Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III von masamume ================================================================================ Kapitel 45: Kapitel 45 ---------------------- Kapitel 45 Dieses Erlebnis saß Seth noch lange in den Knochen. Obwohl nun bereits zwei ganze Tage vergangen waren, wollte ihm dieses traurige Bild nicht mehr aus dem Kopf gehen. Das Bild, in welchem sich der Pharao und der junge Fatil weinend in den Armen lagen und um den Toten trauerten. Und die Hilflosigkeit, welche er selbst in diesem Moment empfand. Obwohl er als Priester dazu verpflichtet war, Trauerhilfe zu leisten, wusste er nichts Aufbauendes zu sagen. Es hatte ihn im Herzen berührt, dass Fatil, mit dem er sich nie ausgesprochen gut verstanden hatte, ihn in solch einem privaten Moment nicht fortschickte. Es deutete es als Zeichen des Vertrauens. Aber gleichzeitig beschwerte es ihm das bisher ohnehin verwirrende Leben im Plast. Er fühlte es, als wäre ihm selbst ein Familienmitglied gestorben, obwohl er solch eine Trauer kaum nachempfinden konnte. Seth selbst wusste nichts von seiner Familie. Er wusste, er hatte einen Bruder und zwei Eltern. Aber ihre Gesichter waren verschwommen. Obwohl er sich gewiss war, dass zumindest seine Eltern nicht mehr lebten, so stellten sich doch Gewissensbisse ein, dass er darüber nicht traurig sein konnte. Er hatte zu wenige Erinnerungen als dass er trauern könnte. War dies nicht verwerflich? Er fühlte sich elend, wenn er daran dachte und keine Emotionen empfand. Es stimmte ihn traurig, Fatil weinen zu sehen. Es stimmte ihn noch trauriger, den Pharao so verletzt zu sehen. Doch er konnte nicht um seine eigenen Eltern trauern. Vielleicht fand er deshalb keine Worte. Er konnte sich nicht daran erinnern, welche Gefühle man zu einer Familie empfand. Und sollte sein Bruder wirklich noch am Leben sein ... würde er ihn erkennen? Und wenn er tot wäre? Würde er genauso um ihn weinen, wie der Pharao um den alten Fatil weinte? Oder würde er einfach gar nichts spüren? So wenig, wie er gespürt hatte, bevor er Atemu begegnet war ...? Konnte das Nichtsfühlen schlimmer sein als Schmerz? Diese Gedanken kreisten Stunde um Stunde in seinem Kopf und wollten ihn nicht ruhen lassen. Immerzu musste er daran denken, wie wenig er verstand. Wie sollte er dem Pharao jetzt und in Zukunft beistehen, wenn er die grundlegensten Gefühle nicht verstand? Den Pharao konnte er damit nicht beschweren, denn der hatte eigene Trauer zu bewältigen. Wer konnte ihm da anderes zuhören und Rat geben, wenn er außer Atemu keinen Menschen hatte, der sich seiner Sorgen annahm? Da der Pharao ihn heute Abend noch nicht gerufen hatte und Seth schweren Herzens ahnte, dass er dies wohl auch nicht mehr tun würde, stand er von seinen Abendstudien auf, ließ die Schriftrollen offen liegen und suchte seinen Weg in einen Gebetsraum. Er wollte Ruhe im Gebet suchen, den Göttern seine Seele erleichtern und sie um Kraft bitten. Kraft für sich selbst, seine abgestumpften Gefühle zu verstehen. Und Kraft für seinen Pharao, welchem er Erleichterung in so dunkler Stunde herbeisehnte. Und auch Kraft für Fatil, dessen Schmerz er selbst weder lindern noch verstehen konnte. Kraft, um aus all dem zu lernen und ein besserer Mensch zu werden. Um nicht mehr dumpf zu sein, sondern ein Mensch mit hohen und tiefen Gefühlen wie jeder andere auch. Nach seiner Erfahrung war der Gebetsraum, welcher direkt von der Halle in den Innenhof führte, der ruhigste von allen und auch der, welcher bei eintretender Nachtkälte am längsten warm blieb. Durch den speziellen Stein, welchen man dort verarbeitet hatte, war das Niederknien vor dem kleinen Altar besonders angenehm, da die wolligen Teppiche noch einige Zeit von unten gewärmt wurden. Dies wussten aber nur die geweihten Priester, welche um diese Zeit aber meist schon in ihren Zimmern weilten und sich auf die Nacht vorbereiteten. So hoffte Seth, den Raum für sich allein zu haben. Als er die bunt verzierte Holztür aus leichtem Holz öffnete, atmete er erleichtert auf. Es standen keine Schuhe vor dem heiligen Raum. Es schien niemand hier zu sein und er hatte genug Zeit, um in aller Ruhe sein Gebet zu sprechen und bei den Göttern um Hilfe zu bitten. In dem kleinen Vorraum setzte er sich am Rande auf den schlichten Holzhocker und machte sich daran, die Schnüre um seine Sandalen zu lösen. Da dieser Raum mit so speziellem Stein belegt war, musste man wahrlich keine Schuhe tragen, um warme Füße zu behalten. Es war ohnehin normal, dass man sich in abgeschiedenen Räumen barfuß zum Gebet setzte, es sei denn man hatte Grund die Kälte zu fürchten - was hier eindeutig nicht der Fall war. Selbst dieser kleine Raum war noch aufgeheizt von der Tageshitze. Die Wände fühlten sich warm an und der zugezogene Vorhang aus schwerem Wollstoff tat sein Übriges, um die Wärme noch länger zu halten. So erwägte Seth sogar noch, seinen Umhang abzulegen und in das kleine Bord zu hängen, welches zur Ablage der persönlichen Sachen diente. Er durfte nur nicht vergessen, in später wieder mitzunehmen. Gerade schärfte er sich diesen Gedanken ein, als er eine Stimme hörte, die sehr dicht bei war und dessen bekannter Ton ihn erstarren ließ. „Sehr schön. Ich sehe, du hast all meine Änderungen eingearbeitet.“ >Ephrab?< Seth traf der Schlag. Der Gebetsraum war nicht nur überraschend von jemandem besetzt, der so respektlos war, seine Schuhe nicht abzulegen, sondern es war auch noch Ephrab. Und ganz sicher war noch jemand bei ihm, denn nach einem Gebet war sein Ton nicht gestaltet. „Es war nicht leicht, aber am Ende haben alle zugestimmt.“ Seth nahm seinen Mut zusammen und linste durch den kleinen Spalt zwischen dem schweren Vorhang und der hellbraunen Wand. Er erkannte erst nur die Statue des Osiris, welche mit ihrem Glanz den Schein der Fackel reflektierte. Als er aber seinen Kopf ein wenig senkte und herumdrehte, konnte er mit etwas Bewegung zwei Männer erkennen. Ephrab war allein durch seine auffällig ausländische Kleidung zu identifizieren, welche heute Abend hellgelb war. Den Mann an seiner Seite hatte Seth auch schon einmal gesehen. Er trug keine Haare mehr auf dem Kopf und war kräftig beleibt. Seine Kleidung dunkelrot und seine Schuhe wegen eines Gehfehlers an den Spitzen immer sehr abgestoßen. Er war einer der Minister und ein nicht unwichtiger Mann im Palast. Seth war noch nicht vollends hinter die Rangfolge des Ministerrats gestiegen, aber er wusste, dass ein so hoher Mann mit jemandem wie Ephrab, welcher ‚nur’ Geliebter war, eigentlich nichts zu schaffen haben sollte. „Außerdem konnte ich Isapas für unser Vorhaben gewinnen“ fuhr der kahlköpfige Alte fort. „Er wird uns mit seiner ...“ „Du hast was?“ fuhr Ephrab ihn in einem Ton an, der Seth erzittern ließ. Nicht, weil er so laut war, sondern eher, weil er durch seine Ruhe in den Ohren schnitt. Dieser Stimmfall erinnerte ihn an einen seiner Lehrer im Sklavenhaus. Eine Assoziation, welche er in dieser Form noch nie gehabt hatte. Und das machte ihn nervös. „Du hast mit jemandem gesprochen, ohne das mit mir abzustimmen?“ „Isapas ist ein reicher Mann“ versuchte der Dicke uneingeschüchtert seine Handlung zu rechtfertigen. „Er hat Grund, uns zu folgen. Das neue Abgabengesetz, welches der Pharao beschlossen hat, beraubt ihn immenser Steuereinnahmen. Trotz der Vergünstigungen, die wir für den Adelsstand erwirken konnten. Er ist schon lange kein Freund der aktuellen Politik mehr.“ „Nur wegen ein paar Steuereinbußen heißt es noch lange nicht, dass uns jemand so folgt, wie wir es brauchen“ wand Ephrab misstrauisch ein. „Nun gut, jetzt ist es zu spät für einen Rückzug. Aber keine neuen Verbündeten mehr ohne Absprache. Dafür stehen wir zu dicht vor unserem Ziel.“ „Welches zum Greifen nahe ist“ erwiderte der Kahlköpfige mit einem hörbaren Lächeln in der Stimme. „Seit der alte Fatil vor zwei Tagen gestorben ist, haben wir freie Hand. Seine Anhänger sind mit seinem Sohn noch nicht so vertraut und ...“ „Du solltest das nicht auf die leichte Schulter nehmen“ unterbrach er ihn mit deutlicher Mahnung. „Der Alte mag vielleicht tot sein, aber wir sollten seinen Sohn nicht unterschätzen. Er hat unser Tun bereits im Auge und ich bin mir sicher, er ahnt etwas. Er überwacht uns auf Schritt und Tritt, aber noch kann er uns zu nichts bezichtigen und er kennt unseren Plan nicht. Aber auch der junge Fatil hat durchaus seine Anhänger und verfügt über ein enges Netzwerk. Er kennt den Palast besser als wir. Ihn zu unterschätzen wäre ein Fehler, der uns den Kopf kosten kann. Auch wir sollten aufpassen, mit wem wir wann und wo sprechen.“ „Ich unterschätze ihn nicht. Sei nicht so nervös, Ephrab. Es wird alles sauber ablaufen, sobald dein Bruder erst mit seiner Armee eintrifft.“ „Ich bin nicht nervös“ stritt er ernst ab. „Aber wir müssen uns beeilen und den Tod des Alten zu unserem Vorteil nehmen. Wir müssen die allgemeine Trauer und Verwirrung nutzen und den Pharao stürzen, bevor die Königin von Libyen hier eintrifft.“ „Beobachter sagten mir, sie wäre in etwa zehn bis zwölf Tagen hier.“ „Weiß der Pharao schon davon?“ „Bisher nicht. Ich habe ihre Briefe persönlich abfangen lassen“ erzählte er mit gesenkter Stimme. „Aber es ist nur noch eine Frage der Zeit bis Königin Ras Lanuf ihre ersten Botschafter schickt. Bisher konnte ich diese Information zurückhalten, aber wenn der Pharao von ihrem Besuch erfährt, wird sich seine Politik sofortig ändern. Er wird die Stadt unter Bewachung stellen und seine Familie in Sicherheit bringen. Er weiß, dass Ras Lanuf schwer zu berechnen ist.“ „Libyen wird eine entscheidende Rolle gegen Tschad spielen“ sprach Ephrab wissend. „Ras Lanuf braucht Ägyptens Hilfe, da sie noch immer Krieg gegen Algerien führt und sich derzeit keine zusätzliche Auseinandersetzung mit König Sarh liefern kann. Jedenfalls nicht allein. Meiner Meinung nach hätte unser Pharao eher sie, als König Sarh besuchen müssen.“ „Er hat versucht, Tschad zu beschlichten. Eine Verhandlung mit Libyen käme einer Kriegserklärung gleich, da beide Länder schon lange im Zwist liegen. Außerdem hieße es, dass er Algerien bekämpft, sollte er Ras Lanuf unterstützen ...“ „Ja, der Pharao sucht immer nach Schlichtung“ knurrte Ephrab. „Aber mit Frieden kann er sein Reich nicht zusammenhalten. Er wird Ägypten in Grund und Boden befrieden. Unsere Armee wäre nicht mal der von Libyen gewachsen. Die Friedenspolitik hat Ägypten geschwächt.“ „Ich gebe dir Recht, Ephrab. Aber es gibt noch immer viele Menschen, welche seine friedvolle und diplomatische Politik in sehr positivem Licht sehen.“ „Aus diesem Grunde müssen wir handeln, bevor Ras Lanuf hier eintrifft. Und bevor der Pharao Wissen von ihrem Vorhaben bekommt.“ „Dann müssen wir unsere Pläne beschleunigen.“ „Sieht so aus“ überlegte er und ließ einen Moment Ruhe einkehren. Wohl um nachzudenken. Und Seth saß mit aufgeregt schlagendem Herzen hinter dem Vorhang und wollte nicht glauben, was er hörte. Fatil hatte tatsächlich Recht gehabt! Man plante einen Putsch gegen den Pharao. Und das sehr bald. „Wann wird dein Bruder hier sein?“ fragte der Alte, als von Ephrab keine weiteren Worte folgten. „In drei Tagen, schätze ich“ war seine nachdenkliche Antwort. „Dann muss ich noch heute Abend beginnen. Hast du das Öl bereits hinterlegen können?“ „Shaiph hat es bei sich und wartet nur auf deinen Besuch“ antwortete er. „Stark duftendes Rosenöl mit Gift versetzt. Zwei Anwendungen und die Königin wird dahin sein. Die Kinder noch schneller. Und niemand wird nachweisen können, woher das Gift stammt. Dafür verbürge ich mich.“ „Wenn du so weiter machst, wird dich das wirklich deinen Kopf kosten“ fuhr Ephrab ihn zischend an. „Abunami badet niemals in Rosenöl. Sie liebt den Lotus.“ >Er will die Königin töten!< Seth brachte all seine Beherrschung auf, um nicht geschockt auszurufen. Er drückte sich die Hände auf den Mund und kämpfte den Schrecken zurück. Ephrab gab vor, die Königin zu lieben und stattdessen wollte er diese wunderbare Frau töten! Vergiften! Und so wie es sich anhörte, ihre Kinder ebenfalls! Das war schrecklich! Er spielte ihr etwas vor, um seine Fäden im Palast zu spinnen. Er hinterging nicht nur die Frau, die ihn liebte, sondern er plante sogar Mord an den Thronfolgern. All dies war ein sauber durchgeplantes Komplott! „Lasst das Rosenöl vernichten“ befahl Ephrab mit strengem Geheiß. „Es muss Lotus sein. Sie badet in nichts anderem. Der Pharao liebt Rosenduft, aber der Plan, ihn zu vergiften, ist schon lange gelöscht.“ „Gut, dass du das sagst“ nickte der Alte und wand sich ihm zu. „Niemand kennt die Königin so gut wie du.“ „Ab jetzt keine Fehler mehr. Hörst du? Ich hole das neue Öl morgen Mittag bei Shaiph ab“ fuhr er leicht erzürnt fort, aber er konnte jetzt nicht mehr zurück. „Ich werde selbst mit ihr beim ersten Mal darin baden, damit keiner Verdacht schöpft. Die zweite Anwendung wird sie dann gemeinsam mit den Kindern nehmen. Danach haben wir drei Probleme weniger und der Thron keinen Nachfolger mehr. Die Königin Mutter wird ebenfalls nicht zurückkehren. Dafür sorgt mein Bruder bereits jetzt. Wenn er es nicht schon getan hat. Damit ist die Blutlinie der Krone beendet.“ „Und sobald wir den Pharao aus dem Weg geschafft haben, tritt unsere neue Kronklausel in Kraft, welche uns Ministern die Macht über Ägypten garantiert.“ „Ich werde die Schriftrolle im Tempel austauschen lassen“ erwiderte Ephrab und Seth sah, wie er die Rolle, welche der Dicke ihm mitgebracht hatte, in seinem langen Ärmel verschwinden ließ. „Ich will, dass du Gapthi bis dahin informiert hast. Noch heute Abend. Das war es soweit. Warte noch einen Augenblick, bevor du gehst. Man muss uns nicht zusammen sehen.“ Worauf Seth der nächste Schlag traf. Er kannte Gapthi und wusste, dass er einer der Nebenpriester war, welcher als verlängerter Arm des Hohepriesters die niedergeschriebenen Gesetze hütete. Wenn er mit zu Ephrabs Komplott gehörte, konnte er das Gesetz tatsächlich so verändern, dass die Erbfolge nach des Pharaos Tod seinen Ansprüchen diente! Seth wusste, dass wenn der Pharao starb, der Prinz als nächster Thronfolger gekrönt wurde. Nach dem Prinzen war es die Prinzessin und wenn auch die nicht mehr war und es auch keine Königin oder Königinmutter mehr gab, würde ein vom Pharao bestimmter Mann die Krone verwalten - und das war bisher der alte Fatil gewesen, welcher dann die Macht hatte, den Hohepriester des Palastes zum Pharao zu erheben. Nach dem Ende der königlichen Blutlinie würde der Hohepriester Djiag Bes Anchnun durch den alten Fatil zum Pharao ernannt werden. Sicher war bereits hinterlegt, dass nach dem alten Fatil sein Sohn des Pharaos Vertreter war, welcher dies dann tun und den Hohepriester krönen würde. Aber wenn Ephrab das ändern konnte, so würde der junge Fatil nicht die königlich anvertraute Vollmacht haben, den neuen Pharao zu ernennen. Dann würde die Verwaltung Ägyptens dem Ministerrat zukommen ... anscheinend hatte er all das von langer Hand geplant und die Aufruhr über den Tod des alten Palastvorstehers kam ihm dabei nur zugute. Wenn er den Pharao und seine Familie auslöschte, durch seinen Bruder ausländisches Militär im Palast postierte und den Putsch für die Minister anführte, welche durch seine Führung weniger Risiko daran trugen - Ephrab benutzte die Liebe der Königin für seine eigenen Ziele. Seth verstand die Worte des alten Fatil. Es gab gute Menschen - und es gab schlechte. Gefährlich wurde es, wenn die schlechten sich ungehindert zusammenrotteten ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)