Vampires Will Never Hurt You von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 13: Sunrise ------------------- Der nächste Morgen war mein letzter in Drakes Haus. Er gab sich Mühe, aber er und Benjamin konnten nicht verbergen, wie sehr sie mich loswerden wollten. Und auch ich war nicht gerade erpicht auf eine weitere Nacht unter einem Dach mit Jakes Bruder. Es war alles gesagt und die Stimmung war angespannt und eisig, als ich ihnen gegenüber auf der Couch saß. Drake lächelte schwach, doch seine Augen blieben matt. „Du solltest etwas essen bevor du gehst!“ Ich schluckte und schüttelte den Kopf. Seine Stimme war Jakes so ähnlich... „Ich...Ich habe keinen Hunger...“ Meine Stimme klang brüchig und heiser, doch ich fühlte mich wirklich so, als würde ich nicht bei mir behalten können. Benjamin hatten die Arme vor der Brust verschränkt und sah mich aus seinen blauen Augen unerbittlich an. Ich senkte den Blick um ihn nicht mehr sehen zu müssen. „W-Was wird mit ihm geschehen?“, fragte ich und musste kurz die Augen schließen. Der Schmerz in mir war unerträglich. Ein Schauer nach dem anderen lief mir über den Rücken und ich schluckte um nicht wieder brechen zu müssen. Benjamin warf Drake einen fragenden Blick zu, doch antwortete dann für seinen Freund. „Er wird vermutlich hier in Caven’s Hill begraben...“, sagte er und ich hörte aus seiner Stimme heraus, dass er sich Mühe gab, sanft und verständnisvoll zu klingen. Er tastete sich mit seinen Worten vorsichtig an mich heran um zu sehen, wie viel ich ertragen konnte. Ich nickte etwas zu prompt und heftig. Mein Versuch, Verstehen zu äußern, artete in ein Sinnbild meiner Hysterie aus. Benjamin zuckte fast unmerklich zusammen, als hätte ich laut und plötzlich gelacht. „Wo willst du jetzt hin ohne ihn?“, fragte Drake leise und die letzten beiden Worte hallten laut und lange nach in der Leere meines Herzens. „Ich bin nicht sicher...“, sagte ich schließlich und es kostete mich alle Kraft, die ich noch aufbringen konnte. „Vermutlich... mache ich weiter. Ich werde meine Schwester suchen...“ In jedem halbwegs guten Hollywoodfilm hätten Drake und Benjamin an dieser Stelle lächelnd vorgeschlagen, dass ich bei ihnen einziehen könnte und wir alle wie eine große, glückliche Familie leben und Jakes Tod verarbeiteten könnten. Doch das Leben war kein Hollywoodfilm und Drake nickte nur langsam. „Die Stadt ist ziemlich in Aufruhr wegen... der ganzen Sache. Du solltest vielleicht am besten sofort verschwinden, wenn du nicht noch in mehr Schwierigkeiten geraten willst!“, sagte Benjamin und aus seiner Stimme klang eher krasse Ehrlichkeit als Sorge. Das war seine Art, schätze ich. „Ja“, sagte ich und erhob mich vom Sofa. Es war eine verkrampfte Bewegung, als wäre ich vierzig Jahre älter als ich eigentlich war und mein leerer Magen wand sich über meinen heißen Gedärmen, die ich nur allzu deutlich in mir spürte. Als ich mich umdrehte, sah ich mein Spiegelbild in der dunklen Scheibe des Fensters. Mein Leben war wirklich kein Hollywoodfilm. Keine kunstvoll platzierten Kratzer, welche die natürliche, umwerfende Schönheit der Heldin nur noch unterstrichen. Ich sah aus, wie ich mich fühlte. Ausgekotzt. „Deine Tasche“, sagte Drake und deutete auf meine Tasche, die wie ein erlegtes Tier neben dem Sofa lag. Ich nickte und mein Blick fiel auf eine zweite Tasche, die wenige Meter daneben an der Wand lehnte. „Was ist das?“, fragte ich und Drake warf mir einen mitleidigen Blick zu, als wolle er sagen, dass ich wohl lieber nicht wissen wolle. „Jakes Sachen...“, sagte er dann doch leise und ich seinen Adamsapfel nervös auf und ab hüpfen. „Ich... Ich bin zum Motel gefahren und habe euer Zeug geholt...“ Ich nickte, doch Benjamin räusperte sich vernehmlich. „Willst du Jakes Sachen haben, Chestnut?“ Ich schüttelte den Kopf etwas zu heftig. „Nein!“ Es war beinahe ein Schrei. „Nein, wenn du willst, kannst du sie hier behalten...“ Ich sah Drake an und vermied bewusst Benjamins Blick. Ich konnte ihn nicht ansehen. Mit jeder Sekunde, die ich mit ihm in einem Raum verbringen musste, hasste ich ihn mehr. Drake nickte nur abwesend. „Ja, natürlich. Du könntest vermutlich eh nicht zwei Taschen mit dir herumschleppen, nicht wahr?“ Es war keine Frage. „Nur bitte“, sagte ich schnell und Drake sah mir zum ersten Mal wirklich in die Augen. „Bitte wirf sie nicht weg. Vielleicht...“ Ich stoppte, doch ich musste auch nicht mehr sagen. Wir wussten beide, dass, obwohl ich vielleicht im Moment nicht willkommen war, irgendwann der Tag kommen würde, an dem ich nach Caven’s Hill zurückkehren würde. Es würde vielleicht Jahre dauern, doch der Tage würde kommen, unweigerlich. „Ich werde dich zu Busstation fahren. Mit der ganzen Polizei in der Stadt wäre es vermutlich zu auffällig wenn du allein gehst. Wahrscheinlich suchen sie dich auch schon...“ Drake versucht eine Lächeln. „Danke“, sagte ich, doch meinte es nicht wirklich ehrlich. Benjamin griff nach meiner Tasche und nickte Drake zu. „Wollen wir?“ Er konnte es nicht erwarten, mich auf dem Haus zu haben. Doch Drake schien andere Pläne zu haben. Bestimmt legte er eine Hand Benjamins, mit der er die Tasche hatte nehmen wollen. „Nein...“, sagte er. Seine Stimme war sanft, ließ aber keine Widerspruch zu. „Chestnut und ich fahren allein.“ Benjamin sah ihn an, als hätte Drake den Verstand verloren. „Das ist doch nicht dein Ernst!“, brauste er auf und schnaubte wütend. „Du kannst ihn ruhig mit mir alleine lassen, weißt du? Ich werde ihn schon nicht umbringen!“, keifte ich ihn an und Benjamin wirbelte herum, so dass er mich mit seinen erbarmungslosen Augen fixieren konnte, aus denen eine Mischung auf Verachtung und Wut sprach. „Ach wirklich? Woher wissen wir denn...“ „Es reicht, Ben!“, rief Drake und Benjamin stoppte mitten im Satz. Ich war dankbar dafür, obwohl ich doch eigentlich wusste, was er hatte sagen wollen. Mein Magen wand sich unter den Peitschenhieben seiner Worte. „Aber...“ „Es ist genug, Ben. Ich schaffe das schon, okay?“ Drake lächelte traurig, doch sein Freund schien nicht überzeugt. „Mir ist klar, warum du das tun willst. Aber du weißt ganz genau, dass dir das nicht gut tun wird. Es ist nicht, was dich auch nur in geringster Weise weiterbringen wird. Niemanden von uns!“ In seinen Augen schimmerte die Sorge. „Es wird dich nur verletzen!“ Drake schüttelte langsam den Kopf. „Es ist gut...“, sagte er leise und nahm die Tasche, nach der Benjamin zuvor gegriffen hatte. Ich hatte keine Ahnung worüber sie redeten, denn noch immer war ich von diesem Nebel des Unwirklichen umgeben, der nicht zuließ, dass mich etwas Reales berührte. Drake warf mir einen fragenden Blick zu. „Bist du fertig?“ Ich nickte und mein Blick fiel auf die Tasse vor mir, in der mein unberührter Kaffee kalt geworden war. Ich war mir sicher, noch nie etwas so Trauriges gesehen zu haben. Gewaltsam riss ich meinen Blick davon los. Gemeinsam gingen wir in den Flur hinaus. Benjamin folgte uns schweigend. Mit einer Bewegung, die schmerzhaft nach Gewohnheit schrie, griff Drake nach den Autoschlüsseln, die am Schlüsselbrett links von der Tür hingen. „Was... Was ist mit Jakes Wagen?“, fragte ich so plötzlich wie mir der Gedanke gekommen war. Es war wieder eine dieser Bemerkungen, die mir Schmerzen beim Atmen bereiteten und mir bewusst werden ließen, dass Jake wirklich tot war. Drake drehte den Autoschlüssel nervös in seiner Hand. „Du kannst doch nicht fahren, oder?“, fragte er, begleitet vom metallischen Klingeln der Schlüssel. Ich schüttelte den Kopf. „Ich hatte nie Zeit und...“ Ich schwieg und senkte den Blick. Ich konnte ihm nicht erzählen, wie oft ich mich mit Jake über das Thema gestritten und er sich ständig über die Vorstellung von mir hinterm Steuer lustig gemacht hatte. Und wie er mich doch manchmal hatte fahren lassen, wenn die Strecke gerade und keine Polizei in Sicht war. Oder wie ich es einfach nur genossen hatte, neben Jake im Beifahrersitz zu sitzen und aus dem Fenster zu sehen, während er auf dem Lenkrad zu einem Lied aus dem Radio trommelte. Wie hätte ich es Drake erzählen können, wenn meine Worte es doch unwiederbringlich zu Vergangenheit hätte werden lassen? „Keine Sorge“, sagte Drake, der mein Schweigen falsch interpretierte. „Wir kümmern uns darum...“ Ich nickte und zwang mich zu so etwas wie einem Lächeln. Es fühlte sich an, als hätte ich meine Gesichtsmuskel seit Jahren nicht mehr benutzt. Die Fahrt in Drakes kleinem Volkswagen verlief schweigend. Ich sah aus dem Fenster, während Drake den Wagen durch die düsteren Straßen der verschlafenden Stadt lenkte. Es dämmerte grade erst, doch ich bemerkte, dass er sehr erpicht darauf war, nicht in die Nähe von Shawns Haus zu kommen. Wir sahen einen Polizeiwagen, doch niemand stoppte uns auf unserem Weg. „Wie ist er gestorben, Chestnut? Ich will es einfach nur wissen...“ Ich sah Drake an und verstand plötzlich, warum Benjamin nicht gewollt hatte, dass wir alleine fuhren. „Bist du dir sicher?“, fragte ich und sah ihn mit ernster Miene an. Er strich mit zitternden Händen über das abgegriffene Leder des Lenkrads und nickte ruckartig. „Es ist... Ich kann ihn nicht beerdigen, wenn ich nicht weiß, wie und warum er gestorben ist. Warum muss ich meinen Bruder zu Grabe tragen?“ „Ich habe ihn nicht getötet, falls du das meinst!“, rief ich und war selbst überrascht über die Angst, die dieser Gedanke in mir auslöste. Doch Drake schüttelte nur den Kopf. „Das weiß ich. Aber du warst bei ihm und...“ „Er hat ihn erschossen“, unterbrach ich ihn und versuchte dabei so ruhig zu bleiben wie möglich. Das Bild des fallenden Jakes schien sich in meinen Kopf gebrannt zu haben. Ich würde es mein Leben lang nicht vergessen. „Aber er hat nicht aufgeben, oder?“ Drakes Stimme klang schwach, mehr ein heiseres Flüstern. „Nein...“, sagte ich und das erste ehrliche Lächeln seit über 24 Stunden stahl sich auf meine Lippen. Es war ein Lächeln voller Stolz. „Er hat nicht aufgegeben und hat diesen Bastard erledigt. Er hätte niemals aufgegeben, auch wenn tausend Kugeln in ihm gesteckt hätten!“ Drake atmete auf und ich glaubte Erleichterung daraus zu hören. „Das... Das ist gut...“ Er fuhr sich mit einer Hand durchs Haar und beim Anblick dieser wohlbekannten Bewegung wurde mein Gesicht wieder von Schmerz verzerrt. „Ich wollte nicht, dass er stirbt!“ Tränen stiegen mir in die Augen und ich sah noch, wie Drake mich entsetzt anstarrte. „Ich wollte nicht, dass er für mich stirbt!“ „Chestnut“, sagte er ruhig und ich wischte mir mit dem Handrücken über die Augen. „Vielleicht hast du es nicht gewollt, doch ich denke, Jake wusste, was er tut...“ „Wie bitte?“ Ich warf ihm durch den Tränenschleier eine verwirrten Blick zu. Drake nickte nachdenklich. „Ich kannte Jake, verstehst du. Er hätte für niemanden sein Leben gegeben. Nicht für seine Brüder jedenfalls. Nur für dich, Chestnut. Für dich wäre er jederzeit gestorben...“ „Schwachsinn!“, herrschte ich ihn an und sah wieder aus dem Fenster. Drake seufzte und fuhr rechts ran. Ich hob den Kopf und erkannte, dass wir gegenüber des Busstops geparkt hatten. Eine rundliche Frau in einer geblümten Bluse hängte gerade die Schilder des Kiosks aus, an dem die Tickets für den Bus verkauft wurden. Es war vermutlich der einzige Laden in ganz Caven’s Hill, der schon um diese Zeit geöffnet war. „Ich muss dir etwas erzählen“, sagte Drake plötzlich und ich hörte aus seiner Stimme, wie viel Überwindung es ihn kostete. „Jake wollte, dass ich dir etwas gebe...“ Ich sah Drake verwirrt an. „Wie...“, begann ich, aber Drake unterbrach mich sofort. „Als ihr das erste Mal bei mir wart und Jake dich in die Küche geschickt hat, da hat er mit mir einige Dinge erzählt...“ Ich erinnerte mich an den Tag, an dem ich vor der Tür zum Wohnzimmer gelauscht hatte und an dem ich noch geglaubt hatte, mich vor Jake beweisen zu müssen. Ich konnte mich an jedes einzelne Wort der Unterhaltung erinnern, aber ich sagte nichts. Ich erwartete still, was Drake mir sagen wollte. Ich ahnte, was er sagen wollte und wappnete mich gegen die Bezeugungen von Jakes angeblicher Liebe zu mir. Doch was Drake dann sagte, brachte mich völlig aus dem Gleichgewicht. „Ich weiß nicht wieso, aber Jake hat Vorkehrungen getroffen“, sagte er und ich zog eine Augenbraue erstaunt in die Höhe. „Vorkehrungen?“ Drake nickte. „Ja, ich war mir zu der Zeit nicht sicher, warum gerade dann, aber er hat mir das hier für dich gegeben. Falls... falls ihm etwas zustoßen sollte...“ Drake schluckte und ich sah die Tränen, die wieder in seinen Augen aufstiegen. „Er sagte, er wollte, dass du es bekommst. Du würdest schon wissen, warum...“ Er zog einen zerknitterten Briefumschlag aus seiner Jackentasche und reichte ihn mir mit zittrigen Händen. Ich nahm ihn und öffnete ihn langsam und vorsichtig. Es war das letzte Stück von Jake, das mir geblieben war. Was immer er mir auch hinterlassen hatte. Ich zog ein zusammengefaltetes Stück Papier heraus. Es war schwerer als es aussah und als ich es auseinander faltete, sah ich warum. Ein rechteckiges Stück Plastik war in die linke untere Ecke geklebt. Ich überflog den offiziell wirkenden auf dem Papier und runzelte verwirrt die Stirn. Wieder sah ich auf die Plastikkarte. „Eine Debitkarte?“, fragte ich laut und Drake nickte. „Zu einem Konto, das Jake für dich angelegt hat. Er hat all sein Geld dorthin verschoben. Es läuft alles auf deinen Namen.“ Ich schüttelte den Kopf. „Wir hatten nie Geld. Wo soll das auf einmal herkommen?“ Mit dem Daumen strich ich über die glänzende Debitkarte, auf die mein Name gedruckt worden war. „Anscheinend schon“, sagte Drake und zuckte mit den Schultern. „Er sagte, du würdest nichts von dem Geld wissen. Aber es ist eine beträchtliche Menge. Genug, um ein neues Leben zu beginnen. Ich denke, das ist, was er für dich wollte. Ein Leben fern von all diesem Wahnsinn, dem ihr euer ganzes Leben hinterhergejagt habt...“ Ich strich erneut über die Karte und fühlte meinen Namen eingestanzt in das harte Plastik. Mir war klar gewesen, dass Jake Geheimnisse vor mir gehabt hatte, aber so etwas? Ich hatte es nicht erwartet und auch der Stich, den es meinem Herzen versetzte, kam plötzlich und unangemeldet. „Das ist der Busstop“, sagte Drake unvermittelt und erst als ich aufsah, bemerkte ich, dass er den Wagen rechts rangefahren hatte. Ich ließ meinen Blick über die leere Straße streifen und sah dann zu dem einzig beleuchteten Fenster. Es war das Schaufenster eines Reisebüros, in dem mit großen Pappausschnitten für die Buslinie geworben wurde, die aus der Stadt herausführte. Wir stiegen aus und nach der stickigen Luft im Wagen, traf mich die frische Brise wie ein Schlag ins Gesicht. Ich erkannte eine Gestalt am geöffneten Schalter, die sich beim Näherkommen als ältere Dame mit aufgetürmten, dunkel gefärbten Haare entpuppte. Ich hielt mich etwas im Hintergrund, nachdem wir den Laden betreten hatten, und überließ Drake das Reden. Die Frau warf mir einen interessierten Blick zu, aber sie schien keine Einwände zu haben. Sie wartete bis Drake ihr das Geld über den grünen Tresen hingeschoben hatte. Erst dann riss sie mit spitzen Fingern ein Stück Papier aus dem Drucker. Sie hielt es mir entgegen, so dass ich ein paar Schritte näher kommen musste, um es entgegenzunehmen. Ihre Fingernägel waren furchtbar lang und spitz und in diesem schrecklichen Rotton lackiert, der Hände bleich und ungesund aussehen lässt. Ich hielt das Ticket fest in meiner Hand und ging rückwärts zur Tür des Büros. Drake warf mir einen merkwürdigen Blick zu und bugsierte mich auf die Straße hinaus. „Sorry“, sagte er, als wir draußen standen, „der Bus kommt erst in 35 Minuten. Macht es dir etwas aus, alleine zu warten?“ Ich schüttelte den Kopf, obwohl sich in meiner Brust wieder das Loch auftat. Aber ich würde mich daran gewöhnen müssen, von nun an allein zu sein. Jake war fort und Drake konnte ihn nicht ersetzen. Ich war auf mich allein gestellt. „Es tut mir Leid“, wiederholte Drake, obwohl ich mir nicht ganz sicher war, ob er immer noch die Busfahrzeiten meinte. „Ja, mir auch.“ Mit zittrigen Händen nahm ich das dünne Stück Papier, mein Busticket, in die Hand und begann sogleich es immer wieder zischen Daumen und Zeigefinger hin und her zu ziehen. Drakes Offenbarung hallte noch immer in meinem Kopf nach und versuchte verzweifelt Sinn auf all dem zu ziehen. Warum hatte Jake solche Vorbereitungen getroffen, obwohl er sich seiner selbst doch immer so sicher gewesen war? War er nicht derjenige gewesen, dem kein Vampir dieser Welt etwas anhaben konnte? Ich starrte auf das Ticket in meiner Hand, Drake Worte im Ohr. Preis, Fahrziel und ein falscher Name standen ordentlich untereinander gedruckt. „Er sagte, er wollte, dass du es bekommt. Du würdest schon wissen, warum...“ Ja, warum denn nun? Weil er mich geliebt hatte? Oder etwa... Ich sah auf und in die Richtung, in die Drakes Wagen verschwunden war. „Ruf mich an, wenn du in New York bist!“, hatte er gesagt. „Sonst verlieren wir schon sofort am ersten Tag den Kontakt!“ Er hatte gelächelt und war ins Auto gestiegen. Ich ließ meinen Blick in die entgegengesetzte Richtung schweifen; die Straße entlang, die aus der Stadt hinaus nach Westen führte. Ich konnte sie mit meinen Augen bis zu einer scharfen Linkskurve verfolgen – alles, was dahinter lag, blieb mir verborgen. War es das, was Jake mir hatte sagen wollen? Ein leichtes Lächeln umspielte meine Lippen. Ich erhob mich von der Bank, schob den Riemen meiner Tasche über die Schulter und begann zu laufen. Die Straße hinunter. Nach Westen. Das Busticket flatterte traurig im aufkommenden Wind – zurückgelassen am einsamen Busstop. Meine Schritte waren schwer, wurden jedoch mit jeder Sekunde leichter. Es war, als würde ein dunkler Schatten von mir genommen, schwerer als ein normaler Mensch ihn hätte tragen können. Ich ging am Straßenrand, obwohl kein Auto weit und breit zu sehen war, und meine Tasche schlug immer wieder gegen mein rechtes Bein. Ich spürte es kaum. Ich hatte keine Eile. Ich hatte die Linkskurve fast erreicht, hinter deren Biegung Caven’s Hill für immer verschwinden würde, wenn ich denn so wollte, als ich zum ersten Mal bemerkte, dass es heller geworden war. Mit großen Augen und leichtem Herzen drehte ich mich ein letztes Mal um und warf einen Blick auf die Stadt. Die feuchte, kalte Dunkelheit, die meinen gesamten Besuch überschattet hatte, wich ganz allmählich etwas, das ich, so glaubte ich, seit langen, dunklen Jahren nicht gesehen hatte. Die Sonne ging auf über Caven’s Hill. Hosted by Animexx e.V. 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