Snowdrops and Chocolate von Petey (Die Fortsetzung des gleichnamigen Doujinshi) ================================================================================ Kapitel 16: Alte Freunde und neue Feinde ---------------------------------------- Kapitel 19 – alte Freunde und neue Feinde Der Rat der Zalei bediente sich der Dienste von K.R.O.S.S., einer Organisation, die sich der Aufklärung von übernatürlichen Phänomenen verschrieben hatte und dabei für ihr skrupelloses Vorgehen bekannt war, um die Fähigkeiten der Zalei zu erforschen. Der Rat versorgte K.R.O.S.S. mit Informationen über ihre schamanische Tradition und, wie Lan nun auch erfahren hatte, sogar mit Versuchspersonen. Im Gegenzug erhielt der Rat von K.R.O.S.S. nicht nur deren Forschungsberichte, sondern auch Informationen von einem ‚Informanten‘. Lan saß auf einer morschen Holzbank und blickte gedankenverloren auf eine Wiese neben der Landstraße, die von letzten Schneeresten bedeckt war. Sein schwarzer Hengst Onyx zog missmutig schnaubend eine Runde nach der anderen über die Wiese und rupfte das längst verdorrte Gras. Die wenigen Passanten staunten über das Tier, wagten jedoch nicht, dessen Herren anzusprechen, der mit finsterer Miene eine Zigarette nach der anderen rauchte. Bestimmt seit fast einer Stunde saß Lan auf der Bank, ohne sich einen Millimeter zu rühren, während er die ewig selben Gedanken hin und her wälzte. ‚Warum?‘ dachte er immer wieder. ‚Warum arbeitete der Rat mit K.R.O.S.S. zusammen? Was hatte der Rat von der Erforschung der Zalei-Kraft? Und warum beauftragte er ausgerechnet K.R.O.S.S. damit?‘. So lange er sich diese Frage nicht beantworten konnte, wollte alles keinen rechten Sinn machen. Aber Lan fand keine Antwort, die ihm plausibel erschienen wäre. Am liebsten hätte er Taro oder Ryu gefragt. Die beiden waren die Denker ihrer kleinen Rebellion. Lan war eher der Mann fürs Grobe, für den Fronteinsatz und die Informationsbeschaffung. Doch es waren fast immer Taro und Ryu gewesen, die seine erlangten Informationen ausgewertet hatten. Aber was, wenn Ryu nun tatsächlich ein Informant war, der für K.R.O.S.S. arbeitete? Konnte Lan es denn riskieren, ihm von dem Gespräch in Adoys Büro zu erzählen? Wenn Ryu für K.R.O.S.S. und damit indirekt für den Rat arbeitete, dann war das doch fast eine Bitte, ihn aus dem Weg zu räumen. Dass weder K.R.O.S.S., noch der Rat zimperlich mit Zalei umgingen, die ihnen zu nahe kamen, hatte Lan schon an Ryami und Mika gesehen. Inzwischen fürchtete Lan sogar, dass Taro ein ähnliches Schicksal ereilt hatte wie die beiden. Vor drei Jahren hatte Lan sich schon einmal gegen den Rat gestellt. Schon damals hatte er den Verdacht gehabt, dass der Rat ein paar Leichen im Keller hatte. Wie recht er mit dieser Vermutung gehabt hatte, vor allem dass sie sprichwörtlich wahr war, hatte sich Lan aber nicht träumen lassen. Vor drei Jahren war er allein gewesen und nicht besonders weit gekommen, bevor Adoy seinem kleinen, ungeplanten, undurchdachten, übereilten und völlig sinnlosen Feldzug ein Ende gesetzt hatte. Ausgerechnet Pierres engagiertem Einsatz verdankte Lan, dass Adoys Strafe nicht besonders hart ausgefallen war. Lan hatte nicht nur überlebt, auch sein Ruf war ihm geblieben. Er war sogar in den Rat gewählt worden, wohl damit Adoy ihn im Auge behalten konnte. Aber Pierres Freundschaft hatte Lan danach verloren. Lan konnte nur mutmaßen, welche Opfer Pierre für ihn gebracht haben musste, um ihm seine Strafe zu ersparen. Der Tierarzt weigerte sich seit drei Jahren beharrlich, ihn zu treffen, oder auch nur mit ihm zu sprechen. Wie oft hatte Lan versucht, sich zu entschuldigen. Doch Pierre hatte klipp und klar gesagt, er wolle nie wieder etwas mit ihm zu tun haben. Nie würde Lan die letzten Worte vergessen, die sie vor drei Jahren miteinander gesprochen hatten. Noch heute lief ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken, wenn er daran dachte. Nun hatte Lan anscheinend in einer zweiten Rebellion einen zweiten guten Freund verloren. Er atmete eine blaugraue Wolke in den Abendhimmel, als er eine weitere Kippe auf den Boden fallen ließ und sie austrat. Es war kurz nach acht Uhr abends und der Himmel war bereits nachtdunkel. Lan war sicher, er konnte die ganze Nacht auf dieser Bank sitzen und grübeln, zu einem Ergebnis würde er dennoch nicht kommen. Im Moment wusste er nur eines mit Sicherheit. Adoy hatte K.R.O.S.S. irgendeinen Zalei als Forschungsobjekt zugesagt, und es gab einen Zalei, der sich kürzlich erneut Adoys Zorn zugezogen hatte. Wie Lan den alten Adoy einschätzte, würde er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen wollen. Nachdem dieser Zalei auch noch ein Freund war, wusste Lan, was er zu tun hatte. Gerade hatte er seine fast vollständig geleerte Zigarettenschachtel in seiner Jackentasche verstaut und stand auf, da bemerkte er erst den Schatten, den eine Person vor ihm im Licht einer Straßenlaterne warf. „Ony-“ hatte er angesetzt, sein Pferd zu rufen, doch er verstummte fast augenblicklich. Lans Blick wanderte langsam zum Besitzer des Schattens. Etwa drei bis vier Meter stand der Mann vor ihm, stumm, die Hände in den Taschen seines Mantels, eine Schlange um seine Schultern gewunden. Wie lange hatte er schon dort gestanden? „Bonsoir.“ „Pierre…“ flüsterte Lan und versuchte dabei nicht, seine Überraschung zu verbergen. Er stand da wie versteinert, mit vor Schreck geweiteten Augen und sein Herz klopfte mindestens zwei Takte schneller. Lan hatte nie die letzten Worte vergessen, die Pierre vor drei Jahren zu ihm gesprochen hatte. „Oh. So lange nischt gese’en, aber sofort wiedererkannt.“ Pierre lächelte ein ungewohnt kaltes Lächeln. Ganz langsam trat er näher. Lan kam es fast vor, als bewegte sich der Tierarzt in Zeitlupe. Sogar der Wind schien in Zeitlupe in seinem blonden Haar zu spielen. Eine halbe Ewigkeit schien vergangen, als Pierre schließlich vor Lan stehen blieb und ihn direkt ansah. Wie kalt seine Augen wirkten. Früher war Lan das strahlende Blau wie das des Himmels vorgekommen, heute schien es wie Gletschereis. „Ich würd gerne sagen ‚Ich freu mich dich zu sehen‘, aber ich fürchte, die Freude wäre einseitig.“ „Meister Adoy weiß, dass du ihn vor’in belauscht ‘ast. Du bist unvorsischtig geworden.“ kam Pierre gleich auf den Punkt. „…“ Lan hätte nicht gedacht, dass sein Herz noch schneller schlagen konnte. Doch es konnte. Lans Herz raste als wären es die letzten Takte, die es schlagen würde. „Er bat misch, misch um disch zu kümmern. Seine Geduld ist am Ende, er ‘offt nischt mehr darauf, dass du zur Vernunft kommst.“ „Das hat er gesagt?“ „Oui.“ „Adoy sollte seinen ehemaligen Schüler besser kennen. Er weiß genau, dass ich nie zur Vernunft kommen werde.“ Pierre seufzte leise und fuhr sich durchs Haar. „Eine Weile ‘abe isch es auch ge’offt. Du weißt, was isch vor drei Jahren für disch getan ‘abe, oui?“ Lan nickte stumm. „Und du erinnerst disch sischer, was isch dir damals gesagt ‘abe?“ Jetzt passierte es. Lans Herz konnte nicht noch einmal einen weiteren Takt zulegen. Diesmal blieb es einfach stehen. So fühlte es sich zumindest an, bevor er mit erstickter Stimme zu sprechen begann. „Du hast gesagt, wenn wir uns das nächste Mal sehen, werden wir Feinde sein. Und du wirst mich umbringen.“ Diesmal war es Pierre, der stumm nickte. Er senkte den Blick auf den Boden. Für einen kurzen Moment schien die Kälte aus seinen Augen zu weichen, sogar eine einzelne Träne schien aus dem Eis zu schmelzen. Doch nur für einen kurzen Moment. Als er Lan wieder direkt ansah, war das blaue Eis seiner Augen kalt und hart wie zuvor. „Isch wollte disch wirklisch nie wieder se’en.“ Einen Augenblick standen sich die beiden jungen Männer noch schweigend gegenüber. Nur der kalte winterliche Wind heulte von Zeit zu Zeit, wenn er in ihre Haare oder Mäntel blies. Sogar Onyx stand inzwischen regungslos und stumm neben seinem Herren. Ganz ohne ein Wort bedeutete Pierre Lan schließlich, ihm zu einem abgelegeneren Ort zu folgen. Lan senkte den Blick, atmete aus und folgte ihm ebenso wortlos, Onyx an seiner Seite. Er wusste, das Spiel war aus. „Ich bin wieder dahaa!“ rief Kiku das Treppenhaus hinauf. Sie warf ihre Einkaufstüten auf die Stufen, um sich mit beiden Händen aus Mantel und Stiefel befreien zu können. Keine leichte Aufgabe, denn nebenbei musste sie noch Jack auf dem Kopf balancieren, der sein Frauchen auf diese Weise begrüßte. „Willkommen zurück. Du warst ganz schön lang weg.“ antwortete Kei eher gleichgültig aus dem Esszimmer nebenan, wo er Robin gerade gefüttert hatte. Gleichgültig vor allem deshalb, weil er selbst vor noch nicht allzu langer Zeit von Atari nach Hause gekommen war und sich somit denselben Vorwurf gefallen lassen musste. „Na ja. Ich musste ausnutzen, dass ich Taki raus schleifen konnte.“ „Ach so. Wie geht es ihr denn?“ „Besser. Ich glaub, sie wird wieder.“ lächelte Kiku ein wenig schüchtern, als sie sich erinnerte wie Kei sie vor einigen Wochen getröstet hatte. Kei erwiderte ihr Lächeln. „Ähm… Sind Ryu und Yuki auch da?“ wechselte sie schnell das Thema. „Sind beide oben. Ryu schreibt an irgendwas für die Uni. Und Yuki… also…“ Kei suchte in seinen hintersten Gehirnwindungen nach einer möglichst harmlosen Umschreibung von ‚hat sich seit Stunden in sein Zimmer verkrochen, weil er nicht weiß, wie er sich mir gegenüber verhalten soll, nachdem wir uns vorhin fast geküsst hätten‘. Er fand keine passende Umschreibung. Die war aber auch nicht nötig, da Kiku schon ihre Tüten aufgehoben hatte und im Gleichschritt mit Jack die Stufen in den ersten Stock hinauf gehopst war, ohne den Rest des Satzes abzuwarten. Den restlichen Abend verbrachte sie damit, ihre neuen Errungenschaften ausführlich zu begutachten, insbesondere in Kombination mit dem aktuellen Inhalt ihres Schranks. Die erste peinliche Begegnung mit Yuki nach ihrem Fastkuss blieb Kei an diesem Abend noch erspart. Zugegeben, sowohl er selbst als auch Yuki vermieden konsequent jede Situation, in der es zu einer zufälligen Begegnung hätte kommen können. Vielleicht auch daher das verständnislose Kopfschütteln von Ryu, als dieser zufällig Kei nach intensiven Blicken nach allen Richtungen blitzschnell vom Badezimmer in sein Schlafzimmer huschen sah. Kei wusste nicht wirklich, wie er Yuki jetzt begegnen sollte. Er hatte vor einigen Monaten ziemlich deutlich gemacht, dass er sich nicht mehr als Freundschaft mit ihm vorstellen konnte. Einige Wochen später hatte er sich zu einem unentschlossenen ‚vielleicht ja doch‘ hinreißen lassen, und vorhin hätte er ihn beinahe geküsst. Kei war sich immer noch ziemlich sicher, dass er es getan hätte. Und er hätte es nicht einmal bereut. Aber das bedeutete nicht, dass er nicht immer noch eine Gänsehaut bekam beim bloßen Gedanken daran, irgendwann auch weiter zu gehen als bis zu einem unschuldigen Kuss. Am nächsten Morgen, oder besser gesagt Vormittag, denn es war Samstag und die komplette WG hatte verschlafen, hallte nur noch das Echo seiner schweren Gedanken vom Vorabend in Keis Bewusstsein wider. Sogar Yuki beim Frühstück gegenüber zu sitzen, fiel ihm überraschend leicht. Natürlich sprachen beide das Thema in Gegenwart von Ryu und Kiku nicht an. Vermutlich hätten sie es auch totgeschwiegen, wenn sie allein gewesen wären. Aber Kei war beruhigt, dass nicht der Hauch einer ‚Wir haben ein Geheimnis‘-Stimmung über dem Frühstückstisch lag. Yuki benahm sich ganz normal. Er trank seinen Milchkaffee wie immer, aß sein Müsli, unterhielt sich, lächelte. Zugegeben, er war vielleicht ein kleines bisschen besser gelaunt als sonst, und wenn sein Blick zufällig Keis traf, wurde sein Lächeln noch etwas intensiver, aber sonst war alles ganz normal. Normal war in gewisser Weise auch der zarte Ansatz von Eifersucht, als Kei ankündigte, später mit Atari Fußball schauen zu wollen. Ein bisschen fühlte sich Kei schon geschmeichelt von Yukis Eifersucht. Möglicherweise genoss Kei sie sogar ein wenig, und vielleicht provozierte er sie sogar, aber das würde er sich nie eingestehen. „In Ordnung, aber bleib nicht wieder so lange weg. Bei dir weiß ich nie, ob ich mir Sorgen machen muss oder nicht. Und vergiss nicht, vorher noch ein bisschen mit Robin zu üben.“ ermahnte Yuki. „Geht klar, Herr Lehrer.“ „Ich hätte heute Lust auf Kino. Will irgendwer mit?“ schmollte Kiku und meinte mit ‚irgendwer‘ natürlich Ryu. „Ich kann nicht. Bis Montag muss ich eine Arbeit abgeben und bin ziemlich hinterher.“ „Oh Mann! Aber ich will den Film sehen.“ „Was denn für einen?“ „Tonic for a sad soul. Da spielt Juan Pelechuco mit.“ „Klingt nach einem kitschigen Chick-Flick-Movie… Frag doch Yuki, ob er mitkommt.“ „Moment mal! Wieso schlägst du mich vor, wenn’s um Chick-Flick geht?“ protestierte Yuki. „Gute Idee! Kommst du mit, Yuki? Du hast doch bestimmt nichts Besseres zu tun.“ „Das ist doch kein Grund, um mir Juan-Pelechuco-Chick-Flicks anzuschauen.“ Kei schmunzelte insgeheim ein bisschen. Sein erster Eindruck von Yuki war damals vielleicht auch in diese Richtung gegangen, aber inzwischen wusste Kei sehr gut, dass Yuki nicht der Chick-Flick-Movie-Typ war. Manchmal konnte der erste Eindruck ganz schön trügen. Außerdem hatte Kei den leisen Verdacht, dass Yuki auch nicht auf Sunnyboys mit Perlweißlächeln à la Juan Pelechuco stand. Eher auf… rothaarige Zwerge vielleicht. „Willst du etwa den ganzen Nachmittag vor Eifersucht brodelnd die Uhrzeiger beobachten, bis Kei endlich von Atari nach Hause kommt?“ stichelte Kiku. „Was?! D-Das ist total…“ „Ich weiß, ich weiß. ‚Total absurd.‘ Zwischen Kei und Atari läuft schon seit Jahren nichts mehr. Nicht wahr, Kei?“ zwinkerte Kiku. Kei hatte sich bisher unauffällig im Hintergrund gehalten. Kiku war ihm nun doch ein bisschen zu direkt, ungewollt direkt vermutlich. Kei glaubte nicht, dass Kiku die leiseste Ahnung hatte, was sich in den letzten Tagen und Wochen zwischen ihm und Yuki abspielte. Aber es war ihm mehr als unangenehm, dass ihre Witzeleien den Nagel genau auf den Kopf trafen. Wie sollte er reagieren,… mitspielen? Angriff war wohl die beste Verteidigung. „Stimmt. Das mit Atari und mir konnte nicht gutgehen. Ich kann einfach nicht mit jemandem zusammen sein, der keine Chick-Flicks mag.“ Irgendwie bekam das Gespräch letztendlich doch noch eine Wendung, die zu einem halbwegs ernsthaften Ergebnis führte. Kei würde wie geplant mit Atari Fußball schauen, Ryu würde seine Arbeit fertigschreiben und Yuki würde Kiku ins Kino begleiten, unter der Voraussetzung, dass sie keine Chick-Flick-Movies anschauten. Bevor Kei aber aufbrach, übte er unter Yukis Aufsicht noch zwei Stunden mit Robin im Garten. Wie so oft saß Yuki auf der Terrasse und beobachtete Kei wortlos über den Rand irgendeines Buches hinweg. So lange es nicht unbedingt nötig war, griff Yuki für gewöhnlich nie in Keis Übungen ein. Minuit wollte ihrem Zalei zunächst folgen, kehrte aber sofort wieder um in die Wohnung, als sie die Kälte draußen spürte. Die kleine Fledermaus hing nun an der Vorhangstange, von wo aus sie das Geschehen verfolgte. Keis und Robins Training ging sehr gut voran. Seit ihrer verpatzten Prüfung hatten sie große Fortschritte gemacht. Robin konnte sich inzwischen in Keis Körper perfekt schlafend stellen und gehorchte in den meisten Fällen sogar aufs Wort. Seit ein paar Tagen hatte Kei deshalb angefangen, Robin auch andere Kunststücke beizubringen. Stehen und Aufstehen konnte er sogar schon. Abgesehen davon erinnerten Robins Bewegungen in Keis Körper jedoch weiterhin eher an einen Fuchs als einen Menschen. Es war ein Anblick, über den Kei sich königlich amüsieren konnte. Und nichtsdestotrotz lernte Robin erstaunlich schnell. Ein Funke Wahrheit schien also doch in der Redewendung ‚schlau wie ein Fuchs‘ zu stecken. Vor allem hatte sich Robin vor einer Weile selbst beigebracht, wie er den Körpertausch eigenmächtig und gegen Keis Willen rückgängig machen konnte. Wenn es dem Fuchs zu bunt wurde, signalisierte er so das Ende der Übungsstunde. Yuki hatte nicht schlecht gestaunt, als Robin seine neue Fähigkeit zum ersten Mal demonstriert und Kei ganz kleinlaut „Das war ich nicht“ beteuert hatte. Nicht nur Yukis Schüler konnte ihn mit seinem großen Talent überraschen, sondern auch dessen Carn. Schließlich war die Zeit für Keis Aufbruch gekommen. Er verschwand kurz in der Wohnung und in seinem Zimmer, um seine Sachen zu holen. Als er die Treppen kurz darauf wieder hinabstieg und nach seinem Carn rief, erwartete Yuki ihn schon vor der Haustür, um sich zu verabschieden. „Viel Spaß beim Fußball.“ lächelte er. Das Lächeln war echt, aber konnte Kei nicht völlig über den letzten eifersüchtigen Beiklang hinwegtäuschen. „Viel Spaß im Kino.“ lachte Kei, amüsiert von der Vorstellung, dass Kiku Yuki doch noch in ihren Chick-Flick-Movie zerren würde. Wie er Kiku kannte, würde sie nicht so schnell aufgeben. „Pass auf dich auf.“ Kei hatte schon eine Hand auf die Klinke gelegt. Dieser Satz kam bei jedem Abschied. Kei war fasziniert, wie Yuki den Satz jedes Mal mit derselben Dringlichkeit aussprechen konnte. Auch nach dem tausendsten Mal war er nicht zu einer simplen Floskel verkommen, sondern drückte immer noch echte Sorge aus. Und immer noch schafften es diese einfachen Worte, Kei zu berühren. Kei schluckte einen Kloß herunter, der gerade dabei war, sich in seinem Hals zu bilden. Er ließ die Türklinke los, drehte sich um und sah Yuki mit entschlossenem Blick direkt in die Augen. Diese Rubine inmitten der dichten Wimpernkränze, die sich von seiner blassen Haut abhoben. In diesem Moment drückten sie weit geöffnet Yukis Überraschung aus. Bevor Yuki reagieren konnte, stand Kei schon direkt vor ihm. Keis Herz klopfte so stark, dass er fast fürchtete, Yuki könnte es hören. Dann atmete er einmal tief durch und nahm seinen Mut zusammen. Im nächsten Moment stellte er sich auf die Zehenspitzen, lehnte sich ein wenig nach vorne und streifte er den Hauch eines Kusses auf Yukis Wange. „Du brauchst nicht eifersüchtig auf Atari sein.“ Damit fuhr Kei blitzschnell herum, griff nach der Türklinke und stürzte mit Robin hinaus, bevor Yuki sehen konnte wie sich seine Gesichtsfarbe langsam einer Tomate anglich. Kei rannte die Straße entlang und blieb erst an der nächsten Kreuzung atemlos stehen. ‚Oh. Mein. Gott.‘ dachte er bei sich ‚DAS war echt Chick-Flick der aller kitschigsten Sorte…‘ Yuki stand in diesem Augenblick immer noch wie zur Salzsäule erstarrt im Flur und blickte auf die Haustür als wüsste sie die Antwort auf seine ungestellte Frage: Was war eben passiert? Auch als er etwas über zwei Stunden später mit Kiku das Haus verließ, schien Yuki immer noch etwas neben sich zu stehen. Er hörte kaum zu, als Kiku wie ein Wasserfall auf ihn einredete, ihm von diesem und jenem erzählte, ihrem Einkaufsbummel, Zeitschriften, Gerüchten, Stars,… Yuki nahm kaum jedes fünfte Wort wahr und warf von Zeit zu Zeit geistesabwesend zweisilbige Antworten wie „Aha“, „Sieh an“ oder „Nein, echt?“ ein. Kiku schein das nicht weiter zu kümmern. Sie plapperte munter weiter und schien sogar fast amüsiert, auch wenn sie nur mutmaßen konnte über den Grund für Yukis Lächeln, das er kaum unterdrücken konnte. Yuki war so tief in Gedanken versunken, dass er gar nicht darüber nachdachte, wohin er lief. Kiku musste ihn mehr als einmal aus dem sicheren Kollisionskurs mit einer Straßenlaterne, einem Schild oder einem Baum lenken. Kein bisschen achtete Yuki auf den Weg, träumte scheinbar einfach vor sich hin und folgte Kiku wie blind, bis ihn schließlich das Motorengeräusch eines dunklen Kombi, der in einer Parklücke nur wenige Meter vor ihnen anhielt, in die Gegenwart zurückholte. „Äh, Kiku…?“ „Ja?“ „Zum Kino wäre es an der letzten Kreuzung doch links gegangen.“ Mit fragendem Ausdruck drehte er sich zu Kiku um. „Ja, stimmt. Wir gehen nicht ins Kino.“ Kiku grinste ihn an. Es war nicht Kikus übliches, freundlich freches Grinsen, eher schien sie ihn auszulachen. Erst jetzt wurde Yuki bewusst, dass er gar nicht darauf geachtet hatte, wohin sie ihn die ganze Zeit geführt hatte. Er wollte sich gerade umdrehen und zumindest sehen, wo er jetzt war. Doch noch bevor er den Kopf drehen konnte, bemerkte er halb hinter sich eine Silhouette, die sich aus der Richtung des dunklen Kombis genähert haben musste. Dann war da auch schon dieser dumpfe Schmerz an seinem Hinterkopf. Das Bild vor seinen Augen schien sich zu drehen, seine Farben und Formen ineinander zu laufen. Nur wenige Wimpernschläge später war es vollständig verschwommen und löste sich schließlich in reines Schwarz auf. Weiß, das war alles, was Yuki sah, als er langsam wieder zu sich kam. Das Bild wurde erst langsam wieder schärfer. So konnte Yuki zwar zwei Personen neben sich ausmachen, diese jedoch nicht erkennen. Ebenso nahm er nur Fetzen ihres Wortwechsels wahr und konnte in seinem Dämmerzustand selbst aus diesen keinen Sinn erkennen. „Die Miss hat versprochen, dass ihm nichts passiert, nicht wahr?“ fragte die eine Stimme. „Ja ja. Wir werden nur das neue Mittel testen.“ antwortete eine tiefere Stimme. „Und dann lasst ihr ihn wieder gehen?“ „Ja, dann lassen wir ihn wieder gehen. Hast du seinen Carn?“ „Natürlich. Hier.“ „Setz ihn in den Käfig.“ Yuki hörte Schritte. Eine der Personen entfernte sich langsam. Dann hörte er ein Klackern, Quietschen, Kratzen und schließlich ein vertrautes Geräusch von Flügelschlägen. Als Yuki den Kopf in die Richtung der Geräuschquelle drehte, wurden die Konturen vor seinen Augen langsam deutlicher. Er lag in einem weißen Raum, in dessen Mitte ein kleiner Käfig auf einem Tisch stand. Minuit flatterte aufgeregt in dem Käfig herum. Neben der Tür war eine breite Fensterfront mit Blick auf einen farblosen Flur. Yuki konnte gerade noch erkennen wie eine der Personen den Raum verlassen hatte und nun hinter der Fensterfront den Gang entlang verschwand. Yuki erkannte Kiku in dieser Person. Ein junger Mann war im Raum geblieben. Er hatte schwarzes Haar, das er im Nacken zu einem kleinen Zopf gebunden hatte, und er trug einen weißen Kittel. Langsam fühlte Yuki wie die Kraft in seinen Körper zurückkehrte. Auch der pulsierende Schmerz an seinen Schläfen wurde stärker. Er wollte sich aufsetzen. Als sein Versuch scheiterte, bemerkte er erst, dass er auf einer Liege festgeschnallt war. Eine weiße Liege wie sie in manchen Arztzimmern stand. Breite, feste Riemen lagen um seine Hand- und Fußgelenke. Ein weiterer, der über seine Schultern gespannt war, hielt ihn unten. Yuki zerrte an seinen Fesseln, musste aber schnell aufgeben. Keinen Millimeter wollten sie nachgeben. Der junge Mann hatte nun aber Yukis Erwachen bemerkt und sich zu ihm umgedreht. Er legte einen Apparat auf den Tisch, den er eben begutachtet hatte, und kam näher. Nachdem er Yuki einen Moment gemustert hatte, setzte er sich auf die Seite der Liege. „Guten Morgen.“ spottete er, als er sich fast direkt über Yuki lehnte. „Was soll das? Wo bin ich?“ „Du bist in der Zentrale von K.R.O.S.S. und darfst bei unserer Forschung helfen.“ „Was…?“ Für Yuki gab alles keinen Sinn. K.R.O.S.S.? Warum? Wollte Kiku nicht mit ihm ins Kino gehen? Warum K.R.O.S.S.? Was hatte Kiku mit K.R.O.S.S. zu tun? Hatte sie ihn hierher gebracht? „Wir brauchen eine Versuchsperson für ein neues Mittel. Meister Adoy hat uns dich empfohlen.“ Das Grinsen des jungen Mannes wurde breiter. Er strich sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht, die somit sein offensichtlich blindes, rechtes Auge freigaben. Er zwinkerte Yuki zu. „Ich freu mich, dich persönlich kennenzulernen, Yuki Natsukori. Ich habe durch unseren Informanten schon viel von dir gehört.“ „Informanten…?“ wiederholte Yuki verständnislos. „Ja. Er… oder besser, Sie hat mir immer wieder erzählt, dass du dich gegen Meister Adoy gestellt hast. Du sollst die Entwicklungen deines Schülers verheimlicht, Berichte gefälscht und deinem Schüler nun auch noch zum Durchfallen geraten haben. Meister Adoy war nicht sehr glücklich darüber.“ Der Schreck weckte nun wohl auch den letzten noch schlafenden Teil in Yuki auf. Meister Adoy hatte also von einem Informanten von den gefälschten Berichten erfahren, auch von Keis Prüfung und wer weiß von was noch. Es war nun kein Detektivstreich mehr, sich zusammenzureimen, dass der Informant Kiku gewesen sein musste. Kiku, das fröhliche, niedliche Mädchen, das seit Jahren als Freundin und fast wie eine kleine Schwester mit ihnen zusammenlebte. Kiku hatte also die ganze Zeit mit Meister Adoy, und was vielleicht noch schlimmer war, mit K.R.O.S.S. gemeinsame Sache gemacht. Yuki konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Er konnte nicht einmal sagen, ob er wütend, traurig, enttäuscht, verzweifelt, verwirrt oder ängstlich war. Es war in gewisser Weise alles zur selben Zeit. Keine Worte, die er kannte, hätten beschreiben können, was sich in diesem Moment in ihm abspielte. „Nachdem Meister Adoy nun genug von deinen Flausen hatte, hat er dich uns als Versuchsperson angeboten.“ beiläufig zuckte der Mann mit den Achseln. „Sieh’s positiv. Zumindest entgehst du damit seiner Strafe.“ Yuki sah ihn ungläubig an, verkniff sich aber jeden Kommentar. Seine Gedanken wären ohnehin nicht klar genug gewesen, um einen halbwegs vernünftigen Satz aus ihnen zu formulieren. „Nun ja. Zumindest wenn unser neues Mittel wirkt und du überlebst. Sagen wir’s so.“ Damit stand der Mann auf und kehrte zum Tisch in der Raummitte zurück, wo er sich wieder seinem Apparat widmete. Die nächsten Minuten, vielleicht eine halbe Stunde, vielleicht länger – Yuki hatte sein Zeitgefühl verloren – verbrachten beide schweigend. Yuki beobachtete den anderen von Zeit zu Zeit, um zu verstehen, was er tat. Die meiste Zeit starrte er aber einfach nur an die weiße Decke über sich und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Der Mann von K.R.O.S.S. bereitete inzwischen allerlei Gerätschaften vor. Er zerrte eine große Maschine aus einer Nische fast direkt ans Kopfende von Yukis Liege, leider außerhalb von dessen Sichtfeld. Auf dem Tisch breitete er einige Fläschchen mit verschiedenfarbigem, flüssigem Inhalt, sowie mehrere Instrumente aus. Die Stille endete, als eine Frau mit großen dunklen Locken das Zimmer betrat. Auch sie trug einen weißen Kittel und hielt etwas in der Hand, das aussah wie ein Diktiergerät. „Ist alles vorbereitet, Suzumaru? Die Miss hat uns grünes Licht gegeben.“ „So weit ist alles fertig. Von mir aus können wir loslegen.“ Die Frau mit den Locken stellte ihr Gerät auf ein Regal an der Wand, die der Liege gegenüberlag. Nachdem sie ein paar Knöpfe gedrückt hatte, nahm sie auf einem Stuhl neben der Tür Platz, den Yuki erst jetzt bemerkte. Der Mann trat zur Stirnseite der Liege, stützte sich auf beiden Händen links und rechts neben Yukis Kopf ab und grinste ihm direkt ins Gesicht. „Showtime!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)