Eikyû - gesegnetes Land von Alaiya (Die Legende der schlafenden Götter) ================================================================================ Kapitel 4: Das Dorf über den Wolken ----------------------------------- Kapitel 04: Das Dorf über den Wolken Weit, sehr, sehr weit von Hayashimura, von ganz Honou und den vier Reichen, die einst zusammen Eikyû bildeten, entfernt, lag das Land Penggou. Vor langer Zeit hatten die Bewohner Penggous mit denen Eikyûs Handel betrieben, doch diese Zeiten waren schon lange vorbei. Schon lange war es her, dass das letzte Schiff den Weg zwischen den beiden Reichen gefunden hatte und schon lange war kein Boot aus Eikyû in Sengu, der Hauptstadt des Donnerreiches, gewesen. Kaum jemand in Penggou wusste auch nur davon, dass es Eikyû nicht mehr gab, dass es gespalten war. Dort in Penggou, genauer in einem Dorf im Nordwesten des Reiches, auf dem Berg Fengshan, waren zwei Wochen zuvor, als Fukuro und seine Schwester Hayashimura erreichten, zwei junge Männer in einen Kampf vertieft. Beide waren um die zwanzig Sommer alt und von kräftigem Körperbau. Nun standen sie auf den spitzzulaufenden Dächern zweier gegenüberliegender Häuser und warteten darauf, dass der jeweilige Gegner den Kampf fortführte. Beide Männer führten lange Stäbe als Waffen und trugen weite blaue Hosen. Doch während der eine ein ärmelloses weißes Oberteil trug, kämpfte der andere mit nacktem Oberkörper. „Willst du nicht lieber aufgeben, Mao?“, fragte nun der Mann mit dem Oberteil und grinste seinen Gegner an. Dieser wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. „Das selbe wollte ich dich grade fragen, Shen Hou!“ erwiderte er. Er hatte langes schwarzes Haar, dass er sich zu einem Zopf zusammen gebunden hatte. Seine Augen waren fast genau so dunkel wie sein Haar und hatten einen stechenden Blick. Der Mann, dessen Name Shen Hou war, strahlte das genaue Gegenteil aus: Sein Haar war dunkelbraun und schien etwas unbändig, während seine grasgrünen Augen lustig blitzten. Und statt, wie sein Gegner, verkniffen und konzentriert zu schauen, zierte ein breites Grinsen sein Gesicht. Plötzlich, wie auf Kommando, stießen sie sich von den Dächern ab und griffen einander mit den Stäben an. Diese prallten kurz aufeinander, bevor beide auf dem Dach landeten, wo vorher der jeweils andere gestanden hatte, doch dieses Mal verharrten sie nicht so lange und sprangen schnell wieder aufeinander zu. Dieses Mal nutzte Shen den Moment, als er seinem Gegner – Mao – nahe genug war, um seinen Stab unter den Maos zu stecken und sich so in der Luft zu drehen. Er versetzte seinem Gegner einen Tritt, der diesen in Richtung Boden schleuderte und ihn selbst auf das Dach eines dritten Hauses brachte. Mao schaffte es jedoch sich zu drehen, während die Menge, die dem Kampf der beiden zusah, auseinander stob, damit er nicht auf ihnen landete und stieß sich direkt wieder vom Boden ab, so dass er nur einige Fuß weit von Shen auf dem Dach landete. „Du bist ja ganz schön außer Atem“, meinte dieser – weiterhin grinsend – was zwar zutraf, aber seinem Gegner nichts als ein schwaches Grinsen entlockte. „Und wenn schon, ich werde dich heute trotzdem besiegen“, keuchte er und richtete sich etwas aus seiner gebückten Haltung auf. „Da bin ich aber gespannt“, erwiderte Shen Hou nun und griff nun an, indem er seinen Stab hob und auf seinen Gegner hinab sausen ließ. Mao reagierte jedoch augenblicklich, blockte mit seinem eigenen Stab und hielt diesen zwischen beiden Händen dem Angriff entgegen. Ein paar Augenblicke verharrten sie wieder so – Stab an Stab. Dann rissen sie die Waffen herum und fingen nun so an zu kämpfen und das in einer Geschwindigkeit, die die Zuschauer auf dem Boden in Staunen versetzte. Die beiden Kontrahenten waren nämlich Cousins und die besten Kämpfer des Dorfes, wenn auch seit frühster Kindheit Rivalen. Da drängte sich eine junge Frau in einem langen, weißen Gewand, die ungefähr im selben Alter wie die beiden Cousins war, von hinten durch die Menge der Zuschauer. „Lasst mich durch“, murrte sie ständig, wenn weitere Rücken ihr den Weg versperrten. „Ich muss eine Nachricht überbringen. Lasst mich durch“ Mit diesen Worten kämpfte sie sich immer weiter durch die Menge, bis sie nur noch einige Meter von dem Haus entfernt war, auf dem der Kampf stattfand. „Shen!!“, rief sie hoch, doch der Kampf ging weiter. „Mao! Shen!“, brüllte sie erneut, doch wieder ohne Erfolg. Da hob sie einen Stein vom Boden auf und warf diesen – eine Aktion, die angesichts der Kampfgeschwindigkeit sinnlos schien, doch der Stein traf und zwar beide Stäbe, genau in einem Moment, als diese grade aufeinander prallten. Daraufhin unterbrachen die Kontrahenten verwirrt ihren Kampf und sahen zu ihr hinunter. „Mei?“, fragte Shen verwirrt. Die Angesprochene blitzte ihn an. „Komm sofort runter, Shen!“, rief sie. „Ich habe eine Nachricht vom großen Priester für dich!“ Shen sah zu seinem Gegner und zuckte mit den Schultern. Dann sprang er vom Dach, so dass die Leute grade noch zur Seite laufen konnten, ehe er direkt vor Mei landete. „Und, was hast du für eine Nachricht für mich?“, fragte er, woraufhin sie nur seufzte. „Du sollst zu ihm kommen und zwar schnellstmöglich.“ „Sag das doch gleich!“, erwiderte er, bevor er sich an die Menge um sie herum wandte und ihr zurief: „Für heute ist der Kampf zu Ende!“, was die Leute teils enttäuscht, teils erleichtert, aufnahmen. „Und was ist mit mir?“ fragte Mao und landete neben den beiden auf dem Boden. „Du kannst eigentlich mitkommen.“, erwiderte Xing Mei – so war ihr voller Name. „Die Sache geht dich ebenfalls etwas an.“ „Na dann...“, meinte Shen und ging los. „Lasst uns gehen.“ Mao setzte sich in Bewegung und folgte ihm, doch sie waren keine zehn Schritte gegangen, ehe Meis Stimme sie zum stehen brachte. „Moment!!“ rief sie, hatte mit eine paar schnellen Schritten zu ihnen aufgeschlossen und stellte sich die Hände in die Hüften gestemmt vor die beiden Männer. „Wollte ihr ernsthaft in dem Aufzug zum ehrwürdigen Priester?“, fragte sie empört. Beide Männer sahen sich verwirrt an. „Wieso nicht?“, fragte Shen. Mei schüttelte hilflos den Kopf. „Shen, du kommst mit mir mit!“ sagte sie dann im Befehlston. „Und du, Mao, gehst nach Hause, wäscht dich und ziehst dich um! Wir treffen uns dann beim Tempel!“ Damit schnappte sie sich Shen am Arm und zog ihn in eine der Gassen. Doch kaum waren sie aus der Sichtweite Maos riss er sich los. „Du führst dich auf“, murrte er nun wieder grinsend und musterte sie, wobei der Ausdruck in seinen Augen ganz sanft wurde. Die Frau, die ihm nun stumm in die Augen sah, war bereits seit zwei Jahren seine Geliebte und das war etwas, worüber er sehr glücklich war. „Schau nicht so, Shen“, sagte sie nun mit gespielter Empörung, bevor sie sich streckte und ihn auf die Wange küsste. „Jetzt komm“, forderte sie ihn dann auf und nahm seine Hand. So machten sie sich auf den Weg durch das Dorf, hin zu dem Haus, wo sie zusammen mit seinen Eltern wohnten. Das Dorf wurde Yuncun genannt, was soviel wie Wolkendorf hieß. Dieser Name rührte daher, dass es auf der Spitze des Berges Fengshan lag und das Dorf daher über den Wolken lag. Außerdem hatten die Dorfbewohner eine ganz besondere Bindung zu den Wolken, die sie umgaben, denn diese unterschieden sich von den anderen Wolken, da sie von der Windmagie des Fengshan genährt wurden und durch sie Festigkeit und eine Seele, ähnlich der von Tieren, erhielten. Daher wurden sie auch als Himmelspferde bezeichnet und die Krieger des Dorfes als Yonshibin, Wolkenkrieger. Nach kurzer Zeit waren Shen und Mei am Rand des Dorfes angekommen, wo ihr Haus, das wie alle Häuser aus gebleichten Steinen bestand und ein Schieferdach hatte, lag. „Schnell, schnell!“, drängte Mei ihren Geliebten, bevor sie das Haus betraten. Kaum hatten sie die Tür geschlossen, klang schon die Stimme seiner Mutter durch das Haus und das nicht grade freundlich: „Shen?“ „Und Mei!“, antwortete der Krieger, als schon seine Mutter, eine Frau um die vierzig, in dem Flur trat. Sie hatte die Haare zu einem Knoten gebunden und starrte ihn wütend an, was ihn zurück weichen ließ. „Was ist jetzt wieder los?“ jaulte er, wie ein getretener Hund. „Du hast schon wieder grundlos mit Mao gekämpft!“, rügte ihn die Mutter und war damit erst am Beginn ihrer Strafpredigt. Doch da schob Mei ihn schon an ihr vorbei. „Wir müssen zum Priester!“, meinte sie entschuldigend. „Wir können später mit den beiden schimpfen.“ Damit waren sie und Shen schon in ihrem Zimmer verschwunden, wo Shen aufatmete. „Danke, Liebste“, murmelte er, doch sie war schon wieder aus dem Zimmer verschwunden, nur um nicht viel später mit einem Bottich Wasser zurück zu kommen. Als er noch immer wie verlassen dort saß, stöhnte sie auf. „Zieh dich aus, du musst dich waschen!“, befahl sie, doch er rührte sich nicht. „Zieh du mich aus“, verlangte er. „Shen, wir müssen uns beeilen!“, erwiderte sie verzweifelt, seufzte aber hilflos, als er sie weiterhin mit Unschuldsmiene ansah. So kniete sie sich ihm gegenüber, woraufhin auch er vom Schneidersitz in die gekniete Haltung wechselte. Dann machte sie sich daran sein Oberteil aus dem Hosenbund und ihm dann ganz auszuziehen, wobei er auch bereitwillig die Arme über den Kopf hob. Als sie ihn nun jedoch waschen wollte, legte er die Arme um sie und zog sie an sich. Sie sträubte sich. „Shen, wir...“ „... müssen uns beeilen“, endete er ihren Satz. „Ich weiß, aber bitte bleib noch so. Nur noch einen Moment“, bat er. Sie seufzte. „Nur einen Moment...“, meinte sie dann und schmiegte sich an ihn. Denn in Wahrheit genoss sie die Umarmung genauso wie er. Dann hob sie den Kopf und erwiderte seinen Kuss, als er seine Lippen gegen die ihren drückte, doch schließlich drückte sie ihn sanft von sich. „Wir sollten uns jetzt wirklich beeilen“, sagte sie. Er seufzte. „Es muss wohl sein“, meinte er und ließ sich von ihr waschen. Einige Zeit später waren die beiden auf dem Weg zum Tempel Yuncuns, der weit ab vom Dorf, beziehungsweise nicht einmal auf dem Berg Fengshan, gelegen war. Der Tempel war auf Wolken gebaut. Wolken, die von der Magie gefestigt waren und weich unter ihren Füßen nachgaben, als Mei und Shen die wolken- und bergverbindende Brücke verließen und die Wolkenfläche betraten. Shen trug ein ähnliches Gewand wie zuvor, wieder eine tiefblaue Hose und ein weißes Oberteil, welches aber im Gegensatz zu dem, das er beim Kampf getragen hatte, mit Stickereien verziert war. So betrag er mit Mei zusammen den Tempel. Mao war bereits dort und wartete, wie auch der alte, weißhaarige und langbärtige Priester, zwei Tempeldiener und eine ältere Frau, die etwas weiter hinten kniete, auf die beiden. Diese Frau war das Orakel des Dorfes und zugleich Meis Mutter. Dass sie anwesend war, hieß, dass diese Zusammenkunft mit einer Vision zu tun hatte, die sie gehabt hatte. „Ihr seid spät dran, Shen!“, neckte Mao seinen Rivalen, als dieser mit Mei zusammen neben ihn trat. Mao trug dasselbe Gewand wie Shen und sein Haar fiel nun offen in seinen Nacken. Shen erwiderte nichts, wenn auch nur, weil seine Geliebte ihn mit einen Ellenbogenhieb in die Seite davon abhielt. Stattdessen richtete er seinen Blick auf den langbärtigen, alten Mann, der auf einer Erhöhung im Saal, fünfundzwanzig Schritt – denn näher durften sie nicht kommen –von ihnen entfernt stand. „Ihr seid spät dran, dafür, dass ihr sofort kommen solltet“, meinte der Priester ungehalten, worauf Shen ihn nur angrinste. „Entschuldigung“, meinte er. „Hatten noch etwas zu tun.“ Auf diese Bemerkung hin warf Mei ihm einen warnenden Blick zu. Der Alte räusperte sich. „Wie dem auch sei...“ Er sah die beiden Krieger und Mei an. „Wir sollten ohne Umschweife auf das zu sprechen kommen, weshalb ich euch hierher gerufen habe.“ Mit einer Pause sah er wieder zu den beiden Kriegern. „Das Orakel hatte heute zum Zeitpunkt des höchsten Sonnenstandes eine Vision, die die Befürchtung nahe legt, dass wir jetzt bereits in großer Gefahr schweben“, sagte er und pausierte wieder, bis Shen die Stimme erhob. „Und weiter?“, fragte er ungeduldig, was ihm eine Reihe weiterer ungehaltener Blicke einbrachte. Der Priester seufzte, da er Shens Ungeduld schon lange kannte, genauso wie seine Unbeschwerte Art, die nicht bei allen für Belustigung sorgte. „Die Bedrohung kommt aus dem Osten Penggous, vom einstigen Eikyû“, führte er seine Rede fort. „Und es bleibt nicht mehr allzu viel Zeit, wenn wir der Vision des Orakels Glauben schenken, was ich für meinen Teil tue.“ Stille legte sich über die Gruppe, die im Saal versammelt war, bis es erneut Shen war, der diese brach: „Und was sollen wir tun? Und was ist überhaupt los? Will Eikyû Penggou angreifen?“, fragte er und sah – nun selber ungehalten – zum Priester hinaus. „Nein“, sagte dieser nun sehr langsam. „Nein was?“ rief Shen und stampfte ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. „Es ist nicht das einstige Eikyû, welches uns angreifen wird“, antwortete der Weise. „Denn die vier Reiche sind genauso in Gefahr, wie wir. Deswegen wollst du, Shen Hou, dich auf den Weg nach Eikyû machen und die Nachricht an mindestens einen der vier Herrscher bringen. Die Reiche müssen ihre Fehde vergessen, wenn sie die Gefahr bezwingen wollen. Denn wenn sie das nicht tun, steht es um uns genau so schlecht, wie um sie.“ Shens Blick veränderte sich von einem Moment auf den anderen. Sein Blick wurde leer und ungläubig. „Ich soll weg?“, fragte er langsam und sah zu dem Priester hinauf, in der sinnlosen Hoffnung, dass alles nur ein dummer Scherz war. „Ja, du sollst eine Nachricht nach Eikyû bringen“, wiederholte der Priester, doch Shen reagierte nicht. Stattdessen war es Mao, der vortrat. „Und was ist mit mir?“, fragte er gekränkt. „Was soll ich tun?“ „Du wirst hier bleiben und das Kommando über die Krieger des Dorfes übernehmen“, antwortete der Alte. „Aber kann... Kann ich nicht hier bleiben und Mao geht?“, fragte Shen heiser. „Wir sind gleich stark!“, stimmte Mao zu. „Es sollte kein Unterschied machen, wer von uns geht.“ „Das Orakel hat es so vorausgesehen“, antwortete der Priester. „Shen Hou, du wirst morgen noch vor dem Morgengrauen aufbrechen!“ „Aber...“, wollten die beiden jungen Krieger widersprechen, doch der Langbärtige überhörte sie. „Jetzt geht!“ Shen schnaubte und wollte widersprechen, doch Mao und Mei packten ihn und geleiteten ihn mit sanfter Gewalt aus der Halle. Erst als sie draußen auf den Wolken standen, ließen sie ihn los, woraufhin er sie sofort anfuhr: „Verdammt, was soll das?“ „Das weißt du ganz genau.“, erwiderte Mei und sah ihn wütend an. „Was um alles in der Welt ist mit dir los?“ „Das frage ich mich allerdings auch“, meinte Mao. „Verdammt, du hast den Auftrag, du hast die Verantwortung, du darfst nach Eikyû reisen, dass Dorf verlassen, wie du es immer wolltest! Also, wo ist dein Problem?“ Shen wandte sich ab. „Das geht dich nichts an, Mao!“, schnaubte er und stampfte über die Wolken davon. Mao zuckte mit den Schultern und sah ihm mit zusammengekniffenen Augen hinterher, während Mei ihm nachsetzte. „Warte, Shen!“, rief sie und griff nach seinem Handgelenk. „Shen!“ Sie war nun neben ihm, hatte aber Mühe mit ihm Schritt zu halten, als er nun den Schritt beschleunigte. „Verdammt, Shen, was ist mit dir los?“, wiederholte sie ihre Frage. „Warum...“ Da blieb er plötzlich stehen. „Es ist egal. Vergiss es“, sagte er leise, ohne sie dabei anzusehen. Stattdessen sah er auf die Wolken zu seinen Füßen. „Shen...“, flüsterte sie und stellte sich vor ihn. „Sieh mich an, Shen.“ Als er nicht reagierte legte sie ihre Hand unter sein Kinn und drückte es hoch, so dass er gezwungen war sie anzusehen. Doch sein Blick erschreckte sie, denn es war reiner Schmerz, der aus diesem sprach. Der Tag verging in Meis Augen viel zu schnell, wenn sie daran dachte, dass Shen am nächsten Morgen abreisen würde. Den ganzen Tag hatte er kaum mit ihr oder irgendjemanden sonst gesprochen, war ihr sogar aus dem Weg gegangen, was sie kaum ertragen konnte. Die Nachricht, dass er Yuncun verlassen sollte, hatte ihren sonst immer zu einem Spaß aufgelegten Geliebten auf einmal ernst werden lassen und sie verstand es nicht. Sie kannte Shen seit sie kleine Kinder waren und immer hatte er davon gesprochen in fremde Länder zu reisen und dort Abenteuer zu erleben. Jetzt hatte er endlich die Chance und er wollte nicht gehen. Warum? Warum ergriff er nicht die Möglichkeit, die sich ihm gab? Darüber grübelte sie immer noch nach, als die Sonne bereits im Westen versank und die Wolken unter dem Dorf rot färbte. Mei saß an der Hinterseite des Hauses von ihrer und Shens Familie, welches ja am Rand des Dorfes und somit am Abhang lag, und sah gedankenversunken auf die Landschaft am Fuß des Berges. Da legte auf einmal jemand die Hand auf ihre Schulter und sie sah auf. Shen stand – wieder in normalen Sachen – hinter ihr und sah sie an. „Was ist?“, fragte sie sanft und legte ihre Hand auf seine. Er sah sie noch ein wenig schweigend an. „Komm mit“, forderte er sie dann auf und zog sie hoch, bevor er sie bei der Hand nahm und ging. „Wo gehen wir hin?“, fragte Mei leise, obwohl sie bereits ahnte, wo er hinwollte. Diese Ahnung bestätigte sich, als er pfiff und Shiyun, seine Wolke, sich aus der Menge der anderen Wolken löste und angeflogen kam. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren setzte Shen sich auf das Himmelspferd und zog Mei hinauf. Auch sie schwieg, als das Wolkentier auch schon los sauste und sich in den Himmel erhob. Sie flogen zu einem benachbarten Berg, der kleiner war als Fengshan. An diesem Berg flogen sie bis auf die halbe Höhe hinab, wo eine kleine Höhle im Felsen war. Genau wie Mei vermutet hatte, denn diese Höhle war ihr Ort. Hier hatte Shen ihr damals seine Gefühle gestanden und hier gingen sie immer dann hin, wenn sie ein wenig Zeit zu zweit verbringen wollten. Auf einem kleinen Felsvorsprung vor der Höhle ließ sich Mei zu Boden gleiten, bevor auch Shen abstieg und die Wolke mit einem Tätscheln wieder davon schickte. Mei sah ihn an und er erwiderte ihren Blick, ehe er sie plötzlich an sich zog und fest an sich drückte. Sie legte nur die Arme um ihn und schloss die Augen. Sie wusste, dass er nicht sprechen wollte und ließ ihn gewähren. Im Moment reichte es ihr, seine Nähe zu spüren und bei ihm zu sein, vor allem, wenn sie daran dachte, eine ganze Zeit von ihm getrennt zu sein. „Shen...“, flüsterte sie nach einer Weile leise. Er seufzte und sog ihren Geruch ein. „Ich will nicht von hier fort...“, murmelte er leise und strich durch ihr Haar. Um zu warten, was er noch sagen würde, schwieg sie nur. Wieder herrschte eine Weile Schweigen und er seufzte erneut. Dann löste er sich etwas von ihr, strich über ihre Wange und küsste sie lange und zärtlich. Als sich ihre Lippen voneinander lösten sah er ihr in die Augen. „Ich will nicht von dir getrennt sein, Mei... Ich will hier bleiben“, flüsterte er dann verzweifelt und hob ihre Hand an seine Wange. „Shen...“, flüsterte sie und strich über seine Wange, wobei er die Augen schloss. „Shen...“, wiederholte sie, weil sie nicht wirklich wusste, was sie sagen sollte. Sie hatte so etwas geahnt, aber nicht gewusst, ob sie es sich nicht nur einbildete. „Aber du wirst doch bald zurück sein... Shen...“ Sie seufzte und schwieg kurz, bevor sie erneut ansetzte. „Ich meine, ich will auch nicht mehr von dir getrennt sein, keinen Augenblick, aber du wirst wieder kommen und dann werden wir zusammen sein und können es bleiben. Für immer...“ Nun war sie es, die sich streckte und ihn küsste. „Mei, ich weiß nicht, ob ich wirklich gehen soll. Ich muss, was der Priester sagt ist Gesetz, aber selbst wenn es nur für eine relativ kurze Zeit sein wird.“ Er sah sie mit schmerzerfülltem Blick an. „Ich werde keine Nacht schlafen können, weil ich mir Sorgen um dich mache – es nicht ertrage von dir getrennt zu sein.“ Nun musste sie lächeln. Es tat gut das zu hören, so schmerzlich der Abschied auch für sie sein würde. „Ich weiß...“, flüsterte sie. „Mir wird es nicht anders gehen, Shen.“ Daraufhin herrschte lange Zeit, in der sie sich einfach nur ansahen, Schweigen, bis er begann mit den Händen über ihren Körper zu fahren und schließlich ihr Gewand zu öffnen. Nun küsste er ihren Hals und fuhr dabei mit den Händen unter dem offenen Gewand über ihren Rücken. „Ich liebe dich...“ flüsterte er. Sie hatte die Augen geschlossen und genoss seine zärtlichen Berührungen einfach. Während er ihren Hals küsste, strich sie durch sein Haar, ehe sie sich langsam auf den Boden sinken ließ, der mit einer Decke belegt war. „Ich liebe dich auch“, erwiderte sie und sah ihn an, ehe sie sich wieder auf die Lippen küssten. Dabei stimmte das, was sie gesagt hatte nicht einmal, sie liebte ihn nicht nur, nein, es war viel mehr. Mehr als man in Worte fassen konnte. Deshalb hatte es ihr auch so wehgetan, dass er ihr den ganzen Tag aus dem Weg gegangen war, auch wenn sie nun verstand. Sie wollte auch nicht von ihm getrennt sein, aber es musste sein. Es war auch nur für ein paar Wochen, dann würde er wieder da sein und sie könnten zusammen leben. Das war es zumindest, was sie sich wünschte und sie wusste, dass er genau so dachte. Bis dahin mussten die Erinnerungen reichen und sie wollte jeden Augenblick, jede Berührung, jeden Seufzer von diesem Abend in ihrer Erinnerung festhalten um sie diesen Erinnerungen hinzuzufügen und die nächsten Wochen so erträglich zu machen, denn auch so würden ihr die nächsten Wochen wie Jahre vorkommen. So genoss sie einfach nur seine Nähe an jenem Abend, die Art sich zu lieben, ehe sie – der Mond stand bereits am Himmel – in seinen Armen einschlief. Mei schlief noch und die Sterne standen noch immer am Himmel, als Shen sich erhob und sich daran machte sich anzuziehen. Dabei achtete er darauf, sie nicht zu wecken. Er würde den Abschied nicht verkraften. Als er wieder voll bekleidet war, deckte er sie noch einmal richtig zu und küsste sie auf die Wange. Dann wandte er sich schweren Herzens von ihr ab und zu Shiyun hin, die bereits am Eingang der Höhle wartete. Auf ihr flog er zum Haus zurück, wo er direkt hinter der Eingangstür seinen Stab und eine Tasche deponiert hatte. Von seinen Eltern hatte er sich bereits am Vorabend verabschiedet, da er auch ihnen den direkten Abschied ersparen wollte. Als es sich nun wieder umdrehte, stand Mao hinter ihm, legte ihm die Hand auf die Schulter und beide sahen sich lange an. Dann ging Shen an ihm vorbei. „Mach’s gut“, meinte er und hob eine Hand zum Abschied. „Und pass auf Mei auf, bis ich wieder da bin“, fügte er dann hinzu und wollte sich auf Shiyun schwingen. „Warte!“, rief Mao und Shen drehte sich um, woraufhin sein Cousin ihm eine Schriftrolle zuwarf. „Vom Priester“, erklärte er. „Die Nachricht, die du überbringen sollst.“ Shen nickte. „Ich werde mich beeilen. Und bitte, pass auf Mei auf!“, wiederholte er dann, während er die Schriftrolle in seiner Tasche verstaute. „Versprich es.“ „Ich schwöre!“, erwiderte Mao und grinste. „Und wenn du wieder zurück bist, werde ich dich besiegen!“ Nun lächelte auch Shen matt. „Das werden wir ja sehen“, meinte er und ohne ein weiteres Wort zu verlieren schwang er sich auf Shiyun und flog gen Osten davon, nicht wissend, was er alles zurück ließ und dass er jetzt schon zu viel verloren hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)