer noch. Obwohl Kei gerade bei seinem langen Grübeln beim Spazierengehen bewusst geworden war, dass es dafür keinen Grund gab. Er wollte Kiku ja nur trösten, eine Freundin. Kiku war eine Freundin, auch wenn sie ihn bislang meistens nur geärgert hatte. Aber sie hatte ihm immerhin mit Robin geholfen, was sehr nett von ihr war, und sie hatte ausgerechnet ihm ihr Herz ausgeschüttet. „Ihr wart doch seit Jahren sehr gut befreundet. Ich weiß ja nicht was passiert ist, aber Taki wird doch so eine Freundschaft nicht einfach wegwerfen wegen nichts und wieder nichts.“ Flüsterte Kei tröstend und verlegen gleichermaßen. Doch seine Worte konnten Kiku nicht beruhigen. Ihre Schultern zuckten mit jedem Schluchzen unermüdlich. Ihre Hände versuchten noch immer vergeblich, einige der Tränen aus ihrem Gesicht zu wischen. Nach kurzem Zögern strich Kei langsam mit einer Hand über Kikus Rücken. Auf und ab, in der Hoffnung, mit dieser Geste Kiku ein wenig beruhigen zu können. „Wahrscheinlich ist irgendwas Schlimmes passiert, wegen dem Taki jetzt eine schlechte Meinung von Zalei hat. Sie hat also nichts gegen dich, sondern gegen Zalei. Wenn das so ist, wird sie sich mit der Zeit bestimmt auch wieder fangen und mit dir befreundet bleiben wollen. Bis dahin kannst du ihr eigentlich nur zeigen, dass du für sie da bist und auf sie wartest.“ Kei hatte keine Ahnung, ob Kiku diese Worte irgendwie weiterhelfen würden oder ob sie sie trösten könnten. Er wusste auch immer noch nicht, was wirklich passiert war, vor allem nicht warum Taki plötzlich nichts mehr mit Zalei zu tun haben wollte. Kiku machte auch nicht den Eindruck als ob sie es ihm erzählen wollte. Aber dennoch schien Kei mit seinem Tipp genau ins Schwarze zu treffen. Langsam wurde Kikus Schluchzen ruhiger, die Tränen kamen nur noch vereinzelt hervor, bevor sie nach einer Weile verebbten. Kiku löste sich auch vorsichtig aus Keis Umarmung. Sie hielt den Blick gesenkt, um ihm ihr verweintes Gesicht nicht zeigen zu müssen. „Danke für… alles.“ Hauchte Kiku mit zittriger, heiserer Stimme. Dann drehte sie sich um und tappte mit schweren Schritten zurück ins Haus. Für den restlichen Nachmittag würde sie sich in ihrem Zimmer verkriechen. Kei blieb noch einen Moment ratlos stehen und sah auf die Terrassentür, hinter der Kiku verschwunden war. Er hatte noch immer nicht die geringste Ahnung was vor sich ging. Aber Hauptsache, Kiku ging es ein kleines bisschen besser. Selbst wenn er ihr keine große Hilfe sein konnte, war es doch oft erleichternd, einmal offen auszusprechen, was einen bedrückte. Kei atmete tief durch, als er sich wieder in den Terrassenstuhl sinken ließ. Er ließ sich mit dem Rücken gegen die Lehne fallen, stützte den Kopf auf sie und starrte in den Himmel. Freundliches Hellblau, befleckt mit ein paar weißen Wölkchen, die einzeln vorbeizogen. Die Umrisse einiger Vögel zeichneten sich vom Blau des Himmels ab. „Das war sehr nett von dir. Ich wusste gar nicht, dass du mit Kiku so ein gutes Verhältnis hast.“ Kei erschrak, schon wieder. Und schon wieder war es Yukis Stimme, die ihn zusammenzucken ließ. Kei fuhr herum. Yuki hielt den Eimer in der Hand, in dem Ryu sonst Sleipnir sein Futter brachte. Offensichtlich war er gerade im Stall hinter dem Haus gewesen. Das bedeutete, er hatte höchst wahrscheinlich die Szene eben genau sehen können. Kei wusste nicht warum, aber dass Yuki sie gesehen hatte, war ihm sehr unangenehm. Noch viel unangenehmer als die bloße Tatsache, dass er Kiku umarmt hatte. Um Yukis Blick auszuweichen, drehte er sich zu Robin um, der hinter dem Apfelbaum einen Schmetterling jagte. „Sie tut mir leid. Ich hatte ja auch bis vor kurzem stillschweigenden Krieg mit meinem besten Freund. Ich kann ein bisschen nachfühlen, wie schlecht es ihr geht.“ „Ach so...“ War Yukis ganzer Kommentar dazu. Er versuchte zu lächeln, als er die vier Stufen vom Garten auf die Terrasse hochstieg. Neben der Tür stellte er den leeren Eimer ab und wandte sich wieder Kei zu. Einen Moment zögerte er, bevor er weitersprach. „Du warst vorhin lange weg. Ich dachte mir, dass du vielleicht noch zu Atari-kun gegangen bist.“ „Nein, ich war nicht bei Atari.“ Nun wanderte Keis Blick doch wieder von Robin direkt zu Yuki. Er wunderte sich, wie Yuki auf diese Idee kam. Sicher, er hatte in letzter Zeit wieder öfter etwas mit Atari unternommen. Aber täglich sah er ihn nicht und er war auch nicht immer bei Atari, wenn er länger unterwegs war. Aber woher dieser Gedanke kam, konnte er Yukis Ausdruck nicht entnehmen. Er sah ihn ganz unverwandt an, ein leichtes Lächeln angedeutet. „Eifersüchtig?“ wagte Kei einen Vorstoß, den er sofort wieder bereute. Kaum ausgesprochen, hätte er sich für seine große Klappe am liebsten geohrfeigt. Er kannte doch die Antwort. Und das war genau die Antwort, die er eben nicht hören wollte. Warum musste sein vorlautes Mundwerk dennoch danach fragen? „Natürlich.“ Flüsterte Yuki. Diesmal war er es, der verlegen den Blick auf den Boden senkte. Schweigen. Dasselbe verlegene Schweigen, vor dem Kei nach dem Frühstück geflüchtet war. Auf seine Weise trat er auch jetzt die Flucht an, als er seinen Blick wieder Robin zuwandte. Yuki dagegen wollte die Fronten endlich klären. Er war sich seiner Gefühle für Kei gewiss, aber wie Kei von ihm dachte, wusste er beim besten Willen nicht. Kei hatte sich nicht gegen seine Umarmung gewehrt, auch nicht gegen den Kuss. Aber erwidert hatte er sie auch nicht. Er wich ihm aus, vermied jede klare Aussage oder Geste. Yuki wusste nicht, ob Kei in ihm einen Freund sah, seinen Zalei-Lehrer. Ob er vielleicht seine Annäherungen nur erduldete, weil er ihn nicht verletzen wollte, oder vielleicht sogar weil er glaubte, sich als sein Schüler unterordnen zu müssen. Yuki wagte einen Schritt nach vorne, im wahrsten Sinne des Wortes. Er kam zu Kei herüber, der ganz konzentriert in die andere Richtung sah. Obwohl er nun direkt vor ihm stand, wich Kei seinem Blick noch immer aus. Also ging Yuki vor ihm in die Knie, legte seine Unterarme verschränkt auf Keis Knie. Kei blieb wie versteinert sitzen. Erneut reagierte er in keiner Weise auf diese Berührung durch Yuki. „Kei…?“ flehte Yuki förmlich um dessen Aufmerksamkeit. Wieder fühlte Kei dieses heiße Kribbeln auf seinen Knien, dort wo Yukis Arme lagen. Die Art wie er heiser seinen Namen ausgesprochen hatte, verursachte ein ähnliches Kribbeln in seinem Bauch. Nur einen Moment, aber dafür sehr intensiv. „Du wehrst dich nicht gegen eine Umarmung von mir. Aber du erwiderst sie auch nicht.“ Kei versuchte weiter, Yukis Blick auszuweichen. Er hatte das Gefühl, immer wenn sich ihre Blicke trafen, würde das Glühen auf seinen Wangen neu angefacht, das Rot auf ihnen intensiver. Und so wanderten Keis Augen über die Terrassenfließen, die Blumenbete vor dem Nachbarszaun, Robin, der hinter Insekten herjagte. „Wir sind Freunde und du bist mein Zalei-Schüler. Das soll auch so bleiben. Unser Verhältnis soll nicht belastet werden mit unausgesprochenen Gefühlen.“ Erklärte Yuki sicher nicht weniger verlegen. „Das will ich auch nicht. Du bist mir in den letzten Monaten ein sehr guter Freund geworden und…“ Begann Kei zuerst mit unsicherem Unterton in der Stimme. Doch dann brach er seinen Satz ab, als er doch zur Überzeugung kam, er würde damit zu viel einräumen. „Und…?“ Hakte Yuki vorsichtig nach. „Und… das ist… schön.“ Ergab der Satz überhaupt Sinn? Kei fragte es sich selbst. Das Glühen auf seinen Wangen war inzwischen noch heißer geworden. Wenn der Rotschleier nun entsprechend dunkel geworden war, würde Kei sich am liebsten vor aller Welt verkriechen. Was musste er Yuki nur für einen Eindruck vermitteln? „Und darüber hinaus?“ Schweigen. „Kannst du dir darüber hinaus mehr vorstellen?... Ich will dich weder zu irgendwas drängen, noch dich überreden oder so. Wirklich, ich möchte nur wissen woran ich bin.“ Beteuerte Yuki. Natürlich, er mochte Kei, mehr als man einen Freund mochte, und vermutlich mehr als Kei ihn mochte. Irgendwo hoffte er, dass ihn irgendwann mehr mit Kei verbinden würde als Freundschaft. Aber in erster Linie war es Kei selbst, der ihm wichtig war. Und wenn Kei nicht mehr als Freundschaft wollte, dann sollte es auch nicht mehr als Freundschaft sein. Am wichtigsten war ihm, in Keis Nähe bleiben zu können und ein positives Verhältnis mit ihm zu behalten. Wenn Kei nicht mehr wollte, dann als Freund. „Also… Ja? Nein? Vielleicht?“ „Na gut…“ Kei atmete tief durch und schlug dabei kurz die Augen nieder. Doch dann fasste er sich ein Herz und sah Yuki direkt an. Diese Rubine von Augen, gesäumt von dunklen Wimpernkränzen, fachten das zart glühende Rot auf Keis Wangen fast noch weiter an. Doch diesmal wich Kei seinem Blick nicht mehr aus. Yuki wollte wissen woran er war. Aber das wollte Kei doch auch. Dieses ständige Hin und Her, die falschen oder enttäuschten Hoffnungen drohten langsam wirklich, ihre Freundschaft zu belasten. Yuki war ihm inzwischen tatsächlich sehr wichtig geworden, wenn auch anscheinend nicht so wichtig wie er ihm geworden war. Er war ein sehr guter Freund, ein… sehr, sehr guter Freund, außerdem sein Lehrer. Er brauchte ihn, so oder so. Yuki hatte eine ehrliche Antwort verdient. Abgesehen davon, wollte Kei nach dem ständigen Auf und Ab seiner Gefühle auch selbst Klarheit. Vielleicht hoffe Kei, sich seiner Gefühle selbst bewusst zu werden, sobald er diese laut aussprach. Und so nahm er seinen ganzen Mut zusammen. „Also, ich werde möglicherweise darüber nachdenken,… unter Umständen irgendwann… ein „Vielleicht“ in Erwägung zu ziehen…“ „Wirklich?“ Yuki strahlte ihn förmlich an. Ja, angesichts dieses Lächelns würde er es vielleicht doch in Erwägung ziehen, dachte Kei bei sich. Bisher hatte Kei es nie so gesehen, wahrscheinlich weil er sich selbst diesen Gedanken verboten hatte, aber Yuki sah eigentlich echt gut aus. Diese schlanken Hände, die noch immer auf seinen Knien lagen, die zarte helle Haut seines feinen Gesichts, das von schneeweißen Strähnen gesäumt war, die dichten Wimpern, seine Lippen, die sich leicht öffnend und spitzend mit einem sanften Lächeln Worte formten. „Allein, dass du es nicht völlig ausschließt, macht mich schon glücklich.“ Kei fühlte die Röte erneut aufsteigen. Trotz allen guten Vorsätzen konnte er schließlich doch nicht anders, als den Blick wieder abwenden. Etwa zur gleichen Zeit hallte das Theme irgendeines kitschigen, französischen Films durch Pierres Praxis, das der als Klingelton auf seinem Handy eingestellt hatte. Ryu hatte Pierre bestimmt schon zehnmal nach dem Titel des Films gefragt, ihn sich jedoch nie merken können. Inzwischen fragte er auch gar nicht mehr, weil Pierre ihn daraufhin jedesmal zu einem DVD-Abend einladen wollte, um besagten Film anzuschauen. Für kitschige Liebesfilme war Ryu allerdings wenig zu begeistern, vor allem wenn er diesen noch nicht einmal in der Gesellschaft eines hübschen Mädchens ansehen konnte. „Allô?“ nahm Pierre ab. Ryu sortierte weiter die Patientenkartei, während er unauffällig lauschte. Pierres Reaktion ließ vermuten, dass er mit dem Rat sprach. Nachdem Ryu wusste, dass sein Vater bereits dort gewesen sein musste, war er umso neugieriger. Leider verstand er kein Wort desjenigen am anderen Ende der Leitung. Und Pierres Part alleine war wenig aufschlussreich. „Ah oui, isch weiß, dass Taro ´ier ist… Was? Non, das wusste isch nischt. Mir ´at er gestern nischts gesagt… Oui… Oui, natürlisch… Isch denke, das wird dafür – d´accord, nischt am Telefon, isch verste´e… Ok, bis gleisch.“ Pierre legte auf und atmete laut aus, während er in einer geschmeidigen Bewegung sein langes Haar hinter die Schultern warf. „Du musst zum Rat?“ versuchte Ryu, mehr Informationen aus Pierre herauszubekommen. „Oui, es geht um deinen Vater. Isch ge´e davon aus, dass du das weißt.“ Lächelte er. „Hat er was angestellt?“ „Das weiß isch nosch nischt. Meister Adoy will mit mir persönlisch spreschen, keine Ahnung worum es geht.“ Zuckte er mit den Schultern. Pierre schritt an Ryu vorbei zum Schrank, in den er seinen Kittel hängte. Bevor er die Praxis verließ und sich auf den Weg zum Rat machte, erlaubte er auch Ryu für heute seine Arbeit zu beenden. Die Sprechstunde war für heute ohnehin vorbei und erfahrungsgemäß würde Pierre von einem Besuch beim Rat sicher nicht vor Abend zurückkommen. Ryu würde also noch die Kartei zu Ende sortieren und dann den Heimweg antreten. Gerne hätte er noch auf Pierres Rückkehr gewartet, um ihn dann auszuhorchen, aber ihm war bewusst, dass er nicht so lange in der Praxis bleiben konnte. Zumindest würde er zu Hause vielleicht die Version seines Vaters erfahren. *** Hallo! Vielen, vielen Dank fürs Lesen! ^___^ Hui, jetzt kommt wirklich Schwung in die Geschichte. Da scheint Kei ja endlich mal Farbe bekennen zu wollen… Und während er immer noch mit sich ringt, gerät er ganz unwillkürlich zwischen die Fronten. Dieser Streit von Rat und Herrn Natsukori scheint etwas höhere Wellen zu schlagen als vermutet. Wenn das mal gutgeht… .__. Würde mich sehr freuen, wenn ihr dabei bleibt, um es herauszufinden. ^^ Bis bald , Petey Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)