Ageha no kage von VampirSchäfchen (~Schatten des Schmetterlings~) ================================================================================ Kapitel 20: Death wish ---------------------- XX. Death wish Schwarz und aufgewühlt lag die kalte See um das Schiff herum. Regungslos stand Asagi an der Reling und blickte in die Richtung, in der England am Abend zuvor zurückgeblieben war. Sein Haar tanzte anmutig im Wind und umspielte seinen schlanken Körper. Silbern und klar brach der Mond durch die Wolken. Eine erhellende Sichel über dem bewegten Schwarz, die flüchtige Reflexe warf und die Schatten auf den Zügen des Vampirs vertrieb, seine Tränen preisgab und ihn das Haupt senken ließ. Irgendwo dort in der Ferne blieb seine Heimat zurück. Ein erneuter schmerzlicher Gedanke an Shinya, der nun dort in jener Ferne war und eben wie er selbst an seinem Schmerz zu zerbrechen drohte. Nie zuvor hatte er seine Existenz so sehr gehasst wie in diesem Augenblick. Und doch würde er nicht fliehen, so sehr er es auch wollte. Dies war die Strafe, die er sich selbst auferlegt hatte, der Fluch, der ihn quälen sollte bis zum Tage des Jüngsten Gerichts, und darüber hinaus. Er hob den Arm um das gewobene Band an seinem Handgelenk zu betrachten. Es war eines von Shinyas Haarbändern gewesen, das er in dessen Zimmer entdeckt hatte, als er kurz vor seiner Abreise noch einmal dorthin zurückgekehrt war. Ihm haftete noch immer der Geruch des zierlichen Jungen an. Schmerzerfüllt blickte er zum Mond empor, als wenn er diesen um Hilfe anflehte, ihn darum bat, das Geschehene ungeschehen zu machen. Warum war er nicht die verfaulte Leiche, die er hatte sein sollen? Auch der Mond gab ihm keine Antwort. Um ihn herum erwachten Stimmen auf dem Schiff. Sich umwendend erkannte Asagi nicht weit von ihnen entfernt den Grund für die Aufruhe. Das Festland, das schon seit geraumen Stunden am Horizont zu sehen gewesen war, lag nun so nah, dass man die ersten Umrisse der Häuser erkennen konnte, und den Leuchtturm, der seinen Schein weit in die Nacht streute. Die Gerüche der fremden Stadt stiegen ihm in die Nase, wenn er die Augen etwas zusammenkniff konnte er sogar einige Menschen im Hafen erkennen. Und doch konnte es ihn nicht mit Freude erfüllen, dass er schon bald festen Boden unter den Füßen habe würde. Nichts vermochte ihn mehr zu erfreuen, denn es war ihm egal geworden, wohin er ging, und wo er blieb. Er würde wandern. Immer weiter und weiter, endlos. Vielleicht würde er ein wenig hier bleiben, vielleicht würde er schon am nächsten Tag weiterziehen. Es war ihm egal. Heimat ist dort, wo das Herz ist. Er musste rau lachen als ihm dieser Satz, den er schon hunderte von Malen in Büchern und Gedichten gelesen hatte, durch den Kopf ging. Sein Herz war verloren. Somit sollte er ohne Heimat sein, ohne Rast, und ohne Zuflucht. Er sah der funkelnden Stadt entgegen, während seine Gedanken dem Ort galten, den er verlassen hatte, dem Jungen, den er ins Unglück gestürzt hatte und seiner Liebe zu ihm, die ewig währen würde. ….. Weinend drückte sich Shinya an Kyo, der ihm behutsam durch das lange Haar fuhr, das eigene Schluchzen mühsam unterdrückend. „Ich will das nichts, Kyo….“, das verzweifelte Wimmern des Jüngeren fraß sich in seine Seele. Schmerzen, die er nicht zu lindern vermochte. Egal wie sehr er ihn liebte, er konnte ihn nicht retten, noch seine Tränen trocknen. Diese Welt war grausam, ohne Frage. Eine hässliche Welt, die nicht den Sündern und nicht den Engeln das Glück bescheren konnte. „Dies ist alles nicht wahr… Bitte sag mir, dass ich nur träume… Wenn ich aufwache ist er noch immer da….“, der warme Körper zitterte heftig, ehe der Junge plötzlich ganz ruhig wurde und den Kopf hob. Von seiner Wange perlten noch die letzten Tränen. „Er wird…. tatsächlich nie mehr hier her zurückkommen, oder? Zumindest nicht so lange ich lebe….“ Der Blonde nickte. Eine Weile sahen sie sich nur an, ehe Shinya sich urplötzlich von Kyo löste und sich erhob. „Was hast du?“, der Kleinere folgte seinem Beispiel und versuchte in seinen Augen zu lesen was ihm durch den Sinn ging. „Ich werde ebenfalls gehen…“, flüsterte der Angesprochene erstickt. Sein Blick blieb am Mond hängen. „Wenn ich ihn nicht erreichen kann, dann will ich von diesem Augenblick an auf ihn warten… Wenn es sein muss auch bis an das Ende der Zeit… Was nutzt dieses Leben mir noch?“ Kyo war wie erstarrt und sah das Engelsgleiche Geschöpf erschrocken an. „Nein… Das lasse ich nicht zu!“, er warf sich dem Jüngeren um den Hals und verbarg das Gesicht an seiner Schulter. „Nicht so… Das lasse ich nicht zu….“, wiederholte er wispernd. „Es tut mir Leid, Kyo….“, weinte Shinya leise und umarmte den Kleineren, „Vergib mir….“ „Nein!“, Kyo sah zu ihm auf. Seine Golddurchzogenen Augen spiegelten eine Vielzahl von Gefühlen wieder. Angst, Wut, Verzweiflung und Trauer. „So darf es nicht enden…“, flehte er leise. „Das wird es aber… So sollte es von Anfang an sein…“, dem jungen Mann gelang es kaum noch zu sprechen, so sehr schnürte ihm die Trauer die Kehle zu. „Ich bin dir dankbar, Kyo… Dafür, dass du hierher gekommen bist… Und dafür, dass du mir zugehört hast….“, hauchte er schwach. Kyo schüttelte den Kopf. Zärtlich strich er dem Größeren die Tränen von der Wange. Ein Lächeln hatte sich auf seine Züge gelegt, das trauriger nicht hätte sein können. „Du wirst nicht gehen… Nicht jetzt… Es gibt noch einen Ausweg für dich… Die einzige Möglichkeit, die dich auf immer mit ihm vereinen kann….“ Er musste leise lachen als Shinya den Kopf schüttelte. Er verstand nicht. Der Vampir schmiegte sich an den warmen Köper und atmete den weichen Geruch des Jungens ein. Es war besser so. „Du musst zu einem von uns werden… Und ich werde deinen Platz einnehmen, und sterben…“ Mondlicht brach sich in seinen Augen. Er konnte hören wie das Herz des anderen schneller schlug. „Das geht nicht… Ich kann nicht dein Leben zu meinem Glück fordern…“, er schüttelte heftig den Kopf. „So sehr ich auch bei ihm sein möchte… Dass du dafür sterben musst, will ich nicht….“ „Und wenn eben dies auch mein Glück bedeuten würde?“ Der Vampir zog den Jüngeren mit sich zu Boden, zurück zwischen die Wurzeln der Weide. Shinya wehrte sich nicht, als er seine Lippen auf die seinen legte und ihn ganz vorsichtig küsste, das Gefühl mit jeder Fieber seines Körpers genießend. Sein Lächeln hatte nun tatsächlich etwas Glückliches an sich. „Wenn ich dir damit helfen kann, würde zumindest mein Sterben einen Sinn haben…. Viel zu lange wandle ich nun schon umher ohne einen Sinn für mein Dasein erkennen zu können, und ich sehne mich nach einem Ort der Ruhe… der nicht enden wollenden Stille…“ Er spürte die warmen, salzigen Tränen des anderen an seinen Fingern. „Mein Sein war schon immer so sinnlos, wie sich das deine nun anfühlt… Für mich gibt es nichts mehr in dieser Welt… Denn ich weiß, dass es nichts gibt, was ich tun kann, damit du mich so liebst, wie du ihn liebst… Darum möchte ich an deiner statt gehen… Für dich gibt es noch diesen letzten Weg zu gehen, doch auf mich wartet nur der Tot…“ Shinya drängte seine Wange gegen die des Vampirs. „Warum bist du bereit so weit zu gehen, um mir zu helfen?“ „Verstehe ich mich nicht falsch… Es ist nur Eigennutz… Denn auf diese Weise wirst du mich nie vergessen. Niemals… Und ich werde frei sein… Frei vom Leid und von den Fesseln, die mich halten…“ „Und du wirst wirklich sterben müssen, wenn ich durch deine Hand zu einem der euren werde?“, es tat weh diese Worte auszusprechen. Shinya spürte ein Lächeln an seiner Wange. „Ja, denn ich bin nicht stark genug um zu bestehen… Dies wird mein Ende sein...“ Sie lösten sich ein wenig von einander, um sich in die Augen sehen zu können. Kyo spürte wieder diese unendliche zu dem Jüngeren Zuneigung in sich. Seine Finger strichen über den langen Hals, über den Stoff des Kleides. Zaghaft öffnete er die Schnüre des Gewandes ein wenig und schob es e zur Seite, so dass die blasse Schulter des Jungen freilag. Mondlicht schimmerte auf der weichen, duftenden Haut. Kyo meinte den Verstand verlieren zu müssen, als er zart mit den Fingern die Haut streifte, und schließlich die Bisswunde des schwarzhaarigen Vampirs berührte. Er ersetzte seine Finger durch seine Lippen und leckte zaghaft über das getrocknete Blut. Shinya hatte den Kopf zur Seite geneigt. Er trauerte. Behutsam zwang der Ältere ihn dazu, ihm in die Augen zu blicken. „Mache dir bitte keine Vorwürfe… Dies ist mein Wunsch…“, er hauchte einen Kuss auf die gerötete Wange des Jungen. „Du wirst meiner immer gedenken, oder?“ „Natürlich werde ich das…“, ein Versprechen, unter Tränen hervorgebracht. „Dann bewahre mich in deinem Herzen, bis sich unsere Wege am Ende der Zeit wieder kreuzen…“ Seine Lippen wanderten tiefer und bleiben auf dem blassen Hals liegen. Er konnte ganz deutlich das Pulsieren er Hauptader spüren und das Schlagen des Herzens hören. Langsam entblößte er seine Fänge. Das Ende. Er drang in das duftende Fleisch ein. Warm und köstlich ergoss sich Blut in seinen Mund, und er schlang die Arme enger um Shinya, der die Augen an den Himmel geheftet hatte. Der Mond schien auf sie herab, gleichgültig und einsam. Keine Worte oder Gedanken konnten das Gefühl beschreiben, das sich in Kyo ausbreitete, die Wärme und die Glückseeligkeit, die nun sein ganzes Sein ausmachten. Er trank bis er spürte wie Shinya schwach in seinen Armen zusammen sackte. Zärtlich sah er auf den Jungen hinunter. Den Blick nicht von ihm nehmend schlug er seine Fänge in die Innenseite seines Handgelenkes, eine tiefe Wunde hinterlassend. Behutsam hob er den Kopf des Sterbenden an und brachte sein Handgelenk an dessen Lippen. „Trink….“ Shinyas Blick flatterte. Er rührte sich nicht, sondern sah den Vampir nur an. „Es macht keinen Sinn, Shinya… Ich würde dir nur folgen…“ Endlich spürte er, wie Shinya die Lippen ein wenig öffnete. Blut rann in seinen Mund. Er schluckte. „Weiter…“, drängte Kyo mit weicher Stimme und zog ihn in seine Arme, ihn von hinten mit einem Arm umfangend. Die warmen Lippen hatten sich an die Wunde gelegt. Gierig leckte der Junge das Blut auf. Der Kleinere spürte die Veränderung, die im Körper des anderen vorging, und lächelte. Das Herz des Jüngeren schlug immer langsamer, ehe es schließlich zum Stillstand kam. Gleichzeitig ließ Shinya von der Wunde ab. Kyos Umarmung wurde schwächer. Der Vampir sank zurück. „Kyo…“, Shinya drehte sich zu ihm herum, und beugte sich über ihn. Er wollte sprechen, doch ein stechender Schmerz in seiner Brust hinderte ihn daran. Die kalte Hand des anderen fand die seine und hielt sie sanft fest. Shinya verkrampfte sich. „Gleich ist es vorbei…. Keine Angst…“, die Stimme des Blonden war nur noch ein schwaches Atmen, und doch konnte Shinya ihn hören. Zitternd sah er auf. Ein Schatten hatte sich auf sie nieder gesenkt. Közi stand einfach nur da und sah sie an. Seine Wangen waren nass. Er hatte geweint. „Sieh ihn an….“, befahl er dem Jungen heiser und ging neben Kyo in die Knie. Shinya gehorchte ihm. Kyo lächelte. Ein glückliches Lächeln. „Deine Augen sind wie die meinen….“, er lachte den Vampir an, den er so eben in diese Welt geboren hatte, „Ich liebe dich… Egal was du nun denkst… Ich liebe dich wirklich….“ Der Angesprochne schüttelte den Kopf und brachte die Hand des Älteren an seine Wange, in stummer Trauer, die in keiner Geste hätte Ausdruck finden können. Vorsichtig drehte der sterbende Vampir den Kopf, um seinen Meister anzublicken. „Vergebt ihr mir?“ „Ja… Ich vergebe dir…“, flüsterte dieser und bedeckte die eiskalten Lippen mit einem vorsichtigen Kuss. „Ihr werdet auf ihn aufpassen?“, das Leben in den Augen Kyos flackerte und drohte allmählich zu verlöschen. „Ich verspreche es…“, Közi sah zu ihm hinunter, Vorwurf und Pein verbergend. „Dann ist nun endlich…. alles gut….“, die Augen des jungen Vampirs schlossen sich sanft. „Lebt wohl….“ Seine Züge entspannten sich. Nur ein dankbares Lächeln blieb auf seinen Lippen zurück. ….. So vorsichtig, als ob er fürchte Kyo aus seinem Schlaf zu erwecken, hob Közi ihn vom Boden auf. Weinend sah Shinya zu ihm empor, als flehe er ihn um Verzeihung an. Seine Iris hatte die Farbe von dunklem Rot, und war von goldenen Linien durchzogen. „Kommst du mit mir? Ich möchte ihm ein Grab bereiten… Damit die Sonne ihm nichts anhaben kann…“, die Stimme des Rothaarigen war weich und verriet seine Trauer. Von Anfang an hatte er gewusst, dass er von ihm verlassen werden würde, und doch empfand er Schmerz. Der Körper in seinen Armen war ohne die geringste Regung. Vorsichtig erhob sich der zierliche Vampir zu seinen Füßen. Für einen Moment vergaß Közi die kalte Traue. Einem Schmetterling gleich, der nach dem Schlüpfen zum ersten Mal seine Schwingen öffnet, richtete sich Shinya auf. Der Wind fuhr durch sein Haar, so dass es ihm in das hübsche Gesicht fiel und das Mondlicht brach sich zart auf seiner blassen Haut. Diesem Wesen hatte Kyo sein Herz geschenkt. Und er würde immer bei ihm bleiben. Közi nickte dem Jüngeren auffordernd zu, und sie setzten sich langsam in Bewegung. Keiner der beiden sagte ein Wort, auch nicht als sie den Ort erreichten, den Közi zur letzten Ruhstätte seines Zöglings ausgesucht hatte. Verlassen und traurig wie schon seit ewigen Jahren lag das Anwesen, das einst der Familie Asagis gehört hatte, da. Heimliches Raunen ging durch die dürren Äste der Bäume. Hier würde Kyo seine Ruhe finden können. …. Shinya kauerte vor dem kleinen Erdhügel. Tief in der kalten Erde ruhte der Körper jenes Vampirs, der für ihn gestorben war. Er hatte Zweige eines immergrünen Strauches auf dem kleinen Hügel niedergelegt, die verloren und trostlos auf der frischen Erde wirkten. Es machte ihn traurig, dass er Kyo nicht einmal Blumen hatte bringen können. „Sei nicht mehr traurig… Er will gewiss nicht, dass du dich grämst… Nun hat er endlich, was er sich immer gewünscht hat…“ Közi hatte die Hand tröstend auf den Kopf des Jüngeren gelegt, und zögerte kurz. „Komm jetzt…. Der Morgen naht….“ Er wandte sich ab und schritt davon, unfähig sich bei seinem einstigen Gefährten zu verabschieden. Bevor er ihm folgte warf Shinya noch einen letzten Blick auf das Grab. Er würde wieder kommen. Irgendwann. …..+….. Die ganze Nacht und den gesamten darauf folgenden Tag lang hatten sie gesucht, ohne auch nur eine Spur darauf zu finden, wo Shinya sich nun befand. Kummervoll schmiegte sich Dai an Kaoru. „Wo kann er nur hingegangen sein….“, fragte er leise. Diese Frage hatten sich beide schon mindestens hundert Mal gestellt, doch keine Antwort finden können. Der zierliche Junge blieb verschwunden. Sie standen am Ufer des Flusses und hörten dem klagenden Raschen der Wellen zu. Der Tag schwand bereits. Die Sonne vereinigte sich mit dem Horizont und tauchte die Welt in warmes Rot und Orange. „Wir sollten nachhause gehen…“, Kaoru nahm den Jüngeren bei der Hand, und sah ihn auffordernd an. „Nein… Ich werde nicht eher zurückgehen, als dass ich ihn gefunden habe…“, Dai riss sich los, fand sich aber schon kurz darauf in den Armen des jungen Arztes wieder. „Vielleicht ist er von sich aus zurückgekehrt… Er würde nirgendwo hingehen, ohne sich von dir zu verabschieden… Da bin ich mir sicher…“ Er küsste seinen Geliebten zärtlich, und brach dadurch seinen Widerstand. „Und wenn er nicht da ist?“, er drückte sich an ihn. „Dann werden wir weiter suchen….“, Kaoru strich ihm durch das dunkle Haar. Sein widerspenstiger Begleiter nickte nach kurzem Zögern. Er hatte ein komisches Gefühl als sie zurückgingen, die sterbende Sonne im Rücken. Das Pferd hatten sie zurückgelassen, und so zog die Nacht auf, noch ehe sie die Hälfte der Stecke hinter sich gebracht hatten. Der Ältere hatte den Arm um ihn gelegt und versuchte ihm somit ein wenig Trost zu spenden, und der schleichenden Trauer zumindest ein kleines bisschen Einhalt zu gebieten. „Hat Asagi wirklich nicht bleiben können? Du hast gesagt es sei ihm nicht möglich, weil er Angst habe Shinya etwas anzutun… Aber was kann das sein? Warum musste er ihn gegen seinen Willen zurücklassen?“, der Blick aus den dunklen Augen flehte nach einer Antwort. „Du würdest mir niemals glauben, Dai… Und ich will nicht, dass du das Gefühl hast, ich würde dich belügen…“ Der junge Mann hielt ihn zurück und sah ihm tief in die Augen. Eine flackernde Gaslaterne spendete gerade so viel Licht, dass er die Traurigkeit auf den Zügen seines Gegenübers erkennen konnte. „Ich muss es wissen… Und… Ich werde dich nicht einen Lügner nennen… Egal wie schwerbegreifbar der Grund auch sein mag….“ Der Körper des Jüngeren drückte sich in einer Umarmung an ihn. „Er ist… er ist das, was man einen Vampir nennt. Ein Wesen, das nicht altert und dessen Wunden schneller heilen, als die eines Menschen… Sonnenlicht bedeutet ihren Untergang und sie umgeben uns, ohne dass wir ihrer tatsächlichen Natur sofort gewahr werden…“ Dai sah ihn an. Entgegen seiner Erwartungen schien er ihm zu glauben, was nicht zuletzt daran lag, dass er jenes betörende Wesen mit eigenen Augen gesehen hatte. „Und sie… ernähren sich tatsächlich vom Blut der Menschen?“ Ein betretendes Nicken. „Du empfindest es bestimmt als abscheulich, dass ich einem Geschöpf wie ihm so lange gedient habe… Aber er war mein guter Freund und Lehrer… Er hat mir oft angeboten zu gehen, doch ich wollte es nicht…“, der junge Arzt presste die Lippen aufeinander. Der Jüngere versetzte ihm einen sanften Stoß in die Seite, und zog ihn darauf wieder in seine Arme. „Denkst du dieses Wissen vermag etwas zu verändern? Selbst falls du ein Mörder sein solltest, ich wäre dir weiterhin verfallen… Darum sieh mich bitte nicht so an…. Ich werde dich nicht verlassen….“ Er spürte die Lippen des jungen Arztes auf den seinen. „Danke…“ „Es gibt keinen Grund mir zu danken…“, Dai nahm ihn bei der Hand und führte ihn mit sich. Sie schwiegen eine Weile, ehe Dai sich dazu durchrang seine Frage zu stellen. „Hat dein Meister ihn verlassen, weil er sein Blut wollte?“ „Ja… Und im Grunde wollte er noch mehr… Er hat sich nach nichts mehr gesehnt, als Shinya auch zu einem Vampir werden zu lassen… Darum ging er… Um ihn vor sich selbst zu schützen….“ Der Jüngere nickte. Er verstand nun. Nicht weit von ihnen entfernt lag bereits das kleine Haus der Schneiderin. Voller Ungeduld bescheunigte Dai seine Schritte ein wenig, den jungen Arzt noch immer bei der Hand haltend. Auch dieser hoffte, dass der Liebste seines Meisters wieder heimgekehrt war. Zweifel und Schuldgefühle nagten in ihm, da er versprochen hatte auf ihn aufzupassen, und dieses Versprechen nur allzu schnell gebrochen hatte. Mit klopfendem Herzen verharrten beide vor der Tür, aus Angst davor, den Bruder des Jüngeren nicht im Hause vorzufinden. Noch bevor sich einer von ihnen dazu durchringen konnte, die Tür zu öffnen, wurde ihnen diese Entscheidung abgenommen, da jemand die selbe nach Innen aufzog. „Shinya!“, Dai zögerte, ehe er dem Jüngeren einfach um den Hals fiel. „Wo bist du gewesen, und wie bist du hier her gekommen, und warum hast du nichts gesagt!“, die Fragen hatten anklagend klingen sollen, doch Erleichterung war das einzige, das in ihnen zu finden war. Der Braunhaarige genoss schweigend die Wärme seines Bruders. „Du bist so kalt…. Du solltest lieber ins Bett gehen….“ Das Kopfschütteln seines Bruders verwirrte ihn. Er sah auf, und entdeckte erst jetzt den blassen, schlanken Fremden, der wenige Meter von ihnen entfernt dastand und sie aus beinahe schwarzen Augen beobachtete. Kaoru teilte das Unverständnis seines Patienten beim Anblick des Unbekannten. „Was ist denn passiert?“, Dai sah den Jüngeren an, und schreckte zurück. Die Augen des anderen waren nicht länger braun, sondern von einem bizarren Rotton, durchzogen von einem goldfarbenen Muster. „Ich bin gekommen, um mich von euch zu verabschieden… Ich werde gehen….“, erklärte Shinya sanft. Sein Bruder schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nicht….“ „Közi und ich werden das Land verlassen und nach Asagi suchen… Und wir werden nicht hier her zurückkehren, bis wir ihn gefunden haben….“, die Stimme des jungen Vampirs war immer leiser geworden. Er war betrübt, dass er seinem Bruder diesen Schmerz bereiten musste, und doch war dies der Weg, für den er sich entschieden hatte, und von dem er keinen Schritt abweichen würde. „Wann wirst du gehen?“, fragte der Ältere und bemühte sich seine Trauer nicht zu zeigen. Ihm war als hätte sich ein Abgrund zu seinen Füßen aufgetan, und doch wagte er es nicht ihn von seinem Vorhaben abzubringen, da er um seine Trauer wusste. „Noch in der heutigen Nacht… Ich kann einfach nicht ohne ihn sein… Und ich möchte so schnell wie nur irgend möglich zu ihm gelangen… Ich hoffe du kannst das verstehen….“ Sein Bruder nickte, um ihn erneut in die Arme zu schließen. Traurig strich er durch das geschmeidige braune Haar und spürte wie kalt sein Körper war. Es war nicht nötig zu erfragen, was geschehen war. Schleppende Traurigkeit hielt in seinem Herzen Einzug und machte es ihm schwer zu sprechen. Seitdem der Jüngere das Licht der Welt erblickt hatte, waren sie jeden Tag zusammen gewesen, und waren einander gute Freunde gewesen. Nun war diese Zeit zu ende. Dies war ein Abschied, und obschon er nicht für Immer war, schmerzte er ihn doch unendlich. „Ich werde dich sehr vermissen… Und Toshiya und Mutter bestimmt auch….“, er konnte den anderen lächeln spüren. „Es tut mir wirklich Leid….“, er blinzelte zu Kaoru hinüber, der noch im Türrahmen stand, „…Bitte mache dir keine Sorgen um mich. Du bist nicht alleine… Kaoru wird bei dir sein….“ Shinya löste sich von dem Größeren und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Viel Glück….“, lächelte Dai zum Abschied als sein kleiner Bruder zusammen mit dem rothaarigen Fremden den Raum verlies und sich noch ein letztes Mal zu ihm umsah, ebenfalls lächelnd. Wenige Augenblicke später war er seinen Blicken entschwunden und die Erinnerung wirkte wie aus einem verzerrten Traum, aus dem es kein Erwachen gab. Unbemerkt hatten sich ein paar Tränen aus seinem Augenwinkel gelöst, die nun ganz sanft von Kaoru aufgefangen wurden. „Sei nicht traurig… Er kommt wieder… Und dann wird Asagi bei ihm sein…“, er drückte den jungen Mann an sich, und dieser klammerte sich an ihn. Beruhigend strich Kaoru ihm über den Rücken und vergoss dabei seinerseits ein Zeichen seiner Trauer, und gleichzeitig der Hoffnung, dass auch Shinya und Asagi zu dem Glück kommen würden, das er an der Seite Dais empfinden durfte. …. Shinya hatte die Augen halb geschlossen und genoss den streichelnden Wind, auf das Schwappen der Wellen an den Kaimauern horchend. „Woher sollen wir wissen wohin er gegangen ist?“, fragte er leise. Der Vampir an seiner Seite schenkte ihm einen verwunderten Blick. „Du wolltest dich also tatsächlich mit mir auf die Suche nach ihm begeben, auf die Gefahr hin, dass wie ihn über Jahre und Jahrhunderte hinweg suchen müssen?“ Der Jüngere nickte und sah ihn scheu an. Közi musste unwillkürlich lächeln. Er trat neben den Jungen hin und ließ seinen Blick über das schwarze Meer schweifen. „Ich war es, der Asagi zu einem Vampir machte… Er ist ein Teil von mir, und ich bin ein Teil von ihm… Ebenso wie Kyo nun ein Teil von dir ist…. Darum kann ich spüren wo er ist… Ganz gleich, wo er sich auch aufhalten mag…“ Die Finger des Jüngeren spielten mit der Kette, die um seinen Hals lag. Asagis Kette. Ein glückliches Lächeln hatte sich auf seine blassen und ganz und gar entzückenden Züge gelegt, und der Rothaarige konnte nicht anders als ihm behutsam über den Kopf zu streichen. Shinya sah ihn etwas überrascht an, ließ die Geste aber geschehen. „Wir müssen nun gehen….“, Közi nah einen schweren Koffer vom Boden auf und sein Begleiter nickte zaghaft, konnte sich jedoch nicht vom Anblick des Meeres losreißen. Ein leises Flattern riss ihn aus seinen Gedanken. Verwundert sah er sich um, ehe ein klägliches fiepen ertönte und ein kleines graues Geschöpf aus dem Dunkel auf ihn zu flog. „Nezu…“, ein trauriger Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. Die Fledermaus fiepte erneut und ließ sich auf seiner Schulter nieder. Der braunhaarige Vampir brauchte Közi nur anzusehen, um bei diesem ein Stirnrunzeln und schließlich ein gemurmeltes, „Tu was du nicht lassen kannst, mein Lieber“, hervorzurufen. Dem grauen Tierchen zärtlich den Kopf kraulend nahm er seinen eigenen Koffer in die Hand und folgte dem anderen Vampir zu ihrem Schiff. Sie würden sich auf eine Reise begeben, von der keiner wusste, wie lange sie dauern würde. Doch am Ende würde er wieder mit Asagi vereint sein. Eine Reise ins Ungewisse. Und doch eine gute Reise. Das Schiff lief aus und sie ließen das Festland hinter sich, hinaus in die schwarze Unendlichkeit. Ein Schmetterling, der im Winde tanzt Ein Schatten, der ihn sanft umfängt Der Wind flüstert leise Die Geschichte vom Schmetterling und seinem Schatten Und am Ende liegt die Unendlichkeit Behütet durch die Schwingen des Schmetterlings Schatten tanzen Endlos… ~+~Ageha no kage~+~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)