Wenn Vampir und Werwolf sich verlieben von Hoellenhund ================================================================================ Kapitel 1: Manchmal sagen Worte zu viel --------------------------------------- Er ging durch die von Hochhäusern gesäumten Straßen, die nun verlassen da lagen und blickte zum silbrig glänzenden Mond hinauf, der schon beinah einen vollen Kreis beschrieb. Eigentlich war er nicht gut auf ihn zu sprechen, diesen Mond, und doch gefiel ihm sein Anblick. War es doch sein Fluch, der Tamaro auch in dieser Nacht wachen ließ. „Nein“, dachte er, blieb stehen und seufzte, „Heute Nacht ist es nicht seine Schuld, sondern meine allein. Oder die Macht der Gewohnheit.“ In Gedanken ließ er die Hände in die Hosentaschen seiner Jeans gleiten und machte Anstalten seinen Weg fortzusetzen, da jäh ein dunkler Schatten über den Asphalt zuckte. Erschrocken hielt der Junge erneut inne; vielleicht war es keine gute Idee gewesen, zu dieser späten Stunde in menschlicher Gestalt durch die Straßen zu spazieren... Doch ehe er weiter darüber nachdenken konnte, erklang ein Fauchen wie das eines Raubtiers und eine Gestalt, die wohl zu dem verzerrten Schatten gehörte, landete auf Tamaros Brust und drücke ihn zu Boden. Im seichten Lichtschein einer entfernten Straßenlaterne konnte er ein knochiges Mädchengesicht mit stumpfen, blauen Augen, unter denen dunkle Schatten lagen, über sich ausmachen. Doch noch bevor er diese Informationen verarbeiten konnte, entblößte das Mädchen spitze Eckzähne. „Nein, warte!“, schrie Tamaro völlig perplex auf, „Tu's nicht, ich bin ein Werwolf!“ Das Mädchen hielt inne, blinzelte dann kurz mit den für ihr Gesicht zu großen Augen und ließ langsam von dem Jungen ab. Kaum, da sie wieder aufrecht stand, strich sie sich das dünne und ungepflegte Blondhaar aus dem Gesicht und legte die Stirn in Falten. „Verzeihung. Das ist nicht das erste Mal, dass mir so etwas passiert... Ich sollte mir endlich merken, dass kleine Kinder um diese Uhrzeit einfach nicht allein unterwegs sind“, knurrte das Mädchen bedauernd und reichte Tamaro eine Hand, um ihm aufzuhelfen, die dieser nach einigem Zögern ergriff. „Katherine“, stellte sich das Mädchen mit einem Kopfnicken vor, „Es scheint wirklich ein Wunschtraum von mir zu sein, leichte Beute, wie kleine Kinder, nachts anzutreffen...“ Immer noch musterte Tamaro sie erstaunt und frage dann: „Vampir?“ Katherine lachte beherzt: „Natürlich Vampir!“ „Und was meintest du mit 'kleine Kinder'“? Sehe ich aus, als wäre ich ein kleines Kind?“, empörte sich Tamaro, nun, da er den ersten Schrecken überwunden hatte. Der Vampir musterte ihn kurz: Seine Größe von vielleicht 1.40m, sein kurzes schwarzes Haar und seine fast noch kindlichen Gesichtszüge, dann nickte er: „Ja.“ Verärgert stemmte Tamaro die Hände in die Hüften: „Entschuldigung, aber ich bin über 2600 Jahre alt, ich bin antik! ... Damals waren die Menschen eben noch nicht so groß...“ Gutmütig beugte sich Katherine zu dem, nicht älter als zwölf wirkenden, asiatischen Jungen hinunter und fuhr ihm mit ihrer spindeldürren Hand durchs Haar: „Jaja, meinetwegen. Zumindest süß bist du ja. Sind eigentlich alle Werwölfe so klein? Du bist schon der zweite, dem ich begegne.“ Verwirrt zuckte Tamaro die Achseln: „Ich... weiß nicht... Aber ich habe da schon so eine Ahnung, wem du noch begegnet sein könntest, Vampirqueen.“ In unschöne Erinnerungen verstrickt, richtete sich diese wieder auf und verschränkte die Arme vor der Brust: „Auf jeden Fall war er nicht sehr freundlich, als ich versuchte ihn zu beißen.“ „Wen wundert's“, gab Tamaro schlicht zurück. „Unverschämtheit! Naja, wie auch immer. Lädst du mich zu einem Kaffee ein?“, fragte Katherine jäh wieder besänftigt. „Kaffee? Ich wusste nicht, dass Vampire Kaffee trinken“, wunderte sich Tamaro offenkundig, doch Katherine winkte ab: „Natürlich. Koffein hat auf Vampire eine ähnliche Wirkung wie Alkohol auf Menschen. Wenn wir Alkohol trinken, sterben wir allerdings, da unser Körper ihn nicht abbauen kann. War das eine Zusage?“ „Ja, das war es“, gab sich Tamaro schließlich geschlagen, „Ich zeige dir den Weg zu meinem Haus. Aber ich warne dich: Ich bin stärker als ich aussehe!“ Zur Antwort lächelte Katherine nur verschmitzt und schlenderte neben ihm her die Straße hinab. Sie verwirrte Tamaro. Einerseits schien sie sehr freundlich zu sein, andererseits allerdings auch etwas selbstbetont, doch vielleicht musste ein Vampir das auch sein, gerade, wenn er allein durch sein Äußeres keine Beute verführen konnte. Bei diesem Gedanken musterte er Katherine etwas genauer, als er es bei der jähen Attacke vermocht hatte. Sie schien regelrecht abgemagert, ihre Unterarmknochen waren lediglich mit dünner Haut überzogen. „Fast, als würde sie zerbrechen, wenn man sie nur allzu heftig liebkost“, dachte Tamaro bei sich, zuckte dann jedoch, über seinen eigenen Gedanken verwundert, zusammen. Er kannte sie doch nicht einmal – ganz abgesehen davon, dass sie gerade eben versucht hatte, ihn umzubringen. Katherine begutachtete das kleine Haus von allen Seiten, während Tamaro die Tür aufschloss. Einfamilienhaus, sogar mit Garten; so etwas bekam sie nicht häufig zu Gesicht. „Wie finanzierst du das? Mit deinem Aussehen stellt dich doch niemand an, oder?“, frage Katherine offen heraus, als sich die Haustür endlich öffnete. „Lass das mal meine Sorge sein“, gab Tamaro geheimnisvoll zurück, betrat das Haus und betätigte den Lichtschalter, „Und was soll das eigentlich heißen: 'mit meinem Aussehen'? Naja, komm erstmal rein.“ Während Katherine die Tür hinter sich schloss, wuselte der kleine Werwolf bereits durch eine weitere davon, die er nur anlehnte. Katherine vermutete hinter ihr die Küche und da sie das Geräusch eines Wasserkochers vernahm, sah sie sich in ihrer Vermutung bestätigt. Eigentlich war das Haus gar nicht so beeindruckend, wie es Katherine von außen erschienen war: Es war wirklich sehr klein. Von der Haustür trat man direkt in ein spärlich möbliertes Wohnzimmer, von dem nur zwei Türen abgingen und eine Treppe in den ersten Stock hinauf führte. „Na, älter als Zwölf hätte ich dich auf keinen Fall geschätzt“, antwortete der Vampir nun etwas verspätet auf Tamaros Empörung und ließ sich auf dem kleinen Zweisitzer nieder, der einem noch kleineren Fernseher gegenüber stand. „Zwölf!“, kam es verächtlich hinter der angelehnten Tür der Küche hervor, „Von wegen.“ Wie auf Kommando wurde die Tür nun aufgeschoben und Tamaro kam mit zwei Tassen Kaffee herein gewankt, wobei er fast etwas von der heißen Flüssigkeit verschüttet hätte. Geschickt schaffte er es jedoch die Tassen auf dem niedrigen Couchtisch abzustellen und setzte sich offensichtlich erschöpft neben Katherine. „Darfst du schon Kaffee trinken?“, wunderte diese sich völlig offenkundig. „Könntest du vielleicht aufhören darauf herumzureiten?“, war die, mit einem Augenrollen verbundene, Antwort. Es ärgerte ihn, dass der Vampir ihn nicht für voll zu nehmen schien, gerade von ihm hätte er sich eine gewisse Anerkennung gewünscht. Nachdenklich streckte Katherine die linke Hand nach ihrer Kaffeetasse aus. „Linkshänderin, wie ungewöhnlich“, fuhr es Tamaro durch den Kopf, während er sich zugleich fragte, aus welchem Grund ihn das eigentlich interessierte. „Ich denke nicht, nein“, antwortete Katherine schlicht und nahm eine Schluck aus der Tasse, „Uäh, Instant Kaffee!“ „Was denkst du nicht?“, gab Tamaro völlig überrumpelt zurück. „Na, dass ich aufhören kann, auf deiner kindlichen Erscheinung rumzureiten, wie du es formuliert hast.“ „Jaja“, machte der Angesprochene jäh völlig desinteressiert. Sollte sie ihn doch für so alt halten, wie sie wollte! - Nein, eigentlich sollte sie das nicht und so nahm Tamaro ebenfalls einen Schluck Kaffee, bevor er begann, ihr von sich zu berichten: „Also erst einmal: Ich kann nichts für meine Größe, damals waren die Menschen...“ „Nicht so groß wie heute, ja, das sagtest du bereits“, fuhr Katherine frech dazwischen. Nun hatte sie den Werwolf endgültig aus dem Takt gebracht. Um seine Verwirrung zu überspielen, nahm er einen weiteren und dieses Mal größeren Schluck von seiner Tasse: „Ja und dann bin ich nicht einmal zwölf gewesen, als ich zum Werwolf wurde. Ich war siebzehn, nur, um das auszuräumen.“ „Seltsam“, gab Katherine von sich und starrte mit gerunzelter Stirn der kargen Wand entgegen. „Das ist überhaupt nicht seltsam, ich war gerade alt genug um...“ „Hach, das meine ich nicht! Ich frage mich nur, wieso die Werwölfe nicht schon längst die Welt übervölkert haben, wenn sie offensichtlich, genau wie Vampire, nicht altern“, schloss Katherine und blickte Tamaro fragend entgegen. Diesem entfuhr ein hörbares Seufzen. Eigentlich hatte er keine Lust mit ihr über solche Dinge zu sprechen, also versuchte er sich kurz zu fassen: „Wir können nicht kontrollieren, wie viele Menschen wir beißen, wenn wir an Vollmond verwandelt sind, soweit richtig. Da habt ihr Vampire einen klaren Vorteil – zum Beispiel wisst ihr noch, was ihr tut.“ Den letzten Satz hatte er mit unüberhörbarer Bitterkeit in der Stimme ausgesprochen. „Allerdings sterben die meisten Opfer eines Werwolfangriffs, daher gibt es auch heute noch nicht so viele von uns.“ „Ach so!“, gab Katherine munter zurück und lehrte ihre Tasse in einem Zug, „Wirklich scheußlich, dieser Instant Kaffee.“ Was sollte Tamaro nur von ihr halten? Sie hatte es doch darauf angelegt mit ihm über solche ernsten Dinge zu sprechen und dann tat sie es einfach mit einem „Ach so“ ab? Und das, um dann über den Kaffee zu reden? „Du bist wirklich eine seltsame Zeitgenossin“, sagte er schließlich vorsichtig, in der Angst, sie zu beleidigen. „Ja... Das mag wohl sein“, gab sie wider Erwarten schlicht zurück, „Machst du mir noch einen Kaffee?“ „Ich denke, du hasst Instant Kaffee?“, wunderte sich Tamaro. „Mach am besten gleich eine ganze Kanne, ja?“, bekräftigte der Vampir jedoch und ließ sich an das Sofa zurück sinken. Vier Kaffeetassen später schlummerte Katherine friedlich, den Kopf in einem merkwürdigen Winkel an die Sofalehne gedrückt. Sie hatte gesagt, Koffein sei wie Alkohol für Vampire... Mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen beugte sich Tamaro über sie, soweit er es vermochte, da der Vampir auch im Sitzen nicht viel kleiner war als er selbst. Ganz vorsichtig, um sie nicht zu wecken, strich er ihr eine ihrer zerzausten Blondsträhnen aus dem Gesicht. Doch das wäre gar nicht nötig gewesen, denn Vampire, oder zumindest dieser Vampir, war, wenn er schlief, wahrhaftig wie tot. Das sollte Tamaro am nächsten Morgen noch herausfinden. Als Katherine erwachte, war sie allein. Sie konnte spüren, dass es noch mitten am Tag war, doch das Zimmer war abgedunkelt, weshalb sie sich gähnend von der Couch erhob und verwundert die Vorhänge vor den Fenstern zurückzog. „Schon wieder Tag... Tja, was soll man machen“, dachte sie bei sich, während sie argwöhnisch durch die Glasscheibe hinaus starrte, bevor sie zurück trat, um das fremde Haus zu erkunden. Doch noch ehe sie einen Fuß auf die Treppe zum ersten Stock gesetzt hatte, konnte sie schon das Geräusch eines sich im Schloss drehenden Schlüssels vernehmen und Tamaro kam zur Tür herein. „Was machst du denn da?“, entfuhr es ihm erschrocken, als er die zurückgezogenen Vorhänge bemerkte. „Man wird jawohl noch mal aufstehen dürfen“, grummelte der Vampir und machte sich auf den Weg zurück zum angestammten Zweisitzer. „Natürlich, dürfen... Als ich heute Morgen versucht habe, dich zu wecken, warst du wie tot“, gab Tamaro vom ersten Schrecken erholt zurück und verschwand mit zwei prall gefüllten Einkaufstaschen in der Küche. „Natürlich“, grinste Katherine vor sich hin, „Schließlich war ich tot, bis ich aufgewacht bin.“ „Aber eigentlich meinte ich das auch gar nicht“, erklang Tamaros Stimme zögerlich aus der Küche, „Macht dir das Sonnenlicht gar nichts aus?“ „Was?“, kam es verwirrt aus Richtung Katherine, gefolgt von lautem Gelächter, „Der Herr Werwolf hat zu viele Bücher gelesen, wie?“ Seufzend kam Tamaro aus der Küche und ließ sich neben dem Vampir auf das Sofa fallen. Diesen verwunderte seine Erschöpfung jedoch überhaupt nicht: Die Einkaufstüten waren schon halb so groß wie er selbst gewesen. Nach einer kurzen Pause ging Tamaro endlich auf Katherines Anspielung ein: „Ja, naja, vielleicht kenne ich mich wirklich nicht so gut mit Vampiren aus. Das könnte daran liegen, dass ein Werwolf schließlich kein Vampir mehr werden kann.“ Ein Nicken Katherines war die Antwort: „Sicher, er würde sterben – und der Vampir auch.“ Dieser Satz hatte auf eine seltsame Weise belustigt geklungen, was Tamaro nun veranlasste seine neue Freundin mit gerunzelter Stirn zu mustern. Diese schien den Wink verstanden zu haben, zumindest führte sie ihre Gedanken weiter aus: „Ganz schön paradox, wenn man bedenkt, dass es uns in der letzten Nacht fast so ergangen wäre.“ „Hm... Das stimmt wohl... Aber was ist nun dran, an der Sonnenlicht-Geschichte?“, wollte Tamaro von ihr wissen. War erst einmal seine Neugierde erweckt, ließ er nicht locker, bis er alles herausgefunden hatte, was es über die begehrte Thematik zu wissen gab. „Tja, nicht viel“, begann Katherine und lehnte sich an die Sofalehne zurück, „Eigentlich gar nichts, Licht macht uns nichts aus. Aber, da wir dunkle Wesen sind – du weißt schon, töten und keine Seele und so weiter – haben wir am Tag nicht all unsere Kräfte, weshalb wir eher nachtaktiv sind.“ „Keine Seele?“ „Keine Seele“, bei diesen Worten klang Katherine ernster, als Tamro sie bisher gehört hatte und ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, „Die haben wir für die Unsterblichkeit verkauft. Daher auch kein Spiegelbild.“ „Aber das ist ja auch völlig egal“, lachte sie halbherzig und reckte sich. „Willst du nicht langsam nach Hause gehen? Nicht, dass ich dich loswerden will, aber immerhin bist du schon seit letzter Nacht hier und du wirst sicher nach dem Rechten sehen müssen“, formulierte Tamaro seine Gedanken mit Bedacht aus. Er wollte den Vampir auf keinen Fall hinauswerfen, so war es wahrhaftig nicht, doch war es mehr als ungewöhnlich eine fremde Frau – ob Vampir oder nicht – gleich nach der ersten Begegnung so lange im eigenen Haus verweilen zu lassen. „Was? Ach so, nein, ich habe kein zu Hause“, antwortete Katherine jäh wieder ausgelassen. Auf Tamaros verwirrten Blick hin ergänzte sie: „Ich könnte eine Wohnung nicht bezahlen, da ich nicht arbeiten kann. Wie soll man auch einen Job finden, wenn man keine Identität hat? Beziehungsweise wenn die Identität seit vielen Jahren hätte tot sein müssen? Ich schlafe unter Brücken oder in verlassenen Lagerhallen, wie die meisten Vampire. Aber genau aus diesem Grund ist mir nicht klar, wie du das Haus finanzierst, mit über 2600 Jahren! ... Du gehst doch nicht etwa auf den Strich?!“ Beim letzten Satz war Katherine aufgesprungen und starrte den kleinen Werwolf nun ungläubig aus matten blauen Augen an. „Hä?“, entfuhr es diesem mindestens eben so laut wie zuvor Katherine und auch er erhob sich jäh, „Natürlich nicht!“ „Oh...“, gab Katherine nachdenklich von sich und ließ sich wieder auf die Couch zurücksinken, „Dann ist ja gut.“ Nach einer kurzen Pause, während der Tamaro sie immer noch verblüfft anstarrte, setzte sie neu an: „Wieso fragtest du eigentlich, ob ich nicht langsam gehen will? Hast du noch was vor?“ „Ertappt“, fuhr es Tamaro fast noch zur selben Sekunde durch den Kopf. Durch diesen Themenwechsel besänftigt, setzte er sich ebenfalls zurück auf das Sofa und sagte dann zögerlich: „Naja... Achaz wollte gleich zu Besuch kommen...“ „Ist doch super, das wird sicher gemütlich!“ „Ich weiß nicht Recht...“ „Ich aber! Du brühst einfach noch einen von diesen scheußlichen Instant Kaffees auf und ich werde deinen Kumpanen schon gebührend empfangen“, meinte Katherine munter, packte Tamaro bei der Hand und versuchte ihn in die Küche zu zerren. „Moment! Also er ist auch ein Werwolf“, brachte dieser hervor, während er versuchte, sich aus Katherines Griff zu befreien. Doch der Vampir war stärker, als er aufgrund des ungewöhnlich schmalen Körperbaus aussah: der Griff war fest; wie aus Eisen gegossen. „Hör mir doch erst einmal zu!“, fluchte Tamaro und schaffte es nun endlich seine Hand mit einem kräftigen Ruck zu befreien, „Ich habe ihn eben beim Einkaufen getroffen – und er hat meine Vermutung bestätigt, er war der zweite Werwolf, den du versehentlich angesprungen hast und er ist wirklich nicht sehr gut auf dich zu sprechen.“ „Ach so, der kleine Blondschopf“, überlegte Katherine laut, wobei sie völlig außer Acht ließ, dass sie selbst blond war, „Ja, der war wirklich nicht sehr freundlich, das muss ich ja zugeben. Aber sollte man sich nicht mit seinen Konflikten auseinander setzen und sie nicht meiden?“ „Du hast doch nur keine Lust, solange woanders hin zu gehen.“ „Kann sein“, grinste Katherine frech, „Und wie lautet dein Entscheid?“ „Meinetwegen, aber sei nicht so gemein zu ihm, er kann manchmal ganz schön empfindlich sein“, gab Tamaro zu bedenken und verschwand schon wieder in der Küche, „Ich koche jetzt Kaffee, aber für jeden nur eine Tasse, okay?“ Katherine lächelte verschmitzt: „Fein.“ Kaum fünf Minuten gingen ins Land, bis es an der Tür läutete. Da Tamaro immer noch in der Küche beschäftigt schien, stand Katherine auf, um den Besuch einzulassen. Gerade, da sie die Tür einen Spalt breit geöffnet hatte, sodass sie einen kleinen, dunkelblonden Jungen vor dem Haus stehen sehen konnte, erklang Tamaros Stimme hinter der Küchentür: „Lass nur, Katherine, ich mach schon auf.“ „Bist du sicher?“, gab Katherine zweifelnd zurück, die Türklinke immer noch in der Hand. „Natürlich bin ich sicher!“, kam es leicht genervt zurück, woraufhin Katherine die Tür mit einem: „Meinetwegen“ wieder zu warf. Es folgten einige Sekunden der Stille, in denen Katherine sich zurück auf den Zweisitzer im Wohnzimmer fallen ließ und der Besuch vermutlich völlig perplex vor der Tür stand. Doch dann erklang ein ohrenbetäubender Lärm, verursacht durch ein wiederholtes Betätigen der Türklingel, der Tamaro dazu veranlasste, in rasender Geschwindigkeit aus der Küche zu stürzen und die Haustür aufzureißen. „Hallo Achaz. Du bist doch sonst nicht so ungedul...“, begann Tamaro lächelnd, doch sein Freund fuhr ihm dazwischen: „Das ist wirklich unglaublich!“ wobei er an Tamaro vorbei ins Wohnzimmer stürmte und seine Jacke im Vorbeigehen über den Kleiderständer in einer Zimmerecke warf. „Ähm, was?“, kam es verwirrt von Tamaro zurück, während er die Haustür schloss. Inzwischen förmlich rot vor Zorn war Achaz vor Katherine stehen geblieben und wies mit dem Zeigefinger auf sie: „Die da!“ „Hallo!“, lächelte die Angesprochene jedoch schlicht und es war nicht erkenntlich, ob sie einfach nur erfreut über den Besuch oder belustigt über die Situation war. „Ach so“, ergriff Tamaro vorsichtig erneut das Wort, „Das ist Katherine.“ „Wieso hast du das gemacht?“, schrie Achaz den Vampir an – immer noch mit hoch erhobenem Zeigefinger. Er schien Tamaros Bemerkung völlig übergangen zu haben. „Sie hat es nicht so gemeint, sie dachte du wärst ein kleines Kind...“, versuchte Tamaro seinen Freund zu beschwichtigen. Es schien tatsächlich zu wirken, denn der blonde Werwolf ließ langsam den Finger sinken. So stand er einige Sekunden da, bis er sich langsam zu Tamaro umwandte und ein völlig verwirrt klingendes „Was?“ hervorbrachte. „Sie dachte du wärst ein normales Menschenkind und leichte Beute, das ist der einzige Grund, aus dem sie dich angefallen hat, sie hat nichts gegen dich“, lächelte dieser erfreut über den Erfolg. „Bitte?“, war der Aufschrei, der diesen Gedanken rasch zu Nichte machte, „Die war das, die mich beißen wollte? Dieser räudige Vampir!“ „Aber -“ „Und die lässt du in dein Haus?“ „Aber wenn du sie gar nicht erkannt hattest, was war dann dein Problem?“, schaffte es Tamaro endlich vorsichtig einzuschieben. Es dauerte erneut einige stille Sekunden, bis Achaz antwortete: „Sie hat mir die Tür vor der Nase zugeknallt!“ „Tamaro meinte, er sei ganz sicher, dass er selbst öffnen will“, meldete sich nun endlich die Ursache des Tumults zu Wort. „Was? So war das nicht gemeint, ich wusste ja nicht, dass du schon geöffnet hattest...“ „Darum habe ich ja gefragt, ob du sicher bist.“ Seufzend wandte sich Tamaro nun vom Geschehen ab: „Du siehst also, Achaz, es war nicht ihre Schuld, du kannst also aufhören sie so grimmig anzustarren. Ich hole den Kaffee.“ Und damit verschwand er in der Küche. Eine kleine Weile verging, in der Katherine und Achaz versuchten, dem Blick des jeweils anderen zu entgehen, indem sie woanders hin sahen; doch da das kleine Haus nur sehr spärlich möbliert war, gab es nichts Interessantes zu sehen, sodass sich die Blicke der beiden schließlich doch kreuzten, woraufhin Achaz sich in den kleinen Sessel fallen ließ, der im rechten Winkel zu dem Zweisitzer stand, wohingegen Katherine den Zweisitzer selbst als Sitzgelegenheit bevorzugte. In den weiteren Sekunden der Stille überlegten beide angestrengt, ob sie einfach wieder gehen sollten, doch ehe einer von ihnen einen Entschluss gefasst hatte, kam Tamaro schon mit dem Kaffee zurück. Da er nur zwei Tassen zugleich tragen konnte, musste er noch einmal zurückgehen, um die letzte Tasse zu holen. Als er sich nun endlich neben Katherine nieder ließ, hatte diese immer noch kein weiteres Wort mit Achaz gewechselt. „Also“, begann Tamaro zögerlich auf der Suche nach einem Gesprächsthema, um das Schweigen zu brechen. Ihm war die angespannte Atmosphäre zwischen Vampir und Werwolf alles andere als angenehm. Bei diesem Ansatz hatten sich nun beide Parteien gespannt Tamaro zugewandt, der nun angespannt lächelte: „Du wolltest mir doch erzählen, was du morgen vor hast, Achaz.“ „Hm?“, gab dieser verwirrt von sich, fing sich allerdings schnell, „Ach so, du meinst morgen Nacht, richtig? Ich dachte ich fahre raus nach Countville, da wohnt kein Mensch mehr. Und es ist eine nette Abwechslung. Ich habe gehört, es soll dort noch mehr geben.“ „Noch mehr von uns? Wer hat dir das gesagt?“, wollte Tamaro nun, wieder einmal von seiner ungehaltenen Neugierde erfasst, wissen. „Die Kleine aus Downhill, die wir letzten Monat getroffen haben“, erklärte Achaz geduldig – er kannte das Spielchen vermutlich schon. Zumindest nahm er nun gelassen einen Schluck Kaffee aus seiner Tasse. „Meinst du, dass man ihr trauen kann?“ Auf diesen Einwand hin, musste Achaz laut auflachen, womit er sich verständnislose Blicke von Katherine und Tamaro einfing. Als er sich wieder beruhigt hatte, machte er seinen Standpunkt jedoch deutlich: „Ich bitte dich. Du hast die da…“, dabei deutete er mit einem Kopfnicken auf Katherine, „Mit nach Hause geschleppt, einen Vampir, der Werwölfe anfällt, und fragst mich, ob ein Werwolf, den ich schon fast einen Monat kenne, vertrauenswürdig ist.“ „Sachte, es war keine Absicht“, kam es nun nach langer Zeit endlich wieder von Katherine. Es klang für ihre Verhältnisse ungewöhnlich bitter. Doch scheinbar hatte sie es bemerkt, denn sie schickte eines ihrer verschmitzten Lächeln hinterher. „Tamaro vertraut mir voll und ganz“, ergänzte sie frech und legte einen Arm um Tamaros Hüfte. Dieser jedoch musterte sie nur verwirrt, statt ihre Behauptung zu bekräftigen. „Aha“, gab Achaz jäh wieder schlecht gelaunt zurück, „So ist das also, deine neue Freundin, ja? Das hat ja gerade noch gefehlt.“ „Ich... Also...“, versuchte Tamaro seinen Standpunkt klarzumachen, doch er fand nicht die richtigen Worte. „Ja, genau“, lächelte Katherine nun breit und zog Tamaro näher zu sich heran. „E... Einen Moment, ich wollte noch belegte Brote machen, habe ich völlig vergessen! Hilfst du mir, Katherine?“, sagte Tamaro eine Spur zu enthusiastisch und war schon auf dem Weg in die Küche. „Mach ruhig alleine, ich möchte keine Brote“, winkte Katherine ab, doch Tamaro ließ nicht locker: „Na komm schon!“ Endlich schien der Vampir den Wink verstanden zu haben. Zumindest stand er sich räkelnd auf, grinste Achaz an und sagte: „Wir sind gleich zurück.“ Dann verschwanden beide in der Küche. Kaum, da die Tür hinter den beiden zugefallen war, begann Tamaro schon aufgebracht zu flüstern: „Was sollte das eben?“ „War es dir unangenehm?“, fragte Katherine schlicht zurück und ließ sich auf einen kleinen Hocker in einer Ecke der Küche fallen. „Ich... Was? Nein, also ich meine... Das gehört sich einfach nicht!“, flüsterte Tamaro weiter und trat näher an den Vampir heran. „Wieso nicht?“, frage dieser völlig frei heraus. „Du musst vorher mit mir über so etwas sprechen, du kannst es doch nicht einfach beschließen!“, bekräftigte Tamaro sein Argument und hätte dabei beinahe das Flüstern vergessen. Katherines Blick wanderte über den fein säuberlich gefliesten Boden: „Manchmal sagen Worte zu viel.“ Dieses Mal hatte auch sie geflüstert, leise und sehr ernst, völlig ohne den üblichen Humor oder die gespielte Torheit. „Was...?“, fragte Tamaro ernst, denn er wusste wirklich nicht, was sie meinte. Dabei trat er langsam noch etwas näher an sie heran, um jedes mögliche weitere Wort zu verstehen. „Ich kann auch gehen, keine Angst, ich weiß, wo die Tür ist.“ Bitterkeit. Und damit stand Katherine auf und ging an Tamaro vorbei auf die Küchentür zu. „Nein, warte. Warte doch!“, rief dieser ihr nach. Langsam wandte sie sich erneut zu ihm um und lächelte ihr typisches Lächeln: „Und wieso?“ Trotz des amüsierten Untertons in ihrer Stimme war Tamaro klar, dass sie diese Frage mehr als ernst meinte. Zunächst wusste er nicht recht, was er darauf antworten sollte, doch dann sagte er: „Weil ich nicht möchte, dass du gehst.“ Für Katherine war es nicht schwer gewesen, sich im weiteren Verlauf des Tages mit Achaz zu arrangieren, denn sie hatte begonnen, ihre neckischen Bemerkungen über den Körperbau der beiden Werwolfe ausgiebig und vor allem ausschließlich an dem Blonden auszulassen. Seine wiederholten wütenden Einwände, Tamaro wäre fast genauso klein wie er, interessierten sie dabei herzlich wenig, sodass Tamaro oft nicht wusste, ob er lachen oder weinen sollte, während er den völlig lächerlichen Streit der beiden beobachtete. „Ich glaube sie braucht einfach jemanden, auf dem sie rumhacken kann“, dachte er bei sich und konzentrierte sich darauf, die beiden Streithähne kontinuierlich in Gespräche zu verwickeln, damit ihnen keine Zeit blieb, auch nur über eine weitere spitzfindige Bemerkung nachzudenken. „Aber er ist auch nicht besser“, fuhr es Tamaro durch den Kopf, „Er geht ja darauf ein.“ „Was ist eigentlich morgen Nacht?“, wollte Katherine nun wissen, da sie offenbar ihr Pensum an gemeinen Bemerkungen ausgeschöpft hatte. „Vollmond“, antworteten Achaz und Tamaro daraufhin fast gleichzeitig, wobei Achaz jedoch wesentlich schlechter gelaunt klang, als Tamaro. „Und an Vollmond fahrt ihr aufs Land raus?“, hakte Katherine weiter nach und starrte durch das gegenüberliegende Fenster hinaus ins Freie, wo es langsam dämmrig wurde. „Ja, um zu verhindern, dass wir unnötig viele Menschen töten“, gab Tamaro ernst zurück und folgte Katherines Blick aus dem Fenster, „Willst du heute noch raus?“ „Natürlich“, grinste Katherine frech und reckte sich wiedereinmal genüsslich, „Die Verpflegung hier bei dir ist ja sehr gut, aber ein entscheidender Teil fehlt.“ Bei diesen Worten konnte man Achaz erschaudern sehen. „Sie frisst keine Werwolfe“, gab Tamaro einigermaßen genervt zu bedenken. „Fein“, lächelte Katherine und stand auf, um sich in Richtung Haustür aufzumachen. „Was?“, wollte Tamaro von ihr wissen, da er keinen Bezug zum vorherigen Gespräch knüpfen könnte. Der Vampir lächelte jedoch nur und meinte noch: „Es ist schon fast dunkel.“ und verschwand dann in der Nacht. Achaz' Körperhaltung entspannte sich erst, als Katherines Schritte in der Einfahrt verklungen waren. Dann musterte er Tamaro berechnend: „Was hältst du wirklich von ihr?“ „Eben sah es nicht aus, als würde es dich interessieren“, meinte dieser abweisend und begann die Tassen vom Tisch zu räumen. „Natürlich interessiert mich das, ich traue ihr nur nicht über den Weg. Wie lange kennen wir uns denn schon?“, rief Achaz ihm nach, als er in die Küche davonwuselte. „Keine Ahnung, lange genug“, war die desinteressierte Antwort, die Achaz zwar spüren ließ, dass Tamaro keine Lust hatte, darüber zu sprechen, ihn jedoch noch lange nicht davon abhielt weiterzufragen. „Du hattest so einen merkwürdigen Gesichtsausdruck, als ihr aus der Küche gekommen seid.“ Bei dieser Bemerkung hielt Tamaro in seinem Schaffen inne – er hatte gerade eine abgewaschene Tasse aus der Spüle genommen, um sie abzutrocknen. Er wusste nicht warum, doch bei dem Gedanken an das Gespräch vor ein paar Stunden krampfte sich sein Herz zusammen. „Was ist? Bist du im Waschbecken ertrunken?“, fuhr Achaz ungehalten fort, als er keine Antwort erhielt. „Nein, natürlich nicht“, brummelte Tamaro gerade so laut, dass es Achaz noch hören konnte. „Schön. Also was nun?“ Der asiatische Werwolf hatte sich inzwischen daran gemacht, die Tasse mit dem Handtuch viel sorgfältiger abzureiben, als es nötig gewesen wäre. „Ich habe sie gern, es gefällt mir, sie in der Nähe zu haben. Sie bringt Leben ins Haus“, antwortete er schließlich abwesend und stellte die Tassen zurück in den Schrank. Langsam kam er ins Wohnzimmer zurück und schloss die Küchentür fast lautlos hinter sich, nur um an sie gelehnt stehen zu bleiben. „Na schön, ich lass das mal deine Sorge sein. Aber häng dich da bloß nicht zu sehr rein – und das sage ich nicht nur, weil ich dieses Weibsbild nicht ausstehen kann.“ Noch während Achaz dies sagte, stand er vom Sessel auf und griff nach seiner Jacke auf dem Kleiderständer: „Keiner von uns hat seit Hunderten von Jahren eine Frau aus der Nähe gesehen und wieso, weißt du genauso gut wie ich.“ „Das sagst du mir. Was ist mit der Kleinen aus Downhill?“, gab Tamaro sachlich zurück. Es kam nicht oft vor, dass er mit seinem meist eher kindlich gestimmten Freund über solche Dinge sprechen konnte, doch es tat ihm gut. „Sie ist eine von uns, das ist etwas völlig Anderes“, betonte Achaz, bereits neben der Haustür stehend. „Wieso?“ „Weil ich sie nicht umbringen kann, wenn ich verwandelt bin.“ Und damit öffnete er die Tür, um kurz darauf mit einem Leisen „Ich muss los, zumindest diese Nacht möchte ich einmal schlafen. Gute Nacht“ verschwand. „Sag mal, wie stark ist so ein Vampir eigentlich?“, wollte Tamaro von Katherine wissen, welche nun am Nachmittag schon putzmunter war und seine Hemden bügelte. „Wenn ich schon bei dir wohne, kann ich mich auch nützlich machen“ hatte sie gesagt und nach einigem Drängen Tamaro überredet, ihr die Freude zu lassen. Er persönlich war nämlich weniger glücklich über diese Art der Dankbarkeit – er fühlte sich fast, als wäre er schon einige Jahre mit dem Vampir verheiratet und das missfiel ihm, ja, machte ihn beinahe wütend. „Hm“, machte Katherine nun, während sie das Hemd glatt strich, um es dann auf einen Bügel zu hängen, „Ganz schön stark, stärker, als du es dir ausmalen kannst. Also zumindest bei Nacht.“ Sie hatte sich eine Erklärung für diese Frage erhofft, doch da Tamaro behaglich schwieg, fragte sie: „Wieso interessiert dich das?“ Dann, als sie gerade dabei war das Bügelbrett zusammen zu klappen, grinste sie und setzte hinzu: „Ich hoffe du glaubst nicht, dass so ein Werwolf mich fertig machen kann. Da irrst du dich aber gewaltig!“ Dann lachte sie beherzt und verstaute das Brett in einem Wandschrank in der Küche. Wieso es gerade dort untergebracht war, war für Katherine ein Mysterium. „Wie kommst du drauf?“, gab Tamaro zurück und nahm den Stapel Hemden entgegen, den sie ihm entgegen streckte. „Blöde Frage“, antwortete Katherine schlicht und ließ sich auf dem Zweisitzer im Wohnzimmer nieder, neben dem Tamaro die ganze Zeit gestanden hatte, „Ihr habt doch erst gestern darüber gesprochen, dass heute Vollmond ist.“ „Ja, wir wollen heute Abend nach Count-“, begannt Tamaro, doch Katherine fiel ihm ins Wort: „Ich weiß, ich weiß! Ich sitze ja nicht auf meinen Ohren.“ „Ist ja gut, wieso bist du heute so empfindlich?“, fragte Tamaro mit ernstem Interesse, doch der Vampir schien dies als genervte Beleidigung aufzufassen. „Wer ist denn bitte empfindlich?“, fauchte er, was dem Geräusch, welches Tamaro in der Nacht, in der Katherine ihn überfallen hatte, wahrgenommen hatte, sehr ähnlich klang. Erschrocken zuckte er also zusammen, fing sich dann jedoch wieder und musterte seine neue Freundin mit gerunzelter Stirn. „Entschuldige“, seufzte diese nun und schloss die Augen, wohl um sich zu beruhigen. Nicht immer waren Katherines Handlungen ihren Gefühlen so fremd, wie sie es erwünschte, doch in den Augenblicken der Schwäche wurde sie sich dieser immer rasch bewusst und mühte sich zu retten, was noch zu retten war. „Was ist denn mit dir?“, versuchte es Tamaro, nun, da er sie ruhiger vorfand, noch einmal und setzte sich neben sie auf den Zweisitzer. Einige Sekunden schien die Angesprochene zu überlegen, ob sie es aussprechen und sich damit eingestehen sollte oder nicht, entschied sich dann jedoch dafür: „Erzähl mir mehr von dieser Werwölfin.“ Was von Katherine als Antwort auf Tamaros Frage empfunden wurde, erschien diesem jedoch als eine der für ihn nicht nachvollziehbaren Überleitungen zu einem neuen Thema. Auch wenn er die jähe Wendung nicht nachvollziehen konnte, so erfüllte er doch Katherines Bitte – allein, um sie nicht unnötig zu reizen. „Naja, sie ist etwa einen Kopf größer als ich, brünett...“ Doch er wurde unterbrochen: „Das meine ich nicht!“ „Schon gut, ich war ja auch noch nicht fertig“, gab Tamaro beschwichtigend zurück und fuhr ernster fort, „Wir haben sie letzten Monat zufällig getroffen, als wir aufs Land hinausfuhren. Achaz scheint große Stücke auf sie zu halten, mir persönlich ist sie etwas suspekt.“ „In wie fern suspekt?“, wollte Katherine daraufhin wissen. Tamaro zuckte die Achseln: „Sie wirkt auf mich etwas zu freundlich und hilfsbereit.“ „Und dann wollt ihr auf ihren Wink irgendwohin fahren?“, entrüstete sich der Zuhörer. „Hm, in der Beziehung hat Achaz wohl Recht: Was soll schon passieren?“ „Dann begleite ich euch“, sagte Katherine fest und in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Dann stand sie auf, als sei für sie das Gespräch beendet. „Moment mal, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist!“ Auf diese Bemerkung hin kicherte der Vampir: „Natürlich ist das eine gute Idee.“ Und auf weitere Einwände Tamaros gab er schlichtweg keine Antwort, als könnte er ihn plötzlich nicht mehr verstehen. Später am Nachmittag, Achaz war vorbeigekommen, um gemeinsam mit Tamaro nach Countville zu fahren, drang ein lautes Klirren durch das kleine Haus, als eine der Kaffeetassen zu Bruch ging. Tamaro schaffte es gerade noch sich auf den Wohnzimmertisch zu retten, als Katherine weit mit dem Besen ausholte, um damit nach Achaz zu schlagen, doch der Bedrohte war flink ausgewichen und so rannten nun beide in weitem Kreis um den Tisch herum. „Würde es euch etwas ausmachen, mein Haus heile zu lassen?“, fragte Tamaro vorsichtig, jedoch mit eindeutig mürrischem Unterton in der Stimme. „Ja!“, kam es von Katherine und Achaz fast zur selben Sekunde zurück. Dennoch blieb Katherine stehen, um einen flüchtigen Blick auf ihren Gastgeber zu werfen und seine aktuelle Stimmung einzuschätzen – schließlich wollte sie seine Nerven nicht bis aufs Äußerste strapazieren und sich schon gar nicht unbeliebt machen. Achaz hatte es nicht bemerkt, war weiter gerannt und lief nun von hinten auf Katherine auf, was ihm nun doch einen Schlag mit dem Besen bescherte. „Aua, verdammt!“, entfuhr es ihm, während er sich den schmerzenden Kopf rieb. „Seid ihr jetzt fertig?“, wollte Tamaro wissen. Katherine zögerte einen Moment, den Besen immer noch hoch erhoben, dann nickte sie: „Ich denke schon.“ Damit nahm sie den Besen runter und begann sogleich die Scherben der zerbrochenen Kaffeetasse zusammen zu kehren. Währenddessen ließ sich Achaz erschöpft in den Sessel neben dem Zweisitzer sinken und Tamaro stieg vom Couchtisch, um dann Katherine mit verschränkten Armen zu beobachten, wie diese nun ein Kehrblech aus der Küche holte, um die Scherben aufzulesen. „Worüber habt ihr euch eigentlich gestritten?“, wollte Tamaro nun von Achaz wissen, während der Vampir die Scherben entsorgte und den Besen an seinen angestammten Platz zurück stellte. In Gedanken runzelte Achaz die Stirn, schüttelte dann jedoch den Kopf: „Keine Ahnung, ich kann mich nicht erinnern.“ Tamaro zog es vor nichts zu erwidern. Als der emsige Vampir nun endlich ins Wohnzimmer zurückkehrte, warf er einen Blick aus dem kleinen Fenster, dessen Vorhänge seit dem gestrigen Nachmittag nicht mehr zugezogen wurden. „Wie lange fahren wir denn nach Countville?“, wollte sie schließlich wissen und setzte sich wie gewohnt auf den Zweisitzer. „Wer sind wir?“, entfuhr es Achaz in halb zornigem Tonfall. Genau wie Tamaro, als er ihr diese Idee ausreden wollte, überging Katherine auch Achaz: „Die Sonne geht bald unter.“ „Ja...“, begann Tamaro langsam, sich noch nicht ganz im Klaren, ob er Achaz die Situation erläutern oder auf Katherines Bemerkung eingehen wollte, „Ich denke wir sollten uns langsam zur Bahnstation aufmachen.“ Während Achaz noch leicht verwirrt zwischen Vampir und Werwolf hin und her blickte, gab es für Katherine einen neuen Anlass, sich zu wundern: „Wir fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln?“ „Na was hast du denn gedacht? Jemand der so lange lebt wie wir, bekommt doch keinen Führerschein, vor allem ohne Personalausweis – der Menschen logisch erscheinen würde“. Es schien, als habe auch Achaz die Angelegenheit übergangen, die ihn noch bis eben aufgebracht hatte, doch in Wirklichkeit nutzte er nur die Situation, um seiner Missbilligung Katherine gegenüber Ausdruck zu verleihen. „Es gibt immer Mittel und Wege“, deutete diese mit verschränkten Armen und völlig desinteressierter Mine an. „Na dann kannst du ja fahren“, beendete Achaz das Gespräch – zumindest aus seiner Sicht, denn Katherine hob nun eine Augenbraue an und gab zurück, dass Werwölfe immerhin ein Spiegelbild hätten und ihnen nicht so große Gefahr liefe, aufzufallen. „Du selbst beschwerst dich doch ständig, wie jung wir aussehen. Wie stellst du dir das bitte vor?“ Doch ehe die Situation erneut eskalieren konnte, schnitt Tamaro den beiden ins Wort: „Könntet ihr bitte damit aufhören? Das ist ja kaum auszuhalten.“ So kühl diese Sätze auch geklungen hatten, Tamaro brachten die ewigen Streitbreien der beiden aus dem Takt, was ihn dazu brachte, seine Jacke zu nehmen und einfach durch die Haustür ins Freie zu verschwinden. Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, warfen sich der zurückgebliebene Werwolf und der Vampir verwirrte Blicke zu, bis sie selbst, in stiller Übereinkunft, aufstanden, um Tamaro einzuholen. Selten hatte Achaz seinen Freund so aufgewühlt erlebt. Eigentlich war er immer der Gelassenere der beiden Werwölfe gewesen, was ihm nun zu denken gab. Konnte es wirklich nur an ein paar Streitereien liegen, die ihn störten, oder waren es viel eher Streitereien zwischen seinem besten Freund und seiner neuen Freundin, die er nicht ertragen wollte? Das ging Achaz durch den Kopf, während er, neben Katherine her, Tamaro folgte. „Er benimmt sich ungewöhnlich, nicht wahr?“, fragte Katherine ernst und ließ Achaz damit erschrocken zusammenzucken. Er hatte nicht erwartet jäh so eindringlich angesprochen zu werden; eigentlich hatte er nicht erwartet jemals so ernsthaft von diesem Vampir angesprochen zu werden. Egal wie sehr er auch nachdachte, er konnte seine Gedankengänge einfach nicht nachvollziehen. „Merkwürdig“, gab Achaz schließlich ebenso ernst zurück, kurz bevor sie Tamaro erreichten und ihn in ihre Mitte nahmen. Die Bahnstation war bereits zu sehen. Schweigen erfüllte die Fahrt nach Countville und war Tamaro bisher immer derjenige gewesen, der es zu brechen vermochte, so schien er sich nun in das Tiefste zu hüllen. Das ungleiche Dreiergespann fing sich zahlreiche verstohlene Seitenblicke der anderen Fahrgäste ein, besonders Katherine mit ihrer fast heruntergekommenen Erscheinung, doch keiner von ihnen schien die Anwesenheit der Leute wahrzunehmen. Nach einiger Zeit, die Bahn verließ gerade die Stadt Richtung Osten, blickte Katherine von ihren im Schoß gefalteten Händen zu Tamaro auf: „Ist dir unser Verhalten so lästig?“ Der Angesprochene, welcher die ganze Zeit aus dem Fenster gestarrt hatte, schreckte auf und blickte sich kurz zu ihr um, wandte sich dann jedoch bedacht erneut dem Fenster zu: „Nein... Nein, das ist es nicht.“ Er benötigte einige Sekunden um das zu formulieren, was er ausdrücken wollte: „Weißt du noch, als du sagtest, dass Worte manchmal zu viel sagen? Genau das fühle ich jetzt.“ Ein leicht verzücktes Lächeln bildete sich auf Katherines Lippen ab, bevor sie antwortete: „Ja, das verstehe ich.“ Damit lehnte sie den Kopf an Tamaros Schulter und schloss die Augen, sich so der Ansprechbarkeit entziehend. Kaum, da Tamaro den Druck an seiner Schulter spürte, begann sein Herz so laut zu schlagen, dass er das Gefühl hatte, Katherine müsste es hören. Langsam wandte er sich nun endlich von der vorüberziehenden Landschaft ab und blickte in das Gesicht des Vampirs, welcher eher schlecht als Recht auf seinem Sitz hing, um sich an Tamaros niedrige Schulter lehnen zu können. Tamaro gab seinem Herz eine gute Minute Zeit, sich zu beruhigen, bevor er verstohlen zu Achaz aufsah. Dieser jedoch hatte die Arme vor der Brust verschränkt und betrachtete angestrengt die Decke des Wagons, sodass Tamaro den Blick erneut über Katherines Gesicht schweifen ließ, nicht sicher ob es richtig war, dass sie nun an seiner Schulter lehnte, nicht sicher, ob es richtig war, ohne ein Wort darüber gesprochen zu haben, einfach so, aus dem Empfinden heraus. Wie schon so oft begann Tamaro sich zu fragen, ob er wirklich der Einzige war, der den raschen Sinneswandeln seiner Freunde, insbesondere den Katherines, nicht folgen konnte. Sie gingen inzwischen den nicht allzu kurzen Weg von der Bahnstation nach Countville, denn das Städtchen war verkehrstechnisch wirklich schlecht angebunden und Katherine und Achaz hatten nach kurzer Zeit der Langeweile begonnen ein Spiel zu spielen: „Wer von uns fürchtet schon den Tod?“, sang der Vampir in der Melodie eines bekannten Marschliedes, während Achaz in der Melodie des folgenden Verses dazu reimte: „Wir verspeisen ihn zum Abendbrot!“ „Über Wald und Feld, so laufen wir.“ „Begegnen dabei allerhand Getier!“ „Könntet ihr bitte damit aufhören?“, hakte Tamaro nach einiger Zeit leicht gereizt nach. „Natürlich können wir das“, gab Katherine gelassen, jedoch mit kaum überhörbarer Verunsicherung in der Stimme zurück. Doch Achaz winkte ab: „Er ist immer so leicht reizbar, wenn Vollmond naht.“ Mit gerunzelter Stirn nickte Katherine und man konnte ihr ansehen, dass sie sich bei dem Gedanken nicht wohl fühlte. Vielleicht weil sie es gewohnt war, selbst der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und Rücksicht zu sein. „Ach Quatsch“, murmelte Tamaro, der die ganze Zeit ein Stück hinter den beiden Anderen zurückgeblieben war, doch nun zu ihnen aufschloss und das Thema wechselte, „Ich dachte ihr beide versteht euch nicht.“ „Tun wir auch nicht“, gaben Katherine und Achaz wie aus einem Mund zurück, ärgerten sich darüber, dass der jeweils andere das gleiche gesagt hatte wie sie und verschränkten die Arme. Dieser Anblick rang Tamaro ein Lächeln ab. „Wie Pech und Schwefel, die beiden. Sie passen gut zusammen und feinden sich zugleich an – und das scheint ihnen auch noch Spaß zu machen“, dachte er bei sich. Tatsächlich machte der nahende Vollmond Tamaro zu schaffen. Die Sonne war nur noch als Halbkugel über dem Horizont auszumachen und ein beißendes Ziehen fuhr in unregelmäßigen Abständen durch seine Gliedmaßen, was er selbst als Grund für seine Reizbarkeit ausmachte. Doch immer, wenn er sich kurz bevor der volle Mond am Himmel stand, im Ton vergriff, tat es ihm schon kurz darauf Leid – was eigentlich kein Problem war, denn er war meist nur mit Achaz unterwegs und dieser kannte das Problem nur zu gut, vielleicht auch von sich selbst. Doch darüber hatte er nie auch nur ein Wort verloren. Nach einer kleinen Weile erreichten die Werwölfe und der Vampir eine Art Lichtung, ein großer Platz, von Bäumen umgeben. Den Titel „Dorf“ verdiente dieser Ort gewiss nicht: Gerade fünf alte Fachwerkhäuser konnte Katherine ausmachen, halb von Bäumen verdeckt. Eine überraschend große Gruppe von Menschen erwartete die Besucher – zumindest Tamaros und Achaz' Gesichter taten Überraschung kund, wohingegen Katherine lediglich die Hände in die Hüften stemmte und sich umblickte. Zwischen dem guten Dutzend Menschen auf der Lichtung befand sich nur ein einziges Mädchen, brünett. Es winkte den Gästen zu und kam dann in ihre Richtung gelaufen. „Hallo Achaz!“, begrüßte sie den blonden Werwolf, schien dann jedoch auch die Anwesenheit der Anderen zu bemerken, „Ach und hallo Tamaro. Ihr habt noch jemanden mitgebracht? Wie schön!“ Kaum, da das Mädchen ausgesprochen hatte, warf Tamaro Katherine einen Blick zu, der ihr eindeutig vermittelte, dass er dieses Mädchen für noch um einiges merkwürdiger hielt, als sie – und Katherine wusste genau, was er meinte. Ihre freundliche Art wirkte aufgesetzt und wenn es eines gab, was den Vampir ärgerte, dann war es, wenn Menschen sich verstellten. „Kommt mit zu den Anderen!“, forderte das Mädchen die drei Besucher nun auf und ging an Achaz Seite zu der Menschenansammlung zurück. Tamaro und Katherine hingegen ließen sich etwas zurückfallen, um noch einige kurze Worte zu wechseln. „Wie heißt sie eigentlich?“, ärgerte sich Katherine offenkundig darüber, dass sich das Mädchen nicht vorgestellt hatte. „Madlene“, gab Tamaro kurz angebunden zurück. Nach einer kurzen Pause raunte Katherine mehr zu sich selbst als zu ihm: „Sieht aus, als sei dieses ganze verdammte Dorf nur von Werwölfen besiedelt.“ Doch schon hatten sie zu Achaz und Madlene aufgeschlossen, welche sich über alles und doch nichts unterhielten. Tamaro selbst war nicht zum Reden aufgelegt. Die Sonne war bereits hinter dem Horizont verschwunden und er konnte spüren, wie sein Verstand zurückgedrängt wurde. Immer wieder wurden Denkvorgänge unterbrochen und ergossen sich in endloses Schwarz, bis Tamaro wieder aufschrak, nicht wissend, worüber er nachgesinnt hatte. Auch Katherine übte sich in Schweigen. Je dunkler es wurde, desto mehr schärften sich ihre Sinne, fuhren Mächte in ihren Körper, über die sie am Tage nicht verfügte. Doch das war es nicht, was sie am Sprechen hinderte; sie erlebte dieses Gefühl in jeder Abenddämmerung, seit langer Zeit – und es gefiel ihr. Nein, viel eher war es die Gegenwart der vielen Menschen, die ihr nicht behagte. In der Stadt hatte sie sich meist nur bei Nacht gezeigt, wenn nur noch wenige Menschen unterwegs waren, vielleicht auch deshalb spürte sie die menschliche Gegenwart so intensiv, als wären es nicht rund fünfzehn, sondern mindestens dreißig gewesen. Katherine wandte sich Tamaro zu, um ihm noch eine letzte Frage zu stellen, bevor die Nacht herein brach, doch schon verschwanden die letzten Strahlen der Sonne und Katherine konnte ihre volle Macht durch ihren Körper fließen spüren. Zur selben Sekunde war ein Getöse auf dem Platz ausgebrochen: Menschen krümmten sich zusammen, schrien vor Schmerz auf. Als Katherine auch einen solchen Schrei Tamaros ausmachte, konnte sie ihre Augen nicht mehr von ihm wenden. Fell spross aus seinem Körper, die Hände formten sich zu mächtigen Pranken und er wuchs auf gute zwei Meter Größe an. Das rote Glühen in den Augen des Wolfs ähnlichen Wesens fesselte den Vampir weniger denn das seidig schwarze Fell, welches der Werwolf sein Eigen nannte. Die anderen Wölfe um sie herum trugen nur Pelz in verschiedenen Grautönen zur Schau. Doch Katherine hatte nicht die Zeit sich länger darüber Gedanken zu machen, denn nun war die Verwandlung beendet – sie sah sich den roten Augen eines ausgewachsen Werwolfs gegenüber. Katherine machte sich zum Kampf bereit: Sie wollte den Wolf ihr gegenüber nicht verletzen, doch sie würde sich verteidigen. Schon sprangen die Werwölfe los. Alle Muskeln in Katherines Körper spannten sich an und ihre Augen fixierten Tamaro, der ihr am nächsten war – doch die Wölfe stürmten unter lautem Geheul an ihr vorbei in den Wald hinein und ließen einen verdutzten Vampir zurück. „Wieso haben sie mich nicht angegriffen?“, fragte dieser sich, doch kurz darauf konnte er sich diese Frage selbst beantworten. Da Werwölfe sich nicht unter Kontrolle hatten, während sie verwandelt waren und starben, wenn sie Vampirblut zu sich nahmen, handelte es sich nur um einen natürlichen Selbstschutz. Zudem vermutete Katherine, dass die Wölfe ihre Beute über Wärmestrahlung ausmachten und sie selbst hatte schon seit Jahrhunderten keine Wärme mehr erzeugt – schließlich war sie bereits gestorben. Doch sicher wusste sie es nicht und vermutlich würde sie es auch nie erfahren. Gerade wollte sich der Vampir entspannt auf einen der nahe gelegenen Bäume zurückziehen, als er etwas Ungewöhnliches bemerkte. Über den Schrecken hatte er es nicht bemerkt, doch immer noch war die Anwesenheit von Menschen zu spüren und nun meinte sich Katherine auch zu erinnern, dass höchstens sieben Wölfe an ihr vorüber gezogen waren – nicht über zwölf. Argwöhnisch blickte sie sich um, doch ehe sie in die Richtung gehen konnte, in der sie die Menschen versteckt vermutete, wurde ihre Aufmerksamkeit von etwas Anderem angezogen. Das Geräusch von etwas Schwerem, das durch die Luft sauste, dann sein Aufprall auf dem Boden, das Leuten eines kleinen Glöckchens zeitgleich zu dem erzürnten Knurren eines Wolfs. Die Neugierde trieb Katherine dazu, von ihrem ursprünglichen Vorhaben abzulassen und in Richtung der Geräusche in den Wald zu laufen. Es dauerte nicht lange, da sie vor einem Käfig stand, in dem der Werwolf mit dem schwarzen Fell gefangen war. Sein knurren war zornig und immer wieder schlossen sich seine Pranken um die Gitterstäbe des Käfigs um sie dann mit einem Fiepsen wieder loszulassen. Verwundert trat der Vampir an den Käfig heran, sich fragend aus welchem Grund sich das starke Tier nicht selbst befreite, doch aus der Nähe betrachtet, wurde es ihr klar: das riesige Gerüst bestand aus einer harten Silberlegierung und Silber war das einzige Metall, das einem Werwolf nachhaltigen Schaden zufügen konnte, so weit reichte Katherines Vertrautheit mit dem Werwolf-Mythos, der nun für sie keiner mehr war. Bei genauerem Hinsehen konnte sie auch Brandspuren an den Pranken Tamaros ausmachen, die ihm allerdings nach dem Ablassen von den Gitterstäben kaum noch Schmerzen zu bereiten schienen. Nun trat Katherine auf den Käfig zu und auch sie versuchte die Gitterstäbe auseinander zu biegen, doch auch in der Nacht reichte ihre körperliche Stärke nicht dafür aus, genauso wenig wie für das Anheben des über zwei Meter hohen Metallgerüstes. Verärgert fauchte der Vampir auf. Wieso um alles in der Welt versuchte jemand einen Werwolf zu fangen, was hatte er davon? Denn um eine gewöhnliche Wildfalle handelte es sich bei dieser Vorrichtung gewiss nicht. Noch während er weiter darüber nachdachte, drang weiteres Heulen an seine Ohren. Langsam, fast wissend, schritt Katherine durch das dicht liegende Laub auf die Quelle des Geräusches zu und sie schien nicht überrascht, als sie einen weiteren Werwolf gefangen vorfand: Dieses mal allerdings in einer tiefen Grube. Irritiert trat der Vampir nun vom Abgrund zurück, dachte für den einige Sekunden nach und machte sich dann mit festem Schritt auf den Weg zurück zu der Lichtung, zurück zu den verbliebenen Menschen. Erst, als er ihnen gefährlich nahe gekommen war, wurde er eins mit der Nacht und schlich sich als unsichtbarer Schatten an die Gruppe heran, die sich in einen Kreis von Gebüsch zurückgezogen hatten. „Hoffentlich sind wirklich alle von denen in den Wald rein. Wenn uns einer bemerkt, sind wir tote Leute“, flüsterte der eine Mann aus der Gruppe, seine Kleidung wirkte recht altmodisch. „Die sind längst weg“, lachte ein Schwarzhaariger triumphierend und brachte dabei gelbliche Zähne zu Tage. Inzwischen stand Katherine so dicht hinter dem Mann, der als erstes gesprochen hatte, dass sie durch ihre geschärften Sinne seinen Pulsschlag hören konnte. Ein breites Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus: „Gewiss, sie sind fort, eure Fallen haben wirklich hervorragend funktioniert. Doch was ist mit mir?“ Damit ließ sie ihre Tarnung fallen und wurde für die Menschen um sie herum sichtbar. Erschrockene Aufschreie ließen ihr Lächeln nur breiter werden und als einer der Männer ein ängstliches: „Wer bist du?“ stammelte, schlang sie ihre ungewöhnlich mageren Arme um den Hals des Mannes, der immer noch vor ihr saß, starr vor Schreck: „Katherine nennt man mich und Vampir meine Rasse.“ Sie musste sich zusammenreißen den Mann in ihren Armen nicht sofort zu beißen und damit zu töten. Schließlich brauchte sie die Hilfe dieser Idioten um die Werwölfe zu befreien: Ein Gemetzel brachte ihr genauso wenig, wie eine panische Flucht der Dorfleute. Sie konnte den Mann mittleren Alters zittern fühlen, was ihr gefiel und erneut ein Lächeln auf die stechend roten Lippen zeichnete. „Und nun sagt mir, wenn ihr leben wollt: Wieso fangt ihr die Werwölfe?“, fauchte sie katzengleich. Es war ein Junge, noch halb ein Kind, der mutig aufstand und zu ihr sprach, wofür sie ihm einen anerkennenden Blick schenkte: „Wenn wir sie nicht ausrotten, rotten sie uns aus!“ Katherine ließ den zitternden Mann los und trat auf den Jungen zu, um sich vor ihm nieder zu hocken: „Was ist mit Madlene?“ „Sie hat die Werwölfe hergeführt, Mam, sie ist meine Schwester“, gab der Junge zurück, inzwischen schwang auch in seiner Stimme Angst. Nach dieser Antwort blickte sich Katherine nach besagter Schwester um, doch sie war nicht unter den Menschen hier im Gebüsch. Das hieß sie war unter den Werwölfen gewesen. „Und was habt ihr mit den Werwölfen vor, nun, da ihr sie gefangen habt?“, fragte der Vampir mit süßer Stimme weiter. „Töten, wenn sie in ihre menschliche Gestalt zurückkehren!“, schrie der schwarzhaarige Mann, der vorhin gesprochen hatte, plötzlich auf. Welch ein Fehler. Jäh in Rage sprang Katherine auf und auf den Mann zu, fauchte gebieterisch, wobei sie ihre Fangzähne entblößte und packte den Mann. War ihre Körperkraft auch nicht ausreichend, um einen schweren Eisenkäfig anzuheben, so reichte sie jedoch, um den Mann so fest zu packen, dass er kaum noch Luft bekam. Langsam nährten sich ihre Lippen seinem Hals, doch kurz vor der Berührung hielt sie inne und flüsterte: „Das denke ich nicht.“ Laut fügte sie hinzu: „Befreit die Werwölfe, und zwar alle!“ Dann ließ sie den Mann schlagartig los, der zitternd in sich zusammen sackte: „Los! Wenn sie euch nicht töten, tue ich es!“ Diese Worte hatten genügt, um die Menschen in Bewegung zu bringen: Sie sprangen aus dem Gebüsch heraus und machten sich in Gruppen auf den Weg zu den aufgestellten Werwolf-Fallen – immer in Begleitung des Vampirs in seiner unsichtbaren Gestalt. Hier und da – immer dann, wenn Katherine sich nicht mehr beherrschen konnte – verschwand einer der Dorfbewohner spurlos und würde auch nie zurückkehren. Der Morgen dämmerte bereits, als die verbliebenen Dorfbewohner den letzten Werwolf befreiten, der in einer tiefen Grube ohrenbetäubend heulte. Während Katherine die Zurückverwandlung des Wolfs in einen Menschen beobachtete, fuhr ihr durch den Kopf, wie erstaunlich viele Menschen diese Aktion überlebt hatten. Scheinbar hatte die Gefangenschaft den Werwölfen derartig zugesetzt, dass sie nach ihrer Befreiung nur noch die Flucht im Sinn hatten. Es war Achaz, der nun in menschlicher Gestalt an einer Strickleiter die Grube hinauf kletterte, sich oben angelangt den gröbsten Schmutz von der Kleidung wischte und Katherine verwirrt anblickte, die nun, da die ersten Sonnenstrahlen den Wolken verhangenen Himmel erhellten, keinen Schutz mehr in der Nacht fand. „Was ist passiert, wieso war ich da unten?“, fuhr er sie sogleich verärgert an, doch der Vampir antwortete nicht, zuckte nur die Achseln und nickte mit dem Kopf in Richtung der Dorfbewohner die etwas verlegen neben der letzten Werwolf-Falle standen. Immer noch erzürnt fuhr Achaz fort: „Na schön, gehen wir erst mal zur Lichtung zurück, da sollten auch die anderen Werwölfe eintreffen, dann können wir das klären.“ Dabei warf er den Dorfbewohnern einen alles andere als freundlichen Blick zu. „Du hast da übrigens was“, brummelte er dann noch in sich hinein und deutete mit dem Zeigefinger auf seine Lippen. Ein schauriges Grinsen, das seinen Platz wohl eher in der Nacht denn am Tage fand, zeichnete sich auf Katherines Lippen ab: „Oh.“ Dann fuhr sie sich mit dem Handrücken über die Lippen, um die übrig gebliebenen Bluttropfen abzuwischen und ging in Richtung der Lichtung voraus. Als Katherine, Achaz und die Dorfbewohner auf eben dieser Lichtung ankamen, hatten sich dort bereits alle übrigen Werwölfe – auch Madlene – versammelt. „Was geht hier vor? Ich fühle mich wie gerädert und damit scheine ich nicht der einzige zu sein“, war Tamaros an Katherine und Achaz gewandte Begrüßung. „Da ich gerade aus einer Fallgrube gekraxelt bin“, brauste Achaz erneut auf, „Vermute ich stark, dass wir rein gelegt wurden. Scheinbar haben diese netten Leute versucht uns einzufangen – und es auch noch geschafft!“ „Wieso?“, forderte ein dunkelhaariger Werwolf eine Erklärung der Menschen. Während die Männer nur halblaut herumdrucksten, war es erneut der Junge, der mutig vortrat: „Die Werwölfe sind eine Bedrohung für uns! Wenn wir sie nicht töten, dann töten sie uns.“ „Wir sind nur wegen Madlene hier, ohne sie wären wir zur Zeit des Vollmondes in unbewohnten Gebieten am Stadtrand gewesen“, brummte ein durch seine ausgeprägte Größe auffallender Werwolf. Zustimmendes Gemurmel stellte sich ein. „Was sollte ich denn machen?“, fuhr Madlene nun auf, „Wenn ich euch nicht hergelockt hätte... Na sie hätten mir im Schlaf die Kehle durchgeschnitten. Immerhin wohne ich hier!“ Katherine hatte sich inzwischen abgewandt, als ginge sie die ganze Sache überhaupt nichts an und schritt in langsamem Tempo Richtung Waldrand davon. „Wie konntest du das tun? Wir haben dir vertraut!“, schrie Achaz sie von unten herauf an. „Das ist doch völlig egal“, beschwerte sich ein anderer Werwolf, „Viel wichtiger ist, wieso wir umständlich in Wolfsgestalt gefangen werden sollten, wenn man uns als Mensch doch viel leichter umlegen kann.“ Wieder ertönte zustimmendes Gemurmel. „Dann hätten wir nicht sicher gewusst, dass ihr Werwölfe seid“, bekräftigte der Junge das Handeln seiner Dorfgemeinschaft. Erst jetzt bemerkte Tamaro, dass Katherine nicht mehr an seiner Seite stand. Verwundert blickte er sich nach ihr um und entdeckte sie in behaglichem Tempo auf den Waldrand zugehend, sie hatte ihn schon beinahe erreicht. „Katherine!“, rief er ihr nach, doch der Vampir reagierte nicht, sodass Tamaro ihm kurzerhand nachlief. Kaum, da Katherine den Wald betrat, hatte er sie schon eingeholt: „Katherine, was soll denn das?“ Erst jetzt blieb sie stehen, ihm immer noch den Rücken zugewandt: „Ich bin ein freier Vampir. Darf ich nicht mehr wann und wohin ich will gehen?“ Ihre Stimme war fest und kalt und ließ Tamaro einen leichten Schauder über den Rücken laufen. Das machte alles überhaupt keinen Sinn: Noch in der Bahn hatte sie sich an ihn gelehnt und nun ging sie, einfach so, ohne ein Wort zu sagen? „Natürlich nicht“, antwortete Tamaro noch leicht außer Atem, da er ihr nachgerannt war, „Du kannst tun und lassen, was du willst.“ Auf diese Antwort hatte Katherine scheinbar nur gewartet, denn nun setzte sie ihren Weg in den Wald hinein fort. „Katherine, nun warte doch mal“, damit packte Tamaro sie am Handgelenk und brachte sie so dazu, erneut stehen zu bleiben, „Ich will nur wissen, warum du gehst, so plötzlich.“ Die Angesprochene legte den Kopf in den Nacken und blickte zum Blätterdach des an dieser Stelle noch lichten Waldes empor: „Ich habe alles getan, was zu tun war. Ich ahnte, dass an der Einladung hier her etwas nicht stimmt, daher habe ich euch begleitet. Nun, ich habe alles ausgebügelt, was es auszubügeln gab, meine Arbeit ist erledigt.“ „Einfach so? Das kann doch nicht dein Ernst sein, war das alles, weshalb du uns begleitet hast? Um hier ein wenig aufzuräumen?“, eine Mischung aus Zorn und Enttäuschung schwang in Tamaros Stimme mit, als er diese Worte aussprach. Etwas in ihm wollte oder konnte nicht begreifen, dass Katherine verschwinden wollte, so jäh und ohne ein Wort. Denn er war sich sicher, dass sie nicht zurückkehren würde, ließe er sie jetzt einfach gehen. Erst jetzt wandte sich Katherine zu ihm um, das Gesicht schmerzlich verzerrt und Tamaro war sich sicher, wäre sie noch am Leben gewesen, wären ihr Tränen über die Wangen geflossen: „Du sagtest es ginge nicht, ohne sich vorher abzusprechen, du meintest man müsste über so etwas reden. Kein Wort hast du gesagt, kein Einziges!“ Einen Moment lang wusste Tamaro nicht recht, was er erwidern sollte. Sicher hatte er gesagt, dass man sich absprechen müsse und nicht einfach beschließen könne, zusammen zu sein. Doch nun war ihm die Nähe des Vampirs so selbstverständlich geworden, dass er nie das Bedürfnis verspürt hatte, auch nur ein Wort über ihre Beziehung zueinander zu verlieren. Erst jetzt wusste er, wie Katherine gefühlt hatte, als sie für ihn so unnachvollziehbar handelte und plötzlich behauptete, mit ihm zusammen zu sein. Doch was bedeutete das, erst jetzt? Es waren kaum ein paar Tage verstrichen und auch jetzt war dem Werwolf nicht klar, wie sich solche Gefühle in derartig wenig Zeit entwickeln konnten. Natürlich, sie hatten zusammen gelacht und nun auch diese Nacht überstanden, die jeden Monat auf ähnliche Weise wiederkehren würde. Sie hatte sich für die Werwölfe eingesetzt, ihn gerettet. War all das nicht Beweis genug? Beweis für den Ernst ihrer Gefühle? „Es tut mir Leid“, sagte Tamaro schließlich nach einer endlos scheinenden Minute, „Ich habe mich geirrt. Manchmal ist es nicht nötig, über Dinge zu sprechen, wenn der Andere die eigenen Gefühle zu teilen scheint – selbst über solche Dinge nicht.“ Katherine sank auf die Knie, um die Arme um Tamaros Hals zu schlingen und ihm direkt in die dunklen Augen zu blicken: „Willst du damit sagen, es ist dir möglich mich zu lieben?“ „Nein“, antwortete Tamaro und sein Herz schlug so heftig, dass er befürchtete, es würde zerspringen. Katherine neigte den Kopf zur Seite, um seinen Blicken auszuweichen, die Augen in Schmerz verengt. Doch Tamaro fügte leise, fast im Flüsterton hinzu: „Was ich damit sagen will ist: Ich liebe dich.“ Kapitel 2: Roter Mond --------------------- Erneut hatte eine Nacht Einzug gehalten und eine frostige Brise ließ das noch verbliebene Laub in den Bäumen geheimnisvoll rascheln. In der absoluten Stille – nur hier und da durch ein vorbeifahrendes Auto gestört – schien dieses Geräusch lauter denn je, doch die beiden Gestalten auf der Terrasse ließen sich davon nicht beirren. Die eine von ihnen war groß, saß mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf einem der Gartenstühle und blickte zum Mond hinauf, der den Himmel allein erhellte, denn die Sterne waren von der Nacht verschluckt worden. Die andere war viel kleiner als die erste Gestalt und saß den Kopf in die Hände gestützt, das Mädchen sich gegenüber musternd. „Woran denkst du?“, wollte Tamaro schließlich wissen und richtete sich zu voller Größe auf – was allerdings nichts heißen mochte. „Sieh nur, der Mond scheint Orange heute Nacht. Als wäre er ein Sünder, mit Blut befleckt. Ich finde es wunderschön, wahrlich eine Nacht zum Vergießen von Blut“, antwortete Katherine verträumt, die Augen nicht von dem Mond abwendend. „Ich halte nicht viel von diesem Mond“, sagte Tamaro fest und vermied den Blick hinauf gen Himmel, „Und so romantisch, wie du meinst - wenn du es so bezeichnen möchtest - ist er auch nicht. Es ist Schmutz in der Atmosphäre, der ihn orange-rot wirken lässt.“ „Das macht nichts“, antwortete Katherine mit einem verschmitzten Lächeln und blickte nun endlich ihren Gesprächspartner an, „Denn es mindert seinen Einfluss nicht. Ich bin sicher, dass in dieser Nacht viel Blut vergossen wird.“ Nach einer kleinen Pause fuhr sie mit einem breiten Grinsen fort: „Und wenn es so ist, wie du sagst: Wie erklärst du dir die Auswirkung des Vollmondes auf dich? Der Mond verursacht die Gezeiten, sicherlich, doch genügt seine Macht nicht einmal, um Wasser in einer Regentonne in Wallung zu bringen – wie also soll er Einfluss auf einen Menschen haben, auch wenn dieser nun einmal aus 80% Wasser besteht.“ Jäh erhob sich Tamaro und machte Anstalten wieder in sein Einfamilienhaus zurückzukehren: „Was soll das? Dieses Gespräch führt nirgendwo hin!“ „Warte.“ Nun war auch Katherine aufgestanden und legte die linke Hand auf Tamaros Schulter, um ihn zurückzuhalten: „Sieh ruhig zu ihm auf, er ist wunderschön, gerade heute Nacht.“ Als Tamaro nicht reagierte, setzte sie hinzu: „Manchmal muss man die Dinge nur danach betrachten, was sie sind und bewirken, nicht nach dem, was sie sein und bewirken könnten.“ Sanft aber mit Nachdruck schob Tamaro die Hand von seiner Schulter und wandte sich wieder dem kleinen Garten zu, über dem der orange-rote Mond am Himmel prangte. Vielleicht hatte sie Recht. Einmal im Monat ließ der Mond ihn zu einem willenlosen Wolfswesen werden, willkürlich mordend. Doch wenn er recht darüber nachdachte, so hatte er keinerlei Beweis, dass es wirklich der Mond war, der ihn zu diesem Wesen machte – zudem lag der Vollmond noch in weiter Ferne. Hatte er es bei Katherine nicht ähnlich gehalten? Sie hätte ihn töten können, jeder Zeit, auch ohne selbst dabei Schaden zu nehmen, doch danach hatte er sie nicht gewertet, sondern nach dem, was sie wirklich war. Katherine beobachtete ihn aus verengten Augen, als Tamaro nun endlich den Blick zum Mond hinauf wandern ließ und entspannte sich, als sich ein Lächeln auf seinem Gesicht abbildete: „Er ist wirklich schön, das ist ihm wohl nicht abzusprechen.“ Mit einem frechen Grinsen im Gesicht öffnete Katherine nun die Terassentür, um Tamaro einzulassen und sagte, als er an ihr vorbei ins Haus ging: „Und was machen wir jetzt? Wir könnten Horrorfilme gucken und Instant-Kaffee trinken!“ „Manchmal bist du mir wirklich ein Rätsel.“ Da Katherine am Morgen erwachte, war es bereits kein Morgen mehr, sondern viel eher früher Nachmittag. Sie richtete sich auf und fragte sich, aus welchem Grund sie eigentlich immer noch auf der Couch im Wohnzimmer schlief, bis ihr Blick auf benutzte Kaffeetassen auf dem kleinen Couchtisch fiel. „Vielleicht sollte ich nicht immer so viel trinken“, dachte sie bei sich, nahm das schmutzige Geschirr und brachte es in die Küche. Das Haus war still, doch sie war es gewohnt, Tamaro war selten noch da, wenn sie erwachte und zu wecken vermochte er sie nicht – natürlich nicht, denn Katherine war gerade eben von den Toten auferstanden. Nur seltsam, dass er das Geschirr nicht weggeräumt hatte, das tat er sonst immer. Einen Augenblick lang stand Katherine in Gedanken vor der Spüle und musterte die Kaffeetassen, als seien sie das Interessanteste, was sie je gesehen hatte, dann entschloss sie sich das Geschirr zu spülen, da sie sowieso nichts anderes zu tun hatte. Während dieser Arbeit sinnte sie darüber nach, was Tamaro wohl jeden Morgen trieb, wobei sie sich erneut daran erinnerte, dass er ihr nicht hatte verraten wollen, wie er dieses Haus eigentlich finanziert, wobei ihr beinahe eine der Tassen heruntergefallen wäre. Als das Geschirr sauber im dafür vorgesehenen Schrank verstaut war, machte sich Katherine gelangweilt auf den Weg nach draußen, um die Zeitung zu holen. Gerade, als sie diese hervor zog, vernahm sie zwei ihr nur zu gut bekannte Stimmen: „Was soll das, wieso schleppst du mich durch die halbe Stadt?!“ Eine wütende Stimme, laut und unnachgiebig. „Achaz, das ist kein Grund sich aufzuregen. Du bist seit Tagen nicht mehr aus dem Haus gegangen, ein kleiner Spaziergang kann dir nicht schaden.“ Und diese wohlwollende, jedoch nachdrückliche Stimme gehörte eindeutig Tamaro. Als sich Katherine zur Straße umwandte, konnte sie die beiden schon auf sie zukommen sehen. „Spaziergang, meinetwegen, aber wieso schleppst du mich zu dir nach Hause? Da ist SIE!“ Nach einer kurzen Pause fuhr die wütende Stimme genervt fort: „Na toll,da ist sie ja schon.“ „Guten Morgen Achaz“, begrüßte Katherine den blonden Werwolf kalt, wohingegen sie Tamaro freundlich zulächelte. Eigentlich hatte dieser bereits gedacht, Katherine und Achaz hätten sich ausgesöhnt, doch dem war offensichtlich nicht so, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, dass Achaz immer noch wegen diesen kleinen Zwischenfällen zornig war. Gut, Katherine hatte versucht ihn zu beißen und ihm dann die Haustür vor der Nase zugeknallt und Achaz war nicht der Typ, der so etwas einfach hin nahm. Doch auf der Fahrt nach Countville hatten die beiden sich so gut unterhalten, dass Tamaro fast begonnen hatte, an so etwas wie Freundschaft zwischen den beiden zu glauben. Jäh riss sich Achaz von Tamaro los, der ihn bis eben noch am Arm gepackt hatte, um ihn zu seinem Haus zu ziehen, und verschwand völlig freiwillig durch die Tür, welche er hinter sich zu knallte. Katherine und Tamaro tauschten einen verwirrten Blick, bevor sie ihm ins Wohnzimmer folgten, wo er es sich auf dem Zweisitzer bequem gemacht hatte. Erneut schienen es Vampir und Werwolf für den richtigen Zeitpunkt zu halten, einen Blickwechsel zu vollziehen. Bisher hatte Achaz immer auf dem kleinen Sessel neben dem Zweisitzer gesessen und sie waren nicht sicher, wie sie sich nun arrangieren sollten. Doch Katherine würde sich nicht neben Achaz niederlassen, so viel wahr klar. „Setz dich“, bot Katherine Tamaro wider erwarten den Sessel an, sie blieb stehen, die Arme vor der Brust verschränkt und ihr war anzusehen, dass ihre Laune so eben auf dem Nullpunkt angelangt war. „Ach, da du nun schon stehst“, begann Achaz mit einem verzerrten Grinsen an Katherine gewandt, offenbar fest entschlossen, seine Wut an ihr auszulassen, „Kannst du mir ja etwas zum Essen bringen.“ „Bitte?“ Deren Stimme hatte einen fast beängstigend ruhigen Ton angenommen. Tamaro wandte sich ihr halb erschrocken zu, natürlich wusste er, dass sich sein Freund unverschämt verhielt, doch da Katherine selbst teilweise nichts von guten Manieren zu halten schien, war ihm nicht klar, was sie so erzürnte. „Immerhin bist du die Frau im Haus“, setzte Achaz nach und ließ sich ins Sofa zurück sinken. „Raus hier.“ Erneut ein Ausspruch mit klarer, ruhiger Stimme, doch Katherines Augen hatten sich zu Schlitzen verengt und sie wies mit ausgestrecktem Arm auf die Haustür. In völligem Gegensatz reagierte Achaz sofort aufbrausend, er rutschte an die Sofakante vor, den Rücken gerade und entrüstete sich: „Ich lasse mich doch nicht hier her schleppen, um sofort wieder raus geschmissen zu werden! Gerade von dir!“ „Raus hier hab ich gesagt!“, brüllte nun auch Katherine, sie bebte vor Zorn, sodass Tamaro rasch aufstand, um sich zu ihr zu stellen und sie gegebenenfalls festzuhalten. Achaz sprang von der Couch auf: „Du hast hier gar nichts zu sagen!“ Schneller als Tamaro reagieren konnte, hatte sich Katherine den kleinen gläsernen Aschenbecher gegriffen, der zu jeder Zeit unbenutzt auf dem Couuchtisch stand, und ihn nach Achaz geworfen. Dieser schaffte es gerade noch rechtzeitig einen Satz zur Seite zu machen und den Kopf einzuziehen, bevor der Aschenbecher an der Wand zerschellte. „Raus!“ Mit geballten Fäusten und zitternd – ob nun vor Schreck oder Wut – warf Achaz ihr und Tamaro noch einen bösen Blick zu, bevor er sich im Laufschritt Richtung Tür aufmachte und sie hinter sich in Schloss fallen ließ. Es dauerte einige Sekunden, bis Katherine aus einer Art Starre erwachte und sich auf den Sessel fallen ließ - der Zweisitzer war mit Scherben übersät. Nachdem sie laut geseufzt hatte, setzte sich Tamaro zu ihr auf die rechte Armlehne des Sessels und blickte sie einige Sekunden lang stumm an. Er hatte überlegt, ob er sie darauf ansprechen sollte, dass sie soeben seinen besten Freund aus seinem eigenen Haus vertrieben hatte, entschied sich jedoch dagegen, als er Katherines Gesichtsausdruck näher betrachtete. Er war nun keineswegs mehr zornig verzerrt, ihre Stirn lag in Falten, die Augen hatte sie geschlossen, schien nachzudenken und sich an etwas zu erinnern. „Was hat dich so wütend gemacht?“, fragte Tamaro vorsichtig Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie wenig er eigentlich über den Vampir wusste, es war so gut wie nichts, kaum der Rede wert. Er kannte keine Silbe seiner Vergangenheit, noch hatte er es bisher vollbracht seinen Charakter vollständig zu ergründen. Einen Moment lang dachte er, Katherine würde ihm nicht antworten, doch dann sagte sie: „Ich habe geschworen mich nie wieder solchen Wünschen zu beugen, schon gar nicht denen eines Mannes.“ Nach einer kurzen Pause schlug sie die Augen auf und grinste: „Das heißt, falls man Achaz als Mann bezeichnen kann.“ Sofort war Tamaro klar, dass sie versuchte die Situation aufzulockern, ins Lächerliche zu ziehen, denn er kannte es von ihr. Und doch wollte er sich gerade dieses eine Mal nicht darauf einlassen, er war bestrebt mehr über Katherine zu erfahren und dies schien die richtige Gelegenheit zu sein. „Wieso?“, fragte er also, nicht auf den letzten Satz Katherines eingehend. „Nun“, begann diese leicht zögerlich, „Bis vor einigen Jahren verlangte man von einer Frau genau diese Dinge zu tun, Tag ein, Tag aus. Ich habe es einfach satt.“ „Und das ist alles?“ Ein leichtes Lächeln verzog Katherines Mundwinkel, es wollte Tamaro jedoch nicht fröhlich erscheinen, egal wie lange er es betrachtete. „Nein“, gab Katherine zurück und mühte sich seinem Blick auszuweichen. Es war deutlich zu spüren, dass sie nur ungern davon berichten mochte, Tamaro jedoch noch weniger belügen wollte, „Mein Schöpfer hat mich zu seinem Handlanger erzogen, seinem Mädchen für alles, irgendwann hatte ich es über. Daher sind wir im Streit auseinander gegangen, eigentlich haben Vampire ein gutes Verhältnis zu ihren Schöpfern, da Vampirgeburten meist mit gegenseitigem Einverständnis geschehen.“ „Ich verstehe“, antwortete Tamaro, eher, um kund zu tun, dass er ihr aufmerksam folgte, als der Worte willen. „Du siehst also“, lenkte Katherine erneut grinsend ein, „Im Grunde hatte es nicht viel mit Achaz zu tun, auch wenn ich finde, dass er sich wirklich daneben benommen hat.“ Damit erhob sich Katherine. „Das hat er wohl.“ „Tut mir Leid – wegen des Aschenbechers, meine ich“, fuhr der Vampir fast beiläufig fort und holte Besen und Kehrblech von dem ihm bekannten Ort in der Küche, um erneute von ihm verursachte Scherben zu beseitigen: „Er braucht dringend eine Freundin.“ „Meinst du Achaz?“, fragte Tamaro verwundert und beobachtete Katherine dabei, wie sie die Scherben auf das Kehrblech fegte. „Ja, er scheint diese Madlene wirklich gemocht zu haben – wieso sollte er sich sonnst so aufführen?“ „Es scheint so. Ich glaube er macht dich auch ein wenig für ihren Verrat verantwortlich, auch wenn ich nicht weiß, aus welchem Grund“, überlegte Tamaro laut und legte die Stirn in Falten, „Seit wann bist du so einfühlsam? Gerade bei Achaz, ich dachte du magst ihn nicht.“ „Das tu ich auch nicht!“, fuhr Katherine auf, als hätte der Werwolf sie mit seiner Aussage persönlich beleidigt. Nach einer kurzen Pause fuhr sie in sachlichem Tonfall fort: „Eigentlich ist es an mir spitzfindige Bemerkungen zu machen.“ „So soll es auch bleiben“, versicherte Tamaro ihr und stand von der Lehne des Sessels auf, um sich auf dem, nun von Scherben befreiten, Zweisitzer niederzulassen. „Fein“, gab Katherine zurück, entsorgte die Scherben und brachte Besen und Kehrblech an ihren angestammten Platz zurück. Dann ließ sie sich neben Tamaro nieder und griff nach der Tageszeitung, die sie vor Achaz' Besuch aus dem Biefkasten geholt hatte: „Wenn du zu ihm gehst – und das wirst du bald tun, denn er hat bei seiner Flucht seine Jacke vergessen - lad ihn ein mit uns auszugehen, ich habe da schon so eine Idee wohin.“ „Meinst du das ernst?“, wollte Tamaro wissen und prüfte mit einem raschen Blick, ob Achaz seinen Jacke wirklich vergessen hatte. Doch es stimmte, sie hing über dem Kleiderständer in der Ecke des Raumes. Katherines gemurmeltes „Todernst“ ging fast im Rascheln der Tageszeitung unter. „Sieh an, sieh an, ein Extrablatt“, trällerte sie fröhlich, als sie nun einen Einzelbogen aus der Mitte der Zeitung zerrte und es schien, als ahnte sie die Neuigkeiten bereits. Neugierig beugte sich Tamaro über die Zeitung: „Extrablätter drucken sie nur, wenn noch sehr wichtige Neuigkeiten nach Redaktionsschluss der Zeitung gemeldet werden, oder?“ „Völlig korrekt“, lächelte Katherine ihr verschmitztes Lächeln, überflog das Extrablatt und verkündete dann: „In der letzten Nacht vor vier Uhr wurden allein in der Stadt und Umgebung zwölf Leichen aufgefunden. Einige blutleer, mit schalen Einstichen am Hals, andere völlig entstellt. Sie vermuten die Menschen seien Ritualen von Sekten zum Opfer gefallen.“ Diese Neuigkeiten schienen Katherine sehr zu belustigen, denn ihr Grinsen wurde noch eine Spur breiter: „Ich sagte dir, es sei eine Nacht zum Blut Vergießen gewesen, nicht wahr?“ „Es gibt noch andere Vampire in der Stadt?“, wunderte sich Tamaro laut. Im Gegensatz zu seiner Freundin fand er den Zeitungsartikel weniger belustigend, denn makaber und erschreckend. „Natürlich. Aber die entstellten Leichen sind keinem Vampir zum Opfer gefallen. Ich frage mich nur was sie dann getötet hat“, überlegte Katherine, legte das Extrablatt von sich und die Stirn in Falten, „Ich kann nur hoffen, dass es andere Menschen waren.“ „Wieso? Was könnte es denn sonst gewesen sein? Immerhin war letzte Nacht kein Vollmond“, mühte sich der Werwolf leicht hin zu sagen. „Ich weiß es nicht...“ „Wieso müssen wir diese seltsamen Klamotten tragen?“, beschwerte sich Achaz, da er und Tamaro Katherine durch einige zwielichtige Hinterhöfe und Seitenstraßen folgte. Die Nacht war bereits seit einigen Stunden heran gebrochen. Bis jetzt war Tamaro immer noch nicht sicher, wie er es geschafft hatte, seinen Freund zu überreden, mit ihm und Tamaro in einen der Nachtclubs zu gehen. Sicher, er hatte protestiert, jedoch überraschend schnell nachgegeben, sodass Tamaro die Vermutung blieb, er hatte einen Ausflug dieser Art bitter nötig gehabt. „Ganz einfach, damit wir nicht auffallen, natürlich“, belehrte Katherine den blonden Werwolf mit hoch erhobenem Zeigefinger, „Ein Vampir und zwei Werwölfe in einem Club – wenn wir uns noch auffällig kleiden können wir uns schon als Forschungsobjekte betrachten.“ „Natürlich, sicher“, murmelte Achaz, „Ich habe auch nichts gegen schwarze Klamotten, aber dieses Nietenhalsband geht wirklich zu weit!“ Der letzte Satz ging fast im metallischen Klirren Katherines Eisengürtels unter, der ihr schräg über die Hüfte fiel und beinah so lang wie ihr unverschämt kurzer Lederrock war. „Irgendwo hat er schon Recht“, meldete sich Tamaro etwas zurückhaltend zu Wort und prüfte die Löcher in seinem Shirt, welche Katherine mit bloßen Händen in den Stoff gerissen hatte, „Und so kleidet man sich in diesem Club...“ „Ihr wart lange nicht mehr auf Achse, oder?“, lächelte Katherine verschmitzt, als sie vor einer nicht sehr stabil anmutenden Holztür inne hielt. „Um ehrlich zu sein – eigentlich noch nie“, gab Tamaro zurück, die Tür mit kritischem Blick betrachtend. „Wir sind da, immer rein mit euch“, trällerte der Vampir und hielt den Werwölfen die Tür auf. Im Innern des Hauses war die Luft zum Schneiden dick: der Zigarettenrauch reduzierte die Sicht auf einige wenige Meter, zusätzlich Hing der Geruch von Alkohol in der Luft. Zum Glück der drei lag dieser Nachtclub so abgelegen, dass hier keine Ausweiskontrolle statt fand, denn zumindest Katherine hätte keinen vorlegen können, und zu ihrer Überraschung waren sie lange nicht die nächtlichen Kunden, welche sich am Ungewöhnlichsten gekleidet hatten. Von einigen Ecken leuchteten knallrote und grüne Schöpfe zu ihnen hinüber und die Shorts einer jungen, wasserstoffperoxid-blonden Dame waren so kurz, dass Tamaro für den Bruchteil einer Sekunde gedacht hatte, dass sie keine trug. „Du hast gesagt du willst ein Mädchen für mich finden, was soll ich denn hier finden?!“, schrie Achaz Katherine jäh entgegen. „Ich weiß nicht, was du hast. Hier fallen wir am wenigsten auf, gerade ich“, meinte Katherine ruhig und machte sich auf den Weg an die Bar, hinter der ein muffig drein schauender Kellner wartete. „Ja, genau das ist mein Problem!“, schrie Achaz weiter, während er ihr hinterher lief, „Hier gibt es nur eben solche wie dich!“ „War das eine Beleidigung?“, sprach Katherine, zu Achaz hinab gebeugt und fuhr dann, sich aufrichtend, an den Barkeeper gewandt fort, „Einen Kaffee, schwarz.“ „Ja, das war es! Denn das letzte was ich mir wünsche, ist ein Weib wie dich, das ich ständig mit mir herumschleppen muss!“, fuhr Achaz ungerührt mit seiner Beschwerde fort. Katherine reckte sich der Decke entgegen und ließ den Blick auf der Suche nach Tamaro durch die Menge schweifen. Ohne Achaz anzublicken, teilte sie ihm mit: „Ich klebe nicht an dir, du klebst an Tamaro, das ist das Problem. Würdest du nicht ständig an ihm dran hängen, kämst du auch mit mir nicht in Kontakt.“ „Was soll denn das nun wieder heißen?“, brüllte der Werwolf noch lauter als zuvor, scheinbar so laut er konnte, „Ich klebe nur an ihm, weil du versuchst einen Keil zwischen uns zu treiben!“ Spätestens jetzt lag die Aufmerksamkeit der meisten Gäste des Nachtclubs auf Achaz und Katherine, was den Vampir dazu bewegte, genervt mit den Augen zu rollen: „Gut gemacht, jetzt denken sie, du bist schwul.“ „Schwul? Na warte!“ Und damit stürzte sich der blonde Werwolf auf Katherine, was jedoch scheiterte, denn die Angegriffene hatte einfach die Hand auf Achaz' Kopf gelegt und drückte ihn nun mit ausgestrecktem Arm von sich, sodass er ihr nicht näher kommen konnte. Einige Sekunden zappelte Achaz noch vergeblich unter ihrem Griff, dann gab er keuchend auf. „Reg dich nicht immer gleich so auf. Und ich hatte schon fast gedacht, du seist in Ordnung.“ Endlich brachte der Mann hinter der Bar Katherine ihren Kaffee, welchen sie mit Freude empfing und dafür sogar die Hand von Achaz' Kopf zog. Nach einem kleinen Schluck von der Tasse fuhr sie fort: „Ich wüsste auch gerne, wo dein Problem ist. Tamaro bist du schon so peinlich, dass er sich in die hinterste Ecke verkrochen hat.“ Als sich Achaz nun nach Tamaro umblickte, konnte er ihn nicht entdecken, doch er wusste, dass Katherine im Dämmerlicht des Clubs über die schärferen Augen verfügte und so schenkte er ihrer Behauptung Glauben. „Lass uns das woanders besprechen“, murmelte er schließlich, sich geschlagen gebend und auf Katherines Fingerzeig hin, machte er sich auf, um Tamaro an die Bar zurückzuholen. Dies erwies sich jedoch als schwieriger denn erwartet. Zwar fand Achaz seinen Freund recht schnell im weiter hinten gelegenen Teil des Clubs, doch sein Zustand bereitete ihm Sorge, scheinbar hatte er sich ein oder zwei Cocktails zu viel spendieren lassen, denn auch nach Achaz wiederholter Bitte, ihm zu folgen, reagierte Tamaro nicht. Das Pärchen, welches ihm die Drinks ausgegeben zu haben schien, lachte ihn aus. Erst nach fast fünf Minuten kehrte Achaz zu Katherine zurück, Tamaro weniger stützend denn neben sich herschleifend. „Was ist denn mit ihm passiert?“, fragte Katherine erschrocken, als die beiden Werwölfe nahe genug gekommen waren, um sie zu verstehen, wenn sie mit leiser Stimme sprach. „Ich glaube er hat einen über den Durst getrunken“, gab Achaz ernst zurück, mit einem Blick auf seinen Freund, der an seinem Arm fast eingeschlafen schien, ergänzte er: „Oder auch zwei – oder drei.“ „Wir bringen ihn sofort nach Hause“, meinte Katherine ernst und trank ihren Kaffee in einem Zug aus, dann legte sie ein Geldstück auf die Theke. Während Achaz sich noch wunderte, woher die das Geld hatte, fuhr Katherine fort: „Natürlich zu ihm nach Hause.“ „Wohin auch sonst, du bist ja ständig bei ihm“, murmelte Achaz halb laut und gab Tamaro an Katherine weiter, welche ihn durch ihre Größe wesentlich besser stützen konnte. „Jaja“, gab sie halblaut zurück, versuchte Tamaro zur Tür zu bugsieren, gab auf und nahm ihn schließlich einfach auf den Arm – die Nacht hatte ihr ihre übliche Stärke verliehen. Erneut auf den nächtlichen Straßen sprachen weder Katherine noch Achaz ein Wort, Tamaro schien nun endgültig eingeschlafen. Jäh fuhr es Achaz durch den Kopf, dass es nicht das erste Mal war, dass er sich mit Katherine arrangierte, um Tamaro zu unterstützen – sie konnten sich verstehen, wenn es beide darauf anlegten, denn beide waren auf das selbe fixiert: den kleinen asiatischen Werwolf. Wenn Achaz es sich recht überlegte, dann waren Katherines Gemeinheiten ihm gegenüber immer nur ein Spiel gewesen, solange er selbst nicht versucht hatte, sie ernsthaft anzugreifen. Ein seltsames und makaberes Spiel, dass ihr Freude bereitete und welches sie stets im Rahmen zu halten verstand. Vielleicht konnte sie kein Leben in Freude und Heiterkeit führen, ja, dafür war sie nicht der Typ – sie brauchte immer etwas, an dem sie sich stören konnte. Verstohlen warf er ihr schließlich einen Seitenblick zu, den sie nicht zu bemerken schien. Es war seine Schuld, wenn sie sich nicht verstanden, nicht ihre. Und wie endete das? Nun blickte er offen in Tamaros Gesicht, welches im Schlaf leicht verzogen schien, als träumte er schlecht. Genau so endete es, jedes Mal, jedes verfluchte Mal! „Katherine“, begann Achaz schließlich zögerlich. Er hatte gesagt, sie sollten ihren Streit später klären, vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt dazu. Abrupt blieb Katherine stehen, eine solche Reaktion hatte Achaz wahrlich nicht erwartet. „Halt ihn mal kurz“, sagte sie zu seiner Überraschung und stellte Tamaro mit aller Mühe auf die Beine, damit Achaz ihn erneut stützen konnte. Dann strich sie um die Ecke einer Seitengasse. „Was zum...?“, begann er verwirrt, doch schon kehrte Katherine mit gerunzelter Stirn zurück. „Was ist los? Du bist ja fast noch bleicher als sonst“, versuchte sich Achaz halbherzig an einem Scherz, doch Katherine schüttelte nur denn Kopf. „Es ist nichts.“ Damit nahm sie Tamaro erneut auf denn Arm uns setzte ihren Weg fort. Im Gegenzug dazu blieb der blonde Werwolf noch einige Sekunden verwirrt stehen, um dann schnellen Schrittes erneut zu ihr aufzuschließen: „Was war in der Seitengasse?“ Mit einem Seufzen und Augenrollen gab Katherine zurück: „Du kannst das jetzt nicht mehr vergessen, ohne mich zu nerven, oder?“ „Nein“, bestätigte Achaz und mühte sich, nicht zu laut zu sprechen, um Tamaro keine Kopfschmerzen zu bereiten – im wahrsten Sinne des Wortes. „Na schön, da war eine Leiche, glücklich?“ „Was?“, schrie Achaz erschrocken auf, wozu Tamaros Kommentar ein unverständliches Gemurmel war. Erschrocken fuhr Achaz im Flüsterton fort: „Ich meine: Was?“ „Eine Leiche, ein toter Mensch uns so“, grummelte Katherine, „Ein Vampirbiss.“ „Ist das... schlecht?“, wollte Achaz leicht verängstigt wissen und wahr froh, dass sie nicht mehr weit von Tamaros Haus entfernt waren. „Grundsätzlich nicht – und für dich schon gar nicht, kein halbwegs normaler Vampir würde einen Werwolf beißen“, sagte Katherine leicht hin, woraufhin Achaz mit einem ungläubigen „Du hast es versucht“ antwortete. Sie zog vor auf diesen Einwurf nicht weiter einzugehen und ergänzte: „Doch ich kenne den Geruch des Vampirs, der diesen Mann getötet hat.“ Inzwischen waren sie an ihrem Ziel angelangt, weshalb sie nach einer kurzen Pause fort fuhr: „Schließ' bitte die Tür auf, der Schlüssel ist in Tamaros Hosentasche.“ Nach einem kurzen Zögern zog Achaz den Schlüssel aus Tamaros Tasche hervor und öffnete die Tür, wonach Katherine sofort an ihm vorbei ins Innere des Mehrfamilienhauses ging und den Lichtschalter betätigte. Dann ließ sie Tamaro vorsichtig auf dem Zweisitzer im Wohnzimmer nieder, setzte sich neben ihn und nahm seinen Kopf auf den Schoß. Achaz folgte langsamer und setzte sich auf den freien Sessel, Katherine stets aus den Augenwinkeln beobachtend. Diese war ausschließlich mit Tamaro beschäftigt und schenkte ihrem Beobachter keinerlei Beachtung. Sie hatte Tamaros Kopf zwischen die Hände genommen und beugte sich nun tief über ihn. Achaz konnte sehen, dass sich ihre Lippen bewegten, jedoch nicht verstehen, was sie sagte. Kurz darauf beugte sie sich noch tiefer über den Werwolf und küsste ihn kurz auf seine unbewegten Lippen. Sie strich ihm nun sanft mit der linken Hand über die Wange und betrachtete sein Gesicht mit halb geschlossenen Augen, tat nichts denn beobachten, bis Achaz den Blick von ihr abwandte. „Sie scheint es wirklich gut mit ihm zu meinen“, fuhr es Achaz durch den Kopf, während er die kahle Tapete des Wohnzimmers betrachtete. Dann fiel sein Blick auf die Zeitung, die noch ausgebreitet auf dem Couchtisch lag, unberührt, nur das Extrablatt war herausgezogen worden. In seiner Mitte ein klaffendes Loch, als hätte jemand mit der Faust hindurch geschlagen und so den Mittelteil herausgerissen. Fahrig fuhr Katherine mit Zeige- und Mittelfinger über das Loch in der Zeitung, sie hatte die Lider leicht gesenkt und auf ihrer Stirn zeichneten sich vereinzelte kleine Sorgenfalten ab. „Achaz?“, fragte sie lauter, als es nötig gewesen wäre, denn der Werwolf saß keine zwei Meter von ihr entfernt auf dem kleinen Sessel und sah noch recht verschlafen aus, „Warst du das?“ Gerade, da Achaz den Mund öffnete, um zu antworten, fauchte Katherine, die inzwischen aufgestanden und neben den Couchtisch getreten war: „Halt die Klappe und sag mir, ob du das warst!“ Um zu demonstrieren, was sie meinte, hob sie das Extrablatt an ihre Augen und blickte Achaz durch das Loch hindurch fragend und zugleich fordernd an. „Nein!“, schrie dieser ihr aufgebracht entgegen, „Als wir gestern Abend hier her zurück kamen, war es schon so!“ Ein leises Stöhnen hielt Katherine davon ab, eine spitzfindige Bemerkung zu machen. Es kam aus der Richtung des Zweisitzers, auf dem Tamaro immer noch lang ausgestreckt lag und dem sich Katherine nun erschrocken zu wandte. „Was macht ihr denn für einen Lärm? Oh, mein Kopf“, murmelte Tamaro benommen und schlug langsam die Augen auf, nur um sie sogleich wieder zu zukneifen, „Ist das hell...“ „Schlaf weiter“, rieten ihm Katherine und Achaz fast zur gleichen Sekunde, bevor sie zornige Blicke austauschten. Keiner von ihnen konnte es leiden, wenn der Andere das gleiche dachte, wie er selbst. Da kurze Zeit später erneut Stille einkehrte, schien Tamaro diesem Vorschlag dankend Folge geleistet zu haben. Immer noch blickte Katherine auf das Stück Papier in ihren Händen, nicht ruhig auf eine Stelle fixiert, ihre Augen schienen unablässlich kreuz und quer über das Extrablatt zu wandern, rasch, fast in Panik. „Ich muss gehen“, sagte sie schließlich fest und wandte sich der Tür zu, doch Achaz hatte nicht vor, sie so einfach entkommen zu lassen: „Du kannst doch jetzt nicht einfach abhauen!“ Kurz hielt der Vampir noch inne, kicherte, dann setzte er seinen Weg Richtung Ausgang fort: „Natürlich kann ich das.“ Doch auch dieses Mal kam er nicht weit. Arme schlossen sich von hinten um seine Taille und drückten seien Körper fest an sich. „Geh nicht.“ Es war Tamaros Stimme, die Katherine leise entgegen wehte und sie zum Erstarren gebracht hatte: Das war das letzte gewesen, mit dem sie gerechnet hatte. „Du bist betrunken“, tat sie seinen Einwand schließlich ab und befreite sich aus seinen schlaffen Armen. „Bitte, geh nicht“, bekräftigte Tamaro seine Aussage noch einmal in der wagen Hoffnung, Katherine würde sich wenigstens noch einmal zu ihm umwenden, doch das vermied sie bewusst. Es brach ihr das Herz den Werwolf zu verlassen, doch zu bleiben war keine mögliche Alternative, das war ihr bewusst. Ihre verräterisch zitternden Hände schob sie in die Taschen ihrer Jeans und auch die einsame blutrote Träne, welche sich aus ihrem Auge gelöst hatte, konnte keiner der beiden Werwölfe entdecken. Noch nie hatte sie einen solchen Schmerz verspürt, wie sie auch noch nie geweint hatte. Doch ihre Beine trugen sie weiter voran, fast ohne ihr Zutun, bis sie die Tür erreicht hatte und sie aufstieß: „Ich kann nicht bleiben, er würde euer Leben beenden.“ Und damit entschwand sie ins Freie. Tamaro war dort, wo Katherine festgehalten hatte, in sich zusammen gesackt. Sein müder Kopf konnte und wollte nicht verstehen, was vor sich ging, er spürte nicht denn Einsamkeit. Einige Sekunden ruhte Achaz Blick auf seinem Freund, dann folgte er Katherine in atemberaubendem Tempo. Doch draußen vor der Einfahrt konnte er sie bereits nicht mehr entdecken. Resigniert wurden seine Schritte langsamer, schließlich blieb er stehen, blickte sich um. „Katherine!“, schrie er in der irren Hoffnung, sie möge ihn hören, „Katherine, du bist echt das Letzte! Ich will dass du heute Abend wieder vor der Haustür stehst, hast du mich gehört?“ Einige Sekunden wartete er eine Antwort ab, die selbstverständlich aus blieb, dann machte er sich langsam, als hätte er all seine Energie verbraucht, auf den Weg zurück zu Tamaros Haus. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Nur einige Meter entfernt stand Katherine mit dem Rücken an einen Baum gelehnt. Sie hatte sich nicht so schnell entfernen können, wie sie es sich erhofft hatte, denn die Sonne stand hoch am Himmel und beraubte sie ihrer besonderen Fähigkeiten. Egal wie viel Achaz wüten und toben würde, egal wie viele Tränen Tamaro für sie vergießen würde, sie konnte nicht zurückkehren. Nicht an diesem Abend und auch nicht in einem Jahr. Sie konnte spüren, wer das Loch in die Zeitung gerissen hatte, und wenn ihre Vermutung stimmte, dann wusste er bereits jetzt, wo er die beiden Werwölfe finden konnte. Wie konnte sie sich nur einbilden, vor ihm fliehen zu können? Wie? Betrübt senkte Katherine den Kopf, machte sich auf den Weg, egal wo hin, doch fort von diesem Haus, in dem sie bereits so viele schöne Momente erlebt hatte. Jäh schlossen sich Hände von hinten um Katherines Taille und Brust, sie wollte erschrocken aufschreien, doch sie vermochte es nicht. Noch bevor sie den Kopf dem Angreifer zuwenden konnte, empfing sie wohlige Schwärze. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)