Der Drachenkrieg von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 17: Die Irrwege der Liebe --------------------------------- An den Webmaster: Ich habe möchte diesen Fanfic unter dem Pseudonym "El Jugador" veröffentlichen. Danke. Es dauert ziemlich lange, bis ich ein Kapitel fertig habe, nicht? Tut mir Leid, aber momentan gibt's einfach viel zu tun. Bin schon gespannt, wie dieses hier ankommt... besonders das Ende. Vermutlich werd ich wieder ein paar Morddrohungen bekommen. Dann muss ich mich eben mit Nr. 18 mehr beeilen, um eure Wut zu dämpfen. Viel Spaß und reviewt fleißig. Der Drachenkrieg Folge 17 - Die Irrwege der Liebe Ist es nur ein Traum oder ist es Wirklichkeit? Nachdem Van und ich unsere Differenzen bereinigt hatten, schien alles bergauf zu gehen. Das Auftauchen der Guymelef-Werkstatt über dem Schlachtfeld hat beide Heere völlig verwirrt, sodass Van Juseela angreifen konnte. Allen konnte Serena davon überzeugen, dass sie Dilandau nicht mehr braucht und Merle hat Llorin dem Katzenmenschen endlich ihre Liebe gestanden. Dann jedoch explodierte plötzlich die Letzte Waffe, weil Juseela durch die Erscheinung ihrer Schwester, Vans Mutter Varie, abgelenkt wurde und erschütterte alles in der Umgebung. Oh Van, bist du wohlauf? "Was für ein Wahnsinn!", murmelte Dryden, während er abwechselnd auf das Schlachtfeld unter ihnen mit seinen unzähligen Leichen und zerfetzten Metallteilen und Vans Luftkampf mit den Drachen über ihnen sah. "Sobald die Drachenvolkkönigin besiegt ist, gehen wir hinunter und beenden ihn!", versprach Millerna, die neben ihm stand. Nachdem Allen mit Sherezade aus der Rampe gesprungen war, waren sie und Hitomi unter Drydens Anleitung auf die Brücke gegangen, um einen besseren Überblick über das Geschehen zu haben. "Sofern es uns gelingt", flüsterte Dryden düster. Seit dem Zeitpunkt, als er gemerkt hatte, wie viele Intrigen ihm das Regieren in Pallas erschwerten, hatte Millerna ihn nicht mehr so schwermütig gesehen. "Jetzt sei mal nicht so pessimistisch!", schimpfte sie und knuffte ihn an der Schulter. "Ein Kö... Regent sollte seinen Leuten Mut machen!" "Stimmt", erwiderte Dryden und warf einen nachdenklichen Blick zu Escaflowne. "Er sollte wie Van mit gutem Beispiel vorangehen." "Untersteh dich!", brauste Millerna auf. "Van wurde von Kindesbeinen an als Kämpfer erzogen! Wenn du dich in den Kampf stürzen würdest, würdest du im besten Fall schwer verletzt werden! Und wer soll dann den Krieg da unten beenden?" Als sich der Kaufmann zu ihr umdrehte, erschrak Millerna wegen seines Gesichtsausdruckes. Obwohl er lächelte, spiegelten seine Augen große Trauer wider. "Seltsam", meinte er. "Einen Moment lang habe ich tatsächlich geglaubt, Sorge um mich in deiner Stimme gehört zu haben." Er lachte kurz, aber es klang hässlich. "Kurios, nicht wahr?" Millerna drehte sich rasch um. Sie wollte nicht, dass Dryden ihr Gesicht sah, auf dem widersprüchliche Emotionen gegeneinander kämpften. Erst musste sich der Gefühlsstrudel, den Eries' Tod in ihr aufgewirbelt hatte, beruhigen, dann erst konnte sie ihm antworten. Sie biss sich kurz auf die Lippe und als sie ihre Augen öffnete, fiel ihr Blick auf Hitomi. Das Mädchen vom Mond der Illusionen kniete weiter drinnen im Raum und schien am Geschehen draußen nicht interessiert zu sein. Statt dessen schien sie zu beten, was die Ispano misstrauisch verfolgten. Sie schienen nicht zu wissen, was sie davon zu halten hatten. "Hitomi?", fragte die letzte Prinzessin Asturias vorsichtig und trat auf ihre Freundin zu. "Was machst du da? Betest du für Van?" "Ja", entgegnete die junge Frau, öffnete ihre smaragdgrünen Augen und sah Millerna damit an. "Ich bete, dass er nicht gerade jetzt stirbt. Nicht jetzt." "Das brauchst du nicht, Hitomi", wehrte Millerna lächelnd ab. "Van weiß sich schon zu helfen. Und er hat schließlich schon öfter gegen eine feindliche Übermacht gekämpft." "Aber noch niemals gegen eine so große", flüsterte Hitomi. "Was ist, wenn...?" In diesem Moment stieß Dryden einen unschönen Fluch aus. Alarmiert sahen beide Frauen zu ihm hin. "Die Drachen haben Juseelas Schiff völlig eingekreist!", berichtete der Kaufmann aufgebracht. "Jetzt kommt Van nicht mehr an sie heran. Was sollen wir jetzt machen?" Millerna stand sofort auf und ging zu ihm hin. Auch wenn Dryden nicht gerade der geborene Militärexperte war, wusste er doch genug von Schlachten, um zu erkennen, wenn es kritisch wurde. Darin hatten sie in der Vergangenheit genug Beispiele gesehen. Als Hitomi jedoch aufstehen wollte, verschwamm der gesamte Raum plötzlich vor ihren Augen. Sie hatte nicht einmal Zeit, "Oh nein!" zu sagen, bevor die Vision sie gefangen nahm. Seltsamerweise blieb das Bild vor ihr, nachdem es sich wieder stabilisiert hatte, nahezu gleich. Die Brücke war unverändert, auch das Bild außerhalb des Fensters, soweit Hitomi das sagen konnte. Nur waren die herumwuselnden Ispano, Millerna und Dryden verschwunden. Dafür stand ein hochgewachsener, weißhaariger Mensch plötzlich im Zimmer. Auch wenn er ihr den Rücken zudrehte, erkannte sie ihn sofort. Viel zu deutlich hatte sich sein Profil in ihr Gehirn eingebrannt, damals in Zaibach. "Folken!", flüsterte sie erschrocken. Sie ahnte, dass das kein Freundschaftsbesuch war. Kein Geist erschien, wenn es nicht ernst war. "Was...?" Dann drehte er sich zu ihr um und seine ernste Miene beendete den Satz. Wortlos deutete er auf den Platz neben sich. Hitomi taumelte hoch, ohne den Blick von ihm zu nehmen. Dann ging sie langsam auf ihn zu. Ihr war klar, dass ihr nicht gefallen würde, was er ihr zu sagen hatte. Aber das war ja nichts Neues. "Sieh hinaus!", verlangte er mit einer einladenden Geste, während er selbst seinen undeutbaren Blick auf sie gerichtet hielt. Sie gehorchte. Was sollte sie auch sonst tun? Und sie erschrak. Draußen herrschte so helles Licht, dass sie geblendet die Augen schließen musste. Jedoch ließ es schnell nach und so konnte sie es schon nach wenigen Sekunden wieder wagen, die Augen zu öffnen. Seltsamerweise sahen ihre Augen sofort wieder scharf, als wären sie nie geblendet worden. Einen Moment später riss sie sie so weit auf, wie sie konnte. Van! Er fiel bewusstlos dem Boden entgegen! Offenbar war er von einer Druckwelle von Escaflowne, der neben ihn gen Boden fiel, geschleudert worden! Bevor sie jedoch schreien konnte, machte Folken eine rasche Handbewegung und das Bild erstarrte. Hitomis Kopf fuhr herum und fixierte Vans Bruder. Dieser verzog nicht einen Miene, obwohl die Mischung aus Wut und Angst auf ihrem Gesicht unfehlbar auf Ärger hindeutete. Nun, ER hatte ja wohl nichts zu befürchten. "Was soll das?", fragte das Mädchen mit zitternder Stimme, die ihre funkelnden Augen Lügen strafte. "Wieso... wieso zeigt Ihr mir das, Folken?" "Weil es gleich geschehen wird", teilte ihr der Geist mit. Täuschte sie sich, oder hörte sie Bedauern aus seiner Stimme heraus. "Van wird sterben, Hitomi... wenn du es nicht verhinderst." "Wie?" "Zuerst muss ich dir eine Frage stellen." Folkens Gesicht verdüsterte sich, als hätte er noch etwas Schlimmeres anzukündigen. Eigentlich kaum vorstellbar, aber es beruhigte Hitomi nicht gerade. "Und ich muss dich bitten, ehrlich zu antworten, Hitomi. Viel hängt davon ab." "Dann macht schnell!", verlangte Hitomi. "Wenn es der einzige Weg wäre, Vans Leben zu retten, Hitomi... würdest du dann für ihn sterben?" "Ja!" Hitomi war im ersten Moment selbst erstaunt, wie schnell die Antwort aus ihr hervorschoss und mit welcher Sicherheit sie untermauert war. Aber im nächsten Augenblick erkannte sie, dass es die Wahrheit war. Sie konnte und wollte nicht mehr in einer Welt ohne Van leben. Sie könnte es nicht ertragen, wenn er sterben würde. Und ihr eigenes Leben wäre nur ein geringer Preis für seines. So erschreckend diese Gedanken auch waren... sie fühlte, dass sie der Wahrheit entsprachen. "Ja!", erklärte sie, nun gefasster. "Was muss ich tun?" Kurz hielt Folken seine Leichenbittermiene noch aufrecht, aber dann verzogen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln. "Nun hast du den Beweis, Mutter", flüsterte er. "Es tut mir Leid, dass ich das fragen musste, Hitomi. Aber meine Mutter wollte ganz sichergehen, ob du wirklich die geeignete Gefährtin für Van bist, auch wenn ich von Anfang an davon überzeugt war. Es ist nicht nötig, dass du für ihn stirbst." Er deutete aus dem Fenster. "Aber es wird dir dennoch einiges abverlangen, ihn zu retten. Du musst Escaflowne steuern." Hitomi glaubte sich verhört zu haben. "Wie bitte?", kam es aus ihr hervor. "Wollt Ihr mich auf den Arm nehmen, Folken? Ich kann diese Höllenmaschine nicht bedienen! Und selbst wenn... wie sollte ich zu ihm kommen?" "Du musst ihn nicht körperlich steuern, Hitomi", erklärte Vans Bruder geduldig. Allmählich erkannte Hitomi, wieso Van wegen Folken früher immer aus der Haut gefahren war. "Weißt du noch, wie Van damals im Gefängnis von Zaibach Escaflowne gerufen hat? Mittels seiner Verbindung. Und die musst du auch benutzen." "Aber ich bin nicht mit Escaflowne verbunden, Folken", entgegnete Hitomi verzweifelt. "Was verlangt Ihr da von mir?" "Nein, mit Escaflowne nicht", stimmte der Draconier zu. "Aber mit Van. Oder etwa nicht?" Hitomi wollte schon etwas entgegnen, schloss den Mund dann jedoch wieder. Natürlich hatte sie mit Van eine Verbindung. Mit wem sonst, wenn nicht mit ihm, dem Mann, den sie liebte? Aber war das dasselbe? "Ist diese Verbindung nicht anders als die, die Van mit Escaflowne hat?", fragte sie zögernd. "Schließlich sind die beiden doch mehr..." Sie errötete tatsächlich! "... körperlich miteinander verbunden, oder? Einer erleidet den Schmerz des anderen." "Und ist das wirklich so anders als bei euch?", stellte Folken sanft eine Gegenfrage. "Kannst du es denn nicht schon seit langer Zeit fühlen, wenn Van leidet?" Hitomi wollte widersprechen, dann jedoch überlegte sie. Natürlich! Sie hatte schon vor fünf Jahren Vans Schmerz fühlen können, als Folken starb. Vielleicht war das ihr Wunsch gewesen, den Dornkirks Maschine ihnen erfüllt hatte... sie geistig zu verbinden. So hatten sie auch Kontakt halten können, als Hitomi wieder zur Erde ging... bis sie diese Gabe aus Angst wieder verloren hatten. Aber all die Monate, in den sie diese quälende Einsamkeit hatte spüren müssen... war das wirklich nur ihre eigene gewesen? Oder hatte sie, ohne es zu wissen, etwas von Vans Gefühlen für sie aufgefangen? "Ich will nicht sagen, dass es einfach werden wird, Hitomi", unterbrach Folken ihre Gedankengänge. "Aber du bist die einzige, die Van noch retten kann. Wir alle wünschen dir Glück." Damit verblasste das Bild des Draconiers und machte wieder den vertrauten Silhouetten von Millerna und Dryden Platz. Die beiden hatten offenbar nicht mitbekommen, was mit Hitomi passiert war, da ihre Blicke viel zu sehr von Vans Luftkampf dort draußen gefesselt waren. Gut, dann musste sie sich wenigstens keine störenden Fragen anhören. Hitomi wollte gerade den Kopf Richtung Fensterscheibe drehen, als die Explosion erfolgte. Hätte sie nicht schnell die Augen geschlossen, dann wäre sie wohl nicht so glimpflich weggekommen wie in ihrer Vision. Aber zum Glück war sie vorbereitet gewesen. Es war ja auch nicht so, dass sie die Augen jetzt wirklich brauchte. Alles, was jetzt noch zählte, war der Wille. Zwar hatte sie ihren Anhänger nicht mehr, mit dessen Hilfe sich früher ihre Wünsche erfüllt hatten, aber Van hatte ihn. Vielleicht gelang es ihr ja, auf ihrer... Verbindung, wie Folken es genannt hatte, Kontakt zu dem Juwel zu bekommen. Dann würde Escaflowne möglicherweise durch Van auf ihre Befehle reagieren. Vielleicht. Sie schürzte ärgerlich die Lippen und konzentrierte sich. Es gab kein Vielleicht! Entweder sie rettete Van oder... daran wollte sie lieber nicht denken. Mit aller Kraft stellte sie sich Van vor, seine rostfarbenen Augen, die sie mit seiner unverkennbaren Distanz musterten, die er immer mit Arroganz zu überspielen versuchte, sein schwarzes Haar, seine kräftigen Arme, sein von einem roten Hemd und einer Hose bedeckter Körper, sein Schwert, sein Lächeln... und der Anhänger, den er auf der Brust trug. Kurz war ihr so, als würde ihr schwindlig werden, aber dann erkannte sie, dass dass Vans Bewusstlosigkeit war. Sie hatte ihn tatsächlich erreicht! Sie verlor aber keine Zeit damit, sich in Glücksgefühlen zu aalen, denn noch hatte sie nicht gewonnen. Schnell faltete sie die Hände. Bitte, betete sie mit aller Inbrunst, zu der sie fähig war. Bitte hilf mir, Escaflowne! Van braucht dich! Er wird sterben, wenn ich dich nicht erreiche! Du musst ihn auffangen, hörst du? Du musst ihn auffangen, sonst wird er sterben... und wer weiß, was dann aus ihm wird... und aus mir. Die letzten Worte fügte sie erst nach einem kurzen Zögern hinzu, aber sie kamen absolut ehrlich von Herzen. Später wollte sie sich nie darauf festlegen, aber sie glaubte, dass es diese Worte gewesen waren, die sie Escaflowne erreichen ließen. Sie fühlte, wie ihr Anhänger plötzlich in seinem warmen rosa Glanz erstrahlte und zeitgleich sein Gegenstück an Escaflownes Brust aufleuchtete. Und im nächsten Augenblick war sie in Escaflowne. Sie war erstaunt, dass sie so schnell hierher gekommen war, auch wenn es nur im Geist war, aber sie hielt sich nicht mit einer Besichtigungstour auf. Schnell sah Hitomi nach draußen. Nach einem kurzen Blick sah sie Van, der bewusstlos dem Boden entgegenraste. Escaflowne war dicht hinter ihm und würde ihn zerquetschen, wenn er den Aufprall überhaupt überlebte, was nicht wahrscheinlich war. Und sie fielen SCHNELL! Hitomi hatte keine Ahnung, wie sie Escaflowne bedienen musste, aber sie war durch ihre Wünsche so weit gekommen, also wollte sie es auch weiterhin so halten. Mit aller Kraft stellte sie sich Escaflownes Drachenform vor, die majestätisch über der Erde schwebte, fest in der Hand seines Lenkers. Und tatsächlich merkte man, dass Escaflowne nun nicht mehr steuerlos dem Boden entgegenfiel, sondern seinen Fall abbremste. Aber das durfte er nicht, fiel ihr siedendheiß ein. Sofort dachte sie an das Triebwerk, das versteckt in dem Guymelef angebracht war und die Schnelligkeit, mit der sie, Van und Allen aus Zaibach geflohen waren. Als sie hörte, wie etwas metallisch unter ihr klickte, sah sie sich wieder nach Van um. Er war dem Boden schon sehr nahe gekommen! Sofort befahl sie Escaflowne kraft ihrer Gedanken, ihm zu folgen. Sie hoffte... nein, flehte, dass sie nicht zu spät kommen würde. Escaflowne konnte unglaublich schnell sein, wenn sein Triebwerk auf volle Kraft beschleunigte. Aber bis es so weit war, brauchte er wie jedes schwere Transportmittel seine Zeit, um Fahrt aufzunehmen. Und diese Sekunden wurden für Hitomi zu den längsten ihres gesamten Lebens. Es kam ihr vor, als könnte sie sehen, wie Van immer kleiner wurde, während sie nicht vom Fleck kam. Beinahe hätte sie die Augen geschlossen, weil sie schon fürchtete, er würde gleich am Boden aufprallen, aber dann riss sie sie auf. Nein, sie durfte sich jetzt nicht ihren Zweifeln überlassen. Das würde Van unweigerlich töten! Und im selben Moment, als ihr Wille wieder erstarkte, flog Escaflowne los, mit Höchstgeschwindigkeit nach unten. Es war wahrlich ein Wettrennen, denn Van war nun ein beachtliches Stück gefallen, obwohl es nur drei oder vier Sekunden gewesen sein konnten, die Hitomi verloren hatte. Aber Hitomi machte sich keine Gedanken über den Aufprall, sondern lenkte das ispanische Wunderwerk in gerader Linie der Erde zu. Als sie Van eingeholt hatte, streckte sie den Arm aus und hätte ihn beinahe gepackt, bevor sie sich daran erinnerte, dass ihn das vermutlich zerquetschen würde. Statt dessen setzte sie alles auf eine Karte: Sie wandelte den ehernen Drachen mitten im Flug und fing Van mit der ausgestreckten Handfläche auf. Die Erleichterung währte allerdings nur kurz, als sie zu Boden sah. Ihren Reflexen folgend versuchte Escaflowne den Absturz zwar noch abzufangen, aber es war schwierig, gleichzeitig mit allen Mitteln zu bremsen und Van sicher zu halten. Der Aufprall war grauenhaft hart und Hitomi fühlte, wie sich ihr Bewusstsein durch den Schock von Escaflowne löste und in ihren eigenen Körper zurückkehrte. Dennoch stemmte sie sich mit aller Kraft dagegen. Sie musste, MUSSTE einfach wissen, wie es Van ging. Vielleicht hatte ihn der harte Aufprall ja... aber Erleichterung durchströmte sie wie Wasser, als den leichten Schwindel von vorher wieder spürte. Er lebte! Er war zwar noch immer bewusstlos und nicht einmal das konnte seine Schmerzen völlig dämpfen, aber er lebte! Sie hatte es geschafft! Sie hatte Van gerettet! Leise seufzend kehrte sie in ihren Körper zurück und fiel mit einem seligen Lächeln in ihre wohlverdiente Ohnmacht. Nicht zum ersten Mal, aber so ziemlich am dringendsten bisher wünschte sich Allen Shezar, dass sein Guymelef wie Escaflowne fliegen könnte. Er beherrschte Sherezade zwar wie kein zweiter, aber auf einem Schlachtfeld wie diesem wäre es eine große Erleichterung, über die Kämpfer hinwegfliegen zu können. Besonders, wenn man so verletzliche Fracht bei sich trug wie jetzt. Serena und Merle saßen aneinandergekauert auf der linken Hand des Guymelefs, die Allen beschützend an die eiserne Brustplatte presste, während Llorin bewusstlos zu ihren Füßen lag. Allen bezweifelte, dass man dem Katzenmann würde helfen können, wenn sie nicht bald hier rauskamen und einen Heilkundigen fanden. Er wusste auch nicht, ob man es überhaupt wagen sollte, aber Merles Blicke, die sie dem Kämpfer zuwarf, würden wohl letztendlich entscheiden. Er konnte ihr nicht ihren Liebsten wegnehmen... nicht, nachdem er Serena zurückgeschenkt bekommen hatte. Allerdings war jetzt nicht die Zeit für Sentimentalitäten. Das Schlachtfeld war momentan ein einziges Chaos. An manchen Stellen waren wieder Zweikämpfe entbrannt, aber der größte Teil der Kämpfer wusste nicht, was er tun sollte vor lauter Panik. Viele von ihnen hatten dieses tödliche Licht erkannt, das so plötzlich über dem Schlachtfeld aufgetaucht war, auch wenn die Explosion gottlob zu hoch gewesen war, um hier unten Schaden anzurichten. Die Angst vor der Letzten Waffe war noch immer so groß wie damals in der Endschlacht des Großen Krieges... zurecht. Allein diese Angst hatte die Kämpfer beider Seiten bis jetzt aufgehalten, den Krieg erneut zu beginnen. Aber er wusste nicht, wie lange das noch anhalten würde. Mit Sicherheit nicht so lange, bis er von hier verschwunden war und mit nur einer Hand und den drei Menschen würde jeder Kampf ein nahezu unüberwindbares Hindernis darstellen. Doch er musste sie irgendwo in Sicherheit bringen, deshalb lief er, so schnell er es wagen konnte, über die Ebene, vorbei an Guymelefs, die ihn zum Glück nicht angriffen. Nur wie lange noch? Dann zwang sich plötzlich etwas Bekanntes in sein Blickfeld, sodass er ruckartig stehen blieb. Escaflowne! Er stürzte ab! Und gleich darauf entdeckte er Van, der anscheinend bewusstlos unter dem Guymelef in den Tod stürzte! Die Druckwelle der Explosion musste ihn erwischt haben! Automatisch rannte Allen los, hoffend, dass Merle und Serena Llorin davor bewahren konnten, hinunterzufallen. Einen Moment lang fragte sich, ob er wirklich die Leben der drei gefährden wollte. Er konnte Van nicht retten, dazu war er viel zu weit entfernt. Und spätestens wenn die gigantische Masse des Guymelefs auf ihn fiel, war der Junge verloren, wenn er nicht schon beim Sturz starb. Aber sein Militärinstinkt ließ ihm keine Wahl: Er konnte und wollte seinen Kameraden und Freund nicht einfach im Stich lassen. Er war erst einige Schritte weit gekommen, als Escaflowne plötzlich im Sturzflug lebendig wurde. Allen war so überrascht, dass er beinahe stehen geblieben wäre, aber glücklicherweise tat er es nicht, sonst wären ihm seine Schutzbefohlenen höchstwahrscheinlich durch die Finger gerutscht. Was war denn das? War Van etwa doch nicht bewusstlos? Konnte er den Guymelef noch immer steuern? Aber warum ließ er dann nicht einfach seine Flügel wachsen und landete selbst? Nein, hier war irgendetwas sehr seltsam. Trotz ihrer gefährlichen Situation waren auch Serena und Merle über das Ereignis erstaunt, denn sie riefen Allen einige Fragen zu, von denen er allerdings keine einzige verstand. Er war viel zu gefesselt davon, zuzusehen, wie sich Escaflowne in seine Drachenform verwandelte, kurz im Sturz anhielt und dann mit großer Geschwindigkeit wieder abwärts zu schießen. Glücklicherweise sahen auch die meisten Kämpfer auf seinem Weg dem Fall zu, sodass sich ihm niemand entgegenstellte, während er der Stelle, wo der Absturz enden würde, langsam immer näher kam. Er hoffte, dass irgendeine höhere Macht Escaflowne lenkte, denn er selbst konnte Van unmöglich retten. Durch seine große Geschwindigkeit hatte Escaflowne nun beinahe erreicht, dieser war allerdings auch nicht mehr sehr weit vom Boden entfernt. Im ersten Augenblick schien es, als wollte der Guymelef Van mit den Klauen auffangen, was diesen wohl sofort getötet hätte. Allen hielt den Atem an, während Merle einen angsterfüllten Schrei ausstieß, aber die höhere Macht schien ihre Gedanken erraten zu haben. Escaflowne wandelte sich mitten im Sturzflug und seine Hand fing den bewusstlosen König von Farnelia sanft auf, kurz bevor dieser am Boden aufschlug. Zwei Sekunden später verschwanden beide in einer Staubwolke, als der Kampfgigant am Boden aufschlug. Allen verdoppelte seine Anstrengungen, stieß sogar einige andere Guymelefs zur Seite und handelte sich damit einige Aufmerksamkeit ein, die er eigentlich nicht haben wollte. Doch im Moment war das vollkommen egal. Er musste wissen, ob Van noch lebte oder nicht, alles andere zählte momentan nicht. Zum Glück traute sich offenbar niemand in die Nähe der Absturzstelle. Nun, verständlich nach allem, was heute passiert war und außerdem günstig für ihn. Mit einem gewaltigen Sprung setzte Allen über einen gefallenen Guymelef hinweg und kam keuchend bei der Absturzstelle an. Auf den ersten Blick schien er zu spät zu sein. Seine suchenden Augen fanden sofort Vans leblosen Körper, der noch immer auf der ziemlich verrenkten Hand Escaflownes lag. Beide schienen nicht mehr am Leben zu sein, der Guymelef mit seinen geborstenen Metallteilen ebenso wenig wie Van mit seinen unzähligen blutüberströmten Wunden. Dann jedoch, wie zur Bestätigung des Gegenteils sah er, wie der rosa Energist an der Brust des Guymelefs schwach, aber doch pulsierte. Dann musste Van folglich dank der Verschmelzung mit Escaflowne ebenfalls noch am Leben sein! "Van!", rief Merle, der das offenbar noch nicht aufgefallen war, mit anscheinend tränenerstickter Stimme. "Oh, Van, nein! Bitte nicht!" "Er ist nicht tot, Merle", beruhigte er sie laut. Jedenfalls hoffte er das. Ganz sicher war er sich trotz allem nicht. Dann senkte er seine linke Hand langsam zu der von Escaflowne, auf der Van lag. "Sieh selbst. Ihr beide müsst ihn sofort zu euch hinüberziehen! Wir müssen hier weg!" Aber Merle traute sich offenbar nicht in die Nähe des Königs von Farnelia oder sie glaubte, dass er tot war, denn sie blieb mit zuckenden Schultern sitzen, die Arme um Llorin geschlungen. Deshalb kroch Serena vorsichtig auf die andere Hand und fühlte Vans Puls. Allens Erleichterung kannte keine Grenzen, als sie sich umdrehte und ihm lächelnd zuwinkte. Dem Ritter des Himmels fiel ein Stein in der Größe der Guymelef-Werkstatt vom Herzen. Er lebte noch! Van lebte! Serena zerrte den Körper so rasch es mit seinen Verletzungen möglich war, auf Sherezades Hand herüber, wo sie ihn neben Llorin hinlegte. Merle, die nun ebenfalls begriffen hatte, dass Van noch immer lebte, behinderte sie dabei ziemlich, weil sie den König heulend umarmte, wodurch die Last noch schwerer wurde. Irgendwie schafften sie es aber schließlich doch, die beiden Verletzten sicher unterzubringen, sodass Allen die Hand wieder hochheben konnte. Jetzt erst sah er sich wieder auf dem Schlachtfeld um. Es sah nicht sehr gut aus. Offenbar hatten einige der Kämpfer inzwischen ihre Verwirrung abgestreift, denn sie kämpften bereits wieder und immer mehr schienen ihrem Beispiel folgen zu wollen. Allen presste die Lippen aufeinander. Das war schlecht. Wenn die Kämpfe jetzt wieder losgingen, dann hatten sie kaum eine Chance, hier wieder rauszukommen. Dann würde er kämpfen müssen. Noch dazu waren sie sehr nahe an der Front zwischen Asturiern und Zaibachern. Konnte denn nicht EINMAL etwas einfach sein, fragte er sich zynisch. "Asturier! Zaibacher! Hört her! Hier spricht Millerna Aston, Regentin von Asturia!", erschallte plötzlich eine königlich wirkende Stimme übermenschlich laut über dem Schlachtfeld. Allen zuckte zusammen, ebenso wie einige andere Kämpfer in seiner Nähe. Ein positiverer Nebeneffekt war, dass die Kämpfe plötzlich aufhörten. Allen begann wieder zu hoffen, wagte es allerdings nicht, sich bereits wieder in Bewegung zu setzen. "Ich befinde mich auf dem riesigen Schiff über euch! Stellt den Kampf ein!", befahl... nein, bat Millerna, auch wenn ihre Stimme ziemlich kräftig klang. "Ich möchte mit den Zaibachern verhandeln." Tatsächlich regte sich nichts mehr auf dem Schlachtfeld. Alle schienen zu warten, was jetzt kam. Die Spannung hätte ausgereicht, um Blitze zwischen den Guymelefs hin- und herzucken zu lassen. "Wie wir in Asturia haben auch eure Herrscher das Angebot einer unschlagbaren Armee erhalten", erklärte Millerna ruhig. "Und ihr habt sie bekommen, die Drachen. Aber sie waren niemals dazu gedacht, euch zu unterstützen, ebenso wenig wie uns. Tatsächlich hatte die Herrin der Drachen, die Königin des Volkes des Drachengottes, nur vor, beide Armeen, die von Asturia und die von Zaibach, hierher zu locken. Um euch dann alle mit der Letzten Waffe auszulöschen." Auf dem Schlachtfeld erhob sich Unruhe. Allen befürchtete das Schlimmste. Wenn die Situation jetzt eskalierte, dann würde nichts sie wieder unter Kontrolle bringen. Millerna musste diplomatisch vorgehen, sonst waren sie alle verloren, ob Vans Tante nun besiegt war oder nicht. Zu seiner Überraschung sprach allerdings nicht Millerna weiter. "Hier spricht Dryden Fassa, Regent von Asturia", drang eine männliche Stimme nun an sein Ohr. "Wir wissen, dass ihr keinen Grund habt, uns zu glauben. Der Hass zwischen unseren Völkern ist einfach noch viel zu lebendig, als dass ihr uns einfach so Glauben schenken könntet. Aber der König von Farnelia, Van Farnel, hat sein Leben riskiert, um die euren zu retten und darum schulde ich es ihm, diesen sinnlosen Krieg hier zu beenden." Er machte eine kurze Pause, in der Allen sich über die wohlgesetzten Worte des Kaufmanns wunderte. Vielleicht hatte er Dryden doch all die Jahre unterschätzt. "Asturier! Wollt ihr wirklich gegen die Zaibacher kämpfen? Ich habe Geschäfte mit ihnen gemacht und weiß, über welch fortschrittliche Technik sie verfügen. Glaubt mir, egal, für wie tapfer und stark ihr euch auch haltet, ihr würdet keinen leichten Sieg erringen. Zaibacher! Seht die Sache realistisch. Euer Land ist am Ende. Vielleicht könnt ihr diese Schlacht hier gewinnen, aber dann habt ihr eure letzten Reserven verbraucht, weil die beiden Heere etwa gleich groß sind. Jedes andere kleine Land könnte euch dann einnehmen. Falls es überhaupt jemand will. Weil euer Land unter dem ständigen Krieg ausblutet. "Egal, wer diese Schlacht hier gewinnen würde", fiel Millerna nun wieder leidenschaftlich ein, "niemand wäre der Sieger. Denn beide Seiten würden zu viel verlieren, an Leben ebenso wie an Material. Wollt ihr das euren Ländern wirklich antun? Wollt ihr das euren Völkern antun?" Ihre Stimme sank ab, obwohl sie noch immer über das Schlachtfeld hallte. "Wollt ihr das... euren Liebsten antun?" "Bitte lasst uns diesen Kampf beenden", verkündete Dryden mit klarer Stimme. Die beiden waren ein perfektes Paar, jedenfalls in der Politik, das musste Allen zugeben. "Denkt an euer Zuhause, das ihr riskiert, wenn ihr jetzt kämpft. Zaibacher! Wenn ihr uns jetzt angreift, werden wir unseren Leuten befehlen, Asturia bis zum letzten Mann zu verteidigen! Aber ich gebe hiermit als Regent Asturias unserem Heer den Befehl: Sollten sich die Zaibacher zurückziehen, dann lasst sie ziehen! Jeder Kampf soll vermieden werden! Regentin Millerna Aston und ich wünschen, bald einen neuen Friedensschluss zwischen unseren Ländern auszuhandeln." Zuerst war es aus dem Schlachtfeld so ruhig wie auf einem Friedhof. Dann erklangen einige zornige Stimmen, die allerdings sofort von den ersten zaghaften Jubelrufen übertönt wurden. Nach einigen Sekunden hoben die ersten Guymelefs ihre Schwerter in die Höhe und salutierten in Richtung Guymelef-Werkstatt. Die asturischen Soldaten applaudierten und schrieen Hochrufe. Aber erst als die ersten Zaibacher ebenfalls langsam ihre Schwerter zum Gruße hoben, atmete Allen erleichtert auf. Bis zum letzten Augenblick hatte er nicht daran geglaubt, aber jetzt war es soweit: Der Frieden mit den Zaibachern war zum Greifen nahe. Er hob die linke Hand vorsichtig in die Höhe. "Hoch Millerna Aston und Dryden Fassa!", schrie er aus vollem Hals. "Hoch Van Farnel! Hoch den FRIEDEN!" Und alle in seiner Umgebung stimmten in seinen letzten Ruf ein. Herzog Chid schlich auf leisen Sohlen durch seinen eigenen Palast. Er kam sich ziemlich lächerlich dabei vor, aber das war ihm momentan egal. Den ganzen Tag hindurch hatte die Stadt gefeiert, weil sie nun auch wieder offiziell von Asturia frei war. Als die Helden des Krieges eingetroffen waren, hatte seine Tante Millerna als erstes verkündet, dass Freid nicht auf ihren Befehl hin annektiert worden war und sie sich dafür entschuldigte. Auch Dryden hatte Wiedergutmachung angeboten und Chid hatte natürlich alles vergeben. Danach war ein Festtag ausgerufen worden und Chid hatte pausenlos irgendwo herumsitzen und anstoßen müssen. Zwar nicht mit richtigem Alkohol, so alt war er noch nicht, aber dennoch fühlte er sich nicht mehr ganz wohl von dem ganzen Gesöff. Er schwor sich, nie mit dem Trinken anzufangen. Jedenfalls war er nicht dazugekommen, sich die ganze Geschichte von Anfang an erzählen zu lassen, von niemandem. Alle anderen waren auch die ganze Zeit beschäftigt gewesen. Aber das würde er jetzt nachholen. Dass er dazu nachts wie ein Dieb durch seinen Palast schleichen musste, nahm er in Kauf. Das erste Zimmer, das er erreichte, war das von Lady Merle und dem Katzenmenschen, der Chid auf seinem Drachen zurück in die Stadt geflogen hatte. Einen Moment lang blieb der junge Prinz unschlüssig stehen. Bei diesen beiden konnte er wenigstens sicher sein, dass sie anwesend waren, weil der amputierte Arm des Mannes ihn noch einige Zeitlang ans Bett fesseln würde. Dennoch wusste er nicht, ob er die beiden stören sollte. Am Tage ließ sich Lady Merle durchaus manchmal bei den anderen blicken, aber sobald es Abend geworden war, hatte sie sich mit dem Katzenmann in diesem Zimmer eingeschlossen und war nicht mehr hervorgekommen. Chid war kein Kind mehr, auch wenn er noch lange nicht erwachsen war. Er wusste durchaus, dass Erwachsene nachts in den Schlafzimmern besser nicht gestört werden sollten, da sonst eine peinliche Situation entstehen könnte. Chid errötete bei dem Gedanken, wie Merle ihn vor ein paar Tagen im Wald wie ein Baby schützend an ihre Brust gedrückt hatte. Zum Glück sah ihn niemand. Rasch schüttelte er den Gedanken wieder ab. Nein, er sollte die beiden besser nicht stören. Auch wenn sie DAS dank der Verletzungen des Katzenmannes sicher noch nicht machen konnten, wäre es vermutlich einfach nicht richtig, die beiden zu stören, wenn sie endlich einmal Zeit für sich hatten. Dennoch konnte er es sich nicht verkneifen, kurz an der Tür zu lauschen. Prinz oder nicht, er war noch ein Junge und junge Menschen waren nun mal neugierig. Er hörte leise, sanfte Worte (Anm. des Autors: Und KEIN Matratzenquietschen oder so was, klar? Das ist eine anständige Geschichte!), die er nicht verstand. Nun, das war vermutlich besser so. Ziemlich sicher war diese Unterhaltung sehr privat. Leise schlich Chid weiter. Das nächste Zimmer, in dem einer der Gäste wohnte, war das seiner Tante Millerna, soweit er sich erinnerte. Es war ziemlich stressig zugegangen, als die Zimmer bezogen worden waren, deshalb war er sich nicht ganz sicher, aber er vermutete, dass alle wieder die alten Zimmer bekommen hatten, wie bei ihren früheren Besuchen. Seine Laune hob sich. Millerna würde sicher für ihn Zeit haben. Er hoffte nur, dass sie nicht schon schlief. Als er sah, dass in ihrem Zimmer noch Licht brannte, ging er etwas schneller. Um gleich darauf anzuhalten, als er die Stimme von Dryden hörte, die aus dem Zimmer kam. Nanu? Normalerweise bildeten die zwei doch nur tagsüber ein Paar. So weit er wusste, hatten die beiden bei ihren bisherigen Besuchen die Nacht immer getrennt verbracht. Was war heute nur los? Leise wagte er sich noch etwas näher, damit er etwas von der Unterhaltung mitbekam. Im Gegensatz zu Merle und dem Katzenmann war er hier zu neugierig, um einfach weiterzugehen. "... du dir sicher, dass es dir gut geht, Millerna?" Dryden klang sehr besorgt. "Du warst heute ziemlich gezwungen auf dem Fest." "Mach dir keine Gedanken, Dryden", entgegnete Millerna, aber Chid konnte deutlich heraushören, dass sie erschöpft klang. Dass ihm das nicht selbst aufgefallen war! "Es ist einfach nur etwas viel auf einmal, weißt du? Erst die Friedensverhandlungen mit den Zaibachern, dann das Gericht über diese Verräter in Pallas, heute diese Feier... ich bin einfach nur etwas müde, das ist alles." Sie schwieg einen Moment. "Weißt du, ich hatte noch nicht einmal Zeit, um mir Eries' Leichnam anzusehen." Chids Herz sank ein bisschen. Ja, davon hatte er auch erst gestern gehört. Seine zweite Tante Eries war in Pallas von einem Morph getötet worden, als diese Kriegstreiber die Macht übernommen hatten. Er kannte sie zwar bei weitem nicht so gut wie Tante Millerna, aber ihre Ernsthaftigkeit und Genauigkeit hatten für ihn Vorbildwirkung gehabt. Seltsam, dass man die Menschen manchmal erst dann gern näher kennen lernen wollte, wenn es nicht mehr möglich war. "Allen kümmert sich gut um sie", beruhigte sie Dryden. "Er hat einige Tage lang Totenwache bei ihr gehalten, bis man ihn fast mit Gewalt in seine Kammer bringen musste. Er macht sich Vorwürfe wegen ihres Todes." "Ja, wir müssen irgendwann mit ihm reden", seufzte Millerna. "Aber darum geht es nicht. Weißt du, dass die letzten Male, als ich mit Eries geredet habe, Streitgespräche waren?" Sie schluckte. "Es ist... kein gutes Gefühl, wenn jemand stirbt und so etwas zwischen ihm und dir steht. Ich habe jetzt niemanden mehr, Dryden." "Das stimmt nicht", erwiderte Dryden sanft. "Sieh dir Chid an. Seine Eltern sind auch tot und er hat tapfer weitergemacht. Ist er etwa daran zerbrochen? Nein. Verbring am besten etwas Zeit mit ihm, dann könnt ihr euren Schmerz teilen. Außerdem sind noch viele andere für dich da. Hitomi, Van, Allen, Merle, Gardes und seine Crew volltrunkener Halbaffen..." Millerna lachte kurz auf und es klang ehrlich amüsiert. "Und du, Dryden", fügte sie mit sonderbar sanfter Stimme hinzu. So hatte Chid sie noch nie mit dem Kaufmann reden hören. "Du bist auch für mich da, wenn ich dich brauche. Ich danke dir." "Du weißt, was ich für dich empfinde, Millerna", antwortete Dryden sehr ernst. "Du weißt, dass du dich immer an mich wenden kannst. Ich lasse dich jetzt allein, ja? Gute Nacht." "Gute Nacht." Als ein Stuhl zurückgerückt wurde, schlich Chid schnell weiter durch den Gang. Im Grunde war er sehr froh, dass dieses Gespräch vorbei war, es war ihm... zu persönlich. Hinter ihm wurde die Tür zu Tante Millernas Zimmer geschlossen, er hoffte, von außen. Er hielt erst an, als er Lady Serenas Zimmertür erreicht hatte und lauschte gespannt, ob ihm Schritte folgten. Nein. Vermutlich war Dryden in seinem eigenen verschwunden. Gut, denn obwohl er eigentlich niemandem Rechenschaft schuldig war, hätte Chid nur ungern erklärt, warum er hier mitten in der Nacht herumschlich. Auf die Geschichte von Lady Serena war er ohnehin schon sehr gespannt. Er hatte sie sofort suchen lassen, nachdem er von dem Katzenmann in der Stadt abgesetzt worden war, aber sie war nirgends aufzufinden gewesen. Niemand hatte sie gesehen, alle Welt sprach nur von dem alten Zaibacher Guymelef, der die beiden Drachen besiegt hatte. Und dann war sie plötzlich zusammen mit allen anderen Kriegshelden an Allens Seite aufgetaucht, als wäre das das Natürlichste der Welt. Dabei hatte kein Luftschiff Freid verlassen! Leise klopfte er an. Nichts rührte sich. Ihm sank der Mut. Vermutlich schlief sie schon. Aber seine Neugier war einfach zu stark, also drückte er nach kurzem Zögern die Türschnalle herab und zog die Tür langsam auf. Das Licht brannte jedenfalls noch. "Lady Serena?", flüsterte er. "Seid Ihr wach?" Mit dem Anblick, der seine Augenbrauen hochzucken ließ, hatte er jedenfalls nicht gerechnet. Lady Serena schlief tatsächlich. Sie hatte ihr Nachtgewand angelegt, ein zartblaues Ganzkörpernachthemd, das oben am Hals zugeknöpft wurde. Sie schlief diesmal ohne Decke, deshalb konnte man sehen, wie es sich an ihren Körper schmiegte wie eine zweite Haut. Zum Glück war Chid zwar emotional aufgrund seiner schweren Kindheit schon sehr gereift, allerdings körperlich noch nicht. Darum blieben ihm gewisse peinliche Körperreaktionen erspart. Dennoch musste er schlucken und sein Blick konzentrierte sich auf den Mann, auf dessen Brust der Kopf der jungen Frau friedlich ruhte. Ihr welliges, graues Haar mischte sich dabei mit dem Weiß des Hemdes. Auf Allen Shezars Gesicht lag ein Ausdruck, den Chid sehr selten bei ihm gesehen hatte... eigentlich noch nie. Frieden. Tiefen Frieden. Auch der Ritter des Himmels schlief, wobei seine linke Hand über Serenas Schultern lag und die junge Frau sanft an ihn drückte. Wenigstens war er noch angezogen, was den Schluss nahe legte, dass er hatte bei seiner Schwester bleiben wollen, bis sie eingeschlafen war und sich dann selbst der Kraft des Schlafes hatte ergeben müssen. Chid wusste, wie sehr Allen und seine Schwester aneinander hingen. Schließlich waren ihre Eltern tot und die beiden hatten sich erst vor kurzem wiedergefunden. Es war nur natürlich, dass ihre Liebe sehr stark in ihnen brannte, dennoch fühlte er so etwas wie einen kleinen Stich im Herzen, als er die beiden wie Liebende aneinandergekuschelt liegen sah. Bisher war Allen viel unterwegs gewesen, was bedeutete, dass Lady Serena viel Zeit hier in Freid verbracht hatte... aber irgendetwas sagte Chid, dass diese Zeiten vorbei waren. Das Glück, das die beiden empfanden, machte deutlich, dass sie sich ab jetzt so gut wie nie mehr trennen würden. Seltsam... in den letzten Wochen war ihm Lady Serena mit ihrer gespielt besitzergreifenden Art manchmal gehörig auf die Nerven gegangen. Doch bei dem Gedanken, dass sie von jetzt an so gut wie immer bei Allen bleiben würde, fühlte er sich nicht wohl. Leise schloss der junge Prinz die Tür. Die beiden momentan zu wecken, wäre mehr gewesen als grobe Unhöflichkeit... es wäre ihm beinahe wie ein Sakrileg vorgekommen, diese Ruhe zu stören. Er seufzte. Nun, dann blieben nur noch zwei Leute, an die er sich wenden konnte... aber er bezweifelte, dass ausgerechnet die beiden Zeit für ihn haben würden. Dennoch wanderte er weiter, bis er an die Tür von Hitomi Kanzaki kam. Er hatte es beinahe erwartet, sie nicht vorzufinden, deshalb verzichtete er diesmal auf ein Klopfen und öffnete die Tür lediglich sehr leise. Natürlich, das Bett war unbenutzt. Chid verdrehte die Augen und ging zur Tür nebenan. Hier war Van Farnel untergebracht, aber ehrlich gesagt bezweifelte der junge Prinz, dass die beiden sich hier befanden, obwohl es eigentlich naheliegend wäre. Auch hier waren sie nicht, woraufhin Chid Kurs auf das Fenster gegenüber nahm, das den Garten des Palastes zeigte. Er hörte die Stimmen der beiden schon, als er das Fenster leise entriegelte und öffnete. Er hatte schon geahnt, dass er sie hier draußen finden würde. Der König von Farnelia war einfach jemand, der es nicht aushielt, lange in einem Haus eingesperrt zu sein, wie prächtig es auch sein mochte. Obwohl er sich nach Meinung seiner Ärzte eigentlich noch schonen sollte, bis all seine Wunden aus dem Krieg sauber verheilt waren, hatten er und Lady Hitomi offenbar beschlossen, wie andere Leute in ihrem Alter die beiden Monde anzubeten. "Bist du sicher, dass es klug ist, Van?", fragte Hitomi gerade besorgt. "Was ist, wenn eine deiner Wunden wieder aufbricht?" "Mach dir keine Sorgen", beruhigte sie der König von Farnelia. Chid beugte sich etwas vor. Van sah fast etwas komisch aus, denn er war über und über mit Bandagen versehen. Dennoch wirkte er nicht wie ein Kranker, sondern sehr entspannt, während sein Kopf in Hitomis Schoß ruhte. Die beiden saßen nahe der Schlossmauer im Gras, darum konnte Chid sie gut sehen und hören. Er kam sich fast etwas schlecht vor dabei, aber vielleicht sprachen die beiden ja über den Krieg. Dann musste er sie nicht extra stören. "Mir geht es momentan ausgezeichnet", fügte Van hinzu, woraufhin ihm Hitomi sanft das Haar zerzauste. "Du würdest doch nicht einmal zugeben, dass es dir schlecht geht, wenn du im Sterben lägst", kritisierte ihn Hitomi halbherzig. "Mag sein", meinte Van, verzichtete aber auf das Schulterzucken, sondern sah Hitomi einfach nur ins Gesicht. Dann wandelte sich sein Gesichtsausdruck plötzlich in Ernst um. "Hitomi... als Folken dir in der Schlacht erschienen ist... wie hat er da gewirkt?" Sie schwieg einen Moment, als müsste sie sich erst an diesen Augenblick zurückerinnern. "Er sah genauso aus wie damals im Großen Krieg", berichtete sie schließlich. "Er schien keinen Tag gealtert zu sein. Aber das willst du vermutlich nicht wissen. Nun... er sah irgendwie gelöster aus als früher... als hätte er eine schwere Last abgelegt, die ihn sein ganzes Leben lang bedrückt hat." Nun war Van es, der schwieg. Chid runzelte die Stirn. Folken? Vans toter Bruder? Er war Lady Hitomi in der Schlacht erschienen? Offenbar war das mitnichten ein normaler Kampf gewesen, wenn sogar die Geister Gaias eingegriffen hatten. "Du meinst also, er ist jetzt glücklich", vermutete Van nachdenklich, während er die beiden hell strahlenden Monde am Himmel musterte. "Ich frage mich, ob ich es auch wäre, wenn ich jetzt tot wäre. Wenn du mich nicht gerettet hättest." Zärtlich berührte er mit den linken Hand Hitomis Wange. "Was meinst du damit?", fragte das Mädchen verwundert, während es mit seiner eigenen Hand die von Hand festhielt. "Ich meine damit, dass Folken offenbar Erfüllung gefunden hat", erklärte Van geduldig. "Obwohl es erst am Ende seines Lebens war, hat er getan, was er für das Richtige für Gaia hielt. Dafür durfte er sich zu den Geistern Gaias gesellen und ist jetzt bei den Personen, die ihm etwas bedeuten. Vater, Mutter, seine beiden Katzenmädchen, Wargas... ich glaube, dass er jetzt glücklich ist. Aber ich wäre es nicht." "Warum?" Mit einem Ruck setzte sich Van auf und drehte sich zu Hitomi um. Sein Gesicht sah nun äußerst ernst aus. "Ich meine damit", sagte er so leise, dass Chid ihn kaum mehr sehen konnte, "dass ich, wäre ich jetzt tot, auf ewig bedauern müsste, was ich versäumt habe." Er ergriff Hitomis Hand, welche nun etwas blass geworden war. Offenbar ahnte sie ebenso wie Chid, was jetzt kommen würde. Auch sein Herz begann zu klopfen. "Hitomi Kanzaki", begann Van förmlich. "Als wir uns kennen lernten, schienen wir absolut nicht zusammen zu passen. Ich habe dich gleichgültig behandelt und dich ausgenutzt, während du ungezähltes Leid ertragen musstest. Dann erst, als ich dich beinahe verloren hätte, habe ich erkannt, was für ein Dummkopf ich war. Aber Gaia war dir bereits fremd geworden, deshalb ließ ich dich ziehen, in der Hoffnung, du würdest auf dem Mond der Illusionen glücklich werden. Dann hat uns ein gnädiges Schicksal wieder zusammengeführt, aber wieder war ich es, der unser Glück zerstört hat. Ich habe dich zu Unrecht verdächtigt und dich schwer verletzt und beinahe unsere Welt zerstört. Nichts wird diese Taten jemals wieder von meiner Seele waschen können." Van schluckte. "Dennoch... trotz all dieser Fehler, die ich begangen habe... trotz allem, was du auf Gaia erleiden musstest... frage ich dich, Hitomi: Willst du meine Frau werden?" Es war still in diesem Augenblick. Chids Atem ging so laut, dass er die Luft anhielt. In dieser Stille hätte eine fallende Stecknadel wie ein Donnerschlag gewirkt. Keiner der beiden regte sich, Hitomi versuchte gerade zu begreifen, was sie gehört, und Van, was er eben gesagt hatte. Wäre es nicht so ernst gewesen, es hätte zu komisch ausgesehen. Dann zog Hitomi die Hand zurück und drehte den Kopf zur Seite. Schockiert sah Chid Tränen in ihren Augen funkeln. "Es tut mir Leid, Van", entgegnete sie mit brüchiger Stimme. "Aber ich kann nicht." "Aber warum?" Vans Gesicht war die reine Bestürzung. "Liebst du mich nicht mehr?" "Sei kein Narr", erwiderte sie. "Natürlich liebe ich dich. Ich liebe dich so sehr, dass es beinahe wehtut. Aber ich kann dich nicht heiraten, Van, zumindest nicht jetzt." Sie sah ihn wieder an. "Spürst du es denn nicht? Du hast es doch selbst gesagt, Van. Auf diesem Planeten ist mir so viel Böses widerfahren, dass ich Angst habe. Angst davor, noch einmal verletzt zu werden. Ich... ich weiß, dass ich kein weiteres Mal solchen Schmerz ertragen würde, Van." "Hitomi, ich verspreche dir..." "Nein, tu es nicht, Van!", unterbrach sie ihn. "Du hast es schon einmal getan, weißt du noch? Nach dem Großen Krieg. Und dennoch ist nach meiner Rückkehr wieder alles schiefgegangen. Ich... ich glaube einfach nicht, dass ich hier auf Gaia glücklich werden kann, Van. Ich habe mein Vertrauen verloren." Das Mädchen sah zu Boden. Ihre Stimme klang gepresst. "Deshalb habe ich beschlossen, Gaia zu verlassen, Van. Bitte verzeih mir." Damit drehte sie sich um, stand auf und lief in den Palast zurück. Wie hypnotisiert verfolgte Chid die glitzernde Spur der Tränen, die sie hinter sich herzog. Auch Van war wie er selbst vom Donner gerührt. Auf seinem Gesicht spiegelte sich Unglauben gemischt mit einer Qual, die sich Chid nicht einmal vorstellen wollte. Das war nicht fair, dachte der junge Prinz, während er den Blick abwandte und aus dem Zimmer ging. Das war einfach nicht fair! Die beiden liebten sich! Wieso also verfolgte sie ein solch grausames Schicksal? War es vielleicht tatsächlich so, dass Hitomi auf diesem Planeten nicht glücklich werden konnte? Vergessen war seine Neugier nach dem Krieg, als er in sein Zimmer zurückging. Der Herzog von Freid war viel zu beschäftigt damit, seine rasenden Gedanken unter Kontrolle zu bringen. Er schwor sich, dass, wenn er einmal ein Mädchen kennen lernte, würde er es niemals unglücklich machen. Dann glaubte er mit einem Male eine Stimme zu vernehmen, die er schon seit sehr langer Zeit nicht mehr gehört hatte. Eine Stimme, die ihm sehr vertraut war. Die seines Vaters. "Manchmal können wir nichts dagegen tun, dass die Liebe grausam zu uns ist, mein Sohn", flüsterte sie. "Manchmal passiert es einfach, dass ihre Qualen stärker sind als sie selbst. Aber es liegt an den Menschen selbst, damit fertig zu werden oder nicht..." Als sich Chid mit einem Ruck herumdrehte, stand hinter ihm allerdings niemand mehr. In der nächsten Folge... Die Freunde reisen aus Freid ab... ein großes Abschiedsfest findet in Farnelia für Hitomi statt... ihre Freunde versuchen, sie zum Bleiben zu überreden, aber Hitomi hat sich entschieden... zum ersten Mal tanzt sie mit Van... nach dem Fest bittet er sie um einen letzten Flug mit ihm... nach einem traurigen Abschied verschwindet Hitomi von Gaia... Titel: Zeit der Schmerzen Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)