Seelensplitter von Hrafna (Rufe aus der Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 21: "Fehlkalkulation" ----------------------------- "Fehlkalkulation" (Kali - Vatnsdrekar) Stimmen… Gedämpft, wie aus weiter Ferne dringen sie, in geschäftiges Flüstern verstrickt, an seine Ohren, bruchstückhaft und zusammenhangslos, jedoch gleichsam derart lebendig, dass es surrealistisch erscheint. Möglicherweise ist es ein Nachruf, das pulsierende Echo der realen Welt, des Lebens, das er verwirkte – tadelnd und in einem unverständlichen Ton wispert es ihm hinterher, kichert dann und wann, bespöttelt ihn wohl. Er verdient es; wie hat er nur so leichtfertig seine Existenz verspielen können? Wann, und vor allem wie, ist ihm das letzte Bisschen Vernunft abhanden gekommen…? Ja, er ist ein Narr, und er bereut seine Entscheidung. Freiwillig gegen einen Krieger von Bundoris Ausmaßen anzutreten kann man allenfalls als Größenwahnsinn bezeichnen. Im Nachhinein mit Mut oder Ehrgefühl zu argumentieren, ist lächerlich. Er hat aus einem Impuls heraus gehandelt, ist seinen Instinkten gefolgt; nun, jeder irrt sich einmal, er aber sicher kein zweites Mal. Dummheit kennt wahrlich keine Grenzen, und für Besserungsgelübde ist es bereits zu spät. Anstatt dessen wühlt eine tiefgehende Wut seine Gedanken auf, Erbitterung über die vermeintliche Fairness des Schicksals, seine eigene Torheit, über das Auftauchen des Sonnenweberdrachens und den Verlauf des Kampfes. In seiner wahren Gestalt hätte er womöglich bessere Chancen auf einen Sieg verzeichnet… Seinem Missmut zum Trotz löst sich anstatt des beabsichtigten Fluches lediglich ein Ächzen von seinen Lippen, woraufhin das penetrante Stimmgewirr abrupt abreißt. Ist das nun als ein gutes oder schlechtes Omen zu deuten? Gleichgültig, es macht ohnehin keinen Unterschied mehr, der Tod verbucht in seiner Endgültigkeit keinerlei Konkurrenz – und betrügen lässt er sich in dieser Hinsicht ebenfalls nicht. Das leise Rascheln von Stoff, begleitet von vagem Wasserplätschern, zieht seine Aufmerksamkeit auf sich. Irgendwie empfindet er das Geräusch als äußerst unpassend, gerade in seiner derzeitigen Situation, es ist so… belanglos und alltäglich. Unsicherheit beschleicht ihn, ein flaues Gefühl breitet sich in seiner Magengegend aus. Was geht hier vor sich? Und wo befindet sich überhaupt dieses ‚Hier’? Da stimmt doch etwas nicht… zugegeben, er hat nie sonderlich viel über das nachgedacht, was sich nach seinem Tod ereignen wird, dementsprechend keine Erwartungen gehegt, dennoch erklärt er sich insgeheim nicht einverstanden mit dieser Variante. Mühevoll wälzt er sich auf die linke Seite, von der bleiernen Schwere in seinen Gliedern verwirrt. Sollte er solche physischen Gebundenheiten nicht hinter sich gelassen haben? Wahrscheinlich bloß die Macht der Gewohnheit, eine Art nachweltlicher Phantomschmerz… Den Versuch, sich auf die Unterarme zu stemmen, bricht er schlagartig wieder ab – der Schmerz, der durch eben jene Bewegung plötzlich seine Nervenbahnen durchfährt, entspricht sicherlich nicht der Einbildung eines Toten. Das Atmen fällt ihm schwer. Dann trifft ihn die Erkenntnis wie ein Blitzschlag. Er atmet…? Unmöglich… Mit einem gequälten Keuchen schlägt er die Augen auf, stützt sich mit dem Ellbogen auf der weichen Unterlage ab. Das Stechen in seiner rechten Schulter ebenso geflissentlich wie die sachte Berührung an der anderen ignorierend, richtet er sich schwerfällig auf, mustert mit trübem Blick seine unmittelbare Umgebung. Erfolglos, wie er befürchtet hat – für eine Orientierung reicht es nicht. Alles, was er sehen kann, sind farblose Schatten und unscharfe Konturen, die sich zu einem skurrilen Bild ohne Aussagekraft zusammensetzen. „Du solltest nicht so töricht sein, deinen Körper in diesem Zustand zu überanstrengen. Es ist nicht meine Aufgabe, dich zu belehren, doch… ein Krieger wie du sollte in der Lage sein, den Schmerz, den er empfindet, als sicheres Zeichen dafür zu deuten, dass er noch am Leben sein muss. Tote leiden nicht, sie ersehnen sich den Schmerz – leben zu wollen ist das einzige Bestreben, das sie mit den Lebenden gemein haben.“ Ohne jeglichen Protest lässt er sich zurück in die Kissen sinken, akzeptiert schweigend die Hand auf seiner Brust, die ihn einfühlsam in eine liegende Position dirigiert. „Ruh dich aus. Alles andere können wir erst einmal auf später verschieben.“ Was ist nur geschehen, seitdem er das Bewusstsein verloren hat? Wie viel Zeit ist seitdem vergangen? Offenbar nicht allzu viel, denn seine rebellierenden Muskeln erinnern ihn noch zu deutlich an die strapaziöse Auseinandersetzung mit Bundori. „Wo bin ich…?“ Seine Kehle fühlt sich trocken und rau an, der salzige Geschmack von Meerwasser haftet ihm unangenehm an Zunge und Gaumen. „In Ryûgu. Wir haben dich halb ertrunken aus dem Meer gefischt.“ Sicherlich hat der Sonnenweber versucht, ihn auf diese Art bequem aus dem Weg zu räumen, doch unglücklicherweise nicht in Erwägung gezogen, dass er das überleben könnte – ob unwahrscheinlich oder nicht, das spielt keine Rolle. Liederlich hat er das vermeintlich minimale Risiko auf sich genommen… und einen Fehler begangen. Und als erfahrener Krieger weiß er, was das bedeutet. Der mächtige Dämonenfürst hat sich verkalkuliert, demnach besteht die gute Möglichkeit, dass er es wieder tun wird. „Auf welchen Namen hört unser mysteriöser Unbekannter?“ Er ist bereits in einen dösigen Dämmerschlaf abgedriftet, in seine Gedanken versunken, sodass er nicht mehr als ein Wort herausbringt. „Kali.“ Bundori wird für seine bornierte Torheit bestraft werden, wenn auch nicht durch Kali… ***---***---*** [Anm. der Autorin] Ich habe gehadert, den OS über Kalis Verbleib hochzuladen, da ich es eigentlich als passender empfand, offen zu lassen, ob er nun wirklich tot oder lebendig ist, wobei ersteres wohl näher lag. Ja, und anfangs hatte ich ernsthaft vor, ihn sterben zu lassen. Warum ich meine Meinung geändert habe, weiß ich auch nicht so genau... ^-^° Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)