Blood Holidays von Angie_Cortez (Suicide Apartment) ================================================================================ Kapitel 2: Loveless Home ------------------------ -Loveless Home- 30ter Oktober ein Jahr zuvor, London Die Welt stand ihm offen. Die Welt, diese blaue wunderbare Kugel. Es gab so viele Orte an denen er sein konnte, so viele Plätze, auf denen er sich inmitten unzähliger Menschen verstecken konnte. Er brauchte nur einen Schritt zu machen, er brauchte nur gehen. Aber konnte er denn einfach gehen? Er rannte gegen eine Tür an, eine Tür, die nicht nachgab. „Lasst mich hier raus!! Lasst mich raus!“ Er schrie bis er nicht mehr schreien konnte, bis seine Stimme versagte, wollte einfach raus. Er warf sich auf den Boden, schlug mit seinen schmerzenden Fäusten auf ihn ein. „Ich will nicht mehr, ich will nicht so sein, wie ihr mich wollt! Ich will einfach nicht!“ Er wünschte sich zu sterben. Wenn er schon nicht wegkam, konnte er dann nicht wenigstens sterben? Aber dazu hatte er einfach nicht den Mut. Die Stille in seinem Kopf machte ihn Wahnsinnig. Er wälzte sich auf dem Boden hin und her. Wie konnte er die Stille vertreiben? Er schrie doch schon, schrie bis seine Lunge platzen wollte, aber die Stille in seinem Kopf war undurchdringlich. Schwitzend und mit rasendem Herzen fuhr William aus dem Schlaf hoch. Ein Alptraum, nur ein Alptraum. Sein Atem ging zu schnell. Er musste sich beruhigen. Nur nicht wieder die Augen schließen, denn der Traum würde zurückkehren. Einfach wach bleiben, die Augen offen halten und die Stille nicht beachten. Ihr einfach nicht lauschen. Hektisch schlug William die Decke zurück, verließ sein Bett und torkelte hinüber zu dem großen Balkonfenster. Mit zittrigen Fingern öffnete er es. Kalte Herbstluft strich über ihn hinweg und er begann sofort zu frieren. Es regnete. Regnete es hier nicht immer? England war doch so bekannt für das ewig graue Wetter. William trat hinaus auf die nassen Fliesen und wandte das Gesicht gen Himmel. Der kalte Regen spülte den Schweiß fort und mit ihm die Angst und die Verzweiflung jedoch nicht das kleinste Stück der Einsamkeit. Müde lehnte er sich gegen das Geländer und sah hinunter in den dunklen Garten der elterlichen Villa. Wie gut man sich doch in der Dunkelheit verkriechen konnte. William liebte die Dunkelheit, verabscheute den helllichten Tag. Der Tag war sein Feind, denn nur am Tag war da die Universität und seine Eltern, seine Eltern die ihm nichts gaben, außer Geld und Wohnung, die nichts von ihm wollten, außer Leistung. William fühlte sich ausgelaugt und gehasst. Er wusste, dass die anderen Studenten ihn für verrückt hielten. Und das nicht nur, weil er so zurückgezogen war. Seine Bestnoten grenzten an Wahnsinn. William seufzte. War auch nur ein Mensch auf der Welt so einsam in mitten einer großen Gesellschaft? Der Regen prasselte auf seinen Rücken. William wünschte sich er wäre stärker und er würde ihm wehtun. Aber man tat William nicht weh. Zumindest nicht körperlich. Seine Seele war ein Wrack. Ein großes vergammeltes Wrack in den Tiefen eines sturmgepeitschten Ozeans. Manchmal fragte sich William, ob er nicht Glück haben könnte, ob nicht irgendwann eine Frau – oder ein Mann – kommen würde, der sich in ihn verliebte, der ihn nahm wie er war und der keinen Wert auf seine Leistung legte, sondern nur den Menschen William sah. Gab es so jemanden auf dieser Welt? Und würde William ihn finden? Durchnässt und vor Kälte zitternd trat William den Rückzug in sein Zimmer an. Er hoffte schon zu lange. Wartete schon zu lange. Wie lange sollte das noch so gehen? War sein Warten womöglich sinnlos? William tendierte dazu es zu glauben. Immer noch nass legte er sich ein Handtuch um die Schultern und zog es fest um sich. Noch niemand hatte ihn umarmt. Noch niemand hatte ihn je wirklich geliebt. Niemand sah, dass er es sich so sehnlich wünschte. Sein Blick wanderte müde zu der Uhr über seiner Tür. Das erinnerte ihn an die Uni. Dort hingen über den Türen auch die Uhren. Es war 5 Uhr morgens. Er hatte noch mindestens 2 Stunden Zeit zu schlafen. „Hey Will!“ William blieb stehen, drehte sich um und sah von seiner Arbeit über die Anatomie des männlichen Körpers auf. „Was kann ich für dich tun?“ fragte er und betrachtete den jungen Mann, der vor ihm stehen blieb und ein unechtes Lächeln aufgesetzt hatte. „Du bist doch so ein Ass in Sachen … nun ja, in allem halt. Ich muss da eine Facharbeit über …“ „Ich schreibe keine Facharbeiten für andere“, sagte William, ohne den anderen ausreden zu lassen. „Es tut mir leid, aber so etwas tue ich nicht.“ Beleidigt wie er war ließ William den Schmarotzer stehen und setzte seinen Weg fort, die Haupttreppe hinunter und wieder vertieft in seine Arbeit. Vielleicht hätte er dort noch etwas einfügen können, aber nein, das hatte er ein paar Zeilen tiefer schon getan. William seufzte, rieb sich die Stirn und wandte den Blick resignierend von den vielen Seiten Papier. Sein Blick fiel auf einen Auflauf von Schülern. Was gab es denn da? William packte seine Arbeit ein und näherte sich der kleinen Masse. „Mensch Leute! Nun lasst ihn doch!“ Die Stimme kannte William. Sie gehörte Tyler Brown, einem unheimlichen Wichtigtuer. Eigentlich gab es für ihn wirklich keinen Grund sich für wichtig zu halten. Im Grunde konnte er gar nichts. William näherte sich weiter und gelangte in den äußersten Kreis der Anwesenden. „Was gibt es hier?“ fragte er ein Mädchen, das direkt neben ihm stand. „Tyler hat einen Austauschstudenten aus Deutschland mit. Tony heißt er. Er scheint unheimlich süß zu sein.“ William seufzte. Nur ein Austauschstudent. Wenn das so war … Er wollte gerade wieder gehen, als er einen Blick auf diesen Tony erhaschte. William blieb wie versteinert stehen. Ohne zu merken was er tat stieß er ein paar andere zur Seite, die zu Murren begannen. Ein fieses Schimpfwort wurde ihm zugerufen, aber William ignorierte es. So etwas wie Tony hatte er noch nie gesehen. Zarte braune Haare umrundeten sein Gesicht, fielen glänzend wie Seide. Die Augen, klar und braun hatten einen unbestimmten Glanz. Er lächelte, lächelte unwiderstehlich mit einem so zarten Mund, dass William schwindelig wurde. „Tony“, hauchte er und ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. „Tony.“ Sein Blick musterte den jungen Deutschen von oben bis unten. Jede Bewegung subtil, wie die einer Katze. Jedes Stück Haut mehr wert als ein ganzer Sack voll Gold, jedes Lächeln so verschwenderisch wie ein Scheich. Der schönste Mann der Welt war er in Williams Augen. Er konnte sich kaum an Tony satt sehen, spürte wie sich jede seiner Zellen mit Glück füllte, je länger er ihn betrachtete. Und jetzt das Lachen, als Tyler ihm irgendetwas ins Ohr flüsterte. Nach diesem Lachen hätte es William nichts mehr abverlangt taub zu werden. Er hatte alles gehört, was es zu hören gab. „So wir werden dann jetzt mal weiter. Der Chef wartet noch auf uns! Bis später Leute.“ Und mit dem widerlichen Tyler an seiner Seite verschwand auch der Engel um die nächste Ecke. William blieb wie angewurzelt stehen. Berauscht von dem was er zu sehen auserwählt gewesen war. „Sieht wirklich heiß aus, oder?“ sagte ein Mädchen hinter ihm. „Oh ja, den um den Finger zu wickeln ist bestimmt das Beste, was einem passieren kann“, die Stimme eines zweiten Mädchens. „Ich bin ja der Meinung, dass wir Frauen mal wieder gestraft werden“, schaltete sich eine dritte ein. „Solche Männer sind immer schwul.“ Und Williams Herz machte einen entzückten Hüpfer. Komm zu mir, schöner Junge. Komm zu mir und ich werde jeden Wunsch von deinen majestätischen Augen ablesen. Lass es keinen verfliegenden Traum sein. Taumelnd vor Glück entfernte William sich von den drei Mädchen und blieb etwas abseits allein stehen. Er atmete tief durch. Vielleicht würde seine grausame Einsamkeit bald ein jähes Ende haben. „William, was ist mit dir? Fühlst du dich krank?“ William sah zu seiner Mutter hoch, nein, nicht seine Mutter, seine Erzeugerin, seine Erzieherin und seine Peinigerin zweiten Grades. „Ich fühle mich gut, Mutter“, sagte er ernst. Sie würde nie verstehen welches Feuer in ihm entfacht worden war. Sie würde nie verstehen, wie bedingungslos er im Moment liebte und das er dafür zum Äußersten bereit war. „Du wirkst fiebrig, William.“ „Nein, Mutter, ich fühle mich gut. Kannst du mir bitte noch etwas von der Sauce reichen. Ich danke dir.“ William nahm die Schüssel entgegen und sah dann auf seinen Teller. Er war wie immer fein säuberlich mit Nahrung gefüllt und die Portion war genauso groß, wie schon die letzten 15 Jahre. „Dein Vater hat mit Professor Kinney telefoniert, William.“ Die Stimme seiner Mutter war auch genauso unangenehm wie schon die letzten 23 Jahre. William stellte die Schüssel zurück auf den Tisch und sah sie fragend an. „Professor Kinney ist sehr zufrieden mit deiner Anatomie Facharbeit. Er meint, wir sollten dich mehr fördern“, bemerkte sein Vater vom anderen Ende des Tisches. In Williams Kopf begann die Alarmglocke zu läuten. Er wollte nicht mehr gefördert werden. Er brauchte seine Zeit, brauchte sie für Tony. Professor Kinney war sein Professor für die Anatomie des Menschen und noch dazu ein alter Kollege seines Vaters, der als Chefarzt in einem der größten Londoner Krankenhäuser arbeitete. Williams Mutter war in einem der Tochterkrankenhäuser Oberschwester. Ja, die ganze Familie war in der medizinischen Branche tätig. Die Krankenhäuser rissen sich um diese widerlichen Leute. William hasste sie. Er selbst studierte Medizin und auch das hasste er. Er wollte nicht so werden wie sie, er wollte nicht auch noch den letzten Rest seiner Gefühlswelt unter dem Skalpell dieser Leute verlieren. „Ich möchte das nicht“, sagte er schlicht und nahm Messer und Gabel in die Hand. Er wusste, nun bemühten sich die Alarmglocken in den Köpfen seiner Eltern. „Warum nicht, William?“ „Ich fühle mich wohl so, wie ich jetzt lerne und studiere. Es ist nahezu perfekt. Mehr brauche ich nicht und es interessiert mich auch nicht“, antwortete William. Eine einzige große Lüge. Nichts war perfekt. Er hasste Medizin. Er hasste die Vorstellung anderen Menschen das Leben zu bewahren, Menschen zu retten, die es gar nicht verdient hatten. Der Tod war es, der ihn faszinierte. „William“, begann sein Vater mit ernster Miene und legte das Besteck beiseite. „Du solltest dich mit nichts zufrieden geben Du solltest immer nach dem höheren streben und nicht gleichmütig sein. Gehe an deine Grenzen, mein Sohn! Lehne dich nicht zurück!“ Wenn er auch nur ahnen würde, wie sehr William an seine Grenzen ging. Wenn er nur wüsste, wie lautlos und unentdeckt die 9 mm unter seinem Kopfkissen schlummerte und wie oft William sie nachts in der Hand hielt, an die Schläfe führte und darüber nachdachte einfach abzudrücken. Geladen war sie. 3 Schuss, nicht mehr. „Ich bin an meinen Grenzen“, sagte William leise. Das Essen war ihm zuwider geworden. „Professor Kinney sagt, dass du mehr aus dir herausholen könntest.“ Dieser Kinney hatte keine Ahnung. Er hatte absolut keine Ahnung. Dieser Dreckskerl schleimte seinen alten Kollegen ununterbrochen an, indem er ihm erzählte, wie toll er, William, doch war. Aber William war nicht toll. William hatte Potenzial und eine Menge Wissen, aber er war der unglücklichste Mensch auf der ganzen Welt. „Bitte lasst das mich selbst entscheiden.“ Wütend und erschöpft stand William auf und verließ das Esszimmer. Er fühlte wie sich wieder die Leere durch seinen Kopf fraß. Schnell dachte er an Tony. Die Wut dämpfte sich. Ein leiser Hauch von Glück und Hoffnung durchstreifte ihn und er war sich jetzt sicher, dass es noch nicht zu spät war. Dieser junge Deutsche konnte ihn aus seinem Loch ohne Boden befreien. Er konnte William so viel zurückgeben, mit nur einem Lächeln. 15ter November William verlangsamte seine Schritte und blieb am Geländer stehen. Unter sich, im Eingangsbereich der Uni, hatte er Tony entdeckt. Immer, wenn er seinen braunen Haarschopf irgendwo aufleuchten sah, fühlte William sich unfähig noch einen Schritt weiter zu machen. Seine Hand legte sich wie automatisch auf das hölzerne Geländer und sein Blick ging starr hinunter und folgte nur Tony. Er formte die Lippen zu diesem Namen, sagte ihn in Gedanken immer wieder. Hinter ihm drängten sich die anderen Studenten vorbei, niemand beachtete ihn. Freunde hatte William nicht. Worüber er im Moment fast froh war. Jetzt blieb Tony stehen, wandte sich um und ein blondes Mädchen kam vor ihm zum stehen. Sie schienen zu reden. Williams Blick verfinsterte sich. Seine Hand krallte sich um das Geländer. Tony begann in seiner Tasche zu wühlen, holte einen Stift hervor und schrieb etwas auf einen kleinen weißen Zettel. William widerstand mit verkrampftem Magen dem Drang hinunter zu rennen und den Zettel in tausend Stücke zu zerfetzen. „Schlampe“, zischte er, als sie den Zettel triumphierend entgegennahm und sich dann davonmachte. Tony richtete seine Tasche wieder und William merkte, dass er den Weg direkt auf ihn zu einschlug. Schnell wandte er den Blick ab, huschte die Treppe hoch und blieb oben an der Galerie wieder stehen. Tony nahm gerade die ersten Stufen, er hatte den Kopf gesenkt und setzte unbekümmert einen Schritt vor den anderen. William starrte auf sein leicht geöffnetes weißes Hemd. Eine Stufe, eine weitere … er kam immer näher. William wappnete sich, bereit wenn nötig vor Tony auf den Boden zu fallen und ihm zu sagen, wie sehr er ihn anbetete, doch unvermittelt schoss jemand direkt hinter William vorbei. „Hey! Tony!“ Tony sah hoch. Sein Blick glitt direkt an William vorbei. Er lächelte. Doch lag da nicht etwas Trauriges in diesem Lächeln? William vermochte es nicht zu sagen. War es vielleicht Heimweh? Noch während er das dachte ortete er den verdammten Störenfried. Tyler … wie hätte es auch anders sein sollen? Er erwartete Tony, mit einem königlichen Grinsen auf dem Gesicht, am oberen Absatz der Treppe. „Wie war die Vorlesung?“ Nur knappe 2 Meter trennten William von Tyler, doch William konnte nicht fassen, dass dieser großkotzige Idiot seinen Hass nicht spürte. „Es war okay“, sagte Tony und blieb direkt auf der Stufe vor Tyler stehen. William beobachtete sie unverwandt, machte sich keine Mühe in Deckung zu gehen. Diese Stimme, wie eine Melodie, so schön, dass sie dich wahnsinnig werden lässt. Er bemerkte, dass sein Mund halb offen stand, dass er immer noch diesen Namen auf der Zunge schmeckte. Tony … „Weißt du ich hab beschlossen, dass ich heute Abend mal ’ne kleine Party für dich schmeißen werde“, sagte Tyler, stemmte die Hände gegen die Hüften und sah auf Tony hinab als wäre er der Sonnenkönig höchstpersönlich. William umklammerte wieder das Geländer und kniff die Lippen zusammen. „Warum?“ fragte Tony. Dieser zarte Hauch eines deutschen Akzents. William schauderte. Er verstand selbst ein wenig Deutsch und sprach auch welches, seit er einige interessante deutsche Bücher über sein Lieblingsthema gefunden hatte. „Na, du bist jetzt schon eine ganze Weile hier und da hab ich mir gedacht, so eine kleine Party wär’ doch mal was. Bei uns zu Hause. Mum und Dad sind ausgeflogen und sie kommen erst Montag wieder. Was meinst du?“ Tony strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er lächelte immer noch. „Okay“, meinte er. „Aber wenn was schief geht, dann kann ich nichts dafür.“ Tyler lachte. „Außer du bist der Grund weshalb was schief geht!“ Tony hatte jetzt die Treppe verlassen und lief an Tylers Seite an William vorbei, der nun krampfhaft den Boden fixierte. „Hey Blackworth! Du bist übrigens nicht eingeladen!“ Williams Blick schoss hoch und durchbohrte Tylers Gesicht. Doch als Reaktion erntete er nur ein schiefes niederträchtiges Grinsen … und einen fragenden Blick von Tony. Mit gesenktem Kopf, wie ein geschlagener Hund machte er sich davon und schlug die entgegengesetzte Richtung ein. Er wollte sich jetzt nicht anhören, wie Tyler jeden, den er kannte, zu seiner tollen Party einlud. Du bist übrigens nicht eingeladen! Das wirst du bereuen, Drecksack, dachte William und ballte die Hände zu Fäusten. Irgendwann wirst du das bereuen! William saß über einem Block Papier. Der Professor leierte gelangweilt seine Reden und malte dabei eine verworrene Skizze an eine weiße Tafel hinter seinem Pult. Allerdings war er nicht der Einzige der gelangweilt dem Ende dieses ganzen Spieles entgegenfieberte. Nicht wenige Studenten hingen mehr als sie saßen auf ihren Plätzen. William starrte verbissen nach vorn an die weiße Tafel, doch die Skizze sah er gar nicht. Er war so von seiner Wut und seinem Hass erfüllt, dass er seine Umwelt kaum wahrnahm. Mit der verkrampften Rechten umklammerte er seinen Kugelschreiber. Wie konnte er Tyler Brown wehtun? William wollte ihn leiden sehen, wollte ihn um sein Leben betteln hören. Will tu mir bitte, bitte nichts. Doch William würde ihn nur anlächeln und ihm dann endgültig das Lebenslicht ausblasen. Ein lautes Knacken ließ alle Anwesenden zusammenfahren. Sogar diejenigen, die kurz vor dem Tiefschlaf gestanden hatten wandten nun blitzschnell die Köpfe. Alle starrten William an, der nunmehr zwei Stücke seines einstigen Kugelschreibers in der Hand hielt. „Entschuldigt“, sagte er, klang fast resignierend dabei und blickte nicht einmal hoch. „Mister Blackworth, womit hat der Stift das verdient?“ fragte der Professor. Seine langweilige Leierstimme war wie weggewischt. Ein paar Mädchen kicherten. Schlimmer als die Grundschule! „Ich habe wohl etwas zu fest zugepackt“, erwiderte William gelassen, ließ den zweigeteilten Schreiber in seiner Tasche verschwinden und holte einen neuen hervor. Irgendwoher hörte er das Wort „aggressiv“ und wieder ein leises Lachen. Aggressiv ist gar kein Ausdruck! Wenn ich könnte würde ich euch alle …! „Nun gut, wo war ich denn stehen geblieben, bevor uns Mister Blackworth seine Kräfte demonstriert hat?“ Ein unterdrücktes Stöhnen durchflutete die Vorlesung. Der Professor hörte nichts. Nein, er hörte nichts und wenn doch, dann war es ihm egal. William lauschte noch ein paar Sekunden, vielleicht auch ein paar Minuten, er wusste es nicht genau. Doch dann verfiel er zurück in seiner Abwesenheit. Er starrte nur vor sich hin, hatte den Kugelschreiber jetzt vor sich liegen. Das Blatt vor seiner Nase war unbeschrieben und sauber. Er fuhr mit dem Finger darüber und stellte sich vor, es wäre Tonys Wange. Du wirst mich nicht verspotten, du wirst mich lieben, du wirst mir gehören. Egal wie. Bald würde sein Tag kommen und er konnte Tony ansprechen, er konnte ihm dann sagen, wie sehr er ihn mochte und Tony würde es verstehen, ganz bestimmt. Dann würde Tyler dumm aus der Wäsche schauen. Das konnte William sich blendend vorstellen. Alle würden dumm aus der Wäsche gucken, absolut alle. All die Mädchen, die Tony jeden Nachmittag nach Hause begleiteten, die würden blass werden vor Neid. Er bekam eine Gänsehaut, wenn er sich vorstellte, was im Haus der Browns zwischen Tony und den Mädchen geschah. Warum tat Tony so was? Aber am Ende war es egal, denn behalten würde er nur William, niemand anderen. Vielleicht waren die Mädchen eine Art Alibi, vielleicht auch nur ein Zeitvertreib. Vielleicht lief auch gar nichts zwischen ihnen und Tony, auch wenn er es ständig zu hören bekam, wenn zwei dieser Schnäpfen sich hinter ihm darüber unterhielten. Natürlich dachten sie immer, er würde es nicht bemerken. Aber William hörte viel. Er war sich sicher, dass 5 von 10 Mädchen, die mit einer Nacht in Tonys Bett geprahlt hatten, verlogene Schlangen waren. William hörte es wenn jemand log. Er hörte es am Klang ihrer Stimmen, sah es im Zucken ihrer Gesichtsmuskeln und spürte es in jeder Faser seines Körpers. Ihn konnte man nicht anlügen. 24ter November William sprach Tony nicht an. Aber William wachte und William sah alles. Fast alles. Er ließ sich keine Gelegenheit entgehen sich irgendwie in Tonys Nähe herumzudrücken und versuchte dabei möglichst unauffällig zu sein. Tyler jedoch schien Blut zu wittern. Die Blicke, die er William schenkte waren hasserfüllter denn je und er schien kurz davor zu sein, wie eine Atombombe hochzugehen. William kümmerte das nicht wirklich. Es war ihm nichts wichtiger als standhaft zu bleiben und seinen Posten auf der Aussichtsplattform nicht zu verlassen. Er stellte seine Tasche auf dem Campus ab und lehnte sich leicht gegen einen vereinsamten und etwas krüppeligen Baum. Tony stand nicht weit entfernt mit einer Gruppe Jungs und Mädchen und erzählte scheinbar von zu Hause. William sah ihn auflachen und in ihm begann alles zu kribbeln. Auch Tyler lachte und schob sich dabei fast unmerklich an Tony heran. William kniff die Augen zusammen. Es war also wirklich so wie er es geahnt hatte. Dieser Brown Bengel war höchst interessiert an Tony. Tony begann wieder wild gestikulierend zu erzählen. Eine heitere Gesellschaft und Tony war ihr unbestrittener Mittelpunkt. Dann fiel Tylers Blick auf William. Doch William würde nicht wieder ausweichen. In verkrampfter Anstrengung hielt William den Augenkontakt. Komm doch, komm doch du widerwärtiges Stück Dreck. Komm und ich sprenge dein Hirn! Tyler tippte Tony kurz auf die Schulter. Der wandte sich ihm fragend zu, dem Mund leicht geöffnet, fast kindlich … naiv erotisch. Sein Blick huschte hinüber zu William. Tyler redete mit gedämpfter Stimme auf ihn ein und William spürte förmlich, wie er eine Wand von Lügen zwischen ihn und Tony zog. Seine Beinmuskeln zuckten. Sollte er hingehen und dem ein Ende machen? Hastig warf er sich seine Tasche über und machte einige Schritte auf die Gruppe zu. Tyler ging sofort zum Gegenangriff über. „Was willst du, Scheißer, hä? Was willst du?“ Er versetzte William einen noch relativ harmlosen Schubser mit beiden Händen. „Ich weiß nicht, was es dich angeht“, erwiderte William ruhig. Er hatte wieder Standfestigkeit und ging nun in leichte Abwehrposition. Tylers Hand schoss vor, packte seinen Kragen und zog ihn an sich ran. „Hör bloß auf Tony zu begaffen, du Wichser!“ zischte er und in William kochte Wut hoch. „Ich werde ihn ansehen wann und wo ich will. Das kannst auch du nicht verhindern!“ Nein, das wirst du nicht verhindern, denn ich bin es, den er am Ende wählen wird! Ich bin es und niemand sonst! Merk es dir! Tyler wollte ausholen und William schlagen doch ganz plötzlich stockte sein Arm in der Luft. William war nicht weniger irritiert als Tyler und beide sahen sich nach dem Grund für dieses plötzliche Ausbleiben der Schläge um. „Was machst du denn?“ Williams Herz begann zu flattern, stolperte ein paar Mal und schlug dann in gleichmäßigem Takt, aber viel zu schnell weiter. „Tony, du musst dich da wirklich nicht einmischen!“ sagte Tyler etwas ungeduldig und schüttelte noch merklich sanft Tonys Hand ab, die seinen Arm festgehalten hatte. William riss sich von seinem Gegner los und starrte Tony nun völlig unverblümt an. Das ist das Zeichen. Ich bin der, den du lieben wirst, und zwar nur ich. „Ich mische mich aber ein, weil ich Prügeleien hasse. Was gibt dir das? Wieso gehst du einfach auf ihn los?“ Hinter Tylers Stirn arbeitete es. Tony verschränkte die Arme und sah ihn fragend von unten herauf an. „Ich hab da schon meine Gründe“, sagte Tyler dann. William hatte das Gefühl er würde sich unheimlich ertappt vorkommen, aber das konnte auch täuschen. Unsicher machte er einen winzigen Schritt zurück um einen besseren Überblick zu gewinnen. „Es gibt keinen Grund jemanden zu schlagen!“ sagte Tony, fast etwas zickig. Tyler ballte die Hände zu Fäusten. Sein Blick spießte erst Tony auf, dann William. „An deiner Stelle“, sagte er durch die zusammengebissenen Zähne zu Tony gewandt, „würde ich die Klappe erst aufreißen, wenn für dich die Zeit sowieso abgelaufen ist!“ „Soll das etwa eine Drohung sein?“ William beobachtete mit geschärftem Voyeurblick, dass Tony einen kleinen inneren Kampf auszufechten schien. Einerseits hatte Tyler Recht. Er konnte Tony sein Jahr hier in London zur Hölle auf Erden machen. Andererseits baute Tony auf einen kleinen entscheidenden Trumpf, den William nur vermuten konnte. Und da war noch etwas. Etwas, dass William nicht deuten konnte. „Ja, das soll eine Drohung sein!“ Tonys Arme lösten sich aus der Verschränkung. William bemerkte aus dem Augenwinkel, wie sich eine Gruppe von anderen Studenten um sie versammelte. „Und, was willst du tun, wenn ich nicht kusche?“ William stellten sich die Nackenhaare auf. Tonys Ausstrahlung jagte ihm einen wohligen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Die Luft schien zu vibrieren. „Ich könnte dich vor die Tür setzten“, zischte Tyler, bemüht seine Wut, die eigentlich gar nicht Tony galt, zurückzuhalten. „Dann“, sagte Tony gelassen und zu Williams Schreck ging er einen Schritt auf diesen zu. „Zieh ich eben bei ihm ein. Was sagst du dazu?“ William blinzelte etwas verstört. Ging im Kopf die Möglichkeiten durch. War das Realistisch? Theoretisch war es möglich, praktisch war das alles nur …Taktik. Fake. Tylers Gesichtsausdruck hatte sich beinahe dramatisch verändert. Er sah sich kurz um, als wolle er die Lage einschätzen und sah dann wieder Tony an. „Hör auf mit dem Unsinn“, sagte er leise. Tony seufzte leise und entfernte sich wieder von William. Beinahe hätte er nach Tonys Arm gegriffen um ihn bei sich zu behalten, doch im letzten Moment unterdrückte er diesen überwältigenden Drang. Sein Arm zuckte kurz. Tony griff sich dafür Tyler und zog ihn aus der Masse neugieriger Gaffer. William blieb mit rasendem Herzen zurück. Es war spät. Eigentlich zu spät um noch lange an der Uni herumzuhängen, doch William hatte noch niemals so eine Abneigung gespürt, wenn es darum ging nach Hause zu fahren. Er hatte sich einsam und allein, wie immer, auf die Treppe gesetzt, auf der er Tage zuvor Tony beobachtet hatte. Kein Laut war mehr zu hören, als ein gelegentliches Schlüsselklappern eines Professors. Niemand schien ihn hier zu bemerken und William war ganz froh darüber. Er fühlte sich müde und unglücklich. Es war seine Berufung Tony zu erobern, Tony in seine Arme kommen zu lassen, aber langsam hatte er das Gefühl kläglich zu scheitern. Es ging alles zu langsam, er musste handeln, musste endlich den ersten Stein ins Rollen bringen, danach würde doch alles wie mechanisch laufen. Doch was war der erste Stein? Und wie stieß er ihn am besten an? Es gab viele Möglichkeiten, doch nur eine würde auch zum Erfolg führen. William musste abwägen, musste spekulieren. Das hier war nervenaufreibender, als eine Bombe zu entschärfen. Die berühmten drei Hollywood Drähte lagen lang vor ihm ausgebreitet. Welchen kappte er? Den Roten? Den Blauen? Oder womöglich doch den Grünen? Williams Kopf war gefüllt von tausend Ängsten, Hoffnungen und Spekulationen. Wie sollte er je die perfekte finden? Oder war Geduld die Lösung? William hatte keine Geduld, jedenfalls nie für lange Zeit. Seine Geduld war restlos aufgebraucht. Williams Träume waren gefüllt mit Tonys Lächeln. Williams Träume waren gefüllt mit Tonys Stimme. Es machte ihn fast wahnsinnig. Sein ganzes Leben schien auf Tony reduziert worden zu sein. Er seufzte schloss die Augen und legte den Kopf an das Geländer der Treppe. Noch nie in seinem Leben hatte sich William so deprimiert gefühlt. Nicht einmal als seine Eltern zu Weihnachten beide Nachtschicht im Krankenhaus gehabt hatten. Weihnachten alleine zu verbringen, das konnte einem lange Zeit schwer auf der Seele liegen. Oh Will, mein Junge, es tut mir ja wiiirklich leid, aber diese Weihnachten haben wir es ganz schlimm getroffen. Daddy und ich wir müssen beide arbeiten. Aber das wirst du doch verstehen, nicht war mein Junge? Irgendwann bist du auch ein großer Arzt und wirst sehen, wie schön es ist anderen Menschen zu helfen. Und das auch an Weihnachten. Wir sehen uns morgen. Bye bye. William schauderte, fuhr sich wieder mit der Hand über die Stirn. William? Hast du Kopfschmerzen? Du reibst dir ständig die Stirn. Vielleicht solltest du dich mal untersuchen lassen! Aber als angehender Mediziner müsstest du ja eigentlich … „Oh Gott, halt den Mund!“ wisperte William. Sein Kopf wurde von einem leisen lähmenden Schmerz überfallen. Sehr unangenehm und sehr hartnäckig. Von irgendwo her hörte er Schritte, doch William war sich nicht sicher, ob er sich das nicht etwa einbildete. So klar, wie er die Stimme seiner Mutter in seinem Kopf hörte, konnte er vermutlich auch die hallenden Schritte seines Vaters aus der Kindheit heraufbeschwören. Doch langsam dämmerte es William, dass die Schritte viel zu wenig hallten, dass sie viel zu leicht waren, zu weich. Er kniff die Augen zusammen, öffnete sie dann wieder und starrte auf ein Paar Schuhe zu seinen Füßen. „Ist alles okay mit dir?“ Alles fiel wie ein großer Stein von William ab. Die Kopfschmerzen verschwanden wie ein schlechtes Gespenst. Sein Kopf war frei. Verwundert sah er hoch in das Gesicht, dass er in diesem Augenblick nicht erwartet hätte. Tony … „Ja, ja alles in Ordnung, danke.“ Tony lächelte beruhigt. „Ich dachte schon du würdest gleich umfallen. Mein Gott, du sahst wirklich krank aus, aber jetzt“, er legte den Kopf etwas schräg, die Hände in den Hosentaschen, die Umhängetasche lässig an der Seite baumelnd, „scheinst du ja wieder putzmunter.“ „Natürlich, alles in Ordnung“, sagte William und versuchte das angebotene Lächeln würdig zu erwidern. Keine leichte Aufgabe. „Was machst du jetzt noch hier?“ fragte Tony und setzte sich unvermittelt zu William auf die Stufe. William beobachtete ihn dabei. Tausend Gefühle rasten durch seine Nervenbahnen. Nervosität und Freude, waren nur ein kleiner Teil davon. „Ich habe keine Lust nach Hause zu gehen“, gab er zu und versuchte den Blick von Tony zu reißen. Auch das entpuppte sich nicht unbedingt als Kinderspiel. „Ich würde gerne nach Hause“, sagte Tony, sein Blick wurde leicht abwesend. Woran er wohl dachte? Schütte mir dein Herz aus. Ich will es hören. Sag mir alles. „Leider komme ich erst in 10 Monaten wieder dahin. Es ist gar nicht so einfach, das alles einfach stehen und liegen zu lassen.“ „Vermisst du deine Familie?“ fragte William und sah Tony von der Seite an. „Nicht unbedingt. Ich habe nur noch meine Mutter. Ja, die vermisse ich schon irgendwie. Ich lebe ja schon lange in meiner eigenen Wohnung. Und meine Mutter hat mich dann immer jede Woche einmal angerufen.“ Tony blickte kurz zu William auf, lächelte. „Jetzt in dieser Familie zu leben. Mit ‚Mutter’, ‚Vater’ und sogar einem ‚Bruder’, du glaubst gar nicht wie komisch das für mich ist.“ Tony lachte leise und auch William musste unwillkürlich lächeln. „Aber darf ich fragen, wo dein Vater ist?“ Einen Augenblick lang fragte sich William, ob er nicht lieber stillschweigen darüber hätte bewahren sollen, aber warum? Jeder hatte seine Geschichte. „Er sitzt im Gefängnis“, sagte Tony und starrte an die Decke. „Er hat in seiner Firma Drogen geschmuggelt, sehr viele Drogen sogar, bis ihm irgendwann jemand auf die Schliche gekommen ist. Ein Kollege, glaube ich. Er wollte meinen Vater auflaufen lassen und der hat ihn dann kurzerhand erschlagen. Meine Mutter hatte keine Ahnung. Nachdem sie das erfahren hat, da war ich zehn, hat sie mich nur angesehen und geweint. Sie hat wohl gedacht, dass wir den Bach runtergehen würden, weil mein Vater ja immer so viel verdient hatte und sie so wenig. Es war eine ziemlich dumme Situation, aber wir haben das gepackt.“ „Wen vermisst du am Meisten?“ William gingen die Fragen nicht aus. Er hätte ewig so weitermachen können. Statt einer Antwort aber kramte Tony in seiner Tasche und zog sein Portemonnaie heraus. In dem Fach für die Geldscheine hatte er ein Foto stecken. Er reichte es William mit einem traurigen Grinsen. William nahm es entgegen, dachte erst ihn würde der Schlag treffen, bevor er merkte, dass der gut aussehende Typ auf diesem Bild nicht Tyler war. Aufmerksam betrachtete William ihn und sah Tony dann fragend an. „Darrin“, seine Stimme klang belegt, als habe er einen kleinen Schnupfen. „Warum macht er dich so traurig?“ William reichte das Lichtbild zurück. „Oh nein, er macht mich nicht traurig. Ich war nur noch niemals so lange von ihm weg. Er ist mein bester Freund und das seit über 10 Jahren.“ Vorsichtig strich Tony mit einem Finger über das Foto. William beobachtete ihn wie ein Fuchs. Darrin also. Was willst du mir sagen, mein Schöner, mein Liebster? Ist das mein Hindernis? Nichts Gutes bekommt man umsonst. Auch dich nicht? Muss ich ihn erst aus dem Weg räumen, oder ist er die Brücke zu dir? Tony räumte das Foto sanft wieder zurück und sah dann William an. „Komische Geschichten, nicht wahr?“ William schüttelte lächelnd mit dem Kopf. „Nein, manchmal sind die verrücktesten Sachen das Normalste der Welt.“ Tony lachte leise. „Ich glaube nicht, dass dein Vater im Knast sitzt, weil er einen Menschen ermordet hat.“ „Nein“, sagte William, dem Tonys Vater gar nicht unsympathisch war. „Nein, mein Vater ist Arzt. Er versucht Leben zu retten.“ „Und du möchtest in seine Fußstapfen treten?“ fragte Tony, nicht ganz ohne Ehrfurcht. „Nein“, sagte William wieder. „Nein, es ekelt mich an ihm nacheifern zu müssen.“ 27ter November „William! Will!“ William blieb stehen und wandte sich um. Hinter ihm kämpfte sich Tony durch die Menge von Studenten. „Hey“, er blieb vor William stehen und atmete kurz tief durch. „Ich hab dich gesucht.“ „Womit habe ich das verdient?“ fragte William. Tony grinste überlegen, irgendwie so als hüte er ein köstliches Geheimnis, das William niemals ergründen würde. Fast wie ein junges Mädchen, das ihrem frisch gebackenen Ehemann offenbarte, dass es schwanger sei. Vorausgesetzt, der Wunsch nach dem Kind käme von beiden. William musste unwillkürlich auch grinsen. „Tyler will wieder eine Party feiern.“ „Oh“, William fühlte einen Hauch von Missmut durch seinen Körper rauschen. „Ich möchte, dass du kommst, Will.“ „Warum sollte ich?“ fragte William etwas nüchtern und wandte sich ab. Die nächste Vorlesung begann in etwa 10 Minuten. Doch eigentlich konnte er sie gut und gerne sausen lassen. „Weil ich es möchte.“ William schüttelte leicht mit dem Kopf. Die Enttäuschung auf Tonys Gesicht war fast überwältigend. „Das würde nur im Chaos enden“, sagte William entschuldigend und hätte sich selbst dafür ohrfeigen können, dass er sich diese immense Chance entgehen ließ, an Tonys Seite zu sein. „Bitte Will“, sagte Tony und setzte einen flehenden Hundeblick auf, doch William blieb bei seiner Entscheidung. Nicht so, nicht unter Tylers Dach. „Tut Mir Leid, mein Hübscher.“ Er beschloss die Vorlesung doch abzufassen und winkte Tony zu. „Auf Wiedersehen.“ „Aber Will, wenn du es dir anders überlegst: heute Abend 22 Uhr!“ William überlegte es sich nicht anders. An diesem Abend saß er nur in seinem Zimmer, im oberen Stockwerk seines Elternhauses. Er hatte sich an seinem Schreibtisch niedergelassen, den Kopf auf die Arme gelegt und manchmal seine Uhr angestarrt. 22 Uhr war längst vorbei, es ging auf Mitternacht zu, aber William hatte das Gefühl, wenn er sich bewegte, würde er tatsächlich den Weg zum Haus der Browns einschlagen. Das würde nur im Chaos enden. Er hörte seine Stimme ganz deutlich im Kopf. Bitte Will! Nein, nein, das kann ich nicht! Ich würde alles dafür geben bei dir zu sein, verstehst du? Ich würde für dich töten, ja und wenn ich komme, dann werde ich für dich töten, nur für dich. William schloss die Augen. Er konnte sich nicht vorstellen das Haus von Tylers Eltern zu betreten. Er konnte Bilder heraufbeschwören, wie er es anzündete, aber nicht, wie er es ganz normal durch den Vordereingang betrat. Du musst deinen Feind studieren, so hieß es, aber William würde nicht soweit gehen auf feindlichem Territorium herumzuspazieren. Einige Minuten später, als der große Zeiger seiner Uhr auf Mitternacht sprang, erhob William sich und holte aus einer Schublade seines Schreibtisches ein Tagebuch hervor. Und William begann zu schreiben. Liebes Tagebuch, dies ist mein nächster verzweifelter Ruf an dich. Du kannst mir nicht antworten, aber du kannst mir zuhören. Du kannst mir nicht widersprechen, aber ich spüre deine Zustimmung wie die eines guten Freundes. Nur habe ich keinen guten Freund. Ich habe niemanden, nur meine brennende Liebe für Tony. Diese Liebe die mich auffrisst. Ich möchte so gern alles dafür tun, dass endlich etwas ins Rollen kommt. Aber liebes Tagebuch, hätte ich es verantworten können dieses Haus zu betreten. Dieses Haus in dem mein größter Feind lauert? Mein größter HIESIGER Feind, wohlgemerkt. Ach weißt du, selbst wenn ich hier mit einfachsten Mitteln Tyler von der Bildfläche streichen könnte, dann käme sicherlich der nächste! Dieser Darrin, dieser Kerl, der meinem Tony Tränen in die Augen treibt. Meint er wirklich, ich würde nicht merken, dass er ihn liebt? Das ist mir unbegreiflich. Warum sieht er mich nicht? Warum fängt er nicht endlich an mich zu lieben? Was muss ich für Geschütze auffahren, dass er beginnt zu begreifen. Tony ist noch fast ein ganzes Jahr hier. Ich weiß, Ende Juli, Anfang August wird er wieder gehen. Zurück zu seinem „besten Freund“. Das glaubt er doch selbst nicht! Bester Freund, pha! Tagebuch wie kann das sein? Jeder unwürdige Idiot kann Tonys Gefährte sein und ich? Was ist mit mir? Ich versinke in Einsamkeit und Kummer, verzehre mich in meiner Liebe zu ihm, die er nicht einmal zu bemerken scheint. Ich muss ihm die Augen öffnen, egal was dafür auf mich zukommt. Am Ende muss Tony mich lieben. Ich bin zu allem bereit. Gott hat mich vor diese Aufgabe gestellt, wenn es ihn gibt. Und wer auch immer diese Aufgabe sonst gestellt haben mag, ich werde sie würdig zu Ende bringen. Ich werde Tony haben, lieben, besitzen, mit Haut und Haaren. Er ist für mich bestimmt. Nur für MICH. Tagebuch ich weiß, dass ich Recht habe. Ich weiß es und ich spüre, wie du mir zustimmst. Ich spüre dein Nicken, wie das Nicken eines wohlwollenden Freundes. Nur du verstehst mich. Und es ist eine Wonne. Papier ist geduldig und Geduld ist eine Tugend, die ich dringend brauche. Wenn ich mein Vorhaben zum Erfolg bringen will, dann brauche ich viel Geduld dafür. Mir darf keine staatliche Distanz dazwischenfunken. Ich muss sauber arbeiten. Der perfekte Mord … Beta Version 16.08.2010 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)