Seelensplitter von Hrafna (Rufe aus der Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 5: "Feueratem" ---------------------- "Feueratem" (Flúgar - Aska) Er hat bereits aufgehört zu zählen, wie viele es heute waren. Bis zum Horizont, an dem gerade die Sonne ihren alltäglichen Weg über den Himmel beginnt, ist der einstig reinweiße Sand des Strandes rubinrot gefärbt. In der Luft hängt der Geruch von Salz und Blut, von Strandhafer und Angst. Seine Lippen sind trocken und spröde, er ist erschöpft, und müde, wie lange nicht mehr. Nur zu gerne würde er sich ein wenig ausruhen, doch die Schlacht ist noch unentschieden. Es waren noch nicht annähernd genug, dessen ist er gewiss, denn das hitzige Youki des Feindes scheint so präsent wie am Tage zuvor, das tiefe Grollen der unterirdischen Vulkane im Meer ist längst nicht erloschen. Für einen Moment schließt er die Augen, überprüft die Youkiquellen in der Umgebung, und es beruhigt ihn ungemein, dass er mehr vertraute Energien erspüren kann, als er angenommen hat. Ihre Verluste sind beängstigend hoch, der plötzliche, unerklärliche Rückzug der Wasserdrachen hat den Kriegern vorerst die Moral geraubt. Aufgeben kommt nicht in Frage, eher gehen sie im Kampf unter. Unangenehm bezeugt seine durch getrocknetes Blut erhärtete Kleidung jedwede Bewegung, die er tätigt, und reibt seine Kniekehlen und Ellbeugen wund. Die Verletzung an seinem Oberarm sendet fortlaufend einen stechenden Schmerz durch seine Nervenbahnen, und die feuchte Meeresluft ist nicht förderlich für die Wundheilung. Zudem hat er den Großteil seines Youkis aufgebraucht. Außer dem Rauschen der Wellen durchbricht kein noch so leiser Laut die beklemmende Stille; das monotone, penetrante Geräusch verursacht ein dumpfes Pochen in seinen Schläfen. Dass ihn die Fußspuren, die seine schweren Stiefel im Sand hinterlassen, verraten werden und zu einer leichten Beute machen, interessiert ihn nicht wesentlich. Falls ihn jemand wirklich finden will, dann wird er das – mit oder ohne die offensichtlichen Hinweise. Und tatsächlich dauert es nicht lange, bis er eine flammende Präsenz hinter sich spürt: ein Feuerdrache. Trotz der Distanz, die noch zwischen ihnen liegt, vermeint er den heißen schwefeligen Atem des Drachens spüren zu können. Betont langsam dreht er sich halbseitig um, die rechte Hand an der Tsuka seines Schwertes und die Muskeln gefechtsbereit angespannt. Er ist unterschwellig überrascht, als er in seinem Gegner eine Frau erkennt. Ihr hasserfüllter Blick entstellt die überaus weiblichen Züge ihres Gesichtes, das nun mehr eine fratzengleichen Maske darstellt, unter der die silberfarbenen Augen einem rötlichen Glühen weichen. „Du wirst dafür büßen, meinen Bruder getötet zu haben.“ Kurzzeitig mustert er sie eindringlicher. Insgesamt ist ihre Statur schmal und zierlich, die relativ kurzen zweifarbigen Haare kleben an ihrer schweißnassen Haut, an der Stirn, im Nacken. Sie droht ihm, erhöht den Pegel ihrer Dämonenergie drastisch. Ja, er erinnert sich, das Muster ihres Youkis weist Übereinstimmungen mit dem des männlichen Feuerdrachen auf, den er in dieser Nacht getötet hat. Die Auseinandersetzung ist hart und anstrengend gewesen, aber fair, und er hat selten einen solch guten Kämpfer in den Reihen der Feuerdrachen entdeckt. Knapp war kein angemessener Begriff für den Ausgang ihres Kampfes, und die Wunde an seinem Arm, sowie zahlreiche weitere Blessuren, gehen auf das Konto des außergewöhnlich talentierten Kontrahenten. Hraunar, so hieß er. Ihre Rache ist für ihn bestimmt. „Du hast die Zukunft unsere Clans zerstört…“ Ihre Stimme versiegt und wechselt zu einem aggressiven Knurren. Ohne darüber nachzudenken, stürmt sie auf ihn zu, unbewaffnet, und attackiert ihn mit ihren bloßen Klauen. Sie ist so blind vor Wut und Hass, dass sie nicht einmal mehr ordentlich Kämpfen kann – ihre überschäumenden Emotionen verwandeln sie in einen tobenden Berserker, der wild um sich schlägt und nach dem sühnenden Blut ihres Opfers giert. Er jedoch lässt sich nicht darauf ein, umgeht mühelos ihre voraussehbaren Manöver – das Schwert hat er nicht gezogen. Eben dies schürt ihren Zorn umso mehr, ihre Bemühungen verzeichnen dennoch keinen Erfolg. Eher das Gegenteil ist der Fall. Bald hat er sie in die Ecke gedrängt, und sie ist mittlerweile so erschöpft, dass sie sich kaum mehr auf den Beinen halten kann. Schwankend taumelt sie einen halben Schritt zurück. Während dessen schließt sich seine recht Hand fester um den Griff seines Katanas. Sie schluckt und senkt den Kopf. Dann stockt der Luftdrache unvermittelt, wendet sich ab, und starrt, wie in Trance verfallen, in die Ferne. Das Schwert entgleitet seinem Griff, und er kann kaum mehr atmen. Seine Kehle ist wie zugeschnürt. „Nein…“ Als sie aufblickt, ist er verschwunden. Zähneknirschend richtet sie sich auf, so wird er ihr nicht davonkommen. Bis sie ihn eingeholt hat, vergehen etwa zwei Stunden. Er kniet neben dem leblosen Körper eines seiner Artgenossen, hält dessen rechte Hand in den seinen. Offenbar trauert er, und bemerkt nicht, dass sie direkt hinter ihm steht, die Klinge, die er vorhin beabsichtigte gegen sie zu richten, zielt jetzt auf sein Herz. Das Auflodern seiner Aura erfolgt dermaßen plötzlich und unverhofft, dass sie nicht einmal an Abwehr oder Ausweichen denken kann und sein Angriff ist lediglich ein undeutlicher Schemen in ihrem linken Augenwinkel. ***---***---*** [Anm. der Autorin] Oder: wie Aska zu ihren Narben kam. Kurz und knapp, so sind sich Flúgar und Aska das erste Mal über den Weg gelaufen. Eigentlich hatte ich nicht vor, Hraunar durch Flúgars Hand sterben zu lassen, hat sich so während des Schreibens ergeben, und warum auch nicht? Außerdem: "Effi Briest" ist absolut nicht meine Lieblingslektüre gewesen, allerdings ist von Fontanes Werk doch etwas hängen geblieben. Der Strandhafer, der in Kessin in der Nähe des Chinesengrabes wächst, taucht auch in diesem One-Shot auf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)