Stadt der Engel von matvo (Schatten und Licht, Band 1) ================================================================================ Kapitel 6: Der König Farnelias ------------------------------ Erschöpft lehnte sich Van in die harte Lehne seines Stuhles zurück. Drei gut gekleidete Herren gingen gerade zur Tür hinaus und ließen ihn in seinem Konferenzraum allein. Mit düsterem Blick starrte er auf die Tischdecke, auf der das Symbol Farnelias ein gestickt war, und stützte seinen Kopf mit einer Hand ab. Das Licht des Kronleuchters über ihm schien nun viel düsterer zu sein als vor dem Treffen. Eigentlich hatte die Konferenz nur aus einer ständigen Folge von Beschwerden bestanden, nach denen Van auch nicht schlauer war als davor. Der Vertreter der Bürger Fiston regte sich furchtbar über die eingeschränkte Lebensqualität auf, die wegen der Seuche herrschte. Der Bauernvertreter Sagos klagte über mangelnden Absatz wegen dem Ausfuhrverbot für Lebensmittel. Josua, der den Tagelöhnern eine Stimme verlieh, sorgte sich wegen der wachsenden Zahl seiner Schützlinge und ihre erfolglose Suche nach Arbeit. Sie alle hatten berechtigte Sorgen, sie alle nahmen ihre Aufgabe ernst und sie alle nervten. Aus sämtlichen Beschwerden hatte Van nicht einen konstruktiven Vorschlag entnehmen können. Er hatte drei Stunden mit ihnen zugebracht, eingepfercht in diesem Raum, der nicht einmal Fenster hatte, und sämtliches Gesprochene ließ sich auf diese drei Punkte zusammenfassen. Van schlug die Hände ins Gesicht und stöhnte. Die verdammte Seuche traf seine Heimat ins Mark. Wäre Farnelia schon ein gut funktionierender Staat, wären die Auswirkungen nicht sonderlich groß. Nach bisherigen Erfahrungen verbreitete sich die Seuche nur über Körperflüssigkeiten und war obendrein noch heilbar. Aber während der noch anhaltenden Aufbauphase von Farnelia war sie ein bedeutender Störfaktor, der die Entwicklung seines Landes auf lange Sicht gefährdete. Zu allem Überfluss war eine weitere Sorge dazugekommen. Hitomi war wieder da. Er hatte es vor ungefähr anderthalb Tagen gespürt. Davor waren ihre Kontaktversuche vom Mond der Illusionen gekommen, danach aber kamen sie von Gaia. Jeder Gedanke, den sie ihm je geschickt hatte, war für ihn wie Wasser in der Wüste. Lebensnotwendig. Doch Van hatte schon seit zwei Jahren nicht mehr geantwortet. Aus Sorge, dass sie seine Niedergeschlagenheit hätte spüren können. Dann wäre sie garantiert zurückgekehrt. Er hatte das verhindern wollen, doch nun war sie trotz allem hier. Warum? Dass Merle ausgerechnet jetzt nicht auffindbar war, war gewiss kein Zufall. Auch die Gedankenverbindung zu ihr schien nicht zu funktionieren, was aber nur bedeutete, dass Merle ihn abschottete und sie somit ein Geheimnis hatte. Nur ihr Luftschiff, die Katzenpranke, hatte er kontaktieren können, mit konventionellen Mitteln. Er war ganz und gar nicht verwundert gewesen, dass sie einen unbekannten Passagier an Bord hatten, und hatte dementsprechende Anweisungen durchgegeben. Was ihn dann aber doch wunderte, war, dass seine Befehle nicht ausgeführt worden sind. Eigentlich hätte Hitomi sofort in die Villa gebracht werden sollen. Warum sie bis zum heutigen Abend hin noch immer nicht in einem der Gästezimmer gelegen hatte, würde Merle ihm ganz genau erklären müssen. Inzwischen herrschte draußen tiefe Dunkelheit und sie befand sich sicher in der Villa. Sie war auch nicht mehr bewusstlos, sondern schlief tief und fest. Van spürte die sanften Wellen ihrer Aura. Sie waren wie das leise Plätschern eines Gebirgsbaches, der sich seinen Weg bahnte. Ein Klopfen riss Van aus seiner Abgeschiedenheit. Schnell setzte sich Van ordentlich hin. „Herein!“ Die Tür öffnete sich einen Spalt weit und ein Paar nervöse Augen erschienen. „Entschuldigt, König Van. Ihr sagtet, dass man euch Bescheid geben sollte, wenn Kommandantin Merle erscheint.“, sagte ein Dienstmädchen durch die Tür hindurch. „Das habe ich“, bestätigte er betont freundlich. „Nun, sie ist hier und bittet um eine Audienz.“ „Schick sie herein!“, befahl Van plötzlich, auf äußerste gespannt. „Sofort, mein Herr.“, antwortete das Dienstmädchen und machte die Tür weiter auf. Merle, die noch immer ihren schwarzen Kampfanzug trug, betrat den Konferenzraum und verneigte sich förmlich. „Das ist dann alles.“, sagte Van zu Dienstmädchen, die hastig die Tür zu machte. Sofort entspanne Merle ihre Haltung. „Ist dieses ganze Strammstehen wirklich notwendig?“, fragte Merle kindlich genervt. „Ja.“, antwortete Van. An seiner Stimme hatte sich nichts geändert. „Ich schätze, du willst mir etwas sagen.“ „Ja, gute Neuigkeiten. Wir, die Leibwache des Königs von Farnelia, haben die Schmuggeleinrichtung der Kopfgeldjäger ausgehoben. Jetzt können sie keine Waffen mehr nach Farnelia reinbringen.“ „Schmuggeleinrichtung?“, hakte Van nach. „Ja, weißt du, das ist so ein Tunnel mit Schienen und einem Wagen, der mit einem Seil bewegt wird. Der Tunnel ist professionell abgestützt und mit einer Pumpe ausgestattet, die das Wasser entfernt. Alles ziemlich gut durchdacht. Muss wohl alles während dem Wiederaufbau des Walls errichtet worden sein, sonst hätten sie das Material und den Bauschutt nicht unbemerkt wegschaffen können. Die Belüftung hätte allerdings besser sein können. Das war eine Luft da drinnen. Ich konnte kaum atmen, als ich...“ „Wie hast du den Tunnel gefunden?“ „Tja, das ist eine lange Geschichte.“, wich Merle aus. „Ich hab Zeit.“, informierte Van sie künstlich gelassener Stimme. Eigentlich hatte er es eilig, aber dieses Gespräch hatte Vorrang. „Nun, weißt du, ich hab mir den Energiestein von Escaflowne aus dem Tresor geholt.“, erklärte Merle. „Du hast was?“ „Hab ich dich etwa nicht um Erlaubnis gebeten?“, fragte sie unschuldig. „Nein, aber erzähl ruhig weiter.“, antwortete er trocken. „Damit bin ich auf den Mond der Illusionen gereist. Unglaublich, was die dort für eine komische Architektur haben, aber das weißt du ja selber.“ „Und?“ „Dort wollte ich erstmal Hitomi suchen gehen. In diesem Augenblick fiel mir erst ein, was für eine Aufgabe das ist. Ich meine, ich wusste doch nur, dass sie auf diesen Planeten war. Wo hätte ich da anfangen sollen zu suchen? Das fragte ich mich, bis mir dann einfiel, dass ich ihren Aufenthaltsort ja spüren konnte.“, tratschte sie munter weiter „Und?“ „Suchen musste ich zum Glück auch gar nicht. Sie tauchte direkt hinter mir auf, schwitzend und keuchend. Die muss gerannt sein. Einmal um den gesamten Planeten.“ „Und?“, fragte Van genervt. „Tja, dann haben wir uns erst einmal unterhalten.“ Auf einmal wurde er laut. „Und dann hast du sie nach Farnelia gebracht.“, schrie Van wütend und schlug mit einer Faust auf den Tisch. Plötzlich stand Merle stramm. „Nach Farnelia, obwohl du genau weißt, dass im Moment eine Seuche bei uns herrscht, dass dutzende Kopfgeldjäger hinter ihr her sind und uns nur ganz nebenbei ein neuer Krieg droht.“ Van stand blitzschnell auf und lief umher. „Als krönenden Abschluss hast du sie dann auch noch als Köder für die Kopfgeldjäger benutzt, nur um einen Tunnel zu finden.“ „Und ein Luftschiff. Ich hab die Stärke unser Luftflotte verdoppelt.“, verteidigte sich Merle immer noch unschuldig drein blickend. Van starrte sie mit blutrotem Gesicht an. „Übertreibe es nicht!“, warnte er sie. „Es gibt Dinge, mit denen spielt man nicht.“ Er war noch immer sauer, aber auch entschlossen Merle ihren Bericht beenden zu lassen, also setzt er sich. „Und weiter?“ Merle entspannte sich etwas, doch sie wagte es nicht, sich ebenfalls einen Stuhl zu nehmen. „Der Tunnel mündete in einer Höhle, die als Hangar für das Luftschiff diente. Wir wissen noch nicht, wie sie das Schiff dort hinschaffen konnten, ohne entdeckt zu werden. Der Anführer, jetzt kommt das Schärfste, war ein Mitglied der Leibwache von König Aston.“ „Bist du dir sicher?“, fragte Van nach, obwohl die Neuigkeit wenig überraschend war. „Ich habe die Rüstung gesehen.“, antwortete Merle. „Leider konnten wir keine offiziellen Dokumente finden, die diese Beziehung nach Astoria beweisen.“ „Soll heißen, wir sind wieder am Anfang.“ „Nicht ganz. Das Mitglied der Leibwache und sechs Kopfgeldjäger konnten wir gefangen nehmen.“ „Schön, aber Astoria wird wie üblich auf eine Auslieferung bestehen, um selbst über sie zu richten. Wenn wir weiterhin Hilfslieferungen haben wollen, müssen wir nachgeben.“ Merle biss sich auf die Lippen. Tatsächlich, sie waren wieder am Anfang und kein bisschen schlauer als zuvor. Alles, was sie hatten, war eine Bestätigung ihrer Befürchtungen. „Warum hast du sie hergeholt?“, wollte Van plötzlich wissen. „Hä?“, gab Merle überrumpelt von sich. „Warum bist du das Risiko eingegangen und hast Hitomi hergeholt? Bestimmt nicht nur, um den Kopfgeldjägern was vor die Füße zu werfen, was sie mitnehmen wollen.“, schnauzte er sie an. Der Herrscher war sichtlich mit den Nerven am Ende. „Nein, ich...ich wollte, dass du jemanden hast, der immer bei dir sein kann.“, erwidert das Katzenmädchen leise und senkte ihren Kopf. Van Herz bröckelte. Er stand langsam auf und legte sanft einen Arm auf ihre Schulter. „Das kannst du doch machen, Merle.“ „Nein, kann ich nicht!“, erwiderte sie verzweifelt. „Du lässt mich ja nicht! Immer wenn du wütend, enttäuscht oder einfach nur traurig bist, ziehst du dich zurück. Ständig frisst du alles in dich hinein.“ Ihre rechte Hand fuhr von seinen Arm zu seinem Herzen. „Ich weiß, was in deinem Innern vorgeht, aber ich weiß es nur, weil ich dich über die Jahre ausführlich beobachten konnte. Nie hast du mit mir über etwas geredet. Selbst jetzt noch blockierst du deine Aura, damit ich nicht spüren kann, was in dir los ist. Ich halt das einfach nicht mehr aus.“ Über Merles Wange lief eine Träne. „Deswegen...deswegen dachte ich, du würdest wenigstens mit ihr reden.“, schluchzte sie. „Über was sollte ich mit ihr reden?“, wunderte sich Van. „Über alles, über deinen Tag, über deine Zukunft, über deine Sorgen, über deinen Frust…“, triefte sie. „Ich dachte, mit Hitomi könntest du reden, da sie dich liebt, du sie auch liebst und ihr beide euch liebt, da dachte ich...“ „Ruhig, Merle, beruhigt dich!“, flüsterte er ihr ins Ohr und drückte sie fester an sich. „Weißt du, ich brauche diesen Panzer. Sonst würde alles über mich herein brechen und ich wüsste vor lauter Gefühle nicht wohin. Ich kann mir das als König nicht leisten.“ „So ein Unsinn!“, fauchte Merle. „Niemand kann so leben, auch ein König nicht!“ „Ich muss.“, sagte er ihr nun eindringlicher. „Bitte, Merle, geh und ruhe dich aus! Du hattest einen langen Tag.“ Merle wischte sich die Tränen vom Gesicht und löste sich aus Vans Umarmung. Ohne ihn anzusehen verließ sie den Raum. Van ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Er war müde. Merles Gefühlsausbruch hatte ihn genauso überrascht wie tief getroffen. Nun musste er eine Entscheidung treffen. Gab er sich oder Farnelia den Vorzug? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)