Wie weit wirst du gehen...? von abgemeldet (Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Es war alles ein Fehler gewesen. Von Anfang an. Das wusste Hiro nun, doch jetzt war es zu spät und er würde seinen Irrsinn, der ihn so weit getrieben hatte, auf ewig bereuen. Dunkelheit breitete sich wie ein schwarzes Tuch über den Boden aus, legte sich um die Ränder des Beystadium und zerrieb sie zu Staub, dann wanderte sie weiter, schneller als ein Atemzug, seltsam substanzlos und doch eindeutig spürbar in ihrer alles durchdringenden Kälte. Gierig streckten sie sich nach jedem lebenden Wesen in der großen Halle aus und leckten über ihre Haut und ihre Seelen. Ein eisiges Frösteln breitete sich in Hiro aus, doch die Angst, die sich wie eine Klaue um sein Herz geschlossen hatte, war noch kälter. Alle Blader um ihn herum wirkten wie erstarrt, auch Kai, der, das hell schimmernde Gesicht mit den geschlossenen Augen nach oben gewandt hatte und die wallenden Nebel aus Nacht, die von seinem Körper und seinem Blade ausgingen, nicht zu spüren schien. Beinahe zärtlich umschmeichelte die sich ausbreitende Dunkelheit ihre Quelle, schlang sich in lockeren Bahnen um seine Arme und Beine und umrahmte sein Gesicht. Erste Eisblumen zeigten sich auf dem Boden der Halle und den Rändern des Stadiums, als die Schwingen der Nacht alles und jedem in diesem Raum die lebensspendende Wärme entzogen. Raureif zog sich über Hiros Haut und doch ahnte er, dass dies alles hier erst der Anfang war, ein erster Hauch der Hölle, die noch folgen würde. Wie auf Kommando begann sich Kais Beyblade schneller zu drehen und sein Besitzer öffnete die blutroten Augen. Sofort wich die unerträgliche Kälte einer alles verzehrenden Hitze und die Dunkelheit ging in Flammen auf. Schwarze Schwingen mit goldenen Rändern erschienen über dem Beyblade und zogen einen befiederten, wunderschönen Körper aus dem darauf befindlichen Bitchip. Pechschwarze Federn raschelten leise, ein kurzer Lichtblitz huschte über einen grausam scharfen Schnabel, dann bäumte sich Black Dranzer, der schwarze Phönix, auf, entfaltete seine mächtigen Schwingen zu voller Spannweite und schrie seinen Triumph und seinen Hass in die Welt hinaus. Hiros Herz schien für einen Moment stillzustehen, dann wandte sich sein Blick seinem Bruder Tyson zu, der seltsam hilflos und schutzlos wirkend auf der anderen Seite der Arena stand und mit verängstigten Augen zu der wunderschönen Kreatur aus reiner Bosheit aufsah, die Kai soeben freigelassen hatte. Hinter all dem Horror und der Panik bemerkte Hiro aber auch einen ungeheuren Schmerz, dessen Verursacher nicht der silberhaarige Blader war, der Black Dranzer gerade den Angriff befohl, sondern er selbst, der große Bruder, der für all das hier verantwortlich war. Mit einem weiteren Kreischen voller Hass und Zerstörungsfreude, raste der schwarze Phönix auf Tyson und Dragoon zu, ohne dass irgendjemand etwas tun konnte. Hiro spürte, wie sich sein Mund zu einem Schrei der Verzweiflung öffnete. Wie hatte es nur so weit kommen können? Dabei hatte doch alles so einfach angefangen. Wann war nur alles so aus dem Lot gekommen? Plötzlich wusste er es und eine einzige, ruhig ausgesprochene Frage, der er noch vor kurzer Zeit keinerlei Bedeutung beigemessen hatte, huschte durch seine Gedanken: „Wie weit wirst du gehen?“ Auch, wenn euch der Prolog vielleicht seltsam vorkommt, nein, ihr habt noch kein Kapitel verpasst, das soll alles so sein. Bis demnächst, Lyos ^^ Kapitel 1: Die Ruhe vor dem Sturm --------------------------------- Jede Katastrophe beginnt immer mit einer einzigen, kleinen Geste… In diesem Fall war es ein Finger, der auf eine Klingel gedrückt wurde, über der auf einer schmalen Messingplatte ‚Kai Hiwatari’ stand. Laut und unangenehm schrillte ein hoher Ton durch das Haus und ließ selbst den Störenfried vor der Tür zusammenzucken. Schnell zog er die Hand zurück und wartete. Dieses Geräusch konnte einfach niemand überhören… Minuten später wurde die Haustür tatsächlich geöffnet und zwei missmutige, rote Augen glitten über den jungen Mann, der grinsend eine Hand zum Gruß hob. „Hallo Kai. Du siehst ungewohnt aus, ohne deine Streifen – soll das blaue Auge das ausgleichen?“, sagte Hiro und registrierte zufrieden ein kurzes Aufflackern von Zorn in den Gesichtzügen seines Gegenübers. Tatsächlich konnte er mehr als einen Bluterguss auf Kais Gesicht entdecken und registrierte auch die Platzwunden an Stirn und Kinn. „Darf ich hereinkommen?“ Zorn und Missmut wichen innerhalb von Sekunden einer Maske völliger Gleichgültigkeit und Kälte, die jeder von Kai gewohnt war. Lässig lehnte sich der Junge in den Türrahmen und verschränkte abweisend die Arme vor der Brust: „Was willst du, Hiro?“ Tysons älterer Bruder bemerkte leicht amüsiert, dass Kai seine Position bewusst so gewählt hatte, dass er ihm einen Einblick in seine Wohnung größtenteils verwehrte. „Mit dir reden. Ich hatte keine Lust dich in der ganzen Stadt zu suchen, deshalb bin ich lieber gleich hierher gekommen.“ Ein kurzes Blitzen von Unwillen brach durch die Maske, dann hielt sie Kais Gefühle wieder vollkommen dicht und er nickte. Die Tür wurde gerade weit genug geöffnet, dass Hiro eintreten konnte, dann fiel sie bereits wieder krachend ins Schloss und sperrte alle möglichen neugierigen Blicke aus. Scheinbar lag Kai wirklich viel an der Wahrung seiner Privatsphäre. Tysons Bruder ließ sich davon nicht stören und sah sich neugierig um. Die Einrichtung war einfach, aber nicht so spartanisch wie Hiro es sich vorgestellt hatte, und in hellem Holz gehalten, die Fenster groß, die Räume weitläufig. Das Wohnzimmer, in das er geführt wurde, hatte tatsächlich den Anschein bewohnt zu werden und widersprach damit heftig dem Eindruck, den man erhielt wenn man Kais Zimmer im Dojo betrat. Auf dem Fensterbrett standen gepflegt wirkende Zimmerpflanzen, eine Fernsehzeitschrift lag aufgeschlagen auf der Couch und eine halb aufgegessene Pizza wartete auf einem kleinen Glastisch auf die Weiterführung der Mahlzeit. Im Fernseher lief irgendeine Nachrichtensendung, die Kai ausschaltete, bevor er sich auf seinem Sofa niederließ, kurz zur Pizza schielte und dann Hiro musterte, der die Büchertitel in einem Regal betrachtete und ihm den Rücken zuwandte. „Was willst du, Hiro!“, wiederholte er seine vorherige Frage noch einmal in einem schärferen Ton. Der dunkelhaarige Mann ließ von seiner Beschäftigung ab und schlenderte zu Kai hinüber: „Hübsche Wohnung. Keine Folterkeller, soweit ich das sehe, keine Leichen im Schrank, noch nicht mal Blutflecken auf dem Teppich. Tyson würde sehr enttäuscht sein, wenn ich ihm das erzählen würde.“ Kais Augenbraue zuckte gefährlich. „Komm zur Sache!“, schnauzte er und Hiro gestattete sich ein Grinsen. Es war ungemein befriedigend den silberhaarigen Jungen in Wut zu versetzen, vor allem, da er sich beinahe noch mehr aufregte als Tyson und Daichi es je tun könnten, das aber wiederum krampfhaft zu verbergen versuchte. Schade, dass er sich das nicht hatte erlauben können, als Kai noch mit den anderen von ihm gecoacht wurde, aber Professionalität ging eben vor. Aber im Moment war er nicht für den Jungen und seine Leistungen verantwortlich, also konnte er ruhig noch einen draufsetzen: „Woher das blaue Auge?“ Man konnte förmlich spüren, wie die Luft im Zimmer immer dicker wurde und in Kais Inneren ein Countdown gestartet wurde. Doch der erwartete Ausbruch kam nicht und die brennende Wut in seinen Augen wich einem Schatten, dessen Bedeutung Hiro nicht genau definieren konnte. Der junge Blader verschränkte die Arme vor der Brust und sah zur Seite. „Strafe“, erklärte er knapp. Hiro runzelte die Stirn und hakte nach: „Wofür?“ Kais Gestalt straffte sich und er wandte sich dem Älteren wieder zu, die Augen ausdruckslos wie immer, die Stimme so monoton, als ob er die neuesten Börsenzahlen ansagen würde: „Dafür, dass ich der BEGA beigetreten bin. Und bevor die Frage kommt: Es war mein ehemaliges Team, die Blitzkrieg Boys. Sie haben etwas gegen Verräter.“ Noch genau erinnerte er sich daran, wie er, kurz bevor Tala, Bryan und Spencer wieder nach Hause zurückgekehrt waren, plötzlich eines Abends auf die Drei getroffen war, die ihn sofort in eine dunkle Gasse bugsiert und nach allen Regeln der Kunst zusammengeschlagen hatten. Er hatte sich gewehrt und wusste, dass zumindest Bryan und Spencer noch einige Zeit an diese Prügelei zurückdenken würden, aber als Tala, der zunächst nur zugesehen hatte, dann auch noch dazukam, war es vorbei gewesen und sie hatten nicht eher von ihm abgelassen, bis er nicht mehr hochkam und bewusstlos zwischen Dreck und Unrat lag. Erst gegen Mitternacht war er wieder aufgewacht, völlig allein, und hatte sich nach Hause geschleppt. Er hätte damit rechnen müssen, dass das passieren würde, aber irgendwie hatte er gehofft, dass sich die Drei seit den Zeiten der Abtei so weit geändert hatten, dass sie Gnade vor Recht ergehen ließen… Kais Blick wanderte unbewusst immer weiter zu Boden, während eine kleine Stimme in seinem Inneren nicht höhnisch oder spöttisch, aber schmerzhaft ehrlich feststellte, dass er sich auch kaum verändert hatte und es vermutlich niemals tun würde. Hiro beobachtete den Jungen, der abwesend vor sich hin starrte, aufmerksam und beschloss, dass er Kai für heute genug geärgert hatte. Zu sehr irritierte ihn der Schatten in den roten Augen, der sich erneut seinen Weg an die Oberfläche gebahnt hatte. Er räusperte sich und Kai zuckte zusammen, setzte seine ausdruckslose Maske wieder auf und konzentrierte sich auf seinen unerwarteten und nicht eben willkommenen Besuch. „Ich bin hier, um dir einen Vorschlag zu unterbreiten, Kai“, begann Hiro und setzte sich neben dem Jungen auf die Couch. Kurz suchte er in den Taschen seiner Jacke, dann zog er ein paar sorgsam zusammengefaltete Blätter heraus, die unschuldig weiß und rein im Sonnenlicht aussah. Kurz glitten die roten Augen über das Papier, dann begegneten sie wieder Hiros Blick und zeigten ihm sowohl Interesse als auch tiefes Misstrauen. Der Ältere ließ sich davon nicht beeindrucken, er wusste, dass Kai ihm nicht vertraute, ihn vermutlich noch nicht mal leiden konnte – wer konnte es ihm schon verübeln, wenn er es recht bedachte – aber ihm war auch klar, dass der silberhaarige Blader seine Abneigung ihm gegenüber ignorieren konnte, wenn es sein musste. „Du weißt, was mein Ziel ist“, sagte er leise und Kai nickte. „Du willst Tyson stärker machen. Zum stärksten Blader aller Zeiten – oder seinen Bezwinger trainieren.“ ‚Egal, um welchen Preis’, fügte der Junge in Gedanken hinzu und musterte Hiro stirnrunzelnd. „Soll ich jetzt etwa dein nächster, verzweifelter Versuch werden? Kein Interesse. Außerdem habe ich im Moment kein Bitbeast, da mich Dranzer nach dem Kampf gegen Brooklyn verlassen hat“, stellte er nüchtern fest und bemerkte, nun seinerseits zufrieden, wie Hiro zusammenzuckte und ein betroffener Ausdruck über sein Gesicht huschte. Das hatte wohl jemand nicht gewusst. Wie schade… „Such dir einen anderen Dummen, Hiro!“, sagte er höhnisch und stand auf um seinen Gast wieder zur Tür zu geleiten. Doch Tysons Bruder blieb sitzen und schien seinen Plan noch nicht aufgegeben zu haben. Im Stillen seufzend ließ sich auch Kai wieder auf die weichen Polster sinken und durchbohrte den Anderen mit seinen Blicken. Warum mussten bloß alle Mitglieder dieser Familie solche Dickschädel sein, dass sogar er Mühe hatte, mit seiner angeborenen Sturheit dagegen zu halten. „Das du Dranzer verloren hast, tut mir Leid, Kai“, erstaunt bemerkte der Junge, dass das sogar ehrlich klang. „Aber ich dachte nie daran dich und ihn gegen Tyson und Dragoon antreten zu lassen. Das habt ihr oft genug versucht – und immer seid ihr gescheitert!“ Kai knurrte unwillig und wütend, wusste aber, dass er Recht hatte. Leider. „Allerdings bin ich vor einiger Zeit, als ich noch für die BBA tätig war, auf ein anderes Bitbeast gestoßen, mit dem du vielleicht in der Lage wärst, Tyson zu schlagen“, bei diesen Worten entfaltete er das Papier und hielt es hoch. Kai stockte kurz der Atem, dann schüttelte er den Kopf. „Vergiss es!“, zischte er in einem Ton, der jeden Anderen in die Flucht geschlagen hätte, doch Hiro ließ sich nicht einschüchtern und legte die Akte über Black Dranzer neben die inzwischen ausgekühlte Pizza. „Ich war ziemlich überrascht zu erfahren, dass gerade du dir eine solche Chance hast entgehen lassen…“, fuhr er fort ohne auf die vorherigen Worte einzugehen, wurde aber von Kai unterbrochen, dessen Blick immer kälter und abweisender wurde: „Du weißt nicht, wovon du sprichst! Also schweig, verschwinde und versuch dein Glück woanders!“ „Das klingt ja fast so, als ob du Angst hättest! Fürchtet sich der große Kai Hiwatari etwa vor einem Bit Beast? Ist es die Farbe? Hast du Angst vor der Dunkelheit?“, Hiros Ton war spöttisch, hatte aber nicht die erwünschte Wirkung. Kai zeigte keinerlei Anzeichen von Wut und schüttelte nur ruhig den Kopf. „Laut den Daten, die ich gefunden habe, ist es stark! Stärker als alles andere, was ich je zuvor gesehen habe! Du strebst nach Stärke und Perfektion, Kai, also warum so bockig?“, er lehnte sich weiter vor. „Selbst wenn du Probleme hast mit dieser Macht umzugehen, kannst du sicher lernen sie zu kontrollieren. Ich werde dir helfen und dich trainieren.“ „Du hast keinerlei Ahnung, wovon du sprichst…“, war die einzige Antwort, die er bekam. Hiro knirschte mit den Zähnen, damit, dass Kai ablehnen könnte, hatte er nicht wirklich gerechnet. Zu sehr war er überzeugt gewesen, den Blader durchschaut zu haben. Und das, was er über Black Dranzer herausgefunden hatte, kam ihm wie ein Traum von einem Bit Beast vor, wenn man denn fähig war es zu kontrollieren. „Also schön! Dann vergiss es“, er ließ sich wieder zurückfallen und versuchte seine Wut und Enttäuschung zu unterdrücken. „Dann gib ihn mir wenigstens.“ Kai sah ihn scharf an: „Wie kommst du darauf, dass ich ihn habe?“ Sein Tonfall war lauernd. Tysons Bruder grinste: „Der BBA ist nichts über den Verbleib des Bit Beasts bekannt… Aber Boris wusste zufällig, dass dein Großvater ihn damals dir gegeben hat, auch, wenn du ihn nie eingesetzt hast. Er war übrigens wütend darüber und hatte vor, dir Black Dranzer nach seinem Sieg wieder abzunehmen, egal, wo du ihn versteckt hast. Ich habe eigentlich nicht vor, dich dazu zu zwingen, ihn mir zu geben, aber wenn du ihn schon nicht einsetzt, kann ich vielleicht jemanden finden, der mehr Mumm hat.“ „Selbst wenn ich ihn dir geben würde, wenn ich ihn denn hätte… Es würde dir nichts nutzen. Du wirst niemanden außer mir finden, der ihn überhaupt einsetzen kann.“ Kai runzelte die Stirn und nahm die Akte vom Tisch. Hiro protestierte nicht, sondern sah eher hoffnungsvoll zu, wie der Junge die wenigen Seiten überflog. „Wie weit willst du eigentlich noch gehen, um Tyson hoch zu pushen?“, fragte Kai beiläufig und studierte die wenigen Informationen, die die BBA über Black Dranzer hatte. „So weit, wie es geht!“ Kai hielt bei der letzten Seite an und las die paar Zeilen, die Black Dranzers Entstehungsgeschichte, Fähigkeiten und Besonderheiten beinhalteten. Es war erschreckend wenig – was vermutlich absichtlich so war… „Und wie weit, denkst du, kannst du gehen?“ „Wie meinst du das?“, Hiro verstand nicht, was diese Fragen sollten. „Weißt du“, Kai legte die Akte auf den Tisch zurück, ein seltsam belustigtes Funkeln in den Augen. „Man kann jeden Menschen nur bis zu einer bestimmten Grenze unter Druck setzen, hochpushen, bis man ihn zerstört und Schaden anrichtet, der nicht wieder gut zu machen ist. Wie weit denkst du, kannst du gehen, Hiro?“ Der junge Mann wischte die Frage mit einer ungeduldigen Handbewegung beiseite: „Du übertreibst! Es ist ja nicht so, dass ich mich mit dem Teufel verbünden würde. Ich will nur dieses Bit Beast und einen Blader, der damit umgehen kann, also gib es mir!“ „Es wird dir nichts nutzen“, wiederholte Kai und seufzte. „Geh! Nimm deine Akten und verschwinde! Ich werde dir nicht helfen!“ Hiro starrte ihn für einen Moment an, dann stand er abrupt auf und riss die Papiere an sich. Sein Blick versprach, dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen war und er niemals so schnell aufgeben würde, was er sich in den Kopf gesetzt hatte – aber für diesen Moment hatte er erkannt, dass er keine Chance hatte Kai umzustimmen. Der silberhaarige Blader folgte ihm bis zur Tür, die Hände in den Taschen seiner Hose, der Blick ernst und nachdenklich. Kurz, bevor Hiro die Wohnung endgültig verließ, drehte er sich noch einmal um und versuchte ein letztes Mal, Kai doch noch umzustimmen: „Überleg es dir. Du könntest Tyson schlagen…“ „Überleg dir erstmal, wie weit du wirklich bereit bist zu gehen. Und wie dann die Wirklichkeit aussehen könnte. Wie weit wirst du gehen, Hiro?“, unterbrach Kai ihn ruhig. Der junge Mann spürte, wie in ihm Zorn brodelte, dass er nicht erreicht hatte, was er wollte. Ganz im Gegenteil sogar. Und nun wagte Kai es auch noch zu glauben, ihm ins Gewissen reden zu müssen. Ausgerechnet Kai? „Ich werde alles tun! Anders als jemand anderes, der zu feige ist, auch nur die Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, die sich ihm eröffnen, nur, weil er Angst vor einem Bit Beast hat! Du bist erbärmlich!“, er sah noch, wie Kai zusammenzuckte, dann drehte er sich um und ging. _________________________________________________________________________________ Ja, ähm, ich hoffe, ich habe Hiro halbwegs glaubwürdig getroffen ^^ In "Losing Control" ist er der nette, vernünftige Saubermann mit James Bond-Ambitionen, aber hier *g* Sagt mir, ob er auch so okay ist ^^ Ich könnte ihn mir so durchaus auch vorstellen ^.~ Kapitel 2: Mögen die Spiele beginnen ------------------------------------ Ein neues Kapitel, auch, wenn ich bisher nur wenig Feedback bekommen habe ^^" Aber vielleicht bessert sich das ja noch. *hoff* Die Lyrics stammen von "It's the fear" von Within Temptation. Das ich gerne Songtexte einbaue ist ja bekannt, aber an alle, die jetzt wieder sonst was fürchten, es wird dieses Mal nicht sonderlich oft vorkommen ^^ Auch wenn es weder Leichen noch Folterinstrumente in Kais Keller gab, so hatte doch auch er seine Geheimnisse. Eines davon war die Vitrine in einem stets verschlossenen Zimmer, das er schon seit Jahren nicht mehr betreten hatte. Doch nun, Tage nach Hiros Besuch, saß er mit einer Dose Cola auf dem muffigen Teppichboden, dessen Farbe er in der Dunkelheit nicht erkennen konnte und starrte grübelnd auf den zerbrechlich wirkenden Kasten aus Panzerglas, der mitten im ansonsten leeren Raum stand und von einer sehr schwachen Glühbirne gerade so angestrahlt wurde, dass der Inhalt zu erkennen war. Damals, als sein Großvater ihm den Bitchip beim Finale gegen die Demolition Boys in die Hand gedrückt hatte, hatte er wirklich mit sich gerungen, Black Dranzer nicht doch einzusetzen und Spencer dahin zu verweisen, wo seiner Meinung nach sein Platz war. Er hatte es nicht getan – und noch monatelang mit dem schlechten Gewissen gerungen überhaupt daran gedacht zu haben. Er hatte das albtraumhafte Wesen und sein Behältnis hier eingeschlossen und dann verdrängt, in der Hoffnung, dass der verlockende Ruf, den er in seiner Nähe verspürte und der Wunsch, seine Macht nur noch einmal zu kosten, irgendwann nachlassen würde. Nichts dergleichen war jemals geschehen und nur sein gesunder Menschenverstand hatte ihn davon abgehalten, sein Glück auf die Probe zu stellen und diese lebendige Zeitbombe auch nur noch einmal anzurühren. Doch Black Dranzer war geduldig… Er lauerte in diesem dunklen Zimmer, hinter der zentimeterdicken Scheibe beharrlich darauf, dass Kai einen Fehler machte, auf einen Moment der Schwäche, den er ausnutzen konnte, um endlich wieder in Freiheit zu gelangen und das zu tun, wofür er geschaffen worden war. Bis dahin schlief der grausame, so gefährlich intelligente Verstand und sandte nur dann und wann einen lockenden Ruf aus. It waits for the day I will let it out. To give it a reason, to give it its might. Ein schwaches Klingeln durchdrang die Dunkelheit und ein kränklich grüner Schein breitete sich über eine Ecke des Raumes aus als Kai sein Handy aus der Hosentasche zog und auf den Display sah. Eine SMS war soeben empfangen worden, die er umgehend löschte. Er wusste eh, was darin stehen würde: „Gib mir Black Dranzer oder mach mit!“ Solche SMS bekam er etwa jede halbe Stunde, Hiros Anrufe dagegen hatten sich auf einen dreistündlichen Rhythmus eingependelt. Eines musste man Tysons Bruder lassen, er war hartnäckig… Das Telefon verschwand wieder in der Hosentasche und schlagartig schien es dunkler im Raum zu werden. Selbst die schwach flackernde Birne schien an Kraft zu verlieren. Es wirkte fast so, als ob die Schatten sich immer weiter ausbreiteten und das Licht schlucken würden. Kai wusste, dass das Unsinn war, aber dennoch konnte er spüren, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Er nahm einen Schluck aus der Dose, dann zog er das linke Knie an, stützte einen Arm darauf ab und legte den Kopf auf die so geschaffene Lehne. Seine roten Augen ruhten ruhig auf der Vitrine, über die unerklärliche Lichtreflexe zu huschen schienen, doch seine Gedanken rasten. Hiro, dieser Dummkopf, hatte keine Ahnung, auf was er im Begriff war sich einzulassen… In den Unterlagen der BBA wurde Black Dranzer wie ein ganz normales Bit Beast gehandelt, stärker und schneller als die anderen, aber normal. Es gab keine Einträge über seine Wirkung auf Menschen, seine Fähigkeit andere Bit Beasts zu absorbieren und wieder freizugeben, seine Intelligenz, seine Lust an Zerstörung und seine grausames, bösartiges und vor allem kontrollsüchtiges Wesen. Selbst seine Herkunft aus dem Reagenzglas wurde nur am Rande erwähnt. Vermutlich hatte Mr. Dickinson das veranlasst um keinen Mitarbeiter auf die Idee zu bringen, genauer nachzufragen wo solch eine Schöpfung abgeblieben war – und ob man so etwas noch einmal schaffen könnte! Doch so gut die Beweggründe des Leiters der BBA auch sein mochten, es führte dazu, dass Hiro tatsächlich dabei war, sich mit dem Teufel zu verbünden. Und Kai spürte, dass er auf dem besten Weg war, der Verlockung zu erliegen und mitzumachen! I fear who I am becoming, I feel that I am losing the struggle within. Tyson schlagen, endlich der beste Blader sein, perfekt sein und ein unschlagbares Bit Beast an seiner Seite haben… Die Gier nach dem mächtigen Geschöpf hinter dem Glas wuchs immer weiter, je länger er hier im Dunkeln saß und darüber nachdachte, warum er es auf keinen Fall auch nur ansehen sollte. Für einen kurzen Moment fragte er sich, ob er auch noch so in Versuchung geführt werden würde, wenn Dranzer noch an seiner Seite wäre, aber wie sollte er darauf eine Antwort finden? Der Phönix war fort und bis er zurückkehrte – natürlich würde er das tun, er würde Kai niemals verlassen, egal was dieser tat, das wusste der Junge genau – war er der Verlockung nach der dunklen Macht schutzlos ausgeliefert. Kai blinzelte und nahm einen weiteren Schluck Cola. Was sollte er tun…? I can no longer restrain it, My strength it is fading, I have to give in. In seiner Tasche klingelte das Handy und erneut erhellte das grünlich schimmernde Display den Raum ein Stück. Das schwache Licht schien sich auf dem Glas zu fangen und daran hinunterzuwabern wie Nebel, doch Kai achtete nicht darauf und nahm stattdessen den Anruf entgegen. „Hast du dich entschieden?“, fragte Hiro ohne Begrüßung. Andere Worte hatte Kai jedoch auch nicht erwartet. Die ersten paar Anrufe hatte er sofort wieder aufgelegt, dann hatte er Hiro angeschrieen, dass er ihn in Ruhe lassen sollte, doch inzwischen belief sich ihr knapper Dialog immer nur auf zwei Sätze. „Hast du dich entschieden?“ von Hiro und „Das habe ich schon vor Tagen und das weißt du auch!“ von Kai, woraufhin er wieder auflegte und Tysons Bruder es drei Stunden später noch einmal versuchte. Irgendwie hatte der Blader das Gefühl, dass der verdammten Nervensäge dieser ganze Terror sogar Spaß machte… Kurz zögerte der Junge, dann durchbrach er den sinnlosen Kreis, der sich gebildet hatte: „Ja, das habe ich.“ Am anderen Ende der Verbindung hörte Hiro auf und grinste. „Gut“, war sein einziger Kommentar und er legte auf. Kai starrte kurz auf das Display, dann steckte er das Handy weg, trank seine Cola aus und stand auf. Langsam trat er auf die Vitrine zu und beobachtete die grünlichen Wellen, die noch immer über das Glas wanderte, obwohl es keine entsprechende Lichtquelle mehr gab. Dort lag er, der kleine, harmlos aussehende Bitchip, der eines der größten Übel der Welt beherbergte, seinen Albtraum, seine Angst… It’s the fear Und er war wach. Kai spürte genau, wie sich das riesige, böse Bewusstsein im Dunkel regte, ihn wahrnahm und erkannte. Er sah sogar, wie sich die Wellenlinien auf dem Glas immer mehr veränderten, schneller wurden, züngelnder, intensiver in der Farbe und Leuchtkraft. Das war schon lange kein Schimmer eines Handydisplays mehr. Nach all den Jahren des geduldigen Schlafes hatte Kais Anwesenheit die Bestie aufgeweckt und sie war stärker, mächtiger und bösartiger als jemals zuvor. Doch auch Kai war nicht mehr derselbe, auch er war gewachsen, sowohl körperlich als auch geistig, und spürte, dass er Black Dranzer unter Kontrolle halten konnte. Er wusste nicht woher, aber er wusste, dass er ihn sich unterwerfen konnte. Nicht für immer – keinesfalls für immer – aber zumindest für eine gewisse Zeit, die ihm ausreichen sollte um zu lernen Black Dranzer besser zu kontrollieren. Er konnte nicht genau sagen, wann die Zeit der Gnade vorbei sein und sich der schwarze Phönix losreißen würde, aber er wusste genau, dass dieser Augenblick irgendwann kommen würde. Aber er war bereit dieses Risiko einzugehen. Er musste nur aufpassen, dass er sich wieder rechtzeitig von Black Dranzer löste und das Spiel auf Zeit nicht verlor… Fear of the dark It’s growing inside of me, That one day will come to life. Seine Nase nahm den Brandgeruch wahr, noch bevor er die dünnen Rauchkringel sah, die von der Vitrine aufstiegen. Über seinem Kopf flackerte die inzwischen überflüssig gewordene Glühbirne wie wild, dann zersprang sie mit einem lauten Knall in tausend Scherben, die glühend heiß auf den Jungen herabregneten und dort, wo sie liegen blieben, den Teppichboden in Brand steckten. Im Inneren des Glases kokelte das Samtkissen, auf dem der Bitchip lag, sanft eine Weile vor sich hin, bis es mit einem Male in Flammen aufging, die gierig am Glas leckten und sich auch von der immer knapper werdenden Luft innerhalb ihres Gefängnisses nicht stören ließen. Inzwischen flackerten überall auf dem Boden kleinere Brandherde, die Kai jedoch nicht weiter beachtete. Stattdessen streckte er die Hand aus. Unter seinen Finger schmolz die immer noch grünlich schimmernde Vitrine dahin und tropfte, neue Feuer auslösend, mit einem leisen Zischen auf den Boden. Die Flammen, die bis eben noch durch das Glas gefangen gehalten worden waren, schlugen Kai entgegen und leckten an seiner Haut, dann veränderten sie plötzlich ihre Farbe in schwarz und grün und gaben einladend den Bitchip frei. Kaum hielt Kai Black Dranzer wieder in der Hand, erstarben sämtliche Flammen sofort und selbst der durchdringende Brandgeruch schien zu verfliegen. Als einzige Lichtquelle blieb der Bit zurück, der im Gleichklang mit Kais Herzen pulsierte. Die rubinroten Augen, die ihn betrachteten, wirkten beinahe zärtlich, als sie das Kleinod nach so langer Zeit endlich wieder einmal von nahem sahen, doch die hinter ihnen wirbelnden Gedanken verrieten, dass es nicht nur die Verlockung der Macht gewesen war, die Kai diesen Weg hatte einschlagen lassen. Er hatte einen Plan, der Hiro, wenn dieser davon wüsste, bestimmt nicht gefallen würde… Aber was kümmerte ihn das schon? Have to save Es gab Wichtigeres für ihn als Hiros Ziel den neuen Weltmeister zu trainieren. Tysons Bruder und seine Kenntnisse über Beyblades würden zwar praktisch sein um seine Kontrolle über Black Dranzer zu festigen, aber ansonsten hatten sie nichts miteinander gemein und ihre Wege würden sich schneller wieder trennen, als Hiro es überhaupt bemerken würde. Kurz überprüfte Kai noch einmal, ob er nicht doch eine Möglichkeit übersehen hatte, sein Ziel einfacher und wesentlich risikoloser zu erreichen, doch er fand keine. Also musste es so gehen. Was Hiro wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass er vom Schachspieler zur Figur degradiert worden war? To save my beloved, There is no escape, Because my faith is horror and doom. Hinter Kai tropften die letzten Überreste der Vitrine zu Boden und erstarrten zu einem Wasserfall aus Glas, noch bevor sie den Teppich überhaupt berührten. Kai betrachtete das Gebilde kurz, dann seufzte er. Er steckte den Bitchip ein und ließ das Zimmer, dass Black Dranzer so lange ein sicheres Gefängnis gewesen war, völlig verwüstet hinter sich zurück. „Angeber“, murmelte er noch leise, dann schloss er die Tür… Sein erster Weg führte ihn in sein eigenes Zimmer, wo er seine gewohnte Kleidung anzog, der zweite ins Badezimmer, um das Gesamtbild zu vervollkommnen und sich die blauen Dreiecke auf die Wangen zu malen, die sein Markenzeichen waren. Während er sich selbst im Spiegel betrachtete, kam ihm der äußerst unangenehme Gedanke, dass er und Black Dranzer sich im Punkt Eitelkeit und Angeberei gar nicht so unähnlich waren… Ein schnelles Kopfschütteln vertrieb die unwillkommene Einsicht und befreite sein Gehirn noch von weiterem, unwichtig gewordenem Ballast, der ihn vom Wesentlichen ablenken könnte. Beim Umgang mit dem schwarzen Phönix konnte Zerstreutheit durchaus tödlich enden. Schon jetzt spürte er die Anspannung, die die Anwesenheit Black Dranzers mit sich brachte und höchste Konzentration von ihm forderte. Und dabei hatte das albtraumhafte Wesen noch nicht einmal einen Blade als Medium zur Verfügung… Noch einmal zögerte Kai, dann gab er sich einen Ruck, ließ sein Gesicht zu einer Maske erstarren und macht sich auf den Weg zur Haustür. Hiro wartete bereits triumphierend grinsend auf ihn, einen schwarzgrünen Beyblade in der Hand. „Ich wusste doch, dass du noch vernünftig werden würdest“, war sein einziger Kommentar, als Kai ihn einließ. Der Junge führte ihn in den hinteren Teil des Hauses, wo es einen Trainingsraum mit Beystadium gab und streckte dann fordernd die Hand aus. Doch Tysons Bruder dachte gar nicht daran ihm den mitgebrachten Blade auszuhändigen, sondern war stattdessen im Flur stehen geblieben und schnupperte stirnrunzelnd: „Hast du versucht zu kochen, oder warum riecht es hier so angebrannt?“ Kais Augenbrauen wanderten drohend nach unten und ein gefährliches Funkeln erschien in seinen Augen. „Hiro!“, der Angesprochene zuckte zusammen. Er war zwar einiges von Kai gewohnt, aber so schneidend hatte selbst er dessen Stimme noch nie erlebt. Erst jetzt betrachtete er den Blader genauer. Auf den ersten Blick schien alles wie immer zu sein, doch in den blutroten Augen fand er eine Dunkelheit, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte und eine kalte Präsenz schien im Raum zu liegen. Blass geworden bemerkte Hiro, wie ihm ein unangenehmer Schauer über den Rücken lief. „Bring mich nicht dazu, dich zu hassen, Hiro. Ich könnte dich umbringen wollen“, bemerkte Kai fast flüsternd, die glühenden Augen fest auf den jungen Mann geheftet, der unter sich unter dem starren Blick immer unwohler fühlte und schließlich ernst nickte. Die Zeit der Scherze und Spitzen war endgültig vorbei, das hatte er jetzt begriffen. Hold down your head now, just let me pass by. Don’t feed my fear, if you don’t want it out. Kalter Schweiß lief Hiro über Stirn und Rücken als Kai noch einmal den Blade einforderte. Dieses Mal beeilte sich der Blauhaarige, der Aufforderung nachzukommen. Die wenigen Sekunden, die Kai brauchte um den Bitchip Black Dranzers am Beyblade zu befestigen, nutzte Tysons Bruder um sich die verräterischen Tropfen von der Haut zu wischen und sich wieder soweit zu sammeln, dass er sich seiner Funktion als Kais selbsternannter Coach wieder bewusst wurde. Als der silberhaarige Blader Anstalten machte den Blade zu starten, trat Hiro neben ihn und versuchte den prüfenden Blick aus den eisigen Augen zu ignorieren. Er würde sich doch nicht von Kai einschüchtern lassen! „Du solltest den Starter etwas weiter nach rechts richten. Nur ein paar Zentimeter“, zufrieden stellte er fest, dass seine Stimme genauso selbstsicher klang wie immer – und dass Kai seinen Anweisungen wortlos und sofort Folge leistete. Das Training würde einfacher werden als bei Brooklyn. Das war eben der Vorteil, wenn man mit jemandem wie Kai arbeitete. Eine Weile arbeiteten sie, ohne, dass Kai Black Dranzer aus seinem Blade rief, auch wenn er sehen konnte, wie begierig Hiro darauf war das Bitbeast endlich mit eigenen Augen zu erblicken. Doch noch war es zu früh. Noch brauchte er Zeit, um sich wieder an die Anwesenheit des Phönix zu gewöhnen und die Moves des unvertrauten Beyblades kennen zu lernen. Auch ohne dass der dunkle Feuervogel persönlich erschien, bewirkte seine Bindung an den Blade, dass dessen Werte in die Höhe schnellten. Die Attacken waren zielgerichtet und voller Kraft, die Ausweichbewegungen schnell und so knapp wie möglich. Je länger Kai trainierte, desto klarer wurde ihm, wie sehr er dieses Gefühl der Perfektion vermisst hatte – und wie er es genoss! Keine Verschwendung, keine Unregelmäßigkeiten, keine Krafteinbußen. Tyson konnte sich auf etwas gefasst machen! I fear who I am becoming, I feel that I am losing all the beauty within. Drei Tage trainierte Kai unter Hiros Aufsicht, ohne dass dieser Black Dranzer zu Gesicht bekam. Und drei Nächte waren es, die er in seinem Trainingsraum verbrachte, ohne dass sein Coach davon wusste. Drei Nächte, in denen düstere Flammen seine Lichtquelle waren und er die Grenzen seiner Kontrolle voll austestete. Am Morgen des vierten Tages stand auch Hiro zum ersten Mal dem dunklen Spiegelbild Dranzers gegenüber und erlebte eine kleine Demonstration seiner Macht. Dieses Mal sollte das Training anders laufen als sonst: Hiro und Kai standen sich gegenüber, ihre Beyblades startbereit, deutliche Anspannung in den Augen. Auf Kommando begann das Match und beide Blades rasten in engen Kreisen umeinander. Ein paar Mal trafen sie Funken sprühend aufeinander, dann fing Hiro Kais Blick ein und nickte. Der silberhaarige Blader hob eine Hand und ein unheimliches Leuchten breitete sich im Raum aus. In einer Wolke aus schwarzen Flammen erschien Black Dranzer und reckte stolz seinen goldverzierten Kopf, bevor er einen grellen Schrei ausstieß und den gegnerischen Blade aus der Arena kickte. I can no longer restrain it, My strength it is fading. I have to give in. Kai ließ ihn noch kurz seine Freiheit genießen, dann rief er ihn zurück und der schwarze Vogel fügte sich so willig, als ob er noch nie etwas Anderes gemacht hätte. Hiro hob seinen eigenen Beyblade vom Boden auf, betrachtete die gesplitterte Oberfläche und grinste. „Er sieht wirklich aus wie Dranzer. Nur eben schwarz und viel stärker. Ich verstehe wirklich nicht, warum du dich so geziert hast ihn einzusetzen. Es gab doch keinerlei Probleme“, er war viel zu sehr mit seinen Vorstellungen des bevorstehenden Sieges gegen Tyson beschäftigt, dass er Kais Warnung völlig vergaß und die stechenden Blicke, die ihn trafen, gar nicht bemerkte. „Deine alten Teamkameraden haben morgen ein Trainingsmatch gegen die Justice Five in der neuen Trainingsanlage der BBA. Was hältst du davon, ihnen einen kleinen Besuch abzustatten?“, Hiros Augen waren voller fiebriger Vorfreude und Siegesgewissheit und damit blind für alles Andere um sich herum. Er wartete Kais Antwort gar nicht erst ab, sondern wandte sich bereits der Tür zu: „Ich werde sie abpassen und Tyson zu einem Match überreden. Wenn es gegen einen starken, unbekannten Gegner gehen soll, wird er auf keinen Fall abschlagen. Ich kenne meinen kleinen Bruder.“ Im Türrahmen drehte er sich noch einmal um, ein provozierendes Grinsen auf den Lippen: „Und ich kenne dich, Kai, also übertreibe es bitte nicht. Auch wenn du melodramatische Auftritte liebst.“ „Sagt gerade er“, murmelte Kai leise, die Gestalt des Herrn der Stürme im Hinterkopf. Ein blasses, undurchschaubares Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als er hörte, wie die Haustür hinter Tysons Bruder ins Schloss fiel. ‚Wenn du wüsstest, du Narr…“, dachte er und eine seltsame Mischung von Wut, Belustigung und Entschlossenheit spiegelte sich in seinen Augen. Beinah zärtlich wanderte sein Blick über den grünschwarzen Beyblade in seiner Hand, bis er an dem Bitbeast hängen blieb, dass so viel mehr war, als Hiro in seinen kühnsten Träumen – und Albträumen – vermutete, und das er endlich vollkommen unter Kontrolle hatte. Kurze Zeit betrachtete er das Abbild des schwarzen Phönixes, dann schloss er seine Hand so fest um den Blade, dass die Kanten in seine Handflächen schnitten. „Du hast ja keine Ahnung… Aber das wird sich ändern!“ Long ago it came to me And ever since that day, Infected with its rage but it ends today. _________________________________________________________________________________ Hiro sieht seinen Sieg, Kai seine eigenen geheimen Ziele... Prost Mahlzeit, das kann was werden ^^ Ich hoffe auf eure Kommmis ^^ Kapitel 3: Falsches Spiel ------------------------- Wow, dieses Kapitel war eine schwere Geburt. Nachdem ich erstmal zwei Tage damit verbracht habe, passende Hintergrundmusik zu suchen, um mich in Stimmung zu bringen, bin ich dann fast am Anfang verzweifelt. Seht es mir also bitte nach, wenn der Beginn langweilig ist. Zum Glück habe ich dann eine neue CD bekommen, die meinen Ansprüchen endlich gerecht wurde. Der schicksalhafte Morgen begann mit Blut. Zumindest sah es so aus, als eine riesig erscheinende Sonne langsam über den Horizont kroch, der von roten bis orangegelben Farbenspielen bedeckt war, während ganz weit oben am Firmament noch ein dunkles Rotviolett vorherrschte. Nur wenige, zarte Wolken zogen über den Himmel, doch waren sie alle ausnahmslos rostrot, wobei sich die Farbe mit jedem Zoll, den der tiefrote Feuerball aufstieg, weiter aufhellte, bis er schließlich in einen hellen Purpurton überging. Während die Schatten immer länger wurden, kroch das Licht über Straßen, Häuser und Lebewesen wie eine Welle aus feurigem Wasser, zäh und dickflüssig, träge – wie Blut. Kai genoss den Anblick von seinem Küchenfenster aus, eine Tasse vor sich stehend, seinen Beyblade in der Hand, den er immer wieder gedankenverloren auf der Tischplatte in Drehung versetzte, nur um ihn sofort wieder einzufangen und das Spiel zu wiederholen. ‚Wie weit willst du gehen, Kai Hiwatari?’, fragte er sich selbst und rieb sich mit der freien Hand über den Nacken, der leicht schmerzte. Er kannte die Antwort bereits, auch wenn er sich immer noch nicht sicher war, den richtigen Weg gewählt zu haben. Die Sonne stieg höher und ihre Strahlen fluteten durch sein Fenster und ließen ihn die Augen geblendet zusammenkneifen. Er fühlte Tränen seine Wangen hinabrinnen, ausgelöst durch das unangenehme Brennen und die hellen Blitze, die auf seiner Netzhaut tanzten. ‚Wie weit kannst du gehen?’ Noch eine Frage, die er beantworten konnte und damit nicht weiter von Bedeutung war. Knifflig wurde es erst jetzt: ‚Und wie weit wirst du letztendlich gehen?’ Kai nahm einen Schluck aus seiner Tasse, die Augen noch immer geschlossen, da ihm die Sonne noch immer rotglühend durch die geschlossenen Lider fuhr, dann steckte er Black Dranzer in die Tasche und erhob sich. Der Stuhl scharrte leicht über die Fliesen. Es brachte nichts jetzt über die letzte Frage nachzudenken. Er konnte ja doch nur hoffen, dass er das Richtige tun würde. Jegliche Zweifel verbannend, ging er in den hinteren Teil des Hauses und erprobte ein letztes Mal vor dem großen Match seine Fähigkeiten… Einige Stunden nach Sonnenaufgang betrat Hiro das neue Trainingsgebäude der BBA und sah sich interessiert um. Es war lange nicht so groß und gut ausgestattet wie das der BEGA es gewesen war, aber die Organisation befand sich ja auch noch im Wiederaufbau. Der schwache Geruch von Farbe hing in der Luft und in einem Gang lehnte eine vergessene Leiter an der Wand, doch ansonsten schien die Anlage betriebsbereit zu sein. Tatsächlich entdeckte Hiro unter einer Bank ein liegen gelassenes Handtuch und einige leere Flaschen in den Mülleimern. Also hatte die BBA bereits wieder Zulauf. Er stromerte noch eine Weile durch das wie ausgestorben wirkende Gebäude, dann betrat er die Wettkampfhalle und setzte sich auf eine der Spielerbänke. Nun hieß es warten, bis sein Bruder und seine Freunde hier auftauchten… Etwa zur gleichen Zeit schloss Kai die Haustür hinter sich und warf einen prüfenden Blick zum Himmel. Hell und gleißend strahlte die Sonne von oben herab, eingebettet in einen seltsamen gelbstichig und staubig wirkenden, blauen Himmel. Es war heiß heute, unangenehm heiß, und drückend, als ob irgendetwas in der Luft liegen würde. Selbst der heftige Wind, der um jede Ecke fegte und an Kais weißem Schal riss, konnte daran nichts ändern. Ein blasses Lächeln auf den Lippen reihte sich der junge Blader in die hastenden Menschenmassen ein, die trotz der Schwüle auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen oder zu irgendwelchen Verabredungen waren. Sie schwitzten, atmeten heftig und hielten die Köpfe gesenkt, während sie immer weiter liefen und sich vermutlich nichts weiter wünschen, als nach Hause gehen zu können. Zu dem dunkel gekleideten Jungen in ihrer Mitte ließ sich eine Weile mitziehen, dann brach er aus dem Strom aus und hielt auf ein mittelgroßes Gebäude zu, in das gerade ein paar lachende Jugendliche traten. Die Klimaanlage des Trainingscenters war bisher noch nicht richtig justiert worden, weshalb sämtliche Türen und Fenster weit geöffnet waren, um den stetig wehenden Wind einzufangen und damit auf altmodische Art wenigstens für ein bisschen Kühlung zu sorgen. Tysons und die anderen Blader begrüßten diese Entscheidung, auch wenn es im Inneren des Gebäudes immer noch drückend war und ihnen der Schweiß auf der Stirn stand. Aber es war nun einmal Hochsommer und da gehörten solche Temperaturen halt dazu. Zudem schien es nicht so, als ob es noch länger so heiß bleiben würde, denn von Nordosten zogen dunkle, tief über der Stadt hängende Wolken auf. Fröhlich schwatzend durchquerten die beiden Teams die Eingangshalle und hielten auf die große Halle zu, die eigentlich für Wettkämpfe gedacht war. Helles Sonnenlicht fiel durch die gläserne Kuppel über ihren Köpfen, als sie den weitläufigen Raum betraten, und nahm ihnen für einen Moment die Sicht. Erst als sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, entdeckten sie die wartende Gestalt, die, die Arme vor der Brust verkreuzt und ein undeutbares Lächeln auf den Lippen, auf einer der Trainerbänke saß und sie zu erwarten schien. „Hiro?“, Tyson erkannte seinen Bruder als Erster, schien sich aber nach der Sache mit der BEGA nicht mehr ganz sicher zu sein, ob er sich über das Wiedersehen freuen sollte oder nicht. Die Gesichter seiner Teamkameraden drückten dagegen offenkundiges Misstrauen aus, während die Justice Five sichtlich überrascht waren den jungen Mann zu sehen. „Was machst du hier?“, Tyson hatte sich entschieden, dass er sich trotz allem, was geschehen war, freute und ging lächelnd auf seinen Bruder zu. „Auf dich warten“, Hiros Grinsen verursachte bei Ray ein schlechtes Gefühl und er runzelte die Stirn. Was lief hier ab? „Was er wohl dieses Mal plant“, murmelte Max an seiner Seite. Tyson war stehen geblieben und wirkte verwirrt: „Warum? Wenn du mich sehen willst, warum bist du dann schon so lange nicht mehr nach Hause gekommen? Wo warst du überhaupt die ganze Zeit?“ Sein Ton wurde immer unglücklicher und anklagender. Inzwischen hatten sich die Justice Five wieder gefangen und schlossen zu Tyson auf. Brooklyn lächelte Hiro freundlich zu, während die restlichen Teammitglieder unsicher wirkten, welche Bedeutung sie dem Auftauchen ihres alten Trainers beimessen sollten. Nur Garland wirkte ebenso wenig erfreut den Blauhaarigen zu sehen wie Ray, Max, Daichi, Kenny und Hillary: Er hatte mit angesehen, wie Hiro Kai verspottet hatte, als er gegen einen übermächtigen Gegner verlor. Er war dabei gewesen als Tysons Bruder Brooklyn immer weiter in seinem Hass und seiner Wut bestärkt hatte, nur um ihn gewinnen zu sehen. Er wusste, wie rücksichtslos der junge Mann sein Ziel verfolgt hatte und irgendetwas sagte ihm, dass er das auch immer noch tat. Der hellhaarige Blader legte Tyson eine Hand auf die Schulter und hinderte ihn so am Weitergehen. Fragend blickte ihn der Weltmeister an, wurde jedoch nicht beachtet. „Was willst du, Hiro!“, fragte Garland scharf. „Bei einem Beybladematch zusehen“, das Lächeln wurde zu einem hinterlistigen Grinsen. „Wirklich?“, man konnte an Tysons Stimme hören, dass er sich absichtlich alle Mühe gab, sich falsche Vorstellungen zu machen. Er lächelte seinen Bruder an, doch es wirkte unsicher und fast flehend. „Und wer tritt an?“ „Du, Tyson!“ Der jüngere der beiden Brüder zuckte zusammen und schluckte sichtlich. Normalerweise würde er sich freuen eine Herausforderung anzunehmen, doch in diesem Fall… Auch wenn es nicht abzustreiten war, dass er oft naiv und zu vertrauensvoll reagierte, in diesem Fall war selbst ihm klar, dass Hiro keine guten Absichten hatte. Resignierend ließ er die Schultern sinken, während sich nun auch seine Teamkameraden zu ihm gesellten: „Und gegen wen?“ „Gegen mich!“ Die Gewitterwolken waren schneller herangezogen als erwartet und schoben sich just in diesem Moment vor die Sonne. Schlagartig wurde es dunkel in der Halle, während der scharfe, nun eisig kalte Wind zur Tür des Gebäudes hereinschoss, heulend durch die Gänge raste und zwei Enden eines weißen Schals nach vorne riss, so dass sie genau in Tysons Sichtfeld flatterten. Der blauhaarige Blader musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer knapp zwei Schritte hinter ihm stand… „Kai…“, flüsterte er und sah zu Boden. Er hatte zwar ein Rematch mit dem silberhaarigen Blader gewollt, aber nicht so… Ray und Max fehlten die Worte, Garland hatte dafür umso mehr zu sagen: „Bist du völlig übergeschnappt? Das kann nicht dein Ernst sein!“ Ein eisiger Blick brachte ihn zum Verstummen. Kai ließ beide Beybladeteams links liegen und ging um die Arena herum zu seinem Komplizen. Hiro war inzwischen aufgestanden, das hinterhältige Grinsen noch immer auf dem Gesicht, und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Ein weiterer kalter Blick brachte ihn dazu, sie schnell wieder wegzuziehen. Garland musste sich ein Grinsen verkneifen und sah aus den Augenwinkeln, wie Brooklyn ein Lachen hinter der vorgehaltenen Hand versteckte. Auch wenn das alles hier vermutlich Hiros Idee war, so schien er doch nicht das Sagen zu haben, egal was er sich auch einbilden mochte. Also konnten sie nur hoffen, dass Kai vernünftiger war als sein „Coach“ und das Alles hier beendete. Allerdings sah es nicht so aus, denn der silberhaarige Blader zog bereits seinen Starter und einen Blade aus der Tasche. „Was ist das für ein Beyblade?“, fragte Mystel als er das für Kai ungewöhnliche Design bemerkte. Auch Garland und die anderen Blader wurden nun darauf aufmerksam: Die typischen Farben Dranzers waren blau und rot, doch dieser Blade war pechschwarz, mit grünen Verzierungen. Ray begriff als Erster und schnappte nach Luft: „Das wagt er nicht!“ Max sah kurz zu ihm, dann zu dem ungewöhnlichen Beyblade. Auch er zählte eins und eins zusammen und wurde kreidebleich: „Aber ich dachte Black Dranzer wäre zerstört.“ Tyson zuckte zusammen und drehte sich zu seinen Freunden um. Er lächelte unsicher und winkte ab: „Ihr müsst euch irren. Kai würde dieses verdammte Ding kein zweites Mal gegen uns einsetzen.“ Die Blicke, die ihm seine Teamkollegen zuwarfen, zeigten ihm, dass sie anderer Meinung waren. Tyson schluckte, dann drehte er sich um und ging ziemlich steif auf das Beybladestadium zu. Es graute ihm vor dem Gedanken Black Dranzer noch einmal gegenüber zu stehen, aber als Feigling wollte er auch nicht dastehen. Vor allem nicht vor seinem Bruder, seinem gottverdammten großen Bruder, der den Bogen so langsam überspannt hatte und sich, wenn Tyson Kai besiegt hatte, auf sonst was gefasst machen durfte! Damit kam er nicht durch! Der hatte sie doch wohl nicht mehr alle! Seinen eigenen kleinen Bruder und einen seiner besten Freunde dermaßen in Gefahr zu bringen! Tyson spürte wie die Wut in ihm hochkochte und seine Angst zurückdrängte. Seine Hand schloss sich fest um Dragoon und er spürte, wie ihm sein Bitbeast noch mehr Selbstvertrauen einflößte. Dieses Match würde ein Klacks werden, durchgeknalltes, absolut bösartiges Bitbeast hin oder her! Auf der anderen Seite des Stadiums bemerkte Hiro grinsend die Veränderung, die mit Tyson vor sich ging. Er hatte schon gefürchtet, dass sein kleiner Bruder zu eingeschüchtert wäre um seine volle Kraft zu entfalten, aber scheinbar war er inzwischen genauso heiß auf den Sieg wie sonst auch. „Sieht so aus, als ob das ein aufregendes Match werden würde, Kai!“, er warf dem bereits startklaren Blader neben sich einen Seitenblick zu. „Hast du etwas Anderes erwartet?“, kam die trockene Antwort. ‚Und wie aufregend es werden wird’, dachte Kai und konnte nicht verhindern, dass sich ein sardonisches Lächeln auf seine Lippen legte. „Hau ab! Du stehst mir im Licht!“, schnauzte er seinen „Coach“ plötzlich an, ohne dass sich seine Miene veränderte. Hiro wollte etwas erwidern, doch ein stechender Blick hielt ihn zurück. Er wusste nicht warum, aber plötzlich brach ihm der Schweiß aus. Der junge Mann ließ Kai alleine stehen und schlenderte zu den beiden zuschauenden Teams hinüber, während ihm ein kalter Schauer nach dem anderen den Rücken hinunter lief. Kai nicht im Blick zu haben machte ihn im Moment nervös… Ray, Kenny und Max waren gerade damit beschäftigt den Anderen zu erklären, was es mit Black Dranzer auf sich hatte, wobei sie immer wieder besorgt zu Tyson schielten, der inzwischen ebenfalls in Start-Position war. Hiro beschloss sich vollkommen auf das Match zu konzentrieren, konnte aber nicht anders als unbewusst doch mit halbem Ohr zu zu hören. „Ein künstlich geschaffenes Bitbeast?“, fragte Garland gerade, der Blick mehr als skeptisch. Max nickte heftig und gestikulierte wild in der Luft, doch das Starten der beiden Beyblades lenkte sowohl ihn als auch die anderen Blader für einen Moment ab und sie starrten zur Arena. Die beiden Blades, weiß und schwarz, umkreisten einander vorsichtig in einigem Abstand. Tyson und Kai schienen sich erst gegenseitig abschätzen zu wollen, was Ray die Zeit gab, Max’ Erklärungen weiterzuführen: „Es ist absolut böse und überaus mächtig.“ Hiro runzelte die Stirn und wandte seine Aufmerksamkeit kurz von dem Match ab: „Übertreib nicht!“ Drei Augenpaare starrten ihn auf eine Art und Weise an, die er sonst nur von Kai gewohnt war. Ein lautes Krachen ließ alle herumfahren. Anscheinend hatten Tyson und Kai die Phase des gegenseitigen Austestens beendet und gingen nun zum offenen Schlagabtausch über. Wütend auf sich selbst, dass er die Attacken wegen ein paar Gruselgeschichten verpasst hatte, fluchte Hiro und versuchte Blader neben sich auszublenden. Sein jüngerer Bruder schien hochkonzentriert, während Kai die gestikulierenden Beyblader beobachtete. Als sein Blick den seines „Coaches“ kreuzte, verzog er die Mundwinkel zu einem finsteres Lächeln, dass, so dachte Hiro zumindest, wohl aufmunternd oder siegesgewiss wirken sollte. Der junge Mann musste allerdings zugeben, dass es ihn eher beunruhigte. Der schwarze Blade schien mit Dragoon zu spielen, ließ ihn immer wieder auf Millimeter herankommen, ohne dass sie sich tatsächlich berührten. Worauf wartete Kai? „Er hat ihn schon einmal vor drei Jahren gegen uns eingesetzt und dabei einige Bitbeasts der anderen Teams gestohlen“, Hiro wandte den Kopf unwillig Max zu, ein Auge immer auf das Match gerichtet. Gut, zugegeben, das klang jetzt nicht gut…. Aber warum sollte Kai Bitbeasts stehlen, wenn er doch selbst das Mächtigste von allen in den Händen hielt? Es gab also keinen Grund zur Aufregung. „Warum sollte man Bitbeasts stehlen?“, Ming Ming krauste die Nase und schien ernsthaft über den Grund für eine solche Tat nachzudenken. „Ähm… Erklären wir später, tut im Moment eh nichts zur Sache… Zumindest hat er es damals nicht ganz freiwillig gemacht“, Kenny hatte seine Schüchternheit in Gegenwart des Popsternchens vergessen und versuchte recht verzweifelt von dem Thema abzulenken. Vielleicht sollte er sich nach dem Kampf noch einmal näher mit Kais Vergangenheit beschäftigen, dachte sich Hiro und hörte wieder weg. Stirnrunzelnd musste er feststellen, dass das Lächeln seines Favoriten immer seltsamer wurde. Schon beinahe beängstigend. Er schüttelte den Kopf, um diesen idiotischen Eindruck loszuwerden und sah sich wieder nach den anderen Zuschauern um. Kai schien im Moment eh noch gänzlich in sein Spiel vertieft zu sein… „Ein Bitbeast, das seinen Blader unter Kontrolle hat?“, ächzte Garland gerade. „Davon habe ich noch nie gehört!“ „Es ist aber so! Deshalb verstehe ich auch nicht, wieso Kai Black Dranzer wieder einsetzt. Er hat schon einmal die Kontrolle verloren und damals ist, wenn ich richtig informiert bin, ein halbes Gebäude hochgegangen!“ „Was?“, krächzte Hiro und ein Teil seines Bewusstseins fragte sich, wo plötzlich seine Stimme abgeblieben war. Alle Augen wandten sich ihm zu. Ray runzelte die Stirn: „Wusstest du das nicht?“ Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, hätte sich der junge Chinese köstlich über die Tatsache amüsiert, dass Hiro mal von etwas keine Ahnung hatte und ein derart entgeistertes Gesicht machte – aber die Sache war nun mal ernst, todernst, im wahrsten Sinne des Wortes! „Kai wurde damals schwer verletzt und von seiner Umgebung ist nur noch Schutt und Asche übrig geblieben“, Hiro brauchte einen Moment um Max’ Worte richtig zu verstehen, dann hörte er Garland neben sich fluchen: „Scheiße!“ Er konnte ihm nur beipflichten. Kreidebleich wandte sich Hiro zu Kai und Tyson um, deren Blades einander noch immer zu umtanzen schienen. „Kai! Stop! Hör auf!“, rief er und rannte auf das Stadium zu. Der silberhaarige Blader sah auf, warf einen Blick auf Hiros panisches Gesicht – und schenkte ihm das psychopathischste Grinsen, zu dem er fähig war. Eine Druckwelle löste sich plötzlich von seinem Blade und schleuderte den jungen Mann davon. Hiro landete hart auf dem Rücken, alle Luft aus seinen Lungen gepresst und die Rippen bestialisch schmerzend. Er brauchte einen Moment um wieder hochzukommen und dieser kurze Zeitraum reichte Kai aus, um das dämliche Versteckspiel zwischen seinem und Tysons Blade zu beenden und endlich richtig zur Attacke über zu gehen. Ein lautes Krachen erfüllte die Halle und Dragoon wurde fast aus der Arena gekickt. Gerade so hielt er sich am Rand, für ein paar Sekunden gefährlich schlingernd. Kai wartete genüsslich, bis er wieder sicher kreiselte, bevor er seinen eigenen Blade erneut auf Kollisionskurs schickte. Sein Gesichtsausdruck ließ die Zuschauer frösteln und auch Tyson wich merklich zurück. „Was habe ich nur getan?“, flüsterte Hiro, als er mit ansehen musste, wie Black Dranzer erneut den Blade seines kleinen Bruders durch die Arena jagte und dieses eindeutig verhinderte, dass Dragoon über den Rand geschleudert wurde. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte er, wie sich Kai plötzlich versteifte, jede Emotion aus seinem Gesicht wich und den Kopf nach oben wandte, als ob er auf etwas lauschen würde, dass niemand sonst hörte. Und mit einem Mal wurde es kalt… Es war alles ein Fehler gewesen. Von Anfang an. Das wusste Hiro nun, doch jetzt war es zu spät und er würde seinen Irrsinn, der ihn so weit getrieben hatte, auf ewig bereuen. Dunkelheit breitete sich wie ein schwarzes Tuch über den Boden aus, legte sich um die Ränder des Beystadium und zerrieb sie zu Staub, dann wanderte sie weiter, schneller als ein Atemzug, seltsam substanzlos und doch eindeutig spürbar in ihrer alles durchdringenden Kälte. Gierig streckten sie sich nach jedem lebenden Wesen in der großen Halle aus und leckten über ihre Haut und ihre Seelen. Ein eisiges Frösteln breitete sich in Hiro aus, doch die Angst, die sich wie eine Klaue um sein Herz geschlossen hatte, war noch kälter. Alle Blader um ihn herum wirkten wie erstarrt, auch Kai, der, das hell schimmernde Gesicht mit den geschlossenen Augen nach oben gewandt hatte und die wallenden Nebel aus Nacht, die von seinem Körper und seinem Blade ausgingen, nicht zu spüren schien. Beinahe zärtlich umschmeichelte die sich ausbreitende Dunkelheit ihre Quelle, schlang sich in lockeren Bahnen um seine Arme und Beine und umrahmte sein Gesicht. Erste Eisblumen zeigten sich auf dem Boden der Halle und den Rändern des Stadiums, als die Schwingen der Nacht alles und jedem in diesem Raum die lebensspendende Wärme entzogen. Raureif zog sich über Hiros Haut und doch ahnte er, dass dies alles hier erst der Anfang war, ein erster Hauch der Hölle, die noch folgen würde. Wie auf Kommando begann sich Kais Beyblade schneller zu drehen und sein Besitzer öffnete die blutroten Augen. Sofort wich die unerträgliche Kälte einer alles verzehrenden Hitze und die Dunkelheit ging in Flammen auf. Schwarze Schwingen mit goldenen Rändern erschienen über dem Beyblade und zogen einen befiederten, wunderschönen Körper aus dem darauf befindlichen Bitchip. Pechschwarze Federn raschelten leise, ein kurzer Lichtblitz huschte über einen grausam scharfen Schnabel, dann bäumte sich Black Dranzer, der schwarze Phönix, auf, entfaltete seine mächtigen Schwingen zu voller Spannweite und schrie seinen Triumph und seinen Hass in die Welt hinaus. Hiros Herz schien für einen Moment stillzustehen, dann wandte sich sein Blick seinem Bruder Tyson zu, der seltsam hilflos und schutzlos wirkend auf der anderen Seite der Arena stand und mit verängstigten Augen zu der wunderschönen Kreatur aus reiner Bosheit aufsah, die Kai soeben freigelassen hatte. Hinter all dem Horror und der Panik bemerkte Hiro aber auch einen ungeheuren Schmerz, dessen Verursacher nicht der silberhaarige Blader war, der Black Dranzer gerade den Angriff befohl, sondern er selbst, der große Bruder, der für all das hier verantwortlich war. Mit einem weiteren Kreischen voller Hass und Zerstörungsfreude, raste der schwarze Phönix auf Tyson und Dragoon zu, ohne dass irgendjemand etwas tun konnte. Hiro spürte, wie sich sein Mund zu einem Schrei der Verzweiflung öffnete… Immer schneller flog der pechschwarze Phönix, den scharfen Schnabel zu einem Schrei voller Hass und Bosheit geöffnet, die zentimeterlangen Klauen vorgestreckt und zum Töten bereit, die Augen voller Zerstörungslust und wahnsinniger Freude über die Erfüllung seiner grausamen Wünsche. Schwarze Flammen tropften von seinen Schwingen, schmolzen die Arena und folgten schließlich seinen Weg, um das zu vernichten, was er übrig lassen würde. Hiro sah mit an, wie sich das furchtbare Wesen, diese Gestalt aus den dunkelsten, schrecklichsten Albträumen, auf seinen Bruder stürzte, der noch nicht einmal den nutzlosen Versuch unternahm, sich zu wehren oder irgendwie zu schützen – und wie es, Millimeter vor Tyson, mit einem hasserfüllten Aufschrei verschwand, so schnell, als ob es niemals da gewesen wäre. Selbst die Flammen in der Arena erloschen mit einem Schlag. Der einzige Hinweis, dass sich der pechschwarze Phönix überhaupt gezeigt hatte, waren die breiten Ströme aus geschmolzenem Plastik, die noch immer in die Mitte des einstigen Beybladestadiums flossen. Immer noch starr vor Grauen registrierten die Blader nur langsam, dass es vorbei war. Tyson sank dort, wo er stand, in sich zusammen, Dragoon in seinen Händen, noch nicht ganz im Klarem darüber, ob und wie er überlebt hatte. Auf der anderen Seite der Arena fing Kai seinen Blade ein und schlenderte mit einem so ruhigen Gesichtsausdruck auf die immer noch regungslosen Zuschauer, als ob nie etwas gewesen wäre. Vor Hiro hielt er an. „Du hast gesagt, dass du mich kennen würdest, Hiro… Wenn es tatsächlich an dem wäre, wüsstest du, dass ich niemals eine andere Gesundheit riskiere als meine eigene. Kleiner Rat: Lass dir alles was ich gesagt habe, ob jetzt oder früher, noch mal durch den Kopf gehen… Aber jetzt kümmere dich erstmal um deinen kleinen Bruder!“, flüsterte er so leise, dass es nur der Mann vor ihm es verstehen konnte. Dann ging er weiter, vorbei an den immer noch geschockten Bladern, raus aus der Halle und dem Trainingscenter und verschwand im einsetzenden Regen. Und Hiro begriff… Es war eine Lektion gewesen! Eine grausame, brutale, schreckliche Lektion, aber vielleicht der einzige Weg, wie er hatte lernen können, dass es manche Dinge nicht wert waren, dass man sie riskierte, egal, wie hoch und wertvoll das Ziel auch war. Kai hatte niemals die Kontrolle verloren, sondern alles nur geschauspielert, vielleicht sogar von Anfang an… Er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Lachen, weil es seinem Bruder gut ging, oder weinen, weil er ihn so sehr in Gefahr gebracht hatte. Letztendlich, als er langsam zu seinem Bruder wankte, um sich zu vergewissern, ob es ihm auch wirklich gut ging, um sich zu entschuldigen, für alle Fehler, die er jemals auf seine Kosten gemacht hatte, um ihn einfach nur in die Arme zu schließen, entschied er sich für Letzteres… _________________________________________________________________________________ Der zweite Teil des Kapitels hat eine Menge Fun gemacht *g* Ich hab die ganze Zeit beim Schreiben vor mich hingegrinst und im Stillen hämisch gelacht *drop*. Ich bin verrückt ^^" Tja, das war für Hiro wohl ein Ende mit Schrecken, aber bevor ihr diese FF jetzt zu den Akten legt, sage ich jetzt gleich: Das war erst der Anfang! Black Dranzer ist noch, Kais Motive unklar, die Abtei noch immer greifbar, selbst drei Jahre nach ihrem Fall... Und schließlich, verdient selbst Hiro eine Chance sich zu revanchieren, oder? Also, bis demnächst ^^ Kapitel 4: Wenn Blicke töten könnten ------------------------------------ Hallo und willkommen im zweiten, oder besser gesagt, Hauptteil dieser FF. Jetzt soll es erst richtig losgehen - allerdings hat mir ein Kreatief einen kleinen Strich durch die Rechnung gemacht und dieses Kapitel ist nicht nur lang sondern leider vermutlich auch langweilig geworden. Doch dieses Zwischenkapitel ist nun einmal nötig, sorry ^^" _________________________________________________________________________________ Ein leises Klingeln hallte durch die seltsam leer und ausgestorben erscheinenden Gänge einer eigentlich recht angenehm wirkenden Wohnung. Der Teppich war hell und sauber, die Einrichtung einfach aber angenehm. Auf einigen Fensterbrettern standen Zimmerpflanzen und die Anzeige des DVD-Recorders zeigte an, dass es erst kurz nach Mittag war. Vor einem kleinen, etwas abseits gelegenen Raum standen Farbeimer und ein Müllsack, der Reste eines rußgeschwärzten Teppichbodens enthielt. Und doch, trotz der Anzeichen, dass es hier Leben gab, wirkte alles kalt und still, wie eingefroren in einer Dimension, in der die Dunkelheit nicht schwarz sein musste um doch immerwährend präsent zu sein. Es war kalt, unangenehm kalt, obwohl ein Thermometer an einer Flurwand etwas über 20°C anzeigte. Doch diese Kälte unterwarf sich keinem der geltenden Naturgesetze, denn sie kam aus dem Inneren der Person, die hier lebte – und aus ihrem Beyblade. Kai lag lang ausgestreckt auf seinem Bett, einen Arm hinter dem Kopf verschränkt, die andere an seiner Hosentasche um sein Handy herauszuziehen, dass noch immer, fast beleidigt, vor sich hinklingelte. Er fühlte den eisigen Hauch nicht, der sich in seine Wohnung ausgebreitet hatte, denn er war ihn gewohnt. Eine ihm unbekannte Nummer blinkte ihm frenetisch vom grünschimmernden Display entgegen, so als ob sich das Mobiltelefon freuen würde, dass es, nach fast einem Monat, endlich wieder einmal Aufmerksamkeit von seinem Besitzer bekam. Wurde ja auch mal Zeit, schließlich versuchte ihn irgendjemand schon die ganze Zeit zu erreichen. Ein leises Piepen erklang, dann hielt sich Kai das Handy ans Ohr: „Wer und was?“ „Es heißt: ‚Hallo, Hiwatari am Apparat. Was kann ich für sie tun?’. Wenn du jeden, der anruft gleich so anfährst, bekommst du bald gar keinen zwischenmenschlichen Kontakt mehr“, erklang eine spöttische Stimme am anderen Ende der Verbindung. Kais Gesicht verzog sich zu einer wütenden Grimasse, doch er zwang sich zur Ruhe: „ Der Versuch, mich zur Höflichkeit zu bewegen, würde besser wirken, wenn du ebenfalls wohlerzogen genug wärst, die allgemein geltenden Regeln zu befolgen, Hiro!“ „Wieso? Du hast mich doch erkannt, oder?“, man konnte das Grinsen, das sich hinter dieser unschuldig klingenden Stimme verbarg, förmlich spüren. „Was willst du? Noch eine Lektion?“, fragte Kai und gestattete sich ein zufriedenes Lächeln, als sein Gesprächspartner scharf die Luft einsog. Das hatte gesessen! „Nein…“, Hiros Stimme klang nun ernster, gedrückter, mit einem eindeutigen Unterton, der Kai selbst auf diese Entfernung hinweg anzeigte, dass dem anderen dieses Thema extrem unangenehm war. Grund genug es noch weiter anzuschneiden, wenn möglich. „Ich… Ich habe es ihnen noch nicht erklärt“, gab Hiro zu. Er stand in seinem Zimmer im Dojo, sein eigenes Handy in der Hand. Aus der Küche konnte er Daichi schreien hören, dann erklang die wütende Stimme seines kleinen Bruders, die ihm selbst jetzt noch, ein Monat nach der Fast-Katastrophe, schöner erschien als so manche Opernarie. Gott, war er froh, dass Tyson nichts passiert war… „Ich wusste nicht, wie ich es tun sollte. Was ich sagen sollte und was du lieber für dich behalten willst – “, er wurde rüde von Kai unterbrochen. „Mir egal, ob du es ihnen sagst. Hast du nur deswegen angerufen? Wenn ja, lege ich jetzt auf, ich hab noch zu tun.“ Das war eine glatte Lüge, aber er hatte keine Lust sich anzuhören, wie Hiro bettelte, dass er alles für sich behalten sollte, damit er selbst besser vor seinem Bruder dastand: Als Retter, der Kai gestoppt hatte, bevor Black Dranzer durchdrehte… ‚Er hatte es doch nie so gemeint, wirklich. Er wusste nicht, was es mit diesem Bitbeast auf sich hatte. Wenn man es genau bedachte, war es ja schließlich von Anfang Kais Idee gewesen, noch einmal gegen Tyson anzutreten…’ Wie ihn das anwiderte. Der silberhaarige Blader konnte spüren, wie ihm Galle die Kehle hochstieg. Und das Schlimmste an allem war, dass er genau wusste, dass er es zulassen würde, wenn Hiro alle anlog! „Kai…“, der Mann am anderen Ende der Verbindung seufzte, dann wechselte er resignierend das Thema: „Mr. Dickenson will alle Teams zu einer gemeinsamen Trainingsreise einladen. Um den guten Willen der Blader zu demonstrieren und die Feindschaft zwischen den Teams zu beseitigen, sagte er. Ich schätze, er hat dir nach den letzten Ereignissen keine Einladung geschickt, oder?“ Sie wussten Beide, dass diese Frage vollkommen überflüssig war. Black Dranzers erneutes Auftauchen hatte das bewirkt, was zwei Teamwechsel, einer davon zum schlimmsten Feind der BBA, nicht geschafft hatten: Man vertraute Kai nicht mehr. Mr. Dickenson hatte am Anfang fast täglich angerufen und versucht, den jungen Blader zur Herausgabe des gefährlichen Bitbeasts zu bewegen. Er hatte zig Nachrichten auf der Mailbox hinterlassen, dass er nicht verstehen konnte, wie Kai sich und andere noch einmal solch einer Gefahr aussetzen konnte; dass alles nur zu seinem Besten wäre; dass er enttäuscht von ihm war; dass er nicht verstand, wieso er Tyson angegriffen hatte; dass es pures Glück gewesen war, dass er die Kontrolle zurückgewonnen hatte und nichts Schlimmeres passiert war… Der silberhaarige Blader hatte die Nachrichten gelöscht und war trainieren gegangen, so als ob nichts wäre. Auch die früheren Bladebreakers, die sonst immer hinter ihm gestanden hatten, egal, warum er sie wieder einmal im Stich gelassen hatte, zweifelten, entsetzt über sein Verhalten und noch immer geschockt vom Anblick des rasenden Black Dranzers. Über die Reaktionen der anderen Teams wollte Kai gar nicht erst nachdenken… „Nein, hat er nicht… Warum interessiert dich das?“, Kai lehnte sich zur Seite und starrte auf den pechschwarzen Blade, der auf seinem Nachttisch lag und alles Licht in sich aufzusaugen schien. „Ich soll mitfahren, um zu zeigen, dass ich meine Fehler bereue und gewillt bin, neu anzufangen. Damit man mir verzeiht“, Hiro lachte ohne echten Humor in seiner Stimme. „Klingt bescheuert, oder?“ „Du wirst dich bestimmt wunderbar in die Reihen der Tugendhaften machen, Hiro. Glänzend, in schillernder Rüstung, die schmutzige Weste sorgsam hinter einer neuen, reinweißen versteckt…“, spottete Kai. Meilenweit weg duckte sich Hiro unter dem eisigen, schneidenden Hohn und sah zu Boden. Doch der leicht bittere Unterton entging ihm trotzdem nicht. „Bitte, hör mir erstmal zu! Ich kann nicht direkt mitfahren und wollte etwas später mit einem Mietwagen hinterher. Wenn du willst, hole ich dich ab…“ Kai stutzte. Hatte er das jetzt richtig verstanden? Stirnrunzelnd wandte er seinen Blick von Black Dranzer ab und setzte sich auf. „Mich abholen?“ „Nur, wenn du mit möchtest… Es wäre eine Chance, Kai. Vielleicht kommt ja alles wieder in Ordnung.“ „Es kommt selten wieder alles in Ordnung“, murmelte Kai und starrte zur gegenüberliegenden Wand. Wollte er mitfahren? Sehen, ob sich vielleicht doch etwas retten ließ? Dann müsste er sich allerdings allen Teams stellen, nicht nur Tyson und seinen Leuten… Scheiß drauf! „Ich komme mit! Klingel dann einfach!“, mit diesen Worten unterbrach er die Verbindung und ließ sich wieder nach hinten fallen. Seine Hand tastete automatisch nach Black Dranzer und fuhr über die messerscharfen Kanten, ohne sich zu verletzen. Ein Grinsen schlich sich unbemerkt auf seine Züge. Diese unerwartete Wendung der Ereignisse, brachte eine Menge neuer Möglichkeiten mit sich… Meilenweit entfernt starrte Hiro teils empört, teils erleichtert auf sein Handy, dann schaltete er es ab. Wenigstens kam Kai mit. Er seufzte und fuhr sich durchs Haar. Aber bedanken und entschuldigen können, hatte er sich immer noch nicht. Obwohl, wenn er es Recht bedachte, sollte er das eh lieber persönlich tun… Auch, wenn er es nie zugeben würde, so hatte Kai doch knapp eine Stunde nach Hiros Anruf bereits seine Tasche fertig gepackt und in den Flur gestellt. Leicht überrascht über sich selbst, verzog er sich mit Black Dranzer in seinem Trainingsraum und versuchte die anstehende Fahrt zu verdrängen. Warum war der Gedanke, sein Team wieder zu sehen, egal, unter welchen Umständen, nur so verdammt angenehm? Wann hatte er sich so an ihre Anwesenheit gewöhnt? In den wenigen Stunden, die sie vor seinem Match mit Brooklyn zusammen verbracht hatten? Oder etwa genau in diesem Match, als sie ihn nicht aufgegeben hatten? Das war doch unmöglich… Egal, wie sehr er sich auch anstrengte, es wollte ihm nicht gelingen, seine Gedanken zu ordnen und sich aufs Training zu konzentrieren. Immer wieder jagte er Black Dranzer über die Kante des Beybladestadiums, obwohl er eigentlich etwas ganz anderes im Sinn gehabt hatte. Schließlich gab er auf, ließ den schwarzen Blade einfach liegen und verbrachte die restliche Zeit bis er abgeholt wurde, mit fernsehen und lesen. Als Hiro zwei Tage später dann endlich an der Tür klingelte, hätte der silberhaarige Junge seinen Beyblade beinahe vergessen, wenn er nicht noch einmal durch seine Wohnung gegangen wäre, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Seine Konfusion war ihm nicht anzusehen, als er aus dem Haus trat, Hiro zunickte und zum Wagen lief, seine Tasche locker über seiner Schulter. Er warf sie auf den Rücksitz, dann zögerte er kurz, bevor er sich ebenfalls auf die Rückbank fallen ließ. Den größten Teil der Fahrt über herrschte eine unangenehme Stille zwischen den Beiden. Kai hatte es sich auf der Rückbank bequem gemacht und untersuchte seinen Beyblade auf Kratzer, während Hiro überlegte, wie er sich am besten bedanken und entschuldigen konnte. Er wusste, dass er noch nie gut in so etwas gewesen war. Er gab Fehler ungern zu, auch wenn er sie treffsicher bei anderen aufdecken konnte. Selbst bei Tyson hatte er sich noch nicht wirklich entschuldigt, wenn er es recht bedachte… Seufzend sah er in den Rückspiegel und versuchte sich einzureden, dass es einfacher sein würde, wenn er erst einmal ein Gespräch mit Kai anfing: „Weißt du, wenn mich die Polizei anhält und du nicht angeschnallt auf dem Rücksitz liegst, krieg ich ziemlichen Ärger.“ Bescheuerter Anfang, aber worüber sollte man mit jemandem wie Kai schon reden? „Grund genug, um erst recht liegen zu bleiben“, meinte der Junge trocken und wischte über eine trübe Stelle seines Blades. Zufrieden, dass Black Dranzer wieder schimmerte, steckte er ihn zurück in seine Tasche, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah an die Wagendecke. „Wohin geht die Reise eigentlich?“, fragte er leise. Hiro seufzte wieder. Er musste wirklich erbärmlich sein, wenn sogar Kai besser Konversation machte als er… „Für das Justice Five Turnier haben Tyson und die Anderen in den Bergen trainiert. Eine schöne Gegend, recht einsam, obwohl es nicht weit vom Camp entfernt einen Wanderweg gibt. Ich denke, es könnte dir gefallen…“, er sah Kai im Rückspiegel leicht nicken. „Der Einzige, dem es dort nicht gefallen wird, dürfte Kenny sein“, Hiro grinste und bog in eine Landstraße ein. Eine Weile herrschte wieder Schweigen, dann durchquerten sie das letzte Dorf vor dem Waldrand. Es war nicht besonders groß, nannte zwei Supermärkte, eine Tankstelle, vier Pensionen und drei Bushaltestellen sein eigen, und war beinahe unangenehm ruhig und friedlich nach dem alltäglichen Chaos Tokios. „Wir sind fast da“, meinte Hiro und runzelte dann die Stirn. Offensichtlich hatte die Abgeschiedenheit der Kleinstadt auch ihre Nachteile: An einer Bushaltestelle saß ein recht kleiner Junge mit einer viel zu groß wirkenden Tasche und wilden, dunkelvioletten Haaren und starrte verdrießlich auf sein Gipsbein. Neben ihm lehnten zwei Krücken am Sitz. „Armer Kerl… Schätze, der Bus fährt hier nur alle paar Stunden“, Hiro fuhr langsamer und überlegte, ob er anhalten sollte. Hinter ihm setzte sich Kai auf und starrte nach draußen: „Das ist Ian. Halt an!“ Leicht ärgerlich über den befehlenden Ton des Jüngeren stoppte Hiro neben der Bushaltestelle, woraufhin er misstrauisch von dem Jungen mit dem Gipsbein gemustert wurde. Als er Kai auf der Rückbank entdeckte, wandelte sich sein Gesichtsausdruck zu Verwirrung und Unsicherheit. Tysons Bruder verstand nicht, was sein Mitfahrer sagte, doch Ian nahm daraufhin zögernd seine Tasche auf und humpelte zur Beifahrertür. Mit einem misstrauischen Blick zu Hiro öffnete er die Tür, ließ sich in den Sitz fallen und gab seine Sachen dann nach hinten weiter. Der blauhaarige Mann grinste gequält, während Kai die Tasche und die Krücken im Fußraum verstaute. Dem abweisenden Verhalten und den bösen Blicken nach, konnte das nur ein Mitglied der Blitzkrieg Boys sein. Wunderbar, noch ein Eisschrank, diesmal in komprimierter Form… Ian sah großzügig über die Grimasse seines Nebenmanns hinweg und streckte ihm stattdessen, nach einem weiteren Blick auf Kai, die Hand hin: „Danke für’s Mitnehmen. Ich bin Ian.“ Hiro blinzelte mehrmals verdutzt, dann schüttelte er die dargebotene Hand: „Hiro, Tysons älterer Bruder.“ „Du warst Coach bei der BEGA“, stellte der kleine Russe fest und musterte ihn forschend. Sein Nebenmann zuckte leicht zusammen, was Kai im Hintergrund grinsen ließ. Er ließ sich wieder auf die Rückbank sinken und starrte aus dem kleinen bisschen Fenster, dass er so sehen konnte: „Sei nicht zu hart zu ihm, Ian. Er ist Kritik nicht gewöhnt… Übrigens solltest du irgendwann mal weiterfahren, Hiro!“ „Dafür verprügeln mich nicht meine eigenen Teamkameraden“, murrte der Ältere und fuhr wieder an. Ians Augen wanderten abschätzend vom einem zum anderen, während das Austauschen verbaler Tiefschläge munter weiterging. Da konnte sich jemand aber überhaupt nicht leiden… Schließlich wurde ihm die ganze Sache zu dumm und er unterbrach Hiro einfach mitten im Satz: „Kai?“ Der Angesprochene sah zu ihm, eine Augenbraue fragend gehoben. Nervös druckste Ian herum, wissend, dass er gerade mit dem Feuer spielte: „Hast du wirklich…? Ich meine, stimmt es wirklich, dass du Black Dranzer…?“ Er kam nicht dazu seine Frage zu beenden, denn Kai schnitt ihm scharf das Wort ab: „Ja! Es stimmt! Und ich hab ihn unter Kontrolle!“ Allein schon sein Ton sagte dem kleineren Russen, dass er gar nicht erst versuchen sollte, dem anderen Blader in seine Entscheidung reinzureden. Der eisige Blick unterstrich das nur noch. „Das ist Irrsinn“, murmelte er unglücklich und sah wieder nach vorne, um nicht zusehen zu müssen, wie Kai seinen Blade aus der Tasche holte und wieder zu putzen begann. Hiro musterte ihn kurz aus den Augenwinkeln. Offensichtlich war Black Dranzer auch dem russischen Team ein Begriff. Wenn er sich recht erinnerte, hatte er eigentlich mal vorgehabt, sich genauer über Kais Vergangenheit zu informieren. Vielleicht würden sich die Blitzkrieg Boys in dieser Hinsicht ja kooperativer zeigen als die ehemaligen Bladebreakers. Er hatte mehrmals versucht mit ihnen über ihren alten Teamkameraden zu sprechen, doch seltsamerweise hatten sie immer abgeblockt und er hatte mitbekommen, dass auch die Justice Five, neugierig geworden durch die wenigen Brocken, die ihnen Ray und Max während Tysons Kampf gegen Kai vorgeworfen hatten, immer sehr schnell wieder abgewimmelt worden waren. Aber die Russen und kooperativ? Das schloss sich doch schon von vorneherein aus, oder? „Wo ist eigentlich der Rest deines Teams, Ian?“, sie passierten den Waldrand. „Die hatten keine Lust zu warten und sind vorgegangen.“ Hinter ihnen erklang ein belustigtes Schnauben: „Das ist nicht dein Ernst, oder? Diese Idioten… Es sind über dreißig Grad draußen. Na viel Spaß auch.“ Ian grinste schief: „Du kennst die ‚Dämlichen Drei’ doch. Tala hat beschlossen, dass so eine Wanderung ein gutes Training wäre und Bryan und Spencer sind einfach hinterhergelaufen.“ „Dämlichen Drei?“, schmunzelte Hiro. „Sag den Spitznamen weiter und du bist tot!“, stellte Ian fest und sah ihn eiskalt von der Seite her an. Na wunderbar, da dachte man doch gerade, den ersten halbwegs angenehmen Russen gefunden zu haben – und wurde derart hart wieder in die Realität zurückgeholt. Hiro seufzte, verdrehte die Augen und verfluchte die gemeine Welt, die die Blitzkrieg Boys zu seiner einzigen, greifbaren Informationsquelle machte. „Sie sind ja nicht wirklich dämlich“, lenkte Ian plötzlich ein und kratzte am Gips herum. „Aber ihre Methoden und ihr Verhalten entsprechen leider ziemlich oft noch denen der Vergangenheit…“ Er wandte plötzlich den Kopf ab und starrte aus dem Fenster. Sein Nebenmann runzelte die Stirn, erkannte aber, dass im Moment kein guter Zeitpunkt war, das Thema weiter auszuweiten. So langsam begann er zu denken, dass hinter der ganzen Sache mehr steckte, als er zuerst angenommen hatte. Das Camp kam in Sicht – und mit ihm drei Gestalten, die ausgestreckt und heftig atmend im Gras lagen, ihr Gepäck um sich herum verteilt, ein paar grinsende Mitglieder anderer Teams in einiger Entfernung um sich herum. Ian biss sich in die Hand, um nicht laut loszulachen, während Kai, der sich aufgesetzt hatte, nur mit den Augen rollend den Kopf schüttelte und nach seiner Tasche griff. Hiro grinste breit, als er einen leuchtend roten Schopf erkannte und hielt im Schatten der Bäume an. Ian öffnete seine Tür, langte nach seinen Krücken und wollte aussteigen, als ihn plötzlich etwas gegen die Schulter stieß. Kai ließ zwei Wasserflaschen in seinen Schoß fallen, dann tauschte er die angenehm kühle Luft des Autoinneren gegen die unregulierte, drückende Hitze des heutigen Tages ein. Der kleinere Russe blickte kurz verwirrt erst zu Kai, dann zu den Wasserflaschen, dann stieg er aus und humpelte zu seinen schnaufenden und schwitzenden Kameraden hinüber. Alle Drei schienen völlig am Ende und nicht mehr in der Lage, auch nur noch einen Schritt zu tun. Die Augen geschlossen und bereits einen Anflug von Sonnenbrand auf Gesicht und Armen, lagen sie da, wo die Natur sie letztendlich besiegt hatte und warteten auf das Ende – oder einen guten Samariter, der mutig genug war, ihnen Hilfe anzubieten. Als ein wohltuender Schatten auf sein Gesicht fiel, öffnete Tala vorsichtig ein Auge und sah eine breit grinsende, wohlbekannte Gestalt, deren eine Hand mit einer Wasserflasche herumwedelte. „Ian, du bist ein Engel“, ächzte der Rotschopf und langte gierig nach der rettenden Flüssigkeit. Hastig schraubte er den Verschluss auf und stürzte die Hälfte des Inhaltes auf einmal herunter, dann schüttete er sich den Rest über den Kopf. „Nur ein verständnisvoller Landsmann“, stellte Ian trocken fest und reichte die zweite Flasche an Bryan und Spencer weiter, ein entschuldigendes Lächeln auf den Lippen, dass sie sich das Wasser teilen mussten. Während neben ihm das Gezanke losging, setzte sich Tala auf und leckte die letzten Tropfen vom Rand der Flasche, nur um sie dann bedauernd zu schütteln. Seufzend gab er das leere Behältnis an Ian zurück: „Du hast nicht zufällig noch mehr, oder?“ Ian schüttelte den Kopf: „Nein. Die hier hat Kai mir gegeben.“ „Kai?“, fragte Tala hellhörig geworden und sah sich um. Als er eine vertraute Gestalt neben dem gerade angekommenen Auto stehen sah, verengten sich seine Augen zu missbilligenden Schlitzen. Kurz schien er nachzudenken, dann stand er auf und begann seine Sachen einzusammeln. „Hoch mit euch! Hier draußen ist es zu heiß zum rumliegen!“, fuhr er Bryan und Spencer an, die etwas verdutzt gehorchten. Was hatte dem denn so die Laune verhagelt? Ian warf Kai noch einen halb entschuldigenden, halb anklagenden Blick zu, dann folgte er seinem Teamchef ins Gebäude, vorbei an den anderen Beybladeteams, die nun, wo die bisherige Quelle ihrer Unterhaltung aus ihrer Sichtweite verschwand, ebenfalls auf die Neuankömmlinge aufmerksam geworden waren. Sie hatten zwar gewusst, dass Hiro noch kommen sollte, aber von Kai hatte niemand etwas gesagt. Einige Blader verschwanden nach drinnen, ein paar Andere dagegen suchten die Konfrontation. „Was machst du denn hier?“, Johnny baute sich in gut einem Meter Entfernung zu Kai auf und musterte ihn abweisend. Die Majestics hatten zugesagt zu kommen, um sich mit den ehemaligen Barthez Battalions zu versöhnen, aber das hier war ja wohl etwas zu viel, das man ihnen zumutete. „Im Moment? Mich von dir anpöbeln lassen. Verzieh dich!“, der silberhaarige Blader verschränkte die Arme vor der Brust, richtete sich zu voller Größe auf und stellte mit Genugtuung fest, dass er den rothaarigen Schotten um einige Zentimeter überragte. Johnny knirschte mit den Zähnen: „Warum sollte ich? Im Gegensatz zu dir, stehe ich zumindest auf der Gästeliste!“ Hiro, der zuerst belustigt die Russen, dann besorgt die Reaktion der Teams auf den unangemeldeten Besuch beobachtet hatte, fand, dass es an der Zeit war, einzuschreiten: Kais Augen schienen dunkler und kälter zu werden, während eine Hand unbewusst nach seinem Blade griff. Auch wenn er behauptete Black Dranzer unter Kontrolle zu haben, gänzlich ohne Einfluss schien das dunkle Bitbeast dennoch nicht zu sein. „Hey, Jungs! Beruhigt euch! Ich habe Kai eingeladen mitzufahren, weil ich dachte, dass es eine gute Gelegenheit wäre gewisse Sachen zu klären. Also wo liegt das Problem?“, er legte Johnny mäßigend eine Hand auf die Schulter, die dieser jedoch sofort abschüttelte. „Kais altes Spielzeug ist das Problem, mal ganz abgesehen von seinem Geisteszustand. Irgendjemand sollte dafür sorgen, dass er endlich eingewiesen wird!“ Kais Augen verengten sich und ein unangenehmes Lächeln zuckte über sein Gesicht: „Wenigstens ist von mir noch genug übrig, dass sich einweisen lassen kann. Was man von dir in dreißig Sekunden allerdings nicht mehr sagen kann.“ Trotz der strahlenden Sonne schien es plötzlich kälter zu werden und Johnny wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Das Verhalten seines Gegenübers gefiel ihm ganz und gar nicht: Kai schien kurz davor, seine Drohung wahr zu machen und hatte bereits seinen Blade in der Hand. „Hiro! Kai!“, Mr. Dickinson kam auf sie zu, das breite Gesicht voller Sorge. Johnny, Hiro und die umstehenden Beyblader registrierten erleichtert, dass das unerwartete Erscheinen des Mannes den silberhaarigen Jungen in ihrer Mitte wieder zur Vernunft gebracht hatte. Er steckte seinen Blade weg, das Gesicht zu einer ausdruckslosen Maske erstarrt, die Augen kühl, aber ohne direkte Aggression. Der Präsident der BBA erreichte die Gruppe und wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn: „Schön euch beide zu sehen, auch wenn ich dich eigentlich nicht erwartet hatte, Kai.“ Er versuchte zu lächeln, doch es misslang zu einem unsicheren Zucken der Mundwinkel und die Sorgenfalten auf seiner Stirn vertieften sich nur noch, als er bemerkte, wie blass und nervös die Umstehenden aussahen. „Ich… Ich habe versucht dich anzurufen, Kai. Wir müssen unbedingt über deinen letzten Kampf mit Tyson reden und über...“ „Es gibt nichts zu bereden!“, unterbrach ihn Kai ruppig. „Aber… Kai! Du müsstest doch selbst am besten wissen, wie gefährlich Black Dranzer ist. Es ist pures Glück gewesen, dass du die Kontrolle im letzten Moment wieder erlangt hast!“ Kai sah ihn kühl an, erwiderte zu Hiros Überraschung aber nichts. Warum schwieg der Junge über das, was wirklich geschehen war? Wollte er ihm nur die Chance geben, alles selbst zu erklären oder steckte etwas anderes dahinter? Mr. Dickinson öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder, ohne etwas zu sagen. Offensichtlich war ihm klar, dass er gegen eine Wand redete. Seufzend fügte er sich in sein Schicksal und nahm sich vor, Kai im Auge zu behalten. Etwas Anderes konnte er im Moment auch nicht tun. „Soll ich wieder gehen?“, fragte der silberhaarige Blader plötzlich ruhig. Rund ein Dutzend Augen richteten sich plötzlich überrascht und verwirrt auf ihn. Kai stand noch genauso da, wie wenige Minuten zuvor, doch irgendetwas schien sich geändert zu haben. Er wirkte, auf eine schwer zu beschreibende Art, wieder normaler, vertrauter – und friedlicher. ‚Er scheint in der Lage zu sein, Black Dranzers Einfluss abzublocken’, schloss Hiro und fühlte Erleichterung in sich aufwallen. Bei Kais vorherigem Verhalten wäre ein baldiges Unglück vorprogrammiert gewesen. Offensichtlich fasste auch Mr. Dickinson Hoffnung, dass Kai vielleicht doch noch nicht ganz verloren war, denn nach kurzem Überlegen schüttelte er den Kopf, wenn auch unsicher: „Nein… Bleib ruhig. Ein bisschen Ruhe tut dir bestimmt auch gut.“ Der Blader nickte, dann schob er sich durch eine Lücke zwischen den Umstehenden und ging auf das Gebäude zu. Auch wenn er dank seines feurigen Bitbeasts kurzzeitige Hitze gewohnt war, so setzte ihm das unaufhörliche Brennen der Sonnenstrahlen nun doch zu und er war froh über die Möglichkeit in den Schatten zu können. Er wollte gerade durch die Eingangstür treten, als ihm Miguel und Mathilda entgegen kamen. Sie hatten vermutlich von seinem letzten „Fehltritt“ gehört, hatten aber nicht das Vorwissen der meisten anderen Beyblader und begrüßten ihn dementsprechend freundlich, die Blicke neugierig und leicht unsicher. „Wie hältst du es nur in diesen Klamotten aus?“, fragte Mathilda plötzlich und kicherte. „Selbst deine Teamkollegen laufen normal herum und dabei würde ich sie alles andere als locker nennen. Du bist wirklich der Einzige, der trotz der Hitze seinem Image treu geblieben ist.“ Kai schaute kurz an sich herunter. Wenn man es genau nahm, fragte er sich selbst gerade, wie er es bisher in den dunklen Klamotten ausgehalten hatte, die durchgeschwitzt an seiner Haut klebten und sich furchtbar schwer und unbequem bei den herrschenden Temperaturen anfühlten. Vermutlich nur wegen der Klimaanlage in Hiros Auto… Er zuckte mit den Schultern und ging weiter: „Ich hab eben trotz langen Suchens keine weiße Weste gefunden.“ Mathilda und Miguel sahen sich verwirrt an, während Hiro, der Kai gefolgt war, eine halb amüsierte, halb genervte Grimasse schnitt. Niemand hatte mit Kais Auftauchen gerechnet, deshalb wies man ihm ein freies Zimmer in einiger Entfernung zu seinen Teamkameraden zu, was ihn allerdings nicht allzu sehr störte. Ganz im Gegenteil: Er fand, dass es momentan vielleicht sogar besser so war. Die ehemaligen Bladebreakers wussten bisher noch nichts von ihm, aber die die Blitzkrieg Boys waren vermutlich alles andere als erfreut über sein Auftauchen und auf eine weitere Tracht Prügel konnte er verzichten, vor allem, da die ungewohnte Wärme seine Selbstkontrolle schwächte. Er musste einen kühlen Kopf bewahren oder es würde eine Katastrophe geben! Das Zimmer war nicht allzu groß, aber kühl. Er ließ seine Tasche aufs Bett fallen, öffnete sie und zog bequemere Sachen heraus. Nachdem er sich umgezogen hatte, wusch er sich die Farbe vom Gesicht und sah dann aus dem Fenster. Wie sollte es jetzt weitergehen…? Warum war er überhaupt hierher gekommen? Als Hiro ihm angeboten hatte, ihn mitzunehmen, hatte er sich über die Möglichkeit gefreut seine Freunde wiederzusehen. Er hatte gehofft, dass sie ihm einfach so verzeihen würden, wie sie es sonst auch immer taten, obwohl er genau gewusst hatte, dass er dieses Mal zu weit gegangen war. Die einzige Möglichkeit alles zu retten, wäre die Wahrheit zu sagen. „Und genau das kann ich nicht“, murmelte Kai und ballte eine Hand zur Faust. Was also machte er dann hier? Er warf einen Blick aufs Bett, wo neben seiner Tasche sein Beyblade lag und erinnerte sich für einen kurzen Moment an das Gefühl, das er gehabt hatte, kurz nach Hiros Anruf. Da war Gier gewesen und Vorfreude. Für einen Moment hatte er die Chancen gesehen, die ihm diese Reise eröffnete: Dutzende Bitbeasts an einem Fleck; alte Feinde, gegen die man antreten konnte; ein Wald, leicht brennbares Material… ‚Ich muss besser aufpassen. Nur, weil ich Black Dranzer in einem Beybladematch kontrollieren kann, heißt das noch lange nicht, dass er sich ruhig verhält. Er versucht trotzdem mich zu beeinflussen. Versteckter, aber er versucht es!’, Kai runzelte die Stirn und sah wieder nach draußen. Wenn er zuließ, dass Black Dranzer hier seinen Willen durchsetzte, würde es eine Flammenhölle geben… ‚Vielleicht wäre es doch besser, wenn ich ihn weggebe…’, er drehte sich erneut um, dann ging er zum Bett und nahm den Blade in die Hand. Lange Zeit betrachtete er einfach nur, dann steckte er ihn in die Tasche und ging zur Zimmertür. Er würde einfach nur länger und härter trainieren müssen – und die Probleme mit Tyson und den anderen würden sich auch irgendwie beheben lassen. Er öffnete die Tür und sah sich Tyson, Ray und Max gegenüber. Kenny stand ein Stück weiter den Gang hinunter. Seine drei ehemaligen Teamkollegen starrten ihn mit einem seltsamen Ausdruck auf den Gesichtern an. Kai glaubte Wut zu erkennen, war sich aber nicht ganz sicher. „Du bist also echt gekommen“, stellte Max fest und schüttelte den Kopf. Kai antwortete nichts und verschränkte einfach nur die Arme vor der Brust. Rays Blick wanderte zu seiner Hand, die den schwarzen Beyblade hielt, dann drehte er sich um und ging. Max folgte ihm, während Tyson den Mund öffnete und anscheinend etwas sagen wollte. Doch er schloss ihn beinah sofort wieder und folgte seinen Freunden. Kai blieb allein zurück, drehte sich um und ging wieder in sein Zimmer. Der Blick seiner ehemaligen Teamkollegen ging ihm einfach nichts aus dem Kopf. Wut, Anklage, Enttäuschung – und Verachtung… _________________________________________________________________________________ Wer noch nicht aufgegeben hat, hier die gute Nachricht. Das nächste Kapitel wird voraussichtlich besser... Kleiner Anreiz, der Titel: Eskalation Kapitel 5: Eskalation --------------------- Nach diesem Kapitel werden sich sicherlich (und hoffentlich) eine Menge Fragen ergeben *g*. Mir gefällt es eigentlich sehr gut, auch wenn ich Angst habe, dass ich es vielleicht etwas übertrieben haben könnte. Zumindest ist es lang, also hat ein gewisser Jemand wieder mal etwas "Richtiges" zum Lesen. ^.~ Am Anfang empfehle ich ruhige Musik, später dann habe ich "Our Solemn Hour" von Within Temptation gehört, dessen Text ich auch eingebaut habe. Die Stimmung dieses Songs ist einfach genial und der Text passt super, vor allem, wenn man wie ich noch den Rest der FF im Kopf hat. *g* Naja, viel Spaß ^^ _________________________________________________________________________________ Letztendlich war Kai doch nicht mehr trainieren gegangen. Den Rest des Tages hatte er auf seinem Bett liegend verbracht, den Kopf voller trübsinniger Gedanken und Fragen. Für ihn stand inzwischen fest, dass seine Freundschaft – es war eine gewesen, dessen war er sich jetzt vollkommen sicher – mit Tyson, Ray, Max und Kenny endgültig Geschichte war. Was hielt ihn also noch hier? Man sagte oft, dass man sich der wirklich wertvollen Dinge im Leben erst dann bewusst wurde, wenn man sie verlor. Kai hatte diesen Satz erst Jahre nach seiner Zeit in der Abtei gehört, doch was genau man damit meinte, hatte er bereits als kleines Kind begriffen. Es war lange her, dass seine Eltern gestorben waren… Damals war er in die Abtei gekommen und hatte alles verloren, was ihm noch geblieben war. Mehr, als er gedacht hatte, noch verlieren zu können. Kaum jemand wusste, was genau damals geschehen war. Die wenigen Wissenden schwiegen, einige aus Triumph, andere aus Mitleid und Resignation oder weil es ihnen einfach nicht wichtig war. Kai hatte es bisher genauso gehalten, doch er war sich stets bewusst gewesen, dass ihn das, was damals geschehen war, mehr geprägt und verändert hatte als alles andere es jemals gekonnt hätte. Unter anderem hatte er sich geschworen, niemals wieder zuzulassen, dass er etwas als selbstverständlich hinnahm und damit in Gefahr lief, es zu verlieren. Und doch lag er nun hier und hatte die einzige Freundschaft verspielt, die er in seinem ganzen Leben zustande gebracht hatte. Also was genau hinderte ihn noch daran, jetzt einfach zu Hiro zu gehen und ihn zu bitten, ihn wieder nach Hause zu bringen? Oder einfach so loszuziehen und zu trampen? Was blieb ihm noch? Die Bilanz war mehr als traurig: Ihm blieb nichts weiter als ein schwarzer Beyblade, der genau genommen eine Leihgabe Hiros war, und ein bösartiges Bitbeast, das die Tendenz hatte sein Leben zu zerstören, egal wie armselig es bereits war. Der silberhaarige Junge seufzte und verschränkte die Arme hinter dem Kopf: Es blieb dabei, eigentlich war sein Aufenthalt hier vollkommen sinnlos. Er drehte den Kopf zur Seite und runzelte die Stirn als der dunkle Beyblade auf seinem Nachttisch spöttisch zu blinken schien. Aus irgendeinem Grund gelang es Black Dranzer selbst das helle, warme Rot der Abenddämmerung in ein kaltes, kränkliches Grün zu verwandeln. Kai setzte sich auf und ballte unbewusst eine Hand zur Faust. „Lass das! Ich war schon in viel schlimmeren Situationen… Irgendetwas muss noch zu retten sein!“, zischte er den Blade an, der höhnisch glitzerte. Dennoch schien sich die bösartige Präsenz des Bitbeast zurückzuziehen. Ein zaghaftes Klopfen an seiner Zimmertür ließ den silberhaarigen Blader aufsehen. Ohne dass er den unerwarteten Besucher hereingebeten hätte, öffnete sich die Tür und Ian wankte herein. Mit der einen Hand balancierte er eine Teller, mit der anderen stützte er sich ab, die zweite Krücke unter den Arm geklemmt. Für einen Moment war Kai zu überrascht um ihm zu helfen, dann sprang er auf und nahm ihm den Teller ab. Ian nickte dankbar und ließ sich aufs Bett fallen. Seine Krücken landeten auf dem Boden, also schien er vorzuhaben, länger sitzen zu bleiben. „Für mich?“, fragte Kai und setzte sich neben ihn, den Rücken an die Wand gelehnt, den Teller auf seinem Schoß. Ian nickte und hievte sein Gipsbein aufs Bett: „Irgendwie schien es niemand für nötig zu halten, dir Bescheid zu sagen, dass es Abendessen gibt, da dachte ich, ich könnte mich für die Wasserflaschen heute Mittag bedanken – und gleich die Chance nutzen um mit dir zu reden.“ Kai zog skeptisch eine Augenbraue hoch und begann in seiner Mahlzeit herumzustochern. Kurz überlegte er, Ian mit einer seiner Standardantworten zum Teufel zu jagen, notfalls mitsamt dem Essen, entschied sich dann aber dagegen. Mit dem kleinsten Russen konnte man reden, wichtiger noch, er, Kai, konnte mit ihm reden… Das war eine Eigenschaft, die nicht viele Leute aufwiesen. Die meisten Menschen in Kais Umgebung wurden von ihm entweder als zu dumm, zu unwichtig, zu störend oder zu berechnend erachtet, als dass er tatsächlich an einer Unterhaltung mit ihnen interessiert wäre. Die wenigen Exemplare, auf die all diese Punkte nicht, oder nur im geringen Maße zutrafen, teilten entweder nicht seine Interessen oder waren zu bemutternd, zu egozentrisch oder einfach viel zu positiv eingestellt, um mehr als ein paar Worte mit ihnen zu wechseln. Auf Ian traf die meisten dieser Punkte gar nicht und einige im tolerierbaren Maße zu und vielleicht machte ihn gerade das zu einem guten Gesprächspartner für Kai. „Ich bin bei deinem Team im Moment nicht besonders beliebt… Keine Angst vor Streit?“, meinte der silberhaarige Blader schließlich und schob sich eine Gabel voll Nudeln in den Mund. Ian, der geduldig gewartet hatte, bis sich sein Gegenüber darüber im Klaren war, ob er mit ihm reden wollte oder nicht, schüttelte den Kopf und begann an den Fingern abzuzählen: „Spencer hat es nicht so mit dem Schreien und er schlägt niemanden der kleiner ist als er, es sei denn, er kommt ihm richtig frech. Da das bei seiner Größe eh kaum einer wagt, hat er sich schon seit Jahren nicht mehr wirklich geprügelt. Na ja, bis auf die Ausnahme mit dir nach dem Justice Five Turnier… Bryan weiß, dass ich hier bin, hat aber nichts dazu gesagt. Also scheint es ihm entweder egal zu sein, oder er will keinen Streit mit Spencer, weil er mich anbrüllt. Und Tala….“ Er starrte auf den dritten erhobenen Finger und zuckte dann seufzend mit den Schultern: „Tala wird es nicht unbedingt erfahren… Und selbst wenn, wird er mich höchstens schneiden und böse anstarren. Es hat auch seine Vorteile der Kleinste und Jüngste zu sein. Man genießt eine gewisse Narrenfreiheit.“ Ian grinste Kai breit an, dann wurde er wieder ernst. Sein Blick wanderte zu dem dunklen Blade, der noch immer offen auf dem Nachttisch lag. „Warum musstest du das Ding nur wieder einsetzten, Kai.“ Der größere Blader seufzte tonlos. Schon wieder dieses Thema. Als ob Ian nicht genau wüsste, dass das sinnlos war. „Ich habe Black Dranzer unter Kontrolle! Also besteht auch keine Gefahr!“ Der Jüngere sah ihn prüfend an, einen Funken Misstrauen im Blick, dann nickte er plötzlich und lehnte sich vor: „Weißt du, aus irgendeinem Grund glaube ich dir das sogar, Kai. Bleibt die Frage, was bei deinem Match gegen Tyson tatsächlich passiert ist.“ Sein forschender Blick wanderte über das Gesicht des Halbrussen, doch dieses blieb ausdruckslos wie immer. Die Maske saß perfekt. Seufzend lehnte Ian sich wieder zurück und stützte das Kinn in eine Hand. „Ich schätze, du wirst deine Gründe gehabt haben… Ich habe noch nie erlebt, dass du irgendetwas ohne einen konkreten Grund getan hast“, lenkte er ein und sah auf die Bettdecke. „Ich bin hier“, entgegnete Kai prompt und biss sich gleich darauf auf die Zunge. Das hatte er jetzt eigentlich nicht laut aussprechen wollen… Der violetthaarige Russe sah auf und grinste schief: „Sag bloß, du hast einmal etwas ohne konkreten Plan getan, Kai Hiwatari. Das bringt mein ganzes Weltbild durcheinander. Jetzt muss Kenny nur noch Weltmeister im Beybladen werden und der Tag des Jüngsten Gerichts steht bevor.“ Kai musste bei der Vorstellung gegen seinen Willen schmunzeln, nur um gleich darauf festzustellen, dass der Gedanke an seine alten Freunde schmerzte. „Ich schätze, selbst wenn du jetzt noch keinen Grund siehst, warum es dich hierher verschlagen hat, wirst du bestimmt noch einen finden. Und wenn es nur die Möglichkeit zum Trainieren ist“, Ian lächelte und knuffte ihm freundschaftlich gegen das Knie, etwas, was er unter normalen Umständen niemals wagen würde. Doch er hatte ein Gipsbein und selbst Kai zeigte manchmal Gnade mit Verletzten. Er grinste, als ihn blutrote Augen finster anblickten, und langte nach seinen Krücken. Mit einem Nicken zum Abschied öffnete er die Tür und ging wieder zu seinen Teamkameraden. Kai starrte auf die geschlossene Tür und lächelte schwach. Ians letzte Worte bedeuteten eigentlich nur eines: „Gib nicht auf. Irgendetwas Gutes wird sich schon ergeben, du musst nur nach vorne sehen.“ Mit einem neuen Gefühl von Sicherheit setzte er sich etwas bequemer hin und begann den letzten Rest seiner Mahlzeit zu vertilgen. Er hatte Recht behalten: Irgendetwas gab es noch zu retten. Er musste es nur finden! Auch wenn der Abend dazu beigetragen hatte, dass Kai sich etwas wohler in seiner Haut fühlte, machte die darauf folgende Nacht und der Morgen wieder alles zunichte. Auch als die Sonne hinter dem Horizont versunken war und sich ein schmaler Mond auf den dunklen Himmel stahl, sanken die Temperaturen kaum. Mehrere Stunden lang wälzte sich Kai unter dem Laken, das er anstatt einer Decke benutzte, herum ohne Schlaf zu finden und vertrieb sich die Zeit damit weiterhin nach einem überzeugenden Grund für seine Anwesenheit zu suchen. Irgendwann schlief er doch über seinem Brüten ein – und wünschte sich letzten Endes, er hätte es nicht getan: In seinem Träumen wanderte er an einen anderen, weitaus vertrauteren Ort. Dunkle Wände aus feuchtem Stein zogen sich bis hoch über seinen Kopf. Harter Beton befand sich unter seinen Füßen, kalt genug, dass er ihn sogar durch seine Schuhe hindurch spüren konnte. Über ihm kein Himmel, nur ein Gewölbe aus ewiger Nacht, durchsetzt mit wenigen, dafür aber umso helleren Lampen, deren Licht die Finsternis trotzdem nie ganz vertreiben konnte. Kai bewegte schwach den Kopf und bemerkte, dass er plötzlich nicht mehr allein war. Ganz im Gegenteil. Vor, hinter und neben ihm standen plötzliche Kinder, einige Teenager, die meisten aber nicht älter als fünf oder sechs. Sie standen in geraden, lautlosen Reihen, mit ausdruckslosen Gesichtern, die ebenso kalt und abweisend wirkten wie der Stein um sie herum. Nur ihre Augen, die lebten noch… Anspannung stand in ihnen, Nervosität, die schon fast an Panik grenzte, die nackte Angst, Schmerz, Einsamkeit, Verzweiflung und dumpfe Hoffnungslosigkeit. Sie wollten nicht hier sein, aber sie hatten keine Wahl. Sie gehörten diesem Ort und wussten, ohne dass es ihnen jemals jemand gesagt hatte, dass er sie nie wieder aus seinen Fängen lassen würde. Stumm standen die Kinder da, wie lebendige Statuen. Noch nicht einmal ihr Atmen war zu hören. Kai stand mitten unter ihnen, unfähig irgendetwas in diesem Albtraum selbst zu bestimmen oder sich aus ihm zu befreien. Hilflos spürte er, wie sich seine rechte Hand plötzlich hob, ganz langsam und vorsichtig, auf der Suche nach – Kai erwachte als ein Vogel vor seinem Fenster zu singen begann. Heftig atmend setzte er sich auf und starrte nach draußen, in das trübe Dämmerlicht, dass die Welt noch umhüllte. Grau und düster wirkte alles, und doch war der Anblick geradezu strahlend, wenn er an die Abtei zurückdachte. Es war schon einige Zeit her, dass er diesen Albtraum gehabt hatte, auch wenn er zu denen gehörte, die er wohl nie ganz loswerden würde. Mehrere Wochen hatte er seinen Schlaf ungestört gelassen, also warum musste er gerade jetzt zurückkehren? Fluchend stand Kai auf und begann sich anzuziehen. Vielleicht würde ihn Training auf andere Gedanken bringen. Nach einigem Suchen fand er die Küche, nur um festzustellen, dass er nicht der Einzige war, der früh erwacht war: Tala saß auf dem Boden, mit dem Rücken an den Herd gelehnt, eine dampfende Tasse vor sich, ein aufgeschlagenes Buch auf dem Schoß. Der rothaarige Russe sah bei Kais Eintreten auf, den Mund bereits zum Gruß geöffnet. Als er erkannte, wer da auf ihn zukam, verdunkelte sich sein Blick und er presste die Lippen zu einem dünnen, blutleeren Strich zusammen. Schnell wandte er sich wieder ab und durchbohrte das unschuldige Buch mit seinen Blicken. Kai ging an ihm vorbei und machte sich etwas zu essen, dann setzte er sich dem anderen Jungen gegenüber auf die Theke. Er zog ein Bein an und stützte das Kinn auf der so entstandenen Lehne ab, während er kaute. Ein kurzes, hellblaues Aufflackern war Talas einzige Reaktion, dann wandte er sich wieder vollkommen seinem Buch zu. Während draußen die Sonne langsam über den Horizont kroch und ihre warmen Strahlen das Innere der Küche in einen goldenen Glanz hüllte, löste sich die unsichtbar herrschende Spannung zwischen den beiden Jungen. Staub tanzte glitzernd im wabernden Schimmer des jungen Morgens und gab der ganzen Szene etwas Unwirkliches. Der warme Schein fing sich auf der hellen Haut der beiden Russen und nahm ihnen ihre Blässe. Kais rote, inzwischen mit Gold gesprenkelten Augen ruhten ruhig auf Talas etwas hellerem, roten Schopf, der tief über die dicht beschriebenen Seiten gebeugt war und sich nur dann und wann etwas bewegte, wenn Tala eine Seite umblätterte. Plötzlich waren Schritte draußen auf dem Gang zu hören und die Harmonie, die sich zuvor wie eine warme Decke im Raum ausgebreitet hatte, zerbrach so einfach wie ein Gebilde aus feinstem Glas. Kai sprang auf und flüchtete geradezu aus der Küche, Talas undefinierbaren Blick im Rücken… Ein paar Stunden später, zu einer weitaus humaneren Zeit, erwachten auch die restlichen Beyblader und schlurften mehr oder weniger ausgeschlafen zum gemeinschaftlichen Frühstück. Es gab kaum jemanden unter ihnen, dem die Hitze nicht zusetzte und so war die Stimmung eher gedrückt und leicht gereizt. Deshalb waren Judy, Romero, Mr. Dickinson und Tysons Großvater froh darüber, als Kais Platz, wie auch schon tags zuvor beim Abendessen, frei blieb. Bereits gestern war der junge Blader Thema Nummer Eins gewesen und es war deutlich geworden, dass die meisten Jugendlichen, die bei der Weltmeisterschaft vor drei Jahren dabei gewesen waren, mehr als nur wütend auf Kai waren. Die neueren Teams und Hillary hatten nur verwirrte Blicke austauschen können, während ihre Freunde dem silberhaarigen Blader lautstark die Pest an den Hals wünschten. Ihre Fragen, was genau überhaupt damals passiert war, waren von den Anderen rigoros ignoriert worden. Einzig die Justice Five hatte eine grobe Vorstellung von den Geschehnissen von vor drei Jahren, doch Garland hatte sein Team gebeten zu schweigen, da ihm sein Wissen immer noch zu vage vorkam und er die Kluft zwischen Kai und den anderen Beybladern nicht noch weiter vertiefen wollte. Hiro wusste, dass er im Moment auch nicht sonderlich gern gesehen war, und versuchte sich so gut es ging im Hintergrund zu halten. Er hatte bisher noch keine weitere Chance gehabt mit Kai zu reden, so dass er sich über die Motive des Jüngeren immer noch im Unklaren war und sich noch immer nicht hatte entschuldigen können. Nur in einem Punkt war er sich inzwischen sicher: Wenn er tatsächlich die Wahrheit über Kais Match gegen Tyson irgendwann offenbaren wollte, dann musste das in naher Zukunft geschehen oder der Bruch zwischen dem silberhaarigen Blader und den anderen Jugendlichen würde zu groß sein um sich noch einmal zu schließen. Er musste mit Kai reden und das so schnell wie möglich! Nach dem Frühstück verteilten sich die Beyblader über das Gelände um sich entweder ein schattiges Plätzchen zu suchen oder sich irgendwie von den Temperaturen abzulenken. Letztendlich schlug Romero vor, dass er und sein Team versuchen könnten, die Fähigkeiten der einzelnen Blader in einem Zweiermatch zu verbessern. Tyson und Daichi hatten bei der Weltmeisterschaft schließlich eindrucksvoll bewiesen, dass selbst ein überragender Beyblader sehr schnell verlieren konnte, wenn er nicht fähig war, mit einem Partner zu interagieren. Nach einigem guten Zureden fanden sich tatsächlich ein paar Teilnehmer für die spontane Trainingseinheit, die sich von Romero, Julia und Raul die Grundlagen eines funktionierenden Zweierteams erklären ließen. Auffällig war, dass vor allem die Mitglieder der drei jüngeren Teams an den Übungen teilnahmen. Anscheinend hofften sie so der schlechten Stimmung zu entkommen, die einige Blader in ihrem Zorn über Kai noch immer verbreiteten. Nachdem sich die F Dynasty sicher waren, dass ihre Schüler das Wichtigste verinnerlicht hatten, begannen sie Zweierteams aus den Bladern zu bilden und gegeneinander antreten zu lassen. Es dauerte nur kurze Zeit und die Schar der Zuschauenden und –hörenden wuchs zur Zufriedenheit der Erwachsenen. Endlich einmal schienen die Ereignisse der letzten Zeit vergessen zu sein. Da diese Reise vor allem dazu dienen sollte, die Feindschaften zwischen den einzelnen Beybladeteams ein für alle mal beenden, schlug Judy nach einiger Zeit vor, dass die Zweierteams aus Bladern zweier unterschiedlicher Teams gebildet werden sollten, was erst skeptisch, dann mit Begeisterung angenommen wurde. Nur die Blitzkrieg Boys verdünnisierten sich einer nach dem anderen, bis schließlich nur noch Tala übrig blieb, der unter einem schattenspendenden Baum im Gras saß und den Kämpfen zusah. Die unbeschwerte Zeit dauerte etwa eine Stunde – dann bemerkten die ersten Blader Kai, der in einiger Entfernung zu den anderen stand und ebenfalls zusah. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und versuchte so kalt und unnahbar auszusehen wie immer, was allerdings nicht ganz gelang, da seine Kleidung den Temperaturen entsprechend locker war und sein Gesicht ohne die Streifen, dafür aber mit immer deutlicher werdendem Sonnenbrand nicht einmal halb so bedrohlich wirkte wie sonst. Die Mienen der meisten Jugendlichen verdüsterten sich sofort und die ersten geflüsterten Verwünschungen wurden laut. Romero versuchte die Situation zu retten und ging auf den Neuankömmling zu: „Hallo Kai. Willst du auch mitmachen?“ Rubinrote Augen streiften über die versammelte Schar und erfassten die einzelnen Gesichter, auf denen entweder klare Feindschaft oder Unsicherheit zu sehen war. Wortlos schüttelte er den Kopf und ging auf das Haus zu. Romero kratzte sich am Hinterkopf und überlegte, wie er den Silberhaarigen doch noch dazu überreden konnte, sich etwas am Geschehen zu beteiligen. Er hatte keine Ahnung, was es mit diesem seltsamen Black Dranzer auf sich hatte und was genau bei dem Match gegen Tyson vorgefallen war. Wahrscheinlich hatte Kai nur bei einer Attacke etwas übertrieben. Im Gegenzug war er sich aber sicher, dass der so unnahbar und arrogant wirkende Halbrusse einen guten Kern hatte, der vielleicht sogar besser war, als er es sich selbst eingestehen wollte. Er verdiente es Romeros Meinung nach nicht, die ganze Zeit seines Aufenthalts hier von den anderen Bladern angefeindet zu werden. Aber wenn sich das ändern sollte, musste man irgendwie erreichen, dass Kai wieder Kontakt zu den anderen hatte und sich der Streit vielleicht sogar ganz von alleine klärte. Romero warf einen beinahe flehenden Blick zu Julia, die kurz zögerte und Kai dann nachlief: „Warte! Ich fordere dich heraus! Dich und…“ Sie sah sich um, entdeckte Tala unter dem Baum und hatte plötzlich die perfekte Ausrede, wie sie Kai zum Bleiben überreden konnte. „Dich und Tala. Ihr Beide seid inzwischen das einzige Team der letzten Weltmeisterschaft, das noch nie gemeinsam angetreten ist. Claude und Miguel haben wir vor etwa einer halben Stunde besiegt, also fehlt jetzt nur noch ihr.“ Kai sah alles andere als begeistert aus, doch Romero stürzte sich auf die Chance und begann auf den Jungen einzureden. Als er sah, dass Tala Anstalten machte, sich davonzuschleichen, bezog er ihn in seine Überredungsversuche mit ein und schleifte die beiden Blader geradezu zum Beystadium. Letztendlich tauschten Tala und Kai einen kurzen Blick und gaben sich dann geschlagen. Ohne große Lust holten sie ihre Beyblades heraus und bezogen Startposition. Einige andere Blader schüttelten die Köpfe und begannen besorgt auf Tala, Julia und Raul einzureden. Sie befürchteten, dass Kai erneut die Kontrolle über Black Dranzer verlieren und die anderen drei Beyblader ernsthaft verletzen könnte. Doch sie wurden ignoriert. Schließlich wurde beschlossen, dass sie nichts Anderes tun konnten, als Kai im Auge zu behalten und notfalls einzugreifen. „Wenigstens dürfte das Match schnell zu Ende sein. Ich halte weder Kai noch Tala für sonderlich teamfähig. Sie haben keine Chance gegen F Dynasty. Zumindest nicht zusammen“, murmelte Johnny mit einem grimmigen Lächeln. Einige Blader lachten und stimmten ihm zu, doch Ray, der mehr als besorgt beobachtete, wie die Beyblades gestartet wurden, darunter auch der so gefährliche, pechschwarze, schüttelte den Kopf: „Da wäre ich mir nicht so sicher. Die Beiden kennen sich schon sehr lange und sind ziemlich gute Freunde. Sie werden sich sicherlich aufeinander abstimmen können.“ „Die Beiden sind also doch Freunde? Als Tala damals gegen Garland angetreten ist, meinte Kai zu mir, dass sie sich noch nie sonderlich nahe gestanden hätten“, schaltete sich plötzlich Hiro ein. Einige Blader drehten sich zu ihm um und unter den vielen, nicht gerade freundlichen Blicken verfluchte der junge Mann seinen Wissensdurst. Er hätte doch lieber weiter still zugucken und sich nicht am Gespräch beteiligen sollen. Wie hielt Kai diese Abneigung nur die ganze Zeit aus? „Was Kai sagt, muss nicht immer unbedingt der Wahrheit entsprechen“, murmelte Max düster und wandte sich dem Match zu. „Aber es hat ihm ja scheinbar nicht das Geringste ausgemacht, dass Tala wegen der BEGA im Krankenhaus gelandet ist.“ Hiro runzelte die Stirn. Er hatte vor den Ereignissen rund um die BEGA auch immer angenommen, dass der Halbrusse und der Rotschopf miteinander befreundet wären. Anders hatte er sich nicht erklären können, dass der silberhaarige Beyblader so schnell bei den Blitzkrieg Boys aufgenommen worden war. Inzwischen wusste er allerdings, dass Kai das russische Team bereits länger kannte, auch wenn ihm ihre genaue Vergangenheit noch immer unbekannt war. Die Bladebreakers dagegen wussten Bescheid und auch sie schienen davon überzeugt zu sein, dass die Beiden Freunde waren. Aber warum? Was verleitete sie alle zu dieser Annahme? Hiro rief sich in Erinnerung, wie die BBA Revolution gegen die Blitzkrieg Boys angetreten waren. Was war genau geschehen? Was war gesagt worden? Gab es Unterschiede im Verhalten der Beiden, wenn sie miteinander und mit ihren restlichen Teamkameraden zu tun hatten? Überrascht stellte er fest, dass es tatsächlich einen Unterschied machte, ob Kai mit irgendjemandem oder mit Tala sprach. Dieser Unterschied war nur minimal, aber er war da. Und bei jemandem wie Kai, der normalerweise jeden Menschen gleich zu behandeln schien, so dass man selten feststellen konnte, was genau er von einem dachte, war dieser noch so winzige Unterschied bereits eine Sensation, der sie alle, Hiro eingeschlossen, dazu verleitet hatte anzunehmen, dass der silberhaarige Beyblader in Tala einen Freund sah. Aber wie sollten sie sich sicher sein, dass diese Besonderheit in seinem Verhalten tatsächlich auf etwas Positivem begründet war? Hiro war dabei sich in Theorien zu verlieren, die alle auf einem schwammigen „Vielleicht“ beruhten, als ihn Gebrüll aus seinen Gedanken riss. Sein erster Gedanke war, dass Kai doch die Kontrolle verloren hatte, doch das war nicht der Fall. Aber ob das tatsächliche Geschehen so viel besser war…? Kai startete seinen Blade ohne rechte Lust. Normalerweise nahm er jede Herausforderung ernst und kämpfte mit vollem Einsatz, aber dieses Mal sperrte sich alles in ihm dagegen, die F Dynasty so schnell und kraftvoll wie möglich aus dem Stadium zu kicken. Mürrisch hob er eine Hand und wischte sich den Schweiß vom Gesicht, wobei er die unnatürlich heiße Haut auf Stirn und Wangen fühlen konnte. Bescheuerte Sonne… Wie viel lieber wäre er jetzt irgendwo anders, wo es solche Erfindungen wie Klimaanlagen und Ventilatoren gab. Träge wich sein Blade einer von Julias Attacken aus, im vollen Bewusstsein, dass seine Spielweise zurzeit extrem von seiner normalen abwich. „Hast du heute eigentlich irgendwann noch mal vor richtig zu bladen?“, tönte es plötzlich gereizt von der Seite. Kai musterte Tala aus den Augenwinkeln: Auch der Rotschopf zeigte erste Anzeichen von Sonnenbrand, allerdings auf den Armen. Er schien ebenfalls keine Lust auf dieses Match zu haben – aber wenn er dachte, dass er seinen Frust bei Kai abladen könnte, hatte er sich geschnitten. Der silberhaarige Blader schenkte seinem „Partner“ ein provozierendes Grinsen: „Ich dachte, ich warte einfach bis dein Auslaufmodell aufhört zu kreiseln und erledige die beiden Amateure dann alleine.“ „Ach ja, ich vergaß… Der Herr bladet ja nicht mehr. Er lässt lieber sein übermächtiges Bitbeast für sich antreten”, kam es spitz zurück. „Wenigstens ist mein Bitbeast stark und mächtig – während deines nur ein billiger Abklatsch seines Herrn ist“, fauchte Kai und sein Beyblade machte einen Schlenker in Wolborgs Richtung. Talas Kopf flog herum und eisblaue Augen fixierten den Halbrussen neben sich. „Was soll das heißen“, zischte er. „Dass du ein Hund bist, Tala. Ein kleiner, braver Schoßhund, der Boris die Füße geleckt hat – und immer noch lecken würde, wenn er denn könnte!“, Kais Grinsen war breiter geworden, hatte aber jede Spur von Humor oder Vergnügen verloren. Es diente nur noch einem Zweck: Tala noch weiter zu ärgern. „Das reicht! So etwas muss ich mir von dir nicht sagen lassen, Kai! Gerade von dir nicht!“, Tala wich unbewusst von seinem „Partner“ zurück und brachte immer mehr Abstand zwischen sie, während sein Blade auf Black Dranzer zuschoss und ihm einen heftigen Stoß verpasste. „Was ist denn los? Verträgst du die Wahrheit nicht?”, stichelte Kai und startete seinerseits eine Attacke. ~~~+~~~ In my darkest hours I could not foresee That the tide could turn so fast to this degree ~~~+~~~ „Hey Jungs! Falls es euch entfallen sein sollte: Ihr tretet gegen uns an, nicht gegeneinander!“, rief Julia dazwischen. Ihr Blade und der ihres Bruders kreiselten unentschlossen am Rand der Arena, während ihre Besitzer verwirrt und zwischen Wut und Belustigung schwankend das Treiben ihrer Gegner verfolgten. Zwei eiskalte Blicke trafen sie, dann gab es zwei beinah identische Knalle und sowohl der blaue als auch der violette Blade lagen ein gutes Stück vom Beystadium entfernt im Gras, während sich Tala und Kai nun endgültig gegenüber standen, die Arena zwischen sich. Julia schnappte nach Luft vor Empörung, während ihr Bruder zu verstehen versuchte, was hier eigentlich vor sich ging. „Oh doch, die vertrage ich… Aber wenn wir schon bei der Wahrheit sind: Wer war denn der Musterschüler der Abtei? Ich will gar nicht wissen, wessen Füße du alles geleckt hast“, Kais Augen weiteten sich für einen Moment, dann verengten sie sich zu Schlitzen und eine heftige Attacke traf Talas Blade, was dieser mit einem Grinsen quittierte. „Habe ich etwa einen wunden Punkt getroffen?“, fragte er unschuldig. „Du weißt doch gar nichts… Ich hatte meine Gründe, so zu handeln, wie ich es getan habe. Wie steht es mit dir?“, murmelte Kai und der schwarze Beyblade ging auf Abstand. „Ich wollte überleben. Nichts weiter. Aber du, du wolltest mehr als das. Du wolltest der Beste sein, der Vorzeigeschüler, Boris’ und Großvaters kleiner Liebling…“, höhnte Tala weiter und nutzte seine Chance, als Black Dranzer kurz schwankte und aus der Bahn geriet, um Kais Beyblade hart zu attackieren. Kai starrte Tala an, der Blick undefinierbar. ~~~+~~~ Can’t believe my eyes How can you be so blind? Is this heart of stone, no empathy inside? ~~~+~~~ Plötzlich verengten sich seine Augen erneut zu Schlitzen und lodernde Wut blitzte in ihnen auf. Die nächste Attacke war heftig und warf Talas Blade fast bis an den Rand des Stadiums. „Halt die Schnauze, Tala! Du solltest nicht über Sachen reden, von denen du nichts weißt!“, brüllte Kai und attackierte Wolborg erneut. „Was gibt es da zu wissen? Du bist ein jämmerlicher, kleiner Speichellecker, Kai. So sieht’s aus!“, Tala hielt dagegen und sein und Kais Blick trafen sich. In ihrem Innersten spürten sie Beide genau das gleiche Gefühl, dass man schon lange nicht mehr Zorn nennen konnte… Es war egal, dass die Zeiten der Abtei vorbei waren. Es war egal, dass sie inmitten einer Menschenmenge waren, die inzwischen begonnen hatte auf sie einzureden. Was jetzt zählte, war nur noch eines: Es hatte sich absolut nichts seit damals geändert! ~~~+~~~ Time keeps on slipping away and we haven’t learned So in the end now what have we gained? ~~~+~~~ “Was ist denn hier los?”, tönte es plötzlich und Bryan drängte sich dicht gefolgt von Spencer durch die Reihen der Blader, die ziemlich ratlos um die beiden Kämpfenden herumstanden und vergeblich versuchten sie zu beruhigen. Einige der Jugendlichen atmeten auf, in der Hoffnung, dass die beiden Russen ihre Teamkollegen wieder zur Vernunft bringen konnten. „Wir haben sie zu einem Match Zwei gegen Zwei herausgefordert und plötzlich sind sie durchgedreht“, berichtete Julia etwas geschockt über den Ausbruch der beiden sonst so stillen und kühlen Blader. Bryan sah sie einen Moment geschockt an, dann quiekte er mit unnatürlich hoher Stimme: „Ihr habt was gemacht? Seid ihr verrückt geworden?“ Hinter ihm stieß Spencer einen saftigen, russischen Fluch aus. „Wir dachten, dass es eine gute Idee wäre. Wer konnte denn ahnen, dass die Beiden plötzlich anfangen würden zu streiten. Ich meine, sie sind doch schließlich Freunde…“, erklärte Romero heftig gestikulierend. Die Reaktion der beiden Russen beunruhigte ihn ziemlich. „Freunde?“, stieß Bryan mit einer Mischung aus ungläubigem Lachen und verzweifeltem Schnaufen hervor. „Kai? Und Tala? Die Beiden hassen sich! Die können noch nicht einmal länger als zwei Minuten alleine in einem Zimmer sein, ohne sich gleich gegenseitig ermorden zu wollen!“ Ein lauter, schriller Schrei ließ sie alle zur Arena starren: Ein dunkles Glühen hatte sich von ihnen unbemerkt über das Beybladestadium ausgebreitet und einige Grasbüschel in pechschwarze Flammen gesteckt. Es hatte nur ein paar weitere Sekunden gedauert und Black Dranzer war erschienen, wunderschön und majestätisch wie sein rotes Ebenbild, aber verdorben bis ins Mark. Seine Flammen leckten über die Wände des Stadiums, waren aber noch soweit gezügelt, dass sie den Kunststoff nur qualmen ließen. Der Schnabel des Wesens war zu einen bösartigen Fauchen geöffnet, die dunklen Augen blickten gierig auf Tala. Der wiederum rief ebenfalls sein Bitbeast. Wolborg erschien sofort, eingehüllt in Eis und Schnee, um sich vor der teuflischen Hitze des Feuervogels zu schützen. Unter seinen Pfoten gefroren einige der kleineren Lohen und der Geifer, der von den weiß schimmernden Fangzähnen tropfte, zersplitterte, sobald er den Boden berührte, zu winzigen Eiskristallen. Die bernsteinfarbenen Augen des Bitbeasts suchten kurz nach seinem Herrn, dann sogen sie sich an der schwarzen Gestalt vor sich fest und ein wildes, drohendes Knurren entwich seiner Kehle. „Das wird Verletzte geben“, flüsterte Bryan und Spencer fluchte erneut. Und die Bitbeasts gingen aufeinander los… ~~~+~~~ Sanctus Espiritus, redeem us from our solemn hour Sanctus Espiritus, insanity is all around us Sanctus Espiritus, is this what we deserve, Can we break free from chains of never-ending agony? ~~~+~~~ Eine Druckwelle riss die Zuschauer von den Füßen, als Feuer auf Eis, Black Dranzer auf Wolborg traf. Der Eiswolf suchte sofort nach der Kehle des Feuervogels und verbiss sich in dem dichten Halsgefieder, während Black Dranzer mit dem Schnabel nach seinen Augen hackte und seine furchtbaren Klauen tief im weißen Fell versenkte. Um sie herum entstand ein Wechselspiel aus Eisbrocken und lodernden Flammen, die um die Vormachtstellung kämpften, sie jedoch einfach nicht erlangen konnten. Und über das Stadium hinweg trafen sich Kais und Talas Blicke, in denen reiner Hass zu erkennen war. Wie oft hatten sie einander schon so gegenüber gestanden, meist unter den spöttischen, aber auch zufriedenen Blicken von Boris? Wie oft schon war dieser Kampf unentschieden verlaufen? Wie oft hatten sie ihren Hass ein weiteres Mal zügeln und sammeln müssen, nach der nächsten Gelegenheit lechzend, um seine Quelle endlich ein für alle Mal loszuwerden? Doch dieses Mal würde alles anders werden. Denn eine winzige Kleinigkeit hatte sich verändert und das fragile Gleichgewicht war zerstört worden. Die beiden Bitbeasts spürten den Hass ihrer Besitzer und kämpften wilder und rücksichtsloser denn je. Unter ihren heftigen Attacken und dem sich stetig verändernden Wüten der Elemente zerbrach das Beystadium, wovon sich Kai und Tala allerdings nicht stören ließen. Zu sehr brannte das, was jahrelang in ihnen gewachsen war – Was man in ihnen herangezogen hatte! ~~~+~~~ Are they themselves to blame, the misery, the pain? Didn’t we let go, allowed it, let it grow? ~~~+~~~ Federn und Fellfetzen wirbelten durch die Luft und die Zuschauer erlebten etwas, was äußerst selten vorkam: Die Bitbeasts bluteten. In den meisten Matches kämpften sie zwar gegeneinander, verletzten sich aber nicht wirklich. Es blieb ein simpler Wettstreit, ein reines Kräftemessen, dass mehr auf ihren übernatürlichen Mächten beruhte als auf körperlichen Angriffen. Doch dieses Mal war es anders. Dieses Mal war es ein Kampf auf Leben und Tod. Wolborg und Black Dranzer gaben inzwischen kaum noch einen Laut von sich und rangen stumm miteinander, die Muskeln zum Zerreißen angespannt, das Toben der Elemente um sich herum ignorierend. Und doch schien keiner von ihnen gewinnen zu können. Schließlich lösten sie sich wieder voneinander und gingen auf Abstand. Beide Bitbeasts begannen sich zu belauern, erschöpft, aber dennoch immer noch bereit erneut anzugreifen und alles einzusetzen um den Gegner endgültig zu besiegen. Langsam wichen sie zurück, angespannt wie zwei Raubtiere, und hielten erst an der Seite ihrer Besitzer wieder an. Wolborg löste seinen Blick für einen winzigen Moment von Black Dranzer und warf Tala einen prüfenden Blick zu, dann knurrte er und zeigte dem pechschwarzen Phönix erneut das mächtige Gebiss. Der fauchte zur Antwort, während den Zuschauern eisige Schauer über den Rücken liefen: In der kurzen Sekunde, in der der Eiswolf abgelenkt gewesen war, hatte in Black Dranzers dunklen Augen eine ungeheure Wildheit aufgeleuchtet, gepaart mit reiner Mordlust und etwas, dass man einfach nur als absolute Bösartigkeit bezeichnen konnte. Tala und Kai waren von der Arena zurückgewichen als sie in tausend Stücke zerborsten war, standen sich aber noch immer gegenüber, die Augen voll brennendem Hass, der schon beinahe an Wahnsinn grenzte. Auch sie atmeten schwer von der Anstrengung ihre Blades am Kreiseln zu halten und ihre Bitbeasts mit zusätzlicher Energie zu versorgen, doch ihr Wille den Anderen zu besiegen – wenn nicht sogar mehr – war immer noch ungebrochen. Plötzlich schlich sich ein hämisches Grinsen auf Talas zu einer Grimasse verzerrtes Gesicht und er begann leise zu lachen. „Was ist denn so lustig? Freust du dich bereits auf deine Niederlage?“, wollte Kai wissen, leichte Unsicherheit in der Stimme. Tala schüttelte den Kopf, das unangenehme Grinsen noch immer auf den Lippen: „Nein, ich dachte nur gerade darüber nach, dass du das mächtigste Bitbeast der Welt in den Händen hältst – und mich trotzdem nicht besiegen kannst. Es hat sich eben wirklich nichts geändert, Kai.“ Er senkte die Stimme und sein Tonfall wurde schneidend. Das Grinsen wich einem Ausdruck purer Verachtung: „Elender Schwächling! Du bist immer noch genauso erbärmlich wie früher!“ Kais Augen weiteten sich und er überschritt die letzte Grenze: Seine deutende Hand befahl Black Dranzer den direkten Angriff auf Tala! ~~~+~~~ If we can’t restrain the beast which dwells inside It will find it’s way somehow, somewhere in time ~~~+~~~ Der schwarze Phönix kreischte vor Genugtuung auf und schlug mit den flammenden Schwingen. Sensen aus Wind und Hitze rasten auf den rothaarigen Russen zu, der sich gerade so noch mit einem Sprung zur Seite retten konnte. Die schneidenden Böen rasten ungehindert weiter, bis sie auf einen Baum trafen und ihn glatt durchschlugen. Erst dann verloren sie sich zu winzigen Funken, die schwarz und grün zu Boden sanken. Viele Blader hatten bei der direkten Attacke aufgeschrieen, doch nun wurden sie von Talas Stimme übertönt, der Wolborg anfeuerte auf Kai loszugehen. Der weiße Wolf zögerte kurz, gehorchte dann aber mit einem schaurigen Heulen und ließ Eiszapfen entstehen, die scharf und tödlich wie durchsichtige Schwerter auf Kai zuschossen. Auch dem silberhaarigen Blader gelang es irgendwie auszuweichen, nur um den Wahnsinn fortzusetzen und eine erneute Attacke zu starten. Die anderen Blader erwachten endlich aus ihrer Erstarrung und versuchten brüllend und schimpfend zu den Beiden durchzudringen, wagten sich aber nicht näher heran, aus Angst, von einer der immer härter und schneller aufeinander folgenden Attacken getroffen zu werden. Ein lautes Jaulen schien die Situation zu verändern: Wolborg brach getroffen zusammen, ein Bein fürchterlich blutend, nachdem er sich vor Tala geworfen hatte um ihn vor einer Windsense Black Dranzers zu schützen. Fiepend versuchte er wieder hochzukommen, doch selbst wenn es ihm gelingen würde, würde es zu spät sein um seinen Herrn vor dem inzwischen rasenden Black Dranzer zu retten. Kai sah wie sich Talas Gesicht vor Todesangst und Sorge um seinen Freund verzerrte und eisiger Triumph leuchtete in seinen Augen auf, der kurz darauf von etwas Anderem ersetzt wurde. Er zögerte sekundenlang die finale Attacke zu befehlen, Zeit genug für Wolborg, um seinerseits eine Salve Eiszapfen in Richtung Black Dranzer zu speien. Der Phönix wich mit einer beinahe lässigen Bewegung aus und schnarrte erbost, weil man ihm nicht gestattete die Sache zu Ende zu bringen. Kai dagegen schrie auf als ihn eines der Geschosse an der Schulter streifte und presste eine Hand auf die stark blutende Stelle. Den darauf folgenden, kurzen Moment der Stille nutzten Bryan und Spencer geistesgegenwärtig aus um ihre eigenen Blades zu starten und sowohl Wolborg als auch Black Dranzer aus dem Ring zu stoßen. Durch die plötzliche Attacke von unerwarteter Seite wurden beide Kämpfer so sehr überrascht, dass sie die Kontrolle über ihre Blades verloren, die beinahe sofort aufhörten sich zu drehen. Doch auch wenn die größte Gefahr gebannt zu sein schien, war es noch nicht vorbei, denn Tala und Kai machten Anstalten jetzt persönlich aufeinander loszugehen. Mehrere Blader stürzten sich auf sie und hielten sie zurück, so dass sie sich nur russische Verwünschungen und Schimpfwörter entgegenbrüllen konnten, während sie verzweifelt darum kämpften freizukommen und den Kampf doch noch weiter zu führen. Spencer versuchte Talas Arme an dessen Körper zu drücken und redete sanft aber bestimmt auf ihn ein, während auf seinem Gesicht ein prächtiges Veilchen blühte. Der Rotschopf achtete kaum auf ihn, bezog ihn höchstens in sein Geschimpfe noch mit ein, und versuchte zu Kai zu gelangen, den ein paar andere Zuschauer inzwischen zu Fall gebracht hatten. Bryan hockte auf seiner Brust, ein Knie auf den linken Arm gepresst, und versuchte verzweifelt Kais freie Hand einzufangen, tatkräftig unterstützt von Garland und Lee. Ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, flüsterte er die ganze Zeit die gleichen Worte, wie eine Beschwörung, vor sich hin: „Hört auf! Es ist doch vorbei! Es ist doch schon lange vorbei! Ihr seid doch gar nicht mehr in der Abtei! Es ist vorbei!“ ~~~+~~~ Will we remember all of the suffering Cause if we fail it will be in vain ~~~+~~~ Unbeachtet von den Beybladern standen sich Wolborg und Black Dranzer noch immer gegenüber, obwohl ihre Blades schon lange im Staub lagen. Ihre Körper zitterten vor Erschöpfung und Blut tropfte sowohl von Federn als auch von einstmals strahlendem Fell zu Boden, doch der Hass und der Wille ihrer Blader hielt sie noch immer in dieser Welt, wo sie sich drohend, wenn auch unfähig irgendetwas zu tun, anstarrten. Nur langsam verblassten ihre Konturen, beinahe widerwillig. Während Black Dranzer voller Hass, dass er noch immer gefangen war, aufschrie, galt der letzte Blick der bernsteinfarbenen Augen Tala und Kai… ~~~+~~~ Sanctus Espiritus, redeem us from our solemn hour ~~~+~~~ Garland hatte Kais rechte Hand zu fassen gekriegt und redete nun ebenfalls auf Kai ein, erschrocken über den Hass, der dem silberhaarigen Halbrussen deutlich anzusehen war. Seine Pupillen waren winzig wie Stecknadelköpfe und er stieß noch immer Verwünschungen aus, während er sich verzweifelt wand um wenigstens einen mörderischen Blick auf seinen Feind werfen zu können. Inzwischen waren Ray und Michael Spencer zur Hilfe gekommen und gemeinsam versuchten sie den tobenden Tala ebenfalls von den Beinen zu holen. Auch die restlichen Blader hatte der Lärm inzwischen an den Ort des Geschehens geholt und mitten unter ihnen standen die Erwachsenen, unfähig zu entscheiden, was sie tun sollten. Niemand hatte jemals mit so etwas gerechnet… ~~~+~~~ Sanctus Espiritus, insanity is all around us ~~~+~~~ Schließlich verlor auch Tala den Halt, richtete sich aber sofort wieder auf und versuchte wieder hochzukommen. Spencers Arme schlossen sich wie Schraubstöcke um ihn und pressten ihm langsam die Luft ab. Der Sauerstoffmangel und die fehlende Bewegungsfreiheit taten mit der Zeit ihre Wirkung und Tala wurde sich langsam aber sicher wieder seiner Umwelt bewusst. Schwer atmend und so ausgepowert wie nach einem Marathon, sah er zu, wie Bryan wenige Meter von ihm entfernt Kai eine Ohrfeige nach der anderen versetzte, um auch ihn endlich wieder halbwegs zur Vernunft zu bringen. ~~~+~~~ Sanctus Espiritus, is this what we deserve, ~~~+~~~ Bryan ließ erst von Kai ab, als sich dessen blutroten Augen, die mehr als jemals zuvor zwei höllischen Infernos glichen, endlich langsam klärten. In der folgenden, atemlosen Stille waren seine verzweifelten, beinahe schon schluchzenden Worte klar und deutlich zu hören: „Hört endlich auf! Verdammt, ihr seid doch gar nicht mehr in der Abtei. Es ist doch vorbei…“ ~~~+~~~ Can we break free from chains of never-ending agony? ~~~+~~~ _________________________________________________________________________________ Ich hoffe ihr verzeiht mir die Feindschaft, aber es musste sein. Und jetzt mal ehrlich, kam euch Kais Aussage beim Match Tala gegen Garland nicht auch komisch vor? ^.~ Naja, Fragen wie immer an mich, wer ein Kommi schreibt, kriegt auch eine ENS wie's weitergeht. Apropos, ich habe im Moment ein kleines Problem, weil die Story schneller voranggeht als eigentlich geplant. Falls also jemand Vorschläge hat, was noch so passieren könnte, soll er sich melden. ^^" Ansonsten muss ich alles Schlag auf Schlag erfolgen lassen. Also dann, bis zum nächsten Kapitel: "Schattenspiele" Kapitel 6: Schattenspiele ------------------------- Ich warne euch vorher: Der Erste, der mir mit Yu-Gi-Oh kommt, kriegt ordentlich was zu hören (auf den Titel schiel). Ansonsten hoffe ich, dass ihr auch dieses Laberkapitel gut übersteht und ich euch nicht zu sehr verwirre. ^^ _________________________________________________________________________________ Wie lange genau Tala und Kai gekämpft hatten, wusste niemand. Auch die Zeit, in der die Beyblader einfach nur dagesessen hatten, die Blicke wachsam auf die beiden Streithähne gerichtet, aus deren Augen der Hass nur langsam weichen wollte, hatte niemand gestoppt. Fakt war, dass sie alle erst gegen Abend ins Camp zurückkehrten, müde, noch immer geschockt und halb verdurstet. Mehr als ein Gesicht wies inzwischen eine ungesunde Rotfärbung auf, doch kaum einer beachtete die Schmerzen. Während sich Tala, aufmerksam beobachtet von seinen Teamkollegen, auf den Boden der Küche setzte und eine Dose Cola hinunterstürzte, wurde Kai von Hiro, Judy und Mr. Dickinson zu seinem Zimmer dirigiert. Ruhig und unterkühlt, so als nie etwas geschehen wäre, setzte sich der Junge auf sein Bett und sah zu den drei Erwachsenen auf. Sein Blick wirkte leer und nichts sagend, doch seine ins Laken verkrampften Finger zeigten, wie angespannt er noch immer war. Judy verschränkte die Arme vor der Brust und musterte den Sitzenden kühl, während auf Mr. Dickinsons Gesicht ein ungewöhnlich zorniger und ernster Ausdruck zu sehen war. Fahrig wischte er sich mit einem Taschentuch die Schweißperlen von der Stirn, dann fixierte er Kai mit einem keinen Widerspruch duldenden Blick: „Kai! Gib mir deinen Beyblade!“ Zum zweiten Mal an diesem Tag blitzte Hass in Kais Augen auf, doch nur kurz, dann war er wieder verschwunden, verborgen hinter einer perfekten Maske aus Eis. „Nein“, sagte er schlicht und schüttelte den Kopf. „Das ist keine Bitte mehr, Kai!“, brüllte Mr. Dickinson und zuckte zusammen, selbst wohl am meisten erschrocken über diesen Ausbruch. Er atmete einmal tief durch, dann richtete er seinen Blick fest auf den silberhaarigen Beyblader und sprach ruhig weiter: „Das ist keine Bitte mehr… Es ist zu gefährlich, wenn Black Dranzer in deinem Besitz ist. Du hast doch selbst gesehen, was passiert ist! Du hättest Tala beinahe umgebracht!“ Seine schockierte Stimme verriet Kai, dass der Leiter der BBA ihm die Schuld an dem gab, was gerade passiert war. Er war erst später dazugekommen und nahm an, dass Kai den Streit begonnen hatte, dass Tala sich nur gewehrt hatte… Und egal was sein Gegenüber zu seiner Verteidigung vorbringen würde, er würde ihm nicht glauben. „Ich habe Black Dranzer unter Kontrolle…“, sagte der silberhaarige Blader fest und fixierte einen imaginären Punkt auf der Höhe von Mr. Dickinsons Brustkorb. Er wusste selbst, dass sich seine andauernden Beteuerungen immer unglaubwürdiger anhörten. Aber was sollte er schon sagen? Glauben würde ihm eh keiner… „Sehen so deine Vorstellungen von Kontrolle aus, Kai? Das kann ich nicht glauben!“, wieder wurde der ältere Mann lauter, nahm sich dieses Mal aber nicht zurück. „Es hat dich fast vollends in seiner Gewalt. Wer wird der Nächste sein, auf den du losgehst? Erst Tyson, dann Tala… Wer wird der Nächste sein? Und was, wenn dann keine Rettung in letzter Sekunde gibt? Hast du darüber schon einmal nachgedacht, Kai?“ Hiro öffnete den Mund um Mr. Dickinson zu widersprechen, er konnte einfach nicht zulassen, dass man den jungen Blader zu Unrecht derart beschuldigte, doch Judy kam ihm zuvor. Man sah ihr an, dass sie nicht sonderlich gerne Partei für Kai ergriff und nichts lieber gesehen hätte, als Black Dranzer hinter zentimeterdickem Stahl, doch ihre Moralvorstellungen ließen nicht zu, dass sie die Wahrheit verschwieg, auch, wenn sie die Situation nicht gerade vereinfachte. „Kai ist nicht auf Tala losgegangen. An diesem Wahnsinn da draußen waren sie Beide gleichermaßen beteiligt. Und wenn ich es richtig mitbekommen habe, besteht der Streit zwischen ihnen schon wesentlich länger…“, sie musterte Kai forschend, der keine Regung von sich gab. Hiro hätte ihn für seine derzeitige Passivität am liebsten erwürgt. Warum sagte er denn nicht einfach die Wahrheit, seinetwegen sogar die ganze, und räumte alle Anschuldigungen ein für alle mal aus der Welt? So machte er allen Anwesenden die Sache nur unnötig schwer. „Ist das wahr?“, Mr. Dickinson stellte diese Frage nicht Kai, sondern Hiro, der dadurch aus seinen Gedanken gerissen wurde. Tysons Bruder nickte und der andere Mann seufzte. „Worum geht es bei eurem Streit, Kai? Ich dachte, du und Tala wärt Freunde“, verlangte er zu wissen. Kai schnaubte und schüttelte den Kopf: „Wir waren noch nie Freunde… Und worum es geht, geht niemanden etwas an!“ Die Luft im Raum schien plötzlich dicker zu werden und sich abzukühlen, während in die rubinroten Augen ein seltsamer Glanz trat: „Sie sollten aufhören ihre Nase in Angelegenheiten zu stecken, die sie nichts angehen! Dazu gehört sowohl mein Verhältnis zu Tala als auch Black Dranzer, den ich ihnen auf keinen Fall geben werde! Und jetzt sollten sie gehen. Das Gespräch ist beendet!“ Judy war empört über diese Unverschämtheit, doch die seltsame Präsenz, die sich immer weiter im Raum ausbreitete und sie frösteln ließ, sagte ihr, dass sie lieber schweigen sollte. Auch Mr. Dickinson schien nichts riskieren zu wollen und nickte. Während er sich zur Tür umdrehte, sprach er jedoch eine unmissverständliche Drohung aus: „Wenn noch einmal irgendetwas, egal was, vorfallen sollte, Kai… Dann werde ich dich in Zukunft von sämtlichen Wettkämpfen und sonstigen Veranstaltungen der BBA ausschließen! Unwiderruflich!“ Hiro warf Kai einen bestürzten Blick zu, doch dieser hatte sich wieder in den Griff bekommen und starrte stur geradeaus. Die Kälte schwand wieder dahin und das Gefühl der Bedrohung nahm kontinuierlich ab, auch wenn ein Hauch davon zu bleiben schien. Tysons Bruder wartete, bis Judy und Mr. Dickinson den Raum verlassen und den Gang hinunter gegangen waren, dann trat er ein paar Schritte auf Kai zu, den Mund geöffnet. Was genau er sagen wollte, wusste er selbst nicht. Vielleicht wollte er dem Jungen Trost spenden, vielleicht sich endlich entschuldigen, vielleicht selbst auf ihn einreden, dass er das Bitbeast aufgeben sollte… Aber er kam nicht dazu. Ein kalter Blick streifte ihn, dann starrte Kai wieder geradeaus. „Verpiss dich!“, befahl der silberhaarige Blader und Hiro blieb stehen. Kurz zögerte er noch, dann wandte er sich zur Tür. „Ich bring dir gleich etwas zu trinken, vielleicht auch etwas zu essen vorbei“, versprach er. „Verpiss dich endlich!“, war die einzige Antwort, die er bekam. Als Hiro in die Küche trat, saßen die meisten Beyblader um den langen Tisch in der Mitte des Raumes herum und beobachteten Mr. Dickinson und Tala, die ziemlich lautstark diskutierten. Offensichtlich erhielt gerade der zweite Russe seine verdiente Standpauke und gab sich dabei ähnlich verstockt wie Kai. Allerdings glaubte Tysons Bruder nicht, dass dem Rotschopf ein ähnliches Ultimatum wie dem silberhaarigen Beyblader gestellt werden würde. Hiro ging an den Jugendlichen vorbei zum Kühlschrank und nahm eine Flasche Wasser heraus. Dann begann er ein paar Brote zu schmieren. Man sagte ja immer, dass Liebe durch den Magen ging… Gut, ganz so weit wollte er nicht gehen, aber vielleicht würden die Brote zumindest als Friedensangebot Beachtung finden und Kai wurde etwas redseliger. Am Rande registrierte er, wie Mr. Dickinson und Tala ihren Disput beendeten und sich der rothaarige Russe auf einen freien Stuhl fallen ließ, immer noch unter strengster Beobachtung vom Rest der Anwesenden. Er starrte wütend zurück, doch verglichen mit dem Hass, der noch vor kurzer Zeit in seinem Augen gelodert hatte, war sein Zorn geradezu lächerlich und alles andere als einschüchternd. Eine Weile war es still, dann rang sich Garland zu den Worten durch, die ihm nun schon seit längerer Zeit auf der Zunge brannten: „Ich weiß, dass ihr der Meinung seid, dass uns das alles nicht angeht. Also mich, die restlichen Justice Five und ein paar andere Teams – aber ich denke, nach dem, was heute passiert ist, haben wir auch ein Recht zu erfahren, was die Abtei ist.“ „Und was bei der Weltmeisterschaft vor drei Jahren genau passiert ist“, murmelte Mystel. „Ihr habt gesagt, Kai hätte Bitbeasts gestohlen. Aber nicht freiwillig.“ Tala schnaubte spöttisch: „Und ob der das freiwillig gemacht hat.“ Ray warf ihm einen wütenden Blick zu, zögerte aber zu widersprechen. Woher sollten sie schon genau wissen, was damals in Kais Kopf vorgegangen war? Das wussten sie ja noch nicht einmal heute! Mr. Dickinson warf einen Blick auf die erwartungsvollen Gesichter der jüngeren Beybladeteams, dann sah er kurz zu Judy, die ratlos mit den Schultern zuckte. Er seufzte und wischte sich erneut den Schweiß von der Stirn, dann nickte er: „Also schön… Vielleicht ist es wirklich besser, wenn ihr Bescheid wisst. Aber ihr müsst eins bitte bedenken: Das ist alles bereits drei Jahre her und seit damals hat sich Einiges geändert, wie Tala und sein Team bereits deutlich bewiesen haben.“ Hiro schob die Brote beiseite und setzte sich zu den Anderen. Kai konnte warten… Mr. Dickinson hatte die ehemaligen Bladebreakers gebeten, zuerst zu erzählen, wie sie Kai vor drei Jahren kennen gelernt hatten, damit die jüngeren Teams eine ungefähre Vorstellung von der damaligen Situation bekamen. Sie berichteten Garland, Mystel, Miguel und den anderen von den Bladesharks, von Kais manchmal unerklärlichem Verhalten und schließlich von ihrer Ankunft in Russland. Wie überrascht sie über die kalte, bedrohliche Stimmung unter den dortigen Bladern gewesen waren, wie sie zum allerersten Mal die Abtei betreten hatten, geblendet von der Pracht der Empfangshalle und unwissend, was es tatsächlich damit auf sich hatte. Sie erzählten von Boris, der auf Kai eine seltsame Wirkung gehabt hatte, und wie ihr Teamleader am Abend plötzlich verschwunden war. Auf der Suche nach ihm waren sie dann das erste Mal auf Tala und sein Team getroffen, die sie mit Lügen abgewimmelt hatten. Kai hatten sie erst bei der Weltmeisterschaft wieder getroffen, mit Black Dranzer und auf Seiten des russischen Teams. Hier unterbrach Mr. Dickinson die Bladebreakers und ließ die Blitzkrieg Boys erklären, was es tatsächlich mit der Abtei auf sich gehabt hatte. Sie verschafften den neueren Teams nur einen groben Überblick über das, was tatsächlich dort passiert war, aber es reichte, um den Zuhörern einen kalten Schauer über den Rücken zu jagen und sie zumindest ansatzweise verstehen zu lassen, warum sich die fünf Russen in ihrem Verhalten manchmal so sehr von anderen Bladern unterschieden – und warum sie Boris so sehr hassten. Schließlich erzählte Tyson vom Match auf dem Baikalsee und wie sie Kai wieder zurückgewonnen hatten, nur, damit er ihnen beichten konnte, dass sein eigener Großvater der Kopf hinter der Abtei war und all das bereits von langer Hand geplant hatte. Gemeinsam gelang es ihnen die Weltmeisterschaft zu gewinnen und doch noch alles zum Guten zu wenden, so dass die Blitzkrieg Boys heute, drei Jahre später, freie Blader waren und Voltaire hinter Gittern saß. Nachdem die ehemaligen Bladebreakers ihren Bericht beendet hatten, herrschte eine unangenehme Stille, in der sich die Mitglieder der neuen Teams ihre Gedanken über das soeben Erfahrene machten. Vieles von dem, was ihnen Tala und seine Freunde erzählt hatten, konnten oder wollten sie nicht glauben, auch wenn die vier hatten durchblicken lassen, dass sie nur einen Bruchteil von dem wussten, was wirklich geschehen war. Aber warum sollten die Russen lügen? Garland durchbrach erneut als Erster die Stille, einen schuldbewussten Ausdruck auf dem Gesicht, den er mit allen Mitgliedern der Justice Five teilte: „Es… Es tut mir Leid, dass wir Boris geholfen haben…“ „Uns!“, berichtigte Brooklyn und übertönte dabei ein leises „Mir auch“ von Ming Ming, die auf ihrem Stuhl zusammengesackt war. Crusher nickte heftig, während Mystel nur schluckte und froh war, dass Boris erneut gescheitert war. Wer wusste schon, was sonst passiert wäre? „War die Abtei denn wirklich so schlimm?“, fragte Julia leise und sah den ihr am nächsten sitzenden Russen, Bryan, mitfühlend an, der ihr daraufhin eine Grimasse schnitt. Was sollte er schon mit ihrem Mitleid, wenn es doch eh nichts ändern konnte? „Ich war vier, als ich damals mit meinem Bruder zusammen in die Abtei kam“, ertönte eine leise Stimme hinter Julia. Niemand hatte bemerkt, wie Kai während des Berichts der Blitzkrieg Boys den Raum betreten hatte. Er lehnte an der Wand neben der Tür, noch blasser als sonst, trotz des Sonnenbrands, der Blick ruhig auf die Anwesenden gerichtet, die Stimme jedoch beinahe tonlos. „Mit… mit fünf Jahren…, hatte ich keinen Bruder mehr“, fuhr er fort. Einige Zuhörer schnappten nach Luft, während die anderen einige Sekunden länger brauchten, um den Sinn von Kais Worten zu verstehen. Der silberhaarige Beyblader nutzte die kurze Zeit um neben Hiro zu treten, die Wasserflasche an sich zu nehmen und dann wieder zur Tür zu gehen. Als sie sich leise hinter ihm schloss, hatte auch der Letzte im Raum verstanden, was geschehen war… Hiro sah Kai nach, wie er, den Rücken durchgestreckt, die Schultern straff, mit festen Schritten den Raum verließ. Seine ganze Körpersprache sollte aussagen, dass es ihm gut ging, dass er stark war und ihn die ganze Sache nicht mehr berührte… Aber Tysons Bruder wusste, dass es anders war, denn für ihn hatte sich mit Kais Enthüllung ein neues Puzzleteil ergeben, das scheinbar vieles von dem, was bisher geschehen war, miteinander verband und verständlich machte. Ein trauriges Lächeln schlich sich auf seine Lippen… Die meisten Blader sahen betreten zu Boden und registrierten kaum, wie ihr Groll gegen Kai in sich zusammenschrumpfte. Sie hatten bisher noch nicht einmal gewusst, dass der silberhaarige Beyblader einen Bruder gehabt hatte. Einzig Tala zeigte keine Reaktion und starrte weiterhin düster auf die Tischplatte vor sich. Erneut herrschte betretenes Schweigen, noch unangenehmer als zuvor, angefüllt mit düsteren Erinnerungen, Scham und Mitgefühl. Keiner schien die Stille freiwillig durchbrechen zu wollen, stattdessen duckte man sich unbewusst unter der immer drückender werdenden Atmosphäre im Raum und versuchte sogar seinen eigenes Atmen zu unterdrücken, während einem der Herzschlag unpassend laut in den Ohren dröhnte. Romero seufzte schließlich laut und erstarrte, als plötzlich alle Augen auf ihm, dem taktlosen Störenfried ruhten. Linkisch grinsend versuchte er sich aus der Affäre zu ziehen, erreichte aber nur, dass man ihn noch böser ansah. Also gab er auf und seufzte erneut. Wenn er jetzt schon alle gegen sich hatte, konnte er sie auch vollends gegen sich aufbringen: „Was mich interessieren würde… Wenn Kai wusste, was dieser Black Dranzer für eine Wirkung auf ihn und seine Umgebung hat, warum hat er ihn dann noch einmal eingesetzt und damit riskiert, dass er dieses Mal ernsthaft Leute verletzt?“ Die finsteren Blicke wurden geradezu tödlich: Kai war durch eine einzige Aussage bei vielen plötzlich vom schlimmsten Feind zu einer der bemitleidenswertesten Personen der Welt geworden – oder schwankte zumindest zwischen beiden Titeln… Aber wenn man schon die Auswahl hatte, dann lieber in ihm ein Opfer sehen, als sich der Tatsache stellen, dass er mit einer tödlichen, höchst intelligenten und vor allem grausamen Waffe herumspielte. Und da war jemand, der einem diesen Umstand fatalerweise wieder ins Gedächtnis rief, eben nicht gerne gesehen… „Vielleicht hat er ihn unterschätzt“, murmelte Tyson und malte mit einem Finger unsichtbare Linien auf die Tischplatte. Vielleicht waren er und seine Kameraden etwas zu hart mit Kai umgesprungen. Gut, es war nicht das erste Mal, dass er ihnen plötzlich als Gegner gegenüberstand und dass er erneut auf Black Dranzer zurückgriff war ein Verrat ohnegleichen, aber trotzdem… Ihm fiel kein wirklich guter Grund ein, Kai noch eine Chance zu geben – aber innerlich seufzend stellte er fest, dass er es wohl wieder tun würde. Er wurde eben auch nicht schlauer… Neben ihm seufzte Max und Ray schüttelte über sich selbst verärgert den Kopf: Seine Freunde waren zum selben Schluss gekommen und er schien ihnen eben so wenig zuzusagen, wie ihm. Aber vielleicht konnten sie Kai ja wenigstens dazu überreden, Black Dranzer endgültig aufzugeben? Tyson schnaubte: Als ob sie Kai jemals zu irgendetwas überredet bekommen hätten… „Wahrscheinlich“, stimmte Max resignierend zu und verfluchte sein eindeutig viel zu gutes Herz. „Aber er hat die Kontrolle wieder zurückgewonnen, bevor Tyson verletzt wurde. Das lässt zumindest hoffen…“ „Kai hat niemals die Kontrolle verloren!“, mischte sich Hiro plötzlich ein. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Jetzt, wo er glaubte den Silberhaarigen zumindest ansatzweise zu verstehen, hatte er endlich die Kraft und den Mut finden können, den richtigen Weg zu wählen. „Kai hat auch Black Dranzer nicht wirklich freiwillig genommen. Es war eine Lektion… Eine Lektion für mich!“, er beugte sich vor, stützte die Arme auf der Tischplatte ab und sah seinen kleinen Bruder, der ihn neugierig und leicht zweifelnd musterte, entschlossen an: „Ich denke, ich muss euch etwas beichten…“ „Also soll Kai das alles nur gemacht haben, damit du deine Pläne aufgibst?“, fragte Johnny skeptisch und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Entschuldige bitte, aber das kann ich nicht glauben. Das klingt so gar nicht nach dem Kai, den ich kenne.“ „Genau, warum sollte er etwas tun, wovon er genau genommen gar nichts hat? Das passt nicht zu ihm“, pflichtete ihm Enrique zu, während Oliver zweifelnd zu Boden blickte. „Das du ihm dieses Bitbeast aufgeschwatzt hast, glaube ich dir vielleicht noch, Hiro. Aber sonst…?“, Garland schüttelte den Kopf. „Ich kenne Kai vielleicht noch nicht allzu lange, aber ich weiß, wie berechnend und ehrgeizig er ist. So jemand riskiert nicht alles nur um eine simple Lektion zu erteilen… Vor allem nicht so eine!“ „Und der Angriff sah verdammt echt aus“, fügte Mystel hinzu und erschauderte bei dem Gedanken an das pechschwarze Bitbeast, das auf Tyson zuraste. „Er ist eben ein guter Schauspieler. Wie sonst sollte er diese gottverdammte Maske die ganze Zeit aufrechterhalten, hinter der er all seine Gefühle verbirgt?“, versuchte Hiro die Zweifel zu zerstreuen. Mystel schenkte ihm einen zweifelnden Blick, dann wandte er sich ab. „Hiro… Deine guten Absichten in allen Ehren, aber Kai ist ein menschenverachtender Bastard, den nichts weniger kümmert als sein direktes Umfeld… Warum bitte sollte er sich darum kümmern, ob du Tyson nun mit deinen Plänen nun gefährdest oder nicht?“, erklärte Michael mit einer Stimme, als rede er mit einem kleinen Kind oder einem Verrückten. „Viel wahrscheinlicher ist, dass er sie sogar noch fördern würde. Wenn Tyson wegen irgendetwas nicht mehr bladen könnte, wäre er schließlich die Nummer Eins“, murrte Lee aus dem Hintergrund und zuckte nur mit den Schultern, als Mariah ihm daraufhin einen bösen Blick zuwarf. „Ist doch wahr!“ Hiro ächzte. Irgendwie hatte er sich das anders vorgestellt. Plötzlich schienen alle davon überzeugt zu sein, dass er das alles nur erzählt hatte, um den Halbrussen irgendwie zu entlasten und die Stimmung war sofort wieder zu Ungunsten des silberhaarigen Bladers umgeschlagen. Dabei hatte er Kai doch helfen wollen. War die Geschichte denn so unglaubwürdig…? Ja, gut, zugegeben, war sie – aber sie war nun einmal wahr! „Und außerdem… Nehmen wir einmal an, deine Story würde tatsächlich den Tatsachen entsprechen, was sie nicht tut. Warum sollte Kai uns das verschweigen und absichtlich alle Schuld auf sich nehmen?“, fragte Emily und rückte ihre Brille zurecht. „Wahrscheinlich hat er endlich seine humane Ader entdeckt. Ich wette, sie war unterm Bett. Da finde ich immer alles Mögliche“, flüsterte irgendjemand im Hintergrund und gedämpftes Gelächter erklang. Robert sah sich nach den Störenfrieden um, bereits ein ernstes Wort auf den Lippen, fand aber nur unschuldige Gesichter vor. „Oder er hat auf den Kalender gesehen und bemerkt, dass er seine gute Tat für dieses Jahr noch nicht getan hat und dachte, es würde mal langsam Zeit werden“, dieses Mal war es eindeutig Lee, doch es kam zu keinem Verweis, da die Mehrheit der Beyblader lachte und selbst Robert ein Schmunzeln nicht unterdrücken konnte. Hiro spürte, wie ihm langsam der Kragen platzte: „Wegen seinem Bruder!“ Urplötzlich ebbte das Gelächter ab und vereinzeltes, beschämtes Husten war zu hören, wo das letzte Gekicher abgewürgt wurde. Tysons Bruder nutzte die Pause um seine Theorie zu erklären: „Kai weiß, wie es sich anfühlt, jemand Wichtigen zu verlieren und wollte verhindern, dass ich Tyson meinen bescheuerten Plänen opfere, weil er genau wusste, dass ich das mein Leben lang bereuen würde. Also hat er mir eine Lektion erteilt und mir vor Augen geführt, dass manche Dinge viel zu wertvoll sind, um sie zu riskieren…“ „Und er hat nichts gesagt, weil…“, wollte Garland die Theorie fortführen, wurde aber von Hiro unterbrochen: „Weil er sicherstellen wollte, dass ich Tyson nicht doch noch verliere. Er hat es mir überlassen, ob ich meinem Bruder die Wahrheit erzähle oder lieber ihn als Sündenbock benutze. Schließlich ist alles, was geschehen ist, meine Schuld.“ „Und du wolltest Letzteres tun?“, wollte Tyson wissen, die Arme vor der Brust verkreuzt, der Blick ungewohnt frostig. Hiro schüttelte den Kopf, während sich in seinem Inneren alles zusammenzog: „Nein… Ich wollte mit Kai reden, weil ich ebenso wenig verstanden habe, wie ihr, warum er das alles gemacht hat. Und ich wollte mich bei ihm entschuldigen, aber er hat mir keine Gelegenheit gegeben. Dann wollte ich es dir sagen.“ Tyson musterte ihn prüfend, dann nickte er: „Ich glaube dir! Und ich verzeihe dir!“ Hiro fiel ein Stein vom Herzen und er atmete sichtlich auf. Wer hätte je gedacht, dass er einmal vor seinem kleinen Bruder zu Kreuze kriechen müsste… „Aber dafür schuldest du mir was!“, das Grinsen auf Tysons Gesicht schien mit dem Wachsen gar nicht mehr aufhören zu wollen und Hiro fühlte, wie ihm schlecht wurde. Während er in Gedanken schon mal durchging, was sein kleiner Bruder so alles von ihm fordern könnte, schwor er sich, von nun an jedes Mal, wenn er eine Schnapsidee hatte, diese vorher von irgendjemand Vernünftigen absegnen zu lassen. „Aber mit seiner Attacke hat er ziemlich viel riskiert“, warf Enrique ein. Ian zuckte mit den Schultern und rutschte auf seinem Stuhl herum, so weit das sein Gipsbein zuließ: „Kai kann in der Wahl seiner Mittel manchmal ganz schön drastisch sein.“ Er warf einen Seitenblick zu Tala, doch der schien in seinen eigenen Gedanken versunken und nicht wahrzunehmen, dass eines seiner Teammitglieder gerade seinen größten Feind verteidigt hatte. Brooklyn grinste verlegen und nickte: „Das kann ich bestätigen…“ Hiro dagegen sah auf die Tischplatte. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich es anders kapiert hätte“, gab er zu. Erneut folgte Schweigen. Hiro war froh, dass man ihm inzwischen zu glauben schien, auch wenn niemand auch nur auf die Idee kam, aufzustehen und sich bei Kai zu entschuldigen. Da war leider immer noch ein sehr echter, dunkler Schatten zwischen ihm und den anderen Beybladern. Sein Blick fiel auf Tala, der gedankenverloren aus einem Fenster starrte, die Stirn gerunzelt, die Augen seltsam fern. Kurz zögerte er, dann machte er sich klar, dass eine Abfuhr von dem rothaarigen Russen nicht gefährlicher sein konnte als eine von Kai: „Tala?“ Der Rotschopf zuckte zusammen und warf ihm einen unwilligen Blick zu. „Warum hasst du Kai so?“ „Geht dich nichts an“, antwortete der Russe schon fast gelangweilt und machte sich noch nicht einmal die Mühe, Hiro finster anzublitzen. Tysons Bruder warf Ian einen fragenden Blick zu, doch dieser zuckte nur die Schultern. Ein weiterer Blick zu den anderen beiden Blitzkrieg Boys machte klar, dass sie genauso wenig wussten, was genau zwischen ihren Kameraden vorgefallen war. Allerdings sah man ihnen an, dass sie zumindest eine Art Ahnung hatten. Tala war derweil schon wieder abgedriftet und widmete sich erneut der Aussicht. Bryan warf ihm einen prüfenden Blick zu, dann lehnte er sich vor: „Du hast gesagt, Kai hätte dich gefragt, wie weit du bereit bist zu gehen… Hat er… Hat er eigentlich vorher noch mehr solche Fragen gestellt?“ Hiro überlegte kurz, dann nickte er. Seit Kais Lektion hatte er viel Zeit damit verbracht, sich ihre Gespräche immer und immer wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. Er schloss kurz die Augen, dann zählte er, neugierig beobachtet von den restlichen Anwesenden, die Fragen auf: „Er hat mich gefragt, wie weit ich eigentlich noch gehen wolle, um Tyson stärker zu machen – und, wie weit ich denke, dass ich tatsächlich gehen kann. Warum?“ Bryan verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Es sind Grundsätze“, antwortete er im gleichen Moment wie Tala: „Es ist ein Spiel“, sagte. Beide sahen sich einen kurzen Moment an, Bryan verwirrt, Tala mit den Augen rollend, während der Rest der Blader nicht ganz wusste, was er von diesen Aussagen nun zu halten hatte. „Hätte vielleicht irgendeiner von euch Beiden die Güte, uns auch einzuweihen?“, fragte Johnny betont höflich und tappte mit den Fingern ungeduldig auf der Tischplatte. Bryan zuckte mit den Schultern und nickte Tala zu, der seufzte und sich endgültig vom Fenster abwandte. „Also gut… Diese drei Fragen kann man als die drei Grundsätze der Abtei bezeichnen, wenn man so will. Aber angefangen haben sie als Spiel, allerdings waren Bryan, Spencer und Ian damals noch nicht in der Abtei.“ „Ihr hattet da Spiele?“, fragte Garland überrascht und ungläubig zugleich. „Klar, eine Menge“, meinte Tala trocken. „Beybladen, Fangen mit den Wärtern, Verstecken vor Boris, Unsere kleine Folterkammer, Mein kleiner Experimentierkasten, Selbstversuche leichtgemacht, ach ja, und die harmlosen Prügeleien zwischendurch natürlich nicht zu vergessen…“ Drei bitterböse Blicke bohrten sich in den Rücken des Rotschopfs, während er Rest zwischen Belustigung und Mitgefühl schwankte. „Also, um noch einmal auf deine Frage zurückzukommen, ja, wir hatten Spiele, wenn auch nicht viele. Außerdem würdet ihr sie nicht unbedingt als solche empfinden. Dieses Spiel bestand aus den besagten drei Fragen“, er hielt drei Finger hoch. „Erstens: Wie weit willst du gehen? Zweitens: Wie weit kannst du gehen? Drittens: Wie weit wirst du letztendlich gehen?“, mit jeder Frage knickte er einen Finger ein. „Und? Was für einen Sinn hatte das?“, fragte Johnny, dieses Mal ohne den nutzlosen Versuch höflich zu sein. „Es war eine Art Wette. Zuerst hast du dein Ziel genannt, was meistens unmöglich zu erreichen war. Dann das, was du wusstest, tatsächlich leisten zu können. Und drittens… Drittens wurde dann im Nachhinein geklärt, wenn du versucht hast deine Wette zu erfüllen, obwohl du genau wusstest, dass es dir nicht möglich sein würde.“ Er sah in die Runde. „Ahja“, ertönte es intelligent von Lee. „Ich hab keine Ahnung, welchen Sinn das haben soll. Und das hat euch Spaß gemacht?“ „Nein, aber wir waren beschäftigt und konnten uns einreden, dass wir fähig wären, wie ganz normale Kinder zu spielen!“, knurrte Tala und warf Lee einen finsteren Blick zu. „Außerdem, wie schon gesagt, waren es zugleich auch die Grundprinzipien der Abtei und irgendwie tat es gut, dass wir das Gefühl hatten, diese Einrichtung wenigstens etwas durchschaut zu haben.“ Er lehnte sich zurück und fuhr sich durchs Haar: „Wir erkläre ich euch das am besten… Ein Beispiel: Du sollst eine gewisse Anzahl an Runden in einer bestimmten Zeit laufen, nehmen wir mal an, zwanzig.“ „Wie wenig“, murmelte Ian. „Aber in eisiger Kälte“, warf Spencer ein. „Nach vorherigem harten Training“, fügte Bryan abwesend hinzu. „Ruhe dahinten!“, kommandierte Tala und wandte sich dann erneut seinem Beispiel zu: „Erstens: Das Ziel sind zwanzig Runden, also willst du die natürlich auch schaffen, weil dich sonst Prügel erwarten, ja nachdem, wie viele Runden du nicht geschafft hast. Zweitens: Du hast bereits einige Stunden Training hinter dir, bist hungrig, vollkommen übermüdet und hast das Gefühl, jeden Moment zu erfrieren. Außerdem weißt du, dass du das gesetzte Limit auch vollkommen fit niemals erfüllen könntest. Die Anzahl der Runden, die du schaffen kannst, beträgt rein objektiv gesehen zehn oder elf. Bis hierhin verstanden?“ Er warf einen Blick in die Runde und sah lauter nickende Köpfe. „Hätte ich nicht gedacht!“, entrüstetes Schnauben kam aus einigen Ecken. „Du weißt also, wie viele Runden du schaffen willst und wie viele du schaffen kannst. Nun wettest du darauf, wie viele Runden du tatsächlich schaffen wirst. Zwanzig sind das Ziel, zehn sind möglich… Und fünfzehn Runden wirst du letztendlich am Ende der Zeit absolviert haben.“ „Das ist unlogisch, Tala… Du hast doch gesagt, dass der Läufer in deinem Beispiel nur zehn Runden schaffen kann“, meinte Garland. Er verstand noch immer nicht ganz, worauf der Rotschopf hinauswollte, und kam sich ziemlich verarscht vor. Der Teamleader der Blitzkrieg Boys grinste bitter: „Du weißt ja gar nicht, wie sehr man über sich hinauswächst, wenn man die entsprechende, liebevolle Motivation im Hintergrund hat. Die Frage ist bloß, ob dir das Ergebnis tatsächlich hilft, denn nach dem Laufen kommen bereits die nächsten Trainingsstunden, die wieder nach dem gleichen Prinzip ablaufen und wenn du, voller Angst, zu viel Kraft darin investiert hast, deine Runden zu schaffen, kann es sein, dass du danach zusammenklappst und mehr Prügel beziehst, als du dir zuvor ersparen wolltest.“ „Das ist ein bescheuertes Spiel“, schloss Daichi nach einigen Minuten angestrengten Überlegens. „Und ziemlich grausame Grundprinzipien, wenn es nur darum ging, euch dazu zu bringen, mit Gewalt eure eigenen Grenzen zu überwinden, bis ihr es irgendwann nicht mehr fertig bringt“, fügte Emily nachdenklich hinzu. „Da erzählt ihr mir nichts Neues“, meinte Tala mit einer Grimasse und nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Wie viele Runden hättet ihr geschafft?“, fragte Ray zögernd und sah die vier Russen erwartungsvoll an. „Bei dem Beispiel, unter der Bedingung, dass wir danach noch weiter trainieren könnten?“, Tala überlegte kurz, den Kopf auf einer Hand abgestützt. „Zwanzig Runden gegeben, achtzehn angenommen, zwanzig geschafft.“ „Zwanzig, siebzehn, achtzehn“, murmelte Spencer. „ Von fünfzehn auf neunzehn? Oder auch achtzehn?“, Bryan schien sich nicht sicher zu sein. „Dreizehn, Vierzehn“, meinte Ian zerknirscht und verfluchte einmal mehr seine mangelnden, körperlichen Fähigkeiten. Zum Glück war er als Beyblader zu brauchbar gewesen, als das man ihm das sehr stark angekreidet hätte. Genau wie seine Teamkollegen. „Und Kai?“, fragte Hiro neugierig. Ians, Bryans und Spencers Gesichter wurden hart und zeigten Anzeichen von Abneigung, während sich Talas Augen erneut mit reinem Hass füllten. Seine Stimme war ätzend und auf seinen Lippen lag ein süßliches Lächeln bar jeden Humors, als er antwortete: „Kai, unser kleiner Streber… Der wäre, je nach Zeit und Möglichkeit, einundzwanzig bis dreiundzwanzig Runden gelaufen, hätte sich dann Boris’ Lob gesonnt und wieder einmal mehr bewiesen, was für ein schleimerisches Arschloch er doch ist. Das hat er jedes Mal getan… Jedes Mal, wenn man ihm ein Limit gesetzte hat, hat er mit Freuden alles daran gesetzt es zu überschreiten um Opi und Boris glücklich zu machen. Dieser…“ Ein helles Klirren erklang, als das Glas, das Tala bis eben noch in der Hand gehalten hatte, unter der erbarmungslos zudrückenden Hand seine Form aufgab. Der russische Teamleader blinzelte ein paar Mal milde überrascht auf das hellrote Blut, das in mehreren dünnen Rinnsalen auf den Tisch tropfte, dann begann er vorsichtig, aber ohne eine Miene zu verziehen, die Splitter aus seinem Fleisch zu ziehen. „Könntest du das vielleicht irgendwo machen, wo niemandem dabei schlecht werden kann?“, unkte Johnny nach ein paar Sekunden. Tala warf ihm einen kurzen Blick zu, eine Augenbraue erhoben, dann sah er in die Runde, seufzte, als er einige ziemlich blasse Gesichter sah, stand auf und verließ den Raum. Die blutige Hand hielt er dabei schützend gegen die Brust gepresst. Die Beyblader sahen ihm kurz nach, dann wandten sie sich wieder den restlichen Blitzkrieg Boys zu: „War Kai wirklich so?“ „Er war ein Speichellecker, da hat Tala Recht“, bestätigte Spencer nickend. „Er war immer der Beste, wollte auch immer der Beste sein. Man hat uns diesen Umstand jedes Mal, wenn sich die Gelegenheit bot, vorgehalten. Selbst den wenigen Beybladern, die damals noch besser waren als er.“ „„Nehmt euch ein Beispiel an Kai!“ Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz gehört habe“, murmelte Bryan mit einer Grimasse. „Dabei ist er oft genug zusammengebrochen, weil er es mit seinem Ehrgeiz übertrieben hat. Aber weil er ja so ein guter und braver Abteischüler war, sind die obligatorischen Prügel immer sehr leicht ausgefallen.“ „Hört auf damit! Das war seine Art, die ganze Hölle zu überleben“, murmelte Ian plötzlich von hinten dazwischen. Es erschien ihm nicht richtig, Kai einfach als den Bösen hinzustellen. „Zu überleben?“, hakte Robert nach. Die Gesichter der beiden größeren Russen wurden verlegen: „Kai war nicht unbedingt beliebt. Schließlich war er Voltaires Enkel. Er hat deswegen keine Sonderbehandlung gekriegt, ganz im Gegenteil… Schließlich wollte sein Großvater unbedingt, dass er stärker und besser wurde als jeder andere Blader. Aber allein die Tatsache, dass die Beiden verwandt waren, hat dazu geführt, dass Kai ohne eigenes Zutun bei den meisten Abteikindern verhasst war“, erklärte Spencer und er brauchte nicht auszusprechen, dass er und Bryan vermutlich zu den Kindern gehört hatten, die Kai das Leben ganz besonders schwer gemacht hatten. Man sah es ihnen an den schuldbewussten Mienen an. „Also hat er sich bei den Wärtern eingeschleimt, weil er sowieso keine Chance hatte, von euch als Leidensgenosse anerkannt zu werden“, schloss Robert. „Und… wie war Tala so?“, fragte Tyson neugierig und legte den Kopf auf den Tisch. Die Mienen wurden noch verlegener. Offensichtlich hatte der Beyblade-Weltmeister wieder einmal zielsicher ein Fettnäpfchen gefunden. Einige Zeit herrschte Stille, während die drei Russen nervös und beinahe flehend immer wieder zur Tür sahen, in der Hoffnung, dass Tala wiederkommen und sie erlösen würde. Doch der Teamleader der Blitzkrieg Boys hatte noch nie wegen seiner übergroßen Gnade von sich Reden gemacht und so blieb er hinter der einfachen, hellbraunen Tür verschwunden. Schließlich konnten seine Kameraden nicht anders als den forschenden Blicken nachzugeben. „Wenn Kai Boris’ linke Hand war, dann war Tala seine rechte“, murmelte Spencer zögernd. Seinem Gesicht nach zu urteilen wünschte er sich gerade sehr weit weg. „Kai wurde uns immer als der perfekte Abteizögling vorgehalten was das Beybladen betraf – aber Tala war der, der alles andere, was man uns in der Abtei so beibrachte, perfekt verinnerlicht hatte. Er hat sich zwar nie eingeschleimt oder den Wächtern gegenüber übermäßig respektvoll gezeigt, aber dafür hat er mehr oder weniger für sie gearbeitet. Tala hat dafür gesorgt, dass die Kinder, die eh zu schwach oder zu weich für die Abtei waren, noch schneller aussortiert wurden. Vor allem zu Anfang.“ „Wie hat er dafür gesorgt?“, hakte Ray nach. Er hatte bereits einen Verdacht, aber er wollte es genau wissen. „Tala hat ihnen das Leben zur Hölle gemacht. Er hat sie verprügelt, gequält und in Schwierigkeiten gebracht, wo er nur konnte. Dadurch sind sie natürlich oft negativ aufgefallen und damit auch schneller heraus geworfen worden. Unter anderem… Er hat damals eine Menge Leute um sich geschart. Niemand wollte sein Feind sein, vor allem, da Boris große Stücke auf ihn gehalten hat, auch wenn er es niemals so deutlich wie bei Kai gezeigt hat.“ „Lass mich raten, Kai war eines seiner Lieblingsopfer“, vermutete Hiro, der das Gefühl hatte ein neues Puzzleteil überreicht zu bekommen. Bryan nickte: „Er war zwar nicht schwach, aber ein Außenseiter. Kai hat eine besondere Leistung gebracht, Tala hat ihn beschimpft, Kai hat ihn verhöhnt, Tala hat ihn verprügelt, Kai hat Tala bei nächster Gelegenheit verpfiffen, Tala hat ihn erneut verprügelt oder ebenfalls gemeldet und so weiter und so fort…“ „Und am Ende standen sie sich immer in einem Beybladematch gegenüber, unter Boris’ zufriedenem Grinsen, und versuchten sich gegenseitig umzubringen“, schloss Ian düster. „Ein Wunder, dass sie es nie geschafft haben…“ „Hassen sie einander deshalb so?“, Tyson sah die drei Russen fragend an, doch die konnten nur mit den Schultern zucken. „Kann sein… Aber irgendwann muss es ja mal einen Auslöser gegeben haben, oder?“, meinte Spencer ratlos. „Zumindest ist die Situation unter uns Abteischülern später besser geworden. Kai ist nach seinem Zusammentreffen mit Black Dranzer nach Japan geschickt worden und Tala hat irgendwann die Lust verloren andere Leute zu quälen. Und als wir dann ein Team wurden, haben wir es sogar irgendwie geschafft uns zu Freunden zusammenzuraufen.“ „Auch wenn ich immer noch nicht weiß, wie“, murrte Bryan mit einer Grimasse und murmelte irgendetwas Russisches vor sich hin, was seinen Kameraden ein schiefes Grinsen entlockte. „Oh, redet ihr immer noch über Spiele?“, Tala war hereingekommen. Seine Wut war anscheinend wieder verraucht, denn er grinste spöttisch, als seine drei Freunde zusammenzuckten. Er setzte sich wieder auf seinen Stuhl und stützte die Arme auf dem Tisch ab, worauf er darauf achtete, nicht die immer noch verstreuten Scherben zu berühren. Seine verletzte Hand war inzwischen ordentlich verbunden. Seine hellen Augen glitten kurz über die Gesichter der anderen Beyblader, die sich alle Mühe gaben, sich nicht anmerken zu lassen, was sie soeben erfahren hatten, dann suchten sie die Blicke seiner Kameraden, die allerdings alle drei den Boden oder die Aussicht furchtbar interessant fanden. „Jetzt kommt schon… Ihr tragt mir das doch nicht etwa immer noch nach, oder?“, Tala glaubte erraten zu haben, worum es ging. Die anderen drei Russen zuckten sichtlich zusammen. „Mensch, ihr habt doch nur geringe Strafen bekommen, sonst hätte ich das doch gar nicht gemacht. Das wisst ihr doch“, er lächelte entwaffnend. „Ja, toll… Das macht die ganze Sache natürlich wesentlich besser“, murmelte Bryan und Ian warf Tala einen giftigen Blick zu. Max hob die Hand als ob er in der Schule wäre und lächelte unsicher: „Ähm… Kleine Frage. Worum geht es hier gerade?“ Im Moment war er sich nicht sicher, ob es gleich Gebrüll geben würde oder nicht. „Um ein anderes Abteispiel“, begann Spencer gutmütig zu erklären, während sich seine Teamkollegen im Hintergrund auf Russisch zu streiten begannen. „Eine Art Abzählreim. Erster Fehler: Du wurdest gebor’n Zweiter Fehler: Hast alles verlor’n Dritter Fehler: Du hast uns vertraut Vierter Fehler: Hast Mist gebaut Jeder begann mit diesen vier Zeilen und versuchte dann als Erster dreizehn Fehler in Reimform aufzulisten.“ „Ihr hattet in eurer Freizeit wirklich nicht viel zu tun, oder?“, kicherte Mariah. „Und nicht viel Fantasie“, fügte Rick trocken hinzu. Spencer zuckte nur mit den Schultern. Scheinbar nahm er ihnen ihre Belustigung nicht allzu übel. „Und warum streiten die Drei dann jetzt?“, fragte Daichi mit einem Blick auf die immer lauter werdenden Russen. „Weil dieses Spiel ziemlich schnell hässliche Züge angenommen hat. Die Jungs, die schon länger in der Abtei waren, haben sich irgendwann einen Spaß daraus gemacht, alle Neulinge zu irgendwelchen Dummheiten zu überreden oder sie zu täuschen, weil sie genau wussten, dass sie zu Anfang noch nicht so hart bestraft wurden. Und wenn es ihnen gelang, haben sie diesen Spruch aufgesagt und sich noch über sie lustig gemacht.“ Ein eindeutiges Machtwort von Tala erklang im Hintergrund, dann die zerknirschte Erwiderung Bryans und Ians. Scheinbar hatte der Rotschopf den Streit auf seine Art beendet. ‚Und Tala war derjenige, der damals den meisten Spaß an diesem Spiel hatte’, schloss Hiro für sich in Gedanken und stand auf. Er erinnerte sich vage daran, dass er Kai noch etwas zu Essen hatte bringen wollen. Während er auf dem Weg zum Zimmer des Silberhaarigen war, ging er in Gedanken noch einmal die Informationen durch, die er eben erhalten hatte. Kai und Tala hassten sich schon seit Jahren und hatten früher keine Gelegenheit ausgelassen um einander in Schwierigkeiten zu bringen. Beide hatten auf ihre Art Dreck am Stecken und schienen nicht sehr gut darauf zu sprechen zu sein, wenn jemand sie daran erinnerte, hielten es sich aber Beide bei Gelegenheit gegenseitig vor. Warum genau sie einander jedoch hassten, lag noch immer im Dunkeln und die anderen Russen schienen ebenso ratlos wie er selbst. Kai lebte noch immer nach den Regeln der Abtei und hatte einst einen Bruder gehabt, der nach einem Jahr in der Abtei gestorben war… Wie er wohl gewesen war? Wenn Hiro es genau bedachte, hatten die Blitzkrieg Boys auf diese Enthüllung nicht anders reagiert als alle anderen Beyblader, also hatten sie von ihm genauso wenig gewusst wie sie. Also ein weiterer Punkt, der im Dunkeln bleiben würde. Obwohl… Hiro runzelte die Stirn. Könnte das sein? Das würde Einiges erklären, aber… Er spürte, wie ihm schlecht wurde und er verwarf den Gedanken lieber wieder schnell, bevor er ihn ganz zu Ende denken konnte. Ein letztes Mal schüttelte er den Kopf, dann klopfte er an Kais Zimmertür. Der Junge lag auf seinem Bett, den schwarzen Beyblade in der Hand, den er bis eben noch geputzt hatte. So langsam schien sich diese Tätigkeit für ihn zu einer Art Zwang zu entwickeln, stellte Hiro fest. Das missfiel ihm irgendwie. „Was?“, schallte es ihm genervt entgegen. „Ich habe dir dein Abendessen gebracht, also sei etwas netter oder ich nehme es wieder mit“, meinte Hiro. Zwei rote Augen hefteten sich erst auf ihn, dann auf den Teller: „Ich weiß nicht, mir mehr missfällt. Deine Anmaßung mir drohen zu wollen oder deine Anmaßung das da tatsächlich als Essen zu bezeichnen.“ Der Teller landete klirrend auf dem Nachtschrank und kippelte für ein paar Sekunden gefährlich nah am Rand, bevor er sicher zum stehen kam. „Mach dir nächstes Mal eben alleine etwas fertig“, brummte Hiro gekränkt. Da versuchte man mal nett zu sein und es war auch wieder nicht richtig. Wie undankbar war doch die Welt – und vor allem ein gewisses rotäugiges Individuum. „Übrigens haben deine Landsleute ein bisschen über alte Zeiten geplaudert“, informierte er Kai im Plauderton. „Und das sollte mich interessieren, weil…?“, kam es gelangweilt zurück. Hiro rollte mit den Augen. „Du und Tala wart ja nicht unbedingt Engel.“ „Kann sein... Schockiert?“, fragte der silberhaarige Beyblader und grinste. „Nicht wirklich“, gab Hiro zu und beobachtete, wie Kai sich wieder seinem Blade zuwandte. „Ich habe ihnen alles erzählt, Kai“, sagte er in veränderten Tonfall. „Sie wissen jetzt, dass die Attacke auf Tyson nur gespielt war.“ Unbewusst senkte er den Blick zu Boden, sah aber gerade noch, wie Kai ihm kurz einen verwirrten und leicht ungläubigen Blick zuwarf, bevor er seine ausdruckslose Maske wieder aufsetze und einfach nur mit den Schultern zuckte. „Danke, dass du mir diese Lektion erteilt hast. Auch wenn ich wohl auf ewig Albträume davon haben werde“, er grinste schief. Kai warf ihm einen gelangweilten Blick zu: „Bist du dann fertig? Du nervst!“ Hiro entglitten für einen Augenblick die Gesichtszüge. Da entschuldigte er sich bei ihm, sagte ihm, dass er versucht hatte, seinen Namen wieder reinzuwaschen und alles, was dieses Arschloch dazu zu sagen hatte, war, dass er ihn nerven würde? ‚Wenn er dieses verflixtes Bitbeast nicht hätte, würde ich ihn erwürgen’, grollte er in Gedanken. Apropos… „Nur eins noch: Kai, du hast mich damals gefragt, wie weit ich gehen würde. Inzwischen weiß ich, was du damit gemeint hast und frage nun dich: Wie weit wirst du noch gehen?“, seine Augen ruhten kurz auf Black Dranzer, der höhnisch im Licht zu funkeln schien, dann wandte er sich um und ging. Kai sah den schwarzen Blade lange an, dann seufzte traurig er und setzte sich auf. „Zu weit, Hiro“, flüsterte er in dunkler Gewissheit. „Wie jedes Mal…“ _________________________________________________________________________________ Viele Informationen, viele Geheimnisse, viele Fragen... Ich freue mich auf eure Gedanken dazu und hoffe, dass ihr auch beim nächsten Kapitel wieder dabei seid ^^ PS: Verzeiht mir die Spiele, aber irgendwann, als ich diese FF begonnen hatte, hatte ich noch bessere Erklärungen - und sie irgendwie auch besser eingebaut ^^" Kapitel 7: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Feuer gegen Feuer -------------------------------------------------------- Hallo, da bin ich wieder ^^" Sorry, dass es etwas gedauert hat, aber irgendwie hat sich wieder einmal alles selbstständig gemacht und ich hatte Mühe, die Story doch noch in geregelte Bahnen zu leiten. Man Dank geht hierbei an Shinu, die mir versichert hat, dass das Kapitel doch nicht so schlimm geworden ist, wie ich dachte... Höchstens etwas theatralisch gegen Ende hin ^.~ Die Lyrics stammen von Within Temptation's "Stand My Ground" und sind mit einer der Hauptgründe für die FF, da ich die Szene, wenn auch in abgewandelter Form, schon eine ganze Weile im Kopf hatte^^ Viel Spaß! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Es war immer kalt gewesen in der Abtei. Kai hatte es in all den Jahren, die er in dem steinernen Bau zubrachte, nie anders erlebt. Nur ganz zu Anfang hatte es eine Wärmequelle gegeben, etwas, was ihn davor bewahrt hatte zu erstarren, so wie er es später tat. Doch das war zu lange her… Der silberhaarige Junge wusste, dass ihn viele Menschen für einen Eisblock hielten, eine lebendige Puppe, einen Roboter aus Fleisch und Blut. Was sie dagegen nicht wussten, war, dass er nicht immer so gewesen war. Ganz im Gegenteil. Aber die Flamme, die einst in seinem Inneren gebrannt hatte, war fast erloschen, denn wie jedes Feuer brauchte sie Nahrung, jemanden, der sich von außen um sie kümmerte und am Leben erhielt. Doch diesen Jemand gab es nicht mehr… Kai reiste in seinen Träumen wieder zurück an den Ort der ewigen Kälte, den er jahrelang widerwillig sein Zuhause genannte hatte: Kai war fünf und fühlte sich so elend wie noch nie zuvor in seinem Leben. Der kleine Junge stolperte müde und mit schmerzenden Knochen neben einigen anderen Abteischülern her und wünschte sich weit weg. Nach Hause, in die weichen, warmen Arme seiner Mutter, zu der beruhigenden Stimme seines Vaters und seinem tiefen, leicht kehligen Lachen. Er spürte, wie ihm Tränen in den Augen brannten und schluckte hart, bevor er sie mit all seiner Willenskraft wieder zurückdrängte. Weinen brachte gar nichts, nur Schmerz, das hatte er in den letzten Tagen oft genug zu spüren bekommen. Außerdem waren sie nun einmal tot und konnten ihm nicht helfen oder ihn beschützen. Kai wusste, dass er ihnen unrecht tat, aber er fühlte sich von ihnen im Stich gelassen. Warum mussten sie sterben? Warum hatten sie ihn allein gelassen? Mechanisch lief er mit den anderen Jungen mit, folgte dem endlos erscheinenden Gang, der sie geradewegs in die große Versammlungshalle führen würde. Andere Gruppen schlossen sich ihnen an als sie den großen Saal betraten und gemeinsam reihten sie sich in die Reihen der wartenden Schüler ein. Sie sahen aus wie schlanke, graue Säulen oder wie namenlose Grabsteine, während sich über ihnen ein dunkler, steinerner Himmel erstreckte, den kein Lichtstrahl jemals erhellen würde. Kai wandte den Blick zu Boden, denn er wollte die anderen Schüler nicht sehen, weil sie ihn daran erinnerten, dass er auch nicht anders aussah. Wieder kamen die Tränen und erneut biss er die Zähne zusammen. Er wollte kein wandelnder Grabstein sein, dessen Schicksal mit dem ersten Schritt in die Abtei besiegelt worden war. Er wollte keine Maschine sein, die nur zu funktionieren hatte. Er wollte das alles nicht! Einige Wachen begannen die Reihen abzuschreiten und sowohl die Namen als auch die letzten Daten der einzelnen Schüler aufzunehmen. Siege, Niederlagen und andere Sachen, deren Bedeutung Kai zwar völlig fremd war, die er aber schnell gelernt hatte, sich zu merken und auf Nachfrage wiederzugeben. Eine harsche Stimme ließ ihn zusammenzucken und vorsichtig aufsehen: Boris hatte den Saal betreten und redete mit einem der Aufseher, bevor er ebenfalls die Reihen entlang schlich, die harten Augen hinter der schwarzen Maske verborgen, auf jeden noch so kleinen Fehler lauernd. Wie Kai ihn doch hasste… Eine schwache Bewegung zu seiner Rechten erregte seine Aufmerksamkeit. Während des Appells hatten sie stillzustehen und die Fragen zu beantworten, alles andere war verboten. Viele Kinder hielten während dieser Zeit sogar immer wieder den Atem an und hofften so noch weniger Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Aus den Augenwinkeln linste Kai zur Seite und registrierte überrascht ein vertrautes Profil, das ein warmes Gefühl durch seinen Körper strömen ließ und das er so lange Zeit vermisst hatte. Sein Bruder war seit dem Tag vor wenigen Wochen, an dem man sie voneinander getrennt hatte, merklich dünner geworden und einige neue Linien hatten sich in sein Gesicht eingegraben, die ihn irgendwie älter erscheinen ließen. Aber die Züge waren immer noch dieselben… Kai war unglaublich froh ihn zu sehen. Sein Bruder war so lange er denken konnte immer an seiner Seite gewesen, hatte ihn zum Lachen gebracht, ihn getröstet und beschützt. Er hatte mit ihm gespielt, ihn in den Arm genommen, ihm Mut zugesprochen und ihm immer wieder gesagt, dass alles wieder gut werden würde. Auf seine Art war er ihm sogar wichtiger und näher gewesen, als seine Eltern es jemals hätten sein können… Und dann hatte man sie voneinander getrennt und in verschiedene Teile der Abtei gebracht. Seitdem hatte Kai seinen großen Bruder nicht gesehen und er hatte das Gefühl gehabt innerlich zu erfrieren, weil ein wichtiger Teil von ihm fehlte. Doch jetzt war er endlich wieder in seiner Nähe und der Fünfjährige fühlte zum ersten Mal, seit er die Abtei betreten hatte, wieder so etwas wie Hoffnung in sich aufsteigen. Jetzt würde bestimmt alles gut werden – oder vielleicht wenigstens besser. Und selbst wenn nicht, wenigstens waren sie wieder beisammen. Ob sein Bruder ihn schon bemerkt hatte? Kai warf erneut einen raschen Seitenblick auf den Größeren, doch dessen Gesicht blieb angespannt nach vorne gerichtet. Der silberhaarige Junge sah sich kurz nach Boris und den Aufsehern um, doch die schienen anderweitig beschäftigt, also hob er zögernd die Hand. Langsam und vorsichtig, während er die Wächter aus den Augenwinkeln heraus beobachtete, suchte er mit den Fingern nach der Hand seines Bruders, bis er die warme Haut unter seinen Fingerkuppen spüren konnte. Ein kurzes Lächeln huschte über seine Lippen als sich seine kleine Hand um die etwas größere schloss. Wie sehr er ihn vermisst hatte… Kai erwachte schweißgebadet und konnte spüren, wie ihm Tränen über die Wangen liefen. Fluchend wischte er sie weg, dann nahm er die noch halbvolle Wasserflasche und leerte sie ohne Rücksicht auf sein Bettzeug oder den Teppich über seinem Kopf aus. Diese verdammte Hitze und ihre verfluchten Alpträume brachten ihn noch um den Verstand! Als die kleine Dusche nichts brachte, sprang der Junge aus seinem Bett und hastete ins Badezimmer um schwerere Geschütze aufzufahren. Doch selbst der stetige Wasserstrahl, der aus dem Wasserhahn des Waschbeckens kam, in das er seinen Kopf nun hielt, hatte nicht die gewünschte Wirkung. Unter das lauwarme Wasser mischten sich immer mehr salzige Tropfen, egal, wie sehr Kai darum kämpfte sie zurückzuhalten. Warum musste es auch unbedingt immer dieser Albtraum sein? Er zwang sich ruhig zu atmen und an etwas Anderes zu denken. An seine letzten Siege; an Hiros dummes Gesicht, als der gemerkt hatte, dass plötzlich nicht mehr alles nach seinen Plänen verlief; an Brooklyns psychopathisches Grinsen wenn er Zeus rief; an die Geräusche im Dojo, wenn der Rest seines Teams langsam aufwachte und sich zum Frühstück sammelte… Nach ein paar Minuten stellte er das Wasser wieder ab und atmete einmal tief durch, bevor er sich im Spiegel betrachtete: Man sah ihm nicht an, dass er geweint hatte, die leichte Rötung seiner Augen würde man auf den Sonnenbrand schieben, der sich inzwischen über sein ganzes Gesicht ausgebreitet hatte. An der Stirn begann sich die Haut sogar leicht zu pellen. Innerlich wieder ruhig rubbelte Kai kurz mit einer Hand über besagte Stelle, dann putzte er sich die Zähne und zog sich an. Er würde sich doch nicht von einem Albtraum kleinkriegen lassen! Das hatten schon ganz Andere versucht und waren gescheitert… Sein Blick fiel auf den schwarzen Beyblade auf seinem Nachtschrank und er streckte die Hand nach ihm aus, nur um sie nach kurzer Überlegung wieder zurückzuziehen. Er war im Moment nicht in der Verfassung es mit Black Dranzer aufzunehmen, egal, was er sich auch vormachen wollte. Er ließ den Blade liegen und machte sich auf den Weg zur Küche. Es gab auch noch andere Wege als Training um sich abzulenken. Wie ignorierte sonst alle Welt so erfolgreich ihre Probleme? Anders als gestern war die Küche dieses Mal leer und wirkte plötzlich doppelt so groß auf den silberhaarigen Blader. Warum musste er auch so früh aufwachen? Selbst die Sonne konnte höchstens erst seit ein paar Minuten am Himmel stehen… Seufzend schmierte er sich ein paar Brote und verließ dann das Gebäude. Was brachte es ihm in einem leeren Raum herumzusitzen und darauf zu warten, dass die restlichen Beyblader endlich aufwachten, die ihn vermutlich noch nicht einmal sehen wollten? Da konnte er auch genauso gut joggen gehen und etwas mehr Entfernung zwischen sich und das dunkle Bitbeast bringen, das ihn schon die ganze Zeit zu rufen schien. Und wie es rief! Lockend, versprechend, schmeichelnd, fordernd… ‚Vielleicht sollte ich doch lieber trainieren als joggen… Meine Kondition ist hervorragend und wenn mein Gesicht noch mehr Sonne abkriegt, zerfällt es bald zu Asche. Meine Technik dagegen könnte wesentlich besser sein’, unbewusst lenkte er seine Schritte wieder in Richtung Eingangstür. Dann stockte er, stutzte und schüttelte wütend den Kopf. „So leicht kriegst du mich nicht“, murmelte er, drehte sich wieder zum Wald und lief los. Wie sehr er es doch bereute, sich auf diesen gottverdammten Ausflug eingelassen zu haben… Zwei Stunden später setzte sich endlich auch der letzte Beyblader an den reich gedeckten Frühstückstisch und langte ordentlich zu. Die Erwachsenen bemerkten erfreut, dass die meisten Gesichter nach den schrecklichen Ereignissen des gestrigen Tages wieder entspannt und voller Tatendrang waren und die allgemeine Stimmung immer weiter anstieg. Selbst die ehemaligen Bladebreakers wirkten ausgelassen und unterhielten sich angeregt. Einzig Hiro saß etwas abseits und betrachtete die lachenden Jugendlichen nachdenklich. Ihm ging der schreckliche Verdacht, der sich gestern in seine Gedanken eingeschlichen hatte, einfach nicht mehr aus dem Kopf. Was, wenn er doch richtig lag? Sein Blick wanderte zu den vier Russen, die über irgendeinen Witz lachten, den Ian soeben erzählt hatte und für einen kurzen Augenblick ähnlich unbeschwert wirkten wie die anderen Jugendlichen im Raum. Sie hatten so viel erdulden müssen, so viel überstanden und hatten erst seit kurzem wieder die Gelegenheit endlich das richtige Leben zu kosten und einfach sie selbst zu sein. Und selbst das war ihnen von Boris fast wieder genommen worden… Hiro war klar, dass sie die Abtei vermutlich niemals vergessen konnten und sie für immer Einfluss auf ihr Leben nehmen würde, aber dennoch schienen sie eine echte Chance auf eine glückliche Zukunft zu haben. Durfte er das alles, nur aus einem vagen Verdacht heraus, zerstören? Aber auf der anderen Seite war da auch Kai, der das Gleiche durchgemacht und sein Glück für ihn und Tyson geopfert hatte… Wenn Hiro wirklich richtig lag und schwieg, würde er helfen ein schreckliches Geheimnis zu bewahren, das so vielleicht niemals ans Licht kommen würde. Aber was war, wenn Kai sogar wollte, dass die Wahrheit niemals herauskam? ‚Verdammt! Wo ist die nächste Wand? Ich will meinen Kopf dagegen schlagen!’, dachte der junge Mann und fuhr sich seufzend durch die hellblauen Haare. Das alles brachte ihn einfach nicht weiter! Er wusste, dass er eine Entscheidung treffen musste, und zwar so schnell wie möglich, aber welche? Egal was er tat, er würde etwas opfern und für immer zerstören. Entweder Kai oder – Strahlend blaue Augen begegneten seinem Blick und hielten ihn fest. Tala runzelte die Stirn über Hiros schon beinah verzweifelte Miene und überhörte so Tysons enthusiastische Erklärung, dass er nun vollends satt, gestärkt und dazu bereit wäre, Kai sein dämliches, verkohltes Riesenhuhn auszureden oder notfalls mit Gewalt abzunehmen. Max und Ray wirkten zwar etwas skeptisch, nickten aber, während Daichi hochmotiviert und vollkommen sorglos in der Gegend herumhüpfte und immer neue Spitznamen für Black Dranzer erfand. Einige Beyblader lachten, andere dagegen versuchten ihnen diese eindeutige Schnapsidee auszureden, doch Tala beachtete sie nicht, sondern starrte weiterhin Hiro an, der zuerst heftig den Kopf schüttelte, dann tief aufseufzte und ihn schließlich mit einem seltsam entschuldigenden und traurigen Gesichtsausdruck ansah. Der russische Rotschopf runzelte die Stirn. Tysons Bruder stand auf, ging um die inzwischen genüsslich streitenden Beyblader herum und beugte sich zu Tala herunter: „Ich muss mit dir reden… Allein!“ Der Junge zögerte kurz, dann nickte er mit einem flauen Gefühl im Magen und stand auf. Hiro öffnete die Tür zum Gang und gemeinsam ließen sie, völlig unbemerkt von den Anderen, den Trubel des Frühstücks hinter sich zurück… Kai hatte Glück: Der Waldweg, den er als Route gewählt hatte, wurde von dicht belaubten Bäumen überdacht, so dass seine empfindlich schmerzende Haut im Schatten lag und er trotz der steigenden Temperaturen fast den Eindruck von Kühle hatte. Er genoss das monotone Laufen mehr, als er es selbst für möglich gehalten hätte. Keine Beyblades, keine Menschen, keine Stimmen, keine Blicke… Nur das sanfte Rascheln der Blätter im schwachen Wind, das Singen einiger Vögel und das gleichmäßige Geräusch seiner Schritte war zu hören, durchsetzt mit seinem regelmäßigen Atem. Früher hatte er Joggen gehasst, hatte die ewigen Runden im eisüberzogenen Abteihof verabscheut, später hatte er es einfach als Teil seines täglichen Trainingsplans betrachtet, doch nun genoss er es tatsächlich ganz allein durch das sanfte, grünliche Dunkel des Waldes zu laufen, das ab und an von strahlenden Sonnenflecken durchsetzt war. Es war erfrischend, trotz der Hitze, und zum ersten Mal seit seiner Ankunft im Camp hatte er das Gefühl, seinen Kopf endlich einmal wieder vollkommen frei zu haben, klar genug um über seine Probleme nachzudenken – was er allerdings nicht tat. Manchmal konnte sich eben selbst er vor einer ungeliebten Aufgabe drücken. Der Weg führte einen sanft ansteigenden Hang hinauf, wobei sich die Baumkronen immer weiter lichteten und schließlich den Blick auf einen strahlend blauen Himmel freigaben. Die Sonne schlug wieder mit ihrer vollen Macht zu, doch der Junge kümmerte sich nicht darum: Vor ihm war nichts mehr – außer einer einfach atemberaubenden Aussicht. Weit über den Wald konnte er sehen, ein Meer aus Grün und Wind. Das rote Dach des Camps stach leuchtend hervor, auch wenn die Lichtung um das Gebäude zu klein war, um eingesehen werden zu können. Irgendwo glitzerte das schmale Band eines Flusses in der Sonne und schickte gleißende Lichtreflexe gen Himmel, wenn sich die Strömung an den Ufern brach. Einige Vögel flogen über den Wald und zwei Raubvögel hingen scheinbar träge in der Luft, nur um in sekundenschnelle gen Boden zu fallen und mit reicher Beute wieder zum Nest zu fliegen. Kai lächelte unbewusst und sein Gesicht nahm einen sanften, friedlichen Ausdruck an, als er sich auf einen Stein nahe der Klippe setzte: Hier war er frei! Frei von allen Verpflichtungen, frei von seiner Maske, frei von allen Schrecken und Schmerzen dieser Welt, frei von Black Dranzer… Kaum war dieser Gedanke zu Ende gedacht, war die Harmonie vorbei. Der Blader starrte weiterhin auf das sich ständig wiegende Meer, doch er sah es nicht länger. Sein Denken kreiste nur noch um das pechschwarze Bitbeast, das im Camp auf ihn wartete. Hier, meilenweit entfernt, erschien es ihm plötzlich unverantwortlich und vor allem unverständlich, warum es noch immer in seinem Besitz war: Er hatte sich doch zu Anfang so entschieden geweigert es nur noch einmal einzusetzen. Warum also spielte er noch immer mit dem Feuer? Er sollte doch selbst am besten wissen, dass das nur Schmerzen mit sich brachte. Und auch wenn er am Ende Hiro nachgegeben hatte – nach dem Match gegen Tyson hatte er den Beyblade doch eigentlich wieder irgendwo verstecken und nie wieder anrühren wollen! Stattdessen hatte er ihn weiterhin behalten und eingesetzt, obwohl er mehr als einmal die Möglichkeit gehabt hatte, das verfluchte Ding irgendjemand Vernünftigen in die Hand zu drücken… „So darf es nicht weitergehen“, murmelte er entschlossen und seufzte, als ein Spatz, der sich vermutlich in Erwartung eines Mittagessens neben ihm niedergelassen hatte, mit einem, wie es schien, fragenden Tschilpen den Kopf schief legte. Er betrachtete den graubraunen Vogel mit den klugen, dunklen Augen kurz, dann kramte er in seiner Hosentasche und fand tatsächlich noch einen Müsliriegel, den er irgendwann einmal eingesteckt hatte. „Ich hoffe, ich hab den nicht versehentlich mitgewaschen“, murmelte er an den Vogel gewandt, betrachtete kurz das Haltbarkeitsdatum und riss dann die Verpackung auf. Vorsichtig brach er kleinere Stückchen ab und warf sie dem aufmerksam zuschauenden Sperling hin. „Hast wohl im Moment nicht viel Glück, hm? Bei dieser Hitze mag niemand bis hier oben kraxeln. Nur Verrückte, Lebensmüde… Und ich!“, er lächelte und hielt dem zustimmend zwitschernden Vogel die nächsten Bröckchen auf der Hand hin, die ebenso dankbar und gierig angenommen wurden wie das Futter zuvor. Kai sah wieder in die Ferne, wo sich Wald und Himmel zu treffen schienen und die Sonne hoch am Himmel strahlte. „Ach Dranzer… Wo bist du nur?“ Als Kai wenig später ins Camp zurückkehrte, hatte er eine Entscheidung getroffen. Obwohl er gefürchtet hatte ins Wanken zu geraten, je näher er Black Dranzer wieder kam, schien das genaue Gegenteil einzutreffen. Als er durch die Eingangstür des Gebäudes trat, konnte er die fröhlichen Stimmen der anderen Beyblader hören, die noch immer schwatzend und lachend über ihren inzwischen leeren Frühstückstellern saßen. Beinahe sofort schien sich das Gefühl in seinem Inneren, dass er das Richtige tat, sogar noch zu verstärken, bis es Black Dranzer lockende Rufe gänzlich verstummen ließ. Mit einem kaum sichtbaren Lächeln und dem Gefühl eine Zentnerlast losgeworden zu sein, ging Kai an der Küchentür vorbei in Richtung seines Zimmers. Er würde diesen verfluchten Beyblade holen und ihn einfach Mr. Dickinson übergeben. Genau genommen eine ganz einfache Sache, die er schon vor Tagen hätte erledigen sollen. Auf dem Gang zu den Zimmern standen Hiro und Tala… Sie schienen sich leise aber aufgeregt zu unterhalten, denn Tysons Bruder gestikulierte heftig und der Rotschopf hatte die Arme wie eine Art Mauer vor der Brust verschränkt und die Lippen fest zusammengekniffen, während seine Augen eisige Blitze auf den Älteren abschossen. Kais Lächeln gefror, als er den Beiden näher kam, und auf seiner Stirn zeigten sich erste Furchen. Als Hiro die Schritte auf dem Gang hörte, zuckte er zusammen und ging deutlich auf Abstand zu Tala, der im Gegensatz zu ihm völlig unberührt zu bleiben schien. Als er Kai sah, drehte der junge Mann rasch den Kopf weg, murmelte Tala noch etwas zu und ging dann an dem silberhaarigen Blader vorbei wieder in Richtung Küche. Der Teamleader der Blitzkrieg Boys und Kai sahen ihm nach, bevor sie die Blicke des jeweils anderen suchten. Kais Blick war fragend, Talas dagegen wanderten über die verschwitzten Klamotten seines Gegenübers, während sich ein hämisches Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. „Was?“, fauchte Kai schließlich ungehalten. Das Grinsen des anderen Russen wurde breiter: „War dein Morgenspaziergang schön?“ „Und wenn?“, sein Gegenüber war sich nicht sicher, worauf Tala hinauswollte. „Nun ja…“, Talas Grinsen wurde immer höhnischer. „Jetzt verstehe ich zumindest, warum ich dich gestern fast besiegt hätte.“ „Wie meinst du das?“, Kai spürte wie sich sein Hass wieder regte und erneut an die Oberfläche strebte. „Es reicht eben nicht aus, nur ein starkes Bitbeast zu besitzen. Man muss auch damit trainieren und es beherrschen können. Aber das scheinst du ja in letzter Zeit zu vernachlässigen… Zugunsten von Spaziergängen“, der letzte Satz triefte vor Verachtung. „Ich habe mich geirrt: Du hast dich verändert, Kai…“, der silberhaarige Blader ballte in stummer Wut die Fäuste und knirschte mit den Zähnen. „Du bist noch erbärmlicher geworden“, zischte Tala, grinste ein letztes Mal und ließ Kai dann einfach stehen. Der Halbrusse starrte noch sekundenlang auf die Stelle, an der Tala bis eben noch gestanden hatte, die Augen brennend vor Hass, die Haut leichenblass, der Mund zu einem bitteren Strich verzogen. In ihm brodelte es! Plötzlich hob er den Kopf und ging zu seinem Zimmer, die Hände immer noch zitternd vor unterdrücktem Zorn. Dem würde er es schon zeigen… Hiro beobachtete, wie Tala einige Minuten nach ihm wieder in den Raum kam und sich mit einem undeutbaren Gesichtsausdruck wieder zu seinen Kameraden setzte. Noch immer unterhielten sich die anderen Beyblader. Tyson und Daichi hatten inzwischen alle mit ihrem Optimismus angesteckt und beratschlagten gerade mit rund der Hälfte der anderen Teams über die beste Möglichkeit Kai sein Bitbeast abzunehmen, wobei ihre Ideen immer abenteuerlicher und unrealistischer wurden. Weder der Vorschlag, den Bitchip gegen eine von Daichi auf ein Blatt Papier hingekritzelte Kopie auszutauschen, noch ein Erpresserbrief – Womit wollten sie Kai überhaupt erpressen? – , den sie unter seiner Tür durchschieben wollten, noch Romeros bescheuerte Idee, Kai den Blade zu stehlen, während ihn eines der weiblichen Mitglieder der Teams bezirzte, schien sonderlich Erfolg versprechend. Da konnten sie auch gleich auf Knien angerutscht kommen: Da hätten sie wenigstens die winzige Chance den Blade während eines Lachanfalls von Kai an sich zu bringen. Wenn er sie nicht alle vorher rösten würde… ‚Schon wieder zu viele „Wenn“, Hiro’, dachte Tysons Bruder düster. ‚Und deine Unterhaltung mit Tala hat dich auch nicht wirklich weitergebracht. Und ironischerweise ist auch noch Kai daran Schuld…’ Plötzliche Ruhe riss ihn aus seinen Gedanken: Alle Augen waren auf Tala gerichtet. Der schien sich gar nicht wohl in seiner Haut zu fühlen, auch wenn er es zu überspielen versuchte. Hiro überlegte, was eben gesagt worden war, doch er hatte es nicht mitbekommen. Allerdings schien es etwas Wichtiges zu sein, denn alle Blader zeigten sich höchst interessiert. „Jetzt komm schon! Tala!“, quengelte Tyson in einem Ton, der seinem Bruder nur allzu bekannt und von ihm gefürchtet war. Daichi fiel in einer perfekten Imitation ein: „Nun erzähl! Bitte! Ich lass dich auch das nächste Match gewinnen!“ Über Talas Gesicht huschte ein säuerliches Lächeln, während einige andere Beyblader aufstöhnten. „Bryan, Spencer und Ian sind nun einmal erst später in die Abtei gekommen als du. Und du bist nur ein Jahr älter als Kai und warst bei seiner Ankunft bereits dort!“, bettelte Ray, eifrig unterstützt von Max: „Wir würden ja Kai fragen, aber ich glaube nicht, dass er sonderlich begeistert auf Fragen über seinen Bruder reagieren würde.“ „Ist mir doch egal“, murmelte Tala und verschränkte die Arme vor der Brust. Das Flehen ging weiter, wobei sich immer mehr Stimmen fanden, die in die allgemeine Bettelei einstimmten. Schließlich gab der Russe auf, auch wenn es ihm sichtlich unangenehm war. Böse Blicke trafen seine Teamkollegen, die triumphierend grinsten und sich zuvor energisch an den Überredungsversuchen beteiligt hatten. „Kais Bruder war älter als er. Er war sechs, als sie in die Abtei kamen. Zufrieden?“, murmelte Tala und starrte düster auf die Tischplatte. „Wie war er so?“, fragte Mariah neugierig und stützte den Kopf auf die Hände. „Kann mich nicht erinnern“, meinte der Rotschopf knapp, doch die Blicke der Blader machten ihm klar, dass er ihnen nicht so leicht davon kam. Ian wagte es sogar, ihn heftig in die Seite zu knuffen. Sein plötzlicher Mut verschwand nach einem kalten Blick seines Teamchefs. „Er war…“, Tala runzelte die Stirn und kramte anscheinend in seinem Gedächtnis. „Nett“, schloss er mit einem hilflosen Schulterzucken. „Nett!“, wiederholte der Rest der Anwesenden im Chor und starrte den Russen vorwurfsvoll an. Der fühlte sich unter den vielen Blicken sichtlich immer unbehaglicher und begann auf seinem Stuhl herumzurutschen. „Sah er Kai ähnlich?“, wollte Mathilda wissen. Alle Blicke wandten sich ihr zu, dann wieder Tala. „Ja, irgendwie sah er ihm schon ähnlich… Ist bei Brüdern so üblich, hab ich mir sagen lassen“, schnappte Tala gereizt. „Ja ja… Aber wie war er denn nun so?“ „Hab ich doch gesagt: Nett!“, fauchte Tala. Die darauf folgende Kopfnuss ging auf Spencers Konto, der gerade jeden Respekt vor seinem Teamleader verloren zu haben schien. Der Rotschopf rieb über die schmerzende Stelle, dann schloss er kurz die Augen, um sich genauer zu erinnern: „Er war…“ „Wenn er jetzt nett sagt, kriegt er von mir etwas ganz anderes als eine Kopfnuss“, murmelte Michael und errötete, als einige Blader zu kichern begannen. Offensichtlich hatte er das eigentlich nicht laut aussprechen wollen. „Er war freundlich, hilfsbereit und… offenherzig. Er hat… oft gelächelt und hatte einen starken Beschützerinstinkt Kai gegenüber. Die Beiden hingen sehr aneinander und er versuchte Kai zu trösten und vor den Schrecken der Abtei zu bewahren… Dass sie die Beiden getrennt haben, hat ihn sehr getroffen… Er hat oft nach Kai Ausschau gehalten und sich ständig Sorgen gemacht, wie es ihm wohl ergeht. Aber letztendlich war er wohl der Schwächere von Beiden…“, Tala lächelte bitter. „War er denn wirklich schwach?“, fragte Emily leise. Tala zögerte kurz, dann zuckte er mit den Schultern: „Er war stark – aber auf die falsche Weise, denke ich…“ „Tala?“, der Junge sah wieder auf, den Blick feindselig auf Hiro gerichtet, doch dieser ließ nicht locker. Er würde seine Antwort bekommen: „Wie ist Kais Bruder gestorben?“ Der Russe zögerte und rang sichtlich mit sich selbst, den Blick abgewandt. „Tala!“, wiederholte Hiro, die Stimme fest und fordernd. Fast eine Minute kämpfte der Rotschopf mit sich, dann öffnete er den Mund, doch seine leise Antwort ging in einem lauten Krachen unter. Alarmiert schauten alle Beyblader zur Tür, dann sprangen sie auf und rannten zum Ursprung des Geräusches, der eigentlich nur einer sein konnte: Nur ein gewisser Blader hatte sich nicht in der Küche befunden… Kai stand vor einem der wenigen Beystadiums im Inneren des Gebäudes und versuchte seine Wut wieder so weit unter Kontrolle zu kriegen, dass er gefahrlos seinen Beyblade starten konnte. Es gelang ihm einfach nicht! Talas Worte schienen sich in seinem Inneren festgefressen zu haben und wiederholten sich immer und immer wieder, wie bei einer gesprungenen Schallplatte. Kai befestigte den schwarzen Blade an seinen Starter und schoss alle Warnungen, die ihm sein Gehirn und auch sein Gefühl sendeten, in den Wind. Dem würde er es schon zeigen! Seine Augen verengten sich zu Schlitzen als er die Reißleine zog und der Blade mit einem lauten, unheilverkündenen Surren in der Arena landete, um dort rasend schnell seine Kreise zu ziehen. Er nahm immer mehr Geschwindigkeit auf, bis er einem dunklen Blitzen glich, das dann und wann im Gesichtsfeld seines Herrn auftauchte. Der wiederum gestattete sich ein selbstzufriedenes Grinsen, das Wut und Hass in eine Grimasse verzerrten. Vergessen waren die guten Vorsätze, vergessen die Bedenken, vergessen die rettenden Pläne… Er war Herr dieses Bitbeasts und seines Beyblades und bei ihrem nächsten Kampf würde nichts und niemand Tala retten können… ~~~+~~~ I can see When you stay low nothing happens. Does it feel right? ~~~+~~~ Warum hatte er sich überhaupt jemals Sorgen gemacht? Er hatte die Kontrolle über diesen Blade und würde sie nie verlieren. Black Dranzer war zu schwach um sich gegen ihn aufzulehnen… Wenn er es recht bedachte, hatte er sich in letzter Zeit eh viel zu oft einschüchtern lassen. Er sollte diesen Amateurbladern endlich zeigen, wo ihr Platz war: Weit unter ihm, zu seinen Füßen, wo er sie je nach Lust und Laune zertreten konnte… Schließlich war er der beste Beyblader aller Zeiten – mit diesem wunderbaren, allmächtigen Bitbeast! Dranzer war ein Witz dagegen! Das verzerrte Grinsen wurde breiter und nahm wahnsinnigere Züge an, während Kai immer mehr Black Dranzers Verlockungen erlag und zuließ, dass das Bitbeast in seine Gedanken eindrang und sie manipulierte. Alles schien plötzlich so einfach und wertlos zu werden. Wozu brauchte man Ehre? Wozu Freunde? Der einzige Grund, warum er ihre Nähe suchen sollte, waren ihre Bitbeasts, denn Black Dranzer war hungrig und gierte nach ihrer Macht, die seine eigene nur noch steigern würde. Wozu Versprechen halten, selbst, wenn man sie sich selbst gegeben hatte? Wozu an früher denken, wenn die Zukunft doch so strahlend und verheißungsvoll erschien? Kai zuckte zusammen als ein vertrautes Gesicht in seinen Gedanken auftauchte. Ein Gesicht, das er sogar noch besser zu kennen schien, als sein eigenes oder die der Bladebreakers, obwohl es Jahre zurücklag, dass er es wirklich betrachtet hatte… Plötzlich schienen Black Dranzers Versprechungen nur noch halb so verlockend und die plötzlich aufkommende Trauer erstickte jedes Hochgefühl: Was brachte ihm all die Macht, die er erlangen konnte, wenn sein Bruder dadurch nicht zu ihm zurückkam? Wenn er zuließ, dass Black Dranzer ihn beherrschte, würde er wieder einsam sein… Selbst seine Freunde hatten das klaffende, schmerzende Loch in seinem Inneren nicht füllen können, das sein Bruder hinterlassen hatte, aber zumindest war er nicht mehr völlig allein gewesen. Das Einzige, was Black Dranzer bisher in dieser Beziehung erreicht hatte, war, dass er sich als Verräter fühlte, als größerer Verräter als jemals zuvor – und dass er Albträume hatte, die seinen Bruder und dessen letzte Stunden immer wieder aufs Neue für Kai lebendig werden ließen… ~~~+~~~ Late at night Things I thought I put behind me Haunt my mind. ~~~+~~~ Kai schüttelte den Kopf, als ob er damit auch die düsteren Erinnerungen abstreifen könnte. Trauer hatte Hass und Wut in seinen Augen ersetzt, als er sich seufzend wieder seinem Beyblade zuwandte, der noch immer unbeirrbar seine Kreise zog. „Was machst du nur, Kai Hiwatari“, murmelte er leise und streckte die Hand aus um seinen Blade zurückzurufen und endgültig an Mr. Dickinson zu übergeben. Er gehorchte nicht! Noch einmal rief der Halbrusse seinen Blade zu sich, doch stattdessen kreiselte das schwarze Ding nur noch schneller und in abwechselnd engeren und weiteren Kreisen. Kai konnte spüren, wie sein Herz schneller zu schlagen begann und eine dunkle Ahnung stieg in ihm hoch. „Zu weit“, tauchte seine eigene Stimme aus seinen Erinnerungen auf. Der schwarzgrüne Beyblade begann zu leuchten und schimmernde Wellen kränklich grünen Lichts breiteten sich erst über die Arena, dann über den Boden der Halle aus. Kai wich zurück. Ein Strahl schoss aus dem Blade – und dem unangenehmen Schimmer folgte die Dunkelheit… In einer zähen, nebligen Masse ergoss sie sich aus dem Blade, kroch über den Boden und schwappte über Kais Schuhe, die sofort am in sekundenschnelle vereisten Boden festzufrieren schienen. Wenn die undurchsichtigen Wolken eine Wand erreichten, schwappten sie an ihr hoch und hinterließen eisige Spuren, während sich Eisblumen an den Festern bildeten und mehr als eine Glasscheibe einfach unter der plötzlichen Einwirkung der Kälte, wo zuvor noch Hitze gewesen war, einfach splitterten und sich nur noch mühsam im Rahmen hielten. Kai riss sich los und wich zur Tür zurück, mit einer Hand nach der Klinke tastend, die Augen stets auf den Blade gerichtet, der nun in der Mitte des Stadiums zur Ruhe gekommen war. Die Dunkelheit überholte ihn, brandete an der Tür hinauf und ließ das Holz weißglitzernd zurück. Der Halbrusse versuchte gar nicht erst die mit Eiszapfen versehene Klinke zu ergreifen: Er war gefangen! Ein spöttisches Kreischen erklang und der schwarze Beyblade drehte sich noch eine Spur schneller. Kai wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte: Dass er Black Dranzers Einfluss Stand halten konnte, hieß noch lange nicht, dass er die Kontrolle hatte. Das begriff er jetzt. Auch das dunkle Bitbeast war stärker geworden. Seinem Benehmen nach brauchte es Kai nicht mehr, um sich in Freiheit zu halten, wenn es erst einmal freigelassen worden war… „Zu weit“, flüsterte die geisterhafte Stimme in seinem Kopf. „Wie immer“, antwortete er beinahe ebenso leise und sah zu, wie sich der pechschwarze Phönix aus seinem Gefängnis befreite. ~~~+~~~ I just know there’s no escape now Once it sets its eyes on you. But I won’t run, have to stare it in the eye. ~~~+~~~ Provozierend langsam erschien der schwarze Phönix, eine Wolke aus schwarzem Feuer um sich herum. Wie nach einem langen Schlaf streckte er zunächst die eindrucksvollen Schwingen, dann den ganzen, dunklen Körper, bis er sich seinem ehemaligen Herrn bis zur Krallenspitze präsentiert hatte. Die düsteren, mit Feuer gesäumten Federn wurden aufgeplustert und wieder an den Körper gelegt, die goldenen Verzierungen schimmerten leicht bei jeder Bewegung. Er war ein prachtvolles Bitbeast, schöner und majestätischer als viele andere – doch die Augen, die er nach seinem eitlen, angsteinflößenden Gebaren auf Kai richtete, waren böse und ohne jedes Mitleid. Mit einer sanften Bewegung der Flügel stieg er ein Stück in die Höhe, bis sein heller Schopf beinahe die Decke berührte, wobei er den Blader, der sich vorsichtig von der Tür wegbewegte, immer im Auge behielt. Er hatte so lange gewartet wieder freizukommen – da hatte er sich ein kleines Spielchen mit dem, der ihn gefangen gehalten hatte, verdient. Mit einer täuschend trägen Bewegung schickte er einen Luftschwall in Kais Richtung, der sich gerade noch so zur Seite retten konnte. Das unsichtbare Geschoss traf mit ungeheurer Gewalt auf die Wand knapp neben der Tür und verursachte ein Geräusch, das man bestimmt noch bis ins Dorf hören konnte. Kai fluchte und musste sich beeilen dem nächsten Geschoss auszuweichen. ‚Verdammt, das ist alles meine Schuld!’, ein Hechtsprung rettete ihn vor einer weiteren Attacke, die der Abwechslung halber aus schwarzen Flammenzungen bestand. Der silberhaarige Blader kam wieder auf die Beine und warf einen Blick auf das dunkle Feuer, das sich gierig durch den eisüberzogenen Boden fraß, bis es auf die Grundfläche aus Beton traf und schließlich verlosch. ‚Er wird alles hier in ein Flammenmeer verwandeln… Der Wald ist völlig ausgetrocknet, der brennt wie Zunder. Und was ist mit Tyson, Max, Ray und den anderen?’, Kai wurde schlecht und die nächste Attacke ging nur knapp daneben. ‚Ich muss ihn irgendwie aufhalten! Das alles hier ist meine Schuld! Und ich habe bisher noch nie zugelassen, dass jemand für meine Fehler bezahlen muss! Nicht so, dass ich es nicht wieder gutmachen konnte!’, Entschlossenheit leuchtete in seinen Augen auf und verdrängte die Panik, die begonnen hatte sich wie eine Klaue um sein Herz zu legen. Ohne die besorgten Rufe zu hören, die inzwischen von der eingefrorenen Tür her kamen, wich er der nächsten Attacke aus und stellte sich dann seinem lebendigen Albtraum… ~~~+~~~ Stand my ground, I won’t give in. No more denying, I’ve got to face it. Won’t close my eyes and hide the truth inside. If I don’t make it, Someone else will stand my ground. ~~~+~~~ Mit all seiner Willenskraft versuchte er die schwache Verbindung, die er noch immer zu dem stetig kreiselnden Beyblade hatte, dazu zu nutzen, um Black Dranzer wieder in sein Gefängnis zurück zu zwingen. Rötliche Strahlen, biegsam wie Schnüre, erhoben sich aus dem Blade und legten sich um das erbost schnarrende Bitbeast, das sich wand und zu entkommen versuchte. ‚Zu schwach’, wisperte Kai ängstlich in Gedanken. ‚Zu wenige.’ Der schwarze Phönix bäumte sich auf und die Strahlen rissen so einfach wie ein Spinnennetz. Höhnisches Kreischen, wie Gelächter, schrillte in Kais Ohren und ließ ihn sich zusammenkrümmen. Immer neue Attacken prasselten auf ihn ein, bis Black Dranzer schließlich die Lust verlor ihn zu jagen und ihn nur dann und wann zu streifen. Er breitete die Schwingen weit aus und schlug sie dann mit rasender Geschwindigkeit nach vorn: Zwei große Wirbelstürme bildeten sich und rasten auf den wehrlosen Jungen zu, der bereits seinen Tod vor sich sah. Doch die beiden Luftströme trafen aufeinander und lenkten sich gegenseitig ab, in Richtung Tür und der dazugehörigen Wand. Krachend trafen sie auf den vereisten Beton und rissen ihn in Stücke. Staub wirbelte auf und nahm Kai die Sicht und den Atem. Hustend und spuckend hockte er auf dem Boden und hoffte, dass Black Dranzer von seiner fehlgeschlagenen Attacke dermaßen aus dem Konzept gebracht worden war, dass er ihn für einen Moment in Ruhe ließ. In den Geröllbrocken, die noch vor wenigen Sekunden eine stabile, weiß getünchte Wand gewesen war, richteten sich derweil die ersten Beyblader wieder auf und versuchten ebenfalls den Staub und die Schmerzen aus den Körpern zu bekommen. Bis sich die Wolke wieder legte und sie alle mit einem feinen, grauen Überzug bedachte, waren alle wieder auf den Beinen und starrten fassungslos auf das Bild, dass sich ihnen bot: Black Dranzer schwebte Meter über dem Boden und starrte böse in ihre Richtung. Seitlich hinter ihm, hustend und nach Luft ringend, hockte Kai auf dem Boden und schielte immer wieder zu dem Bitbeast. Der schwarze Phönix fauchte die Beyblader an und spreizte die Schwingen. Offensichtlich hatte er vor sie anzugreifen. „Scheiße“, murmelte irgendjemand. Hinter dem Bitbeast richtete sich Kai gerade wieder auf und wischte sich mit einem Arm über das Gesicht. „Kai!“, brüllte Ray. „Hör auf damit!“ Panik lag in seiner Stimme, denn dunkles Feuer sammelte sich um die mattschwarzen Federn und der grausame Schnabel öffnete sich zu einem weiteren, vorfreudigem Fauchen. Kai starrte ihn an, das Gesicht kalkweiß unter all dem Staub, dann legte er plötzlich die Finger an die Lippen und pfiff laut und durchdringend. Der mächtige, goldbewehrte Kopf flog herum und die brennenden, hasserfüllten Augen richteten sich auf den silberhaarigen Blader, der sich winkend als Ziel anbot. Black Dranzers Verstand setzte sich in Bewegung und begann abzuwägen: Der verhasste, schwache Herr oder die anderen nichtswürdigen Kreaturen, die er alle auf einmal töten könnte. Die Entscheidung war denkbar einfach und der Phönix wandte sich wieder den vor Angst wie gelähmten Bladern zu. Kai pfiff erneut, doch er wurde ignoriert. Hoffend, dass Black Dranzer auch jetzt noch, bei so sicherer Beute, eitel war wie eh und je, begann er das Bitbeast zu beschimpfen: „Hey! Hier bin ich! Du zu lang gekochtes Suppenhuhn! Du mickrige, angekokelte Pfauenhenne! Ein abgebranntes Streichholz ist angsteinflößender als du!“ Die dunklen Augen musterten ihn hasserfüllt einen kurzen Augenblick, dann wandte es sich wieder ab. ‚Scheiße! Das ist meine Schuld! Ich darf nicht zulassen, dass ihnen etwas passiert!’, Kai versuchte es weiter, wobei er Ausdrücke benutzte, die er sonst als weit unter seiner Würde betrachtet hätte. Aber wer war schon kreativ in so einer Situation? Die Blader, die nicht zu beschäftigt waren zu zittern und ihr Leben an sich vorbeiziehen zu sehen, registrierten den Umstand, dass Kai anscheinend nicht Urheber dieses Albtraums war, verblüfft. Allerdings hatten sie nicht allzu lange Zeit dazu: Black Dranzer bäumte sich auf und stieß einen lauten, schmerzhaft schrillen Schrei aus, dann schlug es mit den Flügeln – wobei es sich im letzten Moment zur Seite warf und auf Kai zielte. Derart überrumpelt blieb Kai keine Chance um auszuweichen und der Feuerball traf ihn schmerzhaft vor die Brust und schleuderte ihn hart mit dem Rücken gegen die Wand. Ihm wurde die Luft aus den Lungen getrieben, sein Kopf füllte sich mit einem dumpfen Schmerz, während seine Sicht in blendenden Lichtblitzen ertrank, und er hatte das Gefühl, als ob sämtliche Knochen in seinem Körper zersplittern würden, während seine Haut einfach verdampfte. Doch der Schmerz in seiner Brust ließ zu rasch nach, als er an der Wand nach unten rutschte und ihm wurde klar, dass Black Dranzer noch immer mit ihm spielte. Vermutlich würde der schwarze Phönix sich einen Spaß daraus machen, ihn langsam zu Tode zu quälen. Wie hatte er bloß jemals die Idee haben können, ihm gewachsen zu sein. Sie spielten in zwei völlig unterschiedlichen Ligen… ~~~+~~~ It’s all around, Getting stronger, coming closer, Into my world. ~~~+~~~ Wie zum Beweis fühlte er sich plötzlich an den rauchenden Überresten seines T-Shirts hochgezogen, bis seine Füße nicht länger den Boden berührten. Eisige Augen starrten ihn an, voller Hass und Hohn – ob er bei seinem Kampf gegen Tala genauso ausgesehen hatte? Schwer atmend spürte er die Hitze, die von dem mächtigen, gefiederten Körper in seiner Nähe ausging und die Krallen, die sich, als sie den Halt am nachgebenden Stoff verloren, tief in sein Fleisch bohrten. Black Dranzer schnarrte belustigt, als er sich wand und zu entkommen versuchte, ließ ihn aber weiter zappeln. Die anderen Beyblader beobachteten die schreckliche Szene voller Grauen und wussten nicht genau, was sie tun sollten. Einige hielten ihre eigenen Blades in den Händen, doch ob sie eine Chance gegen den schwarzen Phönix hatten? Selbst Zeus schien ihnen weit weniger mächtig und furchteinflößend… „Wir müssen etwas tun! Er wird ihn umbringen!”, flüsterte Hillary und zuckte zusammen, als sie Blut über Kais Oberkörper laufen sah. „Und was bitte?“, brüllte Lee gereizt. „Sieh dir das Ding doch an! Dagegen haben wir wohl kaum eine Chance!” Trotzdem schloss er seine Faust fester um seinen Blade und machte einen Schritt vor. Wenigstens versuchen mussten sie es… Tyson, Ray und Max zeigten dagegen keine Spur eines Zögerns: Kai war mit ihnen in einem Team gewesen und das bedeutete, dass sie für einander verantwortlich waren und einander halfen – selbst wenn dieses Team seit etwa einem halben Jahr Geschichte war. Außerdem war Kai ihr Freund – und sie hatten noch nie seit ihrem Kennenlernen so eine unverhohlene Panik auf seinem Gesicht gesehen wie jetzt, wo Black Dranzer ihn wie ein Spielzeug in seinen Klauen hielt und ihn zu verbrennen drohte. Sie machten sich bereit ihre Beyblades zu starten und bis zum Äußersten zu gehen, als sie Kais befehlende Stimme davon abhielt: „Seit ihr verrückt geworden? Haut ab! Ihr habt keine Chance! Das ist eine Sache zwischen ihm und mir!“ Wieder griffen die rötlichen Stränge nach dem Bitbeast, doch es schüttelte sie problemlos ab. ~~~+~~~ I can feel That it’s time for me to face it, Can I take it? ~~~+~~~ Er schrie auf, als sein ehemaliges Bitbeast, erbost über die ach so heldenhaften Worte, Flammen um seinen Körper spielen ließ. Sein Opfer hatte gefälligst schreiend und leidend unterzugehen und keine großen Reden zu schwingen. Aber wenn Kai so viel an diesen Menschen lag, dass er sie unbedingt retten wollte… Black Dranzers Kopf fuhr herum und seine Augen blitzten boshaft auf, dann entfaltete er die mächtigen Schwingen und Flammen loderten auf, die sich in Windeseile in ganzen Raum verteilten und ein Durchkommen beinahe unmöglich machten. Während der schwarze Phönix zufrieden auf die erschrockenen Schreie der anderen Blader im Hintergrund lauschte, wandte er sich wieder Kai zu, der ihn voller Grauen anstarrte. Gemächlich ließ sich Black Dranzer zu Boden sinken und pinnte seinen ehemaligen Herren mit einer großen Klaue fest. Mit ihm würde er sich beschäftigen, wenn seine Freunde erst einmal erledigt waren und er völlig verzweifelt war… Blind in seiner Grausamkeit bemerkte der Phönix nicht, dass er Fehler gemacht hatte, wie schon so viele vor ihm: Denn wenn man Kai an die Wand drängte, begann er sich zu wehren. Stärker als jemals zuvor, mit allem, was er aufbringen konnte… ~~~+~~~ Though this might just be the ending Of the life I held so dear. But I won’t run, there’s no turning back from here. ~~~+~~~ Entschlossen versuchte er trotz des beißenden Qualms, der tosenden Flammen, des schweren Gewichts auf seiner Brust und dem stechenden Schmerz in jeder Faser seines Körpers all seine Willenskraft zu konzentrieren und Black Dranzer wieder in seinen Beyblade zurück zu zwingen. Wenn es ihm gelingen würde, würde das Feuer erlöschen und es würde vielleicht noch einmal alles gut ausgehen. Wenn nicht… Weiter wollte er gar nicht denken. Tatsächlich waren die Stränge dieses Mal stark und zahlreich, legten sich wie Fesseln um den pechschwarzen Körper und zogen ihn trotz der heftigen Gegenwehr und des zornigen Geschreis wieder zurück zu dem nun gefährlich schlingernden Beyblade. Die Flammen verloren an Kraft und gewannen ihre normale, rötliche Färbung zurück, flackerten aber dennoch wie in einem unsichtbaren Kampf immer wieder auf. Von der haltenden Klaue befreit, stützte Kai sich auf die Ellenbogen und beobachtete, wie Black Dranzer auf halbem Weg zwischen Beyblade und Besitzer anhielt und wild gegen die Fesseln ankämpften, die sich fest um Flügel und Hals schnürten und sich nicht im mindestens von den brennenden Federn und dem scharfen Schnabel beeinflussen ließen. Kai richtete sich vollkommen auf und versuchte auf die wackeligen Beine zu kommen, die sein Gewicht kaum tragen wollten. „Haut gefälligst endlich ab!“, brüllte er den wie paralysiert dastehenden Beybladern zu. Trotz der nun immer kleiner werdenden Flammen machten sie keine Anstalten ihre Chance zu nutzen und zu fliehen, sondern sahen nur fasziniert dem Schauspiel zu. „Aber du hast ihn fast!“, schrie Daichi in einem Anflug von Begeisterung zurück. „Noch ein kleines Stück und wir sind ihn los!“, verkündete Tyson optimistisch und sah seinen Freund und ehemaligen Teamleader an. Begeisterung stand in seinem Blick, Aufmunterung – und so viel Vertrauen, dass Kai seinen Willen durchsetzen und die Sache wieder in den Griff bekommen würde, dass dem silberhaarigen Beyblader fast schlecht wurde. Vor allem, als er dieses Vertrauen noch in mehreren anderen Gesichtern entdeckte. ‚Aber die Kraft für dieses kleine Stück habe ich nicht mehr’, dachte er verzweifelt und wünschte sich, niemals geboren worden zu sein. Er war vollkommen ausgelaugt und hatte das Gefühl mit jedem Augenblick mehr Schmerzen zu haben. Der einzige Grund, warum er überhaupt noch lebte, war Black Dranzers ausgeprägter Spieltrieb… ‚Ich kann nicht mehr’, diese Worte sickerten träge in seinen Gedanken und die rötlichen Fesseln des schwarzen Bitbeast zerrissen geräuschlos und entließen es in die Freiheit. Außer sich vor Wut schrie es seinen Hass in die Welt hinaus und griff seinen Herrn erneut an. Auch wenn der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, würde er ihn nicht noch einmal unterschätzen und ihn nun ein für allemal auslöschen. Erneut wurde Kai krachend gegen die Wand geworfen und während der Schmerz durch seinen Körper tobte, schien alles vor ihm schwarz zu werden. Krampfhaft klammerte er sich an die winzigen Fetzen Realität, die er noch wahrnahm und versuchte der nach ihm greifenden Bewusstlosigkeit zu entkommen. Nur am Rande registrierte er, wie die scharfen Klauen ihn erneut in die Höhe hoben und ihn dann ein weiteres Mal in Richtung Wand schleuderten. Sein Aufprall wurde von einem anderen Körper gedämpft, der sich zwischen ihn und den Beton geworfen hatte. Kai hörte ein dumpfes Ächzen, als seinen Beschützer die ganze Wucht der Attacke traf, doch er hielt sich aufrecht und brachte es sogar noch fertig, den silberhaarigen Blader zu stützen. Der silberhaarige Blader glaubte eine vertraute Stimme zu hören, die beruhigende und ermunternde Worte flüsterte, war sich aber nicht sicher. Sehen konnte er die Person allerdings nicht, denn noch immer kämpfte er mit der Schwärze, die sich in seinem Gehirn ausbreiten wollte. Vielleicht wäre es ja besser einfach nachzugeben… Jetzt, wo er durch den Stress und die Schmerzen von Dingen fantasierte, die eigentlich gar nicht sein konnten… „Komm schon… Du kannst doch nicht einfach so aufgeben. Du darfst nicht aufgeben. Kai!”, beschwor ihn die Stimme. „Das passt nicht zu dir!“ Und ob nun eingebildet oder nicht, Kai zog neuen Mut und Entschlossenheit aus den Worten: Wenn sein Bruder an ihn glaubte, konnte er diese Hürde auch meistern. So war es schon immer gewesen – und so würde es auch immer sein. Ein schwaches Lächeln huschte über seine Lippen, während er sich nun selbst mühte wieder halbwegs aufrecht zu stehen. „Ich bin froh, dass du wieder da bist…“, stellte er fest, auch wenn er sich nicht sicher war, ob er die Worte nun tatsächlich ausgesprochen oder nur gedacht hatte. ~~~+~~~ All I know for sure is I’m trying. I will always stand my ground. ~~~+~~~ Irgendwie gelang es ihm sich aufrecht zu halten, die stützenden Hände immer auf seinen Schultern, und noch ein letztes Mal sammelte all seine Kraft um Black Dranzer entgegenzutreten. Er konnte nicht sehen, wie sich der schwarze Phönix verzweifelt aufbäumte und sich dagegen sträubte erneut in einen Bitchip verbannt zu werden, doch er hörte seine protestierenden Schreie und spürte, wie jemand ermutigend seine Schultern drückte. Jetzt nur nicht nachlassen, flüsterte es in seinen Gedanken und er zwang sich trotz seiner Erschöpfung einfach durchzuhalten. Er musste nicht sehen, ob er Erfolg hatte oder ob Black Dranzer sich vielleicht bereits wieder befreit hatte und nun dabei war ihn anzugreifen. Es war unwichtig geworden… Wichtig war nur, dass sein Bruder wieder da war und ihm den Rücken stärkte. Wenn er das hier erst einmal geschafft hatte, könnte er endlich wieder einmal richtig mit ihm reden und es gab so vieles, was er ihm unbedingt sagen wollte… Was er ihm sagen musste! ~~~+~~~ Stand my ground, I won’t give in. I won’t give up, no more denying. I’ve got to face it. Won’t close my eyes and hide the truth inside. If I don’t make it, Someone else will stand my ground. ~~~+~~~ Plötzlich schien sich irgendetwas zu verändern: Die dunkle Präsenz, die Kai ohne es wirklich zu registrieren, bis eben noch als schmerzhaften Druck in seinen Gedanken wahrgenommen hatte, verschwand spurlos und ließ ihn verwirrt und völlig am Ende zurück. Die Dunkelheit in seinem Gehirn breitete sich nun immer schneller aus und der Junge verstand mit einem Mal gar nicht mehr, warum er sich bis eben noch gegen die sanfte Umarmung der Finsternis gewehrt hatte. Nichts schien ihm schöner, als jetzt in die tiefe Bewusstlosigkeit versinken zu können und alles, was geschehen war, für einen Moment zu vergessen… Langsam sackte er in sich zusammen, gehalten von hilfreichen Händen, die ihn halbwegs bequem auf den Boden betteten. Kurz bevor Kais Bewusstsein endgültig abschaltete, bemerkte er noch, wie ihm jemand sanft durchs Haar fuhr und ihm zuflüsterte: „Das hast du gut gemacht, Kleiner…“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Ich hoffe, es hat euch gefallen und euch zum Nachdenken angegeregt. Ist ja genug passiert, nicht wahr? ^.~ Wir sehen uns im nächsten Kapitel - dessen Name mir noch immer arges Kopfzerbrechen bereitet. Bis dann ^^ Lyos Kapitel 8: Zwei Seelen in meiner Brust: Dunkelheit -------------------------------------------------- Hey, da bin ich wieder... Ich weiß, ich hatte vielen Leuten versprochen, in diesem Kapitel endlich mal ein paar handfeste Informationen einfließen zu lassen - und das tue ich auch, nur, dass aus diesem Kapitel zwei geworden sind, da sich die Wortzahl irgendwann auf über 12.000 Wörter belief. Ironischerweise hatte ich ganz zu Anfang noch Angst, dass das Kapitel zu kurz werden würde. So kann man sich irren *drop* Nun ja *hust... Das es überhaupt voran ging, verdanke ich Amadare, Blumen etc. gehen also an sie ^.~ Hintergrundmusik: "Nicht untergehn" vom Beyblade-Soundtrack. _________________________________________________________________________________ Schlief er noch? Kai war sich nicht sicher… Alles um ihn herum war dunkel, eine warme, angenehme Dunkelheit, nicht der kalte, erdrückende Nebel, der von Black Dranzer verbreitet wurde. Ach ja, Black Dranzer! Da war doch etwas gewesen, oder? Er hatte ihn Mr. Dickinson geben wollen und dann…? Ein quälender Schmerz fuhr plötzlich durch seinen Körper und ließ ihn überrascht und beinahe empört, dass man ihn so jäh aus seinen Gedanken riss, ächzen. Was sollte das? Er hatte Black Dranzer nicht widerstehen können und ihn freigesetzt, so viel wusste er noch. Sie hatten gekämpft und er hatte verloren, oder? Oder? Erneut war da Schmerz, wanderte über seine Rippen hoch zur Schulter und wieder zurück. Eine zweite Welle glitt kurz darauf über seine Wirbelsäule, die dritte Schmerzquelle manifestierte sich in seinem Schädel, der sich anfühlte, als ob ihn jemand in Stücke gesprengt und dann fein säuberlich den Inhalt zu Brei verquirlt hätte. Kai war sich nicht sicher, ob er vor Pein aufschreien oder lieber unwillig murren sollte. Irgendwie konnte sich das, was einmal sein Gehirn gewesen sein musste, nicht recht entscheiden, welche dieser zwei doch sehr ungewöhnlichen Alternativen es nun wählen sollte. Verdammt! Da war man schon tot und hatte noch nicht einmal da seine Ruhe… Oder sollte das hier die Hölle sein? Wenn ja, dann sollte gefälligst mal jemand das Licht anmachen. Zumindest darauf hatte man als verdammte Seele doch Anspruch, oder? Kai ächzte erneut, als der Schmerz ohne auf seine stillen Proteste zu achten, von der linken zur rechten Seite wanderte. Recht hatte er… Wenn er, Kai, der Verursacher dieser Qual wäre, hätte er auch nicht auf sich gehört, wo er doch so einen Schwachsinn dachte. Mühsam versuchte er die letzten Reste klaren Verstandes zu sammeln, die ihm verblieben sein mussten – irgendwo… Er hatte Glück: Das seltsam unwirkliche Gefühl, dass sich in ihm ausgebreitet hatte und ihn seltsame, völlig unsinnige Sachen denken ließ, zog sich etwas zurück und erlaubte ihm sowohl auf sein Gedächtnis als auch auf seine Logik zurückzugreifen. Mehr brauchte er erstmal nicht, denn egal, was nun die Wirklichkeit da draußen war, sie tat weh und davon hatte er beim Kampf gegen Black Dranzer nun wirklich genug gehabt. Wo man schon grad beim Thema war: Wer hatte denn nun gewonnen? Kai hörte jemanden in weiter Ferne vor Schmerz wimmern und Mitleid stieg in ihm hoch. Ja, da hatte es einer nicht leicht, dachte er lautlos seufzend. Konnte einem Leid tun, der arme Kerl, so wie sich das anhörte… Moment mal! War das nicht seine eigene Stimme? Das Wimmern wiederholte sich und bestätigte seinen Verdacht. Milde verblüfft lauschte er auf die qualvollen Laute, dann schüttelte gedanklich den Kopf: Er winselte vor Schmerz und bekam es nicht mit? War er vielleicht doch tot? Vielleicht hing er gerade irgendwo auf dem Weg zur Hölle herum und hörte sich selbst sterben, oder so… Kurze Zeit versuchte er sich dieses seltsame Bild vorzustellen, dann meldete sich seine Logik zurück und machte den Albernheiten ein Ende. Nachdem sie sich mit Kais Erinnerungen zusammengetan und die vorliegenden Daten noch einmal überprüft hatte, war sie sich sicher, dass ihr Beisitzer noch nicht tot war, nur – Kai zog eine gedankliche Grimasse bei diesem ‚Nur’ – etwas zerfetzt, zerschunden, komplett durchgebläut und am Ende seiner Kraft. Na wenn es weiter nichts war… Beruhigt, dass er anscheinend völlig in Ordnung war, ließ Kai es zu, dass das der seltsame Schwindel wieder an Kraft gewann und seine Gedanken zurück in die Dunkelheit zog. War doch eigentlich ganz nett hier… Ruhig, gemütlich, eine schöne, wenn auch etwas eintönige Aussicht. Selbst die Schmerzenslaute und die dazugehörigen Gefühle drangen nur noch schwach zu ihm durch. Richtig schön friedlich… ‚Langweilig’, maulte ein selten zu Wort kommender, kindischer Teil seines Wesens und begann einen Streit mit den Anteilen Kais, die sich nach Ruhe, Komfort und Frieden sehnten. Der junge Blader hörte eine Weile zu, dann wurde es ihm zu bunt. ‚Ich kann so nicht arbeiten’, murmelte die Logik und verschwand in der Finsternis, wodurch sich Kai plötzlich sehr einsam zu fühlen begann. Bevor seine Erinnerungen ebenfalls verschwanden, packte er sie und begann sie interessiert zu durchforsten. Da war noch irgendetwas, irgendetwas Wichtiges, enorm Wichtiges – aber was? Verstimmt stellte der Junge fest, dass seine Logik schmollend jede Hilfe verweigerte, also war er auf sich selbst gestellt. ‚Ich brauche einen Psychiater’, murmelte ein Stimmchen im Hintergrund mürrisch und half dann tatkräftig mit zu suchen. Schließlich fanden sie eine äußerst interessante Erinnerung, die Kai in eine seltsame Hochstimmung versetzte: Sein Bruder hatte ihm geholfen! Mit seiner Hilfe hatte er Black Dranzer bezwungen! Plötzlich war Kai wieder vier Jahre alt und mächtig stolz auf sich. Die Logik, die nun auch wieder interessiert zu sein schien, besah sich die unklaren Erinnerungen, seufzte und begann herumzuunken, dass das unmöglich sei, doch niemand hörte auf sie. Alles in Kai war damit beschäftig, ihm kräftig auf die Schultern zu klopfen und zu versichern, dass es nie an ihm gezweifelt hätte. Nur die leisen Stimmen, die sich irgendwo im Nirgendwo unterhielten, ernst und besorgt, passten nicht ganz zu diesem Bild des allgemeinen Freudentaumels. Während in der Dunkelheit langsam eine sehr seltsame Art von Party in Gang kam, die Erinnerungen völlig entblößt in eine Ecke flohen und die Ruhe wünschenden Stimmen schwach protestierten, suchte der Teil von Kai, der sich ganz sicher war, dass er jetzt völlig wahnsinnig geworden war, einen Weg an die Oberfläche dieses Chaos’, immer in Begleitung der noch immer beleidigten Logik, die ebenfalls wissen wollte, was denn nun genau los war. Sich völlig still verhaltend, lauschten sie andächtig drei Stimmen, von denen sie nur zwei identifizieren konnten: Mr. Dickinson und Judy unterhielten sich mit einem unbekannten Mann, der sehr von sich überzeugt zu sein schien, dass er beruhigend klang und wirkte. ‚Kann nur ein Arzt sein’, schaltete sich ein weiterer Teil Kais ein, der bisher unbemerkt geblieben war: Sein Sarkasmus. Tatsächlich wirkten Mr. Dickinson und Judy alles andere als beruhigt, im Gegenteil, Max’ Mutter schien sogar am Rande einer Hysterie zu sein. Als der Sarkasmus zu einem weiteren Kommentar ansetzte, bedeuteten ihm Logik und Vernunft erbost still zu sein. Sie wollten hören, was da vor sich ging. „Mrs. Tate… Beruhigen sie sich!“, sagte die unbekannte Stimme beschwörend. Das Bild eines weißgekleideten, Pseudohalbgottes mit Schmerbauch und Glatze tauchte in Kais Gedanken auf, die Zähne weiß blitzend, die Hühnerbrust stolz geschwellt durch all das Gute, was er für die Welt zu tun glaubte. ‚Wir lieben Ärzte wirklich, hm?’, stellte der Sarkasmus an die Vernunft gewandt fest. Die nickte seufzend: ‚Alles Schuld der Abtei!’ „Judy! Bitte… Es hilft niemandem, wenn du auch noch zusammenbrichst!“, schaltete sich Mr. Dickinson ein. Er schien mehr Erfolg zu haben als der Arzt, denn tatsächlich murmelte die aufgeregte Frau noch ein paar unverständliche Sätze und verstummte dann. ‚Die sind ganz schön laut, dafür, dass sie in Gegenwart eines Patienten sind’, stellte der Sarkasmus trocken fest. ‚Wer ist den der Patient’, fragten Logik und Vernunft gleichzeitig. ‚Wir?’, der Sarkasmus war sichtlich erstaunt, dass der Rest von Kai das noch nicht mitbekommen hatte. ‚Oh…’ „Ich habe ihn untersucht und soweit ich feststellen kann, gibt es keine schwereren Verletzungen als ein paar vielleicht angebrochene Rippen, diverse Schnittwunden, Stauchungen und Quetschungen. Genaueres könnte man nur in einem Krankenhaus feststellen, aber das nächste ist mehrere Kilometer von hier entfernt…“, der Doktor schien endlich zum interessanten Teil des Gesprächs überzugehen. „Und?“, fragte Hiro. ‚War ja klar, dass der auch da ist’, murmelte der Sarkasmus und seine beiden Begleiter seufzten synchron. „Sein Kopf macht mir Sorgen“, murmelte der Arzt. ‚Mir erst“, war Kais Kommentar dazu und er warf einen Blick auf das Chaos, das im Moment innerhalb seines Gehirns herrschte. „Laut ihrer Aussage hat es mehrere starke Schläge auf den Hinterkopf gegeben… Das könnte eine Gehirnerschütterung zur Folge haben. Es wäre keine gute Idee ihn jetzt zu bewegen, wenn nicht unbedingt nötig. Ich würde vorschlagen, dass ich hier bleibe, bis ich mir sicher sein kann, wie es um ihn steht. Dann sehen wir weiter, ob wir ihn in ein Krankenhaus einweisen lassen, oder nicht“, sagte der Arzt mit einem Hauch Seriosität in der Stimme. ‚Nur kein Krankenhaus’, winselte eine leise Stimme im Hintergrund, verstimmte aber sofort wieder. Die drei ungewöhnlichen Zuhörer tauschten einen Blick, dann hörten sie weiter zu. Schritte waren zu vernehmen: Die Erwachsenen wollten gehen. „Können wir ihn einfach so allein lassen?“, fragte Judy unsicher. „Ich habe ihn unter sehr starke Medikamente gesetzt. Im Moment dürfte er nichts um sich herum wahrnehmen“, versuchte der Arzt sie noch zu beruhigen, bevor die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. „Das sehe ich aber anders. Fachidiot!“, unkte der Sarkasmus, während sich Logik und Vernunft ansahen: „Das erklärt so Einiges…“ Derweil herrschte hinter ihnen ein sich immer weiter ausdehnendes Chaos… Seit dem gerade noch verhinderten Unglück waren inzwischen mehrere Tage vergangen. Tage, die die meisten Blader in gedrückter Stimmung irgendwo im Schatten verbracht hatten, darauf wartend, dass sie endlich irgendein Erwachsener darüber aufklärte, was nun genau mit Kai war. Sie wussten nur, dass sie still sein sollten und sein Zimmer nicht betreten durften. Also saßen sie auch an diesem Abend in der Küche, starrten entweder auf ihre noch halbvollen Teller, auf den Tisch oder aus dem Fenster. Es war seltsam, aber irgendwie erschien die Welt plötzlich leer ohne einen Kai Hiwatari – und wenn er nur still in einer Ecke stand und sie beobachtete. Wie sehr man sich doch an etwas gewöhnen konnte… Hiro betrat den Raum und betrachtete die langen Gesichter. Ein paar Beyblader drehten sich zu ihm um, doch da er nicht so aussah, als ob er Neuigkeiten hätte, wandten sie sich fast sofort wieder ab. Tysons Bruder setzte sich auf einen der freien Stühle und ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen: Alle sahen niedergeschlagen aus, wobei die ehemaligen Mitglieder der Bladebreakers so wirkten, als ob sie ihrem Freund bald auf dem Krankenlager Gesellschaft leisten würden. Er würde dafür sorgen müssen, dass sie mehr aßen und schliefen, notierte sich Hiro gedanklich und hielt dann Ausschau nach weiteren Bladern, auf die er ein Auge werfen musste. Auf den ersten Blick fiel ihm niemand auf, der ähnlich blass und abgekämpft aussah, doch als er sich noch einmal umsah, stellte er leicht verwundert, vor allem aber belustigt, fest, dass die russischen Blader ebenfalls schon mal besser ausgesehen hatten. Sie gaben sich zwar Mühe ihre Anspannung zu verstecken und unbeteiligt zu wirken, doch es gab einige verräterische Anzeichen für ihre wahren Gedanken: Immer wieder zur Tür zuckende Augen, schwach zitternde Hände und eine unnatürlich gerade Haltung. Ob Kai sich überhaupt bewusst war, wie viel er seinem ehemaligen Team zu bedeuten schien, trotz all der Widrigkeiten, die sie miteinander hatten? Etwa nur, weil sie zusammen in der Abtei gelitten hatten? Wäre interessant zu wissen, ob dieser – Konnte man es bereits „Familienstatus“ nennen? – nur Kai betraf oder ob auch andere ehemalige Abteizöglinge diese Ehre hatten. Vielleicht sogar alle? Hiro verschob diese Frage auf später und wandte sich lieber wieder der momentanen Lage zu: Alles unverändert. Vielleicht sollte er sich irgendetwas einfallen lassen um die Jugendlichen zu beschäftigen? Aber was? Der junge Mann fluchte unhörbar und massierte sich die schmerzenden Schläfen. Wie er dieses zermürbende Warten doch hasste… Die unangenehme Stille würde jäh unterbrochen, als die Tür schwungvoll geöffnet wurde und krachend gegen die Wand schlug. Tala trat ein, warf die Tür genauso rücksichtslos wieder ins Schloss und ließ sich dann auf einen Stuhl zwischen seinen Teamkameraden fallen, ohne sich an den empörten Gesichtern der anderen Anwesenden zu stören. Sein Gesicht schien förmlich zu Stein erstarrt zu sein und ließ keinen Schluss zu, ob er sich nun ärgerte, dass Kai überlebt hatte oder freute, dass es ihm alles andere als gut ging. Selbst seine Augen wirkten leblos und kalt wie Eissplitter. Einige Blader wagten es gegen sein rücksichtsloses Verhalten zu protestieren, wurden aber mit einem der eisigsten Blicke, die der Russe je zu Stande gebracht hatte, zum Schweigen gebracht. Irgendwie hatten alle das Gefühl, dass dieser drohende Blick dieses Mal nicht nur Show war… Erneut herrschte eine Weile Ruhe, dann konnte man leise Stimmen auf dem Gang vernehmen. Jeder im Raum spitzte die Ohren und versuchte zu verstehen, was dort gesprochen wurde, doch die Worte waren zu leise und so blieb ihnen nichts anderes übrig als weiterhin zu warten. Und tatsächlich wurde ihre Geduld letztendlich belohnt: Kurz nachdem die Stimmen verstummt waren, betrat Judy den Raum. Sie sah mindestens so erschöpft aus wie ihr Sohn, doch ihr fehlte der ängstliche Ausdruck, der die Gesichter aller Bladebreakers beherrschte. Als sie bemerkte, dass sie der absolute Mittelpunkt des Interesses war, selbst Tala hat sich von der Wand losgerissen, die er bis eben noch in Grund und Boden gestarrt hatte, musste sie unwillkürlich lächeln. So viele wissbegierige Gesichter hatte sie schon lange nicht mehr gesehen… „Um euch nicht länger auf die Folter zu spannen: Kai geht es besser. Er wird voraussichtlich morgen im Laufe des Tages aufwachen“, wenn sie und Hiro nicht schnell zur Ruhe gemahnt hätten, wäre wohl ein wahrer Freudensturm ausgebrochen. So aber gab es nur leisen Jubel, dafür aber eine Menge freudestrahlender Gesichter. „Es wäre besser, wenn ihr auch die nächsten Tage noch etwas leiser seid als sonst. Kai hat eine Gehirnerschütterung, wenn auch keine allzu schwere. Ansonsten scheint er keine schwereren Verletzungen zu haben als eine angebrochene Rippe“, stirnrunzelnd verfolgte sie, wie mehrere wütende Blicke zu Tala wanderten, der sie allerdings kaum beachtete und sich bereits wieder seiner Wand zugewandt hatte. Sie verschob ihre Fragen auf später und atmete einmal tief durch: „Das… war die gute Nachricht.“ Sofort wurde es totenstill im Raum. Judy setzte sich und trank erst einen Schluck Kaffee, bevor sie mit ernstem Gesicht fortfuhr: „Es… gibt Probleme. Der Doktor ist sich noch nicht sicher, womit es zusammenhängt, aber…“ „Aber was?“, wollte Daichi wissen. Entsetzt, dass ihm die Frage so laut herausgerutscht war, sackte er in sich zusammen, doch niemand dachte auch nur im Entferntesten daran mit ihm zu schimpfen. „Kai ist blind. Zumindest im Moment… Es kann erst im Krankenhaus geklärt werden, was geschehen ist, aber es bestehen gute Chancen, dass es sich wieder gibt, also solltet ihr euch nicht zu große Sorgen machen… Das eigentliche Problem ist ein anderes: Wer sagt es ihm, wenn er aufwacht?“ Wer sagt es ihm? Wer teilt einem gerade erst aus mehrere Tage andauernder Bewusstlosigkeit erwachten Jungen mit, dass er blind ist? Vermutlich nicht für immer, aber blind… Wer würde Kai klarmachen, dass er von einem Albtraum in den nächsten geschlittert war? Diese Frage ließ niemanden in dieser Nacht schlafen. Sie alle wussten, dass es ihm irgendjemand sagen musste, bevor er es von sich aus herausfand und entweder in Panik ausbrach oder in Depressionen versank… Aber wer? Der Arzt war der Meinung, dass es jemand sein sollte, den Kai kannte. Mr. Dickinson war der Ansicht, dass er, nachdem er dem silberhaarigen Blader mit einem Ausschluss von sämtlichen Turnieren gedroht hatte, wohl kaum die richtige Person war, um ihm so eine Hiobsbotschaft zu überbringen. Hiro merkte an, dass er den Halbrussen in letzter Zeit in so viele Schwierigkeiten gebracht hatte, dass der ihn, wenn er ihm nun auch noch damit kam, wohl für immer hassen würde, ohne dass jemals eine Chance bestehen würde, das zu ändern. Judy hatte Angst, dass sie vor Kai vielleicht die Nerven verlieren könnte. Dann würde er annehmen, dass sie ihm etwas verschwieg. Außerdem war sie sich nicht sicher, ob sie nicht anfangen könnte, ihn so zu behandeln, wie sie Max in so einer Situation behandeln würde – und niemand konnte mit Sicherheit sagen, ob Kai nach dieser Nachricht in der richtigen Stimmung war um umarmt und umsorgt zu werden. Blieben also noch Tysons Großvater und Romero, doch auch wenn Beide große Stücke auf den Jungen hielten, so waren sich doch alle einig, dass keiner von Beiden das nötige Feingefühl hatten, um ihm die Nachricht schonend beizubringen und sich nicht seinen ewigen Hass zuzuziehen. Also wer sollte es ihm sagen? Die Erwachsenen kamen zu dem Schluss, dass es wohl am besten war, wenn einer der Jugendlichen diese schwere Aufgabe übernahm. Also saßen alle Beyblade mit deutlichen Augenringen und blassen Gesichtern am nächsten Morgen am Frühstückstisch, bekamen keinen Bissen herunter und fühlten deutlich, wie die Last der Verantwortung vom einen zum anderen wanderte… Wer sollte es Kai sagen, wenn sogar die Erwachsenen zu feige waren, diese Rolle zu übernehmen? Ohne, dass sie auch nur ein Wort miteinander wechselten, begannen sie alle in die Runde zu blicken und gleichzeitig gewisse Personen aus dem Kreis der möglichen Boten auszuschließen: Rothaarige Hitzköpfe, die eh immer sofort Streit mit Kai anfingen; laute Amerikaner mit einem weichen Herz aber einer zu rauen Schale; gewisse Teams, die Kai bisher nur ein oder zwei Mal geschlagen hatte und ein im Moment sehr betrübt aussehender Brooklyn flogen als Erste aus der Auswahl, was sie vermutlich nicht wirklich störte. Als Nächste waren die Amerikaner allgemein dran, dann die White Tiger X, die restlichen Majestics und schließlich, nach längerem Überlegen, auch die Russen, die zwar aufatmeten, zugleich aber auch äußerst bedrückt aussahen, dass sie ihrem ehemaligen Teammitglied nicht helfen konnten. Letztendlich geschah das, was denjenigen, die trotz der dunklen Wolke über ihren Köpfen noch vernünftig hatten denken können, von Anfang klar gewesen war: Tyson, Max und Ray blieben als einzige Kandidaten übrig. Nur sie würden Kai diese Botschaft überbringen können, ohne dass er völlig ausflippen würde. Mehr noch, sie könnten ihn vielleicht sogar beruhigen und wieder aufbauen. Während die anderen Jugendlichen langsam wieder auflebten, weil der bittere Kelch an ihnen vorbeigegangen war, sackten die drei armen Auserwählten immer weiter in sich zusammen. Max war leicht grün im Gesicht und wirkte, als ob er sich demnächst übergeben würde, Ray kaute auf seiner Unterlippe herum und Tyson suchte verzweifelt einen Ausweg. Sie würden im Moment so ziemlich alles dafür tun, ihrem Freund nicht diese Nachricht überbringen zu müssen. Wie sollten sie es ihm sagen? Wie würde er es aufnehmen? Wie würden sie dann vor ihm dastehen? Diese ganze Situation war doch der reine Horror! Eine plötzliche Idee schlich sich in Tysons Kopf und verzweifelt wie er war, klammerte er sich an diesen einen letzten Strohhalm, wie dünn und fadenscheinig er auch war, wohl wissend, dass er nur, wie alle anderen auch, versuchte, die unangenehme Aufgabe auf jemand anderen abzuschieben. Er sah hoch und zu Tala hinüber, der sich seit gestern Abend nicht gerührt zu haben schien. Noch immer starrte der Rotschopf auf die Wand, die eigentlich schon längst zentimeterlange Risse haben oder zumindest gefroren sein müsste. Oder war sie vielleicht bereits tot? Hatte Tala die Wand getötet… Okay, auch, wenn das, was gerade in seinem Kopf herumspukte, weder richtig noch sonderlich angenehm war, diesen Verdrängungsversuch fand selbst Tyson peinlich. Es half ja alles nichts und er konnte nur gewinnen, schließlich war es doch eine super Idee, oder? „Was…“, mit einem Schlag ruhten alle Augen auf ihm, ein Umstand, den er sonst durchaus genoss, der ihm heute jedoch förmlich den Hals zuzog. Er schluckte hart, dann versuchte er es noch einmal: „Was ist, wenn Tala es ihm sagt? Kai hasst ihn ja eh und wenn wir dann dabei sind und ihn gleich beruhigen…“ Weiter kam er nicht. Tala sprang so schnell auf, dass sein Stuhl krachend gegen die Wand geschleudert wurde, die Hände innerhalb von Sekunden zu Fäusten geballt. „Verlang das nicht von mir“, zischte er tonlos, das Gesicht totenblass und vor Wut und Hass verzerrt. Ohne noch weiter auf die erschrockenen, verwirrten Blicke um sich herum zu achten, stürmte er aus dem Raum, die Tür wieder einmal hinter sich zuknallend. Nachdem Tyson realisiert hatte, was soeben passiert war, sah er die Anderen Hilfe suchend an. Was genau war denn bitte in den gefahren? Gut, es war keine allzu tolle Idee gewesen, ihm die undankbare Aufgabe zuzuschieben, und auch alles andere als freundlich – aber dennoch, so eine Reaktion…? Die nächste Zeit wurden die Gedanken sämtlicher Blader nur von Talas seltsamer Reaktion beherrscht und sie verdrängten Kais Zustand vollkommen. Bis Judy die Tür öffnete… Ihr Gesicht, die Mimik schwankend zwischen Erleichterung und Grauen, sagte bereits alles und ohne noch einmal zu protestieren, dafür jedoch mit jeweils einem tiefen Atemzug, standen Tyson, Ray und Max auf und folgten ihr in Kais Zimmer. Es war verdunkelt, eine nutzlos anmutende Geste, in Anbetracht der Umstände, doch trotzdem konnten sie ihren Freund deutlich auf den hellen Laken erkennen. Das, was von seinem Oberkörper sichtbar war, wurde von straffen, weißen Verbänden bedeckt, die dann und wann einen Blick auf dunkle Flecken erlaubten, die bei Licht vermutlich in den buntesten Farben schillerten. Seine Arme, die locker auf der Decke ruhten und ab und zu leicht zuckten, waren relativ unverletzt, sein Kopf dagegen war ebenfalls dick bandagiert. Seine ehemaligen Teamkameraden mussten unwillkürlich bei diesem Anblick schlucken: Ein dünnerer, aber dennoch fester Streifen Verbandsmaterial zog sich vom unteren Nasenrücken bis hoch über die Augenbrauen. Er diente nur dem Schutz der eh schon angegriffenen Augen, damit sie sich erholen konnten, von was auch immer, aber es sah einfach so – unnatürlich und endgültig aus… Judy drückte ihrem Sohn noch einmal ermutigend die Schulter, dann flüchtete sie förmlich aus dem Zimmer und ließ die Jungen allein zurück. Sie nahm sich noch nicht einmal Zeit, die Tür richtig zu schließen, so dass ein schwacher Lichtstrahl ins Innere des Zimmers drang. Unbehagliches Schweigen breitete sich im Raum aus, dass nur ab und zu vom Scharren nervöser Füße unterbrochen wurde. Ray setzte sich nach einer Weile auf einen Stuhl nahe dem Bett, sprang aber schon nach kurzer Zeit wieder auf und musste sich stark zurückhalten, nicht ungeduldig herumzutigern. Zum einen wollte er nicht, dass Kai erwachte und die schreckliche Wahrheit erfuhr, aber zum anderen brachte ihn diese Warterei halb um den Verstand. Sie konnten sich nur immer weiter in ihre Sorgen hineinsteigern, sich die schlimmsten Fälle ausmalen und beobachten, wie das Zucken von Kais Händen stärker wurde. Wobei er sich unwillkürlich fragte, woher sie eigentlich wissen sollten, dass Kai nicht schon längst wach war und… Ja was? Hinter den Verbänden verborgen weinte? Oder vor Zorn und Hass kochte? Ein schmerzerfülltes Stöhnen riss ihn derart plötzlich aus seinen Gedanken, dass er tatsächlich einen Satz in die Höhe machte und sich dann mit rasendem Herzen zum Bett umdrehte. Die anderen Beiden hätten sein Verhalten sicher lustig gefunden, wären sie nicht vor Furcht und Sorge wie erstarrt. Max fasste sich schließlich ein Herz, trat mit zögernden Schritten auf das Bett zu und fasste mit zitternden Fingern nach einem freien Flecken Haut an Kais Schulter: „Kai?“ Der Angesprochene zuckte zusammen und verleitete Max damit zu einer prompten Kopie dieser Geste. Der Blondschopf nahm die Hand schnell fort und stolperte einen Schritt zurück, während der Kopf des silberhaarigen Bladers sich mit einer seltsam schwerfällig anmutenden Bewegung in seine Richtung drehte. Er flüsterte etwas, was Max’ Namen verdächtig nahe kam und murmelte dann irgendetwas Unzusammenhängendes. Die drei Blader tauschten einen Blick: Judy hatte erwähnt, dass Kai aufgrund der Medikamente vielleicht noch etwas seltsam sein könnte. War das jetzt ein derartiger Moment oder nicht? Was genau bedeutete „seltsam“? Und war Kai dann überhaupt in der Lage zu erfassen, was sie ihm sagen mussten? Tyson wollte gerade vorschlagen, einfach später noch einmal wiederzukommen, da hob der Verletzte mit einem Ächzen eine seiner Hände und tastete mit spitzen Fingern nach den Verbänden um seinen Kopf. Nicht gut… „Hey, Kai!“, versuchte er seinen Teamkameraden abzulenken und fasste schnell nach der suchenden Hand. Kai erstarrte mitten in der Bewegung und wandte nun ihm den Kopf zu, was Tyson unwillkürlich schlucken ließ. Trotzdem mühte er sich zu lächeln, ob sein Gegenüber es nun sehen konnte oder nicht: „Wie geht es dir?“ Eine Zeit lang geschah gar nichts und wenn der blauhaarige Junge nicht den leichten Druck der Finger um seine Hand gefühlt hätte, hätte er geschworen, dass Kai wieder eingeschlafen war, doch dann öffnete der Halbrusse den Mund und murmelte mit ungewohnt rauer und schleppender Stimme: „Gut… Denke ich.“ Er ließ Tysons Hand los und sein Arm fiel schlaff auf die Decke zurück. „Aber gebt mir nie wieder Drogen… Das hält man ja im Kopf nicht aus“, fügte er dumpf hinzu und verzog das Gesicht – oder zumindest die Teile, die davon zu sehen waren. Tyson warf seinen Kameraden einen fragenden Blick zu, doch die zuckten nur mit den Schultern. Eine große Hilfe, wirklich… „Machen wir nicht. Versprochen“, erklärte er also und tätschelte Kai beruhigend die Schulter, etwas, was er sich normalerweise zweimal überlegen würde. Er nahm einfach mal an, dass das einer von Judys besagten „seltsamen Momenten“ war. „Flossen weg! Und tu nicht so, als ob ich den Verstand verloren hätte“, murrte der silberhaarige Blader und versuchte der Berührung erfolglos zu entkommen. Tyson seufzte erleichtert auf: Das klang doch schon viel mehr nach Kai. Allerdings hieß das auch, dass sie jetzt langsam mal das tun sollten, weswegen sie hier waren… Der Meinung schien Ray auch zu sein. Seine bernsteinfarbenen Augen verfolgten besorgt, wie Kais Hände wieder auf Wanderschaft gingen und nach seinem Kopf tasteten. „Kai?“, er trat neben Tyson und versuchte die Aufmerksamkeit des Verletzten wieder zu erlangen. Allerdings hatte er nicht sonderlich viel Erfolg. Selbst als er es ein zweites und ein drittes Mal versuchte, bekam er nur ein schläfriges „Hm?“ zur Antwort. Schließlich entschied er sich zu der gleichen Maßnahme, auf die zuvor bereits Tyson zurückgegriffen hatte, langte nach Kais Händen und hielt sie fest. „Kai! Hör mir zu!“, verlangte er streng. „Warum? Du sagst doch eh nur meinen Namen und dann kommt danach nichts Interessantes“, stellte Kai leicht beleidigt fest, schob kaum merklich die Unterlippe vor und versuchte halbherzig wieder freizukommen. Ray ächzte und sah Tyson an, doch dieser starrte nur auf seinen inzwischen anscheinend schmollenden Rivalen und klappte den Mund auf und zu wie ein Karpfen. Max sprang ein, bevor das ganze Geschehen noch seltsamer wurde: „Kai, s…“ Sieh mich an, hätte er beinahe gesagt. Der Blondschopf verschluckte sich an seinen eigenen Worten, hustete kurz und sortierte dann noch einmal neu: „Hör mir zu! Was wir dir sagen… wollen… Oder zumindest versuchen zu sagen… Oder auch nicht…“ Er verstummte und schüttelte den Kopf. Der Blick, mit dem er Ray flehend ansah, sagte nur eines: Ich kann das nicht! Der Chinese schluckte, wusste aber, dass sie nur noch ein paar Minuten hatten, bevor Kai seinen derzeitigen Zustand endgültig überwinden und die Wahrheit erkennen würde. Mit allem Mut, den er aufbringen konnte, öffnete er den Mund und… „Du bist blind, Kai!“, Tala lehnte im Türrahmen, die Arme vor der Brust verkreuzt, das Gesicht absolut ausdruckslos. Seine Augen wanderten kurz über die erschrockenen Gesichter der Bladebreakers, die sich ihm zugewandt hatten, dann beobachteten sie wieder Kai, der erst langsam zu begreifen schien, was diese Worte bedeuteten. Man konnte förmlich mit ansehen, wie das Blut aus dem eh schon blassen Gesicht wich und sich blankes Entsetzen auf den Zügen breit machte. Adrenalin rauschte durch Kais Adern und verdrängte die letzten Nachwirkungen der Medikamente, während er seine Hände mit einer heftigen Bewegung aus Rays Griff befreite und dann hektisch über sein Gesicht tastete. Als er den weichen Verbandsstoff unter den Fingerkuppen spürte, erstarrte er mitten in der Bewegung und wisperte ein lautloses „Nein“. Die anderen drei Bladebreakers fingen sich wieder und während Max seinen Teamkameraden betroffen ansah, begann Tyson Tala zu beschimpfen. Einzig Ray behielt einen halbwegs kühlen Kopf und fasste erneut nach Kais Händen: „Kai! Hör mir zu! Es ist wahrscheinlich nur vorübergehend, hörst du? Es geht vorbei! Es wird alles gut! Kai?“ Verzweifelt stellte er fest, dass sein Freund ihm nicht zuzuhören schien und einfach nur wie betäubt dalag, während seine Hände unkontrolliert zitterten. Der Rotschopf an der Tür sah sich seinen apathischen Erzfeind kurze Zeit an, dann blickte er zu Boden und lachte leise: „Typisch… Kaum gibt es Schwierigkeiten, gibt er wieder einmal auf…“ Der beißende Hohn der verhassten Stimme riss Kai aus den Schatten seiner Verzweiflung und wieder in die Wirklichkeit zurück. Trotz der Schmerzen mühte er sich, sich aufzusetzen und wandte den Kopf grob in Talas Richtung. „Was soll das heißen?“, zischte er angestrengt und ignorierte Rays erschrockene Versuche, ihn wieder auf das Kissen zurück zu drücken. „Was ist denn?“, fragte Tala gespielt unschuldig und musterte den silberhaarigen Blader mit einem gehässigen Grinsen. „Tut die Wahrheit wieder einmal weh? Sorry, Kai, aber wir wissen Beide, was ich meine…“ Er streckte sich und kam dann auf das Bett zu, wobei er Max und Tyson einfach zur Seite schob. Noch immer umspielte das unangenehme Grinsen seine Lippen, als er sich zu Kai herunterbeugte und ihm eine Hand auf den verbundenen Kopf legte: „Es ist hart, nicht wahr? Blind… Völlig hilflos und ausgeliefert.“ Seine Stimme triefte vor gespieltem Mitleid, während er provozierend sanft über die weißen Binden strich. „Du hast Recht, Kai, es ist wirklich besser, wenn du jetzt einfach aufgibst und andere über das klägliche Etwas entscheiden lässt, das du Leben nennst… Einfach nachgeben, tun, was man dir sagt, egal, was man von dir verlangt… Aufgeben. Genau wie all die vielen Male zuvor…“, während die Stimme des Russen zunehmend leiser wurde, wurde sein Grinsen dagegen immer boshafter. „Wenn du jetzt Voltaire anrufst oder Boris, nehmen sie dich sicher wieder auf. Soll ich schon mal im Telefonbuch nach ihren Nummern schauen?“, murmelte der Rotschopf und seine Hand rutschte zu Kais Wange hinunter. Der hatte indessen die Fäuste geballt und zitterte heftig. Tala beugte sich noch ein Stück herunter und machte Anstalten Kai in seine Arme zu ziehen. „Weißt du, du darfst ruhig weinen, wenn dir danach ist… Nur keine falsche Scheu…“, flüsterte er höhnisch und stolperte kurz darauf zurück. Kai hatte nach ihm geschlagen und so nah, wie der Rotschopf ihm inzwischen gekommen war, war es auch blind keine Kunst gewesen, ihn zu treffen. „Ist es das, was du erwartest? Dass ich mich heulend an den Nächstbesten klammere?“, brüllte der Verletzte ihn an, noch immer von Hass geschüttelt. „Du verdammtes Arschloch! Träum weiter! Aber gefälligst nicht hier! Verpiss dich!“ „Was denn?“, Tala leckte sich Blut von der Lippe und starrte seinen Feind aus brennenden Augen an. „Ich wollte doch nur helfen. Ist schon okay, wenn du aufgeben willst… Hab nichts anderes von dir erwartet.“ „Ich gebe nicht auf! Das habe ich noch nie getan, Tala, selbst, wenn du das nie bemerkt haben solltest! Und jetzt hau ab, bevor du an deinen eigenen Wahnvorstellungen erstickst!“, schrie Kai und wünschte sich nichts sehnlicher, als seinen Gegner sehen zu können, um all seine blöden Sprüche aus ihm herauszuprügeln. Tala musterte ihn noch einmal kurz, dann verließ er tatsächlich den Raum und ließ die vier ehemaligen Bladebreakers alleine zurück. Ray, Max und Tyson starrten ihm wutentbrannt nach: Das würde noch ein Nachspiel haben. Sie hatten gewusst, dass Tala durchaus seine Fehler hatte, aber bisher waren sie alle noch tolerierbar gewesen. Aber das eben war eindeutig zu viel gewesen! „Ihr auch… Geht bitte“, murmelte Kai plötzlich, das Gesicht zur Decke gewandt und plötzlich seltsam starr. „Kai“, Ray wollte ihm tröstend eine Hand auf die Schulter legen, doch sein Freund schüttelte die Berührung ab und legte sich wieder hin, ihnen den Rücken zukehrend. „Es ist alles in Ordnung… Ich bin nur müde.“ Ray und die anderen Beiden tauschten einen Blick, dann gingen sie langsam zur Tür. „Wenn du etwas brauchst, musst du nur rufen, okay?“ Kai hob schwach eine Hand und lauschte dann auf das Geräusch der zufallenden Tür und der sich entfernenden Schritte. Vorsichtig, seine Verletzungen schmerzten durch die vorherigen Bewegungen höllisch, rollte er sich so weit es ging zusammen und versuchte die heißen Tränen wegzublinzeln, die immer zahlreicher in den schützenden Verband sickerten. Blind… Blind, ein Träumer und ein Lügner… ‚Was ist nur aus dir geworden, Kai’, dachte er und seufzte. Wenn er nicht mehr sehen konnte, was war er dann noch wert? Was konnte er dann noch tun? Es blieb ihm nur die Hoffnung, dass es tatsächlich nicht für immer war. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, sein Leben von nun an in diesem – Nichts? – zu verbringen. Es ließ sich ja noch nicht einmal wirklich als Dunkelheit beschreiben, denn selbst absolute Finsternis nahm mit den Augen wahr und das war ihm ja eigentlich im Moment nicht möglich… Nie mehr alleine zurechtkommen, immer auf Hilfe angewiesen sein, nie mehr sich alleine beschäftigen, beybladen, die Aussicht genießen, sich all die Wünsche erfüllen können, die er bisher immer vor sich hergeschoben hatte, aus welchen Gründen auch immer… Ihm graute vor so einem Leben, auch wenn er wusste, dass man durchaus damit klar kommen konnte. Man konnte – aber konnte er es auch? Kai wusste, dass er sich mit diesen Gedanken nur selbst fertig machte, deshalb mühte er sich, sie beiseite zu schieben. Noch war alles absolut offen, also lohnte es sich einfach nicht, derart die Pferde scheu zu machen und sich selbst immer weiter in Depressionen und Panik zu drängen. Aber worüber sollte er sonst nachdenken? Die Alternativen, die an die Oberfläche seines Bewusstseins drängten, waren alles andere als verlockend. Am liebsten hätte er heftig den Kopf geschüttelt, doch die Erinnerungen an die Worte des Arztes hielten ihn davon ab. Er hatte schon ein paar Mal eine Gehirnerschütterung gehabt und schnelle Kopfbewegungen waren da alles andere als ratsam. Aber was sonst tun? Wie sich ablenken? Mit einem leisen Fluch beschloss er, sich tatsächlich in den Schlaf zu flüchten, wie er es zuvor gesagt hatte, um seine Teamkameraden loszuwerden. Natürlich wusste er auch, dass man aus irgendeinem Grund niemals dann einschlafen konnte, wenn man es gerade wirklich wollte, aber irgendwer schien ein Einsehen mit ihm zu haben und er driftete fast sofort ins Reich der Träume ab… „Du verdammtes Arschloch!“, Tyson war gerade richtig schön in Fahrt, bereit all seinen Respekt vor dem Teamleader der Blitzkrieg Boys für einen Moment zu vergessen und ihn zur Schnecke zu machen. In seinem Kopf ging er all die unzähligen Standpauken durch, die er schon von Kai, seinen Großvater, Hiro und Hillary erhalten hatte, und suchte sich die besten Kraftausdrücke heraus, während er zugleich mit zweifelhaftem Erfolg versuchte, den typischen Blick seines ehemaligen Teamcaptains zu imitieren. Er würde Tala schon zeigen, dass man mit seinen Freunden nicht so umgehen konnte. Vor allem, wenn sie verletzt waren. Wie hatte er Kai nur so behandeln können? Wa bildete sich dieser Idiot überhaupt ein? Scheißegal, wenn Tyson erstmal mit ihm fertig war, würde Tala sich niemals mehr trauen, auch nur einen schiefen Blick in Kais Richtung zu werfen – zumindest sah es in Tysons Vorstellung so aus… „Was hast du dir nur dabei gedacht?“, wetterte Tyson weiter und riss die Tür zur Küche auf, bereit, einem gewissen Rotschopf die Hölle heiß zu machen oder heldenhaft bei dem Versuch zu Grunde zu gehen. Das einzige Problem war nur: Tala befand sich nicht in der Küche! Dafür aber ein gutes Dutzend andere Beyblader, die ihn alle ansahen, als ob er verrückt geworden wäre. „Oh“, murmelte Tyson kleinlaut und sackte in sich zusammen. Problematischerweise fielen all seine genialen Pläne mit Talas Abwesenheit ins Wasser… „Wer soll sich was wobei gedacht haben?“, fragte Emily vorsichtig, als sich der blauhaarige Weltmeister auf einen Stuhl sinken ließ, Max zu seiner rechten Seite. Ray holte sich ein Dose Cola aus dem Kühlschrank, dann setzte er sich ebenfalls und begann, nach einen kurzen Seitenblick zu den niedergeschlagenen Gestalten seiner Freunde, zu erklären: „Tala hat Kai angepöbelt.“ Obwohl allein diese Aussage seiner Meinung nach schon ausreichen sollte, um allen klarzumachen, dass Tala ein bescheuertes, grausames und unsäglich abscheuliches Arschloch war, das sich am besten für den Rest des Tages nicht mehr in ihrer oder Kais Nähe blicken ließ, wiederholte Ray Wort für Wort, was der Russe seinem ehemaligen Teamkameraden gesagt hatte. Vor wenigen Minuten noch hatte der Chinese den Zorn, der bei den höhnischen Äußerungen in ihm hochgekocht war, unterdrücken können, zugunsten Kais, doch dieses Mal gab es für ihn keinen Grund, sich zurückzuhalten und so schloss er seinen Bericht mit einigen für ihn äußerst ungewöhnlichen Ausdrücken. Allerdings schien im diesen kleinen Ausbruch niemand sonderlich übel zu nehmen. Stattdessen sah er nur Verständnis und brennende Wut. „Ist Tala nach draußen gegangen?“, fragte Max schließlich mit leicht zitternder Stimme. Die anderen Blader konnten nur verneinen. Der Russe war nicht an ihnen vorbeigekommen und Schritte hatten sie auch nicht auf dem Gang gehört. Allerdings wäre es für Tala ein Leichtes gewesen, sich einfach durch ein Fenster davonzumachen. Oder er saß im Zimmer seines Teams und wartete ab, bis sich die Gemüter wieder beruhigt hatten. So wie es im Moment aussah, schien er allerdings lange warten zu können… _________________________________________________________________________________ Ja, ich weiß, der Anfang ist seltsam, aber hey... Warum nicht? *g* Auch wenn beide Kapitel eigentlich als eines gedacht waren, hoffe ich dennoch, dass ich zu beiden Kommis bekomme ^^ Kapitel 9: Zwei Seelen in meiner Brust: Licht --------------------------------------------- Der zweite Streich also... Ich hoffe, zumindest einige von euch wissen, woher ich die Idee zu den Titel habe. Wenn nicht, ich kann Goethes "Faust" nur empfehlen. ^^ Zumindest wünsche ich euch viel Spaß und stehe bei Fragen wie immer zur vollen Verfügung. Auch Theorien entkräfte ich gerne oder flüchte mich in ein hämisches "Verrat ich nicht." Hintergrundmusik bei einem meiner neuen Lieblinge (Ian): "Eva" von Nightwish. Hintergrundmusik gegen Ende: "Amaranth" ebenfalls von Nightwish. _________________________________________________________________________________ Kai erwachte erst am Abend des nächsten Tages wieder. Unfähig zu erkennen, wie viel Zeit seit dem Besuch seiner Freunde vergangen war, zu sehen, wo er sich überhaupt befand, zu entscheiden, welche Tageszeit war und ob irgendjemand Anderes im Raum war, oder nicht, blieb ihm nichts Anderes übrig als ruhig liegen zu bleiben und zu lauschen. Man hörte ja immer davon, dass Blindheit die anderen Sinne stärken sollte, also sollte er vielleicht gleich mal anfangen, seine Ohren etwas zu trainieren. Auch wenn Ray gesagt hatte, dass er sein Augenlicht vermutlich schon bald wiederbekommen würde, so war Kai nicht Optimist genug, wirklich darauf zu vertrauen. Sein bisheriges Leben hatte ihn gelehrt, dass man lieber nicht auf etwas hoffte, was man nicht selbst beeinflussen konnte… Also lag er nun still in seinem Bett, versuchte das Ziehen und Jucken der langsam verheilenden Wunden zu ignorieren und lauschte. Wenn man sehen konnte, konzentrierte man sich automatisch nur noch auf seine Augen und auf die wenigen Geräusche, deren Quellen man sehen konnte. Nur, wenn irgendein Laut wirklich außergewöhnlich schien, konnte er diese natürliche Blockade überwinden und das Interesse des Menschen wecken. Aber nun, wo sämtliche Informationen von Kais Augen ausblieben, war da mehr… Es war wirklich erstaunlich, wie viele verschiedene Geräusche es auf einmal zu geben schien, auch wenn er nur ungefähr die Hälfte davon identifizieren konnte. Da waren die Vögel vor dem Fenster, das leise Rauschen von Blättern, das gedämpfte Ticken einer Uhr im Nebenzimmer, der tropfende Wasserhahn im Bad, die kaum hörbaren Stimmen der anderen Jugendlichen in der Küche, eine summende Fliege, sein eigener, unruhiger Atem, das leise Rascheln seiner Bettdecke – und der Atem eines anderen Menschen in seinem Rücken, nicht weit entfernt von ihm. Kai bewegte leicht den Kopf und schob einen Arm unter seine Wange, so dass er das Geräusch besser wahrnehmen konnte. Tatsache: Irgendjemand war hier und beobachtete ihn. Nur wer? Der Junge hörte weiter auf die ruhigen Atemzüge, entschloss sich aber, sich nicht anmerken zu lassen, dass er inzwischen wach war. Er hatte keine Lust, dass man ihm tausendundeinmal versicherte, dass alles gut werden würde und er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Genauso wenig wollte er jede Minute danach gefragt werden, ob er etwas brauchte, ob er es bequem hatte oder ob ihm nicht langweilig wäre. Und am allerwenigsten brauchte er irgendjemanden, der, in der vielleicht sogar wirklich gut gemeinten Absicht, ihn zu unterhalten und von seinen Augen abzulenken, auf ihn einzuquatschen begann und einfach nicht mehr aufhören wollte. Dann doch lieber die Medikamente… Das war wenigstens auf eine sehr lächerliche und unverständliche Art und Weise noch halbwegs amüsant und entspannend. Kai ließ seine Gedanken weiter abdriften. Wenn er schon sonst nichts tun konnte, dann konnte er sich zumindest endlich mal mit Problemen befassen, die er schon viel zu lange vor sich her schob. Und wenn es nur darum ging, dass er einige Zimmer seiner Wohnung irgendwann, vor langer Zeit, mal hatte streichen wollen und er es bisher noch nicht geschafft hatte, dass er sich endlich für eine Farbe entscheiden und ob er Tyson und die anderen nach ihrer Hilfe fragen sollte… Eine Weile gelang es ihm tatsächlich über alles Mögliche nachzudenken und sich von seinen eigentlichen Problemen abzulenken, doch irgendwann gingen ihm tatsächlich alle Nebensächlichkeiten aus und er stand wieder am Anfang, vor sich einige wirklich schwer zu beantwortende Fragen. Unwillig richtete der Junge seine Aufmerksamkeit nun wieder auf seinen stillen Beobachter, der sich die ganze Zeit, wie lange auch immer, nicht bewegt hatte. Vielleicht war er ja auf seinem Stuhl eingeschlafen? Wie gerne würde Kai jetzt nachsehen, wer es war und was er machte… Ob er ihn tatsächlich die ganze Zeit im Auge behielt? Wenn ja, warum? Wollte er mit ihm reden oder sollte er einfach nur auf ihn aufpassen? Der Blader ging das Risiko ein und drehte sich um, so dass sein Gesicht, noch ausdrucksloser als sonst durch die weißen Mullbinden, seinem Besucher zugewandt war. Tatsächlich gab es eine schwache Reaktion: Kleidung raschelte und ein Fuß wurde mit einem leisen Tappen abgesetzt, doch sonst passierte nichts. Zumindest hatte Kai nun eine neue Beschäftigung gefunden. Er konnte darüber nachsinnen, wer dort saß. Nach und nach schloss er durch die ununterbrochene Stille die meisten Beyblader aus, allen voran einige seiner Teamkameraden. Das war an sich weder verwunderlich noch schlimm, wer wollte schon ein paar hyperaktive Jugendliche um sich herum haben, wenn man nur seine Ruhe haben wollte – aber ihn störte, dass er wirklich gar nichts hörte, außer dem leisen Atem. Noch nicht einmal das Umblättern von Seiten in einem Buch oder einem Magazin… Irgendwann wurde ihm auch diese Beschäftigung langweilig und er begann die wenigen Lieder und Abzählreime, die er als kleines Kind mal gelernt oder irgendwo gehört hatte, in Gedanken zu wiederholen. Sein stummer Monolog wurde jäh unterbrochen, als die fernen Stimmen in der Küche kurzzeitig lauter wurden. Plötzlich kam Bewegung in die andere Person im Raum: Ein Stuhl wurde mit einem leisen Scharren zurückgeschoben, dann erklangen hastige Schritte. Die Tür ging leise zischend auf, erneut Schritte, dann wurde sie wieder wesentlich langsamer und schon beinahe vorsichtig geschlossen. Kai hob irritiert den Kopf. Was war das denn jetzt? Noch seltsamer war, dass die sich entfernenden Schritte plötzlich ein Echo hatten, das immer lauter zu werden schien und irgendwie ungewöhnlich klang. Als die Tür schließlich wieder geöffnet wurde, erkannte Kai seinen Fehler: Eine weitere Person hatte sich dem Raum genähert und daher das „Echo“ erzeugt. „Du bist wach? Gut“, sagte eine vertraute Stimme und die Schritte kamen näher. Der zweite Aha-Moment des Verletzten: Der seltsame Klang der zweiten Schritte rührte von Ians Gipsbein und seinen Krücken her. „Was machst du hier?“, fragte der Silberhaarige und mühte sich in eine halbwegs aufrechte Position, was, ganz nebenbei bemerkt, mit funktionierendem Sehsinn auch wesentlich einfacher war. Die Matratze sackte an einer Stelle nach unten, als sich eine zweite Person auf ihr niederließ: „Weißt du, ich hab Cola und Chips mitgebracht, Bier haben sie hier leider nicht, obwohl das natürlich wesentlich stilvoller wäre. Ich dachte, wir könnten ein kleines Invalidentreffen veranstalten oder so.“ Kai versuchte eine Augenbraue hochzuziehen, scheiterte aber an den straffen Verband: „Das Letzte, was ich mit einer Gehirnerschütterung machen möchte, ist mich voll zu stopfen.“ „Keine Sorge, das habe ich mir gedacht, deshalb habe ich mich seelisch schon einmal darauf vorbereitet, mich zu opfern und alles alleine zu verdrücken. Du kannst also ganz beruhigt sein“, das breite Grinsen war deutlich aus Ians Stimme herauszuhören, dann erklang das typische Rascheln einer Chipstüte. Was sollte man gegen soviel Frechheit schon sagen… „Und? Was hast du so getrieben, bevor ich kam und selbstlos angeboten habe, deinen Chipsanteil mit zu vernichten?“, wollte Ian wissen und machte es sich bequem. „Nichts Besonderes… Was man halt so tut, wenn man eigentlich gar nichts machen kann“, meinte Kai und ließ sich wieder zurücksinken. „Ahja… Weißt du, ich übe ja wirklich jeden Tag – aber im Gedankenlesen bin ich immer noch nicht besser geworden. Habe scheinbar einfach kein Talent dazu“, scherzte Ian und nahm sich eine weitere Hand voll Chips. „Übertreib es nicht!“, zischte sein Gesprächspartner. Dass er eine Unterhaltung mit Ian zuließ, bedeutet noch lange nicht, dass dieser sich ihm gegenüber alles erlauben konnte. Der kleinere Russe warf einen kurzen Blick auf das halb verdeckte Gesicht, dann nickte er für sich. Keine Scherze mehr. „Also, was genau hast du nun gemacht, Kai?“, berichtigte er seine vorherigen Worte. Der Angesprochene zögerte kurz, dann zuckte er mit den Schultern: „Irgendwelche Kehrreime wiederholt… War gerade dabei dreizehn Fehler zu sammeln, um genau zu sein.“ Er konnte den scharfen Blick, den Ian ihm auf diesen Satz hin zuwarf, natürlich nicht sehen. Dem Kleineren gefiel gar nicht, dass Kai anscheinend noch dermaßen an der Vergangenheit hing. Erst die Fragen an Hiro und nun das. Was würde als Nächstes kommen? Eine Rückkehr zu seinem Großvater? Ian schalt sich bei diesem Gedanken sofort einen Narren: Kai hatte sich vermutlich einfach nur beschäftigen wollen, nichts weiter. Kein Grund gleich in Panik auszubrechen. „Und? Hast du genug zusammen bekommen?“, fragte er und hoffte irgendwie auf ein Nein. Die Chipstüte lag inzwischen vergessen auf der Decke, gleich neben der noch immer unberührten Coladose. Der silberhaarige Beyblader überlegte kurz, dann nickte er vorsichtig. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, Ian davon zu erzählen, schließlich verriet die ganz persönliche Fehlersammlung sehr viel über ihren „Besitzer“, doch er wusste, dass er jetzt nicht mehr aus der Sache herauskam. Der Kleinere würde nicht eher lockerlassen, bis er alles erfahren hatte, was er wollte, und Kai fühlte sich noch zu elend um einen Streit gewinnen zu können. Also wartete der Halbrusse die nächste Frage gar nicht erst ab, sonder begann von sich aus aufzuzählen: „Erster Fehler: Ich wurde gebor’n Zweiter Fehler: Hab alles verlor’n Dritter Fehler: Ich hab dir vertraut Vierter Fehler: Hab Mist gebaut Fünfter Fehler: Ich hatte Glück Sechster Fehler: Ich kam zurück Siebter Fehler: Ich brach mein Wort Achter Fehler: Ich ging wieder fort Neunter Fehler: Ich vermisse dich Zehnter Fehler: Alle benutzen mich Elfter Fehler: Ich warn’ vor dem Spiel Zwölfter Fehler: Ein Schritt zu viel Erster Fehler: Ich wurde gebor’n Dreizehnter Fehler: Ich habe verlor’n“ Ian hörte schweigend zu und sagte auch im Nachhinein nichts weiter dazu, worüber Kai sehr froh war. Auch wenn der violetthaarige Russe manchmal sehr frech sein konnte, frecher, als für ihn gut war, vor allem, da er mit zwei leicht reizbaren Freunden unter einem Dach wohnte, er war durchaus in der Lage zu erkennen, wann er die Klappe halten musste. Kai war sich plötzlich sicher, dass Ian das, was hier in diesem Moment gesagt wurde, für sich behalten würde, deshalb fand er den Mut, noch einen Schritt weiter zu gehen und ein weiteres Thema anzuschneiden, das ihm eher unangenehm war. „Weißt du…“, der kleinere Russe horchte auf, als sein Freund nach kurzem Schweigen wieder zu sprechen begann, in einem seltsam leisen Tonfall dieses Mal. Aufmerksam betrachtete er Kai, wurde aus dem halb verborgenen Gesicht aber einfach nicht schlau. „Als… Black Dranzer mich angegriffen hat, hatte ich plötzlich das Gefühl, nicht mehr alleine zu sein“, murmelte Kai und wandte den Kopf aus reiner Gewohnheit seiner Bettdecke zu. Ian runzelte die Stirn über diese Geste und übersetzte sie sich so, dass sein Gegenüber wohl normalerweise nun seinen Blick meiden würde. „Naja, warst du ja auch nicht wirklich, oder? Schließlich waren wir in deiner Nähe…“, sagte er unsicher und kratzte verlegen am Gips herum. Er wusste nicht wirklich, ob er gerne derjenige sein war, dem Kai sich anscheinend anvertrauen wollte. Himmel, das wäre ja glatt so, als ob der große, unnahbare Kai Hiwatari tatsächlich eine ganz normale, menschliche Seite hätte… Unvorstellbar! Plötzlich kam Ian seine Worte das Jüngste Gericht betreffend wieder in den Sinn. Vielleicht war es ja jetzt soweit? Kenny war zwar noch nicht Beybladeweltmeister, aber Kai, der einem nicht in die Augen sehen konnte und auch nur ansatzweise über seine Gefühle sprach, war doch mindestens genauso unwahrscheinlich… „Ja, schon, aber…“, Kai stockte und schlang unbewusst die Arme um den Körper. Anscheinend war er mit der Situation gerade genauso überfordert wie Ian. Schließlich atmete der Halbrusse einmal tief durch: „Ich habe gedacht, dass mein Bruder da wäre und mir… helfen würde…“ Plötzlich schien der Damm gebrochen und die Worte sprudelten nur so aus Kais Mund: „Es war genau wie früher. Er hat mich beschützt und mir Mut gemacht… Er meinte, dass ich nicht aufgeben sollte und es schaffen könnte, nur deshalb habe ich es noch einmal versucht. Ich habe gespürt, wie er mich gehalten und gestützt hat… Er… Es war, als ob ein Traum wahr geworden wäre…“ Ian starrte ihn an, unfähig etwas zu sagen. „Ein Traum… Das war es ja auch, nicht wahr? Nur ein Traum…“, Noten von Verzweiflung mischten sich in Kais Stimme, während er die Arme immer fester um sich schlang und unbewusst zu zittern begann. „Aber es war so echt… so real. Alles… Als ob er wirklich da wäre und mir helfen würde. So, als ob alles wieder wie früher wäre…“ „Kai…“, Ian schluckte und hasste sich in diesem Moment für seine absolute Unfähigkeit. „Kai, aber dein Bruder ist doch tot…“ Die schmalen Finger krallten sich fest in die Oberarme, als Kai schwach nickte. „Ja, das ist er…“, flüsterte er tonlos. „Ich vermisse ihn… Als Ian in die Küche wankte, war sie leer bis auf einige wenige Blader, die sich bereit erklärt hatten beim Kochen zu helfen. Spencer war darunter, während Bryan zusammen mit Julia den Tisch deckte. Der kleine Russe hatte es in Kais Nähe nicht mehr ausgehalten, als er das Gefühl bekommen hatte, dass dieser, unsichtbar durch den Verband, zu weinen begonnen hatte. Er hätte ihm so gerne geholfen, war sich aber nicht sicher, ob das überhaupt jemand konnte… Also hatte er die seltsam schwergängige Tür geöffnet, war ohne nach links und rechts zu sehen den Gang entlang gestapft und lehnte nun, kreidebleich und sich nicht sicher, was er gerade fühlen sollte, an der Wand. „Hey, alles in Ordnung?“, fragte Bryan besorgt und musterte seinen Freund von oben bis unten. „Du siehst aus, als ob du eben einen Geist gesehen hättest.“ Ian schluckte schwer, dann schüttelte er langsam den Kopf. „Weißt du, ich habe mir noch nie so sehr irgendetwas Hochprozentiges gewünscht, wie jetzt.“ Seine Teamkollegen warfen ihm verwirrte Blicke zu, konnten aber nicht weiter darauf eingehen, da Ian seinen Krücken fester packte und Anstalten machte, die Küche wieder zu verlassen. „Wo willst du hin?“, rief Bryan ihm nach. Irgendetwas stimmte da doch überhaupt nicht. „Spazieren! Ich habe keinen Hunger mehr...“, war Ians Antwort. „Spazieren?“, wiederholte Bryan völlig verwirrt und sah seinen Teamkameraden an. „Mit Gipsbein?“ „Tala scheint ja überhaupt nicht mehr auftauchen zu wollen“, nuschelte Tyson mit vollem Mund, schluckte und blickte dann mürrisch in die Runde. Seit Kais Erwachen war der Russe fast wie vom Erdboden verschluckt und kam nur dann und wann in die Küche um sich Essen zu holen, das er beinah sofort an Ort und Stelle herunter schlang, um dann sofort wieder in sein Versteck zu verschwinden. „Vielleicht schämt er sich inzwischen für sein Verhalten?“, mutmaßte Emily, zweifelte aber selbst an ihrer Vermutung. Dafür schien sein Hass zu tief zu sitzen… „Ich glaube eher, dass es ihm, ohne sein Lieblingsopfer einfach nur zu langweilig ist mit uns herumzusitzen. Wahrscheinlich trainiert er irgendwo“, Michael rückte ein Stück von Max weg, als dieser eine große Portion Senf auf seinen Nudeln verteilte. „Oder bastelt an einem neuen Blade, dann kriegt man ihn manchmal auch tagelang nicht zu Gesicht“, meinte Bryan. Er war eigentlich ganz froh darüber, dass sein Teamleader nicht da war. Im Moment verspürte er noch genug Wut im Bauch, um sich tatsächlich mit ihm anzulegen, war aber gleichzeitig auch wieder vernünftig genug, um sich ausmalen zu können, dass das böse enden würde. Außerdem konnte sich sein Team so um im Moment wichtigere Dinge kümmern, wie zum Beispiel um Ian, der, seit er von seinem „Spaziergang“ zurückgekehrt war, stumm und niedergeschlagen am Tisch saß und jedem Blick auswich. Mathilda stützte den Kopf auf die Hände und sah verträumt aus dem Fenster in den blutroten Sonnenuntergang: „Ich habe mal ein Buch gelesen, indem einer der Bösewichte angefangen hat zu weinen, als sein größter Feind vor seinen Augen starb. Vielleicht ist das hier ja genauso? Schließlich war Tala ja auch der Erste bei Kai, nachdem Black Dranzer verschwunden war.“ „Bist du dir sicher, dass du das Ganze nicht ein wenig zu romantisch siehst?“, meinte Miguel mit einem schiefen Grinsen. Lee nickte bekräftigend. „Der wollte nur sichergehen, dass Kai tot ist. Wenn wir nicht gewesen wären, hätte er es vermutlich sofort beendet“, mutmaßte er düster, woraufhin Miguels Grinsen vor sich hin schwand. „Ich glaube kaum, dass Tala Kai eine Träne nachweinen würde – oder umgekehrt.“ „Sieht man schon daran, dass Tala immer noch rücksichtslos die Türen knallt, wenn er denn mal auftaucht“, grummelte Spencer. Noch einer, der seinem Teamcaptain in nächster Zeit lieber nicht begegnen wollte. Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür. Allerdings war es nicht Tala, der die Küche betrat, sondern ein sehr aufgewühlt wirkender Mr. Dickinson mit Judy im Schlepptau. Der ältere Mann nahm sich eine Tasse Kaffee und schüttelte immer wieder den Kopf, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass ihn alle Anwesenden anstarrten. Er und Judy hatten Kai überreden wollen, etwas zu essen, und wenn nur, um festzustellen, ob seine Gehirnerschütterung nachließ und er wieder Nahrung unten behalten konnte. Scheinbar war der Krankenbesuch ziemlich nach hinten losgegangen. Besorgt begannen sich einige Beyblader zu fragen, ob es dem silberhaarigen Blader wieder schlechter ging, doch Judy, die die fragenden Blicke bemerkte, winkte ab und meinte mit einem gequälten Lächeln: „Kai hat gesagt, dass Mr. Dickinson froh sein könnte, wenn er blind bleiben würde. Dann würde er sich zumindest den Papierkram sparen, der nötig wäre um ihn von der BBA auszuschließen.“ Einige Jugendliche stöhnten genervt auf und eine Menge mitleidige Blicke wurden dem völlig aufgelösten, älteren Mann zugeworfen, der seine Worte inzwischen mehr als bereute. „Dieser Junge ist die Pest!“, fasste Hiro es schließlich zusammen. „Aber es scheint ihm eindeutig besser zu gehen.“ Judy nickte und setzte sich mit einem Seufzen an den Tisch: „Damit fangen die Probleme allerdings erst an. Einerseits müssen wir jetzt dafür sorgen, dass Kai sich auf keinen Fall überanstrengt, andererseits sollte er aber auch so bald wie möglich in ein Krankenhaus…“ „Weder das eine noch das andere stelle ich mir sonderlich leicht vor“, stimmte Hiro zu und rührte nachdenklich in seiner Kaffeetasse herum. Er konnte sich den Halbrussen einfach nicht als jemanden vorstellen, der brav im Bett blieb und abwartete, bis seine Wunden wieder vollends verheilt waren. Ganz im Gegenteil. Und seine eingeschränkten Sinne waren höchstens ein Hindernis, keine Grenze… Und Hürden waren laut dem Starrsinn eines gewissen rotäugigen Bladers nun einmal dazu da, irgendwie gemeistert zu werden, wobei Rückschläge eher anspornend als entmutigend wirkten. „Vielleicht sollten wir ihm einen Kompromiss vorschlagen? Er darf zwar aufstehen, wird dabei aber jederzeit von einem von uns beaufsichtigt. Dann kann er sich nicht verletzen und wir können gleichzeitig abschätzen, wie gut es ihm bereits wieder geht“, meinte Tysons Bruder nach einigem Überlegen. Ihm war klar, dass Kai vermutlich die „Bewachung“ zu umgehen versuchen würde, aber ohne Augenlicht würde das zum Glück schwer werden. „Klingt akzeptabel, aber wie überreden wir ihn zu einem Krankenhausaufenthalt?“, murmelte Judy unglücklich. „Wir haben versucht das Thema bei unserem Besuch eben anzuschneiden. Das Ergebnis…“, sie warf Mr. Dickinson einen vielsagenden Blick zu. Hiro räusperte sich und trank einen Schluck Kaffee. Eigentlich hätte der Leiter der BBA Kai gut genug kennen müssen, um auf derartige Tiefschläge vorbereitet zu sein. Obwohl, wahrscheinlich war er es sogar gewesen, hatte aber einfach ein zu weiches Herz, um sich kein schlechtes Gewissen einreden zu lassen. Um sich mit dem silberhaarigen Blader zu streiten, musste man schon ein ziemlich dickes Fell vorweisen können. „Was genau stört ihn denn überhaupt so an Krankenhäusern?“, fragte Hiro und erhoffte sich so den Ansatz eines Planes zu finden. Judy zuckte mit den Schultern und gab die Frage an Kais Teamkollegen weiter. Die Antwort war unglücklicherweise sehr einfach: „Alles.“ Ob nun der seltsame Geruch nach Chemikalien, die langen, eintönigen Gänge, die spartanischen Zimmer, die weißbekittelten Ärzte, die Ansammlung verschiedenster Medikamente und Gerätschaften, der Hauch von Tod und Schmerz oder die immer etwas ängstliche, gramerfüllte Atmosphäre: Alles an einem Krankenhaus war Kai zuwider und erinnerte ihn an die Abtei. Um nichts in der Welt würde er noch einmal riskieren, einen solchen Ort zu betreten und vielleicht für lange Zeit nicht wieder verlassen zu können. Nicht noch einmal zu einer Ansammlung von Buchstaben und Zahlen werden, die ganze Zeit eine Art „Gefangener“ sein, mit anderen Menschen, die über sein Leben bestimmten und Dinge taten, die er nicht verstand. Nicht noch einmal ausgeliefert sein! Jetzt, wo Hiro mehr über die Abtei wusste, konnte er den Jungen durchaus verstehen, doch es half alles nichts. Wenn sie nicht riskieren wollten, dass Kai sein Leben lang darunter zu leiden hatte, dass eine Verletzung nicht richtig behandelt worden war, mussten sie ihn irgendwie dazu überreden, sich zumindest ein einziges Mal genauer in einer Klinik untersuchen zu lassen… Kai nahm Hiros Vorschlag erstaunlich widerspruchslos an, verzichtete aber zunächst noch einen Tag aufs Aufstehen. Er wollte nicht riskieren, dass er mit bohrenden Kopfschmerzen zusammenbrach und man ihn wieder ans Bett fesselte, dieses Mal ohne Aussicht auf „Freigang“. Also rollte er sich wieder zusammen und verbannte alle Gedanken aus seinem Hirn, bis er die wohlige Dunkelheit des Schlafs nahen fühlte. Nur am Rande bekam er noch mit, wie sich jemand neben sein Bett auf den Stuhl setzte… „Guten Morgen!“, tönte eine laute Stimme und riss Kai aus seinem Träumen. Lautlos fluchend fuhr er hoch und hoffte nicht aus dem Bett zu fallen, während er gleichzeitig feststellte, dass er sich fatalerweise mächtig geirrt hatte, als er irgendwann einmal beschlossen hatte, dass niemand nervtötender sein könnte als Tyson: Sein Bruder Hiro schlug ihn um Längen. Er hörte Schritte am Bett vorbeigehen und fühlte dann, nach einem Geräusch, dass er nicht eindeutig zuordnen konnte, plötzlich Wärme auf seiner Haut. Irritiert hob er eine Hand, unsicher, woher dieser plötzliche Eindruck kam. Hiro rumorte derweil weiter nach Herzenslust im Zimmer herum, zog Schubladen auf und wieder zu, öffnete die Schranktür und kam letztendlich zu dem Schluss, dass Kai es hasste, sein Zeug andauernd ein- und wieder auszupacken und es deshalb immer in seinem Seesack aufbewahrte. Pfeifend hockte er sich auf den Boden und begann in den Sachen herumzuwühlen, ohne auf den Verletzten zu achten, der immer noch verwirrt auf dem Bett saß, eine Hand leicht erhoben, und auf die vielen, unterschiedlichen Geräusche lauschte, durch die mangelnde Erfahrung unfähig zu erfassen, was gerade vor sich ging. Inzwischen war sich Kai, der bei jedem lauten Schlag, mit dem Hiro einen weiteren Schrank geschlossen hatte, zusammen gezuckt war, noch nicht einmal mehr sicher, ob der andere überhaupt noch im Raum war oder bereits irgendwo im Gang sein Liedchen trällerte. Als plötzlich etwas auf der Decke aufschlug und gleich darauf ein Lufthauch sein Gesicht streifte, wich er unwillkürlich zurück – bis er nichts mehr unter seinen hektisch tastenden Händen spürte und er mit einem überraschten Aufschrei nach hinten kippte. Eine schnell zupackende Hand um sein Handgelenk verhinderte den schmerzhaften Aufschlag auf dem Boden und er wurde wieder zurück aufs Bett gezogen. „Entschuldigung“, meinte Hiro mit einem deutlichen Grinsen in der Stimme und setzte sich neben Kai. Der ballte in hilfloser Wut die Fäuste: „Das glaube ich dir nicht!“ Das für den Jungen nicht sichtbare Grinsen wurde breiter und eine Spur gemeiner, dann zuckte Tysons Bruder die Schultern und begann Kai verschiedene Kleidungsstücke in die unmerklich zitternden Hände zu drücken. „Unterhose, T-Shirt, Hose“, zählte er auf, dann erhob er sich und schloss das Fenster, das er vor kurzem erst aufgerissen hatte, bereits wieder. „Du hast dir einen schlechten Tag ausgesucht, um wieder herumzulaufen. Wir haben heute Rekordtemperaturen und ich glaube, ich habe die Sonne noch nie so strahlen gesehen. Drinnen ist es heute weitaus angenehmer, vor allem, wenn man sich nicht bewegt.“ Etwas mürrisch sah er nach draußen, auf die in blendenden Sonnenschein getauchte Landschaft und notierte sich gedanklich, heute alle Fenster zu zu lassen. Das brachte keinerlei Kühlung, ganz im Gegenteil… Kai hatte derweil ganz andere Probleme als sich auf einen Smalltalk mit Hiro einzulassen: Wir war das noch einmal gewesen? T-Shirt, Hose, Unterhose…? Er wusste es nicht mehr und sah auch keine Möglichkeit, selbstständig wieder Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Wenn er Glück hatte, würde er gerade mal das T-Shirt heraussuchen können, aber dann hörte es auch schon auf. Aber Hiro um Hilfe bitten…? Er seufzte und schüttelte den Kopf. Dann eben anders. Mühsam versuchte er sich an den ungefähren Grundriss des Zimmers zu erinnern. Das Bett stand in der Mitte des Raumes, die Tür zum Bad war auf der gegenüberliegenden Seite links, oder? Wenn er jetzt aufstehen und es irgendwie fertig bringen würde, ins Bad zu gelangen, müsste Hiro ihm, wenn er wieder zurückkam, logischerweise die Sachen erneut geben. Und dieses Mal hatte Kai vor besser aufzupassen. Also dann, Plan B! Mit einem tiefen Atemzug tastete Kai nach der Bettkante und schwang die Beine hinaus, die Klamotten auf der Decke zurücklassend. Kurz zuckte er zusammen, als seine Zehen eher an den Boden stießen, als er es eigentlich gedacht hatte, dann stemmte er sich langsam in die Höhe. War die Welt eigentlich schon immer so wacklig gewesen? Während er versuchte sein Gleichgewicht zu finden, stellte er fest, dass sich seltsamerweise auch noch seine Hände weigerten, die trügerische Sicherheit der Bettkante unter den tastenden Fingerspitzen aufzugeben. Verdammt, warum waren denn heute nur alle gegen ihn? Er brauchte einige Willenskraft um sich von dem Laken loszureißen und die Hände stattdessen tastend nach vorne zu strecken. Schön, so weit wäre er schon einmal. Blieb nur noch die letzte Hürde: Wie zum Teufel brachte er seinen verdammt unkooperativen, zitternden Körper dazu, einen Fuß zu heben und einen Schritt zu tun? Gar nicht! Stattdessen rutschte er mit dem rechten Fuß zentimeterweise nach vorne, wartete kurz, bis er wieder sicheren Halt gefunden hatte und versuchte es dann erneut, dieses Mal mit dem linken Fuß. Nach einigem Schlurfen, fasste er tatsächlich genug Mut, um sein Gewicht tatsächlich für wenige Sekunden nur einem seiner Beine anzuvertrauen und einen richtigen Schritt zu tun – bedauerlicherweise stand nur der Stuhl mitten in seinem Weg. Laut fluchend und mit einer höllisch schmerzenden Kniescheibe fiel er nach vorne, stieß mit einer der kaum verheilten Krallenspuren Black Dranzers gegen die Kante der Sitzfläche und bekam nur durch Glück die Lehne zu packen, um sich vor einem noch tieferen Sturz zu bewahren. Eine kurze Zeit lang „sah“ er Sterne, während sich der Schmerz quälend langsam von der Wunde aus durch seinen ganzen Körper zog, dann bekam er endlich wieder Luft und sucht mit der freien Hand nach einem halbwegs sicheren Halt, während die andere so fest um das Holz der Stuhllehne geschlungen war, dass die Knöchel weiß hervortraten. Als er schließlich den Boden unter seinen tastenden Finger spürte und damit eine weitere Stütze hinzu gewann, konnte er sich endlich auch wieder mit seiner Umgebung befassen, besser gesagt, mit dem atemlosen Gelächter irgendwo schräg hinter ihm. Wie schön, dass wenigstens Hiro seinen Spaß hatte… Mit dem letzten bisschen Würde, das ihm noch verblieben war, stemmte Kai sich wieder hoch und wollte die wenig heroische, aber äußerst wirkungsvolle Flucht nach vorn antreten: Ab ins Badezimmer! Nur wusste er durch seine unfreiwillige Bauchlandung nicht mehr genau, wo er nun war. Hilflos wandte er den Kopf von rechts nach links und wieder zurück, während er verzweifelt versuchte sich zu erinnern oder zumindest irgendeinen Anhaltspunkt zu finden, wo er hinmusste. „Kai?“, Hiro schien leider doch nicht die Absicht zu haben, an seinem eigenen hämischen Gekicher zu ersticken. Dabei hatte es sich in Kais Ohren schon so verheißungsvoll angehört… Selbst jetzt noch presste Tysons Bruder die Worte nur mühsam hervor, mit einem verräterischen, glucksenden Unterton. „Nein!“, fauchte der Jüngere zurück, machte einen unsicheren Schritt und wäre beim nächsten beinahe noch einmal hingefallen, als sich sein hinterer Fuß an einem der Stuhlbeine verhackte. Hiro nutzte die Zeit, die Kai mit Fluchen verbrachte, um wieder zu Atem zu kommen und sich beruhigen. So war nur noch leichtes Amüsement in seiner Stimme zu vernehmen, als er die Arme vor der Brust verkreuzt, betont beiläufig in den Raum hineinsagte: „Ich warte!“ Kai verdrehte innerlich die Augen und wünschte sich weit weg. Nein, nicht sich, Hiro! Am besten nach Sibirien oder so! Doch er zwang sich zur Ruhe und erwiderte nur süßlich: „Wie schön für dich? Ich hoffe, du setzt ordentlich Moos an.“ Damit tastete er sich wild entschlossen weiter nach vorne. Er würde diese gottverdammte Badezimmertür finden und wenn es das Letzte war, das er tat. Hiro grinste nur und beobachtete interessiert, wie Kai auf die Wand zuhielt. Erstaunlicherweise hatte der Halbrusse sogar halbwegs die richtige Richtung eingeschlagen und hielt nun tatsächlich auf das Bad zu. Besser gesagt, auf die offen stehende Badezimmertür. Es war wirklich faszinierend zu sehen, wie zielsicher Kais Hände die schmale Türkante verfehlten und diese – Hiro zählte in Gedanken von Drei an abwärts – im Gegenzug auf Kais Nase traf. Mit einem Schmerzenslaut taumelte der Junge zurück und landete auf dem Hintern, während Hiro abermals in Gelächter ausbrach. Kai platzte der Kragen. „Du elendes Arschloch! Musst du denn selbst einen Krüppel noch quälen?“, brüllte er, eine Hand auf die leicht blutende Nase gepresst. Die Heiterkeit des Älteren endete abrupt. „Sag das nicht!“, verlangte er. Kai richtete den Kopf in Richtung der Stimme und fragte herausfordernd: „Was soll ich nicht sagen? Es stimmt doch!“ Er konnte seine eigene Stimme leicht zittern hören und ballte im stummen Kampf um seine Selbstbeherrschung die Fäuste. Schritte näherten sich ihm und Stoff raschelte, als sich Hiro zu dem am Boden sitzenden Junge herunterbeugte: „Das tut es nicht! Es geht wieder vorbei, Kai! Also wage es nie wieder, dich als Krüppel zu bezeichnen, verstanden?“ Wie sehr sich Kai doch sein Augenlicht zurückwünschte, um sehen zu können, ob Tysons Bruder seine Worte ernst meinte… Nach einer halben Ewigkeit, wie es Beiden schien, senkte der Jüngere den Kopf und nickte schwach. Hiro atmete auf, erhob sich wieder und verschränkte erneut die Arme. „Ich warte übrigens immer noch!“ Kai ging der leicht amüsierte, dennoch fordernde Ton gehörig auf den Geist, aber er hatte im Moment kaum noch die Kraft dagegen zu halten. „Und worauf, bitteschön?“, murmelte er gereizt und fuhr sich bereits erschöpft von dem kleinen „Ausflug“ mit einer Hand übers Gesicht. „Das weißt du ganz genau, Kai“, dieses Mal schwang deutlich Strenge in den Worten mit. Kurze Zeit schwieg der silberhaarige Beyblader, blieb einfach dort sitzen, wo er gerade war und rührte sich nicht. Dann seufzte er einmal tief auf, wandte Hiro leicht das Gesicht zu und murmelte kaum hörbar: „Hilfe?“ Es war geradezu niederschmetternd für Kai, wie viel Hilfe er tatsächlich benötigte, auch wenn er versuchte, so viel wie möglich alleine zu erledigen und Hiro ihn auch durchaus vieles zuerst selbst probieren ließ, bevor er seine Unterstützung anbot. Aber letztendlich war es eben so, dass der Halbrusse im Moment noch nicht einmal alleine den Flur entlang gehen konnte, da er keine Ahnung hatte, wie er ohne fremde Hilfe die Küche finden sollte. Da waren so viele verschiedene Türen und noch mehr fremde Geräusche, die er alle nicht zuordnen konnte und die ihn mehr verwirrten, als dass sie ihm halfen, sich zurecht zu finden. Also konnte er nichts weiter tun, als sich auf das äußerst fragwürdige Gefühl von Sicherheit zu verlassen, das von Hiros leitender Hand auf seiner Schulter ausging. Endlich konnte er die vertrauten Stimmen der anderen Blader genau vor sich ausmachen und er fühlte deutliche Erleichterung in sich aufsteigen. Hiro griff an ihm vorbei und öffnete die Tür, woraufhin sich alle Anwesenden zu den Neuankömmlingen umdrehten. Das Einzige, was Kai davon mitbekam, war die plötzlich einsetzende Stille. ‚Ich hätte im Bett bleiben sollen’, schalt er sich selbst und ballte unbewusst die Fäuste. „Wer ist da?“, fragte er Hiro leise. Tysons Bruder sah sich kurz um, dann musste er ein Ächzen unterdrücken: „Alle.“ Er drückte Kai aufmunternd die Schulter und fügte dann um Einiges leiser hinzu: „Auch Tala…“ ‚Wunderbar… Ein Tag im Zoo und du bist kein Besucher, Kai’, stellte der Halbrusse fest und ließ sich von Hiro zu einem Stuhl führen. Tysons Bruder warf den immer noch starrenden Jugendlichen einen scharfen Blick zu, woraufhin die Gespräche langsam wieder in Gang kamen, auch wenn die Blader immer wieder unbehaglich und mitleidig zu Kai schielten. Die ehemaligen Bladebreakers versammelten sich beinahe sofort um ihren Freund und begannen ihn auszufragen und nach besten Kräften zu unterhalten. Irgendwann gelang es Kai, sie mit der Ausrede, er hätte Kopfschmerzen, endlich abzuwürgen, doch kaum hatten sie das Feld geräumt, nahmen zwei weitere alte Freunde ihren Platz ein: Spencer und Bryan schienen es sich in stiller Übereinkunft zur Aufgabe gemacht zu haben, ihrem ehemaligen Teamkameraden jeden Wunsch von den Augen abzulesen, was sie, in Ermangelung einer freien Sicht auf eben jene, ziemlich lautstark und eifrig betrieben. Stoisch beantwortete der kleinere Halbrusse alle Fragen und Angebote mit einem schlichten Nein und zählte gedanklich sämtliche Wiederholungen. Judy und Hiro betrachteten das Treiben der zwei ungewohnt überfürsorglichen Russen aus der Ferne und konnten ihre Belustigung nicht ganz verbergen. „Zumindest scheint er das Ganze mit Fassung zu tragen“, kicherte Judy und warf der aufrechten Gestalt mit den verbundenen Augen einen Blick zu, die noch immer mit monotoner Stimme alle Offerten abwies. Man konnte höchstens sagen, dass Kai inzwischen etwas gepresst klang, aber er beherrschte sich scheinbar und versank auf jeden Fall nicht, wie Max’ Mutter zuerst befürchtet hatte, in Depressionen und Selbstmitleid. Hiro warf Kai ebenfalls einen Blick zu, registrierte die geballten Fäuste und das kaum sichtbare Kräuseln der Binden über den Augenbrauen und erstickte ein Lachen mit seiner Hand. Ja ja, des einen Leid, des anderen Freud, oder so ähnlich, nicht wahr? „Eher mit schlechter Laune“, japste er und startete den Countdown: „Drei, zwei, eins…“ „Verdammt noch mal, Bryan! Lasst mich endlich in Frieden! Wenn ich etwas brauche, werde ich es schon sagen, also hört auf mich zu nerven!“, explodierte Kai. Die zwei Russen in seiner Nähe zuckten sichtlich zusammen und gingen auf Sicherheitsabstand. Doch ihr Teamkamerad hatte nicht vor, sie noch weiter anzuschreien, schließlich war da noch mehr, das ihn störte: „Und ihr da!“ Er wandte das Gesicht grob in Richtung der restlichen, nun sehr stillen Jugendlichen. „Ich habe nicht vor, in nächster Zeit elendlich hier zu verrecken oder sonst irgendeine Show abzuziehen, also hört gefälligst auf andauernd in meine Richtung zu glotzen! Ich bin zwar blind, aber keine Hauptattraktion, verstanden?“ Er nahm die einträchtige Stille, die dann und wann von Hiros schlecht unterdrücktem Gelächter unterbrochen wurde, einfach mal als Zustimmung und verschränkte mit einem Schnaufen die Arme vor Brust. Das zweihundertste „Und du willst wirklich nichts trinken, Kai?“, war einfach zu viel gewesen… Tatsächlich ließen ihn die anderen Blader von nun an in Ruhe und warfen ihm nur dann und wann einen prüfenden Blick zu. Eine Weile genoss Kai es, einfach nur auf die Stimmen der Anderen zu lauschen und so Neuigkeiten zu erfahren, die ihm sonst nie zu Ohren gekommen wären. Doch mit der Zeit begann er sich zu langweilen. Es war eine Sache, still in einer Ecke zu stehen oder zu sitzen, wenn man sehen konnte, aber ein ganz andere, wenn man blind war. Früher hatte er jederzeit wählen können, ob er nun lieber die Eskapaden seiner Teamkameraden beobachtete, die Aussicht genoss oder lieber vor sich hin grübelte, doch nun war er seine Erinnerungen und dem sich ständig verändernden Wirrwarr seiner Gedanken und Gefühle hilflos ausgeliefert. Es gab einfach nicht mehr genug Möglichkeiten sich abzulenken. Er hatte weder Lust, sich von Tyson und den anderen Bladebreakers vollquatschen zu lassen, noch von Bryan und Spencer bemuttert zu werden. Hiro würde ihn nur nerven und seine Situation vermutlich auch in aller Öffentlichkeit schamlos für ein bisschen „Erziehung“, oder als was auch immer er es betrachtete, nutzen. Und Ian befand sich zwar laut Tysons Bruder im Raum, hielt sich aber eindeutig von ihm fern… Kai seufzte leise und wandte sein Gesicht dem Fenster zu, besser gesagt, dem Hauch von Wärme, der von der Scheibe ausging. Es schien wirklich heiß draußen zu sein, denn selbst hier, im Inneren des Hauses hatten die Strahlen der Sonne noch eine unglaubliche Kraft. Wie sanfte Finger strichen sie über die Wangen des Jungen und schienen all seine noch vorhandenen Sinne vollkommen einzunehmen. Das laute Geschwätz der anderen Jugendlichen, die matten Stimmen der Vögel, das Klappern von Geschirr, das auf dem Tisch verteilt wurde, all das rückte immer weiter in den Hintergrund und machte einem seltsamen Wispern Platz, dessen Bedeutung er noch nicht ganz erfassen konnte. Wie in Trance hob Kai die Hände und spürte die Sonnenstrahlen warm darüberstreichen, wie Hände, die ihn sanft mit sich ziehen wollten. Der Junge atmete tief ein und hatte das Gefühl, das Licht selbst zu inhalieren, einen Geschmack von Feuer und Hitze auf der Zunge, den prickelnden Geruch von Rauch in der Nase. „Ich muss nach draußen“, murmelte Kai in plötzlichem Verständnis, die Stimme leise und seltsam fern, das Gesicht noch immer zum Fenster gewandt. Bryan und Spencer, die sich noch immer in seiner Nähe herumtrieben, tauschten einen skeptischen Blick. Draußen herrschten Rekordtemperaturen. Sie würden Kai ganz sicher nicht nach draußen lassen, egal, wie sehr der auch darum bettelte. „Kai, es ist zu viel zu heiß. Morgen, okay?“, versuchte es Bryan in einem beschwichtigend Tonfall und legte dem Kleineren beruhigend die Hände auf die Schultern. Doch der schüttelte nur den Kopf und versuchte aufzustehen, was der blasshaarige Russe sofort verhinderte. „Kai, du bist bereits verletzt! Das Letzte, was dein Körper jetzt noch braucht, ist ein Hitzschlag oder ein Sonnenstich!“, die Hände des Größeren drückten Kais Schultern nun mit sanfter Gewalt gegen die Stuhllehne. Dieser wehrte sich jedoch immer stärker, egal wie vernünftig Bryans Argumente auch waren. Inzwischen wurden immer mehr Anwesende auf den Zwischenfall aufmerksam und betrachteten verblüfft und beunruhigt, über Kais Verhalten die Szene. „Verdammt, Kai! Jetzt versteh doch endlich, du kannst im Moment nicht raus!“, Spencer schloss sich Bryans gutem Zureden an, ebenso ratlos wie dieser, warum sich Kai plötzlich so seltsam benahm und wie sie das Problem in den Griff bekommen sollten. Sie konnten den Halbrussen schließlich schlecht niederschlagen und so ruhig stellen… Aber eine gewaltfreie Lösung fiel ihm auch nicht ein, das war einfach nicht sein Fachgebiet. Er war noch nie sonderlich gut in Diplomatie gewesen und seine Kenntnisse zwischenmenschlicher Beziehungen beliefen sich auf die Abtei und die wenigen Jahre danach. Tala war derjenige, der sich normalerweise um die Welt außerhalb ihres Teams kümmerte – aber da dieser Kai hasste, wäre es wohl keine gute Idee, ihn um Hilfe zu bitten. Blieb nur noch: „Ian, jetzt hilf uns doch mal!“ Der kleinste Russe reagierte gar nicht, sondern schaute nur mit offenem Mund zu, wie sich Bryan und Kai weiter stritten. „Nein, du verstehst nicht! Ich…“, weiter kam Kai nicht, als ihn plötzlich jemand am Arm hochzog und Bryan einfach aus dem Weg stieß. Der Halbrusse registrierte überrascht, wie sich der Andere seinen Arm um Hals und Schulter legte und ihn dann einfach mit sich zog. Stolpernd versuchte der Verletzte mit seinem Helfer Schritt zu halten und die teils wütenden, teils überraschten Ausrufe hinter sich zu ignorieren. Wichtiger war es jetzt, auf den Beinen zu bleiben und endlich nach draußen zu gelangen. Er hörte noch, wie seine Stütze die Tür mit einem Tritt öffnete, dann brach eine wahre Hitzewelle über ihn herein und raubte ihm den Atem. Es war nicht nur heiß draußen, es war glühendheiß, eine richtige Hölle! Die Lichtung war in ein stechendes, gelbliches Licht getaucht, das alles seltsam unscharf zeichnete und den Pflanzen jegliche Farbe zu rauben schien. Die Luft flimmerte und fühlte sich dick und schwer an, was das Atmen äußerst unangenehm und anstrengend machte. Die Sonne stand ungewöhnlich groß und strahlend am fahlblauen Himmel und sandte ihre tödliche Hitze immer weiter auf die Welt herab. Kai wurde nach einer kurzen Pause weiter auf die Wiese hinausgezogen, dann ließ ihn sein Helfer plötzlich los und wich ein paar Schritte zurück. Ganz allein stand der silberhaarige Blader mitten auf der Lichtung, die Kleidung am schweißüberströmten Körper klebend, der Atem schwer und schnell. Er hatte das Gefühl von der ihn umgebenden Luft zusammengepresst zu werden, während er gleichzeitig von der Sonne gebraten wurde, die immer intensiver zu strahlen schien und die Temperaturen immer weiter in die Höhe trieb. Die Sonne… Kai hob den Kopf, dorthin, wo er den riesigen Feuerball deutlich spüren konnte, und leckte sich über die schnell austrocknenden Lippen. Noch immer fühlte er deutlich den Ruf, der ihn unbedingt nach draußen hatte locken wollen, hörte die wispernden Worte, das leise Singen, dass sich inzwischen in seinem ganzen Körper auszubreiten schien und ihn mit noch mehr Hitze füllte. „Ich bin hier“, flüsterte er atemlos und streckte die Arme aus. „Ich bin hier“, antwortete ein kurzer Windhauch, der das Versprechen auf Feuer in sich trug. Und Kai lächelte… Die Sonne schien förmlich zu explodieren und tauchte die ganze Welt für einen Moment in blendende Helligkeit und unerträgliche Hitze. Kai spürte, wie Flammen über sein Gesicht leckten und sich in seinen Haaren fingen, dann nahm die gleißende Helligkeit langsam wieder ab und er blickte hoch zu dem pulsierenden Feuerball, vor den sich ein kaum dunklerer Punkt geschoben hatte. Der Junge entfernte lächelnd die letzten Reste des verkohlten Verbandes von seinem Gesicht, während der Fleck immer näher kam, an Form und Farbe gewann und schließlich einen melodischen, weithin hallenden Willkommensruf ausstieß. Feurige Schwingen teilten die Luft, glühende Federn raschelten leise im Wind und das Licht der nun wieder schwächer strahlenden Sonne fing sich in Schnabel und Klauen, als Dranzer auf seinen Herrn zuschoss, nur wenige Meter vor ihm seinen Flug abbremste und ihn mit dem Luftschwall seiner mächtigen Flügel beinahe umwarf. Samtig dunkle Augen mit goldenen Sprenkeln betrachteten ihn aufmerksam, huschten über die wenigen sichtbaren Verbände und fingen letztendlich den Blick der strahlendroten Augen. Kai lächelte den Phönix an, bewunderte die in Flammen gehüllte Gestalt, der die Wiedergeburt einen neuen Glanz verliehen zu haben schien, die schillernden Federn und die mächtigen Schwingen, die starken Klauen, den kräftigen, leicht geöffneten Schnabel und den prächtigen, dreigeteilten Schweif, der sich wie eine Schleppe um den großartigen Vogel ausgebreitet hatte und goldene Lohen aus dem Gras aufzüngeln ließ. Dranzer bemerkte die Aufmerksamkeit, plusterte sich ein wenig auf, legte den Kopf in den Nacken und ließ seinen schrillen Schrei hören, dann streckte er plötzlich die Klaue vor, bekam Kais Shirt zu packen und zog ihn vorsichtig, aber bestimmt näher an sich heran, damit er ihn ebenfalls genauer in Augenschein nehmen konnte. Er wirbelte mit einem Flügelschlag seine Haare auf, zerrte mit dem Schnabel an seinem Shirt, um einen prüfenden Blick darunter werfen zu können und beugte sich letztendlich tief zu ihm herab, um ihm mit einem sanften Auge tief in die nun wieder völlig klaren Augen blicken zu können. Zufrieden gurrend ließ er Kai letztendlich wieder los, der sich, eine Hand auf dem warmen, feuergesäumten Bauchgefieder liegend, zum Haus umdrehte: Die meisten Blader und Erwachsenen standen nahe der Tür, Augen und Münder weit aufgerissen, und starrten vollkommen fasziniert auf das zurückgekehrte Bitbeast. Nur Tala stand nur wenige Schritte von Kai entfernt, die Augen starr auf den Phönix und dessen Meister gerichtet, der Blick undefinierbar. Er öffnete den Mund um etwas zu sagen, schloss ihn aber wieder, drehte sich mit einem letzten Blick zu Kai um und verschwand stumm wieder im Haus. Der silberhaarige Blader sah ihm unglücklich nach, eine Hand in Dranzers Gefieder verkrallt, der beruhigend gurrend auf ihn niederblickte. „Tala!“ Der Rotschopf stoppte, als er die vertraute Stimme hörte und sah zu Boden. Er hatte gewusst, dass dieser Moment kommen würde, doch noch immer sträubte sich alles in ihm gegen das, was nun folgen würde. „Tala…“, Hiro stand nur wenige Schritte hinter ihm. Er war dem Russen gefolgt, als dieser ins Haus zurückgekehrt war. Auch wenn er Kai noch nie so glücklich erlebt hatte wie eben und es wirklich faszinierend war, einem Bitbeast so nah zu sein, seine Neugier und sein Wissensdurst waren stärker und alles in ihm verlangte endlich eine Antwort auf seine schon so oft gestellte Frage. Er wollte die dunklen Wolken, die sich immer, wenn er Tala oder Kai ansah, in seine Gedanken schoben, endlich loswerden und Klarheit haben, Licht ins Dunkel bringen. „Tala, wie ist Kais Bruder gestorben?“ Der Rotschopf blickte zu Boden und zögerte mit der Antwort. „Tala!“, verlangte Hiro weitaus schärfer noch einmal. „Wie ist er gestorben?“ Die Stimme des jungen Russen war kaum mehr als ein Flüstern: „Ich habe ihn umgebracht…“ Ein erschrockenes Ächzen ließ Beide herumfahren: Einige Blader, die sich in den Schatten hatten flüchten wollen, standen in der Tür und sahen Tala geschockt und voller Flehen, dass er seine Worte zurücknehmen würde, an. Der Rotschopf hielt ihre Blicke nicht aus, drehte sich auf dem Absatz herum und rannte davon… _________________________________________________________________________________ Warum musste ich bei der Szene mit Hiro nur die ganze Zeit denken: Du bist ein Arsch, aber ich liebe dich, wenn du so bist. *drop* Oder bei der Szene mit Dranzer: Noch ein Angeber. Ist wohl in dieser Partnerschaft zwingend notwendig. Zuerst wollte ich Dranzer und Kai sich übrigens voreinander verbeugen lassen, aber da kam mir plötzlich in den Sinn, dass der arme Vogel ein Phönix ist und kein Hippogreif XD Tja, um ganz ehrlich zu sein, war auch die Sonne zunächst als gigantisches Ei gedacht und... Ich schweife ab, ich merk's. ^^" Bis demnächst, Lyos ^^ PS: Ian tut mir Leid... ^^" Kapitel 10: Tausend erste Schritte ---------------------------------- Lang, lang ist's her... Ich weiß, Schande über mich. Aber das war schon keine schwere Geburt mehr, das war der reine Horror. *nerv* Ich hoffe, das Kapitel macht trotzdem Spaß und ist nicht ganz so verwirrend, wie ich glaube ^^" Wenn Fragen, dann an mich. _________________________________________________________________________________ „Ich habe ihn umgebracht…“ Vier kleine, einfache Worte – und eine einzige, schwer wiegende Erkenntnis. ‚Ich hätte ihn nicht fragen dürfen. Zumindest nicht ohne vorher nachzuprüfen, dass uns keiner hören kann… Verdammt, hör auf damit, Hiro! Es ist zu spät! Nichts lässt sich mehr rückgängig machen… Außerdem haben sie ein Recht darauf, es zu erfahren! Hatten sie das Recht darauf… Ich weiß, dass es die richtige Entscheidung war, Tala zur Rede zu stellen – aber warum fühle ich mich dann so schuldig?’, Hiro lehnte den Kopf gegen das Lenkrad des Mietwagens und starrte dumpf in den Fußraum des Autos. Warum lief nur alles, was er tat, immer so verdammt schief? Das hatte er nicht gewollt – oder? ‚Und was hätte ich gemacht, wenn ich meine Antwort bekommen hätte, ohne dass jemand mitgehört hätte…?’ Vielleicht war es ja so sogar besser. So musste er wenigstens nicht entscheiden, ob er ebenfalls schwieg oder allen die Wahrheit über Kais Bruder enthüllte… Mit einem gedämpften Laut schlug Hiro sanft die Stirn gegen das Lenkrad, die Arme auf dem Steuer liegend verschränkt, die Augen geschlossen. Gott, warum musste nur alles so schief gehen? Dabei hatte doch alles so gut ausgesehen. Erinnerungen schossen durch seinen Kopf: Kai, der mit Bryan und Spencer stritt, der sich auf seinem Stuhl wand und wie ein Verrückter darauf beharrte, nach draußen zu müssen. Kai, der plötzlich von Tala am Arm gepackt und vor die Tür geschleift wurde. Kai, der inmitten der Hitze stand, umhüllt von gleißend hellen Sonnenstrahlen, schwer atmend und schwitzend, das blicklose Gesicht gen Himmel gewandt. Kai, der in einer Woge aus blendender Helligkeit verschwand, während die Sonne zu explodieren schien, und dessen Verbände zu Asche verbrannt waren, als das Licht endlich wieder abnahm. Kai, der lächelte, als sein Bitbeast wieder zu ihm zurückkehrte, der es glücklich betrachtete, mit seinem wiedergewonnenen Augenlicht, der von Dranzer genauesten untersucht wurde und der noch nie in seinem Leben so sanft und zufrieden gewirkt hatte… Kai, dessen Bruder von Tala getötet worden war! Die Nachricht hatte in Rekordzeit die Runde gemacht und für eine Menge schockierter Jugendlicher und Erwachsener gesorgt. Tala hatte sich in seinem Zimmer eingeschlossen, gab keinen Ton von sich, ignorierte die verzweifelten Fragen, ob das wahr wäre, und war noch nicht einmal zum Essen erschienen. Alle hatten gewusst, dass es den einen oder anderen dunklen Fleck auf den Westen der Blitzkrieg Boys gab, doch mit so etwas hatte niemand gerechnet… Ironischerweise war der Einzige, der von der ganzen Sache bisher noch nichts wusste, ausgerechnet Kai, der viel zu sehr damit beschäftigt gewesen war, sich über Dranzers Rückkehr zu freuen und seine Umwelt mit großen, leuchtend roten Augen gierig zu betrachten. Wie im Rausch durch die vielen, altbekannten und dennoch immer wieder neuen Eindrücke, hatte er gar nicht bemerkt, wie überall geflüstert wurde, wie man ihm scheue, mitleidige und plötzlich verständnisvolle Blicke zugeworfen und sich in seiner Gegenwart mit einem Mal seltsam still und zurückhaltend verhalten hatte. Hiro seufzte. Wie sollten sie sich Kai gegenüber denn jetzt verhalten? Konnten sie sich überhaupt noch normal verhalten? Sollten sie es? Wieder hob der junge Mann den Kopf und ließ ihn sanft gegen das Lenkrad fallen. Doch anders als die vielen Male zuvor, rutschte er dieses Mal ab und betätigte versehentlich die Hupe. Als das durchdringende Geräusch die Stille des Waldes durchschnitt, schreckte er zurück, riss die Hände vom Steuer und prallte mit dem Hinterkopf gegen die Kopfstütze des Fahrersitzes. Während er mit einer Hand über die kaum schmerzende Stelle strich, wurde die Beifahrertür aufgerissen und ein missmutig aussehender, kleiner Russe warf seine Krücken nach hinten auf die Rückbank und hievte sich dann in den Sitz: „Wir kommen ja schon! Brauchst nicht so zu hetzen! Idiot!“ Mit einem lauten Knall, der Hiro zusammenzucken ließ, schloss er die Tür wieder, dann schnappte sich Ian seinen Sicherheitsgurt und ließ ihn einrasten, wobei er seinem Nebenmann, natürlich ganz aus Versehen, die Faust in die Rippen stieß. Hinter ihnen wurde eine weitere Tür geöffnet und Kai ließ sich auf den Rücksitz sinken, das Gesicht ausdruckslos. Er beförderte Ians Krücken auf den Boden und schloss ebenfalls die Tür, dann fielen seine Augen auf den Rückspiegel, durch den Hiro ihn schon die ganze Zeit unbewusst betrachtete. „Ist etwas?“, fragte er mit gerunzelter Stirn. Tysons Bruder schreckte aus seinem Starren, sah schnell woanders hin und schüttelte den Kopf. Neben ihm rutschte Ian unbehaglich hin und her, die Augen überall, nur nicht in Kais Richtung. Der silberhaarige Junge auf der Rückbank betrachtete Hiro noch kurze Zeit skeptisch, dann wandte er sich ab und machte es sich bequem, wobei er dann und wann an einem Verband zupfte, der zu sehr spannte. Der Älteste im Wagen atmete auf und hörte gleichzeitig, wie auch Ian zischend Luft ausstieß: Das hätte schief gehen können. Kais gestriger Freudentaumel war definitiv vorbei und von nun an müssten sie alle sich schon wieder mehr Mühe geben, wenn sie ihr Wissen weithin von ihm verbergen wollten. Hiro warf dem Rückspiegel einen weiteren kurzen Blick zu und startete dann den Wagen. Er machte sich keine Illusionen: Mit so schwatzhaften Leuten wie Tyson, Daichi und Julia, sowie äußerst fürsorglichen wie Ray, Mariah und Mathilda, gab er dem Tabu eine Überlebenschance von höchstens drei Stunden. Eine, wenn Kais Gehirnerschütterung inzwischen wieder völlig geheilt sein sollte und dieser schnell genug die richtigen Schlüsse zog. Langsam rollte das Auto durch den gesprenkelten Schatten des Waldes und eine Zeit lang hing jeder der Insassen seinen eigenen Gedanken nach, die sich in zwei von drei Fällen um ein und dieselbe Sache drehten. Immer wieder warfen Ian und Hiro Blicke nach hinten oder in den Rückspiegel, unsicher, was sie nun sagen oder wie sie sich verhalten sollten. Die Stille im Wagen wurde für sie immer drückender und unangenehmer, während Kai nichts von ihrer Nervosität zu bemerken schien und wie gebannt seinen Bitchip betrachtete. Anscheinend war der Junge nicht nur dank Back Dranzers Einfluss derart von seinem Beyblade fasziniert gewesen… Irgendwie hatte der Gedanke in Hiros Augen tatsächlich etwas Beruhigendes. Sie durchquerten das Dorf ohne Zwischenhalt und bogen dann auf eine Landstraße in Richtung Stadt ein. Nachdem der gestrige Tag so gut – und vor allem überraschend – verlaufen war, hatten Judy und Mr. Dickinson beschlossen, dass Kai nun wieder gesund genug war, dass er die Fahrt zu einem Krankenhaus antreten konnte, um sich endlich richtig durchchecken zu lassen. Da Ians Bein inzwischen auch ausgeheilt sein sollte, hatte die BBA seine Krankenakten ebenfalls an das entsprechende Hospital gesandt und so zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Und so saß Hiro nun also schon zum zweiten Mal mit den beiden kleinsten Vertretern der russischen Beybladewelt in einem Wagen und fühlte sich mehr als unbehaglich. Nur dass ihn dieses Mal keine Fragen beschäftigten, sondern die Antworten auf dieselben. Neben ihm warf Ian einen flüchtigen Blick nach hinten und starrte dann wieder stur nach vorne auf die Straße: Er hätte nie gedacht, dass Tala fähig wäre, jemanden zu töten. Verletzen, ja. Vielleicht sogar schwer verletzen, wenn er wirklich wütend wäre. Aber jemanden töten? Und das auch noch in einem so jungen Alter? Der lilahaarige Russe schüttelte den Kopf. Wie musste sich Kai nur all die Jahre gefühlt haben? Ian musste unwillkürlich schlucken, als er an ihr Gespräch vor wenigen Tagen zurückdachte, bei dem ihm immer noch ganz schlecht wurde. So, vermutlich… Hinter ihnen betrachtete Kai Dranzers Abbild und wischte mit einem Daumen über eine matte Stelle. Seine Augen verengten sich leicht, als er jedes noch so kleine Detail studierte und dabei seine Gedanken auf die Reise schickte. Das gestrige Ereignis hatte ihn nachdenklich gemacht und so hatte er nicht nur die letzten Wochen, sondern sogar fast sein gesamtes Leben noch einmal überdacht. Die meisten seiner Fehler waren nicht mehr gut zu machen und sein Selbstfindungstrip ging auch nicht so weit, dass er sich nun von Grund auf radikal ändern würde, aber zumindest ein oder zwei Dinge waren ihm eingefallen, die er auf jeden Fall verändern wollte. Dinge, bei denen er vor Jahren aufgegeben hatte und wenn unbewusst… ‚Ich habe nicht umsonst einen Phönix als Bitbeast. Wie soll ich Dranzer würdig sein, wenn ich den einfachen Weg wähle und kapituliere?’, er schloss die Hand um den Bitchip, spürte die Wärme, die daraufhin durch seine Faust floss, und lächelte… Wie er Krankenhäuser doch hasste! Alles um ihn herum war entweder weiß, blassblau oder schimmelgrün, aus Glas, Chrom oder Keramik, kalt, kälter oder metallisch kühl, mit langen Nadeln, rasiermesserscharfen Schneiden oder spiegelnden Oberflächen, mit… „Kai, wenn du noch finsterer guckst, gehen sämtliche Geräte kaputt und du wirst hier warten müssen, bis sie neue herangeschafft haben. Das könnte allerdings ein paar Wochen dauern…“, frotzelte Hiro und warf dem auf einer Liege sitzenden Teenager einen amüsierten Blick zu. Der erwiderte das breite Grinsen auf dem Gesicht des Älteren nur mit einem äußerst mordlüsternen Gesichtsausdruck und starrte dann wieder düster zu Boden. Wo war er gerade gewesen? Ach ja, Krankenhäuser und Hass. Kai saß auf einer Liege und wartete auf einen der Ärzte, dessen Name er sich zu merken nicht nötig befunden hatte, der ihm vor Stunden, wie es ihm schien, erst untersucht, dann Blut abgenommen hatte, dann dies und jenes gemacht hatte und dessen Erklärungen sich auf ein paar Fachausdrücke, die Kai später auf jeden Fall nachschlagen würde, und ein, wie der gute Herr Doktor wohl meinte, entwaffnendes Lächeln beschränkt hatte. Dann war der Mistkerl für „ein paar Minuten“ gegangen und seitdem saß der junge Blader nun hier, halbnackt und mit schmerzenden Verletzungen, starrte den langweiligen Kunststoffboden des noch langweiligeren Zimmers an und musste sich Hiros bescheuerte Kommentare anhören. Das war doch wohl die Höhe! ‚Fehlt nur noch, dass sie mich verkabeln und in ein gigantisches Reagenzglas stecken, dann wäre dieser Tag perfekt…’, grummelte der Junge in Gedanken und knirschte mit den Zähnen. Wo blieb der Quacksalber nur? „Drei Minuten“, informierte ihn Hiro mit einem Blick auf die Uhr und schenkte ihm ein süffisantes Grinsen. Kai zog eine Grimasse, dann fiel sein Blick auf eine der verschlossenen Schubladen. Wenn er sich recht erinnerte, dann bewahrten Ärzte in solchen Laden meistens Spritzen oder Skalpelle auf… Seine Augen wanderten zu Tysons immer noch breit grinsendem Bruder, dann wieder zurück zur Schublade. Das war doch einmal eine Verlockung. Er könnte sagen, dass es ein Unfall gewesen war. Er hatte aufstehen wollen, war gestolpert, gegen den Schrank, die Schublade war aufgesprungen und unglücklicherweise war Hiro… Sie befanden sich in einem Krankenhaus, also könnten sie ihn bestimmt schnell wieder zusammenflicken, es hätte also keine größeren Auswirkungen… Noch bevor Kai seine Gedanken zu Ende spinnen konnte, öffnete sich die Tür und der Arzt kam herein. Er nahm einige frische Rollen Verband aus einem Schrankfach und begann Kais Verletzungen wieder zu verbinden, während er gleichzeitig mit ruhiger Stimme erklärte, was die Untersuchungen ergeben hatten: Außer einer angebrochenen, gut verheilenden Rippe und diversen Quetschungen war Kai so weit gesund und konnte gehen, das Resultat der Blutproben war erst in ein paar Tagen zu erwarten. Glücklich, das Krankenhaus wieder verlassen zu können, zog der Silberhaarige sein T-Shirt hastig wieder an und hörte kaum zu, wie ihm der Doktor die Wirkungen der Medikamente erklärte, die er nehmen sollte, falls er Schmerzen haben sollte. Zum „Glück“ war ja Hiro dabei, der alles ganz genau und ausführlich wissen wollte… Vor der Tür wartete bereits Ian, ohne Gips und etwas wacklig auf den Beinen, aber anscheinend genauso froh, die geheiligten Hallen des Hospitals für hoffentlich lange Zeit hinter sich zu lassen. Der Älteste im Bunde nahm sich vor, sich diesen Tag für spätere Begegnungen mit den Russen zu merken, schließlich war etwas Erpressungsmaterial immer gut, und lud die beiden Jungen dann zum Mittagessen ein. Etwas Zeit und ein voller Magen wirkten manchmal Wunder… „Willst du dieses Mal vorne sitzen?“, Ian hielt, die Beifahrertür bereits geöffnet, noch einmal inne und sah zu Kai. Der silberhaarige Blader runzelte kurz die Stirn über die Frage, warf Hiro einen düsteren Blick zu und schüttelte dann den Kopf: „Nur über seine Leiche.“ „Dann müsstest du aber wieder ins Krankenhaus und meine sterblichen Überreste identifizieren, also überleg es dir lieber“, war die trockene Antwort. „Welche sterblichen Überreste? Die spende ich dem Tierheim.“ „Und ich dachte bisher immer, dass du tierlieb wärst…“, erklang es vorwurfsvoll. Ian grinste und ließ sich in seinen Sitz fallen: „Scheint Spaß zu machen.“ „Was?“, fragten die anderen Beiden synchron. „Ach… Nichts!“, meinte der Russe nur und grinste vor sich hin. Eine Weile unterhielten sich Ian und Hiro über die Vorzüge verschiedener Angriffsringe, dann wanderte ihr Gespräch zu russischen Beybladeteams und dem Image der Blitzkrieg Boys in ihrer Heimat. Es stellte sich heraus, dass sie sich dort ebenfalls um einen perfekten, harten und vor allem unnahbaren Eindruck bemühten und versuchten, ihre Gegner bereits im Vorfeld einzuschüchtern, sie bei ihren Landsleuten allerdings wesentlich weniger Erfolg hatten als beim Rest der Welt. Seit drei Jahren wurden die ehemaligen Abteikinder von der Regierung und diversen Fonds und Organisationen unterstützt und versorgt, so dass sie öfter ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerieten als alle anderen Teams. Viele wollten wissen, wie es den Opfern Biovolts ging, wie sie lebten, was die Regierung unternahm, um ihr damaliges Versagen wieder gutzumachen, ob sie ihr eigenes, schlechtes Gewissen wieder etwas mehr beruhigen konnten… So erschienen natürlich auch mal persönlichere Dinge in der Presse und die kalte Fassade der Jungen war sehr schnell weggebröckelt, was ihnen, nach anfänglicher Nervosität, inzwischen nicht mehr allzu viel ausmachte. Irgendwie gefiel es ihnen mittlerweile sogar, dass sie die Masken, die man ihnen in ihrer Kindheit aufgezwungen hatte, in ihrer Heimat fast vollkommen fallen lassen konnten – Wenn sie denn wollten! Viele der Abteischüler lebten in kleinen Gruppen zusammen, die oft ihren früheren Teams entsprachen, einige wenige hatten noch Eltern oder andere Verwandte, bei denen sie untergekommen waren, und vor allem ein paar der Jüngeren hatten eingewilligt bei Pflegeeltern zu leben. Ian selbst hatte, wie er am Rande erwähnte, noch eine Großmutter, die am Rande Moskaus lebte, zog es aber vor mit seinen alten Kameraden in einer WG zu wohnen. Doch seltsamerweise hatte gerade die räumliche Trennung der Kinder, die sich seit Jahren kannten, miteinander gewetteifert hatten, die gleichen Qualen durchlebt hatten, das erreicht, was ihr Martyrium nie zu Stande gebracht hatte: Mit einem Mal hielten sie zusammen. Nie zuvor hatten sie sich so miteinander verbunden gefühlt wie jetzt, wo der Albtraum vorbei war und ihre Zukunft tatsächlich einmal halbwegs rosig aussah. Plötzlich begannen sie miteinander zu reden, einander sogar zu trösten, was für sie zuvor undenkbar gewesen war. Sie suchten die Nähe ihrer Kameraden, versuchten gemeinsam alles zu verarbeiten und von vorne anzufangen. „Und was ist mit Kai?“, fragte Hiro leise und warf einen Blick in den Rückspiegel: Der silberhaarige Junge döste vor sich hin und bekam nichts mit. „Der gehört auch dazu. Obwohl viele immer noch der Meinung sind, dass er ein Verräter ist. Aber seitdem sein Großvater im Gefängnis sitzt und er ein Mitspracherecht in der Firma hat, beginnt sich das langsam zu ändern. Er löst auftretende Probleme und spendet mehr als alle anderen zusammen.“ Ian sah sich kurz nach Kai um, dann fügte er leiser hinzu: „Schätze, er hat Schuldgefühle, weil es sein Großvater war, der das alles geleitet hat. Dabei ist es ihm nicht besser ergangen als uns.“ Er zog eine Grimasse, zuckte dann aber mit den Schultern: „Na ja, solange er sich dadurch besser fühlt, sollten wir uns vermutlich nicht beschweren. Schließlich leben wir ja von seinem Geld…“ „Ich habe keine Schuldgefühle, Ian!“, tönte es plötzlich von hinten. Die Beiden im vorderen Teil des Wagens zuckten zusammen und sahen sich dann nach Kai um: Er hatte die Augen geöffnet und starrte den kleineren Russen missmutig an. Der ließ sich allerdings nicht so leicht einschüchtern: „Erzähl das jemandem, der dir glaubt. Du hast Schuldgefühle, ob du sie nun verleugnest oder nicht.“ Kai öffnete den Mund um zu widersprechen, kam aber gar nicht dazu. „Ja ja… Ich weiß, dass du weißt, dass du keine Schuldgefühle zu haben brauchst. Dass es gar keinen Grund gibt und so… Aber zwischen Wissen und Gefühl gibt es einen himmelweiten Unterschied und dagegen kannst noch nicht einmal du etwas tun, Kai Hiwatari!“, sagte er streng, sah Kai kurz mit festem Blick an und wandte sich dann ab. „Es mag unlogisch sein. Aber manchmal greift Logik eben einfach nicht… Manchmal reicht sie eben einfach nicht“, fuhr er leise fort. Hiro beobachtete im Rückspiegel Kai Reaktion und erwartete jeden Moment eine bissige Antwort, erbostes Zischen oder vielleicht sogar Gebrüll, doch der Junge sah nur für kurze Zeit ins Leere, dann lächelte er plötzlich und ließ sich wieder gegen die Wagentür sinken: „Vielleicht hast du sogar Recht…“ Tysons Bruder war so überrascht, dass er beinahe auf die Gegenfahrbahn geriet. Kai gab nach: Jetzt war wohl ein rotes Kreuz im Kalender angebracht. Ian dagegen grinste nur, eindeutig zufrieden mit sich selbst. Hiro brachte den Wagen wieder auf die richtige Spur, dann warf er seinem Beifahrer einen irritierten Blick zu: „Sag mal, wenn Tala euer Anführer ist, Spencer und Bryan seine Leibwächter und Kai der „Verräter“… Was bist du dann eigentlich? Der Löwenbändiger? Der Psychiater? Der Lebensmüde?“ Ians Grinsen wurde nur breiter, wenn das denn möglich war: „Ich bin der, den alle Blitzkrieg Boys am meisten fürchten: Ich bin der Streichespieler!“ Hinter ihm nickte Kai, mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen, Tysons Bruder dagegen zog fragend eine Augenbraue hoch. Der kleinste Russe zuckte mit den Schultern: „Irgendwie muss man sich doch revanchieren, wenn sie einen ärgern… Und prügeln wäre Selbstmord. Aber wenn ich einem von Dreien einen Streich spiele, lachen sich die anderen Beiden eher tot, als dass sie mich gemeinsam fertig machen würden.“ Das passte schon eher in das Bild, dass sich Hiro vom russischen Team gemacht hatte. „Außerdem ist es ja nicht so, dass wir keinen Spaß verstehen würden. Du denkst viel zu einseitig, Hiro!“, meinte Ian in einem halb vorwurfsvollen Ton. Der Schalk in seinen Augen zeugte allerdings davon, dass er seine Kritik nicht allzu ernst meinte. Vermutlich war er die Vorurteile gewohnt… „Dass wir uns in eurer Anwesenheit immer etwas… ähm… „reserviert“ verhalten, heißt noch lange nicht, dass wir tatsächlich so sind. Es fällt uns einfach nur schwerer als Anderen, diese Mauern vor Fremden fallen zulassen“, erklärte er, plötzlich ernst geworden. „Spencer und Bryan folgen meistens Talas Anordnungen ohne groß darüber nachzudenken, aber das heißt noch lange nicht, dass sie dumm sind. Sie vertrauen einfach nur darauf, dass er das Richtige tut. Spencer, zum Beispiel, hat mehr Bücher in seinem Zimmer stehen, als viele Menschen in ihrem ganzen Leben lesen. Er behält sein Wissen nur eben lieber für sich, als bei jeder Gelegenheit damit zu prahlen. Und Bryan halten die meisten Menschen für einen sadistischen, grausamen Schläger… Gut, er fährt ziemlich schnell aus der Haut und dann kann er auch ganz schön gewalttätig werden, aber solange du es dir nicht mit ihm verscherzt, ist er echt in Ordnung. Ich wette, du hast nicht gewusst, dass er eine Katze hat, die er beinahe abgöttisch liebt, oder?“ Die Ernsthaftigkeit wich einem breiten Grinsen, als er Hiro in die Seite knuffte, eine seltsam vertrauliche Geste, die der junge Mann nie von einem Mitglied der Blitzkrieg Boys erwartet hätte. Aber wenn Ian nicht log, wie gedruckt, schien ihn seine Menschenkenntnis bei den jungen Russen eh im Stich gelassen zu haben… „Und was gibt es über Tala, das ich noch nicht weiß…“, er stockte, als ihm die scherzhaft gemeinte Bemerkung förmlich im Halse stecken blieb. ‚Eine Menge’, antwortete er sich selbst und dachte an den gestrigen Tag zurück. „Ich habe ihn umgebracht“, tönte es erneut in seinem Kopf und er schluckte, als er Kais irritiertem Blick auswich, der sich vermutlich fragte, warum die Stimmung plötzlich dermaßen gekippt war, denn auch Ians gute Laune war mit einem Mal wie weggeblasen. Der Lilahaarige biss sich auf die Unterlippe und wandte den Blick stur aus dem Fenster, so als ob er der unangenehmen Wirklichkeit so entkommen könnte. Kais Blick wanderte vom Einen zum Anderen, ratlos, was plötzlich los war. Schließlich ließ er sich wieder zurücksinken, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte zur grauen Wagendecke. „Tala…“, begann er, überlegte kurz und fuhr dann fort, „Tala ist ein guter Teamleader, aber das weißt du vermutlich. Er… gibt sich Mühe, für seine Kameraden da zu sein, sie zu verstehen und ihre Probleme für sie zu lösen, ob sie nun wollen, oder nicht. Er ist ein strenger Trainer, hat aber eine Menge Geduld und fordert selten Dinge, die du nicht auch bewerkstelligen kannst. Wenn du ihn interessierst und du ihm sympathisch bist, weiß er bald mehr über dich, als du selbst… Aber manchmal kann er auch blind sein und sich derart in eine Sache verrennen, dass du ihn nur schwer wieder auf den richtigen Weg umlenken kannst. Vor allem dann, wenn er glaubt, etwas beschützen zu müssen… Ich glaube… Ich glaube, er würde einfach alles für sein Team geben…“ Ian und Hiro starrten ihn entgeistert an. Zum Glück war die Straße nicht allzu befahren, so dass Tysons Bruder keinen Unfall verursachte, doch auch so wäre er beinahe im Straßengraben gelandet, hätte er die Gefahr nicht im letzten Augenblick erkannt und den Wagen wieder zurückgelenkt. Kai schien davon nichts zu bemerken, sah nur abwesend an die Decke und war völlig in Gedanken versunken. Ihm fiel gar nicht auf, wie sehr er seine Mitfahrenden in Verwirrung gestürzt hatte… ‚Aber ich dachte, er hasst Tala!’, wiederholte Hiro immer wieder in Gedanken, beinah wütend auf Kai, dass dieser schon wieder einen Schritt in eine unerwartete Richtung gemacht hatte, wo er doch gerade im Begriff gewesen war, für Tysons Bruder durchschaubar und verständlich zu werden. Ob er das mit Absicht machte, nur um ihn zu ärgern? Hiros einziger Trost war, dass Ian mindestens genauso geschockt und verdutzt aussah, wie er sich selbst fühlte… Fragen über Fragen, dachte Hiro als sie wieder am Camp ankamen. Kai hasste Tala. Tala hasste Kai. Zwei einfache, eindeutige Regeln… Und doch hatte Kai heute darauf verzichtet, seinen Feind zu beschimpfen. Warum? War er ihm dankbar, weil er ihn nach draußen zu Dranzer gebracht hatte? Oder hatte er einfach nur genug von dem ganzen Streit und wollte nur noch seine Ruhe? Aber all das passte nicht zu Kai. Vor allem dann nicht, wenn man bedachte, dass Tala Kais Bruder umgebracht hatte… Ohne viele Worte zog er sich gleich nach ihrer Ankunft in eine stille Ecke der Küche zurück und begann zu grübeln. Fragen über Fragen hatte auch Ian, wusste aber, dass er keine Antwort von Kai bekommen würde, wenn er ihn fragen würde. Vielleicht hatte sein ehemaliger Teamkamerad ja einfach nur nett sein wollen? Oder objektiv, egal, wie sehr er Tala hasste? Kai versuchte schließlich meistens objektiv zu sein und logisch zu handeln, egal, in was für einer Situation er sich auch befand… Es brachte zumindest nichts, weiter darüber nachzudenken, dass wusste der kleinste Russe, schob das ungewöhnliche Ereignis in die Ecke seines Kopfes, wo er auch das verstörende Bild des blinden, schluchzenden Kais abgelegt hatte, und suchte Bryan oder Spencer, um zu erfahren, ob Tala inzwischen wieder aus seinem Zimmer herausgekommen war. Fragen über Fragen, dachte Kai genervt und ignorierte den beinah übermächtigen Drang, sich die Ohren zu zu halten, um die lauten, wissbegierigen und besorgten Stimmen der anderen Blader auszusperren. Wie oft sollte er denn noch wiederholen, dass er in Ordnung war, keine Hilfe brauchte und sich gut fühlte? Irgendwann verdrehte er genervt die Augen und hüllte sich in stures Schweigen, was die anderen Jugendlichen erst irritierte, dann in ihren Sorgen bestätigte, letztendlich aber doch noch als schlichte Weigerung ihnen zu antworten verstanden wurde. Murrend, sie meinten es schließlich nur gut, verzogen sie sich und ließen ihn endlich in Ruhe. Kai atmete unwillkürlich auf, als der Letzte nach draußen verschwand, dann holte er sich eine Dose Cola aus der Küche, warf ihm Vorbeigehen dem abwesend wirkenden Hiro einen amüsierten Blick zu, und verzog sich in sein Zimmer. Hier, auf dem weichen Bett, den Blick aus dem Fenster über die Bäume schweifen lassend, ließ es sich weitaus besser nachdenken als in einem ruckelnden, brummenden Auto, während einen zwei Leute anstarrten, als ob sie einen Geist gesehen hätten. Hier hatte er zumindest die Illusion von Frieden. Genüsslich schlürfte er die kalte Cola und dankte im Stillen dem Erfinder des Kühlschranks. Warum musste es auch nur so verdammt heiß sein? Er schloss die Augen und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Zurück zu den wichtigeren Dingen: Was genau hatte er jetzt vor? Was sollte er tun? Er hatte einen Entschluss gefasst, sich ein Ziel gesetzt – aber wie genau wollte er es erreichen? Seine früheren Versuche waren alle schief gelaufen, so dass er irgendwann einfach aufgegeben hatte… Aber er wollte nicht aufgeben! Auf keinen Fall! „Was soll ich nur tun? Wie soll ich es nur anfangen?“, murmelte er leise und öffnete die Augen um die Decke anzustarren. Ohne es zu bemerken, zog er Dranzers Bitchip aus der Tasche und schloss die Hand darum, so als ob er ihm Antworten geben könnte. Wo war die Erleuchtung, wenn man sie einmal brauchte? Wo der messerscharfe Verstand und die narrensicheren Pläne? ‚Keine Pläne… Dieses Mal nicht. Manchmal greift Logik eben nicht…’, dieses Mal würde er einfach einen Schritt hinaus in die Dunkelheit machen und darauf hoffen, dass es dort ein Licht gab, dass er finden konnte. Er würde es einfach versuchen und gar nicht weiter darüber nachdenken, ob er scheitern könnte oder nicht. Bevor seine Entschlossenheit wieder ins Wanken geriet, stand er auf, verließ das Zimmer und ging den Gang entlang, bis er an eine Tür kam, die genauso aussah wie alle anderen und an sich nichts Besonderes an sich hatte. Unbewusst holte er einmal tief Luft, dann klopfte er an. Es kam keine Reaktion. Er zögerte kurz, dann drückte er die Klinke herunter, doch die Tür war verschlossen. Also war Tala noch dort drin… Er hatte gestern nicht viel mitbekommen, da seine Aufmerksamkeit allem und nichts gegolten hatte, berauscht von den vielen Farben und Formen, den Bewegungen und Eindrücken, die für ihn so lange Zeit völlig selbstverständlich gewesen waren, doch das Geflüster über den Rotschopf war irgendwann bis zu ihm durchgedrungen, auch wenn er nur verstanden hatte, dass sich Tala wegen irgendetwas in seinem Zimmer eingeschlossen hatte. „Tala?“, er klopfte erneut, als er wieder keine Antwort erhielt. „Du weißt, dass ich hier draußen stehen bleibe werde, bis du da raus kommst?“, rief Kai nach drinnen und drückte das Ohr gegen das Holz. Leise, russische Flüche waren zu hören, dann die lautere Erwiderung: „Verpiss dich, Kai!“ „Nein“, war die simple Antwort. „Ich habe dir nichts zu sagen!“ „Dann…“, Kai zögerte kurz, dann fasste er Mut. „Dann hör mir zu“, bat er. Laute Beschimpfungen drangen durch das Holz, weckten Wut und Hass und verdrängten alle friedlichen Gedanken. Kurze Zeit brüllte Kai zurück, dann legte sich ein seinem Kopf eine Art Schalter um und ihm wurde klar, was er da gerade tat. Fluchend trat er gegen die Tür, dann wandte er sich um und ging in Richtung Küche davon. So würde das auf jeden Fall nichts werden… Das Abendessen verlief gewohnt unruhig und lautstark. Teller klirrten, Besteck klapperte, Stimmen erklangen wild durcheinander, mal lauter, mal leiser, die Welt schien in Ordnung. Und doch… Kai wusste nicht genau warum, aber irgendwie erschien ihm die Freude und Ungezwungenheit der anderen Blader aufgesetzt, wie eine schlechte Kopie ihres sonstigen Benehmens. Das Lachen war eine Spur zu laut, die Gesten eine Idee zu ausladend, die Stimmen eine Winzigkeit zu fröhlich. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht! Ein Platz am Tisch war leer und die Jugendlichen, die noch vor wenigen Tagen froh über Kais Abwesenheit gewesen waren, waren nun im Stillen für Talas Fehlen dankbar. Unbewusst wanderten ihre Blicke immer wieder zu dem Halbrussen, ungläubig, dass er tatsächlich immer noch nicht erraten hatte, dass sie sein und Talas Geheimnis inzwischen kannten, die Quelle ihres Hasses. Vielleicht würde er es ja nie herausfinden – oder zumindest so lange nicht, bis sie wussten, was sie nun tun sollten… Nach dem Abendessen vertrieben sich die satten und zufriedenen Blader die Zeit mit Plaudern. Kai fragte sich unwillkürlich, wie oft sie sich den ganzen Tratsch inzwischen schon ausgetauscht hatten und ob sie dessen denn nie müde wurden. Wen interessierte schon das Leben der Anderen? Vor allem zum dritten oder vierten Mal? Innerlich schüttelte er den Kopf, musste aber zugeben, dass er die seltsame, unruhige Harmonie tatsächlich genoss. Selbst wenn sich einige der aufbrausenderen Jugendlichen stritten, wurde der seltsamen Frieden nicht gestört, denn der Ärger verflog ebenso schnell wieder, wie er gekommen war. Es gab keinen Groll, kaum lang anhaltende Fehden, nur Neckereien und spielerische Rivalität. Wenn er die Anderen so sah, fühlte sich Kai unwillkürlich, als ob er dazu verpflichtet wäre, sich zu fragen, wie er und Tala es nur so weit hatten kommen lassen können. Das Problem war nur, dass er es genau wusste… Er kannte den Grund, er fühlte den Schmerz, der Hass brodelte noch immer in seinem Inneren und schien jeden Moment wieder aufwallen zu wollen. Zorn, Enttäuschung, Verzweiflung, Trauer, Qual… So vieles sammelte sich in ihm zu einem schwarzen Pfuhl, der nichts Gutes bringen konnte und ihn doch immer weiter in eine Richtung drängte, in die er nicht gehen wollte. Aber konnte er denn zurück? Und wollte er überhaupt wirklich zurück oder wollte er einfach nur nicht aufgeben? Er wusste es nicht. Das Einzige, was ihm vollkommen klar war, war, dass es so nicht länger weitergehen konnte. Auf die eine oder andere Weise musste er dem Ganzen ein Ende setzen. Endgültig. Er stand auf, unbeachtet von den Anderen, füllte einen Teller mit den Resten des Abendessens und verließ die Küche. Mit traumwandlerischer Sicherheit fand er den Weg zu der verschlossenen Tür. Er nahm sich vor, sich dieses Mal nicht provozieren zu lassen und klopfte an: „Tala?“ Dieses Mal kam die Antwort sofort, wusste der Rotschopf doch, wie stur der Andere war. Ein Schwall Flüche drang durch das Holz, lauter als beim ersten Mal. Kai ballte eine Hand zur Faust, zählte in Gedanken bis zehn und klopfte dann erneut: „Ich habe dir etwas zu Essen mitgebracht.“ Stille. Der Silberhaarige lauschte eine Weile nach drinnen, dann klopfte er erneut. „Du hast seit gestern nichts gegessen… Und es ist nicht vergiftet, falls du das glaubst!“ Noch immer kam keine Antwort. Vielleicht erwartete Kai ja zu viel? Vielleicht sollte er es langsamer angehen, mehr Geduld haben? Zögernd stellte er den Teller auf den Boden, das Klirren von Porzellan auf Beton, oder was auch immer es war, unangenehm laut in den Ohren. „Ich lass den Teller hier stehen. Es ist deine Sache, ob du isst oder lieber verhungerst!“, sagte er der Tür, hinter der Tala vermutlich stand und die Ohren spitzte. Kurz wartete er noch auf eine Reaktion, dann wandte er sich ab und ging den Gang hinunter zu seinem eigenen Zimmer. Als er hörte, wie ein Schlüssel im Schloss herumgedreht wurde und eine Tür sich öffnete, bezwang er den Impuls stehen zu bleiben und sich umzudrehen. Das stellte sich als Fehler heraus, als in wenig später der Teller am Kopf traf und einen weißen Blitz heißen Schmerzes durch sein Gehirn schickte. „Ich will keine Almosen von dir! Fühl dich ruhig stark! Fühl dich ruhig überlegen und im Recht, wenn du willst, aber verschone mich mit deinem „Mitleid“ und deiner „Gnade“!“, schrie Tala aufgebracht und schien kurz davor, mit den geballten Fäusten auf ihn einzuprügeln. „Spar dir das! Ich habe es nicht nötig! Nicht von dir!“ Kai spürte Blut an seinem Nacken entlang rinnen, während Zorn und Unverständnis in ihm hochstiegen. Er hatte doch nur nett sein wollen… Er hatte doch nur… Wie er Tala hasste! Dieser gottverdammte, elende Bastard, der ihn beschimpfte, der ihm irgendwelchen Mist unterstellte, der für ihn in Rätseln sprach, der ihn „nicht nötig hatte“! Seine Fingernägel gruben sich tief in seine Handflächen, während er versuchte, sich zurück zu halten, sich nicht auf seinen Erzfeind zu stürzen, wie es der Hass, der sich als lodernde Flammen in seinen Augen widerspiegelte, es von ihm verlangte. Nicht hier, nicht jetzt, nie mehr… Wie er ihn doch hasste! Wie gerne er ihm doch das Gesicht eindellen würde, seinen Beyblade zerstören, alles vernichten, was ihm etwas bedeutete, bis er winselnd und wimmernd vor ihm auf dem Boden kroch und um den Gnadentod bettelte. Kai schüttelte heftig den Kopf um die Gedanken loszuwerden und drängte den beinahe übermächtigen Drang Tala anzugreifen zurück. „Ich hasse dich!“, zischte er kaum hörbar, dann drehte er sich um und flüchtete zu seinem Zimmer, bevor er alles, was er erreichen wollte, endgültig zu Nichte machte. Zurück blieben ein fluchender, rothaariger Russe und einige seiner Freunde, die das Geräusch des zerbrechenden Tellers angelockt hatte, und die nun nicht wussten, was sie von dem ganzen Spektakel zu halten hatten. Und davon, dass Kai anscheinend dem Mörder seines Bruders Essen hatte bringen wollen… Der nächste Morgen verlief ähnlich angespannt wie der Tag zuvor. Noch immer hing das gelüftete Geheimnis wie eine dunkle Wolke über den Bladern und schien selbst die warmen Strahlen der Sonne zu einem matten Blinken abzuschwächen. Einer nach dem anderen, schlichen die Jugendlichen in die Küche, nahmen ihre Plätze ein und stocherten lustlos in ihrem Frühstück. Kai tauchte kurz auf, ignorierte das Zusammenzucken seiner Kameraden entweder gekonnt oder in Gedanken völlig woanders, schlang schnell ein Brot herunter und ging dann mit zwei weiteren Brötchen unter den verdutzten Blicken seiner Freunde in den Gang zurück. Das Essen legte er wie schon am Abend zuvor nach einem kurzen Klopfen vor Talas Zimmertür, dann verließ er das Camp völlig, um einen kleinen Spaziergang zu machen. Sein Weg führte ihn durch den Wald hinauf zur Klippe, wo tatsächlich ein kühler Windhauch zu spüren war, wenngleich die Luft trotzdem noch vor Hitze flimmerte und den Ausblick leicht zu verzerren schien. Das grüne Meer der Bäume zeigte inzwischen erste Anzeichen von Braun, kränklichem Gelb und Staubgrau. Nur dem nahen Fluss, der sich immer träger durch sein Bett schlängelte, war es zu verdanken, dass der Wald noch nicht völlig vertrocknet war. Gedankenverloren beobachtete Kai, wie sich winzige Wölkchen über dem blitzenden Band des Flusses zu sammeln schienen, wieder auseinander stoben und neu formierten: Insektenschwärme, angelockt von der feuchtschwülen Wärme nahe des Flusses, die in den immer häufiger werdenden, leicht faulig riechenden Pfützen ihre Eier ablegten. Je mehr das Wasser zurückging, desto mehr wurden auch die Mücken, Schnaken und anderes Getier. Der Junge starrte auf die kaum wahrnehmbaren Schwärme und glaubte den Verwesungsgeruch des austrocknenden Flussbettes sogar bis hierhin riechen zu können. Verfault, verrottet, nicht mehr zu retten… ‚Verdammt, hör auf damit, Kai!’, ermahnte sich der silberhaarige Blader selbst. ‚Sei nicht so negativ!’ Er würde nicht zulassen, dass er in Selbstmitleid versank. Ein Fluss ließ sich ja wohl kaum mit seinem Leben vergleichen, oder? Fluchend stand der Junge auf, der Frieden dieses Ortes bis auf weiteres für ihn zerstört. Aber wohin? Zurück zu seinen sich eigenartig benehmenden Freunden, zu dem entweder grübelnden oder nervenden Hiro, zu den überfürsorglichen Erwachsenen, die von seinem kleinen Ausflug vermutlich nicht unbedingt begeistert waren, zu Tala, diesem verfluchten Hohlkopf, der in seinem Zimmer saß und nichts Besseres zu tun hatte, als ihn zu beschimpfen und mit Geschirr nach ihm zu werfen. Mit einem weiteren Fluch drehte sich Kai einfach in Richtung Wald und marschierte aufs Geratewohl los. Für das, was ihn ihm Camp erwartete, hatte er im Moment einfach nicht die Nerven. Als er gegen Abend wieder zurückkam, war das Brot vor Talas Zimmertür verschwunden – und lag mit dem Belag nach unten in Kais Bett… In den darauf folgenden Tagen kam es immer wieder zu solchen Zwischenfällen: Kai versuchte Tala einen Gefallen zu tun oder mit ihm zu reden, doch der Rotschopf wies ihn ab oder Schlimmeres. Meistens endeten sämtliche Versuche damit, dass die Beiden auf jeweils einer Seite von Talas Zimmertür standen und sich gegenseitig anbrüllten, bis Kai sich mit einem Mal zusammenriss und davon stürmte. Als die Erwachsenen dann widerstrebend beschlossen, dass der russische Teamleader nicht sein ganzes Leben in seinem selbst gewählten Exil verbringen konnte, und ihn letztendlich aus dem Zimmer herauszwangen, wurde alles nur noch schlimmer. Von nun trafen die beiden Erzfeinde andauernd aufeinander, angestachelt von jahrelangem Hass und der steigenden Nervosität der anderen Beyblader, die noch immer nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten. Ratlos, wie sie mit Talas dunklem Geheimnis umgehen sollten und wie sie Kai von nun an gegenübertreten sollten, hielten sie sich unbewusst von Beiden fern und ließen ihnen damit nur noch mehr Raum für ihren Privatkrieg. An einem besonders schwülen Nachmittag eskalierte die Situation schließlich zum wiederholten Male: Die anderen Beyblader hatten sich vor der drückenden Hitze und der noch unangenehmeren Spannung zwischen den beiden Russen nach drinnen geflüchtet und spielten Karten, als sie die unverkennbaren Geräusche eines Beybladematches hörten. Laut krachend trafen Talas heller Blade und einer von Kais älteren Übungsbeyblades aufeinander, kleine Plastik- und Metallsplitter durch die Luft sendend. Sie hatten keinen Blick für ihre Umgebung übrig und achteten nicht auf die erschrockenen Rufe der anderen Jugendlichen, die vom Lärm angelockt nach draußen gestürmt kamen. Der Hass hatte ihre Wahrnehmung verzerrt, bis sie nur noch einander wahrnahmen, den Kampf, der zwischen ihnen herrschte, und die Chance, endlich ein für alle Mal zu triumphieren. In ungewöhnlicher Einigkeit übersprangen sie die Phase des gegenseitigen Austestens und riefen zeitgleich ihre Bitbeasts, noch bevor irgendjemand eine Chance hatte, sich einzumischen und das Match vorzeitig zu beenden. Einer roten Fontäne gleich ergoss sich Feuer aus Kais Beyblade und manifestierte sich in einer glühenden, majestätischen Gestalt, die stolz ihren Kopf zum Himmel reckte, die Flügel ausbreitete und eine Herausforderung an alles und jeden in die Welt hinausschreiend. Zur Antwort erklang ein lautes Heulen und eine kleine Eiszeit breitete sich über das Beybladestadium aus, als Talas strahlend weißes Bitbeast die Kampfansage annahm und sich, die mächtigen Fänge bedrohlich gefletscht, aus seinem Bitchip befreite. Beide Bitbeasts schwebten einander gegenüber, die Muskeln gespannt und die stolzen, unbeugsamen Blicke aufeinander gerichtet, bereit zum Zuschlagen und Gewinnen. Jedem war klar, was nun geschehen würde, und mehr als einem der Zuschauer rutschte innerlich das Herz in die Hose… Besser gesagt, sie dachten, dass sie wüssten, was nun geschehen würde. Denn Dranzer und Wolborg schienen eindeutig andere Pläne zu haben. Beide Bitbeasts sahen sich noch einen kurzen Augenblick an, überprüften die Gefühle und Befehle, die ihre Blader ihnen sandten und – in Ermangelung der Fähigkeit die Augen zu verdrehen – grollten daraufhin halb genervt, halb besorgt auf und verschwanden ohne weiteres Kommentar oder auch nur eine Bewegung nach dem Willen ihrer Beyblader wieder in ihren Bitchips. Einen kurzen Moment herrschte vollkommene, verdutzte Stille auf der Lichtung, dann setzten sich sowohl der blaue als auch der weiße Blade von selbst in Bewegung, rasten auf Spencer und Bryan zu und landeten zielsicher in ihren Händen. Die beiden Russen starrten erst die Beyblades, dann einander an. Schließlich fanden ihre Blicke Tala und Kai, in deren Augen sich pure Mordlust widerspiegelte. Bryan und Spencer schluckten. Allen war klar, dass sie im Moment nur einen einzigen Gedanken hatten, in welcher Sprache auch immer: ‚Oh Shit!’ Beide drehten sich synchron um, stopften die fremden Beyblades in eine Hosentasche und rannten um ihr Leben. ‚Damit wäre wohl die Frage geklärt, wie Tala und Kai ihre bisherigen Kämpfe überlebt haben’, dachte Hiro für sich und beobachtete mit einem Seufzen, wie sich die beiden verbliebenen Russen wieder einander zuwandten. Dass ihre Bitbeasts streikten schien sie nicht weiter zu stören, stattdessen gingen sie nun so aufeinander los. Die anderen Beyblader waren nicht schnell genug um die Beiden zu trennen, bevor es wirklich gefährlich wurde, und mussten sie tatenlos mit ansehen, wie Tala letztendlich die Oberhand über den verletzten und mindestens einen Kopf kleineren Kai gewann. Mit einem triumphierenden Grinsen hockte er auf der Brust des Jüngeren, die Augen zu dünnen Schlitzen verengt und holte mit der rechten Faust aus, um noch einmal auf seinen bereits besiegten Teamkameraden einzuschlagen. Wie dumm von Kai, sich überhaupt mit ihm anzulegen. Selbst gesund hatte er keine Chance gegen ihn, nicht körperlich – und trotzdem versuchte er es immer wieder aufs Neue… Die Faust sauste nach unten, herab auf das erschöpfte, verzweifelte Gesicht seines verhassten Gegners, doch eine leicht größere Hand als seine eigene schloss sich um sein Handgelenk und hielt es fest. Weitere Hände zogen ihn von Kai herunter. Kurz wehrte sich der russische Rotschopf, dann warf er einen Blick auf seinen eindeutig besiegten Feind, der seine Niederlage dieses Mal auf keinen Fall verleugnen konnte, schließlich waren alle Zeugen gewesen, und er ließ zu, dass ihn Rick und Michael noch ein paar Schritte weiter wegzogen und ihm die Arme auf den Rücken drehten. Mit glitzernden Augen und einem breiten Grinsen auf dem Gesicht beobachtete er, wie Hiro und Judy neben Kai niederknieten. Der silberhaarige Junge schlug ihre helfenden Hände weg und mühte sich aus eigener Kraft auf die Beine zu kommen. Die rotglühenden Augen hielt er dabei fest auf Tala gerichtet, die empfundene Demütigung deutlich in ihnen lesbar. Das triumphierende Grinsen wurde zu einem hämischen Kichern und schließlich einem höhnischen Lachen: „Sieht aus, als ob du mal wieder verloren hättest, Kai! Du bist noch nie gegen mich angekommen, also verstehe ich wirklich nicht, warum du es immer wieder versuchst!“ „Sei still!“, herrschte Hiro ihn an und versuchte Kai eine Hand auf die Schulter zu legen um ihn zu stützen, doch der Junge schüttelte sie ab, eine Hand auf die schmerzende Seite gepresst, den Kopf gebeugt, so dass er Tala geradeso durch die hellen Strähnen seines Haares im Blick behalten konnte. Er war geschlagen, eindeutig – und doch trat Tala weiter nach. Und das Schlimmste und Unerwartetste war, dass er Kai tatsächlich mit jedem Wort zu treffen schien. „Warum? Ist doch wahr?“, der Größere der beiden Russen riss sich los und einen Moment lang sah es so aus, als ob er sich noch einmal auf seinen kleineren Gegner stürzen würde. Doch er tat nichts dergleichen sondern ging stattdessen ruhelos vor ihm auf und ab, das Bild seines geschlagenen Feindes gierig in sich aufnehmend. „Sieh deine Niederlage endlich ein, Kai! Gib endlich zu, dass du keine Chance hast und verkriech dich in irgendeinem Loch! Du bist geschlagen, ich bin besser! Und weder Boris noch Voltaire sind hier, um dir etwas Anderes zu erzählen!“, die blauen Augen brannten vor Hass und die fest geballten Fäuste zitterten deutlich, während Tala weiterhin auf und ab ging und die wütenden Rufe der anderen Jugendlichen genauso wie die Forderungen der Erwachsenen einfach ignorierte. Er wollte Kai am Boden sehen, gedemütigt bis ins Mark, vollkommen zerstört und zerschmettert. Er wollte sehen, dass der silberhaarige Blader aufgab und aufhörte sich gegen ihn zu stellen. Er wollte, er wollte… Er wollte so vieles! So vieles, das die anderen Beyblader nicht verstanden. Nicht verstehen konnten! „Gib endlich auf!“, brüllte er seinen Feind an, der sich noch immer aufrecht hielt, schwer atmend, aber standhaft. „Hier ist absolut niemand, dessen Speichel du lecken kannst! Dessen Lob du einheimsen kannst! Also warum gibst du nicht endlich auf, du erbärmliches Stück Dreck?“, Tala schoss plötzlich vor, griff Kai ins Haar und zwang seinen Kopf nach oben, so dass er ihn ansehen musste. „Warum?!“, herrschte er noch einmal. Kai schüttelte trotz des schmerzhaft festen Griffes leicht den Kopf. „Du hast es nie verstanden, oder? Du verstehst es einfach nicht…“, flüsterte er kaum hörbar. Talas Griff wurde fester, während seine eisblauen Augen erst in Kais glühendrote starrten und dann hastig über sein Gesicht huschten, auf der Suche nach Antworten. Als sie wieder zurück nach oben wanderten, weiteten sie sich überrascht. „Mir ist… war… scheißegal, was Boris oder Großvater von mir gedacht haben… Ich wollte nie ihr Lob haben, das war eh einen Dreck wert…“, flüsterte Kai mit stockender Stimme, während ihm langsam Tränen über die Wangen rannen. Talas Finger lockerten ihren Griff. „Warum dann? Warum das Alles, Kai…“ „Weil ich dich zurückhaben wollte!“, brüllte der Halbrusse ihm plötzlich entgegen. „Ich will dich zurückhaben, Tala! Ich will meinen großen Bruder zurückhaben!“ _________________________________________________________________________________ *g* Warum habe ich gerade das Gefühl tausende Fragezeichen über euren Köpfen zu sehen? "Aber Kais Bruder ist doch tot!" "Das passt doch vom Alter gar nicht!" Solche und andere Gedanken sollten euch jetzt eigentlich durch den Kopf gehen... Oder ein ganz simples: "Ich hab's doch gewusst!!!" Nun, das nächste Kapitel wird größtenteils aus Rückblenden bestehen, also, wenn ihr irgendeine der Szenen in dieser FF vielleicht mal von Talas Standpunkt aus betrachten wollt, sagt mir in eurem Kommi Bescheid. ^^ Nächstes Kapitel: "Der Anfang allen Verrats" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)