Hyliar von abgemeldet (Und morgen geht die Sonne wieder auf) ================================================================================ Kapitel 12: Hausdrachen und andere Unanehmlichkeiten ---------------------------------------------------- Mit ihrer schweren Tasche voller Gepäck, stieg Cheyenne Milano aus dem schwarzen Mercedes ihres Managers und sah staunend auf das große und helle Gebäude, welches sich vor sich erhob. Direkt nach der Eröffnungsrede in der Arena, hatte man jedem Teilnehmer eine Mappe mitgegeben und eine Karte für den Einzug ins die Trainingsherberge. Man hatte den jungen Leuten gesagt, dass es sich dabei um ein großes Gebäude handelte, doch das was sie sah, übertraf alles bei weitem. Das Gebäude war größer als das Stadium in Madrid und der weiße Außenputz der Wände strahlte wie Blütenblätter in der Morgensonne. Cheyenne fragte sich bei diesem Anblick, wie viele Angestellte dieses Gebäude wohl täglich putzen müssen, damit der weiße Stein auch so weiß und rein blieb. Aber es war nicht nur die Größe der Herberge oder dass das Gebäude komplett weiß war. Selbst die Umgebung war für New Yorker Verhältnisse selten. Anstatt großer Hochhäuser, die sich aneinander reihten, war da nichts anderes außer Natur. In der warmen Frühlingssonne erstrahlten die weißen Blüten der Bäume, die von einem saftig grünen Blättermantel umgeben war. Der Rasen war ordentlich und kurz gemäht, Frühlingsblumen wie Krokusse, Maiglöckchen und Osterglücken blühten in großen Blumenbeten und wirkten wie ein bunter Teppich auf dem grünen Rasen. Der Weg zu der Herberge war mit weißem Kies ausgelegt und eine Allee umrandete das ganze. Cheyennes Herz blühte bei diesem Anblick richtig auf und auch ihr Wegbegleiter erfreute sich an diesem Anblick. Seit sie beide in New York waren, hatte sich die junge Spanierin über dieses triste Grau der Gebäude und des Asphalts geärgert. In Spanien war alles anders. Selbst in den großen Städten wie Madrid war es nicht so trist wie in New York. Leise räusperte Roberto sich und stand bereits neben ihr. Während die junge Spanierin sich an der wunderschönen Landschaft erfreut hatte, hatte er bereits die Taschen genommen und wartete geduldig auf sie. Cheyenne sah ihren Manager an. Er wirkte erschöpft und dunkle Augenringe unter seinen Augen zeugten von einer langen und anstrengenden Nacht voller arbeit. Oft schon hatte sie sich gefragt, warum er sich das antat. Wenn der Job eines Managers wirklich so an den Kräften eines Menschen zerrte. Es gab doch auch noch andere Jobs, die man machen konnte und die nicht so an den eigenen Kräften zerrten. Überhaupt verstand sie es nicht, warum Roberto arbeitete. Er besaß genügend Geld um sich sein Leben lang auf die faule Haut zu legen und wöchentlich einen Großeinkauf in Madrid, Paris, Monako und all die anderen teuren Städte zu machen. Selbst dann würde er sein ganzes Geld nicht ausgeben können. Mit seinen 30 Jahren sollte er nicht die ganze Zeit arbeiten und weg sein, er sollte eigentlich bei seiner Familie sein, bei seiner Frau und seinem Sohn. Aber immer wenn Roberto zu Hause war und Cheyenne dabei war, wirkte ihr Manager seltsam angespannt. Oft hatte er ihr versichert, dass es nicht an ihrer Anwesenheit lag, sondern weil er einfach kein Urlaub mag. ’Na super, mein Manager ist ein Workaholic’, dachte die junge Spanierin und seufzte leise. „Ich will ja nicht drängeln Cheyenne, aber dein Gepäck ist keineswegs leicht und wenn ich weiterhin damit warten muss, dann hab ich bald Arme wie ein Bodybuilder“, meldete sich der Mann schließlich zu Wort und sah die junge Spanierin an. „Dann stell die Taschen doch einfach ab, dann musst du sie auch nicht die ganze Zeit tragen“, entgegnete Cheyenne und blinzelte daraufhin verwirrt. Sie verstand nicht, warum er die Taschen nicht einfach abstellte und wartete. „Wenn ich das mache, fürchte ich, dass die Erdanziehungskraft und das Gewicht ihrer Tasche von den Berg von Klamotten die du mit dir schleppen musstest, stärker sind als meine eigenen Kräfte und ich somit gezwungen bin dein Gepäck draußen stehen zu lassen“, antwortete Roberto betont ruhig und hob seinen Kopf ein wenig ein. Es war die übliche Geste, die ihn so arrogant wirken ließ, genauso wie sein geschwollenes Gerede. Schmollend sah sie den Mann an und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du kannst mir auch direkt sagen dass die Tasche zu schwer ist, so wie jeder andere das auch machen würde“. Ein leichtes aber amüsiertes Grinsen legte sich auf die Lippen des Mannes, während er das Mädchen ansah. „Ich bin aber nicht jeder andere meine Liebe. Wenn du dann also so gütig wärst deinen Hintern fort zu bewegen bevor Weihnachten ist“, forderte er sie höflich auf, doch hörte man deutlich den Unterton aus seiner Stimme heraus. „Sturkopf“, warf Cheyenne ihren Manager an den Kopf und ließ ihn gleich darauf stehen, während sie mit ihrem Wegbegleiter über den Kiesweg zum Haupteingang lief. Obwohl sie bereits noch am gleichen Tag losgefahren sind und am Nachmittag die Herberge erreichte, waren bereits die ersten Teilnehmer schon eingezogen und genossen den Aufenthalt in der Herberge und das schöne Wetter. Ein junges Mädchen, es musste etwas älter als Cheyenne sein, lag auf der großen Rasenfläche und hatte die Arme hinter ihrem Kopf verschränkt und sah zum Himmel. Sie trug eine weite Jeans, die mit einem Gürtel befestigt war. Dennoch hing die Hose gefährlich tief und ließ den dünnen Stoff ihres roten Tangas aufblitzen. Auch ihr Oberteil zeigte mehr als es verdeckte. Obwohl Cheyenne diese Person nicht kannte, erschien sie ihr auf den ersten Blick gleich unsympathisch. ’Wofür ist die eigentlich hier? Für die WWM oder um nen Kerl abzuschleppen?’, fragte sie sich in Gedanken und zog dabei eine Augenbraue hoch. Cheyenne war zwar selbst etwas luftig bekleidet, aber im Gegensatz zu dem fremden Mädchen, wirkten ihre Sachen nicht so freizügig. Ein Schmetterling mit blau-gelben Flügeln kam zu dem fremden Mädchen geflogen und setzte sich auf ihr goldenes Armband. Die junge Spanierin stutzte und blieb stehen. Obwohl das fremde Mädchen sich bewegte, blieb der Schmetterling bei ihr, er krabbelte sogar auf ihre Hand. Mit einem Kopfschütteln, verwarf Cheyenne den Gedanken, dass der Schmetterling ihr Wegbegleiter sein könnte. Niemand, der auch nur ein wenig Verstand besitzt, würde mit einen Schmetterling an diesem Turnier teilnehmen wollen. Jeder Wegbegleiter könnte den Schmetterling ohne es zu wollen töten. So zerbrechliche Wesen sind nicht für den Kampf geeignet. Bei Anubis, Cheyennes Wegbegleiterin, brauchte sie sich da keine Sorgen machen. Sein schlanker und graziler Körper war mir kräftigen Muskelsträngen gesegnet. Das blütenweiße Fell hatte sie gestern ordentlich gewaschen und dann gebürstet, damit er auch einen guten Eindruck machte. Es verfehlte seien Wirkung nicht, Anubis sah aus wie frisch aus dem Ei gepellt. Seine langen, nach hinten gebogenen Hörner gaben ihm ein verwegenes aussehen. Das junge Mädchen setzte sich schließlich auf und sah sich um. Sobald sie Cheyenne entdeckte, musterte sie die Spanierin von oben bis nach unten gründlich und ließ auch nichts aus. Ein leichtes aber gefährliches Lächeln stahl sich in ihr Gesicht. Die junge Spanierin kannte diesen Blick nur zu gut. Jede Frau kannte diesen Blick und er sagte mehr als tausend Worte. Die leicht nach oben gezogenen Augenbrauen gaben dem ganzen noch etwas spöttischem. Eigentlich wollte Cheyenne sich ja auch jeden Ärger raushalten und einfach nur die Vorrunden überstehen, doch wenn dieses Mädchen Ärger wollte, sollte sie diesen auch kriegen. Mit einer halben Umdrehung wandte sich die junge Spanierin wieder dem Haupteingang zu und lief die großen, mit roten Steinen gebauten Stufen hinauf. Roberto öffnete die große Spiegeltür und hielt diese für Cheyenne auf. So dachte sie zumindest, denn sobald sie durch die Tür gehen sollte, ließ er sie wieder los und die junge Spanierin wäre fast dagegen gelaufen. „Man Robert das hätte auch ins Auge gehen können“, beschwerte sich Cheyenne, nachdem sie nach ihrem Manager ins Gebäude getreten war. Doch der Mann sagte nichts und stand bereits bei der Anmeldung. Hinter einem halbkreisförmigen Schreibtisch, auf dem unter anderem ein Computer und einige Papiere lagen, saß eine Frau mittleren Alters. Ihr lauteres und eindeutiges Räuspern ließ die junge Spanierin ruhig werden. „Wir sind hier nicht auf irgendeinem Konzert. Im Haus wird weder geschrieen, noch gerannt. Sie haben sich in den Gebäuden leise zu verhallten, das gilt natürlich für das gesamte Grundstück“, weiß die Frau an der Anmeldung sie zurecht. Ihre Stimme war klar und befehlsgewohnt. Nicht nur ihre Stimme bot ein unfreundliches Bild, sondern auch ihr Aussehen. Die Frau hatte das blonde Haar stark zurückgekämmt und zu einem strengen Zopf gebunden. Ihre Kleidung war hochgeschlossen, schwarz und umschmeichelte keine ihrer weiblichen Rundungen. Auf der Nase trug sie eine schmale Brille mit schwarzem Rand. Die grünen Augen schienen Cheyenne gerade zu kleine Blitze abzufeuern. Im Großen und Ganzen wirkte diese Person keineswegs freundlich, sondern wie ein Mensch, den man niemals begegnen wollte. Ob sie nun verbittert war und ihren Frust an die Teilnehmer ablassen musste, oder ob sie ihren Job einfach nur zu ernst nahm und sich zu sehr an die Regeln hielt, wusste die junge Spanierin nicht. Sie konnte sich auf jedenfall nicht vorstellen einmal so zu werden wie sie. „Ich werde dann auch Mal wieder gehen“, verkündete Roberto nach einer zeit des Schweigens leise und stellte dabei Cheyennes Taschen vor dem Schreibtisch ab. „Mach mir hier keinen Ärger und denk bitte wenigstens ein bisschen daran ernst zu sein“. Er drehte sich zu der jungen Sängerin um und sah sie mit einem durchdringenden Blick an. Doch die Spanierin lächelte und sah ihren Manager mit einer Unschuldsmiene an, die ihm nicht gefiel. Er kannte diesen Blick und demnach würde sie sogar heute noch etwas anstellen. Er seufzte resigniert und schüttelte leicht seinen Kopf. Dabei fielen noch mehr von seinen dunkelbraunen Strähnen in sein Gesicht und ließen ihn noch verwegener Aussehen. Eigentlich sah Roberto ja gar nicht schlecht aus. Er kleidete sich zwar ein wenig seltsam und sah manchmal so aus, als hätte man ihn einige Tage in den Wald geschickt und dann wieder rausgeholt, aber er hatte etwas an sich, was Frauen unruhig werden ließ. Wäre er nicht schon verheiratet und überaus christlich erzogen, so wäre Roberto wohl der Typ Mann, der viele Affären und one- night- Stands hätte. Aber Cheyenne war froh so wie er jetzt ist. Sie hielt nicht viel von Machos und Männern, die mit ihren “Eroberungen“, prahlten. Für sie war ihr Manager mehr als nur das, sie sah ihn als guten Freund, als großen Bruder, manchmal sogar ein wenig als Vater. Die meisten kannten nur Roberts zynische Art, die ein normales Gespräch unglaublich schwierig, wenn nicht sogar unmöglich werden ließen. Doch sie kannte ihn auch von seiner fürsorglichen und freundlichen Seite. „Cheyenne? Träumst du etwa schon wieder in den Tag hinein? Wie oft soll ich dir sagen, dass du wach bleiben sollst und dich auf etwas konzentrieren musst, wenn es wichtig ist.“, Die Angesprochene lächelte leicht. Er war zwar sehr streng und verstand recht wenig Spaß, doch das änderte ihre Meinung nicht. „Mach dir keine Sorgen, ich werde hier schon meinen Spaß haben“, entgegnete Cheyenne grinsend, woraufhin Roberto den Kopf nur schüttelte. Sie hatte seine eigentliche Bitte wohl verstanden, aber die junge Spanierin war kein Typ der ernst ist. Sie wird hier ihren Spaß haben, aber ernst würde sie deswegen nicht werden. „Ich gebe es auf“. Mit diesen Worten drehte sich der Mann um und ging zum Ausgang. Er blieb bei der Tür noch einmal stehen, sah aber nicht zu ihr zurück. „Pass auf und gib dein bestes“. Erst danach verschwand er aus dem Gebäude. „So, kommen wir nun zu ihrem Einzug“, begann die Frau hinterm dem Schreibtisch und erlaubte es dem Mädchen nicht auch nur eine Sekunde dem Mann nachzusehen. „Als erstes geben sie mir Mal ihre Einzugskarte, die sie in der Arena erhallten haben“, forderte sie Cheyenne auf und sah die junge Spanierin abwartend an. „Karte? Welche Karte? Ich habe nur eine Mappe bekommen“, entgegnete Cheyenne und sah die Frau verwirrt an. Dabei war sie sich ganz sicher, dass sie nichts vergessen hatte. Ein Blick in das Gesicht der Frau, ließ deutlich erkennen, dass sie genervt war. „In ihrer Mappe befindet sich diese Karte, die müssen sie hier abgeben. Man hat sie ihnen nicht extra gegeben“, antwortete sie in einem noch unfreundlicheren Ton. Leicht verwundert sah Cheyenne die Frau an. Sie hatte ihr nichts getan, weshalb sie so genervt antworten musste. Doch davon ließ sich die junge Spanierin nicht beirren. Sie holte aus ihrer Handtasche die Mappe raus und reichte der Frau schließlich die gelbe Einzugskarte. Ruppig nahm die Frau die arte an sich und wandte sich ihrem Computer zu. Ihr Zeigefinger glitt über die Registrierungsnummer, ehe genau diese in dem Computer eingab und noch bestätigte. „Sie sind jetzt offizieller Bewohner der Herberge“, verkündigte sie noch immer keinen Ton freundlicher. Mit einer weit ausholenden Geste, griff sie hinter sich in einem kleinen Karton und holte eine Karte und ein Spindschloss raus. Doch anstatt die Karte und das Spindschloss der jungen Spanierin zu überreichen, sah sie sie mit einem eindringlichen Blick an. „Kommen wir nun zu den Regeln. Als erstes wird hier nicht gerannt und sie haben leise zu sein im Gebäude. Um 23 Uhr müssen sie auf ihrem Zimmer sein und um 23.30 Uhr ist hier Schichte, das heißt, dass dann auch das Licht aus muss. Fragen sie gar nicht erst was ist, wenn sie es nicht machen. Glauben sie mir, das wollen sie nicht wissen. Außerdem herrscht in der gesamten Herberge absolutes Alkoholverbot. Draußen dürfen sie machen was sie wollen, aber sturzbetrunken kommen sie hier auch nicht mehr rein, sie könnten dann sofort ihre Sachen packen und gehen. Außerdem ist hier jegliche Annäherung von den männlichen Mitstreitern absolut untersagt, dasselbe gilt für unsere Trainer und anderen Angestellten.“. Nach dieser Predigt, blieb die Frau für einen Moment still und sah Cheyenne durchdringend an. Die junge Spanierin blinzelte kurz und musste die ganzen Informationen erst einmal verarbeiten. „Ähm ja, ok, geht klar“, antwortete sie schließlich, da Cheyenne das Gefühl hatte, dass die Frau auf eine Reaktion von ihr wartete. Sie wollte gerade die Karte und das Schloss an sich nehmen, als die Frau ihren Mund wieder öffnete und zu einer neuen Predigt ansetzte:„ Des weiterem herrscht in den Zimmern, sowie in allen Fluren und Trainingsräumen. Wenn sie rauchen müssen, dann gehen sie nach draußen oder in den Aufenthaltsraum, wir haben da ein abgetrenntes Raucherzimmer“. Nickend bestätigte Cheyenne, dass sie sich daran halten würde. Eigentlich war es ja unnütz, denn sie war sowieso noch viel zu jung zum rauchen und selbst wenn nicht, sie würde niemals rauchen. Als ob die Frau hinter dem Schreibtisch was mitbekommen hatte, stutzte sie und musterte das Mädchen vor sich. „Rauchen sie?“, fragte sie schließlich und richtete ihre stechend grünen Augen wieder auf Cheyennes haselnussbraunen Augen. Ein leichtes Lächeln umspielte den unschuldigen Blick von Cheyenne, die verneinend ihren Kopf schüttelte. „Na dann hätte ich mir das ganze ja sparen können, warum haben sie das nicht gleich gesagt“, fuhr die Frau sie plötzlich an und knallte dabei die Karte und das Schloss auf den Schreibtisch. Leise seufzend nahm Cheyenne die Karte und das Schloss an sich, behielt ihr Kommentar allerdings für sich selbst. Vielleicht hätte sie erst einmal fragen sollen, bevor sie die Predigt darüber gehalten hatte. ’Naja, was solls. Ich will nur hoffen, dass ich jetzt endlich auf mein Zimmer kann. Die Person ist ja abschreckend, da will man ja am liebsten wieder rückwärts aus der Herberge flüchten’, Ein junger Mann mit blonden Haaren und einer viel zu schweren Tasche, kam durch den Eingang in die Herberge. Schnaufend stellte er seine Tasche ab und streckte sich ausgiebig. Die Frau hinter dem Schreibtisch seufzte leise und scheuchte Cheyenne mit einer Geste als wollte sie eine Fliege wegscheuchen fort. Die Chance zur Flucht nahm die junge Spanierin ohne zu zögern war. Sie hob ihre Reisetasche auf und lief den Flur weiter. Im Hintergrund hörte sie nur noch, wie der Neue ebenfalls so unfreundlich empfangen wurde, wie sie. Vielleicht hatte die Frau wirklich nur einen schlechten Tag, oder war einfach so. Aber vielleicht war es auch nur eine Taktik, um weitere Bewerber auszusortieren. Jemand mit einem schwachen Gemüt, aber einer sehr guten Kondition und einem starken Wegbegleiter, konnte den Druck einer Weltmeisterschaft sicherlich nicht standhalten und würde daran zu brechen. Die Teilnehmer mussten sowohl körperlich, als auch geistig völlig gesund sein. Es wunderte Cheyenne schon, dass bis jetzt nur die Gesundheit aller Teilnehmer getestet wurde, aber niemand ein Psychologisches Gutachten erstellt hatte. Vielleicht war der Aufenthalt in der Herberge der zusätzliche Test. Die Frau am Schreibtisch war auf jedenfall alles andere als freundlich. Die junge Spanierin konnte sich gut vorstellen, dass wegen ihr so manch Einer wieder gehen würde, bevor die Vorrunden beginnen werden. Cheyenne öffnete eine große gläserne Tür mit einem weißen Rahmen und trat in den Wohnabschnitt der Herberge. Der Boden bestand aus länglichen, weiß- grau gesprenkelten Fliesen. Die Wände waren weiß gestrichen worden. Die linke Seite der Wand bestand vollkommen aus einer Fensterfront. Die Scheiben reichten vom Boden bis zur Decke und erfüllten den Raum mit viel Licht. Als Abwechslung der Wand dienten große Blumentöpfe, in denen sich saftig grüne Büsche den Himmel entgegen streckten. Die junge Spanierin konnte sich nicht mehr vorstellen, dass sie sich im tristen und hektischen New York befand. Sie hätte schwören können, dass die Einrichtung hier nach dem Feng Shui bestimmt wurde. Alles wirkte sehr harmonisch und gab eine friedvolle Ausstrahlung wieder. Es fehlte wirklich nur noch das Wasser. Vielleicht war irgendwo in dem länglichen Flur auch noch ein Brunnen, doch das wollte sie jetzt nicht herausfinden. Zu ihrer Rechten erhob sich eine Treppe. Ein Blick auf das Schild verriet dem Mädchen, dass sie genau diese Treppe hinauf musste. Die Karte, die die Frau ihr gegeben hatte, war Cheyennes Chipkarte für ihren Aufenthalt in der Herberge. Auf dieser stand nicht nur ihre Zimmernummer, sondern nur diese Karte ermöglichte ihr den Eintritt in dem Bereich der Mädchenschlafräume. ’Und auch noch so schön pink’, dachte sie gut gelaunt, während die junge Spanierin ihre Chipkarte betrachtete. Doch ehe sie sich weiter in der Herberge umsehen wollte, wollte sie erst Mal ihre Tasche loswerden. Ihr Gepäck war zu schwer, als dass sie dieses die ganze zeit mit sich tragen konnte. Während sie die Stufen der Treppe hinauf ging, hielt sie sich am hölzernen Geländer fest und sah zum Dach hinauf. Auch das Dach im Flur war aufgrund der vielen Scheiben durchsichtig. Die kräftig blauen Fensterrahmen passten momentan perfekt zu dem strahlenden Himmel. Wer immer die Herberge auch entworfen hatte, der Mensch lebte sicherlich nicht in New York. Es wirkte alles nicht so unpersönlich und kalt wie die meisten Gebäude. Die Treppe hinter sich lassend, musste Cheyenne ihre Tasche vor einer Tür mit bläulichem Milchglas abstellen. Ein kleiner Kasten hing an der Wand, über dessen ein Schild angebracht war und die genaue Anleitung zeigte, wie die weiblichen Teilnehmer der Vorrunden ihre Karte nutzen mussten, um den Schlaf- und Wohnbereich betreten konnten. Sie las sich die Anleitung durch und hielt schließlich ihre Karte vor das Display. Ein leises Klicken verriet ihr, dass die Tür nun für sie geöffnet war. Voller Vorfreude auf die Zimmer und den Wohnbereich, hob Cheyenne ihre Tasche wieder auf und trat durch die Tür. Mit einem schweren Klicken viel die Tür wieder ins Schloss, während die junge Spanierin durch den Flur lief. Sowohl links, als auch rechts, befanden sich Türen mit einer Nummer daran. Der Boden bestand aus den gleichen Fliesen, nur die Wände waren jetzt in einem zarten und hellen grün getaucht. Auch die Decke war nicht mehr aus Glas. An jeder Wand hingen Reihen von Bildern. Neugierig blieb sie stehen und betrachtete eines dieser Bilder. Es zeigte eine junge Frau mit langen roten Haaren. Sie hatte das Nationaltrico der amerikanischen Mannschaft bei der WWM an. Vor ihr befand sich ein roter Fuchs. Cheyenne musste zweimal hinsehen, um sicher zu gehen, dass es nicht so aussah als würde die Rute des Fuchses brennen. Sie mochte das Bild. Warum dieser Kampf allerdings im freien im Wald stattfand und nicht in den Arenen, wusste sie allerdings nicht. Doch es sah gut aus und beide wirkten unglaublich entschlossen. Langsam ging die junge Spanierin weiter den Flur entlang und sah sich dabei auch die anderen Bilder an. Sie alle zeigten ehemaliger Teilnehmer der WWM oder ihren Wegbegleiter, meistens jedoch zusammen. Die Fotos mussten während den Kämpfen gemacht worden sein. Sobald Cheyenne ihr zukünftig neues Zimmer erreicht hatte, öffnete sie die Tür und trat ein. Überrascht sah sich Cheyenne um und blinzelte verwirrt. Das war ganz bestimmt nicht das, was sie sich vorgestellt hatte. Der Raum war nicht sonderlich groß und dennoch standen 3 große Etagenbetten in den Raum, genauso wie 6 hölzerne Spinde. Der Boden war in einem seltsamen Grau und was für ein Material es war, wusste die junge Spanierin nicht zu sagen. Sie stellte ihre Tasche ab und sah sich um. Zwei Fenster mit alten Vorhängen, die aus den Zeiten ihrer Uhrgroßmutter zu stammen schienen, gaben eine schöne Aussicht auf den Innenhof der Herberge. Der Innenhof und auch die anderen Teile der Herberge waren ein großer Gegensatz zu den kleinen Zimmern. Ein großer Tisch mit sechs Stühlen drum herum nahm dem sowieso schon zu kleinen Raum noch den letzen freien Platz. ’Das ist nicht wahr oder?’, fragte sich die junge Spanierin und lief einmal um den Tisch herum, um sich alles anzusehen. Dabei entdeckte sie ein Tetrapack Eistee und eine Mädchenzeitschrift auf dem Tisch. Es musste also schon jemand hier sein. So neugierig wie Cheyenne war, sah sie sich sofort in jedem Spind um und entdeckte sogar den ihrer neuen Mitbewohnerin. Zu ihrem Glück war der Spind nicht abgeschlossen, sondern offen, sie konnte sich also in aller Ruhe ein Bild von dem Mädchen oder der Frau machen, die schon vor ihr da war. Kurz nur hatte sie ein ungutes Gefühl und rechnete mit dem schlimmsten, dass dieses Mädchen von draußen bei ihr wohnte. Doch diesen Gedanken verwarf sie gleich und öffnete den Spind. Überraschenderweise hatte die Unbekannte es fast geschafft Cheyennes Klamottengepäck zu Toppen. Entweder zog die Unbekannte sich öfters am Tag um, oder sie war so eitel, dass sie die gleichen Sachen nie zweimal tragen würde. Cheyenne sah sich einige der Kleidungsstücke an. Ihr fiel sofort auf, dass die meisten Teile sehr knapp, oder eng waren. Allerdings trafen die Sachen nicht auf ihren Geschmack, sie wirkten fast so, wie die Kleidung der Frauen, die in den Hip Hopper Videos sind, tragen. Das war eindeutig nicht Cheyennes Geschmack. Sie mochte es edel, schick und raffiniert. Auch der viele goldene Schmuck und die großen Kreolen, auf denen ein Papagei hätte Schaukeln können, mochte sie nicht. „An deiner Stelle würde ich den Schrank lieber wieder zu machen“, meldete sich eine tiefe Stimme aus dem anderen Ende des Raumes. Doch die junge Spanierin reagierte darauf nicht und sah sich weiter um. Das Make Up der jungen Frau gefiel ihr auf jedenfall. „Ich will meine neue Mitbewohnerin doch nur kennen lernen“, entgegnete Cheyenne der tiefen Stimme gegenüber und neigte ihrem Kopf in den Nacken, um auf die große Ablage im Spind gucken zu können. Auch wenn die Unbekannte keinen guten Geschmack für Klamotten hat, Cheyennes Meinung nach, so besaß sie doch einen guten Geschmack für Unterwäsche. „Wenn du nicht aufpasst kommt die Unbekannte gleich ins Zimmer und erwischt dich dabei, wie du ihre Klamotten durchwühlst. Ich glaube nicht, dass das ein gutes Licht auf dich wirft. Denk daran was Roberto dir gesagt hatte“, erinnerte sie die dunkle Stimme und nahm auf eines der Betten neben dem Fenster Platz. Anubis streckte alle fiele von sich und machte es sich auf der weißen Bettwäsche bequem. Wären nicht seine grauen Hörner, so hätte man ihn aufgrund seines weißen Fells, fast nicht von der Bettwäsche unterscheiden können. „Ach man Anubis, du bist ein richtiger Spießer“, beschwerte sich die junge Spanierin und ließ von den Klamotten wieder ab. „Außerdem habe ich nicht gewühlt, ich habe nichts durcheinander gebracht“. Mit diesen Worten schloss sie wieder die Tür von dem Spind und ging zu ihrer Tasche. Sie öffnete den Reißverschluss und begann ihr umfangreiches Gepäck in den Spind zu räumen. Genau in diesen Moment öffnete sich wieder die Tür zu Cheyennes Zimmer und Mädchen mit langen blonden Haaren und einem Schmetterling auf der Schulter trat ins Zimmer ein. Sie beäugte die junge Spanierin. „Na wen haben wir denn da. Das Mädel, dass mich vorhin so neidisch angesehen hat“, spottete Jenny und sah herablassend auf Cheyenne herab. Lautlos bewegten sich Alexanders Lippen zum Lied, doch verließ kein einziger Laut seinen Mund. Er joggte zum Takt der Musik, die durch den beiden Knöpfen im Ohr von seinem MP3 Player kam. Wie an jedem Morgen führte er sein tägliches Trainingsprogramm aus, welches hauptsächlich aus Konditionstraining bestand. Aber er war nicht der einzige, der morgens in dem großen Trainingsraum der russischen Eliteschule für zukünftige WWM Champions trainierte. Der Raum war hell und von den vielen Fenstern Licht durchflutet. An der Fensterreihe standen die Laufbänder und Trimräder. So hatte man während des Trainings wenigstens eine Sicht auf die zugeschneite Landschaft Russlands, während man drinnen seine Strecken lief oder fuhr. Weiter hinten im Raum befanden sich die Geräte, die ausschließlich fürs Krafttraining zuständig waren, unter anderen Hantelbänken. Der Rothaarige hörte auf lautlos mit den Lippen das Lied nachzusingen und sah auf die Anzeige des Laufbandes. Nur noch einige Meter und er hatte sein übliches Ziel erreicht. ’Ob ich heute meine Grenze erweitern sollte?’, fragte er sich im Stillen und sah wieder hinaus. Der leichte Schneefall hatte etwas Beruhigendes. Und überhaupt, solange Alexander hier war, würde ihn Caligo nicht zu sich rufen. Niemals würde der Leiter der Schule ihn zu sich rufen, wenn er gerade trainierte und die Chancen auf einen weiteren Sieg bei den WWM erhöhte. Die Gedanken des jungen Russen drifteten wieder zu seinem mitternächtlichen Besuch bei dem Mann ab. Auch wenn er es nie direkt zeigte, die letzten Worte von Caligo hatten ihn innerlich aufgewühlt. Alexander war der Typ mit einem gefährlich wachen und hellen Verstand. Er war durch und durch ein Kopfmensch, der zuerst dachte und dann handelte. Gefühle waren bei ihm nur hinderlich und trübten seine gut überlegten Entscheidungen. Doch dieser eine Satz hatte ihn durcheinander gebracht, trübte seine Berechnungen und verschlechterte seine Leistungen. Auch seine Trainer aus der Eliteschule hatten dies schon mitbekommen und Caligo gemeldet. Er durfte dem Leiter der Eliteschule keine Schwäche zeigen. Schwäche war das letzte, was Alexander sich erlauben konnte. ER würde es sich sofort wieder zu nutzen machen und sich an seinen Schwächen ergötzen. Genauso wie er sich an den Schwächen der anderen ergötzt hat. Alexanders Hände ballten sich zu Fäusten. Nur ER ist daran schuld, dass Alexander heute warten muss und eine vergebliche Suche führt. ’Nein, es ist nicht vergeblich. Ich hab es doch schon so oft berechnet, die Chance dass meine Suche erfolgreich ist, sind gar nicht Mal so gering’, dachte der junge Russe und schloss seine Augen. Fetzen alter Erinnerungsstreifen jagten durch seinen Kopf und wühlten Alexanders erfolgreich verdrängte Gefühle wieder auf. Seine Erinnerungen waren alle unkenntlich und unscharf, sie wirkten wie Puzzelteile, die nicht zusammenpassten. Ein hohes Piepen riss den Rothaarigen aus seinen Gedanken. Überrascht öffnete er die Augen und sah auf die Anzeige des Laufbandes. Sein Puls war ungewöhnlich hoch, in diesem Bereich durfte er nicht gelangen. Verzweifelt versuchte sich der Rothaarige wieder zu beruhigen und an etwas anderes zu denken. Er wusste es, er hätte heute Morgen die Tabletten nehmen sollen. Wieso hatte er sie liegen lassen? Glaubte er wirklich, dass ohne die Tabletten alles besser werden würde? Nein, es würde nur alles schlimmer werden. Seine Leistungen sanken und seine Schwäche trat langsam aber sicher wieder ans Tageslicht. Das Piepen verstummte nach einigen Sekunden wieder. Bis auf das Surren anderer Laufbänder und das leise Stöhnen der Gewichtheber, herrschte vollkommene Stille im Fitnessraum. Doch dem Rothaarigen war, als könnte jeder sein Herz laut schlagen hören. Verstohlen blickte er sich in dem Raum um und sah zu jedem einzelnen Trainer, der im Raum war. Zu seiner Erleichterung, schien niemand von ihnen etwas mitbekommen zu haben. Der Rothaarige wollte sich gerade umgedreht haben und gegangen sein, als er sah, wie hinterhältig ein junger Mann neben ihn grinste. Zwar mochte kein Trainer das Piepen gehört haben, dafür aber der Laufnachbar von ihm. Von Zusammenhalt und Teamarbeit konnte man in der Eliteschule nicht reden, jeder war sich selbst der Nächste. Intrigen, Verrat und Mobbing waren hier an der Tagesordnung. Alexander war nur zu Anfang seiner Zeit eines dieser Opfer, doch sobald er gezeigt hatte, welches Potential in ihn steckt und er die Tabletten bekam, nahmen die Intrigen bei ihm ein Ende. Alle hatten zu großen Respekt vor dem Rothaarigen. ’Scheiße! Daran bist nur du schuld, nur wegen dir zeige ich wieder Schwäche’, dachte Alexander und sah dem jungen Mann nach, als dieser ging. In Gedanken verfluchte Alexander die Person, die für seine Schwäche verantwortlich war und bereute es doch sofort auch schon wieder. Die junge Spanierin drehte sich zu dem blonden Mädchen mit dem Schmetterling auf der Schulter um und lächelte dabei freundlich. „Na, jetzt weiß ich ja endlich mit wem ich schon mal mein Zimmer teile“, sagte Cheyenne in einen freundlichen Ton, obwohl das Mädchen eine solch bissige Bemerkung gemacht hatte. Die junge Spanierin hatte keinesfalls neidisch geguckt, sie hatte das Mädchen lediglich nur gemustert um sie einschätzen zu können. Sie merkte, dass ihre Mitbewohnerin auf einen Streit aus war um ganz klar zu zeigen, dass sie das sagen in diesem Zimmer hatte. Doch darauf wollte Cheyenne sich erst gar nicht einlassen. Sie war hier um die Vorrunden zu gewinnen, nicht um irgendeinen privaten Machtkampf im Zimmer mit einem fremden Mädchen zu führen. Wenn sie in den Vorrunden aufeinander treffen würden, dann könnten sie diese Sache hier noch immer klären. Doch Jenny schien nicht so als würde sie von ihrem Vorhaben, die Spanierin in einen Streit zu verwickeln, ablassen zu wollen. „Fragt sich nur wie lange DU in DIESEM Zimmer bleibst. Ob freiwillig oder nicht. Hättest du nicht später kommen können und ein anderes Zimmer belegen können?“. „Lieber zu früh als zu spät sage ich da immer. Aber was die Zimmereinteilung angeht, dafür ist die Frau an der Information schuld, ich kann da nichts für. Von mir aus kann ich auch ein anderes Zimmer belegen, aber dazu musst du die Frau fragen“, entgegnete Cheyenne und lächelte Jenny dabei freundlich an. Ohne auf eine weitere Reaktion zu warten, drehte sich die junge Spanierin wieder um und packte weiter. Während sie ihre Kleidungsstücke in den Schrank räumte, wurde sie argwöhnisch von ihrer Mitbewohnerin beobachtet. Jenny zupfte an ihren weißen Top, welches einen Teil von ihrem flachen Bauch preis gab. Sie setzte sich auf ihr Bett, nahm ihre grünen Augen allerdings nicht von dem Mädchen. Ihre ohnehin schon tief sitzende Jeans war nun noch ein Stück tiefer gerutscht. Verführerisch blitzte die schwarze Spitze ihres Tangas auf. Bei jeder Handbewegung klimperten ihre vielen Armreifen. Cheyenne kannte diese Sorte Mädchen nur zu gut. Meistens sah sie diese Mädchen in Begleitung mit Männern, die sich für die coolsten hielten und immer die neusten Klamotten tragen musste. Solche Art Mädchen waren auch meist dir größten Unruhestifter in Schulen. Noch mochte Jenny ja friedlich sein, doch die junge Spanierin fragte sich wie lange dies noch anhalten mochte und was das Mädchen in ihren Gedanken schon alles plante um Cheyenne aus diesem Zimmer zu ekeln. In China hatten sich bereits alle Teilnehmer der Vorrunden in der Herberge versammelt und ihre Zimmer bezogen. Die Herberge in China war nicht vergleichbar mit der in den USA, doch waren die strengen Regeln und die Hausordnung genau die gleiche. Während sich der Tag langsam dem Ende neigte und die Sonne schon fast vollkommen hinter dem Horizont verschwunden war, nutzen die meisten Menschen in der Herberge die letzen Stunden des Tages um sich in dem gemeinsamen Gemeinschaftsraum zu treffen. Entweder um noch eine kleine Mahlzeit zu sich zu nehmen, neue Leute kennen zu lernen, oder um die wenigen Freizeitmöglichkeiten auszukosten, wie GO. Jeder Bewohner trug bereits den Trainingsanzug, den man ihnen bei der Anmeldung in der Herberge mitgegeben hatte. „Hey Lee, jetzt mach doch nicht so ein Gesicht“, rief Phung ihrem besten Freund zu, während sie mit einem Tablett wieder zurück zum Tisch lief. Lee hob seinen Kopf und sah das Mädchen an. Auch sie trug bereits den Trainingsanzug der Herberge. Doch im Gegensatz zu ihm selbst, stand ihr der Anzug vortrefflich. Ihre dunklen Augen, die schulterlangen, schwarzen Haare und ihr schwarzes Kropfband um ihren schlanken Hals, alles passte einfach perfekt zu ihr. Eigentlich war dies sogar ziemlich seltsam, so schlicht angezogen hatte Lee seine Freundin noch nie gesehen. Als Punk kleidete sie sich meist immer sehr auffällig und manchmal waren die Kombinationen einfach nur zum schmunzeln. Aber Phung stand dazu, es war ihr Stil und wenn es jemanden nicht passte, hatte er eben Pech gehabt. Der Schwarzhaarige Chinese schenkte seiner Freundin ein warmes Lächeln. Schwungvoll setzte sich das Mädchen ihm gegenüber auf die Bank am Tisch und stellte das Tablett vor sich ab. Lee faltete seine Hände vor sich auf dem Tisch und stützte seinen Kopf darauf ab. Sobald Phung dies bemerkte, konnte sie gar nicht anders als ihre Hand nach ihm auszustrecken und mit ihren schlanken Fingern leicht durch seine Haare zu fahren. „Weißt du eigentlich wie süß das aussieht wenn du so guckst?“, fragte sie ihn und lächelte dabei gut gelaunt. „Du siehst dann immer aus wie so ein kleines Kätzchen. Mach das auch bei anderen Frauen und ich muss wohl eifersüchtig werden“, scherzte sie und zwinkerte Lee zu. Doch dieser lächelte nur leicht und schüttelte seinen Kopf. „Würd ich doch nie wagen, deinen Zorn herauf zu beschwören. Ich nutze nur meine Gabe mit dem süßen Blick aus, um dich dazu zu bringen, mir etwas zu Essen zu überreichen“, scherzte der junge Chinese zurück und sah nun noch mitleidiger drein. „Tze. Wie konnte ich auch nur glauben, dass mir jemand wie du einfach so schöne Augen machen will. Typisch Mann, immer nur an das eine Denken“. Lee grinste und hob wieder seinen Kopf. „Essen?“, fragte er und musste nun noch breiter grinsen. „Genau das, wenigstens Mal ein Mann der es zu gibt. Nichts hier Jäger und Sammler, durchschnorren tut ihr euch doch nur“, schimpfte sie weiter und war dabei auch nicht gerade leise. Der junge Chinese wusste, dass sie das nicht wirklich ernst meinte und dass es ein Scherz war. Er mochte es, wenn seine Freundin alles versuchte um ihn aufzumuntern. Selbst wenn Lee es noch nicht weiß, dass Selbstzweifel ihn wieder überkommen, oder Schuldgefühle ihn plagen, Phung war immer sofort zur Stelle um ihn wieder aufzuheitern. Außerdem hatte sie bereits zwei Packungen mit Bratnudeln und zwei Gläser auf ihren Tablett und Lee glaubte nicht, dass seine kleine, zierliche Freundin so viel auf einmal essen konnte. Sein Arbeitskollege in dem Nudelrestaurant hatte ihn schon mal gefragt, wie es eigentlich kommt, dass Lee sich nicht in das Mädchen verliebt hatte. Sie war wunderschön, klug, manchmal etwas aufbrausend, aber ansonsten wirklich lieb und verlässlich. Sein Kollege hatte ihn auch gefragt ob Phung bereits einen Freund hätte oder ob es Lee etwas ausmachen würde, wenn er sein Glück bei der Kleinen versuchte. Zu beidem hatte er nur den Kopf geschüttelt. Für ihn war die Freundschaft mit ihr wichtiger als eine Beziehung mit ihr, die nach einigen Wochen, Monate oder auch Jahre, vielleicht sowieso nur wieder kaputt gehen würde. Er wollte den Kontakt zu ihr nicht vermissen, nur aus diesem Grund versuchte er alles daran sich nicht in sie zu verlieben. ’Bis jetzt auch mit großem Erfolg’, dachte der Junge und nahm seine Bratnudeln entgegen und nahm die beiden Essstäbchen in die andere Hand. „Du bist wunderschön!“. Lee verschluckte sich als Phung plötzlich diese Worte zu ihn sagte. Hustend und mit großen Augen sah er seine beste Freundin auf. Eine leichte Röte hatte sich auf die Wangen des Jungen gezaubert. Hatte er sich gerade verhört, oder hatte sie ihn wirklich als wunderschön bezeichnet? „Ach ne, fühlte sich da etwa jemand angesprochen?“, neckte Ying, sein Wegbegleiter Lee, der direkt neben ihm auf der Bank saß. Verwirrt sah der junge Chinese zwischen seinem Wegbegleiter und Phung hin und her. Das amüsierte grinsen seiner Freundin verriet ihn, dass Phung wirklich nicht ihn, sondern seinen weißen Tiger gemeint hatte. Peinlich berührt senkte Lee seinen Kopf und widmete sich nun voll konzentriert seinen Bratnudeln zu. Ok, so ganz schaffte er es doch nicht, dass er für Phung nur Freundschaft empfand. Er mochte sie, sehr sogar. Aber trotzdem wollte er nicht mehr als nur Freundschaft. Das Problem bei ihm war nur, dass ihn Komplimente von schönen jungen Frauen meist sehr peinlich waren. Außerdem war Lee der Typ, der leider schnell rot wurde, was ihm noch peinlicher war. Doch zu seinem Glück musste Lee sich nicht mit dem peinlichen Schweigen abfinden, da er einfach nichts mehr über die Lippen brachte. Seine beste Freundin erlaubte es sich, in der Anwesenheit dieser Mädchen, über ihre neuen Zimmergenossen zu erzählen und ein wenig zu lästern. Sie meinte es keinesfalls bösartig, sie sagte einfach nur das was ihr in den Sinn kam und was sie dachte. Warum auch Gedanken unausgesprochen lassen? Der junge Chinese schüttelte leicht seinen Kopf. Er stellte die leere Bratnudelschachtel wieder auf den Tisch und griff erneut nach seinem Glas. „Sag Mal Phung… machst du dir eigentlich keine Sorgen?“, unterbrach Lee seine Gesprächspartnerin und nippte dann nachdenklich an seinen Tee. Phung schien verwirrt und unterbrach ihren angefangen Satz auch abrupt. „Weswegen sollte ich mir Sorgen machen oder eher worum?“, fragte sie und legte ihren Kopf leicht schief. Lee mochte diese Geste. Immer wenn Phung so fragend drein sah, mit ihren großen, dunklen Augen, musste der junge Chinese an ein kleines Kätzchen denken, welches ihn so ansah. „Na, ich meine um Lotus“, antwortete er schließlich und deutete mit einer ausschweifenden Handbewegung zu Phungs Wegbegleiter. In dem künstlichen Licht des Raumes, wirkte das reinweiße Gefieder orange – gelb. Aber draußen im Sonnenschein, wenn der Albinopfau zudem noch sein Rad geschlagen hatte, wirkte ihr Wegbegleiter einfach nur majestätisch. Zwar fehlten dem Pfau nicht die typischen Pfauenaugen, doch kamen sie bei dem Albino nicht so zur Geltung, wie bei einem blauen oder grünen Pfau. Doch das komplett weiße Gefieder entschädigte dies sofort. Auf einer grünen Wiese wirkte das Tier wie eine Lotusblüte, manche, vor allem abergläubische Menschen, verglichen ihn aber auch mit einem Geist. Lee jedoch war wohl der Einzige, der bei dem Anblick des Pfaus an Phung denken und schmunzeln musste. Was dem Pfau an Farbe fehlte, glich sein Mensch dafür wieder aus. „Ach was, warum sollte ich mir um ihn Sorgen machen?“, fragte Phung und verstand die Sorgen ihres Freundes nicht. Ihr war durchaus bewusst, dass ein Vogel von der Kraft keine Chance gegen einen Tiger hatte und ihr Pfau zudem auch nicht so schnell war, doch sie vertraute Lotus. „Wenn er sagt, er schafft das schon, dann schafft er das auch“, versicherte sie Lee und bestätigte ihren Satz noch Mal mit einen kräftigen und sicheren Nicken. Lee seufzte daraufhin nur und gab es auf. Es wäre wohl leichter gewesen einen Berg davon zu überzeugen ein par Meter weiter zu rücken, als Phung davon zu überzeugen, das ganze noch mal zu überdenken. Auch wenn der junge Chinese sich Sorgen machte, so hoffte er auch gemeinsam mit ihr in die Nationalmannschaft zu kommen. Dass er vielleicht in den Vorrunden irgendwann als Gegner ihr gegenüberstehen würde, daran wollte er im Moment noch nicht denken. Er machte sich zwar oft Sorgen und meist auch nicht unbegründet, doch jetzt wollte er einfach nur noch den Abend mit ihr genießen. Doch aus der geplanten Zweisamkeit oder wenigstens auf die Aussicht auf einen ruhigen Abend wurde nichts. Zuerst machte sich nur ein leises rumoren bei den anderen Mitglieder breit, doch wurde die Unruhe unter ihnen immer deutlicher und zu Lees Leidwesen auch lauter. Lee wollte sich gerade umgedreht haben um die anderen anzufauchen, dass sie gefälligst leiser werden sollten, als plötzlich eine Katze ungeniert auf ihren Tisch sprang. Phungs freudiger Ausruf ließ Lee sofort wieder umdrehen. „Na, immer noch so leicht reizbar?“, fragte die Katze und sah den jungen Chinesen mit ihren tiefgrünen Augen an. Verlegen über seine offensichtlich aufbrausende Art, senkte Lee kurz seinen Blick und strich sich eine Strähne aus seinem Gesicht. Er kannte die Katze schon seit einigen Monaten. Aber wie sollte man eine Katze wie sie auch vergessen, wenn man sie einmal gesehen hat? Das lange Fell und seidige Fell war leicht gewellt. Die verschiedenen Blautöne in ihrem Fell, die wenigen weißen und schwarzen Strähnen, machten ihr Fell zu etwas einzigartigen. Jedes Mal wenn die Katze sich bewegte sah ihr Fell so aus, als würde es sich wie die Wellen des Meeres sanft im Wind wiegen. Lees und Phungs Wegbegleiter waren ja schon etwas ungewöhnliches, doch eine Katze wie Minusch war einfach etwas Einzigartiges. Der junge Chinese kannte sonst kein anderes Wesen, welches so außergewöhnlich wie Minusch war. Aber nicht nur die Katzen, auch ihr Mensch gehörte zu den wenigen Menschen, die etwas Außergewöhnliches an sich hatten. Doch, da war der junge Chinese sich ganz sicher, zählte auch Lee und seine Freundin Phung, zu den wenig außergewöhnlichen Menschen. Wie es möglich war und wieso ausgerechnet er auch dazugehörte, wusste er nicht. Noch nicht. „Also eigentlich hatte ich ja noch erwartet, dass ihr beiden trainiert. Wisst ihr denn nicht, dass morgen schon die erste Runde der Vorrunden beginnt?“, meldete sich eine selbstbewusste Frauenstimme vom anderen Ende des Raumes. Ohne einen Blick auf die Frau zu werfen, wussten Lee und Phung, wer es war. Jeder der Minusch kannte, kannte auch ihren Menschen. Mit großen Schritten ging die junge Frau von der Tür auf den Tisch der beiden zu und blieb direkt davor stehen. „Jetzt weiß ich auch warum die Leute hier so laut und unruhig geworden sind“, sagte Phung und sah der jungen Frau mit einem freundlichen Lächeln in die Augen. „Guten Abend Miako“. Die noch amtierende Vizemeistern und diesjährige Trainerin der Chinesischen Mannschaft der WWM begrüßte Phung und Lee mit einem leichten Nicken, während sie ihre Katze vom Tisch nahm. Lee überging die Begrüßung, er hatte nur noch Augen für Miakos seltsam gerundeten Bauch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)