Edward - Bis(s) der Tag anbrach von Ricchan ================================================================================ Kapitel 5: Ein anderes Leben ---------------------------- Kapitel 5 Ein anderes Leben Um mich herum erleuchteten die Gaslaternen nur kleine Teile der Straßen und Gassen. Der Smog der Firmen hing schwer über den Dächern der Häuser und ließ die Luft darunter warm und stickig werden. Maquette liegt am Oberen See, nähe Chicago. In der Nähe meiner Heimatstadt und in der Nähe der kleinen Hütte in der gestorben und wiedergeboren bin. Aber nun war ich hier, in der kleinen Stadt, mit den vielen Fabriken, die auch einen Großteil der Kriegsproduktion übernommen hatten. Hier in der anderen Welt, in einem anderen Leben, in das ich nie wieder zurückkehren könnte. Doch diese Tatsache stimmte mich weniger traurig als sie eigentlich müsste. Ich genoss mein neues Leben! Aber mein Leben war an diesem Oktober Tag im Jahre 1918 zu Ende gewesen. Ich hatte schon alles verloren! Es gab also nichts, dem ich hätte hinterher trauern können! Ich war mehr in meine Gedanken vertieft – wie so oft in den letzten Monaten – und bemerkte gar nicht die tausenden von Stimmen, die wie ein dumpfes Summen in meinem Kopf wieder hallten. Aus der ferne hörte ich die Turmuhr 4 Mal schlagen. Jetzt war auch die Frage der Uhrzeit geklärt. In einer Stunde würde die Stadt anfangen, wieder lebendig zu werden. Dann ging das ruhige Nachtleben, wieder in die Hand der Tagarbeiter – bis dahin musste ich verschwunden sein! Denn ich wusste, dass ich dem Geruch an sich bewegenden und pulsierenden Blutes, das dann die Straßen erfüllte, nicht wieder stehen könnte. Ich war hier auch nur her gekommen, damit ich mich daran gewöhnen konnte. So wie Carlisle wollte ich auch irgendwann wieder Leben können. Also warum nicht heute direkt beginnen? Ich beugte mich von der Backsteinwand – an der ich bisher gelehnt hatte – weg und wollte gerade los laufen, als ich eine der Stimmen deutlicher vernahm. …Gott sei dank! Der Krieg ist endlich vorbei! Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben! Oh…und mein geliebter Alan wird bald wieder daheim sein! Ich kann es noch gar nicht fassen…Lieber Gott, hab dank, dass… Den Rest blendete ich aus. Der Krieg, der Europa die letzten 4 Jahre in die Hölle der Erde verwandelt hat, war also vorbei. Ich wusste nicht genau warum, aber diese Information lies meine Lippen zucken. Ich musste lächeln, unweigerlich oder nicht. Der Krieg war aus! Mich durchzuckte der Gedanke an meine Mutter. Nur schwach und doch war die Erinnerung noch vorhanden. Ich sah sie in unserer Küche, sie las die Zeitung vom Abend zuvor und weinte. Ich ging auf sie zu, fragte ob sie etwas bräuchte, ob ich etwas für sie tun könnte. Doch sie drehte sich einfach zu mir um und nahm mich in den Arm. Auch sie flüsterte “Lieber Gott… und “…Lass mein Kind nicht sterben!“. Dann rannte sie hinaus. Ich sah auf die Zeitung und auf der Titelseite strahlte mir das ganze Ausmaß des Krieges entgegen. Und darunter stand in dicken schwarzen Buchstaben WehrPFLICHT mit 18 Jahren!… Damals war ich gerade 16 und der Einzug zur Wehrausbildung war ab 17… Ich kam jede Nacht hier her und lauschte auf die Gedanken der Menschen. Am Tage ging ich jagen, da ich nicht riskieren wollte einen Menschen anzufallen, die mir manchmal doch sehr nahe kamen, wenn sie z.B. Betrunken waren – die meiste Zeit hielten sie sich von mir fern, denn ihr Unterbewusstsein erkennt das, was ihr Bewusstsein nicht erfasst. Doch das geschah sehr selten. Nur einmal, ist mir eine von ihnen gefährlich nah gekommen. [Flashback] Heute war ich nicht wie sonst in dem Stadtgebiet der Firmen und Kasernen. Heute wollte ich etwas testen. Ich betrat Marquette direkt nach Sonneuntergang und begab mich in das Stadtzentrum. Dort suchte ich mir eine Straßenecke, die von den Laternenlichtern kaum erfasst wurde. Dort blieb ich, gegen die kalte Wand gelehnt – die für mich aber vollkommen identisch war mit meiner eigenen Haut – und lauschte, so wie immer. Es war hochinteressant die Menschen zu beobachten, zu denen ich doch vor so kurzer Zeit selbst noch gehörte und von denen ich mich nun so sehr unterschied. Es war interessant ihnen zuzuhören, denn ihre Gedanken stimmten nur selten mit ihren ausgesprochenen Worten überein. Es liefen so viele Leute an mir vorbei, die mich einfach nicht bemerkten, dass es für mich und das Ungeheuer ein leichtes gewesen wäre, einen von ihnen zu mir zu locken, mit ihm in der Dunkelheit zu verschwinden und ohne jeden Ton und Zeugen ihm das köstliche Blut auszusaugen. Doch solange sie mir nicht zunahe kamen konnte ich mich auch beherrschen. Plötzlich liefen zwei Mädchen etwas dichter an meinem Versteck im schwachen Laternenlicht vorbei. Zunächst beobachtete ich sie gar nicht, doch dann blieb die eine von ihnen stehen und drehte sich zu mir um. Edward…, hörte ich sie in Gedanken sagen. „Hey Josi! Komm schon! Wir müssen um spätestens 20 Uhr zu Hause sein! Sonst gibt es wieder ärger!“, rief ihre Begleiterin und blieb ebenfalls stehen. „Sofort.“ War die mehr geflüsterte Antwort, von der ich sicher war, das ihre Freundin sie nie verstanden hatte. Josi rührte sich nicht. Dann ging sie auch mich zu. In ihren Gedanken schrie sie meinen Namen im Konflikt mit sich selbst. Ich sah Bilder, Erinnerungen von früher und ich hörte, wie ihre Freundin schrie, sie solle stehen bleiben. In meinem ausgehungerten Magen grollte die Kreatur und ließ den giftigen Speichel in übermengen produzieren. Greif an! Los! Sie ist sooo~ nah~! Greif sie! Beiss sie! Mit aller Macht versuchte ich gegen das anzukämpfen, was mich übermächtigen wollte. Meine Muskeln waren bis aufs äußerste angespannt und die Gedanken der Menschen hier rauschten in meinen Ohren, wie der Geruch ihres pulsierenden Blutes in meiner Nase. Dann stand sie direkt vor mir und ich sprang. Sprang an ihr vorbei – wobei ich sie zu Boden riss – und rannte für die Menschen unsichtbar durch die Stadt in den dahinter liegenden Wald und rammte meinen Kiefer in das nächste Tier, was mir über den Weg lief. Ein junger Elch musste dran glauben. Aber das frische Blut wirkte wie beabsichtigt – es stillte den Durst und schaffte mir einen klaren Kopf. Vor meinem inneren Auge flimmerten noch immer die Bilder aus Josi’s Gedanken. Josephine Staker. Tochter des Richters Peter Staker, der meinem Vater oft in schwierigen Fällen unterstützt hatte. Wir waren gemeinsam in den Kindergarten gegangen. Doch dann sind sie umgezogen. Jeden Sommer kamen sie zu besuch und das erste Jahr der High School durfte wir sogar zusammen verbringen. Mir war damals schon bewusst gewesen wie sehr sie in mich verliebt war, aber für mich, war sie immer nur eine Freundin. Gesagt hatte sie es mir nie. Und nun, da ich ihre gesamten Erinnerungen gesehen habe, prallten ihre Gefühle nur so auf mich nieder. All ihre Sehnsüchte und all die Leidenschaft die sie für mich hegte und mit mir teilen wollte. Das letzte Bild, was ich sah, ließ mich nun den Speichel würgen, der überall, wo er den Boden berührte, die Pflanzen verdorrten. Es war die letzte Erinnerung die sie an mich hatte. Sie stand in einem kleinen sterilen Raum, der über und über mit Betten zugestellt war. Und in einem dieser Betten, sah sie mich. Blass, schwer atmend und mit Schläuchen versehen, die zu den leeren Tröpfen führten. Ich sah mich und sie sah mich, wie ich ganz langsam starb. Kaum merklich glitt jeglicher Rest Leben aus mir. [Flashback Ende] Darüber und noch viel mehr dachte ich nach, wenn ich abends wieder in den Gassen stand und lauschte, was die Menschen sich erzählten. Erinnern an diese Ereignisse aus meinem Leben konnte ich nicht, nur die Bilder die in ihren Gedanken wie Wellen gegen die Brandung geschlagen hatten, zeigten mir einblicke. Zunächst spionierte ich ihr nach. Ich wollte wissen was sie jetzt Tat und ob sie der Erscheinung glauben schenkte. Schnell fand ich sie und musste verstellen, dass auch ihr Vater die Grippe nicht überlebt hatte. Um für ihre Mutter zu sorgen, arbeitet sie jetzt als Zimmermädchen für einen reichen, alten Herren, der in einem kleinen Schloss etwas außerhalb der Stadt lebte. Dieser Mann erweckte einen wirklich sehr freundlichen Eindruck. Und das war er auch. Er plante sogar, die meisten seiner Dienstmädchen und Jungen zuadoptieren. Er besaß keine eigenen Kinder und brauchte unbedingt einen Erben. Josi gehörte auch dazu. Die Freude darüber musste ich bremsen, denn sonst hätte ich den ganzen Wald in Schutt und Asche zerlegt. Nach diesem Abend dachte ich ständig an mich, an ihre erste Liebe, und immer wieder schossen ihre Erinnerung von mir, halb tot und sich an die letzten Kräfte klammernd, mit voller Wucht wie Pfeile gegen einen Baum. Und mit der Erinnerung kam das Feuer und der Schmerz meiner Verwandlung wieder. Jede Faser meines Körpers brannte und ich musste aufgeben. Ich kam nicht mehr hier her. Ich wusste jetzt, dass es ihr gut ging und das sie die Begegnung für eine optische Täuschung hielt – die ihr jedoch das Herz zerriss. Was sollte mich jetzt noch halten? Also rannte ich nach Hause, in die kleine Holzhütte am Rande Chicagos, wo Carlisle schon auf mich wartete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)