Schimmen von SamAzo ================================================================================ Alte Freunde ------------ Die Straße sah aus wie jede andere hier in der Gegend auch: Immer gepflegte Rasenstücke, die nur durch die Einfahrt zu den Garagen und den Wegen zur Haustür unterbrochen wurden, die Blumenbeete, die ebenfalls immer gepflegt und korrekt an die Häuser grenzten und zu guter Letzt die Autos, die alle immer sauber und glänzend auf den jeweiligen Auffahrten standen. Und als sei das alles nicht genug, sah es noch so aus, als hätten alle den gleichen Wagen. Wie immer an einem Samstag Nachmittag spielten die jüngeren Kinder in den Gärten und die etwas Älteren auf den Gehwegen und Straßen, während alle die es konnten sich interessanteren Orten zuwandten. Bis auf ein paar Vögel und das Gerede der spielenden Kinder war nichts zu hören. Doch die Ruhe wurde gestört. Eine nachtblaue Kawasaki ZX-9R kam um die Ecke, fuhr gekonnt um einige der Kinder, die nicht begriffen hatten, dass sie von der Straße mussten, herum und hielt vor einem der Durchschnittshäuser, welches, bis auf die Farbe, identisch war mit den anderen in diesem Viertel. Die Kinder liefen zu dem Motorrad und sahen es an als hätten sie noch nie eines gesehen. Der Fahrer der Maschine stieg ab, schenkte den Kindern keine weitere Beachtung und ging zur Eingangstür des Hauses, vor dem er auch sein Motorrad geparkt hatte. Erst nachdem er geklingelt hatte, nahm er den schwarzen Helm ab und wartete darauf, dass jemand öffnen würde. Aber erst nach dem dritten Klingeln tat sich etwas hinter der Tür. Geöffnet wurde von einer etwas älteren Frau, die den jungen Mann vor sich nun lange ansah ohne etwas zu sagen. Er sah sie ebenfalls an. Sein Blick verriet nicht was er dachte oder was er grade fühlte. Ein vollkommen ausdrucksloser junger Mensch, der noch keinen Ton gesagt hatte. „Was wollen Sie?“, fragte sie endlich, bekam jedoch keine Antwort, sondern nur einen Zettel in die Hand gedrückt. Der junge Mann drehte sich um und setzte den Helm wieder auf, während er zurück zu seinem Motorrad ging. Sie sah ihm hinterher mit fragendem Blick und zerknüllte den Zettel. „Was sollte das denn?“, murrte sie leise und gereizt, und mit einem Schwung aus dem Handgelenk knallte sie die Tür zu. Der junge Mann grinste unter seinem Helm, setzte sich auf die Maschine und fuhr davon. - Im Garten eben dieses Hauses saß ein Junge. Nur wenig jünger wie der, der eben noch an der Tür gewesen war. Er las in einem Buch und hatte nichts mitbekommen. Selbst wenn er keine Kopfhörer aufgehabt hätte, wäre es ihm egal gewesen. Was interessierte ihn die Welt da draußen, wo es in seinen Gedanken so viel schöner war? Über den Rand seines Buches sah er ein paar Schuhe, die vor ihm zum Stehen kamen. Er sah auf und erblickte eine Frau, die sich, zu seinem Bedauern, als seine Tante herausstellte. „Was willst du? Ich möchte nichts trinken, nichts essen und auch kein Karten- oder sonst ein Spiel spielen“, sagte er genervt, nachdem er einen seiner Kopfhörer aus dem Ohr gezogen hatte. „Da war jemand, scheinbar für dich ... komische Freunde hast du. Wobei ich froh sein sollte, dass du überhaupt welche hast“, erklärte sie abfällig, reichte ihm den Zettel und ging wieder in das Haus, ohne noch weitere Kommentare abzugeben. Der blonde Junge sah auf den Zettel. Dieser sah ganz schön mitgenommen aus, zerknittert und so als habe er schon eine Weile im Müll gelegen. Wahrscheinlich hatte seine Tante den Zettel weggeschmissen, aber ihr schlechtes Gewissen verleitete sie dann doch dazu ihn ordnungsgemäß abzugeben. Immerhin stand groß sein Name drauf - David. Er faltete den Zettel auseinander und las, was auf ihm stand. Die Handschrift kannte er doch. Automatisch fing er an zu grinsen. Was er wohl wollte? Sie hatten sich jetzt schon lange nicht mehr gesehen und eigentlich hatte er schon gedacht, er wäre vergessen worden. David stand auf und ging ins Haus. Er musste ein paar Sachen packen. - Eigentlich war diese Frau noch richtig nett gewesen, dachte der junge Mann, während er auf seiner Kawasaki fuhr. Die meisten sahen ihn an und hauten ihm die Tür direkt vor der Nase wieder zu. Dabei sah er gar nicht mal so schlecht aus. Nur eben ein paar Tatsachen machten ihn zu etwas Fremden. Seine Haut war von Natur aus grau, was ihn mit seinen schwarzen Haaren recht farblos wirken ließ. Nur seine grünen Augen stachen regelrecht hervor, sodass sobald sodass derjenige, dem er in die Augen sah, weg schauen musste. Als er noch jünger war, hatte er viele Untersuchungen über sich ergehen lassen müssen. Weder seine Eltern, noch die Ärzte wollten wahrhaben, dass er nun mal so war, wie er war - grau. Selbst im Sommer änderte sich seine Hautfarbe nicht. Das war jedoch nicht das Einzige. Es gab noch ein paar Unterschiede zu einem normalen Menschen. Diese hatten sich erst später eingestellt und er hatte sie zum größten Teil geheim gehalten, weil er nicht wieder untersucht werden wollte. - Obwohl er erst seit drei Jahren nicht mehr hier lebte, kam es ihm vor, als sei das hier eine fremde Welt. Diese ganzen Vorstadtviertel gefielen ihm einfach nicht. Viel zu sauber und die Leute hier waren alles andere als das, was sie einem glauben machen wollten. Das hatten sie ihn oft genug spüren lassen. Eigentlich wäre er auch nie zurück gekommen, aber er hatte das Gefühl, dass es wichtig war. Deswegen hatte er sich auf den Weg gemacht. David hatte er den Brief schon gegeben, jetzt musste er nur noch zu Sascha, seinem ältesten Freund, um ihm ebenfalls eine Nachricht zu hinterlegen. Dann konnte er diese Vorstadt endlich wieder verlassen. Er hielt vor einem Haus, dass zur Abwechslung anders aus sah als die Restlichen der Straße. Was allerdings nur daran lag, dass es schon wesentlich älter war wie der Rest. Hier warf er den Brief nur ein, da er sich sicher sein konnte, dass er seinen Empfänger auf jeden Fall erreichen würde. Während er zu seinem Motorrad zurück ging, fiel ihm ein Mädchen auf. Sie ging die Straße entlang, abwesend auf den Weg starrend. Erst als sie fast gegen ihn prallte, sah sie auf, um ihn anzusehen. Ihr Blick war eisig und sie ging, ohne ihn weiter zu beachten, an ihm vorbei. Vielleicht lag es daran, dass er den Helm noch auf hatte und nicht wirklich etwas von ihm zu sehen war. Er stieg auf seine Kawasaki und fuhr wieder los. Noch einer bekam die Ehre eines Briefes. - Es war schon spät, als er nach Hause kam. Seine Armbanduhr zeigte drei Uhr in der Früh und er war noch nicht mal in der Lage seine Haustür zu öffnen. Wenn seine Frau nur nicht abgeschlossen hätte... Bei seinem Glück hatte sie sich noch andere Späße ausgedacht und er würde erst reinkommen, wenn sie es wollte. Er hantierte mit dem Schlüssel am Schloss, ohne Erfolg. Irgendwann drehte er sich um und setzte sich mit dem Rücken an die Tür gelehnt hin. Was war nur aus ihm geworden? Einst ein erfolgreicher Wissenschaftler und heute ein Säufer, der es nicht einmal fertig brachte in sein eigenes Haus zu kommen. Er hörte Schritte. Wohl jemand der - so wie er - noch einen drauf machen war. Sein Blick wanderte von links nach rechts, aber niemand war zu sehen. „Verdammt, ich hör doch Schritte“, flüsterte er zu sich und sah sich weiter um. Nach mehrmaligem hin und her schauen, entschied er sich dafür, dass die Schritte nur ein Produkt des Alkohols waren, den er stundenlang in sich hinein gekippt hatte. Als er wieder aufstand, fühlten sich seine Beine an als ob sie ihm gleich den Dienst versagen würden und er lehnte sich wieder an die Tür. Erneut hörte er die Schritte, ignorierte sie aber gekonnt. Gerade als er anfing sich wieder mit dem Türschloss zu streiten, spürte er etwas. Es war als würde ihn jemand umarmen und mit dieser Umarmung bohrte sich etwas an seinen Hals. Da niemand auf der Straße zu sehen gewesen war und er jetzt etwas eindeutig Kaltes, Scharfes am Hals hatte, das gut und gerne ein Messer sein konnte, bekam er Panik. Er starrte auf die Tür, in der Hoffnung seine Frau hätte Mitleid mit ihm und würde endlich die Tür aufmachen. „Sie sind Doktor Steven Brakman?“ Die Stimme, die das fragte, war ganz dicht an seinem Ohr. Eindeutig männlich und sie dröhnte in seinem Kopf immer wieder nach. „Das war ich mal“, antwortete er. In seiner eigenen Stimme klang die Panik mit. Er spürte wie die Klinge immer fester an seinen Hals gedrückt wurde und traute sich nicht mehr zu atmen. „Was wollen sie?“, fragte er. Die Töne waren brüchig vor Angst und er bewegte sich nicht. „Ich will nur nicht den Falschen töten!“ Die fremde Stimme klang als würde ihr Besitzer grinsen. Jetzt wusste er, wie er sterben würde. Mitten in der Nacht, direkt vor seiner eigenen Haustür. In einem eigentlich recht guten Viertel dieser verdammten Stadt. Er spürte wie das kalte Gefühl an seinem Hals verschwand. Die Umarmung wurde ebenfalls gelöst, weswegen er sich herum drehte. Niemand war da. Er war alleine auf dieser Straße. Ihm wurde schwindelig... Warum machte seine Frau denn nicht endlich die Tür auf? Er spürte wie seine Beine nachgaben und verfluchte sich dafür zuviel getrunken zu haben. Dann wurde alles um ihn herum langsam dunkler. Die Spritze mit dem tödlichen Gift hatte er nicht gespürt. - Sascha sah einen Brief auf seinem Bett liegen. Er las ihn und so wie auch David musste er unweigerlich grinsen. Nachdem er ihn durchgelesen hatte, schaute er sich in seinem Zimmer um, nahm eine Tasche und packte ohne groß Nachzudenken ein paar Sachen ein. - Es war Sonntag Morgen. Die Sonne schien und Insekten schwirrten durch die noch kühle Luft. Er lehnte an einem Baum und war darauf bedacht, im Schutze dessen Schattens zu stehen, um möglichst nicht gesehen zu werden, während er den Leuten zusah, wie sie dort um ein Grab herum versammelt waren. Dass er jetzt hier auf diesem kleinen Friedhof stehen würde, damit hätte er nicht gerechnet, als er am Abend zuvor den Brief bei dem letzten seiner Freunde abgeben wollte. ~ Er stand vor dem Haus und wartete nach dem Klingeln. Eine junge Frau, die er, soweit er sich erinnerte, noch nie hier gesehen hatte, öffnete ihm und schon da wusste er, dass etwas nicht stimmte. Sie sah ihn an und umarmte ihn. Wer war sie, dass sie nicht so wie alle anderen reagierte und sich von ihm fern hielt? Stocksteif blieb er stehen und wartete darauf, dass sie wieder von ihm ablassen würde. „Schön, das du da bist“, flüsterte die junge Frau. Ihre Stimme war brüchig. Sie klang als habe sie geweint. Lang und ausgiebig. Nachdem sie ihn losgelassen und er sie länger angesehen hatte, fiel ihm auf, dass sie auch so aussah. „Was ist denn passiert?“, fragte er, während sie sich einige Tränen aus dem Gesicht wischte. „Weißt du es nicht?“ War ihre kurze Antwort und wieder wurde ihre Stimme brüchig. Sie ließ ihn in das Haus und führte ihn ins Wohnzimmer. „Nein, ich wollte nur Damian einen Brief bringen.“ Sie sah ihn traurig an, doch ehe sie etwas sagen konnte, hatten ihre Traurigkeit und die Tränen wieder die Oberhand und sie umarmte ihn erneut. Weinte an seiner Schulter. Er sah sich um und drückte sie etwas, um nicht als ganz gefühllos zu gelten. Es war leise hier. Kein Fernseher oder Radio lief. Nur aus der Küche waren leise Stimmen zu hören. „Was ist passiert?“ Er fragte noch mal. Zwar hatte er eine Ahnung, aber die wollte er nicht aussprechen. „Mein Bruder ist tot ... Damian ist tot“, erklärte sie und schluchzte. Dabei drückte sie ihn fester an sich. Sie war Damians Schwester? War er wirklich so lange nicht hier gewesen? Aber viel schlimmer war gerade dieser Verdacht, das Gefühl, dass er schneller hätte handeln müssen. Das Gefühl, dass er wusste, warum Damian tot war. Wieder setzte sie an, leise und brüchig: „Er hatte einen Unfall, sein Wagen... die Bremsen versagten und er ist bei Rot auf die Kreuzung gefahren, drüben bei Costco.“ Die Bremsen? Das klang ja wie aus einem billigen Krimi... Und ausgerechnet bei dem, der sein Auto besser pflegte wie andere sich selber. Das war kaum vorzustellen. Nachdem Julia, so hieß die junge Frau, die er noch immer als kleines Mädchen in Erinnerung hatte, sich ein wenig beruhigt und ihn in die Küche gebracht hatte, stand er vor dem nächsten Problem. Wie sollte er reagieren, als ihm nun auch noch Damians Mutter um den Hals fiel? Er überlegte wie er am schnellsten wieder aus dieser Lage raus kommen könnte. Trost spenden war nicht das, worin er gut war. Eigentlich war er nicht gut darin überhaupt Gefühle zu zeigen. ~ Jetzt stand er also hier und beobachtete die Beerdigung seines Freundes. Der, der ihn wohl am Besten kannte. Der, der ihm am liebsten gewesen war. Sein bester Freund. So wie jetzt hatte er sich nicht mal gefühlt, als seine Eltern gestorben waren - ebenfalls bei einem Autounfall. Näheres wusste er darüber nicht. Er beobachtete Julia. Wann hatte er sie das letzte Mal gesehen, dass sie sich so geändert haben konnte? So erwachsen, dabei müsste sie doch jetzt erst 15 sein. Sie sah kurz zu ihm. Laut ihrer Handbewegung sollte er auch zu ihnen kommen, aber er blieb unter dem Baum stehen. Noch bevor alles vorbei war, war der schwarzhaarige Junge verschwunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)