Snowdrops and Chocolate von Petey (Die Fortsetzung des gleichnamigen Doujinshi) ================================================================================ Kapitel 19: Die zweite Nacht und der Morgen danach -------------------------------------------------- Kapitel 22 – Die zweite Nacht und der Morgen danach Die Nachricht vom Tod seines Vaters nahm Ryu relativ ruhig auf, für normale Verhältnisse. Für Ryus Verhältnisse reagierte er erstaunlich emotional. Er schluckte schwer und senkte den Blick auf den Tisch vor sich. Nachdem er ein paarmal tief durchgeatmet hatte, sah er lange aus dem Fenster. In erster Linie ging es ihm dabei nur darum, den Blicken seiner Gegenüber auszuweichen. Kei bemerkte sogar, dass Ryu auffällig häufig blinzelte, vielleicht um gegen die sich sammelnde Tränen anzukämpfen. Von Zeit zu Zeit strich er sich mit den Fingerspitzen unruhig über die Schläfe, die Wange oder das Kinn. Die ganze Zeit über sprach Ryu kein einziges Wort. Auch keiner der anderen wagte es, die Stille zu stören. Schließlich stand Ryu unvermittelt auf und wandte sich ohne einen letzten Blick auf seine Freunde in Richtung Tür. Mit sehr leiser und ungewohnt flattriger Stimme bat er alle, Yuki vorerst noch nichts zu sagen. Dann verließ er das Esszimmer in Richtung Treppenhaus und signalisierte so das Ende des Gesprächs. Es war schon spät am Abend, als Kei wieder an Yukis Bett saß. Während er fast die ganze Zeit über blieb, sah Ryu nur von Zeit zu Zeit nach dem Rechten. Ryus Sorge um seinen kleinen Bruder war nicht zu übersehen, aber er schien mit sich selbst vereinbart zu haben, Yuki diesmal Kei anzuvertrauen. Ryu verbrachte die meiste Zeit mit Lan in Wohnzimmer, wo sie wohl ein paar Biere tranken. Letzterer hatte sich im Lauf des Abends wieder zunehmend unwohler gefühlt, insbesondere hatte er auch noch zu viel getrunken und sich daraufhin bei Ryu ausgeheult, wie grausam und gemein Pierre und die ganze weite Welt doch waren. Lan übernachtete deshalb auf der Couch. Hätte Kei zu dieser Zeit schon gewusst, wo er die Nacht verbringen würde, hätte er Lan auch gleich sein Bett anbieten können. Kiku hatte sich für den restlichen Abend in ihrem Zimmer verkrochen, wogegen niemand etwas einzuwenden hatte. Kei war immer noch stinksauer auf sie und war froh, dass sie ihm aus dem Weg ging. Die Zeiger des Weckers auf dem Nachttisch näherten sich schon der Eins. Wie lange Kei schon an Yukis Bett saß, konnte er aber trotzdem nicht sagen. Auch wenn Kei das Ticken als eindeutigen Beweis wahrnahm, glaubte er fast, dass die Zeit doch nicht verging. Yuki schlief so ruhig, dass es fast schien, jemand hätte die Zeit angehalten. Kei war tiefer gesunken auf dem Stuhl, der an der Stirnseite von Yukis Bett stand. Er wurde langsam müde und bemerkte selbst, dass seine Augenlider schwerer wurden. Bestimmt zehnmal hatte Kei sich schon vorgenommen, gleich ins Bett zu gehen. Ein paarmal war er sogar schon drauf und dran gewesen aufzustehen. Aber irgendwie konnte er seinen Blick doch nicht von Yuki losreißen. Yuki war immer noch sehr blass. Kei hatte dennoch den Eindruck, dass die Farbe langsam in sein Gesicht zurückkehrte. Kei beugte sich vor, bis er die Ellenbogen auf seinen Knien abstützen konnte. Er legte sein Kinn in eine Hand, ohne den Blick von Yuki abzuwenden. Yukis Wangen wirkten so weich – Kei konnte aus früherer Erfahrung bestätigen, dass sie es tatsächlich waren – ihr Teint so eben und zart wie Porzellan. Ja wirklich, so blass wie Yuki in diesem Moment war, wirkte er wirklich fast wie aus Porzellan geformt. Dazu passte auch die fast perfekt gerade Nase. So gerade Nasen konnte Mutter Natur doch einfach nur aus Porzellan gießen, vermutete Kei. Yukis sanft geschwungene Lippen musste sie mit einem weichen Pinsel sorgsam in zartem Rosarot aufmalt haben. Und die dichten Wimpernkränze, die in erstaunlichem Kontrast zu Yukis hellem Haut- und Haarton standen, hatte sie in mühevollster Detailarbeit angepasst. Kei war so darauf konzentriert, Yuki schön zu finden, dass er gar nicht bemerkte, wie dieser sich langsam regte. Die Wimpern, die Kei eben noch bewundert hatte, zuckten unter einem schwachen Blinzeln, bevor Yuki langsam die Augen öffnete. Die Rubine, die in verschiedenen Rottönen schimmerten und die Yukis Iris bildeten, wanderten einen Moment unruhig umher, bevor sie Kei fanden. Noch immer war dieser zu sehr in seinen Gedanken versunken, um auch nur das Lächeln zu bemerken, das sein Anblick sofort auf Yukis Gesicht zauberte. Erst als Yuki mit flüsternder Stimme zu sprechen begann, wachte auch Kei schlagartig auf. „Wie spät ist es?“ „Äh…“ Obwohl Kei gerade erst auf den Wecker gesehen hatte, war er so überrumpelt, dass er die Zeit nicht einmal hätte schätzen können. Er drehte sich zum Nachttisch um und befragte den Wecker erneut. „Kurz nach Eins.“ „So spät schon… Willst du nicht schlafen gehen?“ „Doch… gleich… bald…“ Yuki hob wie in Zeitlupe einen Arm. Kei konnte die Anstrengung förmlich sehen, die Yuki diese Bewegung bereitete. Er strich sich mit dem Handrücken über die Stirn und die Augen, wobei Kei erst auffiel, wie unfokussiert Yuki ihn zuvor angesehen hatte. Als Yuki schließlich seine Hand kraftlos neben sich sinken ließ, hielt er die Augen noch geschlossen. Er seufzte kaum hörbar. „Hast du immer noch Schmerzen?“ „Hmh… Nicht mehr so stark wie vorhin.“ Irgendwie konnte diese Aussage Kei nur mäßig beruhigen. „Kann ich irgendwas für dich tun? Brauchst du irgendwas?“ „Kannst du mir ein Glas Wasser holen oder so?“ Yuki drehte sich wieder zu Kei um und öffnete die Augen in derselben Bewegung. Allerdings konnte er nur noch sehen wie Kei aufsprang und aus dem Zimmer stürmte. Kaum eine Minute später kehrte er mit einem Glas Wasser zurück. Er war hör- und sichtbar außer Atem. „Ich wär dir schon nicht weggelaufen.“ versuchte Yuki zu lachen. Kei hob verteidigend die Schultern, als er näher ans Bett kam. Diesmal setzte er sich nicht auf seinen Stuhl, sondern direkt auf den Rand der Matratze. Das Glas stellte er inzwischen auf dem Nachttisch ab. Er hatte richtig vermutet, dass Yuki es nicht allein schaffte, sich im Bett aufzusetzen. Yuki hatte sich auf die Seite gedreht und sich mit einem Ellenbogen, sowie einer Hand auf der Matratze abgestützt. Unterstützend griff Kei um Yukis Taille und legte eine Hand auf seinen Rücken. Er konnte die angenehme Wärme spüren, die von Yuki ausging. Und er bildete sich sogar ein, durch sein Shirt hindurch die Weichheit seiner Haut fühlen zu können. Als Yuki saß, gab Kei ihm das Glas in die Hand. Es war wohl anstrengend für ihn, aber Yuki konnte das Glas zumindest alleine halten und trinken. Seine Hände zitterten allerdings stark vor Schwäche, und auch die Verletzungen an seinen Handgelenken machten es ihm nicht leichter. Das geleerte Glas stellte Yuki anschließend auf den Nachttisch und sank in sein Kissen zurück. „Noch irgendeinen Wunsch?“ Kei fragte eigentlich eher pro forma. Yuki machte auf ihn eher den Eindruck als wäre sein einziger Wunsch im Moment einfach weiterzuschlafen. „Wunsch?“ blinzelte Yuki ihn müde an. „Hast du noch einen?“ „Hmh… Egal welchen? „So lange ich ihn dir erfüllen kann zumindest.“ „In Ordnung.“ lächelte Yuki. So langsam dämmerte Kei, dass er doch nicht einfach nur ans Schlafen dachte. Etwas mehr Licht kam ins Dunkle, als Yuki seinen linken Arm ausstreckte und mit der Hand hinter Keis Nacken griff. Gleichzeitig legte sich Yukis rechte Hand auf Keis linke Schulter und zog ihn herunter. Kei war so überrascht, dass er nicht reagieren konnte, obwohl Yuki objektiv betrachtet kaum Kraft gebraucht hatte. So lag Kei im nächsten Augenblick halb auf, halb neben Yuki auf dem Bett. Sein Kopf ruhte an Yukis Nacken. Kei wollte protestieren. Er stützte beide Hände links und rechts von Yuki auf die Matratze, um sich hochzudrücken und sich aus Yukis Griff zu befreien. Aber noch bevor er sich einen Millimeter bewegt hatte, hypnotisierte ihn Yukis Geruch. Kei mochte diesen Geruch gerne, irgendwie beruhigte er ihn. Dann spürte er wie Yukis linke Hand, die zuvor seinen Nacken gehalten hatte, auf seinen Hinterkopf wanderte. Ihre Finger gruben sich zwischen seine Haare und spielten wie in einer angenehmen Massage mit den roten Strähnen. Yukis rechte Hand verharrte auf Keis Schulter, um ihn festzuhalten. Na ja, Yuki war sehr schwach und das Festhalten entsprechend eher symbolischer Natur. „D-das geht aber nicht…“ widersprach Kei ohne jeden Nachdruck. „Warum nicht? Das ist mein Wunsch und du kannst ihn mir erfüllen.“ Yuki lehnte sich ein wenig zu Kei und streifte einen hauchzarten Kuss auf dessen Stirn. Kei überraschte selbst wie leicht es ihm inzwischen fiel, diesen Kuss zuzulassen. „Aber das geht nicht…“ wiederholte Kei dennoch, wenn auch noch unsicherer als zuvor, und weil ihm kein besserer Grund einfiel, ergänzte er noch „Ich hab mir noch nicht die Zähne geputzt.“ „Macht nichts. Ich auch nicht.“ „… Das ist total böse.“ „Wir haben beide schon bösere Sachen gemacht.“ Noch einmal berührten Yukis Lippen warm und weich Keis Stirn. Diesmal verharrten sie dort. Kei schloss die Augen. Eigentlich war er sehr müde. Und eigentlich genoss er Yukis Geruch. Und eigentlich mochte er es, von Yuki umarmt zu werden. Und eigentlich mochte er auch wie Yukis Hand durch sein Haar strich. Und eigentlich mochte er es, Yuki so nah zu sein. Und eigentlich mochte er auch, wenn Yuki ihn küsste. Eigentlich… eigentlich mochte er Yuki sehr gern. „Auf dem Seziertisch dachte ich, dass ich dich nie wiedersehe… Da hab ich bereut, dich vorgestern nicht geküsst zu haben.“ Diese letzten Worte flüsterte Yuki hörbar schlaftrunken. Nur Augenblicke darauf wich die Kraft aus seinen Armen, die Kei hielten, und er war wieder eingeschlafen. Das war Keis Chance, sich aus Yukis Griff zu befreien und sich in sein eigenes Bett zu stehlen. Eigentlich. ‚Ach, pfeif drauf!‘ dachte Kei bei sich ‚Falls später jemand fragt, behaupte ich einfach, Yuki hätte mich k.o. geschlagen.‘ Es war die zweite Nacht, die Kei in Yukis Bett verbracht hatte. Kei konnte sich nur sehr gut an die erste erinnern. Damals, im Sommer, hatte Atari ihm ins Gewissen geredet und er hatte daraufhin überlegt, seine Zaleiausbildung abzubrechen. Yuki hatte ihn getröstet und irgendwie war er dann in dessen Armen eingeschlafen. Kaum dass er am nächsten Morgen aufgewacht war, war er auch schon in heller Panik aus dem Bett und dem Zimmer geflüchtet. Kei hatte Yuki danach nicht mehr in die Augen sehen können. Seitdem war viel passiert. Als Kei diesmal aufwachte, war er nicht annähernd so orientierungslos wie damals. Schon bevor er die Augen aufschlug, verriet ihm der typische Geruch von Yuki wo er war. Auch die Hände, die ihn zugleich sanft und fest hielten, bestätigten es ebenso wie der weiche Stoff von Yukis Hemd, den Keis linke Hand verschlafen ertastete. Im Schlaf hatte Kei offensichtlich den linken Arm um Yuki gelegt, ohne es zu merken. Seine Hand ruhte direkt auf Yukis Brust. Mit einem schlaftrunkenen „Hmh…“ gab Kei zu erkennen, dass er noch zu müde war, um aufzuwachen. Im Halbschlaf, was immerhin auch bedeutete, dass er halbwach war, kuschelte er sich noch etwas näher zu Yuki. Sein Kopf lag auf Yukis Schulter, direkt an dessen Nacken. Kei konnte Yukis Atem sanft an seiner Schläfe fühlen. Nach ein paar Minuten bemerkte Kei, dass Yukis Hand, die immer noch auf seinem Hinterkopf geruht hatte, wie schon letzte Nacht mit seinen Haarsträhnen zu spielen begann. Yuki war also offensichtlich wach. „Guten Morgen.“ Und Yuki hatte offensichtlich gemerkt, dass Kei auch wach war. Halbwach zumindest. „Mhm… Morgen.“ Kei blinzelte verschlafen. Die Sonne hatte das Zimmer durchs Fenster taghell erleuchtet. Allein davon ausgehend musste es schon Mittag sein. Es dauerte eine kleine Weile, bis sich Keis Augen genug an das Licht gewöhnt hatten, dass er sie vollständig öffnen konnte. Dann stützte er sich auf seinen rechten Ellenbogen und löste sich von Yuki. Kei setzte sich gerade weit genug auf, um Yuki ansehen zu können. Yuki sah deutlich besser aus als am Abend zuvor. Er hatte fast wieder seine normale Gesichtsfarbe zurückerlangt, seine Augen sahen Kei klar und wach an. Und vor allem lächelte er. Dieses Lächeln gehörte mindestens in die Top Five in Keis ‚Best of Yukis Lächeln‘-Liste,… nicht dass er so eine Liste führen würde. Aber da waren diese niedlichen kleinen Fältchen unter Yukis Augen, die Kei immer deutlicher auffielen, je herzlicher Yuki lächelte. Das Panorama passte auch noch perfekt mit dem warmen, weichen Sonnenlicht, dem zartblauen Kissen und Yukis Haar, das unordentlich in großen Wellen um sein Gesicht und bis über seine Schultern fiel. Davon sollte jemand ein Foto schießen und es mit ‚Der Morgen danach‘ überschreiben. „Alles ok?“ erkundigte sich Yuki, ein wenig beunruhigt von Keis langem Schweigen. Kei lehnte sich ein kleines Stück näher zu Yuki und sah ihm einen Moment lang direkt in die Augen. Zufrieden kehrte er dann in seine letzte Position zurück und setzte ein freches Grinsen auf. „Ich hab die Nacht in deinem Arm verbracht und kann dir immer noch in die Augen schauen. Scheint alles ok zu sein.“ Yuki sah ihn zunächst überrascht an. Dem folgte ein verschmitztes Lächeln, das Kei verriet, dass Yuki sich ebenfalls an ihre erste Nacht erinnern konnte. „Und wie geht’s dir heu-hmhpfh?“ Keis Frage erstickte in einem langen Kuss. Yuki hatte sich im Bett aufgerichtet. Seine linke Hand hielt Keis Hinterkopf, während die rechte langsam Keis linken Arm hinauf fuhr bis sie auf seiner Schulter liegen blieb. Als Yuki merkte, dass Kei sich nicht gegen den Kuss wehren würde, fuhr seine linke Hand ganz langsam über seinen Hinterkopf hinab bis zu Keis Nacken und zurück. Kei fühlte wie sich die Härchen auf seinen Armen aufstellten. Bevor ihm die Luft ausging, unterbrach Kei den Kuss unvermittelt. Mit beiden Händen stützte er sich an Yukis Schultern ab zog sich einige Zentimeter zurück. Er öffnete langsam die Augen – wann hatte er sie eigentlich geschlossen? – und sah Yuki überrumpelt an. „Dir geht’s also wieder besser, ja?“ „Woraus schließt du das?“ „Weil… Weil du mich wieder festhalten kannst zum Beispiel.“ „Ja, mir geht’s wieder besser…“ Mit diesen Worten ließ Yuki seine Hand wieder zurück auf Keis Hinterkopf wandern und zog ihn in einen weiteren Kuss. Kei blieb gerade noch genug Zeit, die Augen zu schließen, bevor sich ihre Lippen trafen. Yukis Lippen fühlten sich genauso sanft und weich an wie sie aussahen. Ja, Yuki ging es wieder besser. Er hielt Kei ziemlich fest. Der kleine Ansatz eines Versuchs, sich aus dem Kuss zu lösen, blieb vergeblich. Stattdessen zog Yuki ihn sogar noch näher an sich heran. Seine rechte Hand, die auf Keis Schulter geruht hatte, glitt jetzt fast unmenschlich langsam über seinen Rücken bis zu seiner Taille. Keis Gänsehaut breitete sich fast über seinen ganzen Körper aus. Irgendwann gestand sich Kei ein, was er eigentlich schon die ganze Zeit gewusst hatte: er wollte Yuki küssen. Und so ließ er den Kuss nicht nur zu, sondern erwiderte ihn erstmals in gleicher Intensität. Und Yuki antwortete ihm sofort. Haltsuchend krallten sich Keis Finger in Yukis Shirt. Er fühlte wie Yukis Zunge langsam und verführerisch über seine Lippen strich. Kei gab nach und gewährte ihr Einlass. Im selben Moment, in dem sich ihre Zungen trafen und einen spielerischen Tanz begannen, übernahm Yuki wieder die Führung. Kei ließ sich völlig in seine Arme fallen und sank unter seiner Regie zurück auf die Matratze. Ein leises Stöhnen entfuhr Kei, als er in das Kopfkissen sank. Ihr Kuss wurde noch heftiger. Kei spürte wie Yuki immer stärker und verlangender gegen ihn drängte. Gleichzeitig wanderte Yukis Hand von seiner Taille langsam immer tiefer. Sie hatte schon Keis Hintern erreicht, als bei ihm schließlich die Alarmglocken schrillten. Mit einem halb erstickten „Nein“, das fast mehr mit einem Stöhnen gemein hatte als mit einem Widerspruch, brach Kei aus ihrem Kuss aus. Yuki gehorchte und hielt sofort inne. Kei rang nach Luft. Erst jetzt fiel ihm auf wie sehr sein Herz zu rasen begonnen hatte, und dass seine Wangen glühten. Auch Yuki atmete schwer. Sie hatten einander sprichwörtlich den Atem geraubt. Bis sie wieder genug Luft bekamen, um zu sprechen, sahen sie einander tief in die Augen. Rubine und Smaragde. Eigentlich konnten sie sich über ihre Blicke schon so viel mitteilen, dass die noch folgenden Worte längst überholt waren. Kei hatte den Kuss ebenso gewollt wie Yuki, von Anfang bis Ende und in aller Leidenschaftlichkeit. Aber weiter zu gehen, war für ihn immer noch unvorstellbar. Auch wenn Yuki Keis Widerspruch bedauerte, verstand er ihn doch irgendwie. Er wusste, dass Kei ihn nicht zurückgewiesen, sondern ihm nur seine – womöglich vorläufige – Grenze aufgezeigt hatte. Den Fehler, Kei zu überrumpeln und zu irgendetwas zu drängen, wollte er nicht wiederholen. Yuki erinnerte sich nur zu gut daran, dass Kei nach ihrem ersten Kuss tage- und wochenlang angesehen hatte wie ein verschrecktes Reh im Scheinwerferlicht. Kei mochte Yuki sehr, das hatte er sich selbst gegenüber zumindest schon zugegeben. Vermutlich war es langsam auch an der Zeit, sich einzugestehen, dass es mehr war als das. Vor allem aber könnte er Yuki in dieses inzwischen doch eher offene Geheimnis einweihen. „Das geht mir zu schnell. Ich brauch mehr Zeit.“ erklärte Kei schließlich fast etwas schüchtern. „Alles was du willst.“ lächelte Yuki über ihm. „Ich hab dir einmal gesagt, ich würde dich nie unter Druck setzen. Und daran wird sich auch nichts ändern.“ „… Yuki?“ „Ja?“ „… Mhmhnichts…“ Keis Wangen schienen unter Yukis Blick von Neuem aufzuglühen. Hilflos wich Kei ihm aus, indem er den Kopf zur Seite drehte. „Was ist denn?“ „Ich glaub,…“ wahrscheinlich rot wie eine Tomate nahm Kei doch seinen Mut zusammen und sah Yuki wieder direkt an. „… i-ich hab mich in dich verliebt.“ So, das war’s. Kei hatte es ausgesprochen. Und jetzt wollte er sich am liebsten die Bettdecke über den Kopf ziehen und sich bis zum jüngsten Tag unter ihr verstecken. Das ging aber nicht, weil ausgerechnet Yuki auf dem Ding kniete. Was dieser Mistkerl ihm nicht alles antat! Yukis freundliches Lächeln von eben wich mit einem Mal einem völlig leeren Ausdruck. Erst nachdem er einigermaßen sicher war, sich nicht verhört zu haben, nicht zu träumen und auch nicht das Opfer eines ziemlich grausamen Scherzes geworden zu sein, hellte sich sein Gesicht dafür umso mehr auf. Das war nun definitiv ein Lächeln, von dem der Moderator von Keis Yukis-Lächeln-Hitparade sagen würde „Direkteinstieg von Null auf Eins in den Charts“. Kei war sich ziemlich sicher, dass ein noch glücklicheres Lächeln nirgends auf der großen, weiten Welt existieren konnte. Und vor allem kein schöneres. „Ich liebe dich auch, Kei!“ Yuki strahlte ihn förmlich an. Seine Wangen hatten einen zart rosigen Ton angenommen, als hätte jemand ihn genau an dieser Stelle ganz leicht mit einer Puderquaste angetippt. Seine Lippen gaben in einem strahlenden Lächeln den Blick auf seine schneeweißen Zähne frei. Und um seine Augen lagen wieder diese niedlichen kleinen Lachfältchen. Jetzt war Kei doch wieder so verlegen, dass er kaum Blickkontakt halten konnte. Gleichzeitig war er aber so gebannt, dass er den Blick gar nicht von Yuki hätte abwenden können, selbst wenn er es gewollt hätte. „Kei?“ „Ja…?“ „Küssen ist ok?“ „Schätze schon…“ Auch nach seiner Erlaubnis versicherte sich Yuki noch einmal mit einem fürsorglichen Blick direkt in Keis Augen, ob er ihn wirklich noch einmal küssen durfte. Kei blinzelte bestätigend, bevor er langsam die Augen schloss und darauf wartete, dass sich ihre Lippen trafen. Nur einen kurzen Moment später streiften ein paar von Yukis Haarsträhnen über seine Wangen, bevor er Yukis Atem auf seinen Lippen fühlte. Dann folgten Yukis Lippen, die sanft die seinen in ihrem Kuss versiegelten. Dieser Kuss war wesentlich milder als der vorherige. Er war warm, herzlich und vermittelte Kei ein Gefühl von Vertrauen. Ihr Kuss brannte nicht vor Leidenschaft wie der letzte, aber dafür war er voll von Liebe. Am frühen Sonntagnachmittag schritt Pierre durch das große Tor und betrat das Gelände des Ratsgebäudes, das sich hinter einer laubbewachsenen, meterhohen Mauer vor der Außenwelt verbarg. Er folgte dem Weg durch den winterlich kahlen Vorgarten bis zum Eingang des Gebäudes. Sein sonst so graziler Gang war steif und ungleichmäßig. Tatsächlich schmerzte Pierres Knie trotz einer Bandage so stark, dass er um ein Haar freiwillig Stiefel ohne Absätze angezogen hätte. Objektiv musste Pierre vielleicht zugeben, dass die Absätze möglicherweise die Hauptursache für seine Schmerzen waren. Aber subjektiv würde er niemals freiwillig in unmodischen Tretern das Haus verlassen, und soweit er sich erinnerte, befand sich ohnehin kein absatzloses Paar in seinem Besitz. Das zusätzliche Gewicht seiner Schlange Antoinette, die er über den Schultern trug wie eine Stola, erleichterte ihm das Gehen dabei auch nicht. Darüber hinaus war der Transport auch für die Schlange nicht das, was man bequem nennen konnte. Nicht nur, dass sie jeder von Pierres ungelenken Schritten aufschreckte, er trug seinen linken Arm in einer Schlinge nah am Körper, so dass Antoinette sich nicht wie sonst haltsuchend um Pierres Oberarm wickeln konnte. Der Grund für die Schlinge war ein großer, hufeisenförmiger Bluterguss, der in Facetten aus Dunkelblau, Blutrot, Dunkelgrau bis zu Hellgrün auf seiner Schulter prangte. Zum Glück waren Pierres Knochen heil geblieben, doch selbst die Prellung schmerzte genug, dass er seinen Arm kaum noch gebrauchen konnte. Auch Pierre hatte also ganz offensichtlich ein paar Spuren aus seinem nächtlichen Kampf mit Lan davongetragen, auch wenn er ziemlich sicher war, dass es Lan schlimmer erwischt hatte als ihn. Ob letzteres ein Trost für Meister Adoy war, bezweifelte er allerdings. Meister Adoy hatte ihn ausdrücklich angewiesen, Lan ein- für allemal aus dem Weg zu räumen. Vor Pierre lag nun die unangenehme Aufgabe, dem Meister seinen Misserfolg zu beichten. Pierre klopfte an die schwere Holztür, die zum Büro des Meisters führte. Dessen unverkennbare Stimme forderte ihn praktisch im selben Moment auf, einzutreten. Pierre gehorchte und schloss die Tür hinter sich. Kaum dass er das Büro betreten hatte, musterte der Meister ihn von Kopf bis Fuß. Seine Miene war finster. Es war nicht zu übersehen, dass der Meister schlecht gelaunt war. „Schon wieder zu spät du bist.“ stellte er mit strengem Ton fest. „Excusez-moi. Isch bin ein wenig ge’andycapt, wie Sie se’en, Maître.“ „Ausreden! Alles Ausreden!“ Natürlich waren es Ausreden. Pierre kam immer zu spät. Er hielt sich für wichtig genug, dass andere auf ihn warteten. Er wusste, dass er es wert war, und anderen demonstrierte er es nur zu gerne. Aber wegen seiner Verletzungen war er in der Tat ein wenig mehr zu spät als sonst. Für ihn trotzdem kein Grund für ein schlechtes Gewissen. „Erzähl mir, was ist mit Lan.“ „Désolé… Er ist noch am Leben. Isch konnte ihn verwunden, aber isch ‘abe leider seine Spur verloren. Gestern ist er den ganzen Tag nischt nach ‘ause gekommen, sonst ‘ätte isch ihn dort erwartet.“ „Versagt du hast.“ „Verzeiht, Meister. Es war das erste Mal, dass isch einen Auftrag von ihnen nischt erfüllen konnte. Und gerade bei diesem ist es mir auch ein persönlisches Ärgernis. Sie wissen besser als jeder andere, dass isch seit drei Jahren auf den Tag gewartet ‘abe, misch bei Lan zu revanchieren.“ „Ja, das ich weiß.“ nickte der Meister zwar immer noch verärgert, aber zumindest mit dieser Information zufrieden. „Isch stehe treu ‘inter ihnen und dem Rat. Sie wissen was meinem Bruder passiert ist. Nie würde isch zulassen, dass sisch irgendwer gegen den Rat stellt, um diese anarchischen Ver’ältnisse wiederzubeleben. Obwohl isch schon vor drei Jahren wusste, dass Lan genau das plante, ‘abe isch misch für ihn eingesetzt. Es war ein großer Fehler, den isch sehr bereut ‘abe, und isch brenne darauf, ihn wiedergutzumachen.“ Pierre hatte den Blick gesenkt. Einige seiner blonden Strähnen hatten sich aus seiner Frisur gelöst und fielen ihm in die Augen. Sie versteckten die Tränen, die sich unwillkürlich in seinen Augenwinkeln sammelten, kaum dass er seinen Bruder erwähnt hatte. Pierre schwieg für einen Moment, in dem er sich zu sammeln versuchte. Mit seiner freien Hand strich er eine einzelne Träne von seiner Wange, die sich aus seinen Lidern gestohlen hatte. Schließlich kam ein leises Seufzen über seine Lippen. „Meine Kontaktperson von K.R.O.S.S. mich informiert hat, dass Yuki Natsukori ihnen entkommen ist und ihre Informantin ebenfalls sich gegen sie gewendet hat. Lan und Ryu Fuyutaka werden sie bestimmt erzählen, dass der Rat sich der Hilfe von K.R.O.S.S. bedient. Dienstag eine Vollversammlung des Rats angesetzt ist, in der sie bestimmt alles aufdecken wollen.“ „Das wäre eine Catastrophe für uns, Maître!“ Pierres vor Tränen glasig glänzende Augen waren vor Schreck geweitet. „Nein, nein. Immer noch einen Plan in der Hinterhand habe ich. Sorg dich nicht.“ winkte der Meister ganz beiläufig ab. „Hier in den Rat werden Lan und Ryu am Dienstag kommen. Erwarte ihn einfach hier und hol nach, was du nicht geschafft vorgestern hast.“ „Isch verste’e, Maître. Es wird mir ein Vergnügen sein.“ Pierre deutete zum Abschied eine leichte Verbeugung an, bevor er zur Tür hinkte und das Büro verließ. Ehe er die schwere Tür hinter sich zuzog, fand eine zweite Träne ihren Weg über seine Wange. Bevor sie sein Kinn erreicht hatte, strich Pierre sie mit zwei Fingern aus seinem Gesicht. Er konnte sein zweites Treffen mit Lan kaum erwarten. Diesmal würde er alles tun, um das Versprechen einzulösen, das er ihm vor drei Jahren gegeben hatte. Beim verspäteten Mittagessen saß die vollständige Wohngemeinschaft um den Esstisch versammelt. Lan hatte sich irgendwann am Vormittag nach Hause verabschiedet. Das war lange bevor Kei und Yuki aufgestanden waren, denn die beiden hatten tatsächlich bis nach Mittag geschlafen. Wirklich geschlafen, folgende Aktionen nicht eingerechnet. Yuki fühlte sich deutlich besser. Seine Schmerzen waren verschwunden und er bemerkte außer einem leichten Ziehen an den Schläfen und über den Augen, das kaum die Bezeichnung Kopfschmerzen verdiente, sowie einem leichten Schwindelgefühl keine Nachwirkungen des Experiments von K.R.O.S.S. mehr. Förderlich für sein allgemeines Wohlbefinden war selbstverständlich auch Keis Geständnis, das Yuki schon die ganze Zeit über wie auf Wolken schweben ließ. Über Kiku dagegen schienen immer noch dicke Gewitterwolken zu hängen. Sie rührte ihr Essen kaum an, stocherte nur appetitlos mit der Gabel darin herum. Sie hatte ihr heftiges Schluchzen von gestern einigermaßen unter Kontrolle bekommen, vielleicht war sie aber auch einfach nur ausgebrannt, nachdem sie die ganze Nacht durch geweint hatte. Ihre Augen waren rot und dunkle Ringe hatten sich unter sie gelegt. Die ganze Zeit über wagte sie es nicht, die anderen direkt anzusehen. Auch gab sie keinen einzigen Ton von sich, der nicht ein hilfloses Seufzen war. Kei konnte ihr das schlechte Gewissen ansehen. Dass ihr alles schrecklich leid tat, stand förmlich auf ihre Stirn geschrieben. Irgendwie hatte er sogar ein bisschen Mitleid mit ihr, wenn er sah, wie sie sich selbst quälte. Aber andererseits fühlte er auch jetzt noch dieses unangenehme Gefühl im Bauch, wenn er zurückdachte, wie Yuki mehr tot als lebendig in seinem Arm gelegen hatte. Er hatte noch nie so viel Angst um jemanden gehabt. Beim bloßen Gedanken daran, dass er Yuki um ein Haar verloren hätte wegen Kikus Verrat, ließ die Wut erneut in ihm hochkochen. Während des Essens brachten Ryu und Kei Yuki auf den aktuellsten Stand. Sie erzählten ihm von der Zusammenarbeit vom Zaleirat und K.R.O.S.S., alles, was sie von Kiku über die Organisation erfahren hatten, und auch dass Pierre ihr Feind war. Über den Tod ihres Vaters verlor Ryu kein Wort. Er würde es seinem kleinen Bruder später unter vier Augen sagen. „E-es tut mir alles so schrecklich leid, Yuki.“ meldete sich schließlich erstmals auch Kiku kleinlaut zu Wort. „Ich hab nicht gewusst, was ich anrichte.“ Erneut konnte sie sich kaum gegen die aufsteigenden Tränen wehren. Das Wasser glitzerte bereits in ihren Augen. Noch immer starrte sie konsequent nur auf ihren Teller, um jeden Blickkontakt mit ihren Mitbewohnern zu vermeiden. Kiku fiel die Gabel aus der Hand, als ihre Hände wieder zu zittern begannen. Um ihre Finger unter Kontrolle zu halten, ballte sie beide Hände zur Faust. Nach einem kurzen Schweigen legte sich eine Hand über die ihre. Warm und freundlich strichen die schlanken Finger über ihre. Nicht nur Kiku erschrak bei der unerwarteten Geste, auch Kei und Ryu waren sichtlich überrascht. Nachdem sie einen Augenblick verständnislos auf die Hand mit dem verbundenen Gelenk gestarrt hatte, nahm Kiku ihren Mut zusammen und blickte Yuki nun doch direkt an. Genauso freundlich wie er ihre Hand gedrückt hatte, lächelte er sie an. Kiku verstand nicht. „Jeder macht Fehler, niemand ist perfekt. Ich sehe, dass es dir sehr leid tut.“ versicherte er ihr mit tröstendem Ton. Kei konnte nicht zustimmen. Natürlich machte jeder Fehler. Aber nicht jeder ließ einen Freund diese Fehler beinahe mit dem Leben bezahlen. Yukis Antwort konnte Keis Wut jedenfalls nur minimal besänftigen. Ein bisschen gerührt war Kei aber andererseits schon von Yukis Worten. Nicht nur, dass er diesen unheimlich sanften und beruhigenden Klang seiner Stimme sehr mochte, es war letztendlich auch Yukis Freundlichkeit, die Kei liebte. Yuki schätzte seine Freunde hoch und war bereit, unter allen Umständen zu ihnen zu stehen. So wie er auch seine Liebe zu Kei nie aufgegeben hatte, egal wie kalt der ihn hatte abblitzen lassen. Nichtsdestotrotz konnte er nicht nachvollziehen wie Yuki Kiku einfach so vergeben konnte, nachdem er wegen ihr so gelitten hatte. Irgendwie musste Yuki fast wie ein Buddha sein, dass er nicht einmal den kleinsten Funken von Groll hegte. Hatte er etwa die Erleuchtung erlangt und die himmlische Glückseligkeit erfahren…? Oh, Moment… Vielleicht hatte er zumindest letzteres, dachte Kei. War es etwa seine Schuld? Waren wegen seines Geständnisses möglicherweise Yukis Sicherungen durchgebrannt? Das musste es wohl sein. Vor Glück hatte Yuki den Verstand verloren. „Y-Yuki… danke…“ schniefte Kiku, ebenso fassungslos wie gerührt. „Danke dir auch, dass du mich da wieder rausgeholt hast. Ich nehme an, dass es nicht leicht war.“ „Das war ja wohl das mindeste. Immerhin warst du überhaupt nur wegen mir dort.“ „Du hast mit Sicherheit einen Fehler gemacht, als du dich von K.R.O.S.S. hast ausnutzen lassen. Aber wenn ich euch richtig verstanden hab, stand ich auf Meister Adoys Abschussliste. Glaub mir, wenn du mich nicht dorthin gebracht hättest, dann hätte es eben jemand anderes getan.“ „Glaubst du wirklich…?“ „Ich geb dir nicht die Schuld, Kiku. Natürlich hat es mich hart getroffen, dass du uns die ganze Zeit über hintergangen hast. Aber was passiert ist, wäre sowieso passiert. Die Verantwortlichen sind K.R.O.S.S., die diese Experimente machen, und Meister Adoy, der sie beauftragt hat. Dein Fehler war, dass du diesen Leuten vertraut hast, nicht mehr und nicht weniger.“ Kei hatte die ganze Zeit über mit großen Augen, aber angespannt schweigend das Gespräch verfolgt. Er lauschte mit höchstem Interesse jedem von Yukis Worten. Na gut, zugegebenermaßen nicht nur aus reinem Interesse an dem Gespräch hatte sein Blick wie gebannt an Yukis Lippen gehangen. An diesen weichen, zartrosenen Lippen, die schmeckten nach-… äh, die so elegant die Worte formten, die Kei so sehr interessierten. Obwohl er also ein klitzekleines bisschen abgelenkt war, nahm Kei dennoch jedes von Yukis Worten gespannt auf. Dabei wurde ihm erst bewusst, wie anders als er selbst Yuki die ganze Situation betrachtete. Kei war ein Hitzkopf und dachte nicht besonders weit. Für ihn hatte sofort festgestanden, Kiku hatte Yuki zu K.R.O.S.S. gebracht, also war Kiku auch schuld an Yukis Leid. Damit hatte er jemanden gefunden, auf den er seine komplette Wut richten konnte, und basta. Aber Yuki betrachtete die Fakten viel nüchterner und klarer als Kei. Yuki dachte weiter. Er erkannte, dass Kiku nur eine Schachfigur für Meister Adoy gewesen war, ein Bauer bestenfalls als solche. Letztendlich war Kiku auch ein Opfer. Die wahren Schuldigen waren die Spieler, die ihre Züge gelenkt hatten. Das war die Organisation K.R.O.S.S., wenn diese nicht sogar selbst nur eine Schachfigur war, und vor allem der Meisterzalei Adoy, der anscheinend alle Fäden in der Hand hielt. Diesen galt es, das Handwerk zu legen. Dass Yuki die Fakten so objektiv betrachten konnte, obwohl ihm selbst unmittelbar so großes Leid zugefügt worden war, konnte Kei nur umso mehr bewundern. Was hatte er doch für einen scharfsinnigen, intelligenten und großartigen F-F-Freund. ‚Oh. Mein. Gott! Ich hab einen Freund!‘ traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitz. Schlagartig spürte Kei wie seine Wangen aufglühten. Er hatte einen Freund. Yuki war nicht mehr EIN Freund, er war SEIN Freund. Diese Tatsache wurde Kei tatsächlich zum ersten Mal bewusst. Sofort schlug sein Herz mindestens zwei Takte schneller. Gänzlich unbeeindruckt von Keis plötzlicher Eingebung, zumal diese ohnehin unbemerkt blieb, setzten seine Mitbewohner ihr Gespräch fort. „Danke, Yuki. Wirklich danke…“ schniefte Kiku und konnte nun wirklich ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. „Es tut mir s-so leid. Ich bin so froh, dass es dir wieder gut geht. Ich hab mir vorgenommen, für immer zu verschwinden, so bald du wieder ok bist. Ich kann verstehen, wenn ihr nichts mehr mit mir zu tun haben wollt, deswegen werde ich gleich nachher meine Sachen packen und-“ „Das lässt du schön bleiben.“ Ryus Stimme war ruhig, aber bestimmt wie immer. Sofort verstummte Kiku ängstlich. Sie schluckte das noch nicht ausgesprochene Ende ihres Satzes sprichwörtlich herunter und senkte den Blick beschämt zurück auf ihren Teller. Sie wagte nicht, ihrem Lehrer zu widersprechen, sich zu rechtfertigen oder überhaupt nur den Mund zu öffnen. „Du hast einen Fehler gemacht, diesen eingesehen und dich dafür entschuldigt. Nachdem Yuki, der immerhin das Opfer war, dir anscheinend verzeiht, finde ich nicht, dass einer von uns noch das Recht hat, böse auf dich zu sein.“ Auch wenn er seine Gedanken sehr sachlich formulierte, waren Ryus Worte doch gleichzeitig wohlwollend. Ihr Beiklang bestätigte, dass Ryu keinen Groll mehr gegen Kiku hegte, oder zumindest dass er bereit war, sich Yuki anzuschließen und ihr zu verzeihen. Mit einem fragenden Blick erkundigte er sich, ob Kei ebenfalls zustimmte. Kei nickte bestätigend in Kikus Richtung. Nachdem er Yukis Gedanken verstanden hatte, war er sicher, dass er ihr vergeben konnte. Kei wusste jetzt wer der richtige Adressat für seine Wut war. „Du solltest nicht weglaufen, sondern versuchen, deine Fehler wiedergutzumachen. Zum Beispiel könntest du Lan und mich übermorgen in die Versammlung begleiten und dem Rat erzählen, was du uns erzählt hast.“ „D-das mach ich.“ flüsterte Kiku kleinlaut und beschämt. „Außerdem bist du immer noch eine Zaleischülerin. Nichts mehr mit deinem Lehrer zu tun haben zu wollen und für immer zu verschwinden, kommt überhaupt nicht in Frage.“ Ryus Stimme hatte ihren fürsorglichen Klang nicht verloren. Er sorgte sich wie eh und je um seine Schülerin, nicht nur aus Pflichtbewusstsein, sondern weil er sie trotz allem mochte. Dennoch überhörte Kiku auch nicht die Bitternis in Ryus Worten. Er hatte sich seit Jahren um sie gekümmert, als ihr Lehrer, als Mitbewohner, als großer Bruder und als Freund. Sie hatte nicht nur Yuki hintergangen, indem sie ihn ausgeliefert hatte. Auch Ryu hatte sie hintergangen, denn die Informationen, die sie K.R.O.S.S. und Meister Adoy zugespielt hatte, hatte er ihr entweder anvertraut, oder sie hatte sogar heimlich in seinen Unterlagen nach ihnen gewühlt. Obwohl sie tatsächlich die ganze Zeit über ein bisschen in ihn verliebt gewesen war, hatte sie doch schamlos sein Vertrauen missbraucht. Auch wenn Ryu bereit war, ihr zu verzeihen, wusste Kiku nicht, ob er ihr jemals wieder vertrauen würde. **** Hallo, oh je! Dieses Kapitel hab ich spät nachts und im Keksrausch geschrieben. Ist euch schon mal aufgefallen, dass man mit einer Überdosis Zucker fast so überdreht wird als hätte man getrunken? XD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)