Snowdrops and Chocolate von Petey (Die Fortsetzung des gleichnamigen Doujinshi) ================================================================================ Kapitel 22: Bauernopfer oder Heldentod -------------------------------------- Kapitel 25 – Bauernopfer oder Heldentod Nach Ende der Sitzung strömten alle Ratsmitglieder durch die Tür in ihren wohlverdienten Feierabend. Ryu blieb noch eine Weile zurück, fast wie gelähmt durch das niederschmetternde Urteil des Rates. Als er schließlich begleitet von Yuki, Kiku und Kei geknickt den Saal verließ, schien das Ratsgebäude schon fast menschenleer. So sorgten nur ihre Schritte auf den Bodenfliesen sowie Jacks gelegentliche Schreie dafür, dass auf den Gängen keine absolute Stille entstand. Ansonsten herrschte zwischen den Freunden betretenes Schweigen. Mit diesem Ausgang der Sitzung hatten sie nicht gerechnet. Er war schlimmer als ihre schlimmsten Befürchtungen. Meister Adoy war währenddessen noch im Sitzungssaal zurückgeblieben. Er thronte in seinem Sessel an der Stirnseite des kreisrunden Saals und genoss seinen Triumph. Ryu und Lan waren in der Sitzung angetreten, um ihn zu vernichten. Doch er, der mächtigste aller Zalei, hatte es nicht nur geschafft, sich gegen die beiden Rebellen zu wehren. Nein, er hatte ihnen eine vernichtende Niederlage beibringen können. Sie hatten mit ihrem Sitz im Rat der Zalei auch ihre Geltung in der Gemeinschaft der Zalei verloren. Darüber hinaus würde ihnen für immer der Ruf anhaften, in ihrem Verfolgungswahn zu lügen, Beweise zu fälschen und Tatsachen zu verdrehen. Ryu und Lan würden ihm nicht mehr gefährlich werden können, da war der alte Meisterzalei sicher. Ryu führte die anderen den Gang entlang in Richtung Eingangshalle. Während Yuki, Kiku und Kei ihm folgten, rannte Robin wie immer ein paar Meter voraus. Der Fuchs hatte schon fast die Mitte der Halle hinter sich gelassen, als die Menschen hinter ihm erst das Ende des Gangs erreichten. Draußen vor dem Eingangstor erwartete Ryu Lan mit unverminderter Wut inmitten von ausgetretenen Zigarettenstummeln vorzufinden. Ihm wurde schon jetzt etwas mulmig beim Gedanken an Lans unvergleichlichen Wutausbruch, sobald er von ihrem Ausschluss erfuhr. „Lan qualmt bestimmt wieder vor dem Eingang.“ erklärte Ryu, als sie gerade aus dem langen Gang in die Eingangshalle traten. „Non, da ist er ‘eute nischt.“ Alle vier fuhren erschrocken herum. Pierre stand links zwischen dem Gang, aus dem die vier gerade gekommen waren, und der monumentalen Treppe der Eingangshalle. Seine Schlange Antoinette lag wie eine Stola über seinen Schultern und schien sie mit ihren hellen Schlangenaugen bedrohlich zu mustern. Pierre selbst hatte die linke Hand in die Hüfte gestützt. Die Schlinge von vorhin trug er nicht mehr. In der rechten Hand hielt er einen Stab von grob geschätzt einem Meter Länge. Seine himmelblauen Augen blitzten gefährlich. „Was soll das heißen?“ Ryus Ton war ebenso eiskalt wie der Blick, mit dem er Pierre bedachte. „Isch weiß, dass er nach jedem Rausschmiss draußen raucht. Deswegen ‘abe isch ihn vorhin absischtlisch noch etwas mehr provoziert, um sischer zu ge’en dass er ausrastet, und wollte dort auf ihn warten. Leider kam er aber nie an.“ „Und wo ist er jetzt? Hast du ihn etwa doch noch umgebracht?“ verfinsterte sich Ryus Miene weiter. „Ah non alors!“ Pierre hob abwehrend die Hände „Isch ‘abe doch gesagt, dass isch niemals einen Mord bege’en könnte. Wieso glaubst du Lan mehr als mir?“ „Ganz einfach: Weil Lan im Gegensatz zu dir ein wahnsinnig schlechter Lügner ist.“ „Ha ha. Das fasse isch als Kompliment auf. Oui, oui. Isch bin ein großartiger Schauspieler, n’est-ce pas?“ „Wo ist Lan?“ Ryu wiederholte seine Frage deutlich lauter und weniger geduldig als zuvor. Doch Pierre winkte nur ahnungslos mit der linken Hand. In eleganten Schritten kam er ein Stück näher, bis ihn nur noch etwas über zwei Meter von Ryu trennten. Antoinette wand sich um Pierres Körper herum bis auf den Boden. Fast als wolle sie Ryu, Yuki, Kiku und Kei einkreisen, schlängelte sie sich ein paar Meter von Pierre weg. Direkt am Absatz der monumentalen Treppe blieb sie liegen, von wo aus sie ihre Gegenüber im Auge behielt. Aus dem Gang, der zum Sitzungssaal führte, trat nun auch der alte Zaleimeister in die Szene. Er trug seine Schildkröte auf dem linken Arm und bewegte sich auf kleinen, hastigen Schritten. Nur kurz hinter der Schwelle zwischen Gang und Eingangshalle blieb er stehen. Seinem Grinsen zufolge schien ihm das Bild zu gefallen, das sich ihm bot. „Oui, du ‘attest rescht, isch ‘ätte Lan aufgelauert und ihn getötet. Du ‘ast ja nischt die leiseste Ahnung, was er mir vor drei Jahren angetan ‘at. Wir waren Freunde und er ‘at misch verraten. Er ‘at gegen den Meister rebelliert und misch einfach ‘ängen lassen, nachdem isch misch für ihn eingesetzt ‘abe. Isch ‘abe seine Strafe auf misch genommen und ihm war es total egal.“ Wo eben noch ein amüsiertes Grinsen auf Pierres Gesicht gelegen hatte, sah Kei nun Verletzung und Wut. Pierres blaue Augen wirkten kalt wie Gletschereis. Seine Worte zischte er regelrecht. „Es ist wahr, dass isch Lan getötet ‘ätte, wenn isch ihn vorhin erwischt ‘ätte. Aber das ‘abe isch nischt. Jemand war wohl schneller als isch. Isch weiß wirklisch nischt, wo er jetzt ist.“ Einen Moment standen sich Pierre und Ryu gegenüber, als wollten sie sich gegenseitig mit ihren eiskalten Blicken in Blitzeis verwandeln. Keiner der Anwesenden wagte es, die angespannte Stille zu stören. Der einzige, der schon wieder keinerlei Sinn für dramatisches Schweigen bewies, war Jack. Kikus Äffchen war schon die ganze Zeit über aufgekratzt durch die Halle gesprungen und turnte nun an einer der Säulen direkt neben der Eingangstür herum. Besonders der schwere Samtvorhang davor schein es ihm angetan zu haben. „Oh. Ich weiß, wo er ist. Aber ich glaub nicht, dass ich es euch sage.“ Alle wandten sich sofort erschrocken zur Treppe, von wo die Stimme ertönt war. Direkt an der Stelle in der Mitte der Treppe, wo sich diese in zwei Flügel teilte, stand ein Mann mit belustigtem Ausdruck. Er trug sein pechschwarzes Haar in einem kleinen Pferdeschwanz im Nacken. Die vorderen Haarsträhnen, die zu kurz waren, um in seinem Haargummi Halt zu finden, verdeckten nur spärlich sein blindes, rechtes Auge. In jeder Hand hielt er eine Waffe, die er auf die Gruppe unten in der Halle gerichtet hielt. „Das ist der Kerl von K.R.O.S.S.. Der, der dieses Experiment mit mir gemacht hat.“ hörte Kei Yuki fast ohne Stimme flüstern. „Suzumaru…“ sprach Kiku entgeistert seinen Namen aus. Kei drehte sich zu seinem Freund um. Die Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Seine Augen fixierten den Mann wie gebannt. Er hatte die Brauen tief ins Gesicht gezogen und atmete schwer. Kei bemerkte, dass Yuki leicht zitterte, ob aus Wut oder Angst, konnte er aber nicht recht einschätzen. Er vermutete, es war ein bisschen von beidem. Das war also der Mistkerl, der Yuki, seinem Freund, dieses Mittel gespritzt hatte. Dieser Kerl auf der Treppe hatte Yuki gequält, verletzt und ihm seine Kraft geraubt. Er war schuld daran, dass Yuki vorgestern sogar geweint hatte! Kei spürte wie die Wut in ihm aufstieg und immer heißer zu brodeln begann, als der Kerl weitersprach. „Kiku Aki und Yuki Natuskori! Wunderbar, euch beide wiederzusehen. Ich war sehr betrübt, dass ihr so plötzlich verschwunden seid.“ lachte Suzumaru. Dann wanderte sein Blick prüfend von Kopf bis Fuß über Yukis Figur und zurück. „Yuki Natsukori, du siehst lebendig aus. Freut mich, dass unser aX-482-L anscheinend wirkt. Würdest du mir ein paar Fragen beantworten? Wie fühlst du dich denn? Hast du irgendwelche Veränderungen bemerkt, abgesehen davon, dass du deine Kräfte verloren hast? Hast du Schmerzen oder irgendwelche Nebenwirkungen?“ „Halt bloß den Rand, oder ich vergesse mich!“ entfuhr Yuki stocksauer. Die Waffe, die der andere auf ihn gerichtet hatte, schien ihn in seinem Zorn gar nicht zu beeindrucken. Jetzt war Kei sich auch einigermaßen sicher, dass der Grund für Yukis Zittern mehr Wut als Angst war. „Schon wieder so unkooperativ? Sehr schade. Ich bräuchte diese Informationen, um meinen Bericht abschließen zu können. Die Miss wird unzufrieden sein mit einer unfertigen Arbeit.“ „Dann hoffe ich, dass sie dich ordentlich übers Knie legt!“ „Oh ja! Das wär ein Spaß.“ spottete Suzumaru nur über Yukis Ausbruch. Im nächsten Moment wandelte sich Suzumarus Lachen in ein belustigtes Grinsen. Sein Auge wanderte über die Personen in seinem Fadenkreuz hinweg durch die Halle bis zur Eingangstür. Er winkte kurz mit einer Hand dorthin, bevor er seine Waffe erneut auf seine Gegenüber richtete. Zögerlich und in der Hoffnung, unbemerkt zu bleiben, drehte Kei sich gerade so weit in Richtung Tür um, um zu sehen, dass eine weitere Person eingetroffen war. Eine Frau mit kinnlangem, lockigem Haar hatte die Halle betreten. Kei vermutete sofort, dass es diese Obscura sein musste, die Assistentin der Miss. Sie schob hinter sich die schwere Tür zu, als Signal, dass der Fluchtweg hinaus hiermit geschlossen war. Dann postierte sie sich selbst direkt vor der Tür und zog ihre Waffe. Mit ausgestrecktem Arm richtete sie ihre Pistole auf die Gruppe in der Hallenmitte. „Obscura! Suzumaru! Warum hier seid ihr? Immer ich habe gesagt, ihr sollt euch nicht im Rat blicken lassen, wenn nicht ausdrücklich ich euch rufe.“ Erstmals ertönte nun auch die Stimme des alten Adoy in der Halle. Der Meisterzalei hatte ein paar Schritte nach vorne gemacht, um die Handlung nicht wie von den billigen Seitenplätzen verfolgen zu müssen. Er war wütend. Kei verstand allerdings nicht warum. Es waren doch seine eigenen Leute. Denn der alte Meister war doch derjenige, der K.R.O.S.S. befehligte. Und sie hielten ihre Waffen auf dessen Feinde gerichtet. „Wir sind hier im Auftrag der Miss.“ antwortete Obscura, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. „Auftrag der Miss? ICH gebe die Aufträge an euch und die Miss!“ Kaum hatte der alte Meister seinen Satz wutschnaubend beendet, da brach Suzumaru in schallendes Lachen aus. Sein Körper bebte so stark unter seinem Gelächter, dass er nur mit größter Mühe seine Waffen zielsicher halten konnte. „Was ist so komisch?!“ erhob der Meister zunehmend verärgert die Stimme. Suzumaru beruhigte sich schließlich wieder. Ganz demonstrativ atmete er einmal tief durch. Dann hielt er beide Hände nach oben, um seine Waffen vorzuführen. „Meister, Meister… Für einen Meisterzalei mit so viel Lebenserfahrung sind sie ganz schön naiv. Sehen Sie her. In meiner linken Hand habe ich eine klassische Pistole. In meiner rechten Hand habe ich eine Pistole, geladen mit Pfeilen, die unser neu entwickeltes eZ-513-Dx enthalten. Vielleicht haben sie die Gerüchte ja schon gehört. Dieses Mittel kann einen Zalei im Körper seines Carn einsperren, für immer.“ Suzumaru senkte seine Waffen wieder und richtete beide auf die Gruppe am Treppenabsatz. „Mit meiner linken Hand könnte ich Sie ins Jenseits befördern oder Sie mit meiner rechten für den Rest Ihres Lebens auf allen Vieren kriechen lassen. Wo ich doch diese Macht habe, nennen Sie mir nur einen guten Grund, warum ich Ihre Befehle entgegennehmen sollte.“ „Ihr wagt es, euch mir zu widersetzen?! ICH habe K.R.O.S.S. beauftragt! Von Anfang an war ich es, der die Befehle gab!“ „Sie haben das völlig missverstanden, Meister.“ mischte sich nun auch Obscura ein. „Die Miss hat sich die ganze Zeit über Ihrer Informationen, Ihrer Geldmittel, Ihrer Fähigkeiten und Ihrer Zalei bedient. Sie haben bereitwillig kooperiert, so lange Sie dachten, dass Sie das Zepter in der Hand halten. Wachen Sie endlich auf, Meister! Sie dachten, Sie würden sich der Dienste von K.R.O.S.S. zu Ihrem Vorteil bedienen. Aber in Wahrheit hat K.R.O.S.S. die ganze Zeit über Sie in der Hand gehabt.“ Nicht nur der alte Meisterzalei musste schwer schlucken. Allen Anwesenden schien es die Sprache zu verschlagen. So auch Kei. Er war vor Schreck wie erstarrt. Die ganze Zeit über hatten alle Indizien darauf hingedeutet, dass Meister Adoy K.R.O.S.S. mit der Erforschung des Zaleitalents und mit der Entwicklung dieser ganzen Mittelchen beauftragt hatte. Aber die Wahrheit entpuppte sich nun als das genaue Gegenteil. Nicht der Meister hatte die Organisation ausgenutzt, sondern umgekehrt. Nicht der Meister war der Drahtzieher und die Ursache allen Übels, sondern die Miss. „Wie auch immer. Nachdem wir das nun endlich geklärt hätten, hab ich noch etwas zu erledigen.“ Suzumaru winkte so beiläufig mit seiner bewaffneten Rechten, als wollte er den Moment wie eine lästige Schmeißfliege verscheuchen. Mit der tödliche Waffe in seiner Linken zielte er weiter. „Ich freue mich, dass ich Yuki Natsukori und Kiku Aki hier wiederfinde. Eigentlich sollte ich nach dem Experiment alle Zeugen beseitigen, damit sie nichts ausplaudern können. Was für ein Pech, dass ihr einfach abgehaut seid! Und dann habt ihr dummerweise inzwischen auch schon alles ausgeplaudert, so dass es gar keinen Sinn mehr machen würde, euch zum Schweigen bringen zu wollen.“ Suzumaru trat langsam eine einzige Stufe herab. Gleichzeitig zog er das Kinn leicht an die Brust und verengte seine Augen zu Schlitzen. Er richtete seine Waffe nun direkt auf Yuki. Im selben Moment spannte auch Obscura den Hahn ihrer Pistole und legte ihre zweite Hand stabilisierend um den Griff. Sie hatte Kiku im Fadenkreuz. Kei sah nervös zwischen beiden hin und her. Sein Herz klopfte immer schneller und schneller. Er war immer noch vor Schreck ganz starr und unfähig zur kleinsten Bewegung. „Wenn es sowieso zu spät ist, uns zum Schweigen zu bringen, warum wollt ihr uns dann immer noch erschießen?“ fragte Yuki mit erstaunlich fester Stimme. „Nennt es einfach Genugtuung.“ griente Suzumaru bösartig. Im nächsten Moment fielen fast zeitgleich zwei Schüsse. Zwei Schreie ertönten, die von den Wänden widerhallten. Ein Körper stürzte leblos zu Boden. Blut benetzte die Fliesen der Halle. Kei zitterte am ganzen Körper. Der Schreck saß tief in seinen Gliedern, seine Arme und Beine fühlten sich an wie Pudding. Er rang nach Luft. Es dauerte eine Weile, bis er sich aus der Starre befreien konnte, in die er zum zweiten Mal gefallen war. Kaum dass es ihm gelungen war, war seine erste Bewegung hin zu Yuki. Kei drehte sich zu ihm um und starrte ihn mit großen Augen an, in denen sich einige Tränen gesammelt hatten. Sein Herz raste noch immer wie wild und seine Atmung ging unruhig. Erst als Yukis Hand unendlich sanft und beruhigend über Keis Wange strich, bevor sie auf seiner Schulter liegen blieb, konnte Kei sich langsam wieder sammeln. Yuki war unverletzt. Suzumaru hatte ihn verfehlt. Nach und nach konnte Kei seine Gedanken ordnen und endlich begreifen, was eben passiert war. Suzumarus Finger hatte sich um den Abzug gespannt. So grausam langsam wie die Zeitlupeneinstellung in Filmen hatte Kei diese Bewegung wahrgenommen. Jeden Moment hatte er damit gerechnet, den Schuss zu hören, der für seinen Freund bestimmt war. Auch Yuki hatte sich schon darauf gefasst gemacht, dass die Kugel ihn in wenigen Augenblicken treffen würde. Er hatte die Augen geschlossen und einen tiefen Atemzug genommen, von dem er gedacht hatte, es würde sein letzter sein. Zum zweiten Mal würde Kei den leblosen Körper seines Freundes in den Armen halten. Doch diesmal würde er sich nicht wieder erholen können. Kei würde Yuki für immer verlieren. So leer Keis Gedanken in diesem Moment auch gewesen waren, eines hatte er ganz sicher gewusst: Er wollte Yuki auf gar keinen Fall verlieren. Also war er selbst wenige Sekunden bevor Suzumaru abdrücken konnte, vor Yuki und in die Schusslinie getreten. Aber Kei war nicht der einzige gewesen, der Yuki nicht sterben sehen wollte. Fast im selben Moment war Minuit wie aus dem Nichts auf Suzumaru herabgestürzt. Die Fledermaus hatte so wild unmittelbar vor seinem Gesicht herumgeflattert, dass er fast zu Tode erschrocken war. Suzumaru war mit einem panischen Schrei zurückgestolpert und hatte die Waffe dabei verrissen. Der Schuss, den er im Fall abgegeben hatte, mochte so ziemlich alles getroffen haben, aber kein lebendes Wesen in diesem Raum. Anders stand es allerdings um den Schuss aus Obscuras Pistole. Dieser hatte leider ein lebendes Ziel gefunden. Vor Angst war Kiku wie versteinert stehengeblieben. Ihre wasserblauen Augen hatten angsterfüllt in die Mündung der Pistole gestarrt. Sie hatte nicht gewusst, ob ihr Herz gleich vor Rasen aus ihrer Brust springen oder schließlich vor Schreck einfach stehen bleiben würde. Eine glitzernde Träne war über ihre Wange gelaufen und wenig später von ihrem Kinn getropft. Kiku hatte mit ihrem Ende gerechnet. Mit angehaltenem Atem hatte sie verfolgt wie Obscura den Abzug ihrer Pistole betätigt hatte. Im buchstäblich letzten Moment hatte Kiku dann plötzlich gespürt, wie sich eine starke Hand um ihren Oberarm gelegt und sie zur Seite gezogen hatte. Sie war überrumpelt zurückgestrauchelt und nur wenig später unsanft auf ihrem Hintern gelandet. An der Stelle, an der sie nur wenige Augenblicke zuvor gestanden hatte, hatte sie nun Ryu vor sich gesehen. Und genau in diesem Moment war sie Zeugin geworden wie die Kugel ihn traf, die für sie bestimmt gewesen war. Ryu war fast augenblicklich zusammengebrochen. Seine Augen waren geschlossen und er war schon nicht mehr bei Bewusstsein gewesen, als sein Körper den Boden getroffen hatte. „Neiiiin!“ hatte Kiku mit angsterfülltem Zittern in der Stimme ausgerufen. Sofort war sie zu Ryus Körper gestürzt, der leblos neben ihr lag. Doch wie sehr sie auch immer wieder seinen Namen rief, wie sehr sie ihn auch schüttelte, seine Lider blieben geschlossen. Kiku geriet langsam in Panik. Umso mehr, als sie bemerkte, wie sich ein immer größerer Blutfleck an Ryus rechter Seite bildete. Sie zog ihre Jeansjacke aus, rollte sie zusammen und presste den Stoff mit zitternden Händen fest auf die Wunde an seiner Taille. „Was war das?! Das Mittel, das ich dir verabreicht habe, sollte deine Zaleikräfte für immer gelöscht haben!“ Suzumaru hatte sich wieder aufgerappelt, stützte sich aber noch vornüber gebeugt mit einer Hand auf seinem Knie ab. Mit dem Rücken seiner anderen Hand strich er über seine Stirn. Dabei ließ er die ganze Zeit über keine seiner beiden Waffen los. Er schnaufte schwer. „Sollte eure dämliche Organisation nicht die Kräfte der Zalei erforschen?!“ Mit dem Mut der Verzweiflung stampfte Kei auf, während seine Aufmerksamkeit von Yuki zu Suzumaru wanderte. Spätestens jetzt, nachdem der Mistkerl tatsächlich versucht hatte, seinen Freund zu erschießen, kochte Kei vor Wut. „Mit euren Forschungen kann’s ja nicht besonders weit her sein. Die Verbindung zwischen einem Zalei und seinem Carn ist nicht einfach nur eine Straße, über die das Bewusstsein des einen in den Körper des anderen fahren kann. Dass du Yuki den Körpertausch weggenommen hast, hat ihm noch lange - noch sehr lange - nicht seine Kräfte als Zalei geraubt! Wenn K.R.O.S.S. nicht mal das kapiert hat, dann könnt ihr eure Forschungen in die Tonne treten!“ „So so. Na schön, dann werde ich das in meinem Bericht eben noch ergänzen.“ Nur mäßig beeindruckt von Keis Worten richtete sich Suzumaru schließlich vollständig auf. Ein letztes Mal schnaufte er laut aus. Dann hob er seinen linken Arm und nahm Yuki erneut ins Fadenkreuz. Instinktiv wollte Kei in seine vorherige Position zurückkehren und sich schützend vor Yuki stellen. Aber Yuki bedeutete ihm, dass er dieses Opfer nicht wollte. Selbstverständlich wollte Yuki ebenso wenig die Person verlieren, die er liebte, wie Kei. Ihm war klar, dass Suzumaru nicht nur ihn erschießen würde, den er als sein Opfer benannt hatte, sondern auch Kei, wenn ihm sich dieser in den Weg stellte. Mit sanftem Druck schob er Kei deshalb langsam aus der Schusslinie, immer fürchtend, dass eine zu hektische Bewegung Suzumaru zu einem Schuss hinreißen konnte. Kei wollte protestieren. Er musste aber spätestens dann nachgeben, als Yuki einen Schritt vor ihn trat und so signalisierte, nicht zu Verhandlungen bereit zu sein. Zur gleichen Zeit hatte auch Obscura sich für einen zweiten Schuss bereit gemacht. Mit beiden Händen hatte sie ihre Waffe umgriffen und richtete diese auf Kiku, die immer noch neben Ryu kniete. Kiku hatte ihre Augen fest zusammengekniffen. Ein lauter Knall. Dann wich alles Leben plötzlich aus Kikus Körper. Bewusstlos kippte sie vornüber und landete dabei halb auf Ryu. Ihr Kopf ruhte regungslos auf seiner Brust. Der unerwartet plötzliche und laute Knall hatte alle Anwesenden erschreckt. Auch Suzumaru war zusammengefahren und hatte darüber scheinbar einfach vergessen zu schießen. Ganz automatisch drehte sich Kei um und suchte nach der Ursache des Knalls. Der hatte sich nicht wie ein Schuss angehört. Die Eingangstür stand wieder offen. Mit einem Blick erfasste Kei sofort was passiert war. Kei erkannte Ryus Esel Sleipnir vor der Tür, der noch im Begriff war, sich zu ihnen umzudrehen. Der Esel hatte offensichtlich mit den Hinterläufen ausgeschlagen und mit einem kräftigen Tritt die Tür aufgestoßen. Kei wollte schon ein Loblied auf den sprichwörtlich störrischen Esel anstimmen, als ihn eine Einsicht überkam. Das war gar nicht Sleipnir, sondern Ryu. Ryu hatte seine Schussverletzung ausgenutzt, um allen eine Ohnmacht vorzuspielen, damit er unbemerkt in den Körper seines Carn schlüpfen konnte. Er wusste, dass Sleipnir hinter dem Haus auf ihn wartete und dass er mit einem gezielten Tritt die Tür einfach öffnen konnte. Die aufschwingende Tür wiederum hatte Obscura voll getroffen, die unmittelbar vor ihr gestanden hatte. Die Frau hatte vor Schreck ihre Waffe fallen lassen, bevor sie auch selbst dieser hinterher gestürzt war. Noch bevor sie sich genug sammeln konnte, um wieder aufzustehen, stürzte sich schon Jack auf sie. Das Äffchen hatte schon die ganze Zeit lang über den Ornamenten neben der Tür herumgeturnt, und war anscheinend dort niemandem verdächtig vorgekommen. Allerdings vermutete Kei stark, dass es sich bei dem Tier, das jetzt auf Obscuras Rücken saß, um Kiku handelte, die in den Körper ihres Carn geschlüpft war. Geschickt wickelte das Äffchen ein Zierband um ihre Hände, das er zuvor von einem Vorhang gestohlen haben musste. Obscuras Hände waren auf ihren Rücken gefesselt, bevor sie wusste was überhaupt passiert war. Doch damit war die akute Gefahr noch nicht ausgestanden. Obscura zerrte heftig an ihren Fesseln, und es war nur eine Frage der Zeit, bis der glatte Stoff nachgeben und sich der Knoten lösen würde. Lange würde die Frau nicht außer Gefecht gesetzt bleiben. Außerdem hatte sich Suzumaru inzwischen wieder besonnen und seine Waffe nun schon zum dritten Mal auf Yuki gerichtet. Diesmal war er festentschlossen, zu schießen und zu treffen. Die ständigen Störungen und die Überwältigung seiner Komplizin stachelten ihn nur noch mehr an. Inzwischen lachte er nicht mehr amüsiert, sondern wurde zunehmend gereizt. Mit gespannter Waffe und zusammengekniffenen Augen trat er langsam eine weitere Stufe herab, dann noch eine. Kei bemerkte das Funkeln in seinem sehenden Auge. Suzumarus Finger legte sich fester um den Abzug. Yuki hatte die Augen geschlossen und erwartete den Schuss. Keis Glieder waren wie Wackelpudding. Am ganzen Leib zitterte er vor Angst. Das Bild vor seinen Augen verschwamm langsam hinter einem Schleier aus Tränen, die in seine Augen stiegen, als er vor Anspannung sogar zu blinzeln vergaß. Kei rechnete mit dem Schlimmsten. Dann hörte Kei plötzlich ein leise flirrendes Geräusch. Fast im selben Moment rutschte Suzumarus Fuß auf der Kante der nächsten Stufe aus. Er stürzte ganz unvermittelt und fiel die Treppe hinunter. In seiner Bewegung über die Stufen nach unten drehte sich sein Körper ein paarmal um die eigene Achse, bevor er an Schwung verlor und einige weitere Stufen herunterrutschte. Etwa drei oder vier Stufen über dem Boden blieb sein Körper regungslos liegen. Ein paar Stufen über ihm bemerkte Kei einen kleinen Gegenstand, der fast aussah wie ein Pfeil mit bunten Federn an seinem Ende. Ein zweites Mal hörte Kei das leise Flirren. Kurz darauf endete Obscuras Kampf mit den Fesseln. Jede Kraft wich aus ihren Gliedern und sie blieb liegen wie tot. Auch in ihrer Schulter steckte einer dieser merkwürdigen Pfeile. 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