Red Tears von Alaiya (Ein Vampirroman) ================================================================================ Kapitel 1: Tränen meines Herzens -------------------------------- Kapitel 01: Tränen meines Herzens Tränen schossen mir in die Augen, als die Hand der Erzieherin auf meine Wange klatschte und diese brennen ließ. Es war nicht gerecht! „Schau nur, was du wieder angestellt hast“, schrie sie mich an und zeigte auf das zerbrochene Fenster des alten Klassenzimmers, welches im Moment nur noch für AGs und seltener für Vertretungsstunden genutzt wurde. Dabei hatte ich nichts getan. „Aber, Fräulein“, setzte ich an, als sie mir eine weitere Ohrfeige gab. „Keine Widerrede!“, befahl sie in herrischen Ton und rückte, wie es ihre Gewohnheit war, wenn sie sich aufregte, ihre Brille zurück. Eine Geste, die ich schon so oft gesehen hatte, wahrscheinlich öfter als irgendwer auf diesem Internat. Doch ich sagte nichts mehr, es hatte eh keinen Sinn. „Deine Tante wird die Reparaturkosten für das Fenster zahlen“, meinte sie dann. „Du gehst auf dein Zimmer. Du stehst für das Wochenende unter Arrest. Heute Abend bist du vom Abendessen ausgeschlossen.“ „Aber“, setzte ich an. Da packte mich einer der älteren Jungen aus der Abschlussstufe am Arm und wollte mich weg, in Richtung meines Zimmers zerren. „Bitte, nicht meine Tante“, flehte ich noch, doch die Erzieherin wandte sich ab und ich war gezwungen dem Jungen zu folgen, wenn ich nicht hinfallen wollte. Es war wirklich zwecklos. Mir wurde ohnehin nicht zugehört, egal wie oft ich es versuchte. Sie wollten es nicht hören, sie wollten nicht sehen, was hier jeden Tag geschah. Weder die Lehrer, noch die Erzieher. „Das kommt davon, Hexenmädchen“, zischte der Junge und packte mich noch fester am Arm, als wir in den Korridor, wo die Schlafzimmer der Mädchen waren, einbogen. Ich schwieg nur, während die Tränen mir über die Wangen rannen. Schließlich erreichten wir mein Zimmer, welches ganz am Ende des Korridors lag. Der Junge riss die Tür auf und schubste mich herein. „Du hast ja gehört: Du hast Arrest“, lachte er. „Wag es also nicht raus zu kommen, Hexe.“ „Ich bin keine Hexe“, flüsterte ich. „Lügnerin“, rief er. Da fiel sein Blick auf das Türschloss, in dem wie immer der Zimmerschlüssel steckte. „Hmm“, meinte er und zog ihn aus dem Schloss. „Nur um auf Nummer sicher zu gehen.“ Damit ging er aus dem Zimmer und knallte die Tür zu. Er wollte doch nicht. „Nein!“, rief ich, doch da hörte ich schon, wie der Schlüssel von außen im Schloss umgedreht wurde, ehe sich die Schritte des Jungens entfernten. Ich ließ mich zurück auf den Boden fallen und rollte mich schluchzend zusammen. Zumindest war ich nun allein. Tatsächlich hatte ich als einzige auf dem ganzen Internat ein Einzelzimmer, welches eigentlich auch für einen Erzieher gedacht war. Jedoch war es mir zugeteilt worden, nachdem es mehrmals, als ich ein Zimmer mit anderen Mädchen teilte, zu verschiedenen Vorfällen gekommen war, an denen natürlich immer angeblich ich Schuld gewesen war. Das Einzelzimmer war mir mehr oder weniger als Strafe zugeteilt worden, doch ich empfand es viel mehr als einen Segen. So oft hatte ich mich schon hier eingeschlossen oder viel mehr die anderen ausgesperrt. Doch nun war ich hier gefangen. Natürlich hätte ich mich an die Tür stellen und schreien können. Doch mich hätte niemand gehört. Sie hätten es einfach ignoriert. Angestrengt versuchte ich meinen Atem unter Kontrolle zu bekommen, um zu schluchzen aufzuhören, das würde auch nichts ändern. Mehrmals ballte ich die Faust und entspannte sie. Zumindest war ich nun allein. Ich seufzte und richtete mich auf. Immer noch drangen einzelne Schluchzer in meine Kehle vor, doch es wurde besser. Mit schleppendem Schritt ging ich zu meinem Bett, welches vor dem Fenster des relativ kleinen Zimmers mit den weiß verputzten Wänden. An sich war es ein gutes Zimmer, zu mal es, im Gegensatz der normalen Mädchenzimmer, ein eigenes Badezimmer mit Dusche und WC hatte. An meinem Bett angekommen zog ich meine Schuhe aus und fischte dann ein Buch unter meinem Kopfkissen hervor. Es war schon alt und die Seiten ziemlich abgegriffen, aber es war ein Buch. Ich legte mich auf den Bauch und begann zu lesen. Bücher waren das einzige, wofür ich das wenige Taschengeld, was meine Tante zu zahlen verpflichtet war, ausgab. Sie waren meine Freunde, mein Schutz. In diesem Labyrinth aus Buchstaben war ich unantastbar, hierhin konnte keiner mich verfolgen, mich verletzen. Ich war unberührbar. Auch wenn das die Realität nicht ändern würde… „John“, schrie ich voller Verzweifelung und streckte die Hand nach meinem Bruder aus. Wir waren umgeben von Schatten, von einer ewigen, undurchdringbaren Dunkelheit, so schwer, dass ich sie fast auf meinen Schultern wiegen spürte. „Christine“, erklang die Stimme meines Bruders. „John!“ Ich versuchte noch schneller zu laufen, doch es half nichts. Ich kam meinem Bruder nicht näher – im Gegenteil, er entfernte sich mit jedem Schritt, den ich tat, weiter. „John! Bruder!“, rief ich und blieb atemlos stehen. „Bitte, bleib bei mir!“ Da sah er mich an. „Es tut mir leid, Christine“, sagte er und eine rote Träne rann über seine Wange – ehe er verschwand. „John!“ Ich fuhr aus dem Schlaf hoch und starrte ins Zimmer. Ich brauchte eine Weile, ehe ich registrierte, wo ich war und dass alles nur ein Traum gewesen war. Ein Traum, der mich fast jede Nacht quälte, seitdem ich meinen Bruder das letzte Mal gesehen hatte. An dem Abend vor dem Unfall. Unbewusst griff ich an meine Brust, um das Amulett zu ertasten, welches ich einst von meiner Mutter bekam. Wie lange war das schon her? Elf Jahre? Zwölf Jahre? Ich wusste es nicht mehr. Nur den Tag des Unfalls, den wusste ich noch genau. Im Sommer wären es zehn Jahre. Meine Familie war schon zehn Jahre tot, doch ich hatte nie aufgehört zu trauen. Dabei war ich damals erst acht gewesen. Ich seufzte. Ich sollte aufhören daran zu denken. Man konnte Tote nicht zurückholen, genau so wenig konnte ich von hier entkommen. Die Seiten des Buches auf dem ich geschlafen hatte, wellten sich leicht. Ich hatte im Schlaf geweint. Sanft, wie um das Buch zu trösten, strich ich über die Seiten, ehe ich es auf den kleinen Nachtschrank legte, aufstand und ins Badezimmer ging. Es war bereits nachts, denn es war dunkel und ich musste die Lampe über den Spiegel im Bad anmachen, um überhaupt was zu sehen. Wie in Trance stellte ich das Wasser an und wusch mir das Gesicht, um die Tränen fort zu spülen – ganz so, als könnte ich damit auch all die Gedanken, die Erinnerungen fort waschen. Nachdem Unfall, bei dem meine Eltern, wie auch mein elf Jahre älterer Bruder John ums Leben gekommen waren, hatte meine Tante die Vormundschaft und die Aufsichtspflicht für mich bekommen, doch sie hatte mich schon damals aufs Internat gesteckt. Ich wäre ihr im Weg, hatte es geheißen, wenngleich ich mir damals schon sicher war, dass es etwas mit meinen Eltern zu tun hatte, beziehungsweise mit meiner ganzen Familie, von der sich Tante schon immer distanziert hatte. Ich hatte sie nie verstanden. Ich warf mir eine weitere Hand voll Wasser ins Gesicht. Ich wollte nicht länger daran denken! An nichts mehr, was mit meiner Familie zu tun hatte… Mein Blick fiel in den Spiegel und ich seufzte. Wie sollte ich es denn vergessen, wo ich dieselben Augen hatte wie Mutter und John? Dieselben saphirblauen Augen und dasselbe pechschwarze Haar wie Vater. Wieso waren sie gegangen? Erneut füllten sich meine Augen mit Tränen, so dass ich schnell den Blick abwandte. Ich sollte die Vergangenheit endlich vergessen. Auf dem Boden an die Wand zusammen gekauert sah ich zur Decke. Meine Schultern brannten vom Nachmittag, vom Sturz gegen das Fenster, aber es würde wieder vergehen. Wahrscheinlich würde ich schon morgen nichts mehr davon spüren. Ich schloss die Augen und döste vor mich hin. Ich wollte nicht wieder Schlafen aus Angst vor den Träumen, gegen die ich mich nicht wehren konnte. Aus Angst vor der Erinnerung. Ich war feige, das wusste ich, doch ich fürchtete wirklich diese Gedanken. Sie taten so weh. Da ließ mich ein Geräusch aus meinem Zimmer zusammen fahren. Das klirrende Geräusch von zerberstendem Glas. Das Fenster! Bevor ich es selbst richtig registriert hatte, war ich schon auf den Beinen und sah mich panisch um. Waren es die Jungen, die in mein Zimmer gekommen waren und es nun verwüsteten? Waren sie gekommen, um mich noch weiter zu drangsalieren? Doch da erklang etwas, was nicht von den Jungen kommen konnte. Ein tiefes, kehliges Knurren, fast wie ein Bär oder ein Wolf. Doch das konnte nicht sein. Was war da los? Ich zitterte. Wartete darauf, dass die im Moment angelehnte Badezimmertür aufgerissen wurde. Ein Poltern erklang aus dem Zimmer. Dann ein weiteres Knurren. Mein Herz schlug bis zum Hals. Wenn was auch immer da in meinem Zimmer war, hier hereinkam, würde ich nicht entkommen können. Schwere Schritte schlürften durch den Raum. Was sollte ich tun? Da wurde die Tür aufgerissen und ich starrte auf einen riesigen, muskulösen Koloss in zerrissenen Kleidern, der vom Licht geblendet etwas zurückschrak. Er war ein Mann oder zumindest so was ähnliches, jedoch war seine Haltung leicht gebückt und seine Haut merkwürdig Aschfahl. Seine komplett blutunterlaufenen Augen starrten mich an, während ich in seinem lechzend offenen Mund zwei Reihen spitzer Zähne erkennen konnte. „Was“, keuchte ich, doch da stürzte der Mann schon auf mich los. Ich weiß nicht mehr wie, aber irgendwie schaffte ich es in dem kleinen Raum auszuweichen. Auf einmal stand ich in meinem nun völlig verwüsteten Zimmer und sah mich gehetzt um. Wer oder was auch immer das war, ich wollte nicht in seine Klauen geraten. Ich musste hieraus. Schon wandte ich mich in Richtung Tür, ehe mir grade noch rechtzeitig einfiel, dass diese verschlossen war. Ich war dem Monster ausgeliefert. Da schoss mein Blick auf das Fenster, dessen Scherben durch den ganzen Raum verteilt lagen. Ich war im ersten Stock, was bei einem alten Gebäude, wie dem Internat, bedeutete, etwa vier Meter über dem Boden. Wie war er überhaupt hier rein gekommen? Normal sollte ich einen Sprung aus dieser Höhe überleben… Ein Knurren direkt hinter mir erinnerte mich daran, dass ich wahrscheinlich auch gar keine Wahl hatte. Ich sprang nach vorne und barfuss wie ich war über die Scherben zum Fenster. Schnell kletterte ich auf das Fensterbrett und nach draußen, wobei ich mir meine Arme aufschnitt, ehe ich mich fallen ließ. Unten knickte ich mit dem Fuß um, verlor das Gleichgewicht und rollte so den kleinen Abhang, der auf dieser Seite des Gebäudes war, herunter. „Verdammt“, flüsterte ich, als ich sah wie das Monster denselben Weg nahm. Gleich würde es bei mir sein. „Hilfe!“, schrie ich in der Hoffnung, dass mich irgendjemand hörte und vor allem auch beachtete. „Hilfe!“ Ich wollte mich auf den Bauch rollen und aufrichten, doch mein Fuß machte nicht mit. War er gebrochen? Da schmiss mich der Mann auf den Rücken und drückte mich auf den Boden. „Wo ist das Amulett?“ Seine Stimme klang ebenfalls mehr wie ein Knurren. Ich verstand ihn, aber nicht den Inhalt seiner Worte. „Welche Amulett?“ Er würde kaum das Amulett, das Medaillon meiner Mutter meinen. Wieso sollte er Interesse daran haben? „Du weißt wo das Amulett ist, Mädchen! Sag es mir!“ „Aber ich…“ Natürlich hörte er mir nicht zu. Niemand tat das. „Gib es mir“, forderte er. Ich zitterte. Meine Arme und mein Fuß schmerzten. Ich wollte hier weg, doch ich sah ihm weiter in die Augen. „Ich weiß es nicht.“ Wenn er das Amulett meiner Mutter meinte, müsste er die Kette an meinem Hals erkennen können. „Dummes Mädchen“, knurrte er und bleckte seine Zähne. „Wie du willst. Ich werde das Amulett auch so finden.“ Im nächsten Moment spürte ich seine Zähne in meinem Hals. Es tat weh, aber ich schrie nicht einmal mehr. Vielleicht würde ich jetzt sterben… Das war wahrscheinlich das Beste. Verschwinden… ‚Wieso denke ich so?’, fragte ich mich selbst, als mir schon schwarz vor Augen wurde. Und wieso biss er mich? War er ein Vampir. ‚Das kann mir egal sein’, dachte ich bei mir. ‚Gleich wird es vorbei sei.’ Der Pistolenschuss klang, als käme er von sehr weit weg. Ich hörte ihn kaum. Ich spürte nur, wie der Schmerz an meinem Hals nachließ, wie mich der Mann losließ. Was war geschehen? Jemand schüttelte mich. „Alles in Ordnung, Mädchen?“, fragte eine Männerstimme, die jedoch nur noch gedämpft in meinen Geist vordrang. Ich blinzelte. „Wer“, krächzte ich. Ich konnte nur verschwommen die Gestalt erkennen, die sich über mich beugte. „Wer“, setzte ich noch einmal an. Dann verlor ich das Bewusstsein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)