Go!Go!America!! von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 9: Chapter 9 -------------------- Ich erwachte in einem völlig dunklen Krankenzimmer. Es schmerzte, die Augen zu öffnen. Ich versuchte, die Hand zu heben, um mir eine Strähne aus dem Gesicht zu streichen, doch es wollte mir nicht gelingen. Mein Körper war ein Strom von Qualen. Sobald ich mich irgendwie zu bewegen versuchte, floss ein unerträglicher Schmerz durch ihn. Langsam, ganz langsam drehte ich den Kopf, um mich im Zimmer umzusehen. Es war ein kleiner Raum und neben meinem Bett standen irgendwelche Apparate. Von meiner Hand führte ein Kabel weg, welches sich in einem dieser Geräte verlor. Ein kleiner Tisch stand am Fenster. Davor waren zwei Stühle platziert worden. Erst jetzt erblickte ich Chris und Sophie darauf. Sie schliefen. Doch wo war Karmen? Angst machte sich in mir breit. Wo war sie nur? Ich hörte ein leises Atmen neben mir und als ich den Kopf viel zu schnell in diese Richtung wand, biss ich mir auf die Lippe, um nicht laut aufzuschreien. Karmen saß auf einem Stuhl vor meinem Bett und hielt eine meiner Hände. Ihr Kopf war auf mein Bett gelegt und sie schlief genauso wie die anderen beiden. Beruhigt atmete ich auf. Mein Blick wanderte zur Decke und ich versuchte, mich zu erinnern. Ich wusste, dass ich mit Jin im Restaurant gewesen war und mit ihm Ramen gegessen hatte. Und was war dann? Dann bekam ich einen Anruf von Chris… Genau! Ich sollte ins Internat kommen. Ich war vom Platz aufgesprungen und hinausgerannt. An der Kreuzung hatte ich nicht halten müssen… Es war grün gewesen, da war ich mir sicher… Aber ich hatte nicht noch einmal geschaut. Jin hatte noch „Stop!“ gerufen und dennoch bin ich gegangen… Und dann das Auto… Jetzt war mir alles wieder im Gedächtnis: Ich musste von einem Auto angefahren worden sein. Ein Stöhnen entwich meinen Lippen. Wer hatte mich hierher gebracht? Jin? Der Autofahrer? Oder… Die Schule? Wer auch immer es war, ich wusste, dass Frau Eichner davon erfahren würde, wenn sie es nicht sogar schon wusste. Was würde nun passieren? Ich fröstelte. Wie zum Schutz schloss ich die Augen, um wieder einzuschlafen. Am nächsten Morgen war heller Aufruhr in meinem Krankenzimmer. Chris, Sophie und Karmen wollten wissen, was passiert war und wie es dazu kam. Sie waren am Abend informiert worden, von Frau Eichner. Wieder dieses merkwürdige Angstgefühl. Als ich sie gerade darüber ausfragen wollte, trat ein mittelgroßer Mann ins Zimmer, mit fahlem Haar, einem Kinnbart und runder Brille auf der Nase. Ich schätzte ihn auf Mitte fünfzig. Seine Augen waren freundlich und er hatte kleine Grübchen um den Mund. Doch auf seiner Stirn waren tiefe Falten. Wahrscheinlich war er ein sehr nachdenklicher Mensch. „Guten Morgen, Karina.“, begrüßte er mich mit einem amerikanischen Akzent. „Sie… Sie sprechen Deutsch?“, stellte ich die völlig unnötige Frage, die einfach so über meine Lippen gehuscht ist. „Ja… Ich habe in Deutschland studiert.“ Ich nickte bewundernd. Er schickte die drei raus und ich warf ihnen sehnsüchtig einen Blick hinterher. Jetzt musste ich bis nachher warten, um endlich mehr von Frau Eichner zu erfahren. „Da hast du noch mal Glück gehabt…“, meinte er nun. „Du bist mit einer Gehirnerschütterung und ein paar Rippenbrüchen davon gekommen. Es hätte aber noch schlimmer kommen können, hätte dieser Japaner dich nicht gleich hierher gebracht.“ Ich weitete die Augen. „Dieser Japaner? Er hat mich hergebracht?“ Erstaunt nahm der Arzt seine Brille ab. „Ja, ganz Recht. Er war etwas aufgebracht und hat nur brockenweise Englisch gesprochen. Aber da meine Frau Japanerin ist, konnte ich mich dann mit ihm in seiner Sprache unterhalten und alles genau erfahren.“ Was für ein Sprachentalent, dachte ich bei mir. „Und meine Lehrerin weiß bescheid?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort doch bereits kannte. „Natürlich. Was denkst du denn? Sonst wäre es noch zur Großfandung gekommen. Da hast du ganz schönen Mist gebaut…“, erwiderte er mitleidig und tätschelte mir die Hand. Ich schwieg. Er überprüfte meine Werte und meinte, dass ich in drei Tagen wieder raus könnte, wenn ich viel schlafen würde. Als er ging, schickte er meine Freunde wieder hinein. „Und?“, fragte Sophie. Erst jetzt fiel mir auf, wie blass sie wirkte. „Ich werde in drei Tagen wieder hier raus können… Meinte der Arzt zumindest.“ „Das ist gut. Aber, Ria, wie konnte das denn passieren?“ Karmen blickte mich an. Ihre Augen waren rot unterlaufen, das konnte ich sehen. Hatte sie etwa wegen mir geweint? Ich wandte den Blick ab und sah aus dem Fenster. „Ich weiß es nicht. Ich war zu unvorsichtig, so viel ist klar. In der Absicht, nicht aufzufliegen, bin ich doch aufgeflogen und habe sogar noch alles schlimmer gemacht. Pfff… Manchmal hat man eben Pech…“ „Pech?! Pech nennst du das?! Mensch, du hättest auch tot sein können, ist dir das bewusst? Und was machst du? Bist schon wieder traurig, weil du vielleicht nicht mehr mit Jin zusammen sein kannst. Ich sag dir jetzt mal was, Schwesterchen: Lass ihn sausen! Okay, er ist ein Star, okay, du magst ihn. Aber was bringt es dir? Wir haben noch gute vierzehn Tage hier. Danach ist es äußerst unwahrscheinlich, dass du ihn je wiedersehen wirst. Selbst wenn wir, wie wir es gesagt haben, zu einem Konzert fahren, weißt du nicht, ob er sich dann noch an dich erinnern kann. Ich weiß, man sollte die Zeit jetzt genießen und gewisse Risiken eingehen, aber wenn du dafür dein Leben aufs Spiel setzt, bringt es dir nicht viel. Ich habe dir geholfen, gerne sogar, aber ich denke, jetzt ist es genug. Du solltest aufhören, einer Illusion hinterher zu rennen. Verstehst du mich? Ich will nicht meine Schwester verlieren, nur weil sie in einen Kerl verliebt ist, der jede haben kann. Ich weiß, was du jetzt denken magst. Nämlich, dass ich ihn nicht gut genug kenne, um das zu beurteilen. Vielleicht hast du sogar Recht. Aber ich will das alles hier nicht mehr. Das hier ist ein ganz normaler Schulausflug und wir sind normale Teenager. Verstehst du?“ Ich sah sie an und verstand die Welt nicht mehr. Warum sagte sie das alles? Sie hatte mir doch geraten, ihn zu treffen, meinen Spaß zu haben. Ich hätte nie gedacht, dass ich sie so enttäuschen könnte. Betretendes Schweigen hüllte den Raum ein. Ich sah meine Freundinnen an. „Seid ihr… Seid ihr derselben Meinung, wie Karmen?“, krächzte ich und mir versagte die Stimme. Sie blickten mich an, dann Karmen. Ihr Blick wanderte Richtung Boden, bevor sie nickten. In meinem Kopf fuhren die Gedanken Karussell. Ich ließ das Gesagte von Karmen noch einmal Revue passieren. Und ich kam zu dem Schluss, dass sie wahrscheinlich Recht hatte. Jin war auch nur ein Mensch und auch, wenn er für all das hier keine Schuld trug, so durfte ich es nicht riskieren, von der Schule zu fliegen. Und auch wenn ich mit dem Unfall noch Glück hatte, so sollte es wahrscheinlich ein Warnsignal sein. Ich atmete tief durch, um nicht zu weinen. „Ihr habt Recht.“, meinte ich zögerlich und die anderen atmeten erleichtert auf. Sie umarmten mich. „ Wir werden mit Frau Eichner reden. Wir werden sie davon überzeugen, dass sie dich nicht nach Hause schickt und du nicht von der Schule fliegst. Werde du nur schnell wieder gesund.“ Damit verließen sie den Raum. Stille. Starr blickte ich auf das weiße Krankenbettlaken. Tränen kamen nicht. Ich war zu geschockt. Alles war gerade wie eine Seifenblase zerplatzt. Und das war alles meine Schuld. Ich durfte mich nicht mehr bei Jin melden. Dann könnte er mich ganz schnell vergessen. „…Für einen Freund? Oder für deinen Freund?“ Der Satz hallte unwillkürlich in meinem Kopf wieder. Die Worte hatte der junge Mann verständlich gesagt, ich hatte sie genau verstanden, doch wie meinte er sie? Ich ließ mich langsam in die Kissen nieder und schloss die Augen. „Sayonara Jin…“, murmelte ich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)