Tanaya von LauraAStern (Die Geschichte eines Mädchens aus Leren) ================================================================================ Kapitel 4: Endlich Schülerin der Nightwind-Schule ------------------------------------------------- Der Sommer ging zu Ende, der Herbst liess die Blätter in seiner vielfältigen Farbenpracht erscheinen und schliesslich kam der Winter. Wie eine warme, weiche Decke lag dichter Schnee im Tal. Meine Freunde besuchten mich selten in dieser Zeit, denn die Halbjahresprüfungen standen vor der Tür und ausserdem erschwerte der Schnee den Weg von der Schule ins Dorf. Unbändig war meine Freude, als die Sonnenstrahlen wieder stärker wurden, die ersten Frühlingsboten aus dem schneebedeckten Boden in Belanas Garten lockte und das Ende der dunklen Jahreszeit ankündigten. Ich tobte durch das ganze Haus, sang und tanzte vor Freude. Und als ich erfuhr, dass ein Fest bevorstand, musste Belana bestimmt geglaubt, ich hätte den Verstand völlig verloren. Ab dem Zeitpunkt, an dem Chandra mir nämlich von dem Anlass erzählt hatte, war ruhig schlafen fast genauso unmöglich wie stillsitzen. Mehr als einmal brachte ich Belana mit meiner Fragerei über die Feierlichkeiten und meinem ewigen „Ich wünschte, das Fest wäre schon heute“ zur Weissglut. Die Feste in Leren waren zumeist Tempelfeiern gewesen, an denen oft nur die Männer teilnehmen durften. Chandras Erzählung zufolge waren die Feierlichkeiten, welche zur Begrüssung des neuen Schuljahres und der neunen Schüler stattfanden, ein regelrechtes Volksfest. Die Bewohner des Dorfes begannen Buden auf zu stellen und ihre Häuser zu schmücken. Ich war mit derartigem Eifer dabei, dass selbst Belanas Vogelhäuschen im Garten mit Blumen dekoriert wurde. Das wäre natürlich gar nicht nötig gewesen, schliesslich war das Vogelhäuschen von der Strasse aus gar nicht zu sehen. Auch kamen in diesen Tagen viele Leute nach Nightwind. Oft waren es Familien, deren Kinder die Schule im neuen Jahr besuchen würden, aber auch Schüler, die ihre Ausbildung an der Schule für Magie und Kampfkunst bereits vor zwei, fünf oder sogar zehn Jahren beendet hatten, kehrten zurück um sich noch einmal mit alten Freunden, Bekannten oder Lehrern zu treffen. Manche wollten auch einfach nur in schönen Erinnerungen schwelgen. Ich war erstaunt, wie unterschiedlich die Schüler waren. Elfen, Menschen und Zwerge waren zwar am häufigsten vertreten, doch immer wieder sah ich auch einige „Exoten“, wie auch Firyon einer war. Ich erspähte Wesen, die zwar aufrecht gingen wie Menschen, doch über und über mit Fell oder Schuppen bedeckt waren und deren Gesichter jedoch eher denen von Tieren glichen oder solche, die halb Mensch, halb Tier waren wie Zentauren oder Faune. Ich sah prächtige Prinzen und Prinzessinnen, die in mit Gold beschlagenen Kutschen ins Dorf fuhren oder auf edlen Rössern stolz heran ritten, ebenso wie dreckige Bauernjungen und barfüssige Mädchen, deren Kleider nicht mehr als Lumpen waren und die sich, offensichtlich durch einen langen Fussmarsch am Ende ihrer Kräfte, nach Nightwind schleppten und von denen ich mich fragte, ob sie wirklich hierher gehörten. Sie sahen nicht aus wie Kinder, die Lesen und schreiben konnten. Vom Kämpfen ganz zu schweigen. Dass Geld kein grösseres Problem darstellte, wusste ich aus eigener Erfahrung. Nightwind bekam viele Spenden von Königen und anderen Adligen, womit sie auch Schülern aus armen Familien oder gänzlich verwaisten wie mir eine Ausbildung ermöglichen konnte. Dennoch war mir nie aufgefallen aus wie vielen gesellschaftlichen Schichten die Schüler stammten. „Das ist der Teil der Ausbildung in Nightwind, den man nicht mit Geld bezahlen kann“, meinte Harias stolz, als ich ihn darauf ansprach. „Dadurch, dass Nightwind jeden aufnimmt, unabhängig von Wissen, Rasse oder Stand, prallen die gesellschaftlichen Stände hier aufeinander wie an keinem anderen Ort Betrayas. Dadurch lernt man mit der Zeit, dass Bauern und Königskinder letztlich nichts anderes als Menschen sind… mehr oder weniger zumindest“, versuchte Firyon, mir das genauer zu erklären. „Was Firyon meint ist, dass alle hier nahezu dieselben Probleme haben, egal woher sie kommen oder welche Titel sie tragen. Man lernt hier neben Magie und Kampf auch den Umgang mit Personen anderer Rassen und anderen Standes. Gerade für die Schüler, die später einmal eine verantwortungsvolle Position, wie sie ein König oder ein Fürst innehaben, übernehmen werden, ist das sehr wichtig, damit sie einmal gerechte Herrscher werden und das Volk nicht unterdrücken, weil sie es dumm, unfähig oder dreckig halten. Hier sind alle gleich, du wirst an deinen Leistungen bewertet, nicht daran, wer dein Vater ist oder war“, eilte Chandra Firyon zu Hilfe, „Zumindest sollte es so sein.“ „Ist es denn nicht wirklich so?“, wollte ich wissen. „Nun ja, es gab in der Geschichte von Nightwind immer wieder Lehrer, welche Schüler mit reichen oder mächtigen Eltern aus irgendwelchen gründen bevorzugt haben. Aber ich denke, die jetzigen Lehrer, sind gute Lehrer, die keine grossen Unterschiede machen.“ Chandra lächelte und ich glaubte ihr. Schliesslich war auch Belana letztlich eine Lehrerin und ich hatte bei Leibe nicht das Gefühl, von ihr geschont zu werden, wenn ich bei meinen Schreibarbeiten oder bei der Mithilfe im Laden Fehler machte. Dennoch hatte ich auch das Gefühl, dass Belana sich sehr gefreut hatte, als sie merkte, dass ich zwar weder lesen noch schreiben konnte, aber durchaus mit den Grundbegriffen des Rechnens vertraut war. Meine Mutter hatte sie mir gleichzeitig mit einigen Kochrezepten beigebracht, so dass ich, sollte es nötig sein, auch mehr kochen könnte ohne von einer Zutat zuviel oder zuwenig zu brauchen. Letztlich habe ich mein Essen später immer „Handgelenk mal Pi“, wie Belana es nannte, gekocht und meistens war es auch geniessbar. Allerdings war es natürlich äusserst hilfreich als wir das Brauen von Zaubertränken lernen sollten. Als der Tag des Festes endlich gekommen war, glaubte ich, mich in einem Traum wiederzufinden. An jeder Ecke gab es etwas zu entdecken. Eine Gruppe von Schülern hatten ein Märchenzelt aufgebaut, in dem jedoch nicht nur einfachen Märchen und Sagen erzählt wurden, sondern durch Bilder und Figuren, die aus Wasser, Rauch, Pflanzen oder gar flammen bestanden, zum Leben erwachten. Man konnte sich aus der Hand lesen oder seltsame, farbenfrohe Karten legen lassen. Es gab kleine Theateraufführungen, in denen Schüler ihre Kräfte und Fähigkeiten zeigten und viele kleine Stände, an denen man sich Spezialitäten aus ganz Betraya kaufen konnte. Auch gab es Buden, an denen man um kleine Glücksbringer oder Schmuckstücke spielen konnte. An diesen hingen oft Schilder, auf denen stand, dass es verboten sei, Magie zu benutzen um bei dem Spiel zu gewinnen. Ich wunderte mich, dass man derartiges überhaupt anschreiben musste. War das denn nicht selbstverständlich? Auch der ortsansässige Schmied hatte einen kleinen Stand und ich erinnere mich gut, dass er prahlte, die besten Waffen von ganz Betraya zu schmieden. Davon, dass er natürlich auch die beste Schmiede, die heisseste Esse und die schönste Frau aller Zeiten hatte, will ich gar nicht erst anfangen. Besagter Frau war das hingegen mehr als peinlich. Sie lächelte uns entschuldigend an, als wir vorbei gingen und eilte dann zu ihrem Mann hinüber, der mittlerweile ein heftiges Wortgefecht mit einem Zwerg angefangen hatte, weil dieser seine Prahlerei anzweifelte. Nicht, dass der Zwerg seinerseits nicht auch geprahlt hätte… Je näher der Abend rückte, desto ruhiger wurden die Strassen. Früher oder später schlossen die Stände. Man begab sich zum grossen Saal im Erdgeschoss der Schule. Üblicherweise war der Saal eine Art Aufenthaltsraum für die Schüler, wem sie keinen Unterricht hatten. Dann sassen sie oft in kleinen Gruppen zusammen, unterhielten sich über das Gelernte oder tratschten über Mitschüler oder Lehrer. Doch der Saal wurde auf für festliche Anlässe wie die Feier zu Beginn des Schuljahres gebraucht. Ein Buffet war aufgetragen worden und man hatte an der Stirnseite des Raumes eine grosse Bühne aufgebaut. Herr Alion betrat die Bühne, begrüsste und uns machte uns mit den Lehrern und den Schulregeln bekannt. Ich kann mich nicht an alle erinnern. Dass es verboten war, Kämpfe auf dem Schulgelände aus zu tragen, weiss ich noch und auch, dass es untersagt war, Mitschüler zu fressen oder ihnen diverse Dinge auszusaugen, ist mir noch immer bekannt, vermutlich, weil es mir eiskalt den Rücken herunter lief, als Herr Alion dies in einem recht beiläufigen Ton erwähnte. Dann bat man einige, offenbar als Gäste geladene, ehemalige Schüler auf die Bühne und erklärte, dass diese nun ein bisschen von ihren Berufen erzählen würden um den Schülern Beispiele dafür zu zeigen, welche Möglichkeiten sie später einmal hätten. Neben einem Sternforscher, einem Bibliothekar in der magischen Bibliothek von Simenoa und einem herumziehenden Söldner gab es auch einen Drachenforscher und einen Drachentöter, die sich im Verlauf des Abends immer mehr in Streit gerieten. Vor allem der Forscher benahm sich denkbar schlecht und beleidigte den Drachentöter aufs Äusserste. Als Herr Alion einschritt und den Forscher höflich bat, seinen ton zu mässigen, wurde auch er beleidigt. Dies veranlasste den Waffenmeister Macul dazu, den Forscher kurzerhand aus dem Saal zu befördern, so dass uns der Drachentöter in Ruhe seinen Beruf erklären konnte. Dieser erschien bei nüchterner Betrachtung übrigens bei weitem nicht derart schlimm, wie der Forscher uns hatte weiss machen wollen. „Ihr solltet nicht vergessen, dass die hier vorgestellten Berufe bei weitem nicht alle sind, die ihr ergreifen könnt. Es gibt selbstverständlich eine unendliche Fülle an Berufen, doch sie alle vorzustellen, würde den Rahmen dieses Abends schlicht und ergreifend sprengen. Die Berufswahl wird im dritten Jahr ein grosses Thema sein“, sagte Herr Alion zum Abschluss. „Nun, dann kommen wir zur Besichtigung des Schulgebäudes. Ich möchte also die neuen Schüler und ihre Familien, sollten sie anwesend sein, bitten, mir zu folgen. Die älteren Schüler haben das Glück, sich zuerst über das Buffet hermachen zu dürfen.“ Herr Alion lächelte schelmisch und begab sich zum Ostausgang des Saals. Chandra begleitete mich auf dem Rundgang. Während wir einen langen Bogengang entlang gingen, erklärte Herr Alion, wozu der Saal normalerweise genutzt wurde. Wir durchquerten die Eingangshalle mit der breiten Treppe und betraten den Speisesaal, der mindestens genauso gross war wie der Saal aus dem wir gekommen waren, wenn auch etwas weniger edel. Hier gab es kein Parkett, sondern einfache, glattpolierte Steinplatten. Auch hingen keine Vorhänge an den grossen Bogenfenstern und die Tische waren schlicht, lang und viereckig, nicht wie die, welche sonst im Aufenthaltsraum standen. Diese waren rund und die Stühle waren sehr bequem. In einem Speisesaal müsse genügend Platz sein, erklärte Herr Alion, darum habe man sich für eine schlichtere Ausstattung entschieden als im Aufenthaltsraum, der in erster Linie gemütlich sein sollte. Er zeigte uns die verschiedenen Klassenzimmer, den Übungsplatz für den Unterricht in Kampfkunst, kleine Arbeitsräume und Balkone, machte uns aufmerksam auf kleine Details, wie Wasserspeier, Wandmalereien oder die verschiedenfarbigen Fenster. „Die nach Westen gerichteten Fenster haben, wie Ihr sehen könnt einen blauen Rand. Sie stehen für einen der vier elementaren Grundpfeiler der Magie, das Wasser. Die gen Süden gerichteten Fenster haben einen roten Rand und stehen für das Feuer. Diejenigen, die gegen Osten gerichtet sind, stehen für das Element Luft und haben einen gelben Rand und die für die Erde stehenden Fenster mit dem grünen Rand richten sich nach Norden.“, erklärte er uns. Die Führung endete vor einem Nebengebäude. Hier waren die Unterkünfte für die Schülerinnen und Schüler. „Die Knaben haben ihre Zimmer im ersten und zweiten Stock, die Mädchen im dritten und vierten. Ich bin sicher, dass Ihr keinerlei Probleme haben werdet, Eure Zimmer zu finden, sie sind beschriftet. Normalerweise beginnt die Nachtruhe beim elften Glockenschlag, aber heute machen wir eine Ausnahme.“, sagte Herr Alion. „So, wenn keine Fragen mehr bestehen, will ich Euch nicht länger Eure Zeit rauben, wie wir wissen, ist sie ja kostbar. Ich möchte die neuen Schülerinnen und Schüler bitten, sich morgen früh beim zehnten Glockenschlag wieder hier einzufinden. Wir werden dann herausfinden, zu welchem Element Ihr gehört und Ihr bekommt eure Schuluniformen. Denkt daran, dass es auf jedem Stockwerk lediglich zwei Badezimmer gibt.“ Er zwinkerte uns im Schein der Laterne, die er trug zu. „Selbstverständlich, darf das Buffet nun gestürmt werden.“ Wir begaben und zurück zum Aufenthaltsraum. Zwar war ich müde, doch ich hatte noch eine Frage an Herr Alion, ausserdem wartete Belana dort. „Entschuldigung?“, sprach ich Herrn Alion an. „Ich habe mich gefragt, ob ich nun auch bei den anderen Schülern schlafen werde.“ Herr Alion sah mich zunächst etwas verwundert an, dann schüttelte er den Kopf. „Es tut mir leid, Tanaya, aber ich habe kein Zimmer für dich herrichten lassen. Es wäre mir lieber, wenn du noch ein Jahr bei Belana bleiben würdest. Dann werden wir weitersehen.“ Ich schwankte zwischen Enttäuschung und Erleichterung. Ich hatte Belana liebgewonnen, nicht als Ersatzmutter oder Lehrerin, sondern als Freundin. Andererseits fühlte ich mich irgendwie nicht ganz als vollwertige Schülerin, wenn ich daran dachte, dass ich immer zurück ins Dorf musste. Von der ganzen Zeit, die ich benötigte um vom Dorf zur Schule und wieder zurück zu kommen, ganz zu schweigen. Aber ich akzeptierte die Entscheidung des Schulleiters und rückblickend muss ich sagen, dass er wohl recht hatte. Am nächsten Morgen stand ich schon lange vor dem zehnten Glockenschlag wieder auf dem Platz vor dem Wohngebäude. Ich hatte mir eigentlich ein Buch mitgenommen, aber ich kam nicht wirklich zum Lesen. Kurz nach dem die Glocke zum neunten Mal geschlagen hatte, trat Harias aus dem Wohngebäude. Als er mich sah, setzte er sich spontan dazu. „Der Unterricht beginnt erst morgen richtig“, antwortete er auf meine Frage, ob er denn nicht zur Schule müsse. Ich kam mir dumm vor. Das hätte ich mir denken können, schliesslich hätten die Schüler im ersten Jahr ja einen Tag verpasst, hätte der Unterricht gleich begonnen. „Und? Freust du dich schon, eine Fee und einen Begleiter zu bekommen?“, wollte Harias wissen. Und wie ich mich freute. Jeder Schüler Nightwinds durfte, wenn er wollte, eine kleine Fee aufziehen. Am Anfang, so hatte mir Firyon erklärt, bekam man ein Ei, aus dem früher oder später eine kleine Babyfee schlüpfte. Je nach dem, wie man die Fee behandelte und erzog, entwickelte sie sich unterschiedlich weiter. Firyons Fee zum Beispiel hiess Yui, hatte langes, rosafarbenes Haar, blaue Augen und weisse, weiche Federflügelchen. Yui war immer freundlich zu allen und versuchte, jedem zu helfen. Ausserdem war Yui sehr begierig darauf, neues zu lernen. Auch die Feen mussten zur Schule, allerdings nicht gemeinsam mit den anderen Schülern, sondern in einer eigens errichteten Feenschule, und Yui gehörte zu den Besten, was Firyon sehr stolz machte. Harias’ Fee, ihr Name war Pua-Lei, hingegen hatte Flügel, die mich an eine Libelle erinnerten, grüne Augen und mit weissen Rosen geschmückte, braune Haare. Im Gegensatz zu Yui zeigte Pua-Lei ganz offen, wenn sie jemanden nicht mochte und macht sich hin und wieder auch einmal einen Spass daraus, andere Schüler zu ärgern oder ihnen kleine Streiche zu spielen. Chandras Fee wiederum hiess Loreley und war ganz unübersehbar eine Wasserfee. Sie hatte keine Flügel, sondern einen Schwanz wie eine Nixe. Ihre Haare waren blau und mit kleinen Muscheln und winzigen Perlen geschmückt. Auch ihre Augen waren blau. Loreley lachte viel und kam gut mit Yui und Pua-Lei aus. Auch sie gehörte eher zu den ruhigeren Feen und las sehr viel. Oft gehörte sie wie Yui zu den Besten in der Feenschule. Alle Feen waren zwar unterschiedlich, aber eines hatten sie alle gemeinsam: Sie waren alle sehr hübsch. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie meine Fee wohl aussehen würde, doch es gelang mir nicht. Auch meinen Begleiter konnte ich mir nicht vorstellen. Nicht jeder Schüler hatte einen solchen, manche trauten sich schlicht weg nicht zu, auf zwei kleine Wesen acht zu geben, andere wiederum fanden einfach den für sie passenden Begleiter nicht. „Die Beziehung zwischen Fee und Schüler“, erklärte Harias, „ist von Anfang an sehr intensiv, weil du ja vom ersten Moment an für deine Fee da sein musst und ihre Bezugsperson bist. Das ist ein bisschen so, als hättest du ein Kind. Begleiter sind etwas ganz anderes. Zwar sind die Begleiter, die Nightwind anbietet in der Regel Jungtiere, aber trotzdem sind sie schon viel selbständiger als Feen und haben zum Teil einen recht ausgeprägten Charakter. Meistens ist es so, dass nicht du den Begleiter auswählst, sondern der Begleiter dich, weil sie viel besser spüren, mit wem sie zusammenpassen.“ Nach und nach kamen mehr Neulinge auf den Platz vor das Wohngebäude und endlich schlug die Glocke zehnmal. „Guten Morgen miteinander“, begrüsste uns Herr Alion, „Sind alle da? Gut, dann können wir ja anfangen. Als erstes ist Fräulein Gwendolyn Kidéon an der Reihe..“ Gespannt wartete ich darauf, zu sehen, wer Gwendolyn Kidéon war, doch keiner der Neulinge regte sich. Offenbar fehlte Gwendolyn. Herr Alion räusperte sich. „Fräulein Gwendolyn Kidéon, bitte“, wiederholte er, doch wieder erfolgte keine Reaktion. Er seufzte. „Fräulein Gwendolyn scheint wohl nicht anwesend zu sein. Gut, dann macht eben Herr Iliron Maldian den Anfang“, beschloss er. „Moment! Bitte wartet einen Moment, hier bin ich!“, rief eine Stimme hinter mir. Neugierig wandten wir uns um und erblickten ein ziemlich dreckiges Mädchen mit langen, schwarzen Haaren. Ihr langes, dunkelrotes Kleid sah aus, als wäre es nicht gerade das billigste, unter dem Dreck konnte man feine Stickereien erkennen. „Bitte entschuldigt, dass ich zu spät komme, aber ich war so aufgeregt, dass ich schon sehr früh wach war und aus Langeweile damit begonnen habe, die Gegend etwas zu erkunden. Darüber muss ich wohl die Zeit vergessen haben“, erklärte das Mädchen. „Nun, Fräulein Gwendolyn, ich würde sagen, wir machen hier weiter und ihr geht bitte nach oben in Euer Zimmer, zieht Euch um und wascht Euch“, meinte Herr Alion kühl. Gwendolyn seufzte, begab sich aber ins Wohngebäude. „Habt keine Eile, Ihr seid erst als letzte dran“, rief ihr der Schulleiter Nightwinds nach. „So, und wir fahren also mit Iliron Maldian fort. Wenn ich Euch dann bitten dürfte, mir zu folgen.“ Herr Alion und der Schüler verliessen den Platz. Wenig später kehrten sie zurück; Iliron Maldian war voll beladen mit Büchern, einem Feenei in einem kleinen Körbchen und einer blauen Uniform. Er war also den Wassermagiern der Eona-Gruppe zugeteilt worden. Der Schulleiter rief den nächsten Schüler auf und nahm ihn mit. Kaum dass sie weg waren, begannen die übriggebliebenen Neulinge Iliron darüber auszufragen, was er denn hatte machen müssen und der begann sogleich zu erzählen. Mich interessierte die Erzählung Ilirons eher weniger, einerseits würde ich ja selbst sehen, was gefordert wurde und andererseits war ich mit meinen Gedanken ohnehin noch immer bei den Feen und den Begleitern. Harias, der noch immer bei mir sass, hörte Ilirons Ausführungen jedoch mit einem halben Ohr zu. „Mann, der übertreibt ja ganz schön…“, murmelte er. Damals konnten wir freilich noch nicht wissen, dass Iliron einen unangenehm ausgeprägten Hang zur Dramatik und zur Übertreibung hatte, besonders wenn es darum ging, sich selber gut aussehen zu lassen. Je mehr Namen aufgerufen wurden, desto ungeduldiger wurde ich. Besonders beeindruckt war ich vom Begleiter eine Ingala-Schülerin namens Minora von Herzenfels. Da war ich allerdings nicht die einzige, denn Minora präsentierte uns einen leibhaftigen Babydrachen als Begleiter. Selbst Harias war beeindruckt. „Drachen werden nur selten zu Begleitern. Einerseits sind sie sehr wählerisch, was Menschen angeht, andererseits sind sie nicht ganz leicht auf zu ziehen. Ich frage mich schon länger, warum es in Nightwind überhaupt Drachen als Begleiter gibt…“, meinte er. Ich selbst war als zweitletzte an der Reihe. Reichlich aufgeregt erhob ich mich, als Herr Alion meinen Namen nannte und folgte ihm ins Hauptgebäude. Dieses verliessen wir jedoch gleich wieder durch einen Hinterausgang um zu einem kleinen Nebengebäude am Ufer des zum Schulgelände gehörenden Sees zu gelangen. Dies war, wie mir Herr Alion erklärte, die Wäscherei, wo ich eine Garnitur Uniformen der Taron-Gruppe bekommen sollte und diese auch wieder zur Reinigung abgeben könnte, sollte es notwendig sein. „Aber… muss denn nicht zuerst ausfindig gemacht werden, zu welcher Gruppe ich gehöre? Die anderen haben etwas von einer Aufgabe erzählt, die sie bewältigen mussten…“, fragte ich leicht verwirrt, als ich dir dunkelgrüne Uniform entgegen nahm. Herr Alion lachte. „Normalerweise ist das so. Allerdings hast du damals in meinem Büro ganz eindeutig bewiesen, dass du zu den Erdmagiern gehörst.“, erklärte er. „Also dann, lass uns zu den Feen weitergehen.“ Die Feenschule erwies sich als niedliches, mit Stroh gedecktes Häuschen, indem sich Feen aller Art tummelten. Da auch die Feen noch keinen Unterricht hatten, nutzten viele die Schule als Spielplatz, wenn es ihnen bei den Schülern zu langweilig wurde. Als wir eintraten schwirrten uns drei Luftfeen, welche offenbar in ein Fangspiel vertieft waren, um die Köpfe, im hinteren Teil des Raumes konnten wir einige Feuerfeen sehen, die offenbar ihre Fähigkeiten testeten und alle möglichen Dinge in Brand steckten. Glücklicherweise nahm eine Gruppe Wasserfeen dies als Anlass, ebenfalls ein bisschen zu üben und die brennenden Gegenstände wieder zu löschen. Herr über dieses Chaos war Kabir Imali und dessen drei Feen Alannah, Cliona und Houri. Herr Imali hatte ein wirres, blondes Haar und ein wettergegerbtes Gesicht. Hinter einer kleinen, silbernen Brille funkelten mir zwei stechende, blaue Augen entgegen, während der Leiter der Feenschule mich musterte. „Hältst du es wirklich für richtig, einem solch jungen Ding ein Ei anzuvertrauen, Doron?“ Fragend sah er Herrn Alion an. Ich hatte das Gefühl, als möge er mich nicht sonderlich. Firyon versicherte mir später zwar, dass Herr Imali lediglich ein Feenzüchter mit Leib und Seele sei und seine Lieblinge in guten Händen wissen wolle, doch der Eindruck, dass er mich nicht leiden konnte blieb während meiner ganzen Schulzeit über. „Ich bin sicher, Tanaya wird gut auf es achte, mein lieber Kabir. Ausserdem ist sie nur ein Jahr jünger als es die Schüler eigentlich sein“, meinte Herr Alion beschwichtigend. Herr Imali schnaubte. „Nun gut, aber wenn irgendwas ist, werde ich sofort einschreiten. Und du weißt, dass ich eine Fee, die schlecht behandelt wurde, nicht wieder an den betreffenden Schüler herausgebe.“ Dann wandte er sich an mich: „Also, dann komm schon.“ Er führte uns in ein Nebenzimmer, in dem es unnatürlich warm war. In langen Regalen waren kleine Nester aufgereiht, in jedem lag ein Ei. Sie waren ungefähr so gross wie die Bälle, mit denen die Jungen aus Leren oft auf der Strasse gespielt hatten und ganz unterschiedlich gefärbt. Einige waren blau, grün oder rosafarben, auf anderen wiederum erkannte ich komplizierte Musterungen, die wie Sterne, Regentropfen oder gar Blütenblätter aussahen. „Du kannst dir Eines aussuchen. Feeneier sollten immer warmgehalten werden. Wird das nicht beachtet, kann es sein, dass die Fee erfriert bevor sie schlüpft“, erklärte Herr Imali. Staunend ging ich derweil die Regale entlang. Jedes Ei erschien mir schöner als das vorherige. Welches sollte ich nehmen? Doch dann blieb mein Blick an einem Ei hängen. Es zog meinen Blick wie magisch an. Ein hübsches, gelb-grünliches Ei, auf dem ich Blätter zu erkennen glaubte. Ich wandte mich zu Herr Imali und Herr Alion um. „Ich möchte gerne dieses hier mitnehmen, wenn Ihr erlaubt“, sagte ich höflich. „Ob ich es erlaube oder nicht spielt keine Rolle, aber gut, dann also das hier.“ Vorsichtig nahm Herr Imali das Ei aus dem kleinen Nest und legte es in ein Körbchen. „Du solltest dir innerhalb einer Woche einen Namen für deine Fee überlegen. Idealerweise überlegst du dir auch einen männlichen Namen.“, meinte er, als er mir das Körbchen in die Hand drückte. „Sind denn nicht alle Feen weiblich?“, wollte ich etwas verwirrt wissen. „Die meisten Feen sind weiblich, aber es kann durchaus sein, dass ein Feenjunge aus dem Ei schlüpft. Wenn du dich auf einen Namen festgelegt hast, teil ihn mir mit“, erklärte Herr Imali. „Gut. Wie lange wird es wohl dauern, bis meine Fee schlüpft?“, fragte ich und der Feenzüchter antwortete mir, dass das ganz unterschiedlich sei, weil Feen dann schlüpfen, wenn sie es für richtig halten. Es könne deshalb sei, dass sie bereits nach zwei, drei Tagen schlüpfen, oder erst in einem oder zwei Monaten oder noch mehr. „Solange deine Fee noch im Ei ist, solltest du einmal im Monat zu einer Routine-Untersuchung kommen“, meinte Herr Imali abschliessend. „In Ordnung.“ Ich deckte das Ei mit meiner Uniform zu. Die Vorstellung, dass das Feenbaby darin erfrieren konnte, machte mir scheussliche Angst und ich wollte trotz des warmen Wetters draussen nichts riskieren. Solaya Branth, ihres Zeichens Stallmeisterin und Betreuerin der Begleiter Nightwinds, war eine deutlich angenehmere Person als Kabir Imali. Sie wirkte unglaublich jung, vielleicht zehn, zwölf Jahre älter als ich, ihre Haut war dunkel wie Ebenholz und ihr langes Haar, das sie am Hinterkopf zu zwei Zöpfen gebunden hatte, war schwarz wie die Nacht. Fasziniert sah ich diese für mich exotische Schönheit an. Fräulein Branth musterte mich ebenfalls mit ihren sanften, braunen Augen. „Tanaya, nicht wahr?“, fragte sie lächelnd und ich nickte. „Hab viel von dir gehört, war aber leider nicht da, als du hier angekommen bist. Dann woll’n wir doch mal sehn ob ich was passendes für dich hab.“ Mit diesen Worten öffnete sie die Tore zu den Stallungen. Die Ställe Nightwinds waren noch weitaus beeindruckender als die Feenschule. Hier gab es alle möglichen magischen Wesen. Ich entdeckte Einhörner, geflügelte Pferde, Greife, Riesenschlangen, Phönixe und sogar zwei ausgewachsene Drachen. „Was du hier siehst“, erklärte Fräulein Branth, „Sind alles Begleiter von Schülern, die zu gross oder gefährlich sind um sie auf dem Zimmer zu halten. Das mag auf den ersten Blick überwältigend erscheinen, aber es gibt mindestens genauso viele kleine Begleiter, die auf den ersten blick nicht sonderlich stark oder hilfreich wirken. Aber jeder Begleiter kann grosse Kraft entwickeln und ein wertvoller Freund sein, wenn du ihn richtig behandelst. Du darfst nie vergessen, dass jeder Begleiter etwas ganz besonderes und wunderbares ist, ganz egal ob es sich nun um einen riesigen Drachen oder eine kleine Schneemaus handelt. Alles klar?“ Sie zwinkerte mir zu. „Woher weiss ich denn, ob ich meinen Begleiter richtig behandle?“, fragte ich verunsichert. Fräulein Branth lächelte. „Es gibt kaum ein Wesen, zu dem du in der Bibliothek nichts findest, ausserdem kannst du auch einfach mich fragen. Aber genug davon, zunächst müssen wir sehn, dass du überhaupt einen Begleiter bekommst.“ Wir verliessen den eigentlichen Stall und kamen in einen kleineren Raum. Die Artenvielfallt in den Gehegen dieses Raums war jedoch nicht etwa kleiner, sondern noch viel grösser als im Vorhergegangenen. Es gab kleine, affenartige Wesen, junge Wölfe, Raubkatzen und Greifvögel genauso wie mir gänzlich unbekannte Tiere. Doch so interessiert ich all diese Wesen betrachtete, so uninteressant erschien ich ihnen wohl. Unbeeindruckt von meiner Anwesenheit kletterten, frassen oder spielten sie weiter. Fräulein Branth und Herr Alion wechselten einen Blick, den ich nicht deuten konnte. „Nun gut, sehen wir uns die Tierchen doch einmal genauer an“, meinte Fräulein Branth und schritt zwischen den Gehegen hindurch. Aufmerksam betrachtete ich jedes Tier, schliesslich hatte jedes von ihnen mein Begleiter sein können. Doch keines von ihnen schien sich für mich zu interessieren und wenn ich ehrlich bin, interessierte ich mich ebenfalls für keines von ihnen wirklich. In einer kleinen Box im hinteren Teil des Stalls für Jungtiere befand sich ein Einhornfohlen, das meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ich stellte mir schon vor, wie unglaublich beeindruckt alle sein würden, wenn ich mit einem Einhorn als Begleiter ankäme und hätte es unheimlich gerne als Begleiter gehabt, doch als ich versuchte es zu streicheln, zog es seinen Kopf immer wieder weg. Offenbar wollte es nicht gestreichelt werden. Fräulein Branth war der Meinung, dass das kleine Einhorn wohl nicht der richtige Gefährte für mich war. Überhaupt sei offenbar keines der Wesen in ihrem Stall geeignet für mich. „Nimm’s nicht so schwer, Tanaya“, sagte sie als sie meinen niedergeschlagenen Blick bemerkte. „Dass du hier deinen Begleiter nicht gefunden hast, bedeutet nicht generell, dass es ihn nicht gibt. Komm einfach in drei Monaten wieder, dann sind hier wieder ein paar neue Wesen und vielleicht ist dein Begleiter dann ja dabei.“ „Und wenn ich meinen Begleiter niemals finde?“, fragte ich etwas deprimiert. „Du wirst ihn finden. Früher oder später finden alle ihre passenden Begleiter. Vielleicht dauert es eben etwas länger. Das kommt vor.“ Sie klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. „Sieh’s doch mal so, du hast jetzt mehr Zeit, dich um anderes zu kümmern. Deine Elfe, oder die Schulaufgaben zum Beispiel.“ Ich nickte, doch es war ein schwacher Trost. Ich hätte so gerne einen Begleiter gehabt. Mir blieb nur zu hoffen, dass ich ein anderes Mal fündig werden würde. Herr Alion brachte mich zurück zu den anderen und nahm dafür Gwendolyn mit. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie sie zurück gekommen war. Ihre langen Haare waren nun glatt gekämmt und sie trug nun ein dunkelblaues Kleid mit silberner Stickerei. Nun, da sie sauber war, erinnerte sie mich an eine Prinzessin aus einem Märchen. Einzig Gwendolyns Nase hatte wenig prinzessinnenhaftes an sich, sondern erinnerte mich eher an eine Kartoffel. Einige Mädchen begannen zu kichern und ich konnte etwas, das wie „Prinzessin Kartoffel“ klang hören. Ich glaube nicht, dass Gwendolyn es ebenfalls gehört hatte, denn sie war schon etwas weiter weg, aber ich fand es äusserst unhöflich. Seufzend lies ich mich neben Harias auf den Boden plumpsen. „Wohl kein Glück im Stall gehabt, was?“, erriet er den Grund für meine etwas getrübte Laune und ich schüttelte den Kopf. „Ist doch nicht schlimm. Ich hab auch keinen Begleiter“, versuchte er, mich auf zu muntern, doch so wirklich gelang es ihm nicht. Ich glaube, selbst wenn ich gewusst hätte, dass ich schon bald doch noch einen Begleiter bekommen würde, hätte mich das in diesem Moment nicht fröhlicher gestimmt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)