Wenn Vampir und Werwolf sich verlieben von Hoellenhund ================================================================================ Kapitel 2: Roter Mond --------------------- Erneut hatte eine Nacht Einzug gehalten und eine frostige Brise ließ das noch verbliebene Laub in den Bäumen geheimnisvoll rascheln. In der absoluten Stille – nur hier und da durch ein vorbeifahrendes Auto gestört – schien dieses Geräusch lauter denn je, doch die beiden Gestalten auf der Terrasse ließen sich davon nicht beirren. Die eine von ihnen war groß, saß mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf einem der Gartenstühle und blickte zum Mond hinauf, der den Himmel allein erhellte, denn die Sterne waren von der Nacht verschluckt worden. Die andere war viel kleiner als die erste Gestalt und saß den Kopf in die Hände gestützt, das Mädchen sich gegenüber musternd. „Woran denkst du?“, wollte Tamaro schließlich wissen und richtete sich zu voller Größe auf – was allerdings nichts heißen mochte. „Sieh nur, der Mond scheint Orange heute Nacht. Als wäre er ein Sünder, mit Blut befleckt. Ich finde es wunderschön, wahrlich eine Nacht zum Vergießen von Blut“, antwortete Katherine verträumt, die Augen nicht von dem Mond abwendend. „Ich halte nicht viel von diesem Mond“, sagte Tamaro fest und vermied den Blick hinauf gen Himmel, „Und so romantisch, wie du meinst - wenn du es so bezeichnen möchtest - ist er auch nicht. Es ist Schmutz in der Atmosphäre, der ihn orange-rot wirken lässt.“ „Das macht nichts“, antwortete Katherine mit einem verschmitzten Lächeln und blickte nun endlich ihren Gesprächspartner an, „Denn es mindert seinen Einfluss nicht. Ich bin sicher, dass in dieser Nacht viel Blut vergossen wird.“ Nach einer kleinen Pause fuhr sie mit einem breiten Grinsen fort: „Und wenn es so ist, wie du sagst: Wie erklärst du dir die Auswirkung des Vollmondes auf dich? Der Mond verursacht die Gezeiten, sicherlich, doch genügt seine Macht nicht einmal, um Wasser in einer Regentonne in Wallung zu bringen – wie also soll er Einfluss auf einen Menschen haben, auch wenn dieser nun einmal aus 80% Wasser besteht.“ Jäh erhob sich Tamaro und machte Anstalten wieder in sein Einfamilienhaus zurückzukehren: „Was soll das? Dieses Gespräch führt nirgendwo hin!“ „Warte.“ Nun war auch Katherine aufgestanden und legte die linke Hand auf Tamaros Schulter, um ihn zurückzuhalten: „Sieh ruhig zu ihm auf, er ist wunderschön, gerade heute Nacht.“ Als Tamaro nicht reagierte, setzte sie hinzu: „Manchmal muss man die Dinge nur danach betrachten, was sie sind und bewirken, nicht nach dem, was sie sein und bewirken könnten.“ Sanft aber mit Nachdruck schob Tamaro die Hand von seiner Schulter und wandte sich wieder dem kleinen Garten zu, über dem der orange-rote Mond am Himmel prangte. Vielleicht hatte sie Recht. Einmal im Monat ließ der Mond ihn zu einem willenlosen Wolfswesen werden, willkürlich mordend. Doch wenn er recht darüber nachdachte, so hatte er keinerlei Beweis, dass es wirklich der Mond war, der ihn zu diesem Wesen machte – zudem lag der Vollmond noch in weiter Ferne. Hatte er es bei Katherine nicht ähnlich gehalten? Sie hätte ihn töten können, jeder Zeit, auch ohne selbst dabei Schaden zu nehmen, doch danach hatte er sie nicht gewertet, sondern nach dem, was sie wirklich war. Katherine beobachtete ihn aus verengten Augen, als Tamaro nun endlich den Blick zum Mond hinauf wandern ließ und entspannte sich, als sich ein Lächeln auf seinem Gesicht abbildete: „Er ist wirklich schön, das ist ihm wohl nicht abzusprechen.“ Mit einem frechen Grinsen im Gesicht öffnete Katherine nun die Terassentür, um Tamaro einzulassen und sagte, als er an ihr vorbei ins Haus ging: „Und was machen wir jetzt? Wir könnten Horrorfilme gucken und Instant-Kaffee trinken!“ „Manchmal bist du mir wirklich ein Rätsel.“ Da Katherine am Morgen erwachte, war es bereits kein Morgen mehr, sondern viel eher früher Nachmittag. Sie richtete sich auf und fragte sich, aus welchem Grund sie eigentlich immer noch auf der Couch im Wohnzimmer schlief, bis ihr Blick auf benutzte Kaffeetassen auf dem kleinen Couchtisch fiel. „Vielleicht sollte ich nicht immer so viel trinken“, dachte sie bei sich, nahm das schmutzige Geschirr und brachte es in die Küche. Das Haus war still, doch sie war es gewohnt, Tamaro war selten noch da, wenn sie erwachte und zu wecken vermochte er sie nicht – natürlich nicht, denn Katherine war gerade eben von den Toten auferstanden. Nur seltsam, dass er das Geschirr nicht weggeräumt hatte, das tat er sonst immer. Einen Augenblick lang stand Katherine in Gedanken vor der Spüle und musterte die Kaffeetassen, als seien sie das Interessanteste, was sie je gesehen hatte, dann entschloss sie sich das Geschirr zu spülen, da sie sowieso nichts anderes zu tun hatte. Während dieser Arbeit sinnte sie darüber nach, was Tamaro wohl jeden Morgen trieb, wobei sie sich erneut daran erinnerte, dass er ihr nicht hatte verraten wollen, wie er dieses Haus eigentlich finanziert, wobei ihr beinahe eine der Tassen heruntergefallen wäre. Als das Geschirr sauber im dafür vorgesehenen Schrank verstaut war, machte sich Katherine gelangweilt auf den Weg nach draußen, um die Zeitung zu holen. Gerade, als sie diese hervor zog, vernahm sie zwei ihr nur zu gut bekannte Stimmen: „Was soll das, wieso schleppst du mich durch die halbe Stadt?!“ Eine wütende Stimme, laut und unnachgiebig. „Achaz, das ist kein Grund sich aufzuregen. Du bist seit Tagen nicht mehr aus dem Haus gegangen, ein kleiner Spaziergang kann dir nicht schaden.“ Und diese wohlwollende, jedoch nachdrückliche Stimme gehörte eindeutig Tamaro. Als sich Katherine zur Straße umwandte, konnte sie die beiden schon auf sie zukommen sehen. „Spaziergang, meinetwegen, aber wieso schleppst du mich zu dir nach Hause? Da ist SIE!“ Nach einer kurzen Pause fuhr die wütende Stimme genervt fort: „Na toll,da ist sie ja schon.“ „Guten Morgen Achaz“, begrüßte Katherine den blonden Werwolf kalt, wohingegen sie Tamaro freundlich zulächelte. Eigentlich hatte dieser bereits gedacht, Katherine und Achaz hätten sich ausgesöhnt, doch dem war offensichtlich nicht so, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, dass Achaz immer noch wegen diesen kleinen Zwischenfällen zornig war. Gut, Katherine hatte versucht ihn zu beißen und ihm dann die Haustür vor der Nase zugeknallt und Achaz war nicht der Typ, der so etwas einfach hin nahm. Doch auf der Fahrt nach Countville hatten die beiden sich so gut unterhalten, dass Tamaro fast begonnen hatte, an so etwas wie Freundschaft zwischen den beiden zu glauben. Jäh riss sich Achaz von Tamaro los, der ihn bis eben noch am Arm gepackt hatte, um ihn zu seinem Haus zu ziehen, und verschwand völlig freiwillig durch die Tür, welche er hinter sich zu knallte. Katherine und Tamaro tauschten einen verwirrten Blick, bevor sie ihm ins Wohnzimmer folgten, wo er es sich auf dem Zweisitzer bequem gemacht hatte. Erneut schienen es Vampir und Werwolf für den richtigen Zeitpunkt zu halten, einen Blickwechsel zu vollziehen. Bisher hatte Achaz immer auf dem kleinen Sessel neben dem Zweisitzer gesessen und sie waren nicht sicher, wie sie sich nun arrangieren sollten. Doch Katherine würde sich nicht neben Achaz niederlassen, so viel wahr klar. „Setz dich“, bot Katherine Tamaro wider erwarten den Sessel an, sie blieb stehen, die Arme vor der Brust verschränkt und ihr war anzusehen, dass ihre Laune so eben auf dem Nullpunkt angelangt war. „Ach, da du nun schon stehst“, begann Achaz mit einem verzerrten Grinsen an Katherine gewandt, offenbar fest entschlossen, seine Wut an ihr auszulassen, „Kannst du mir ja etwas zum Essen bringen.“ „Bitte?“ Deren Stimme hatte einen fast beängstigend ruhigen Ton angenommen. Tamaro wandte sich ihr halb erschrocken zu, natürlich wusste er, dass sich sein Freund unverschämt verhielt, doch da Katherine selbst teilweise nichts von guten Manieren zu halten schien, war ihm nicht klar, was sie so erzürnte. „Immerhin bist du die Frau im Haus“, setzte Achaz nach und ließ sich ins Sofa zurück sinken. „Raus hier.“ Erneut ein Ausspruch mit klarer, ruhiger Stimme, doch Katherines Augen hatten sich zu Schlitzen verengt und sie wies mit ausgestrecktem Arm auf die Haustür. In völligem Gegensatz reagierte Achaz sofort aufbrausend, er rutschte an die Sofakante vor, den Rücken gerade und entrüstete sich: „Ich lasse mich doch nicht hier her schleppen, um sofort wieder raus geschmissen zu werden! Gerade von dir!“ „Raus hier hab ich gesagt!“, brüllte nun auch Katherine, sie bebte vor Zorn, sodass Tamaro rasch aufstand, um sich zu ihr zu stellen und sie gegebenenfalls festzuhalten. Achaz sprang von der Couch auf: „Du hast hier gar nichts zu sagen!“ Schneller als Tamaro reagieren konnte, hatte sich Katherine den kleinen gläsernen Aschenbecher gegriffen, der zu jeder Zeit unbenutzt auf dem Couuchtisch stand, und ihn nach Achaz geworfen. Dieser schaffte es gerade noch rechtzeitig einen Satz zur Seite zu machen und den Kopf einzuziehen, bevor der Aschenbecher an der Wand zerschellte. „Raus!“ Mit geballten Fäusten und zitternd – ob nun vor Schreck oder Wut – warf Achaz ihr und Tamaro noch einen bösen Blick zu, bevor er sich im Laufschritt Richtung Tür aufmachte und sie hinter sich in Schloss fallen ließ. Es dauerte einige Sekunden, bis Katherine aus einer Art Starre erwachte und sich auf den Sessel fallen ließ - der Zweisitzer war mit Scherben übersät. Nachdem sie laut geseufzt hatte, setzte sich Tamaro zu ihr auf die rechte Armlehne des Sessels und blickte sie einige Sekunden lang stumm an. Er hatte überlegt, ob er sie darauf ansprechen sollte, dass sie soeben seinen besten Freund aus seinem eigenen Haus vertrieben hatte, entschied sich jedoch dagegen, als er Katherines Gesichtsausdruck näher betrachtete. Er war nun keineswegs mehr zornig verzerrt, ihre Stirn lag in Falten, die Augen hatte sie geschlossen, schien nachzudenken und sich an etwas zu erinnern. „Was hat dich so wütend gemacht?“, fragte Tamaro vorsichtig Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie wenig er eigentlich über den Vampir wusste, es war so gut wie nichts, kaum der Rede wert. Er kannte keine Silbe seiner Vergangenheit, noch hatte er es bisher vollbracht seinen Charakter vollständig zu ergründen. Einen Moment lang dachte er, Katherine würde ihm nicht antworten, doch dann sagte sie: „Ich habe geschworen mich nie wieder solchen Wünschen zu beugen, schon gar nicht denen eines Mannes.“ Nach einer kurzen Pause schlug sie die Augen auf und grinste: „Das heißt, falls man Achaz als Mann bezeichnen kann.“ Sofort war Tamaro klar, dass sie versuchte die Situation aufzulockern, ins Lächerliche zu ziehen, denn er kannte es von ihr. Und doch wollte er sich gerade dieses eine Mal nicht darauf einlassen, er war bestrebt mehr über Katherine zu erfahren und dies schien die richtige Gelegenheit zu sein. „Wieso?“, fragte er also, nicht auf den letzten Satz Katherines eingehend. „Nun“, begann diese leicht zögerlich, „Bis vor einigen Jahren verlangte man von einer Frau genau diese Dinge zu tun, Tag ein, Tag aus. Ich habe es einfach satt.“ „Und das ist alles?“ Ein leichtes Lächeln verzog Katherines Mundwinkel, es wollte Tamaro jedoch nicht fröhlich erscheinen, egal wie lange er es betrachtete. „Nein“, gab Katherine zurück und mühte sich seinem Blick auszuweichen. Es war deutlich zu spüren, dass sie nur ungern davon berichten mochte, Tamaro jedoch noch weniger belügen wollte, „Mein Schöpfer hat mich zu seinem Handlanger erzogen, seinem Mädchen für alles, irgendwann hatte ich es über. Daher sind wir im Streit auseinander gegangen, eigentlich haben Vampire ein gutes Verhältnis zu ihren Schöpfern, da Vampirgeburten meist mit gegenseitigem Einverständnis geschehen.“ „Ich verstehe“, antwortete Tamaro, eher, um kund zu tun, dass er ihr aufmerksam folgte, als der Worte willen. „Du siehst also“, lenkte Katherine erneut grinsend ein, „Im Grunde hatte es nicht viel mit Achaz zu tun, auch wenn ich finde, dass er sich wirklich daneben benommen hat.“ Damit erhob sich Katherine. „Das hat er wohl.“ „Tut mir Leid – wegen des Aschenbechers, meine ich“, fuhr der Vampir fast beiläufig fort und holte Besen und Kehrblech von dem ihm bekannten Ort in der Küche, um erneute von ihm verursachte Scherben zu beseitigen: „Er braucht dringend eine Freundin.“ „Meinst du Achaz?“, fragte Tamaro verwundert und beobachtete Katherine dabei, wie sie die Scherben auf das Kehrblech fegte. „Ja, er scheint diese Madlene wirklich gemocht zu haben – wieso sollte er sich sonnst so aufführen?“ „Es scheint so. Ich glaube er macht dich auch ein wenig für ihren Verrat verantwortlich, auch wenn ich nicht weiß, aus welchem Grund“, überlegte Tamaro laut und legte die Stirn in Falten, „Seit wann bist du so einfühlsam? Gerade bei Achaz, ich dachte du magst ihn nicht.“ „Das tu ich auch nicht!“, fuhr Katherine auf, als hätte der Werwolf sie mit seiner Aussage persönlich beleidigt. Nach einer kurzen Pause fuhr sie in sachlichem Tonfall fort: „Eigentlich ist es an mir spitzfindige Bemerkungen zu machen.“ „So soll es auch bleiben“, versicherte Tamaro ihr und stand von der Lehne des Sessels auf, um sich auf dem, nun von Scherben befreiten, Zweisitzer niederzulassen. „Fein“, gab Katherine zurück, entsorgte die Scherben und brachte Besen und Kehrblech an ihren angestammten Platz zurück. Dann ließ sie sich neben Tamaro nieder und griff nach der Tageszeitung, die sie vor Achaz' Besuch aus dem Biefkasten geholt hatte: „Wenn du zu ihm gehst – und das wirst du bald tun, denn er hat bei seiner Flucht seine Jacke vergessen - lad ihn ein mit uns auszugehen, ich habe da schon so eine Idee wohin.“ „Meinst du das ernst?“, wollte Tamaro wissen und prüfte mit einem raschen Blick, ob Achaz seinen Jacke wirklich vergessen hatte. Doch es stimmte, sie hing über dem Kleiderständer in der Ecke des Raumes. Katherines gemurmeltes „Todernst“ ging fast im Rascheln der Tageszeitung unter. „Sieh an, sieh an, ein Extrablatt“, trällerte sie fröhlich, als sie nun einen Einzelbogen aus der Mitte der Zeitung zerrte und es schien, als ahnte sie die Neuigkeiten bereits. Neugierig beugte sich Tamaro über die Zeitung: „Extrablätter drucken sie nur, wenn noch sehr wichtige Neuigkeiten nach Redaktionsschluss der Zeitung gemeldet werden, oder?“ „Völlig korrekt“, lächelte Katherine ihr verschmitztes Lächeln, überflog das Extrablatt und verkündete dann: „In der letzten Nacht vor vier Uhr wurden allein in der Stadt und Umgebung zwölf Leichen aufgefunden. Einige blutleer, mit schalen Einstichen am Hals, andere völlig entstellt. Sie vermuten die Menschen seien Ritualen von Sekten zum Opfer gefallen.“ Diese Neuigkeiten schienen Katherine sehr zu belustigen, denn ihr Grinsen wurde noch eine Spur breiter: „Ich sagte dir, es sei eine Nacht zum Blut Vergießen gewesen, nicht wahr?“ „Es gibt noch andere Vampire in der Stadt?“, wunderte sich Tamaro laut. Im Gegensatz zu seiner Freundin fand er den Zeitungsartikel weniger belustigend, denn makaber und erschreckend. „Natürlich. Aber die entstellten Leichen sind keinem Vampir zum Opfer gefallen. Ich frage mich nur was sie dann getötet hat“, überlegte Katherine, legte das Extrablatt von sich und die Stirn in Falten, „Ich kann nur hoffen, dass es andere Menschen waren.“ „Wieso? Was könnte es denn sonst gewesen sein? Immerhin war letzte Nacht kein Vollmond“, mühte sich der Werwolf leicht hin zu sagen. „Ich weiß es nicht...“ „Wieso müssen wir diese seltsamen Klamotten tragen?“, beschwerte sich Achaz, da er und Tamaro Katherine durch einige zwielichtige Hinterhöfe und Seitenstraßen folgte. Die Nacht war bereits seit einigen Stunden heran gebrochen. Bis jetzt war Tamaro immer noch nicht sicher, wie er es geschafft hatte, seinen Freund zu überreden, mit ihm und Tamaro in einen der Nachtclubs zu gehen. Sicher, er hatte protestiert, jedoch überraschend schnell nachgegeben, sodass Tamaro die Vermutung blieb, er hatte einen Ausflug dieser Art bitter nötig gehabt. „Ganz einfach, damit wir nicht auffallen, natürlich“, belehrte Katherine den blonden Werwolf mit hoch erhobenem Zeigefinger, „Ein Vampir und zwei Werwölfe in einem Club – wenn wir uns noch auffällig kleiden können wir uns schon als Forschungsobjekte betrachten.“ „Natürlich, sicher“, murmelte Achaz, „Ich habe auch nichts gegen schwarze Klamotten, aber dieses Nietenhalsband geht wirklich zu weit!“ Der letzte Satz ging fast im metallischen Klirren Katherines Eisengürtels unter, der ihr schräg über die Hüfte fiel und beinah so lang wie ihr unverschämt kurzer Lederrock war. „Irgendwo hat er schon Recht“, meldete sich Tamaro etwas zurückhaltend zu Wort und prüfte die Löcher in seinem Shirt, welche Katherine mit bloßen Händen in den Stoff gerissen hatte, „Und so kleidet man sich in diesem Club...“ „Ihr wart lange nicht mehr auf Achse, oder?“, lächelte Katherine verschmitzt, als sie vor einer nicht sehr stabil anmutenden Holztür inne hielt. „Um ehrlich zu sein – eigentlich noch nie“, gab Tamaro zurück, die Tür mit kritischem Blick betrachtend. „Wir sind da, immer rein mit euch“, trällerte der Vampir und hielt den Werwölfen die Tür auf. Im Innern des Hauses war die Luft zum Schneiden dick: der Zigarettenrauch reduzierte die Sicht auf einige wenige Meter, zusätzlich Hing der Geruch von Alkohol in der Luft. Zum Glück der drei lag dieser Nachtclub so abgelegen, dass hier keine Ausweiskontrolle statt fand, denn zumindest Katherine hätte keinen vorlegen können, und zu ihrer Überraschung waren sie lange nicht die nächtlichen Kunden, welche sich am Ungewöhnlichsten gekleidet hatten. Von einigen Ecken leuchteten knallrote und grüne Schöpfe zu ihnen hinüber und die Shorts einer jungen, wasserstoffperoxid-blonden Dame waren so kurz, dass Tamaro für den Bruchteil einer Sekunde gedacht hatte, dass sie keine trug. „Du hast gesagt du willst ein Mädchen für mich finden, was soll ich denn hier finden?!“, schrie Achaz Katherine jäh entgegen. „Ich weiß nicht, was du hast. Hier fallen wir am wenigsten auf, gerade ich“, meinte Katherine ruhig und machte sich auf den Weg an die Bar, hinter der ein muffig drein schauender Kellner wartete. „Ja, genau das ist mein Problem!“, schrie Achaz weiter, während er ihr hinterher lief, „Hier gibt es nur eben solche wie dich!“ „War das eine Beleidigung?“, sprach Katherine, zu Achaz hinab gebeugt und fuhr dann, sich aufrichtend, an den Barkeeper gewandt fort, „Einen Kaffee, schwarz.“ „Ja, das war es! Denn das letzte was ich mir wünsche, ist ein Weib wie dich, das ich ständig mit mir herumschleppen muss!“, fuhr Achaz ungerührt mit seiner Beschwerde fort. Katherine reckte sich der Decke entgegen und ließ den Blick auf der Suche nach Tamaro durch die Menge schweifen. Ohne Achaz anzublicken, teilte sie ihm mit: „Ich klebe nicht an dir, du klebst an Tamaro, das ist das Problem. Würdest du nicht ständig an ihm dran hängen, kämst du auch mit mir nicht in Kontakt.“ „Was soll denn das nun wieder heißen?“, brüllte der Werwolf noch lauter als zuvor, scheinbar so laut er konnte, „Ich klebe nur an ihm, weil du versuchst einen Keil zwischen uns zu treiben!“ Spätestens jetzt lag die Aufmerksamkeit der meisten Gäste des Nachtclubs auf Achaz und Katherine, was den Vampir dazu bewegte, genervt mit den Augen zu rollen: „Gut gemacht, jetzt denken sie, du bist schwul.“ „Schwul? Na warte!“ Und damit stürzte sich der blonde Werwolf auf Katherine, was jedoch scheiterte, denn die Angegriffene hatte einfach die Hand auf Achaz' Kopf gelegt und drückte ihn nun mit ausgestrecktem Arm von sich, sodass er ihr nicht näher kommen konnte. Einige Sekunden zappelte Achaz noch vergeblich unter ihrem Griff, dann gab er keuchend auf. „Reg dich nicht immer gleich so auf. Und ich hatte schon fast gedacht, du seist in Ordnung.“ Endlich brachte der Mann hinter der Bar Katherine ihren Kaffee, welchen sie mit Freude empfing und dafür sogar die Hand von Achaz' Kopf zog. Nach einem kleinen Schluck von der Tasse fuhr sie fort: „Ich wüsste auch gerne, wo dein Problem ist. Tamaro bist du schon so peinlich, dass er sich in die hinterste Ecke verkrochen hat.“ Als sich Achaz nun nach Tamaro umblickte, konnte er ihn nicht entdecken, doch er wusste, dass Katherine im Dämmerlicht des Clubs über die schärferen Augen verfügte und so schenkte er ihrer Behauptung Glauben. „Lass uns das woanders besprechen“, murmelte er schließlich, sich geschlagen gebend und auf Katherines Fingerzeig hin, machte er sich auf, um Tamaro an die Bar zurückzuholen. Dies erwies sich jedoch als schwieriger denn erwartet. Zwar fand Achaz seinen Freund recht schnell im weiter hinten gelegenen Teil des Clubs, doch sein Zustand bereitete ihm Sorge, scheinbar hatte er sich ein oder zwei Cocktails zu viel spendieren lassen, denn auch nach Achaz wiederholter Bitte, ihm zu folgen, reagierte Tamaro nicht. Das Pärchen, welches ihm die Drinks ausgegeben zu haben schien, lachte ihn aus. Erst nach fast fünf Minuten kehrte Achaz zu Katherine zurück, Tamaro weniger stützend denn neben sich herschleifend. „Was ist denn mit ihm passiert?“, fragte Katherine erschrocken, als die beiden Werwölfe nahe genug gekommen waren, um sie zu verstehen, wenn sie mit leiser Stimme sprach. „Ich glaube er hat einen über den Durst getrunken“, gab Achaz ernst zurück, mit einem Blick auf seinen Freund, der an seinem Arm fast eingeschlafen schien, ergänzte er: „Oder auch zwei – oder drei.“ „Wir bringen ihn sofort nach Hause“, meinte Katherine ernst und trank ihren Kaffee in einem Zug aus, dann legte sie ein Geldstück auf die Theke. Während Achaz sich noch wunderte, woher die das Geld hatte, fuhr Katherine fort: „Natürlich zu ihm nach Hause.“ „Wohin auch sonst, du bist ja ständig bei ihm“, murmelte Achaz halb laut und gab Tamaro an Katherine weiter, welche ihn durch ihre Größe wesentlich besser stützen konnte. „Jaja“, gab sie halblaut zurück, versuchte Tamaro zur Tür zu bugsieren, gab auf und nahm ihn schließlich einfach auf den Arm – die Nacht hatte ihr ihre übliche Stärke verliehen. Erneut auf den nächtlichen Straßen sprachen weder Katherine noch Achaz ein Wort, Tamaro schien nun endgültig eingeschlafen. Jäh fuhr es Achaz durch den Kopf, dass es nicht das erste Mal war, dass er sich mit Katherine arrangierte, um Tamaro zu unterstützen – sie konnten sich verstehen, wenn es beide darauf anlegten, denn beide waren auf das selbe fixiert: den kleinen asiatischen Werwolf. Wenn Achaz es sich recht überlegte, dann waren Katherines Gemeinheiten ihm gegenüber immer nur ein Spiel gewesen, solange er selbst nicht versucht hatte, sie ernsthaft anzugreifen. Ein seltsames und makaberes Spiel, dass ihr Freude bereitete und welches sie stets im Rahmen zu halten verstand. Vielleicht konnte sie kein Leben in Freude und Heiterkeit führen, ja, dafür war sie nicht der Typ – sie brauchte immer etwas, an dem sie sich stören konnte. Verstohlen warf er ihr schließlich einen Seitenblick zu, den sie nicht zu bemerken schien. Es war seine Schuld, wenn sie sich nicht verstanden, nicht ihre. Und wie endete das? Nun blickte er offen in Tamaros Gesicht, welches im Schlaf leicht verzogen schien, als träumte er schlecht. Genau so endete es, jedes Mal, jedes verfluchte Mal! „Katherine“, begann Achaz schließlich zögerlich. Er hatte gesagt, sie sollten ihren Streit später klären, vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt dazu. Abrupt blieb Katherine stehen, eine solche Reaktion hatte Achaz wahrlich nicht erwartet. „Halt ihn mal kurz“, sagte sie zu seiner Überraschung und stellte Tamaro mit aller Mühe auf die Beine, damit Achaz ihn erneut stützen konnte. Dann strich sie um die Ecke einer Seitengasse. „Was zum...?“, begann er verwirrt, doch schon kehrte Katherine mit gerunzelter Stirn zurück. „Was ist los? Du bist ja fast noch bleicher als sonst“, versuchte sich Achaz halbherzig an einem Scherz, doch Katherine schüttelte nur denn Kopf. „Es ist nichts.“ Damit nahm sie Tamaro erneut auf denn Arm uns setzte ihren Weg fort. Im Gegenzug dazu blieb der blonde Werwolf noch einige Sekunden verwirrt stehen, um dann schnellen Schrittes erneut zu ihr aufzuschließen: „Was war in der Seitengasse?“ Mit einem Seufzen und Augenrollen gab Katherine zurück: „Du kannst das jetzt nicht mehr vergessen, ohne mich zu nerven, oder?“ „Nein“, bestätigte Achaz und mühte sich, nicht zu laut zu sprechen, um Tamaro keine Kopfschmerzen zu bereiten – im wahrsten Sinne des Wortes. „Na schön, da war eine Leiche, glücklich?“ „Was?“, schrie Achaz erschrocken auf, wozu Tamaros Kommentar ein unverständliches Gemurmel war. Erschrocken fuhr Achaz im Flüsterton fort: „Ich meine: Was?“ „Eine Leiche, ein toter Mensch uns so“, grummelte Katherine, „Ein Vampirbiss.“ „Ist das... schlecht?“, wollte Achaz leicht verängstigt wissen und wahr froh, dass sie nicht mehr weit von Tamaros Haus entfernt waren. „Grundsätzlich nicht – und für dich schon gar nicht, kein halbwegs normaler Vampir würde einen Werwolf beißen“, sagte Katherine leicht hin, woraufhin Achaz mit einem ungläubigen „Du hast es versucht“ antwortete. Sie zog vor auf diesen Einwurf nicht weiter einzugehen und ergänzte: „Doch ich kenne den Geruch des Vampirs, der diesen Mann getötet hat.“ Inzwischen waren sie an ihrem Ziel angelangt, weshalb sie nach einer kurzen Pause fort fuhr: „Schließ' bitte die Tür auf, der Schlüssel ist in Tamaros Hosentasche.“ Nach einem kurzen Zögern zog Achaz den Schlüssel aus Tamaros Tasche hervor und öffnete die Tür, wonach Katherine sofort an ihm vorbei ins Innere des Mehrfamilienhauses ging und den Lichtschalter betätigte. Dann ließ sie Tamaro vorsichtig auf dem Zweisitzer im Wohnzimmer nieder, setzte sich neben ihn und nahm seinen Kopf auf den Schoß. Achaz folgte langsamer und setzte sich auf den freien Sessel, Katherine stets aus den Augenwinkeln beobachtend. Diese war ausschließlich mit Tamaro beschäftigt und schenkte ihrem Beobachter keinerlei Beachtung. Sie hatte Tamaros Kopf zwischen die Hände genommen und beugte sich nun tief über ihn. Achaz konnte sehen, dass sich ihre Lippen bewegten, jedoch nicht verstehen, was sie sagte. Kurz darauf beugte sie sich noch tiefer über den Werwolf und küsste ihn kurz auf seine unbewegten Lippen. Sie strich ihm nun sanft mit der linken Hand über die Wange und betrachtete sein Gesicht mit halb geschlossenen Augen, tat nichts denn beobachten, bis Achaz den Blick von ihr abwandte. „Sie scheint es wirklich gut mit ihm zu meinen“, fuhr es Achaz durch den Kopf, während er die kahle Tapete des Wohnzimmers betrachtete. Dann fiel sein Blick auf die Zeitung, die noch ausgebreitet auf dem Couchtisch lag, unberührt, nur das Extrablatt war herausgezogen worden. In seiner Mitte ein klaffendes Loch, als hätte jemand mit der Faust hindurch geschlagen und so den Mittelteil herausgerissen. Fahrig fuhr Katherine mit Zeige- und Mittelfinger über das Loch in der Zeitung, sie hatte die Lider leicht gesenkt und auf ihrer Stirn zeichneten sich vereinzelte kleine Sorgenfalten ab. „Achaz?“, fragte sie lauter, als es nötig gewesen wäre, denn der Werwolf saß keine zwei Meter von ihr entfernt auf dem kleinen Sessel und sah noch recht verschlafen aus, „Warst du das?“ Gerade, da Achaz den Mund öffnete, um zu antworten, fauchte Katherine, die inzwischen aufgestanden und neben den Couchtisch getreten war: „Halt die Klappe und sag mir, ob du das warst!“ Um zu demonstrieren, was sie meinte, hob sie das Extrablatt an ihre Augen und blickte Achaz durch das Loch hindurch fragend und zugleich fordernd an. „Nein!“, schrie dieser ihr aufgebracht entgegen, „Als wir gestern Abend hier her zurück kamen, war es schon so!“ Ein leises Stöhnen hielt Katherine davon ab, eine spitzfindige Bemerkung zu machen. Es kam aus der Richtung des Zweisitzers, auf dem Tamaro immer noch lang ausgestreckt lag und dem sich Katherine nun erschrocken zu wandte. „Was macht ihr denn für einen Lärm? Oh, mein Kopf“, murmelte Tamaro benommen und schlug langsam die Augen auf, nur um sie sogleich wieder zu zukneifen, „Ist das hell...“ „Schlaf weiter“, rieten ihm Katherine und Achaz fast zur gleichen Sekunde, bevor sie zornige Blicke austauschten. Keiner von ihnen konnte es leiden, wenn der Andere das gleiche dachte, wie er selbst. Da kurze Zeit später erneut Stille einkehrte, schien Tamaro diesem Vorschlag dankend Folge geleistet zu haben. Immer noch blickte Katherine auf das Stück Papier in ihren Händen, nicht ruhig auf eine Stelle fixiert, ihre Augen schienen unablässlich kreuz und quer über das Extrablatt zu wandern, rasch, fast in Panik. „Ich muss gehen“, sagte sie schließlich fest und wandte sich der Tür zu, doch Achaz hatte nicht vor, sie so einfach entkommen zu lassen: „Du kannst doch jetzt nicht einfach abhauen!“ Kurz hielt der Vampir noch inne, kicherte, dann setzte er seinen Weg Richtung Ausgang fort: „Natürlich kann ich das.“ Doch auch dieses Mal kam er nicht weit. Arme schlossen sich von hinten um seine Taille und drückten seien Körper fest an sich. „Geh nicht.“ Es war Tamaros Stimme, die Katherine leise entgegen wehte und sie zum Erstarren gebracht hatte: Das war das letzte gewesen, mit dem sie gerechnet hatte. „Du bist betrunken“, tat sie seinen Einwand schließlich ab und befreite sich aus seinen schlaffen Armen. „Bitte, geh nicht“, bekräftigte Tamaro seine Aussage noch einmal in der wagen Hoffnung, Katherine würde sich wenigstens noch einmal zu ihm umwenden, doch das vermied sie bewusst. Es brach ihr das Herz den Werwolf zu verlassen, doch zu bleiben war keine mögliche Alternative, das war ihr bewusst. Ihre verräterisch zitternden Hände schob sie in die Taschen ihrer Jeans und auch die einsame blutrote Träne, welche sich aus ihrem Auge gelöst hatte, konnte keiner der beiden Werwölfe entdecken. Noch nie hatte sie einen solchen Schmerz verspürt, wie sie auch noch nie geweint hatte. Doch ihre Beine trugen sie weiter voran, fast ohne ihr Zutun, bis sie die Tür erreicht hatte und sie aufstieß: „Ich kann nicht bleiben, er würde euer Leben beenden.“ Und damit entschwand sie ins Freie. Tamaro war dort, wo Katherine festgehalten hatte, in sich zusammen gesackt. Sein müder Kopf konnte und wollte nicht verstehen, was vor sich ging, er spürte nicht denn Einsamkeit. Einige Sekunden ruhte Achaz Blick auf seinem Freund, dann folgte er Katherine in atemberaubendem Tempo. Doch draußen vor der Einfahrt konnte er sie bereits nicht mehr entdecken. Resigniert wurden seine Schritte langsamer, schließlich blieb er stehen, blickte sich um. „Katherine!“, schrie er in der irren Hoffnung, sie möge ihn hören, „Katherine, du bist echt das Letzte! Ich will dass du heute Abend wieder vor der Haustür stehst, hast du mich gehört?“ Einige Sekunden wartete er eine Antwort ab, die selbstverständlich aus blieb, dann machte er sich langsam, als hätte er all seine Energie verbraucht, auf den Weg zurück zu Tamaros Haus. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Nur einige Meter entfernt stand Katherine mit dem Rücken an einen Baum gelehnt. Sie hatte sich nicht so schnell entfernen können, wie sie es sich erhofft hatte, denn die Sonne stand hoch am Himmel und beraubte sie ihrer besonderen Fähigkeiten. Egal wie viel Achaz wüten und toben würde, egal wie viele Tränen Tamaro für sie vergießen würde, sie konnte nicht zurückkehren. Nicht an diesem Abend und auch nicht in einem Jahr. Sie konnte spüren, wer das Loch in die Zeitung gerissen hatte, und wenn ihre Vermutung stimmte, dann wusste er bereits jetzt, wo er die beiden Werwölfe finden konnte. Wie konnte sie sich nur einbilden, vor ihm fliehen zu können? Wie? Betrübt senkte Katherine den Kopf, machte sich auf den Weg, egal wo hin, doch fort von diesem Haus, in dem sie bereits so viele schöne Momente erlebt hatte. Jäh schlossen sich Hände von hinten um Katherines Taille und Brust, sie wollte erschrocken aufschreien, doch sie vermochte es nicht. Noch bevor sie den Kopf dem Angreifer zuwenden konnte, empfing sie wohlige Schwärze. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)