Blind Dragon von Lethal (Das Auge des Orion) ================================================================================ Kapitel 20 ---------- Rick pinselte wieder. Wie uns die nächste Szene zeigte, war Ronga tatsächlich bei den beiden geblieben. Oder zumindest hatte er den Kontakt gehalten. Ich sah ihn zusammen mit Luv auf einen Turm aus massivem Stein zulaufen. Irgendwo rauschte das Meer. Eine unangenehme Vorahnung beschlich mich. „Rick, das klingt jetzt bescheuert, aber kannst du mir einen bestimmten Raum da drin zeigen?“ Für einen kurzen Moment kehrte er aus seinem Dämmerzustand zurück. „Kennst du den Ort?“ „Ich denke schon“, sagte ich verbittert. Er konzentrierte sich. Ich sah Schweißperlen auf seiner Stirn. Hoffentlich mutete ich ihm nicht zuviel zu. „Sie gehen sowieso rein. Vielleicht ist das ja der Raum, den du suchst...?“ Ich nickte schnell und wandte mich wieder dem Geschehen vor unseren Augen zu. „Na los doch, los! Erst drängst du mich zur Eile und nun muss ich womöglich noch auf dich warten, du träger Engel?!“ Lavande rannte ihm nach. „Es ist Tag, du eingebildeter Köter“, schimpfte sie mit einem Lachen in der Stimme. „Sei ein Kavalier und warte auf eine alte Dame!“ Er blieb stehen, damit sie ihn wieder einholen konnte. „Alt, was?“ lachte Ronga, sofern man bei seiner wölfischen Kommunikation von Lachen sprechen konnte. „Wie viele Sommer bist du jünger als ich? 5? 10?“ „Pah, ich sah derer schon 21“, plusterte sie sich auf. „Wie kommt es dann, dass du dieses Kindergesicht hast und ich mit meinen 25 schon aussehe, wie ein Tattergreis?“ „Wünsch dir doch von dem Alchemisten einen Jungbrunnen, wenn es dich so deprimiert.“ Sie streckte ihm die Zunge heraus. „Welch Frevel von einer verheirateten Frau!“ regte er sich künstlich auf und sprang sie an. Augenblicklich fiel sie hinten über. „DUUUU!“ schimpfte sie und wuschelte ihm nicht unbedingt sanft durch’s Fell. Sie konnte sich vor Lachen kaum halten. „Hinfort mit dir! Lass dir das bloß nicht des Nachts einfallen, du tollwütiger Halbmensch!“ Wie zur Bestätigung schnappte er nach ihr, hüpfte dann jedoch beiseite, damit sie aufstehen konnte. „25 Sommer und immer noch kein bisschen erwachsen...“ empörte sie sich und klopfte sich mit übertriebenen Gesten die Kleidung sauber. „Lass uns gehen. Die Sonne geht bald unter und es genügt mir, den Rückweg im Dunklen zurückzulegen.“ Gemächlicheren Schrittes gingen sie weiter. Der immer länger werdende Schatten des Turmes legte sich langsam über sie, wie ein unheilvolles Omen. Welch Ironie, wo sie doch zu so einem freudigen Anlass hier waren. „Was wirst du dir wünschen?“ fragte Ronga plötzlich. Sie lachte voller Vorfreude. „Dass du nicht mehr so furchtbar neugierig bist. Immer willst du alles wissen. Wo ich hingehe, was ich mag... Man könnte meinen, du stellst mir nach.“ „Pah! Dir nachstellen?!“ entrüstete er sich. „Eingebildetes Weib! Bloß weil dir die halbe Stadt zu Füßen liegt, musst du mich nicht der Geschmacklosigkeit bezichtigen, dir nachzustellen!“ „Geschmacklosigkeit! Das ist ja wohl der Gipfel der Frechheit. Mögest du nie eine Frau finden, die deinen Geschmack trifft, auf dass dir schließlich deine Manneskraft vom Leibe fault, du unerhörter Grobian!“ „Welch loses Mundwerk! Stündest du mir nicht so nahe, würde ich dich für eine solche Bemerkung verklagen!“ scherzte er verwegen. „So tu’s doch!“ entgegnete sie gespielt trotzig und lachte wieder. Warum, dachte Ronga, ist sie plötzlich so rot im Gesicht? „Was wünscht du dir nun?“ beharrte er. „Was wünscht man sich als Engel? Und jetzt sag bitte nicht: Frieden auf Erden!“ „Ach Engel“, schnaubte sie. „Genau genommen sind wir auch nur Menschen mit weißen Flügeln und – mit etwas Glück – einem besonders großen Herzen. Wer weiß, ob es in Erfüllung geht, wenn ich es dir sage... Vielleicht ist es wie mit den Sternschnuppen. Ich werde fragen und wenn ich darf, dann bist du der Erste, der es erfährt.“ Ronga wurde wieder ernst. „Glaubst du wirklich, dieser Scharlatan kann Wünsche erfüllen?“ „Ich träume gern, also glaube ich es erst einmal“, antwortete Lavande im selben Moment als sie durch das Tor des Turmes traten. Hier hatte sich ein Alchemist aus fernen Landen eingenistet, der damit warb, Wünsche erfüllen zu können, indem er seine Künste mit der Magie eines grünen Steines vereinte. Man erzählte sich, er habe diesen von einem Drachen erhalten, doch das hielt Ronga für eine Stadtlegende. Pinselstriche, Szenenwechsel. Gerade noch sah ich die beiden das Innere des Turmes betraten. Sie verschwammen, als sähe ich sie durch eine zu starke Brille. Doch eines verschaffte mir Gewissheit, dass ich in genau diesem Turm gewesen war: Bereits jetzt war ein erster Satz in die Wand geritzt worden. „Sei vorsichtig mit deinen Wünschen. Sie könnten in Erfüllung gehen.“ Wieder so eine Binsenweißheit, deren Sinn man erst versteht, wenn man was Entsprechendes erlebt hat, dachte ich verbittert. Die böse Vorahnung, die mich beschlichen hatte, weitete sich zu einem körperlichen Gefühl der Übelkeit aus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)