Blind Dragon von Lethal (Das Auge des Orion) ================================================================================ Kapitel 24 ---------- Als wir es endlich zum nächsten U-Bahnhof geschafft hatten, waren wir beide um ein kostbares Gut ärmer geworden. Nick war pleite, weil ich wenig Lust gehabt hatte, ihm nach dieser Odyssey die Fahrkarte auszugeben; ich hatte wer wusste wie viel Zeit verloren. Die Angst hatte mich wieder – oder vielleicht noch immer? - in festem Griff. Nervös wartete ich auf die Einfahrt der U-Bahn. „Das war echt knapp“, stellte Nick zum wiederholten Male fest. „Deine Schuld“, meinte ich, weil mich sein Gequatsche nervte. „Meine Schuld? Wenn du nicht gewesen wärst, wäre ich in dieses Auto bestimmt nicht eingestiegen!“ Langsam drehte ich meinen Kopf zu ihm herum und lächelte so freundlich, dass es ihn vollkommen irritierte. „Dieses Lächeln bedeutet nichts Gutes. Letztes Mal bist du hinterher bei mir eingezogen.“ „Ach was... Du hast mich nur gerade so furchtbar neugierig gemacht. Was hättest du getan, wenn ich dich nicht zum Auto geschoben hätte?“ „Ich hätte natürlich gleich die U-Bahn genommen.“ Er machte sich ein wenig größer. Leider nahm er dabei nicht wahr, dass er begonnen hatte, an seiner Hosentasche herumzuzupfen. „Nick, eh du das Lügen lernst, wachsen Jazz große Brüste.“ „So schlecht sah sie mit den kleinen doch gar nicht aus...“ „Wo guckst du meiner Freundin hin?!“ „Kann ich was dafür, dass sie so riesig ist, dass die Brüste bei mir fast auf Augenhöhe liegen? Ich bin nun mal nicht so groß wie du! Außerdem hast du gesagt, sie wäre deine Ex-Freundin.“ „Stell sofort dieses überlegene Grinsen ein, wenn du nicht willst, dass ich dir die Fresse poliere!“ Zu Nicks Glück fuhr die U-Bahn ein bevor ich dazu kam. Ich ließ mich neben ihn auf die Sitzbank fallen und versuchte, mich wieder auf die Dinge zu konzentrieren, die wichtiger waren als meine kleinen Eifersüchteleien. Wie viel Zeit mochte uns noch bleiben? Wenn ich den Kerl nun nicht fand... Und selbst wenn doch, dann hatte ich immer noch das Problem, mit dem Trottel vom Dorf in das Haus eines uralten Mannes einbrechen zu müssen. Dachte man im Zusammenhang mit uralten Männern an Ronga, konnte einem das Alter plötzlich eine Menge Respekt einflößen. „Kannst du denn lügen?“ wollte Nick plötzlich wissen. „Klar kann ich.“ „Mach mal.“ „Jetzt?“ „Klar. Hab ich doch eben gesagt. Wir haben doch eh nichts besseres zu tun.“ „Okay, ich hab dich gern.“ „Das war zu offensichtlich. Da fall ich schon seit der vierten Klasse nicht mehr drauf rein, wenn jemand das zu mir sagt.“ Ich prustete vor Lachen. „Erzähl mir nicht, du hast’s vorher geglaubt!“ Ein Anflug von Kränkung huschte über sein Gesicht. Da war ich wohl eine Spur zu weit gegangen. Ich war nicht wenig überrascht, dass mir dies überhaupt auffiel. Sonst besaß ich nicht mehr Einfühlungsvermögen als eine Schrottpresse. Jazz konnte da ein Lied von singen. Ich beschloss, mich ein wenig zurückzunehmen. „Ähh, wie auch immer. Lügen kannst du jedenfalls nicht. Hast du sonst irgendwelche Qualitäten?“ überlegte Nick laut. Für seine Verhältnisse war dieser Themenwechsel sogar recht gelungen. „Also, du kannst nörgeln, meckern, Leute beleidigen... Mal sehen... Im Erwürgen scheinst du auch ganz gut zu sein. - Mein Hals tut immer noch weh. - Aber das mit dem Stehlen solltest du noch üben. Ne Flucht in nem Pizzawagen ist nicht besonders proseff... pro...“ „Professionell.“ Die Leute sahen her. Mit Nick fiel man irgendwie immer auf. Ich addierte das zu seinen negativen Eigenschaften und fragte mich, ob ich mir für die Fortführung dieser Liste nicht eine Hilfskraft einstellen sollte. Da hätte ich einen soliden Langzeitarbeitsplatz geschaffen. „Ja, danke. Kennst du das, wenn man das Wort eigentlich weiß, aber es einfach nicht rausbekommt?“ „Wenn du ihn nicht benutzen kannst, mach den Mund einfach zu. Damit tust du allen einen Gefallen.“ So viel zum Thema „mich zurücknehmen“. Warum machte dieser Kerl mich nur immer so ungeheuer aggressiv? Er tat niemandem den Gefallen den Mund zu halten. „Wir müssen die Nächste raus“, verkündete er stattdessen trotzig. Ich nickte nur und wünschte mir ein Paar Kopfhörer und eine MP3-Sammlung von Hammerfall, Metallica oder etwas ähnlich lautem. Plötzlich stand die U-Bahn still. Nirgends war eine Ausstiegsmöglichkeit zu sehen. Wir standen mitten im Tunnel. „Sehr verehrte Fahrgäste. Aufgrund einer Weichenstörung wird sich die Weiterfahrt um etwa 10 Minuten verzögern. Wir bitten um ihr Verständnis.“ Nick und ich seufzten im Chor. „Und was, wenn ich kein Verständnis dafür habe?“, brummte ich. „Wir schaffen’s schon noch“, versuchte Nick, mich zu beruhigen, doch das hörte sich fast so unecht an wie eine seiner Lügen. Er hatte die Hosen genauso gestrichen voll wie ich. „Wir? Das ich nicht lache. Sobald ich - !“ „Ruhe da“, fuhr uns jemand weiter hinten an. „Man kann sich auch leise unterhalten.“ Wir schwiegen eine Weile, doch auch dieses Mal nicht sehr lange. „Hörst du das?“ flüsterte Nick. „Was?“ „Na, dieses Geräusch... Klingt wie... Dings... Ich weiß nicht...“ Ich lauschte. Er hatte recht. Irgendetwas klang da mit den geflüsterten Unterhaltungen mit, die die Fahrgäste führten. Irgendetwas, das in eine U-Bahn nicht passte. Ein Geräusch als würde jemand eine Decke ausschütteln. Oder als... „Klingt wie Flügelschlagen“, spekulierte ich und kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, breitete sich im vorderen Teil des langen U-Bahnzuges lautes Geschrei aus, begleitet von einem schrillen Pfeifen, von dem mir die Ohren wehtaten. Ich reckte den Kopf, um zu sehen, was vor sich ging. „Was...?“ flüsterte Nick, der bereits aufgesprungen war. „Kori! Sieh dir das an!“ Nackte Panik stand ihm ins Gesicht geschrieben. Mit einem Satz war auch ich auf den Beinen. Wir befanden uns in einer dieser neueren U-Bahnen, die keine einzelnen Wagons mehr hatten, sondern in eins durchgingen. Meinen müden Augen bot sich ein Bild des Grauens: Der vordere Abschnitt der U-Bahn war schwarz von Duzenden von Raben. Ich hörte die Menschen kreischen, die zwischen den Vögeln völlig verschwanden, sah Hände, die aus der schwarzen Masse emporragten und dann darin untergingen. Vor allem aber sah ich die Blutlache, die sich unter dem Schwarm ausbreitete. „Shiki!“ rief Nick entsetzt. „Und gleich so viele! Die sind bestimmt unseretwegen hier!“ „Was du nicht sagst! LAUF!“ Ich machte auf dem Absatz kehrt, packte Nick und zerrte ihn ein weiteres Mal hinter mir her. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)