Lost Boys resurrected von Angie_Cortez (Every me and every you) ================================================================================ Kapitel 1: Prolog ~ Every me and every you~ ------------------------------------------- #Prolog Every me and every you „Bin wieder da!“ Brian kickte die Wohnungstür zu und stellte die Plastikbeutel klappernd und raschelnd ab. Er seufzte theatralisch und bewusst so, dass man ihn auch hörte. „Nächstes Mal bist du wieder mit dem Einkaufen dran, Aron!“ Brian wartete eine Reaktion ab, stand gespannt in Film reifer Pose im Flur und lauschte. Nichts, keine Antwort. „Aron? Tovey? Jemand da?“ Brian klaubte die Beutel vom Boden auf und brachte sie verwirrt rüber in die kleine, typische Studentenküche. Immer noch antwortete ihm niemand. Brian setzte die Beutel auf dem Tisch ab und entdeckte dabei einen kleine, quadratischen Zettel: „Hallo Schatz, ich muss heut Überstunden machen. Ihr müsst nicht mit dem Essen auf mich warten. Aron“ Brian seufzte wieder. Toll. Er hatte Aron zum Kochen verdonnern wollen. Jetzt musste er es wohl doch selbst übernehmen. Außer er bekam Tovey dazu überredet es zu tun. Das hieß, wenn Tovey überhaupt da war. „Tovey? Bist du zu Hause?“ Wohl nicht. Brian ließ die Tüten einfach stehen und trat wieder hinaus auf den Flur. Die Tür zu Toveys Zimmer in ihrer WG war geschlossen. Vorsichtig klopfte Brian an. Die Hoffnung starb ja schließlich immer zuletzt. Die Hand an der Klinke zögerte er aber noch einmal. Brian musste an den gestrigen Abend denken. Kurz nachdem Aron von der Arbeit nach Hause gekommen war, hatte bei den drei frisch gebackenen Studenten das Telefon geläutet. Tovey war rangegangen. Brian würde seinen Gesichtsausdruck so schnell nicht wieder vergessen, als er seinen Freund in der Küche vorgefunden hatte. Brian war hastig um die Ecke gestolpert, das Hemd noch halb offen. Eigentlich hatte er mit Aron duschen wollen, aber das Telefon hatte ihn aus dem Bad gejagt. Immerhin konnte es jederzeit Brians Chef aus der Kneipe sein, weil er Brian als Aushilfe brauchte. Da musste er immer abrufbereit sein. Fast immer. „Alex?“ stammelte Tovey, das Gesicht schneeweiß, völlig zusammengesunken. „Wie … Aron?“ Toveys Blick hob sich langsam und er betrachtete Brian abwesend. Langsam ließ er den Hörer sinken. „Für Aron.“ Nur diese zwei Worte, doch Brian lief es eiskalt den Rücken herunter. Was Alexej von Aron gewollt hatte, wusste Brian bis jetzt noch nicht. Allerdings schien Aron mit Tovey darüber geredet zu haben. Brian ließ die Erinnerung schwinden und drückte sanft die Klinke hinunter. Irgendwer würde es ihm schon erzählen. Warum sollten die beiden absichtlich etwas vor ihm verheimlichen? „Tovey?“ fragte Brian sanft. Sein Freund - vielleicht sogar sein bester Freund – tat ihm trotz aller krummen Aktionen leid. Jetzt trauerte er nicht mehr nur einem Kerl hinterher, sondern schon zweien. „Hey, schläfst du?“ Tovey schlief nicht. Brian stockte in der offenen Tür. „Scheiße.“ Kapitel 2: And I'm a black Rainbow ---------------------------------- Kapitel Eins And I’m a black rainbow „Brian!“ Aron kam in den Warteraum des Krankenhauses gestürzt, seine Tasche wehte wahllos hinter ihm her. Hastig rannte er auf seinen Freund zu und ließ sich neben ihm auf einem dieser befremdenden Plastikstühle nieder. „Hey Schatz, was ist denn passiert?“ Brian ließ sich in Arons geöffnete Arme fallen und schluckte einige Male, bevor er etwas erwidern konnte. Der Anblick hatte sich tief in sein Hirn gebohrt. Wie Tovey dort auf seinem Bett gelegen hatte, das Gesicht so ruhig und friedlich, wie noch niemals zuvor. So trügerisch zufrieden. Wäre da nicht die leere Wodkaflasche gewesen, Brian hätte gedacht er würde schlafen. Wäre da nicht die Packung Schlaftabletten gewesen, Brian hätte wahrscheinlich selbst die Flasche nicht gleich bemerkt. „So’ne Scheiße“, murmelte Brian und genoss die beruhigende Umarmung. „Scheiße, Tovey hat versucht sich umzubringen.“ Aron biss sich schuldbewusst auf die Unterlippe, aber diese Geste bemerkte Brian, von seinem warmen Platz aus, nicht. „Ich hab so eine verdammte Angst gehabt, dass er schon tot ist.“ „Aber, aber er ist okay, ja?“ Brian nickte an Arons Schulter. „So okay wie er eben sein kann, nach der Aktion.“ Antoine sah sich unsicher im Krankenzimmer um. Der Typ dort in dem Bett, der selbst so blass war wie die Laken, musste ungefähr in seinem Alter sein. Was der wohl angestellt hatte? Man hatte Antoine nichts Genaues gesagt. Suizidversuch Punkt; mehr nicht. Neugierig trat der Junge Zivildienstleistende näher und betrachtete den fremden Jungen in dem Bett. Man, er sah wirklich ganz schön tot aus. Ob er wirklich noch lebte? Ganz schön unwahrscheinlich bei der Gesichtsfarbe. Antoine streckte seine Hand aus und berührte ganz vorsichtig das Gesicht des anderen. So kalt war es gar nicht. Aber richtig warm konnte man das auch nicht nennen. Trotzdem … wenn der hier lebendiger aussah, war er bestimmt hübsch. Antoine stemmte die Hände in die Hüften. Er war neidisch auf Kerle wie diesen hier. Die Mädchen rannten ihnen in Scharen hinterher und ein Durchschnittsmensch wie er, Antoine, guckte dumm in die Röhre. Doch das war noch nicht alles. Zwar hatten diese Kerle zehn Mädels an jedem Finger, doch am Ende waren sie so wie so schwul. Ob der hier schwul war? Antoine betrachtete ihn noch einmal eingehend. Vielleicht … nein, wahrscheinlich. Die waren doch alle schwul. Pha! Mit einem schiefen Lächeln dachte Antoine daran auch das Ufer zu wechseln. Vielleicht mochten ihn die Mädchen dann auch mehr! Antoine war 20 Jahre alt (seit genau 12 Stunden) und hatte gerade sein Abitur mehr oder weniger gut bestanden. Aber bestanden war bestanden, da gab es nichts zu beanstanden. Sein Vater war gebürtiger Franzose, daher der klangvolle Name. In Französisch hatte er dadurch 15 Punkte geschafft. Vielleicht sollte er nach Paris auswandern. Aber Antoine wusste nicht wirklich was er in Paris sollte. Er war groß und schlank, hatte hübsche braune Augen und blondierte Haare. Er mochte sein eigenes graues braun nicht und hatte sich kurzerhand für Platinblond entschieden. Seine Mutter hatte fast einen Herzinfarkt bekommen, aber Antoine gefiel es ganz gut. Er hatte auch beschlossen seine Haare nicht mehr ganz kurz zu tragen. Heutzutage flogen die Mädels doch auf Schwuchteln. Antoine schob die Hände in die Taschen seiner Blue Jeans, für die er den doppelten Preis vom Wert bezahlt hatte und betrachtete den namenlosen Patienten immer noch. Unweigerlich stellte er sich vor, was wohl abgehen würde, wenn der hier nicht mehr aufwachte, wenn der einfach tot blieb. Dann würde er mit einer Leiche in einem Zimmer sein. Voll gruselig. Es klopfte sanft an der Tür. Antoine sprang erschrocken hoch. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Die Tür wurde leise geöffnet und ein Typ, der unheimlicher Weise fast wie der Suizidkandidat aussah trat mit einem entschuldigenden Lächeln ein. Der war 100% schwul, nein 200%, nein 1000%! Antoine betrachtete ihn fasziniert. Bei diesem Exemplar konnte er es fast verstehen, dass die Mädels auf so was standen. Der Kerl war abartig hübsch! „Entschuldige“, sagte er leise. „Darf ich rein kommen?“ „’Türlich“, sagte Antoine und zuckte leicht mit den Schultern. Der Schönling in den schwarzen Klamotten trat ein und schloss die Tür wieder genauso leise hinter sich. Auch das noch. Der war nicht nur schwul, sondern auch ein Grufti. Das wurde ja immer besser. „Wie geht’s ihm denn?“ fragte der Neuankömmling und näherte sich unsicher dem Bett. „Was weiß ich?“ wieder zuckte Antoine mit den Schultern. Der Schwarzhaarige sah ihn verwirrt an. „Ach, sorry, du bist gar nicht Toveys Neuer?“ Antoine zog die Hände aus den Taschen und hob die Handflächen als wolle er seine Unschuld beteuern. Auch das noch! Da wurde er hier als Tucke abgestempelt. „Ich bin nur der Zivi.“ „Oh“, der Schwarzhaarige lächelte verlegen. „Tut mir leid. Wollte mich schon wundern. Du siehst so total ... ähm … so total anders aus, als die Kerle auf die Tovey steht.“ Herzlichen Glückwunsch. So genau hatte Antoine das gar nicht wissen wollen. Was gingen ihn denn die Geschichten dieser Typen an? Rien! „Mh … gut, ich bin dann weg.“ In diesem Moment begann Tovey sich zu bewegen. Antoine blieb automatisch stehen. Wow, der lebte wirklich noch! Nicht zu fassen. Der Schwarzhaarige war mit einem Satz an seiner Seite. Langsam, ganz langsam öffnete Tovey die Augen und Antoine vergaß völlig was er vorgehabt hatte. Man … der sah aus wie ein halbtoter Zombie. Voll gruselig. Toveys Blick blieb an dem Blonden hängen. Brians Kopf fuhr herum. „Oh nö …“, murmelte er und sah Antoine dabei zweifelnd an. „Was?“ fragte der verwirrt. „Du hättest abhauen sollen. Es sei denn du bist wider Erwarten schwul.“ Aron hatte die Beine gekreuzt, einen Block darauf gelegt und einen Bleistift in der Hand. Brian war jetzt bei Tovey drin. Er hatte nicht mit reinkommen wollen. Irgendwie hatte Aron ein schlechtes Gewissen bei der ganzen Sache. Einen Tag zuvor hatte alles mit einem Anruf von Alexej angefangen. Dummerweise war Tovey ans Telefon gegangen, aber wer hätte denn ahnen sollen, dass grad Alexej anrief? So viel Pech auf einmal wünschte man doch nicht mal seinem Erzfeind. Und Alexej hatte nach Aron gefragt. Was Tovey dabei wohl durch den Kopf gegangen war? Unmöglich das zu sagen. Aron erinnerte sich noch, wie blass Brians bester Freund geworden war. Sein Blick schweifte ab, seine Hand vergas die Striche weiter zu ziehen und die Spitze des Bleistiftes schwebte einige Millimeter über dem Papier. Alles war komisch bei ihnen. Nicht nur der Anruf von Alexej. Das musste man sich mal überlegen! Erst betrog Tovey seinen damaligen Freund Alexej mit Brian und das ohne Rücksicht auf Verluste. Aron war fast ausgetickt. Alexej hatte Tovey noch am selben Abend fallen gelassen. Das konnte Aron sehr gut verstehen, aber er würde Brian niemals verlassen. Dazu waren sie zu lange Freunde und zu verliebt ineinander. Sicherlich hatte Aron sich verletzt gefühlt. Aber andererseits kannte er Brian und er hatte es ihm damals nicht einfach gemacht. Und die Situation, die Tovey so schamlos ausgenutzt hatte, war ein Grund für Aron gewesen Brian als fast schuldlos hinzustellen. Fast ein ganzes Jahr hatte er noch Krieg mit Tovey geführt. Offenen Krieg und es waren viele unschöne Begriffe gefallen. Brian hatte hilflos daneben gestanden. Einerseits war er selbst sauer auf Tovey gewesen, andererseits fühlte auch er sich schuldig und konnte kaum mit ansehen, dass zwei Leute (Aron und Alexej) auf Tovey herumhackten, als sei er ein Schwerverbrecher. Brian hatte Tovey verziehen. Sie hatten, soweit Aron es wusste ein ernstes Gespräch geführt, nachdem Tovey wieder in Tränen ausgebrochen war und sich 3 Tage lang von allen fern gehalten hatte. Doch dann war die Stimmung urplötzlich umgeschlagen. Aron wusste bis heute nicht warum. Plötzlich waren alle wieder Freunde gewesen. Sie hatten alle gefeiert, dass ihr Ex-Schulleiter Ronald Blecket in den Knast wandern musste. Sie hatten beobachtet, wie Sonny Iero, ihr ehemaliger Freund, völlig absackte und nur unwillig mit der Bewährungsstrafe fertig wurde. Alles in allem ein trauriger Anblick. Sonny hatte kein ABI geschafft. Die Schule hatte einen neuen Schulleiter gekommen. Sonny war nutzlos geworden. Nicht mal mehr als Klassensprecher wollte man ihn haben. Aus Sonny wurde kein Politiker. Aron ließ den Stift auf sein Blatt fallen. Er rollte langsam in Richtung seines Bauches davon. Warum hatte er sich darauf eingelassen mit Tovey zusammen in einer Wohnung zu leben? Er wusste es nicht genau. Kosten hatten keine Rolle gespielt. Es war wohl einzig und allein Brians schlechtes Gewissen gewesen. Er hatte einfach Angst um Tovey, der psychisch labil war. Vielleicht hatte Brian genau das befürchtet, was jetzt eingetreten war. Tovey würde versuchen sich umzubringen, auf die eine oder andere Weise. Aron hob den Blick und blinzelte in den hellen Warteraum. Sein Blick war so entrückt, dass man ihn für einen Schlafwandler hätte halten können. Ein paar andere Leute musterten ihn unbehaglich. Aron merkte es nicht. Tovey meinte es nicht ernst. So viel war klar. Tovey wollte Aufmerksamkeit, auch das war nichts Neues. Vor allem wollte er Brians Aufmerksamkeit. Hätte Tovey es wirklich auf einen Selbstmord abgesehen, würde er jetzt nicht mehr leben. Hätte er es mit der Magersucht damals ernst gemeint, dann wäre er nie bis zur 13. Klasse gekommen. Tovey hatte zu viel Angst irgendetwas Derartiges wirklich durchzuziehen. Tovey war feige. „Platz da! Sorry! Wir haben’s eilig!“ Arons Kopf fuhr hoch. „Alles okay, Schatz? Ja? Wir haben sofort einen Arzt. Keine Panik!“ „Billy, du machst hier die Panik!“ Aron sprang auf und bemerkte dabei, dass sowohl sein Block, als auch sein Bleistift im Dreck landeten. Hastig hob er beides auf. Inzwischen war ein Arzt aufgetaucht und nahm die hochschwangere junge Frau in Empfang, die ein ebenso junger braunhaariger Mann so hektisch ins Krankenhaus gebracht hatte. Aron warf sich hastig seine Tasche über und presste den Block an seine Brust. Der junge Mann wurde stehen gelassen, die Frau mitgenommen. „Billy!“ Aron lief auf ihn zu. Der Braunhaarige drehte sich um, erkannte Aron und lächelte erleichtert. „Was machst du hier?“ Sie umarmten sich kurz. „Keine schöne Gesichte. Aber sag bloß. Geht es schon los? Kommt euer Baby? Wird es nun ein Mädchen oder ein Junge?“ Billy lachte. Ein Hauch von Röte lag auf seinen Wangen. Scheinbar die Aufregung. „Ich weiß es nicht. Sie will es mir nicht sagen. Und ich kann bei der Geburt nicht da sein, weil ich kein Blut sehen kann. Mein Gott, bin ich nervös!“ Aron strich beruhigend über Billys Arm. Er beschloss kurzerhand nicht zu sagen, was mit Tovey passiert war. „Es wird bestimmt alles gut. Mach dir keine Sorgen. Und bald hast du einen süßen kleinen Jungen oder ein süßes kleines Mädchen. Am Ende ist es ja egal.“ Kapitel 3: I'm crossing the borderline -------------------------------------- I’m crossing the borderline Kapitel 1 continued Hastig schlängelte er sich um die Tische. In der letzten Kurve hatte er Glück, dass die Gläser auf dem Tablett blieben, aber er verkaufte es mit einem sympathischen Lächeln als Können. „Einmal Wodka Cola. Einmal Pina Colada. Bitte schön.“ Aron nahm das leere Tablett und huschte zurück zur Bar. Heute war es mächtig voll hier. Kein Wunder, dass sein Chef immerzu nervös auf und ab lief. Hastig, aber nicht ohne antrainierte Eleganz wusch er ein paar Gläser aus und bemerkte dabei gar nicht, wie jemand sich zu ihm an die Bar setzte. „Einmal Martini VIP“, sagte der Neuankömmling. „Sofort“, nuschelte Aron abwesend und trocknete die nassen Gläser ab. „Martini … was?!“ Er sah verwirrt hoch und blickte in Brians blasses aber fröhliches Gesicht. „Martini VIP, Schatz“, sagte er und beugte sich über den Tresen um Aron zu küssen. „Seit wann schleichst du dich so an?“ fragte Aron, erwiderte den Kuss und machte sich daran Brians Wunsch zu erfüllen. „Sonst machst du immer ein riesiges Tara, wenn du herkommst.“ „Das mach ich gar nicht“, verteidigte Brian sich. „Das machen die anderen Kerle. Ich kann nichts dafür, dass ich so heiß bin.“ Aron lachte leise und stellte den Martini „VIP“ vor Brian ab. „Du armer Junge.“ „Und weißt du was das Schlimmste ist?“ fuhr Brian in hochdramatischem Ton fort. „Was denn?“ ging Aron auf das Spielchen ein. „Die interessiert das nicht mal, dass wir zusammen sind.“ „Dich auch nicht, du fickst sie trotzdem“, konterte Aron und lächelte einen zweiten Gast an, der sich neben Brian niedergelassen hatte und nun reichlich verwirrt aussah. „Was darf’s sein?“ Brian lachte. Bezaubert beobachtete er dabei wie Aron einen neuen Drink mischte. Er machte das gut und er war wirklich sexy dabei. Vielleicht hätte er eher einen Job als Gogo Tänzer annehmen sollen und nicht als Barkeeper. Sein Glas leerte sich schnell. Er ließ den Blick durch die Bar schweifen. Alle Kerle hier waren Schwule. Für Brian war es das Paradies. „Schatz?“ Aron, wieder dabei seine zarten Hände mit Waschwasser zu vergewaltigen, hob fragend den Kopf. „Was hältst du von dem?“ Brian deutete auf einen blonden Typen der allein an einem Tisch saß. „Das ist eine Hete, die noch nicht weiß, dass sie keine Hete ist“, sagte Aron etwas gelangweilt. „Aber einen geilen Hintern hat er auf jeden Fall.“ „Darf ich mir den holen?“ Brian sah Aron mit seinem besten „Mutti ich möchte so gern“-Blick an. Aron zuckte mit den Schultern. „Du weißt bescheid. Keine Küsse, keine Nummern, keine zweiten Treffen. Meinetwegen kannst du ihn dir holen. Mein Typ wäre er nicht. Er ist blond!“ Brian zog die Schultern langsam hoch und ließ sie dann wieder fallen. „Ich kann ja nichts dafür, dass du keine Blondies magst. Da weiß ich jedenfalls genau, dass du es nicht bist.“ Er grinste entschuldigend. „Hau schon ab“, Aron streckte ihm die Zunge heraus. „Und mach nicht so lang. Dann können wir zusammen nach Hause gehen.“ Tovey stolperte, stand aber zum Glück nah genug an der Wand um sich schnell abstützen zu können. Die Farben der Diskolichter brannten sich in seine Augen. Er grinste benebelt. So wirkte die Welt viel schöner. Endlich wich der graue Schleier, den die Trennung von Alexej hinterlassen hatte. Die Farben strahlten wieder. Und er fühlte sich gut, so gut. Mit neuem Mut stieß er sich von der Wand ab und bahnte sich seinen Weg in die Mitte des Getümmels. Überall Farben, Tovey liebte sie. Jede Lampe schien ein ganzer Regenbogen zu sein. Er kicherte. Regenbogen, ja. Regenbogen am Weihnachtsbaum. Die Regenbogenfahne in der Aula. Überall Regenbogen in seiner Welt. Und überall hier diese Kerle mit nackten Oberkörpern. Wahnsinn. So wollte er sterben. Die Musik dröhnte überlaut in seinem Kopf und er konnte es beim besten Willen nicht schaffen, gerade zu gehen. Überall Gesichter. Tovey drehte sich im Kreis, auf der Suche nach irgendwem, der vielleicht den Abend mit ihm verbringen wollte, der ihn vielleicht haben wollte, ihn behalten würde. Kommst du, oder gehst du? Oder kommst du erst und gehst dann? Oder kommst du und bleibst? Sein Blick fiel auf einen Typen an der Bar. Schwarze Haare, ähnlich wie Brians. Tovey zögerte nicht. Er nahm alles, was nur annährend nach Brian oder Alexej aussah. Irgendwie musste man sich doch holen, was man nicht bekommen konnte. „Hey“, sagte er und lehnte sich direkt neben dem fremden Jungen gegen die Bar. Dieser betrachtete ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und schien auf weitere Ausführungen von Seiten Toveys zu warten. „Bock auf Darkroom?“ Er musste schreien um die Musik zu übertönen. Der andere zuckte mit den Schultern, schüttelte dann leicht mit dem Kopf und näherte sich Toveys Ohr, damit er ihn besser verstehen würde. „Ich hab voll keinen Bock auf solche Spielchen, okay? Du kannst deinem Freund Brian sagen, dass er ein Arschloch ist!“ Tovey fluchte. „Ey, was kann ich dafür, wenn er hier den One Night Stand King markiert??“ Zumindest ein bisschen Geschmack hatte Brian noch. Trotzdem ging sein Perfektionismus für Toveys Begriffe etwas zu weit. „Was du dafür kannst? Du machst es ihm grad nach.“ Es dauerte wirklich nicht lang. Nach etwa einer ¾ Stunde hockte Brian wieder bei Aron an der Bar. Die Musik war mit dem späteren Abend etwas lauter geworden. Brian war froh, dass sie da war. Diese Millionen Stimmen, ohne Besitzer und ohne Sinn, sie konnten ihn wahnsinnig machen. „Ich hab grad gehört drüben in der Disse geht hammer was ab“, sagte Aron und lehnte sich auf den Tresen. Er hatte gerade 2 Minuten, in denen einfach alle zufrieden waren und niemand nach ihm brüllte. „Tovey ist da, oder?“ fragte Brian und gähnte. „Was weiß ich denn?“ kam prompt Arons Gegenfrage. Er interessierte sich nicht wirklich für Toveys Ausschweifungen. Es reichte, wenn sie sich regelmäßig stritten. Und nach dem Suizid Auftritt war Aron wirklich schlecht auf seinen zwangsläufigen Mitbewohner zu sprechen. Brian hob die Hände, als wolle er sich ergeben. „Wie geht es Billy?“ fragte er um von Tovey abzulenken. „Gut, wie es scheint. Mit dem Baby ist alles in bester Ordnung und Lisa ist auch okay. Wir sollen mal vorbeikommen und den kleinen Süßen bestaunen. Wusstest du schon, dass es ein Junge ist?“ Brian schüttelte leicht mit dem Kopf. Aron schlug beide Hände auf den Tresen und jagte ihm damit einen riesigen Schrecken ein. „Du bist schon wieder drauf!“ zischte Aron wütend und Brian lächelte entschuldigend. „Du sollst dir von diesen Kerlen nichts andrehen lassen.“ „Man, du merkst auch alles.“ Aron zog eine Augenbraue hoch und stützte das Kinn auf die Hand. „Weibliche Intuition nennt man das“, sagte Aron und zog die Augenbrauen zusammen. Brians Mund öffnete sich leicht, wie der eines kleinen Kindes, das ein unglaubliches Spielzeug zum ersten Mal sieht und noch ganz überwältigt von dessen Einzigartigkeit neben seiner Mutter im Laden steht, kurz bevor es anfängt zu schreien und alle damit zu nerven, dass es dieses Spielzeug unbedingt haben muss. „Hast du Feierabend?“ fragte Brian und schloss dabei den Mund wieder. Das Kindergeschrei blieb aus. Aron lächelte bei dem Gedanken an seinen Freund als kleines Kind. „Ja, habe ich“, sagte er und blickte sich nun im Laden um. Es war so verraucht, dass man kaum noch seinen Gegenüber erkennen konnte. Aron wedelte mit der Hand durch die Luft und brachte die Rauchschwaden zum Schwingen. Brian setzte ein liebenswürdiges Lächeln auf. „Beeil dich, ich will dich ficken. Und zwar schnell.“ Betont langsam stieß sich Aron von der Bar ab … „Magst du mir erzählen, warum Alex dich angerufen hat?“ Tovey blieb abrupt stehen. Brians Stimme drang so deutlich durch die Tür, als stehe sie offen. Das war ein großer Nachteil dieser Wohnung, den Tovey erst jetzt zu schätzen lernte. Ganz leise und vorsichtig lehnte er sich neben der Tür an die Wand. „Das fragst du mich am frühen morgen.“ Aron trat vor den großen Spiegel an der Schranktür und fing an mit einem Ohrring zu hantieren. Aron fand zumindest, dass es ein Ohrring war. Seine Mutter nannte alles oberhalb der Ohrläppchen Piercing. Und Arons Ohrring befand sich nicht am Ohrläppchen sondern oberhalb der Ohrmuschel. „Na ja, mir fällt kein besserer Moment ein“, gab Brian zu und setzte sich auf. Er war heute, wie so oft, nicht wirklich gewillt das Bett zu verlassen. „Soll ich warten, bis wir mit Tovey am Küchentisch sitzen?“ „Lieber nicht“, murmelte Aron und schob seine Haare ärgerlich beiseite, die ihm die Sicht auf sein Ohr verdeckten. „Also?“ „Alex will zurück nach Moskau“, sagte Aron und seufzte, als ihm der kleine Stecker herunterfiel. „Scheiße, man!“ „Wieso das?“ fragte Brian überrascht und fuhr sich durch die Haare. „Er meint – man wo ist das Ding denn jetzt?! – ähm, er meint er muss endlich Abstand zu Tovey gewinnen und das schafft er hier nicht.“ „So ein Mist“, murmelte Brian und sah dabei ziemlich schuldbewusst aus. „Du sollst dir keinen Kopf machen“, sagte Aron und betrachtete sich kritisch im Spiegel, zumindest sah es so aus. In Wirklichkeit hatte er Brian durch den Spiegel genau im Auge. „Sagt wer?“ „Alex. Er meint es geht weder um dich noch um mich. Er will nur weit weg von Tovey sein. Das ist alles. Er will zurück zu seiner Familie nach Moskau und dann bei seinem Vater anfangen zu arbeiten. Angeblich hat der ein recht gut laufendes Geschäft in Moskau.“ Toveys Augen wurden riesengroß. Er schlug schnell die Hand vor den Mund, aus Angst die anderen beiden würden ihn hören, so wie er sie. Tränen brannten in seinen Augen. Nicht das alles schlimm genug war, jetzt wollte Alexej vor ihm fliehen? Wie gemein. Doch ein anderer Gedanke verdrängte den ersten egoistischen sehr schnell. Bei seinem Vater anfangen? Ein gut laufendes Geschäft? Dieses „gut laufende Geschäft“ war ein Bordell! „Na gut“, drang Brians Stimme aus dem Zimmer. „Wenn er meint. Aber mein Gott, ich würde auch irgendwann meine Familie vermissen. Kann man ihm nicht wirklich übel nehmen, oder?“ Ein zustimmendes „Mhmh“ von Aron beendete die Konversation und Tovey suchte das Weite. In der Küche sackte er auf einem Stuhl zusammen und versuchte nicht in einem Anfall von Trauer und Selbstmitleid zu versinken. Alexej zurück nach Moskau. Konnte es schlimmer werden? Selbst wenn er an den jungen Russen nicht mehr heran kam, selbst wenn Alexej zu ihm kalt wie ein Stein geworden war, das war zu viel! Zumindest war Alexej jetzt noch in Toveys Nähe und diese Nähe wollte er um keinen Preis einbüßen. Diese „Nähe“ war doch alles, was ihm von seiner Liebe geblieben war. Immerhin besuchten sie dieselbe Uni und Alexej lebte nur zwei Blocks weiter mit einem russischen Mädchen. Richtig, mit einem Mädchen, aber dafür gab es eine simple Erklärung. Nachdem Ronald Blecket seinen Posten als Schulleiter geräumt hatte, waren in der Schule neue Regeln aufgestellt worden. Die einstige Jungenschule wurde zu einer fast normalen Schule. Der neue Schulleiter fand das Konzept von Blecket, das daraus bestand nur schwule Jungs aufzunehmen, veraltet und sexistisch und begann die Tore für lesbische Mädchen zu öffnen. Arons Mütter waren von Georg Lermontant begeistert gewesen. Kein Wunder. Immerhin waren sie selbst lesbisch. Die Jungen hatten jedenfalls nicht schlecht geguckt, als plötzlich ein Haufen Mädchen vor ihren Türen gestanden hatte. In einem Lachanfall war Brian die Treppen hoch gestolpert und hatte verkündet: „Jungs! Versteckt euch! Man versucht uns zu Heten zu machen! Die Kampflesben kommen! Rettet mich!“ Tovey lächelte matt bei der Erinnerung. Brian … sein kleiner Gott. Wie auch immer. Alexej hatte Freundschaft geschlossen mit einem Mädchen namens Tanja, die auch zwei Wochen später die Romanze von Alexej und Tovey besser kannte als die beiden Jungen selbst. Trotzdem schien Alexej einen Narren an ihr gefressen zu haben. Das lag wohl daran, dass sie sich so gut verstanden. Im wahrsten Sinne des Wortes. Tovey hatte nie russisch gelernt. „Morgen!“ sagte Brian gut gelaunt Und streckte sich ausgiebig während er sich gegenüber von Tovey auf einen Stuhl fallen ließ. „Was denn mit dir los? Scheiße geschlafen?“ Tovey schluckte eine Flut Tränen, weigerte sich aber zu Brian aufzusehen. Sein bester Freund hätte sofort gemerkt, dass er geheult hatte. „Ja … scheiße geschlafen“, nuschelte er deshalb nur und versuchte nicht in einen verheulten Schluckauf auszubrechen, was ihm unheimlich schwer fiel. „Ich mach dir einen Kaffee und dann geht’s dir wieder top, versprochen!“ Tovey lächelte wieder matt. Eine Träne tropfte auf die Tischplatte. Dieses Versprechen würde Brian trotz allerbesten Willens wohl nicht einhalten können. ~+~ Nicht so gut wie Blood Holidays (mein persönlicher Favorit ^^) aber erträglich denke ich. Über Kommis würde ich mich freuen! Kapitel 4: Never Thought I'd Feel So Ashamed -------------------------------------------- Never thought I’d feel so ashamed Hastig warf sich Aron seine schwarze dünne Jacke über. Eigentlich war es warm genug draußen, dass er sie hätte hängen lassen können, aber Aron hasste es ohne Jacke aus dem Hause zu gehen. Irgendwie kam er sich dann furchtbar unvollständig vor. Nervös durchsuchte er die Taschen der Jacke und fluchte dann leise. „Wo ist mein verdammter Schlüssel?“ murmelte er und sah sich im Flur um. „Wohin so eilig?“ ertönte Toveys Stimme links neben ihm. Aron fuhr herum. Mist! Wo kam Tovey so plötzlich her? Aron biss sich auf die Unterlippe. Und der Idiot hatte auch noch seinen Schlüssel in der Hand. „Weg“, sagte Aron kurz angebunden und hielt die Hand auf; eine stumme Aufforderung für Tovey den Schlüssel herauszurücken. Tovey warf den Schlüssel hoch in die Luft, fing ihn auf und ließ ihn in seine Hosentasche gleiten. „Ich kann dich ja begleiten.“ „Ich glaube nicht, dass du das willst“, erwiderte Aron kalt, die Hand immer noch ausgestreckt. Die Zeit rannte ihm davon. „Warum sollte ich das nicht wollen?“ Aron saß auf heißen Kohlen. „Gib die Schlüssel her und nutz die Zeit doch um Brian zu verführen. Arschloch!“ Tovey wurde weiß im Gesicht. „Ach, das willst du also wirklich, oder was?“ „Ich will meinen Schlüssel.“ „Sag mir wo du hinfährst!“ Aron fühlte die Wut in sich brodeln wie Lava. Immer diese dummen Fragen! „Es geht dich nichts an, Tovey. Absolut gar nichts!“ „Du fährst zum Flughafen, nicht wahr? Du willst Alexej verabschieden.“ Jetzt erbleichte Aron, wenn das überhaupt noch möglich war. Aron war ohnehin ein sehr blasses Püppchen. „Ja“, sagte er leise und jetzt schon drohend. „Gib mir den Schlüssel, Tovey.“ „Ich hasse dich!“ „Den Schlüssel!“ „Scheiß auf den Schlüssel, ich komme mit!“ „Nein!“ Am Ende gab Aron auf. Er hatte es zu eilig um sich in Ruhe mit Tovey streiten zu können. Wie gerne hätte er Brians bestem Freund endlich ordentlich die Augen aus seinem verheulten Gesicht gekratzt, aber dazu war er bereits zu spät dran. Unten vor dem Block stand Arons kleiner, schwarzer Mini. Erst dort gab Tovey Aron die Schlüssel und setzte sich bockig und mit verschränkten Armen auf den Beifahrersitz. Wütend und dadurch unaufmerksam stieß Aron rückwärts aus der Parklücke und erwische dabei fast ein anderes Auto, das ihm gerade noch ausweichen konnte. Zumindest verhalf das Tovey zu einem fiesen Grinsen. „Ich bring ihn um, irgendwann. Und es wird mir Spaß machen!“ murmelte Aron als er hinter Tovey in die Flughafenhalle hechtete. Zum Glück entdeckte er Alexej vor seinem unliebsamen Beifahrer. Aron ließ Tovey laufen, ohne ihm bescheid zu geben und lief auf Alexej zu dessen Augen hinter einer schwarzen Sonnenbrille verborgen lagen. „Ich hab versucht ihn abzuwimmeln! Ich hab’s wirklich versucht, aber er war so was von hartnäckig.“ Alexej presste die Lippen zusammen. In seinem Haufen von Koffern sah er sehr verloren aus. „Wie frech kann ein Mensch sein?“ fragte er und Aron begann zu rätseln, ob der junge Russe ihn ansah, oder ob er Tovey mit den Augen verfolgte. Aron hatte Sonnenbrillen schon immer verabscheut. Besonders so dunkle Exemplare. Jetzt hatte Tovey sie bemerkt. Aron betrachtete ihn hasserfüllt. Hätten Blicke doch nur töten können! „Hallo“, sagte Tovey und ließ seine Hände in den Hosentaschen verschwinden, da sie anfingen zu zittern. Alexej zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts. Aron seufzte verärgert. „Okay … wann geht der Flieger?“ fragte er bei dem Versuch irgendein absolut neutrales Thema zu finden. „In etwa einer halben Stunde“, sagte Alexej. Aron wartete darauf, dass er endlich die Sonnenbrille abnähme, aber nichts dergleichen geschah. „Gut und du ziehst dann wieder bei deinen Eltern ein?“ Ein Nicken war die Antwort. Aron kam sich absolut dämlich vor. „Und einen Job findest du auch?“ „Auf jeden Fall“, Alexej wandte sich zu seinen Koffern um. „Ich werde die mal loswerden gehen. Könntest du mir beim Tragen helfen?“ Tovey wurde hellhörig. „Ich kann auch helfen“, versuchte er sich aufzudrängen. „Darauf kann ich verzichten“, konterte Alexej. Sie machten sich auf den Weg zur Gepäckabgabe. Ohne Koffer konnte man kaum noch glauben, dass Alexej im Begriff stand das Land zu verlassen, vollständig zu verlassen. Es war ja nicht so, dass er nur in den Urlaub flog. Er flog nach Hause und würde so schnell nicht wieder kommen. „So, das war’s dann wohl“, sagte Aron und sah sich um. Warum hatte er Tovey nicht irgendwo auf der Landstraße ausgesetzt? Jetzt bereute er es auf jeden Fall. „Home sweet home“, sagte Alexej und schaffte ein kleines Lächeln. Aron lächelte zurück, auch wenn er nur vermutete, dass das Lächeln ihm galt. „Ich wünsch dir dann … alles Gute. Ja, was soll man sonst wünschen? Grüß deine Eltern von mir.“ „Klar“, sagte Alexej. „Sie würden dich sicher mögen.“ „Sicher!“ mischte sich jetzt Tovey ein. Alexej drehte den Kopf zur Seite, aber nicht zu Tovey hin, sondern von Tovey weg. „Ein hübsches Gesicht lässt sich gut verkaufen, nicht wahr?“ „Halt den Mund“, sagte Aron, auch wenn er nicht wusste wovon Tovey überhaupt redete. „Oh nein, ich halte jetzt nicht den Mund!“ sagte Tovey, wobei er automatisch lauter wurde. „Ich will wissen, was dir das gibt nach Hause zurück zu fahren. Sag mir das? Was willst du da? Willst du ein kleiner Stricher werden? Papa als Zuhälter und Mama als Kollegin, oder wie stellst du dir das vor? Ist ja widerlich!“ „Was laberst du …?“ Alexej hob abwehrend die Hand, als Aron ihn wieder verteidigen wollte. „Ja, vielleicht will ich das. Aber was geht dich das an?“ Arons Augen wurden groß. Was ging den hier ab? Stricher? Hä? „Du bist so arm, Tovey. Erst missbrauchst du meine Liebe und mein Vertrauen und jetzt wagst du es auch noch meine Geheimnisse durch die Gegend zu schreien. Ich hasse dich mit jedem Wort mehr!“ Toveys Augen schwammen in Tränen. Er wusste genau, dass er an allem Schuld war, aber warum sollte er es einsehen? Es war soviel einfacher alles auf die anderen abzuwälzen. „Aber rede ruhig weiter, umso leichter fällt es mir, einfach abzuhauen. Umso besser finde ich meine Entscheidung. Ich werde in Raphaels Fußstapfen treten und seine Erinnerung bewahren, die ich versucht hatte zu ersticken. Ich werde jeden Tag an sein Grab kommen und Blumen für ihn ablegen. Sonst tut das niemand. Ich werde ihn um Verzeihung anflehen, dass ich so dumm war, dass ich mein Herz so schnell wieder vergeben konnte …“ „Die werden dich kalt machen!“ fiel Tovey ihm ins Wort. „Die werden dich genauso meucheln wie ihn, weil du nämlich genauso eine Schwuchtel bist und ein Stricher, deshalb werden die dich auch kaltmachen. Deine Russen sind doch völlig schwulenfeindlich und homophob.“ „Richtig“, sagte Alexej leise. Die beiden hatten Aron scheinbar völlig vergessen und der fühlte sich wie im Kino. „Sie werden mich kalt machen. Und ich werde wieder bei Raphael sein. Vor dem Tod habe ich keine Angst. Ich habe Angst vor Leuten wie dir. Leuten ohne Respekt und Treue.“ Aron zuckte leicht zusammen. Brian war auch so einer. Brian kannte keinen Respekt und mit der Treue hielt er es auch recht eigenwillig. Er war zwar geistig treu und liebte Aron über alles, aber körperlich treu konnte man ihn kaum nennen. „Egoist!“ war Alexejs letztes Wort an Tovey, bevor er sich Aron zuwandte. Aron zuckte wieder zusammen, dieses Mal weil man ihn in den Spielfilm mit einbezog. „Alles Gute dir und Brian“, sagte Alexej und breitete die Arme aus und Aron zu umarmen. Zögernd erwiderte der die Umarmung und warf dabei einen Blick auf Tovey, der den Kopf gesenkt hatte. Ob aus Scham oder Wut, das konnte niemand sagen. „Ich wünsch dir auch alles Gute und Brian sicher auch“, sagte Aron etwas kleinlaut und sah wieder in Alexejs Gesicht. „Und was auch immer du vorhast und so wenig es mich auch angeht, pass auf dich auf. Vielleicht magst du uns ja mal schreiben, ich weiß es nicht. Es wär’ schön ab und zu, zu hören, dass es dir noch gut geht.“ Alexej zuckte mit den Schultern. Aron wünschte sich er hätte wenigstens jetzt endlich die Sonnenbrille abgenommen. Aber scheinbar gab es einen guten Grund, dass er es nicht tat. Der junge Russe hob grüßend die Hand und ging. Aron winkte ihm noch einmal zu. Alexej winkte zurück. Tovey reichte es längst nicht. „Alex! Nein, verdammt! Geh nicht!“ Er rannte seinen Ex-Freund hinterher, versuchte seine Hand zu ergreifen, doch Alexej zog sie zurück, als wäre Tovey etwas besonders Widerliches. „Bitte lass mich hier nicht allein! Ich will hier nicht allein bleiben mit dem da und Brian! Das bringt mich um! Weißt du gar nicht, dass ich schon so kurz vor dem Tod stand? Hat dir das niemand erzählt?“ „Oh Gott“, murmelte Aron und schlug die Hände vors Gesicht. Wie weit würde Tovey noch gehen? „Ich werde es wieder versuchen. Ich werde mich wegen dir umbringen, wenn du jetzt gehst. Bleib hier, Alex, bitte!“ Die Leute drehten sich zu den beiden jungen Männern um. Alexej wirkte durch die Sonnenbrille cool wie ein Eisberg. Aron fröstelte. „Gut“, sagte er, immer noch darauf bedacht von seinem Ex-Geliebten Abstand zu halten. „Dann sei doch das nächste Mal gründlicher!“ „Das meinst du nicht ernst!“ kreischte Tovey aufgebracht. „Und wie ich das ernst meine!“ Die Stimme von Alexej war noch immer ruhig, doch Tovey erkannte etwas Trügerisches am unteren Rand der Sonnenbrille. War das eine Träne? Wenn ja war er nah dran Alexejs Widerstand zu brechen. Der junge Russe griff in die hintere Tasche seiner Hose und zog etwas heraus, während er nun mit der anderen Toveys Hand ergriff. Tovey zuckte bei der Berührung zusammen. Alexejs Griff war hart wie ein Schraubstock. „Hier, benutz das!“ sagte er während er etwas in Toveys Handfläche presste. „Und sei gründlich, Versager!“ Damit riss er sich von Tovey los und verschwand. Tovey starrte ihm mit feuchten Wangen nach. Erst als Alexej aus seinem Blickfeld verschwunden war, senkte er den Blick. Etwas schmales, giftgrünes lag auf seiner Handfläche. Er betrachtete es genauer. Es war Alexejs kleines Klappmesser. Damit wäre er niemals durch die Flughafenkontrolle gekommen. „Ich fahre jetzt nach Hause“, ertönte Arons Stimme neben ihm. Tovey funkelte ihn böse an. „Wenn du mitkommen willst, dann beweg deinen Arsch.“ Kapitel 5: Can you take this broken boy? ---------------------------------------- Kapitel Zwei Can you take this broken boy? Viele Stunden später landete ein Flieger in Moskau. Die Stadt erstrahlte im Licht der bunten Reklamen und Straßenlaternen. Der Flughafen war belebt. Viele Leute rannten hin und her, wirkten dabei sehr beschäftigt und streiften die beiden großen, stämmigen Männer in ihren schwarzen Anzügen nur mit einem kurzen Blick. Vielleicht weil sie keinen Ärger wollten, oder vielleicht auch deshalb, weil sie wichtigeres zu tun hatten, als sich um das Leid anderer zu scheren. Diese Typen sahen fies aus und wirkten am Koffertransportband so fehl am Platze wie es nur ging. Die ersten Fluggäste aus Deutschland erreichten das Band und hielten sich Instinktiv von den Männern fern. Sie sahen einfach gefährlich aus. Wer legte sich schon freiwillig mit solchen Schränken an? Das Koffertransportband setzte sich in Bewegung. Mit ihm auch die unbeweglichen Männer im Anzug. Als die Koffer kamen nahmen sie drei vom Band und entfernten sich dann. Einige Leute tauschten irritierte Blicke. Wie Kofferträger sahen die beiden nun gar nicht aus. Ihre Verwirrung verstärkte sich noch, als ein zierlicher Junge, mit einer großen Sonnenbrille und ganz in schwarz gekleidet auf die beiden Männer zuging. Er schien keinerlei Angst oder wenigstens Respekt zu haben. Schon den ganzen Flug lang war der Junge aufgefallen. Zierlich wie er aussah hatten ihn alle für schwul oder teilweise auch für ein Mädchen gehalten. Außerdem hatte er die Sonnenbrille nie abgenommen. Wer wusste schon was er darunter verbarg? „Ich hasse Flugzeuge“, sagte der zierliche Junge zu den beiden Männern. „Alle Koffer da?“ Ein Bodyguard, denn das waren sie, nickte knapp. Alexej machte eine unmissverständliche Bewegung mit der Hand und die beiden Männer hoben die Koffer an, nahmen ihn in ihre Mitte und verließen schweigend und finster blickend den Flughafen. „Ich will zum Friedhof“, sagte Alexej, als sie eine schwarze Stretch-Limousine auf dem großen Parkplatz erreichten. Sie wurden angestarrt. Doch das kümmerte keinen der drei. „Ihr Vater wünscht, dass Sie sofort zu Hause erscheinen. Es ist fast Nacht. Abstecher wären zu gefährlich“, gab einer der Bodyguards zurück, während der andere die Koffer verlud. „Das ist mir egal“, sagte Alexej, seine Stimme war plötzlich dünn geworden und er lehnte sich mit unmissverständlich weichen Knien gegen die Autotür. „Das ist mir egal. Ich will zum Friedhof. Sofort.“ „Sind Sie sicher?“ Dem Bodyguard war Alexejs kleiner Schwächeanfall nicht entgangen. „Ja. Keine Diskussion.“ Hastig wandte er sich um, stieg in den Wagen und knallte als endgültige Geste die Tür hinter sich zu. Alexej war seit vielen Jahren nicht mehr auf dem Friedhof gewesen. Genauer gesagt seit Raphaels Beerdigung nicht mehr, bei der er völlig zusammengebrochen war. Danach hatte er es vermieden diesen Ort wieder aufzusuchen, aus Angst, er würde es wieder nicht aushalten, vor dem Grab seines ersten Geliebten zu stehen. Doch jetzt, drei Jahre später, dachte Alexej anders. Er fühlte sich miserabel, weil er Raphael vernachlässigt hatte. Sicher hätte der hübsche Blondschopf nie damit gerechnet, dass Alexej seinem kalten Grab den Rücken zuwenden würde. Umso stärker war nun Alexejs schlechtes Gewissen. Moskau verlassen, Raphael verdrängt und nur noch mehr Schaden angerichtet, als er ohnehin schon hatte. Wie hatte er nur so voreilig glauben können, dass Tovey der Richtige war um ihm sein Herz zu schenken. Sichtbar nervös blieb Alexej vor dem Grab Raphaels stehen. Seine Hände zitterten. Als könne ihm Raphael jetzt noch Vorwürfe machen, als könne er aus seinem Grab aufstehen und Alexej seine Enttäuschung ins Gesicht schreien, so fühlte sich der junge Russe. Es war unerträglich. Das Zittern ging auf seinen ganzen Körper über und seine Knie gaben mit einem Mal nach. Sofort waren die Bodyguards an seiner Seite. „Lasst mich!“ murmelte Alexej mit gebrochener Stimme, obwohl er eigentlich hatte schreien wollen. Doch nichts war mehr so wie er es sich vorgestellt hatte. Alexej hatte die ganze Zeit um Unantastbarkeit und Ruhe gerungen, jetzt war alles dahin. Er riss die verdammte Sonnenbrille von seinem Gesicht und warf sie auf die feuchte Erde. Zum Vorschein kamen seine völlig verweinten, roten Augen. Die Bodyguards sahen sich unsicher an. Was tun mit diesem Jungen? „Ich bin so ein Idiot“, wisperte Alexej und handelte sich dabei endgültig zwei besorgte Blicke ein. „Es tut mir so Leid. Ich wünschte es wäre nie soweit gekommen. Ich werde alles versuchen um meinen Fehler wieder gut zu machen.“ Er atmete tief durch, schien nach Worten zu suchen, während sein Blick über das Grab irrte. Unter dreckiger Erde versenkt. Zerfressen von Maden. Dieses hübsche Gesicht, dieser schöne Körper. Alexej wurde schlecht. „Morgen“, fing er an, klang dabei etwas kurzatmig und stützte sich mit den Händen auf den Boden um nicht den Halt zu verlieren. „Morgen komm ich wieder. Versprochen. Ich werde jeden Tag zu dir kommen.“ Sein Magen begann sich zu drehen wie ein Karussell. Die Vorstellung war zu grausam, die Bilder in seinem Kopf zu klar. Damals, als er in diesem Sarg gelegen hatte, so hübsch hergerichtet auf Alexejs Wunsch, da hatte er noch so lebendig ausgesehen. Aber was musste nun aus ihm geworden sein? Eine Leiche, wie aus einem schlechten Horrorfilm. Alexej brach in Tränen aus. Tränen der Trauer, der Angst, der Übelkeit und Schwäche. „Ich kann nicht mehr“, schluchzte er und war fast dankbar, als man ihm nun auf die Beine half und ihn zu der schwarzen Limousine zurückführte. Vielleicht würden ein paar Stunden Schlaf Wunder wirken. Im Wagen fiel Alexej in einen traumschwangeren leichten Schlaf. Im Minutentakt schreckte er hoch, sah sich verwirrt um, erkannte wo er wirklich war und fand wieder etwas Ruhe, nur um dann erneut hochzufahren. Vor den Türen des väterlichen Bordells, dass im Obergeschoss die Wohnung der „Familie“ und im Untergeschoss die Zimmer der Mädchen beherbergte, empfing Alexejs Mutter ihren Jungen mit einer stürmischen Umarmung und einen unheimlich besorgten Gesicht. „Mein armer, süßer Junge“, flüsterte sie unaufhörlich und küsste ihren Sohn auf beide Wangen. „Mein armer, süßer Junge. Komm rein. Du musst dringend ins Bett.“ Sie legte ihm einen Arm um die Schultern und führte ihn hoch in sein altes Zimmer. Die Treppenstufen knarrten, wie damals. Alexej kannte jede Stufe, die laut genug war um auf sich aufmerksam zu machen und er hatte schnell gelernt sie zu meiden. Jetzt war es ihm egal. Der heimische Duft von viel Parfum und Rosenöl stieg in seine Nase. Hier kam er her, hier ging er wieder hin. Tovey hatte Recht. Mama als Kollegin, Papa als Zuhälter, was war falsch daran? „Mama“, sagte Alexej, als sie ihn auf sein Bett gesetzt hatte und ihn allein lassen wollte. Sie zögerte und sah ihn an. „Mama, sag Papa, dass ich es auch machen will.“ Sie nickte. Doch Alexej sah die Traurigkeit in ihrem Gesicht aufleuchten. Sie hatte es vielleicht geahnt und sie würde nie etwas gegen seine Entscheidung sagen, doch es machte sie traurig. Eigentlich hatte sie nie etwas gesagt. Vielleicht kam in ihrem hübschen Köpfchen nicht mal alles an, was die anderen sagten. „Schlaf, mein Kleiner.“ Schlaf … Alexej ließ sich auf das Kissen fallen. Es roch frisch, etwas nach Waschpulver, aber sauber. Wenn es mit dem Schlaf nur so einfach wäre. Wieder liefen Tränen, dabei brannten seine Augen als wären sie trocken wie die Wüste Sahara. Es war fast schon Morgen, als eine verträumte Vision Raphaels Alexej in den Schlaf hinüberschickte. Etwas zersplitterte. Dann folgten wüste Beschimpfungen. Zwei Stimmen die durcheinander schrieen und eigentlich konnte man nicht ausmachen, was sie sagten. Doch Beschimpfungen mussten es sein, denn nichts anderes warf man sich in diesem Ton an den Kopf. Brian saß sofort senkrecht im Bett und bemerkte mit einem kurzen Kontrollblick, dass Arons Seite des Bettes bereits verlassen war. Mit einem Kontrollgriff wurde ihm sogar klar, dass Arons Seite des Bettes bereits alle Körperwärme wieder abgegeben hatte. Das Schreien wurde lauter. Die Nachbarn würden ausrasten. Brian sprang auf, stolperte dabei über seine Decke und landete der Länge nach auf dem Fußboden. Mit schmerzverzerrtem Gesicht arbeitete er sich wieder hoch. Er riss die Tür auf und sah Tovey im selben Moment aus der Küche stolpern. „Krepier doch!“ brüllte er über die Schulter, rauschte an Brian vorbei ohne ihn zu beachten und war im nächsten Moment auf und davon. Brian starrte ihm fassungslos nach. Als er in Richtung Küche sprintete machte er sich auf ein Blutbad und einen halbtoten Aron gefasst, doch er fand weder das eine, noch das andere. Aron stand an den Kühlschrank gelehnt und starrte mit verschränkten Armen aus dem Fenster. Scheinbar völlig ungerührt von seinem lautstarken Streit mit Tovey. „Ihr kommt klar, ja?“ sagte Brian merklich verunsichert und starrte seinen Freund nur an. Aron schnaubte beleidigt und stieß sich vom Kühlschrank ab. „Er will nach Moskau, Alexej verfolgen. Stalker. Widerlich!“ zischte er knapp und schaltete unwirsch die Kaffeemaschine aus, die gerade blubbernd fertig geworden war. Nur Arons zitternde Hände verrieten, wie wütend er wirklich war. Er verschüttete fast den Kaffee, als er versuchte ihn in einen mit Herzen bedruckten Becher zu kippen. Brian zog unsicher die Augenbrauen hoch und kratzte sich am Kopf. Wo sollte das bloß enden? „Auch Kaffee?“ fragte Aron wieder ziemlich knapp. Brian bejahte vorsichtig und setzte sich Aron gegenüber an den Tisch. Ob er jetzt fragen sollte, warum genau die beiden sich gestritten hatten? Vielleicht lieber nicht, denn dann lief er Gefahr Arons Hass abzubekommen und das wollte er nun wirklich nicht. Kapitel 6: I'm in a crowd and I'm still alone --------------------------------------------- I’m in a crowd and I’m still alone Kapitel 2 continued Er trat wütend mit dem Fuß gegen den Schrank in seinem Wohn- und Schlafzimmer. Die Stimme seiner Mutter am anderen Ende der Telefonleitung brachte ihn zum Rasen. „Toll unterstützt ihr mich!“ brüllte er ins Telefon. „Habt ihr dieses Loch in dem ich wohnen muss schon mal gesehen?! Wisst ihr eigentlich, dass ich jetzt noch nicht weiß, wovon ich mir was zu Essen kaufen soll?! Merkt ihr es nicht?“ Seine Mutter schoss sogleich zurück. Der Tonfall war erschreckend ähnlich dem ihres Sohnes. „Sei doch froh, dass du überhaupt etwas bekommst! Nach all den Scherereien die wir mit dir hatten, die letzten Jahre. Da schickt man dich auf diese … diese Schule und wo endet es? Eine Anzeige und kein Abschluss. Wir haben dir gesagt, dass wir alles bezahlen, wenn du dein Abitur hast, aber du hast kein Abitur, du hast nichts! Trotzdem bekommst du Geld. Was ist los? Warum suchst du dir nicht wenigstens einen Job!?“ Er krallte die Hände so fest um den Hörer, dass es wehtat. „Du hast keine Ahnung, was ich durchmachen musste. Du hast ja keine Ahnung und jetzt lässt du mich eiskalt versauern, nur weil ich deinen Ansprüchen nicht genüge.“ „Komm mir nicht wieder so! Du hättest dein Abitur mit links machen können. Du hast es dir selbst versaut!“ Er schloss die Augen fest, so fest, dass er kleine Sterne tanzen sah. Sie hatte Recht, ja irgendwie hatte sie Recht, aber es war alles so schrecklich aus dem Ruder gelaufen. „Mama, bitte, ich brauche Geld“, er versuchte seine Stimme von der unbändigen Wut zu befreien. „Gut“, sagte sie nach einer kurzen Pause. „Gut, du bekommst mehr Geld. Aber dann will ich, dass du diesen Kerl nie wieder besuchst, Sonny.“ Sonny biss die Zähne aufeinander um ihr nicht ins Ohr schreien zu müssen, dass er doch auf ihr Geld schiss, wenn sie solche verdammten Bedingungen stelle. Doch er konnte nicht auf das Geld verzichten. „Abgemacht“, log er und richtete den Blick zur Decke, von der langsam der Putz bröckelte. „Abgemacht, ich werde Ronald nicht mehr im Knast besuchen.“ Sonny stieß die Tür der Bar gekonnt lässig auf und zog dabei die Blicke aller Typen auf sich. Gut so. Da war sicher einer dabei, der ihm etwas zu Trinken spendierte, wenn er sich schon selbst nichts leisten konnte. Es roch nach Alkohol, nach Rauch und Schweiß. Sonny blieb in der Nähe der Tür stehen und sah sich um. Ein Kerl an der Bar grinste ihm dreckig zu. Sonny zog eine Augenbraue hoch und lächelte trocken. Nein, der fiel schon mal durch das Raster. Viel zu ungepflegt. Sonny fuhr noch immer auf Anzüge ab, aber heute Abend schien hier kein einziger Kerl im Anzug zu sein. Er sah nur Jeans, Poloshirts, einfache T-Shirts, Pullis und Tank Tops aber nicht einmal ein ordentlich gebügeltes Hemd. Sonny seufzte und verzog unbefriedigt das Gesicht. „Hey Süßer …“, Die Stimme war so plötzlich so dicht an Sonnys Ohr, dass er fast einen halben Meter in die Luft sprang. Der Typ bekam einen tödlichen Blick ab. „Du bist heiß. Wie wär’s mit uns beiden?“ „In deinen Träumen“, zischte Sonny und wandte sich ab, um sich einen Platz zu suchen. Du bist heiß! So ein Lügner. Verbittert setzte er sich an einen Tisch und ließ seinen Blick über die Kerle gleiten. Er war nicht heiß. Er hatte nicht einmal ordentliche Klamotten. Er musste rumlaufen, wie ein gewöhnlicher dummer Junge: in T-Shirts und Jeans. Wie er es hasste. Was war aus seinen Stil geworden, den Überbleibseln aus der Schulzeit? Alles verschlissen und kaputt. Sonny fluchte leise, während er sich fragte, wann das ein Ende haben würde. Angewidert blickte er an sich hinunter. Eine schwarze Jeans – Sonderangebot aus dem Kaufhaus – ein einfaches schwarzes T-Shirt – diese Dinger kosteten ohnehin nicht viel – und eine einfache graue Kapuzenjacke – das letzte Geschenk seiner Mutter an ihren gescheiterten Sohn. Kein Armani mehr, kein Lacoste. Wäre doch alles wie früher. Wäre doch alles so, wie damals, als er mit Blecket im Bett war, als alle es ahnten, aber niemand es genau wusste. Er seufzte und nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie sich jemand ihm gegenüber setzte. Sonny ließ seinen Blick gelangweilt schweifen und bekam riesengroße Augen, als er seinen Gegenüber erkannte. „Der gescheiterte Sonny ‚King’ Iero“, sagte Tovey mit einem betrunkenen Grinsen und prostete Sonny mit einem Glas zu. „Scheiße“, murmelte Sonny und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch. „Bist du zugedröhnt.“ „Besser als vorbestraft“, konterte Tovey und nahm einen kräftigen Schluck von was auch immer. Sonny betrachtete ihn kopfschüttelnd und grinste matt. Dieser kleine Idiot hatte noch immer nichts dazugelernt. Wahrscheinlich lebte er mit Brian unter einem Dach und wunderte sich, warum es ihm schlecht ging. „Trauerst du immer noch diesem Vollidioten Brian hinterher?“ Tovey schüttelte sein Glas sanft und betrachtete leicht fasziniert die klare Flüssigkeit darin. Also Wasser war das sicher nicht! „Ich trauere Brian hinterher, ich trauere Alex hinterher und dem heißen blonden Zivi aus dem Krankenhaus.“ „Du bist so erbärmlich“, sagte Sonny, wirkte aber sichtlich amüsiert. „Was war das Problem mit dem Zivi, hast du ihn mit Brian betrogen?“ „Hete“, unterbrach Tovey knapp und nahm wieder einen Schluck aus seinem Glas. „Wenn er es nicht gewesen wäre, hätte er Brian gefickt.“ Sonny strich über sein raues Kinn und hatte dabei sehr eindeutig etwas von Ronald Blecket. In Toveys Stirn grub sich eine tiefe Falte. „Vögelst du immer noch Rentner?“ „Nein“, sagte Sonny langsam. „Ich vögele niemanden, solange Ronald im Knast ist. Ich warte auf ihn.“ Tovey begann haltlos zu kichern. „Das – muss Liebe sein“, brachte er hervor und grinste Sonny unverschämt an. „Und ich dachte ich hätte endlich eine Chance auf einen Fick mit einem alten Freund.“ „Mit dir würde ich nicht mal ins Bett gehen, wenn du der letzte Mann auf der Erde wärst“, gab Sonny zurück und lehnte sich lässig nach hinten. „Oh, das bezweifle ich.“ Tovey griff in seine Hosentasche und holte etwas Giftgrünes heraus. Sonny legte die Stirn in Falten. Irgendwo hatte er das Ding schon einmal gesehen, aber ihm wollte nicht einfallen wo. Tovey begann mit dem Ding zu spielen, ließ seine Finger über das Plastikgehäuse streichen, während Sonny immer noch versuchte, seinen Erinnerungen auf die Sprünge zu helfen. Plötzlich ertönte ein Klicken, eine Klinge sprang aus dem Gehäuse. Sonny zuckte zusammen. Heute Abend würde er noch einen Herzinfarkt erleiden, wenn das so weiterging. Tovey seufzte und legte das Klappmesser zwischen sich und Sonny auf den Tisch. „Er ist auf und davon. Zurück nach Moskau, diese Mistkröte. Dieser kleine Stricher.“ Sonny lächelte, fast ein wenig mitleidig und betrachtete das Messer gespannt. „Bring dich doch um. Dann kann dir kein Stricher der Welt mehr was.“ „Tss“, machte Tovey und blickte hoch in die Augen seines ehemaligen Freundes. Sonny musste zugeben, dass dieser wütende Blick einen gewissen Zauber besaß. Er hatte Tovey nie so genau betrachtet, wie er es jetzt tat. Tovey hatte dunkelbraune Augen und schwarz gefärbte Haare. Er trug einen grauen Pulli, darunter wohl ein schwarzes Shirt und eine schwarze Hose. Soweit Sonny es erkennen konnte zierte seine schmale Hüfte ein weißer Gürtel. Sehr schön. Zusammen sahen die beiden aus als würden sie sich kennen. Wie peinlich. „Ach, sag bloß du hast es schon versucht?“ Der Gedankenaustausch zwischen ihnen schien wieder zu funktionieren. Tovey zog die Augenbrauen hoch, als wolle er sagen: Ja, das habe ich und es war so dramatisch und traurig, dass man eigentlich nicht darüber reden sollte. Ich mach es natürlich trotzdem, wenn du willst. Sonny lachte. Das würde ein unterhaltsamer Abend werden. „Wann lässt man ihn wieder auf die Menschheit los?“ fragte Tovey mit einem leichten Nicken in Richtung der Tür. Sonny folgte dem Nicken erst, bevor er bemerkte, dass Tovey Ronald Blecket meinte. „In einem Monat, zehn Tagen und 5 Stunden, von jetzt an“, sagte Sonny und starrte immer noch die Tür dabei an. Tovey lachte wieder. „Das meinte ich erst!“ „Ich auch“, sagte Sonny und grinste schief. Er konnte es kaum erwarten endlich wieder in Ronalds Armen zu liegen. Die Besuche im Knast waren nichts als trauernde schmachtete Blicke für einen ziemlich verwahrlosten Mann, der dringend neue Anzüge brauchte. „Wenn ich hier wieder raus bin“, sagte Ronald jedes Mal und beugte sich so weit zu Sonny vor, wie er es sich erlauben konnte, ohne dass ihn jemand für schwul hielt. „Werden wir uns mit meinem wohlverdienten Geld ein schönes Leben machen. Nur wir beide.“ Sonny seufzte und fuhr sich unvermittelt durch die Haare. Diese Geste hatte er eindeutig nicht von seinem Geliebten. Der Knast war für Ronald eine harte Nummer. Man wusste zwar, dass er wegen Vergewaltigung saß, aber niemand wusste, dass er Jungen vergewaltigt hatte. Und wenn es jemand herausbekam, dann hätten sie ihm sicher das Leben dort zur Hölle gemacht. Nicht, dass es nicht schon schlimm genug war. Ronald musste Sonny als seinen Sohn verkaufen um nicht zusammengeschlagen zu werden. Leider, musste Sonny zugeben, nahm ihm jeder ab, dass sie Vater und Sohn seinen. Dabei fand Sonny selbst, dass Blecket noch sehr jung und sexy war. „Du bist krank“, bemerkte Tovey und leerte sein Glas mit einem weiteren Schluck. „Du etwa nicht?“ konterte Sonny mit einem spöttischen Blick. „Nicht halb so krank wie du.“ „Da würde ich nicht mal meine dreckige Unterwäsche drauf verwetten.“ Sie sahen sich in die Augen, doch keiner der beiden hielt den Blick lang genug. Schließlich starrten sie gemeinschaftlich auf die Tischplatte, bis Sonny etwas abwesend fragte: „Wie geht es Aron?“ Tovey schnaubte und ließ seinen Zeigefinger über den Rand seines leeren Glases kreisen. „Mir egal.“ Sonny zeigte ein hinterhältiges Lächeln. „Er ist also immer noch mit Brian zusammen?“ Tovey nickte pikiert und stützte jetzt den Kopf auf seine Hand. „Immer noch. Das scheint nie zu Ende zu gehen. Ich warte förmlich darauf, doch es klappt einfach nicht. Da kann kommen, was da will. Es ist zum Kotzen.“ „Und, was hast du jetzt vor?“ fragte Sonny und ließ seinen Blick durch die Bar streifen, ob wohl jetzt etwas Brauchbares dabei war. Lieder kam er zu dem Schluss, dass nicht einmal ein einziger annährend tauglicher Kerl hier umherwandelte und wandte sich wieder seinem ehemaligen Kumpel zu, der nun verbissen in sein leeres Glas starrte. „Ich gehe nach Moskau“, murmelte Tovey, ohne aufzublicken. Sonny lachte leise, ob dieser wahnsinnigen Idee. „Mach Moskau? Wo der Wodka in Strömen fließt? In die Hochburg der Homophobie? Ich habe selten etwas Dämlicheres gehört!“ Tovey funkelte ihn an, stand wortlos auf und ging. Wie kam er dazu ausgerechnet Sonny von seinen strahlenden Plänen der Reunion mit Alexej zu erzählen. Niemand verstand ihn. Nicht einmal sein einziger Freund Brian. Wieso also sollte Sonny ihn unterstützen? Die Tür der Bar fiel hinter Tovey ins Schloss. Jetzt musste er nur noch einen Weg finden seinen Eltern das Geld für seinen kleinen Ausflug nach Russland aus dem Kreuz zu leiern. Keine so leichte Aufgabe, aber vielleicht würde Cindy, seine Zwillingsschwester ihn unterstützen. Sie war die Einzige die ihn immer verstand, aber das mochte daran liegen, dass sie beide gleich verrückt waren. Die Gene eben … Kapitel 7: And we hope that heaven’s true ----------------------------------------- And we hope that heaven’s true Kapitel 2 continued Alexej hörte die Dusche hinter sich rauschen. Eine Gänsehaut kroch ihm über die Arme. Es war die Dusche. Raphaels feuchtes, blutiges Grab. Wohl das letzte, was seine wunderschönen Augen auf dieser grausamen Welt gesehen hatten. Abwesend ließ er einen Schwall kalten Wassers über seine Hände laufen, griff dann nach der Seife und begann seine Hände abzureiben. Er fühlte sich dreckig. Wie viele Männer hatte er heute berührt? Es schienen 100 gewesen zu sein. Alexej unterdrückte einen Anflug von Ekel, der bunte Punkte vor seinen Augen tanzen ließ. Er drehte den Wasserhahn ab und hoffte, dass der Schwindel sich schnell wieder legte. Die Dusche verstummte. Einer der anderen Jungen kam herausstolziert, nackt, wie Gott ihn schuf. Alexej betrachtete ihn durch den Spiegel, der über dem Waschbecken angebracht war. Sein Name war Juri. Er war Alexejs Bruder. Ein vernebeltes Lächeln breitete sich auf Alexejs Gesicht aus. Nun ja, Juri war nicht direkt sein Bruder. Er war nur ein weiteres Kind seiner Mutter, die wohl ab und zu vergaß zu verhüten. Dummes Mädchen. Manchmal fragte Alexej sich, ob sie nicht endlich den HI Virus in ihrem Blut hatte, als Rache für ihre naive Dummheit. Er selbst war gesund, das wusste er. Der letzte Test war noch nicht allzu lange her. Aber ob Juri auch gesund war? Der junge mit dem braunen Haar und den großen dunklen Augen wirkte eine unheimliche Anziehungskraft auf Alexej aus. Er war etwa ein und ein halbes Jahr jünger als Alexej. Sein Vater, wer auch immer er sein mochte, hatte nicht die geringste Ahnung, dass er Vater war. Bei Tatjanas unzähligen Ausschweifungen (natürlich beruflich bedingten Ausschweifungen) konnte jeder Mann aus ganz Moskau Juris Vater sein. Diese simple, aber schmerzhafte Wahrheit brachte den jungen Mann fast zum Wahnsinn. Im Gegensatz zu Alexej hatte Juri keine großen Privilegien genossen. Juri hatte sich ein Handtuch gegriffen und trocknete sich nun genüsslich ab, als hätte er eine Menge Schmutz von seinem Körper gewaschen. Dabei bemerkte er Alexejs abwesenden, aber bohrenden Blick. „Was ist?“ fragte er und klang dabei nicht sehr brüderlich. „Nichts“, sagte Alexej und ihr Blick traf sich über den Spiegel. „Nimmst du eigentlich immer diese Dusche?“ Juri kichert, rubbelte seine Haare nachlässig trocken und trat näher an Alexej heran. „Ich bin der Einzige, der sie überhaupt benutzt. Es ist sozusagen meine Dusche.“ Alexej betrachtete den halbnackten Körper seines Halbbruders mit gewissem Respekt. Er war schön, aber er kam nicht an Alexej und er kam vor allem niemals an Raphael heran. „Dir ist es egal, dass Raphael dort gestorben ist, nicht wahr?“ Juri grinste verächtlich. Alexej hasste dieses Funkeln in seinen kindlichen Augen, das seine Freier zu Pädophilen machte. „Was hatte ich denn schon mit Raphael zu schaffen? Ich kann mit diesem Namen kaum ein Gesicht verbinden.“ Alexej schloss die Augen um Juris bohrendem Blick zu entfliehen. Er konnte es nicht ertragen an Raphael zu denken, das wurde ihm in diesem Moment wieder deutlich bewusst. Aber was er absolut nicht ausstehen konnte, war mit jemandem über Raphael zu reden, vor allem, wenn dieser jemand Juri war. Sein Vater hatte Alexej auf seine vielen Besuche auf dem Friedhof angesprochen. Ob das mit dem bestimmten Jungen zu tun habe. Alexej war nicht fähig gewesen darüber zu reden. Er hatte genickt, auf dem Absatz kehrt gemacht und war gegangen. Wie hatte er nur jemals Tovey diese Geschichte erzählen können, ohne sich dabei selbst umzubringen? Aber vielleicht war es das nicht. Vielleicht hatte Toveys gemeiner Vertrauensbruch Alexej in sein Schneckenhaus kriechen lassen. „Du hattest was mit ihm, oder?“ sagte Juri fast gleichgültig. Alexej öffnete die Augen wieder. Sein Halbbruder hatte vom Spiegel abgelassen und streifte sich gerade eine Hose über. „Er hat mir gehört“, hörte Alexej sich sagen. Das tat so weh, es tat so weh, er wollte nicht darüber reden, doch Juri entlockte ihm die Worte. „Man kann niemanden besitzen“, konterte der Jüngere mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Papa hat ihn mir Geschenkt“, sagte Alexej leise und senkte seinen Blick ins Waschbecken. Der Schmerz schien ihn von innen zerreißen zu wollen. Wo war nur diese feste Mauer, die er in Deutschland um sich gezogen hatte? Wo war die Wand, an der alles Böse abprallte, ohne ihn verletzten zu können? Sie war einfach zerfallen, die Fassade war morsch gewesen. Ein Geräusch drang in Alexejs Narrenkästchen. Ein Lachen. Ein leises gemeines Lachen. Er fuhr herum und sah seinen biologischen Bruder entsetzt an. Juri lachte! „Das muss wahre Liebe gewesen sein!“ spottete er, als er bemerkte, dass Alexej ihn endlich direkt ansah. „Er war ein Geschenk. Oh, das ist Liebe? Wie lächerlich. Er war nichts als dein persönlicher Stricher. So was ist keine Liebe, großer Bruder!“ Die letzten Worte schien er in Alexejs geschocktes Gesicht spucken zu wollen, soviel Verachtung schwang darin mit. So was ist keine Liebe, So was ist keine Liebe, So was ist …. Diese Worte schienen in Alexejs Kopf einen kreischenden Singsang zu bilden. Sie hämmerten gegen sein Trommelfell, machten ihn schwindelig, machten ihn fast taub und lösten einen unerträglichen Schmerz in seiner Brust und seinem Kopf aus. Er stützte sich an dem vergilbten Waschbecken ab und das abwertende Lächeln auf Juris Gesicht machte ihm klar, dass er wieder einmal in Tränen ausgebrochen war. Sein Damm war löchrig wie ein Schweizer Käse. „Du bist nur eifersüchtig!“ sagte Alexej und klang dabei ungesund heiser. Er wandte sich ab und wollte aus dem Waschraum verschwinden, doch an der Tür hielt ihn Juri zurück. Ein offenes Hemd baumelte von seinen Schultern. Einen Moment lang sahen sie sich an, dann holte Juri aus, als wäre es das was er immer gewollt hatte und schlug seine Faust etwas ungeschickt in Alexejs Magen. Der Ältere taumelte ein zwei Schritte rückwärts, stolperte und knallte mit der Schulter gegen die Wand, die der Tür des Waschraums gegenüber lag. Keuchend presste Alexej seinen Arm gegen die Stelle an der Juri getroffen hatte. Ihm war speiübel. „Was ist hier los?!“ Die Stimme von Alexejs Vater dröhnte durch den Gang. Juri zuckte zusammen, wie vom Schlag getroffen. Einen Moment schien es, als wollte er die Flucht ergreifen, doch er riss sich sichtlich zusammen. „Was erlaubst du dir!“ Robanov stürmte auf Juri zu und packte ihn am Arm. Alexej versuchte sich an der Wand wieder hochzuarbeiten, doch die Szene vor ihm ließ seine Kräfte schwinden. Sein Vater hatte die Hand erhoben und schlug Juri mit ringbesetzten Fingern mitten ins Gesicht. Eine Ohrfeige nach der anderen, bis Blut aus Juris Mundwinkel lief. „Papa! Hör auf!“ Juri wurde rückwärts auf den harten Boden gestoßen. „Du kleiner, undankbarer Bastard! Mach, dass du verschwindest! Sofort!“ Juri blickte hasserfüllt zu seinem Zuhälter auf. Sein Gesicht würde anschwellen. Der feine Blutstrom war zu einem Bach geworden. Alexej schauderte. Er hatte das Gefühl sich im nächsten Moment übergeben zu müssen. Juris Augen verengten sich zu Schlitzen. Er arbeitete sich auf die Knie hoch, dann auf die Füße, ohne Robanov aus den Augen zu lassen. „Verschwinde!“ Und Juri spuckte ihm sein Blut ins Gesicht. Alexej hatte seinen Vater noch nie aggressiv erlebt und er hatte nicht erwartet, dass in ihm solche zerstörerischen Kräfte lauerten. Noch 2 Wochen später jagte ihn dieser Vorfall in seinen Träumen. Juris Blut auf dem makellosen weißen Stoff von Sergej Robanovs Hemd… Doch Alexej ahnte nicht, dass Juri diese Schläge über sich ergehen ließ, wie ein Schüler eine Belehrung, die ihm ohnehin egal war. Der Triumph Alexej wehgetan zu haben, sowohl psychisch als auch physisch war größer als jede Strafe. Juri betrachtete sein Gesicht in dem Spiegel, an dem Alexej gestanden hatte. Ein Riss, hervorgerufen von einem von Robanovs Ringen, verunstaltete seinen rechten Mundwinkel. Auch seine Nase wies noch immer Spuren der Misshandlung auf. Aber es war schon wieder erstaunlich gut und es hatte ihm „Urlaub“ verschafft. Juri hörte Schritte und lauschte. Es waren nicht Sergej Robanovs schwere Schritte, es waren auch nicht Tatjanas High Heels. Juri erkannte Alexejs leichten Tritt im Schlaf. Juri lächelte, als er an den Schlag dachte, den er Alexej versetzt hatte. Wäre dieser fiese alte Kerl nicht dazwischen gekommen, er hätte Alexej den Hals umgedreht, so sehr hasste er ihn. Alexej trat in den Waschraum, den Blick abwesend ins Leere gerichtet. Juri betrachtete seinen Halbbruder gespannt. „Ist dir wieder der heilige Raphael im Schlaf begegnet?“ fragte er gehässig. Alexejs Kopf schoss hoch. Er betrachtete Juri und eine steile Falte grub sich in seine Stirn. „Nein“, sagte er nach einer kurzen Bedenkpause und Juri beobachtete ihn dabei, wie er an eines der Waschbecken trat. Die Szene löste in beiden ein eher ungutes déja-vu Gefühl aus. Alexej drehte den Wasserhahn auf und begann einen gräulich weißen Lappen zu befeuchten. Ratlos beobachtete Juri ihn dabei. Mit zitternden Händen wrang Alexej den Lappen aus, legte ihn dann liebevoll zusammen und verschwand als wäre Juri nur eine Wand, die es zu ignorieren galt. Juri folgte ihm. Da war doch was im Busch! Verrückt! Alexej trat in sein Zimmer. So ein wirklich blöder Zufall! Leise setzte er sich auf die Kante seines Bettes und betrachtete die Gestalt darin. Diese miese Welt ist ein Dorf! Vorsichtig hob er den Lappen und fuhr damit über Toveys Gesicht. Etwas getrocknetes Blut löste sich und blieb an dem vergilbten Lappen kleben. Es würde für immer dort bleiben. Alexej seufzte. Blut … er hasste es. Warum mussten immer die Leute bluten, die er liebte? Der Lappen glitt sanft über Toveys Wangen, seine Stirn … irgendetwas musste Alexej dazu bewegt haben ihm von Raphael zu erzählen und was konnte das sein, außer blinder Liebe? Verrückt! „Was machst du hier, du kleiner Idiot?“ fragte Alexej leise auf Russisch und ging damit sicher, dass Tovey ihn nicht hörte. Sie hatten ihn auf der Straße aufgeklatscht. Alexej war froh, dass er dazwischen gekommen war. Mit einem Luftschuss, aus seinem neuen Verteidigungsmittelchen (einer hübschen leichten 9mm) und dem gelogenen Ruf: „Polizei!!“ hatte er die Schweine verjagt. Am Anfang war ihm nicht klar gewesen, wem er da den Hals rettete. Verrückt! Tovey begann sich auf Alexejs Bett zu regen. „Alex …“, murmelte er, halb ohnmächtig, halb der Schmerzen gewahr, die er hatte. Alexej biss die Zähne zusammen, um nicht weinen zu müssen. Blaue Flecken zierten Toveys Körper, einige hatten einen unangenehmen violetten Ton. „Alex …“ Der junge Russe fröstelte. Tovey rief nach ihm, nicht nach Brian. „Ich bin hier, Toto“, sagte er leise und vergaß den Lappen ganz. Unbewusst nutzte er Toveys alten Spitznamen, den Brian ihm verpasst hatte. „Es wird alles gut.“ Alexej stand auf und betrachtete den blutigen Lappen. „Bin gleich wieder da.“ Er huschte aus dem Zimmer und bemerkte dabei nicht, wie Juri im Halbdunkel hinter seinem Rücken in den Raum schlich. Unsicher trat Alexejs Halbbruder in den Raum. Das war es also, Alexej hatte einen anderen Jungen in seinem Zimmer. Aber wozu der Lappen? Neugierig trat er näher und erkannte schnell, die Antwort auf seine Frage. Noch jemand hatte böse Schläge kassiert, nicht nur er selbst. Unsicher setzte er sich auf die Bettkante, wo noch eine Minute vorher Alexej gehockt hatte und starrte auf den blassen Jungen mit dem schwarzen Haar hinunter. In diesem Moment begann der sich zu regen, und schlug langsam die Augen auf. „Alex?“ sagte er, scheinbar geistig noch etwas weggetreten. Juri starrte ihn nur wortlos an. Was genau ging hier vor? „Кем ты являешься?“ fragte er den Fremden in Alexejs Bett, doch der starrte ihn nun seinerseits verwirrt an. „Что ты имеешь? Не понимаешь ли ты меня? Кем ты являешься? Что ты здесь делаешь?“ Keine Antwort. Der Fremde richtete sich unter Schmerzen im Bett auf. Er öffnete den Mund, zögerte und fragte dann etwas. Doch Juri verstand nur, dass es sich um eine Frage handelte. Der Rest war für ihn ein unangenehmes Kauderwelsch. Dieser Bursche war Ausländer! Sie sahen sich an. Sie waren unfähig miteinander zu kommunizieren. Juri konnte nur seine Muttersprache. Er hatte nie viel Bildung bekommen, konnte gerade einmal schreiben und 2 und 2 addieren. Das hieß nicht, dass er völlig verblödet war, aber ein Kind der ersten Klasse wäre ihm in diesen Sachen weit überlegen gewesen. Juri interessierte das nicht. Für sein Leben brauchte man weder Mathematik, noch Grammatik. Er musste nur dafür sorgen, dass die Kunden zufrieden nach Hause gingen. Tovey versuchte es auf Englisch, doch Juri verstand ihn nicht. Unsicher sah er sich in dem Zimmer um. Es war nicht klein, auch nicht schäbig, aber dunkel und roch nach Opium. Wo war er hier? „Где … я …. являюсь?“ fragte Tovey unsicher, ob er das Richtige sagte. Wo bin ich? Ob dieser Junge ihm gegenüber ihn verstand? Es sah nicht danach aus. „Где ты являешься? В борделе, мои возлюбленные. В Москве.“ Tovey schluckte. Sein kühner Versuch sich mit ein paar schäbigen Brocken Russisch verständlich zu machen war nach hinten losgegangen. Die Antwort war genauso unverständlich für ihn, wie alles andere vorher auch. In diesem wirren Moment ging die Tür des abgedunkelten Raumes auf. Tovey wandte sich ihr hastig zu und bezahlte das mit einem stechenden Schmerz im Kopf. „Alex!“ Alexej stand in der Tür. Der Junge, der eben noch seelenruhig auf Alexejs Bettkannte gesessen hatte sprang auf. „Что ты делаешь все же здесь? Снаружи! Сразу снаружи с тобой, ты таракана!“ Tovey war sich sicher noch nie solche Wut in Alexejs Stimme gehört zu haben. Da war Liebe gewesen, ein kleines Stück Trauer, vielleicht etwas Unsicherheit, aber nie diese Wut, nie solch blanker Hass! Der Junge sprang auf. Tovey streifte ein letztes Mal mit einem Blick sein Gesicht. Jemand schien ihn vor einiger Zeit übel verdroschen zu haben. Dann hechtete der Junge auch schon davon, schubste Alexej zur Seite und verschwand. Einen Moment herrschte gespanntes Schweigen. Toveys und Alexejs Blicke trafen sich. Dann knallte die Tür ins Schloss. Alexej ließ etwas fallen - Tovey erkannte nicht was es war - stürmte auf seinen Ex-Freund zu und packte mit beiden Händen sein verschmutztes T-Shirt. „Wie kannst du es eigentlich wagen hier aufzutauchen?! Wie kannst du?! Habe ich dir nicht ausdrücklich ge - …“ Stille. Tovey atmete schwer. Alexejs aufgebrachte Stimme hallte in seinem Kopf und schien ihn zum vibrieren zu bringen. Alexejs Arme schlangen sich um Toveys Hals. Er weinte … schon wieder, doch Tovey sah das zum ersten Mal. ____________________________________________________________________________ Ach ja, was das russische angeht. Wer russisch kann wird es merken, wer nicht, dem werd ich es nicht sagen. Will ja keine Illusionen zerstören XD Angie Kapitel 8: I hurt myself today ------------------------------ Kapitel Drei I hurt myself today, to see if I still feel Tovey starrte hinunter auf Alexejs dunkles, von roten Strähnen durchzogenes Haar. Sein ganzer Körper schien zu beben, während er wüste, aber für Tovey unverständliche Beschimpfungen ausstieß. Seine Arme klammerten sich wie Schraubstöcke an seinen Ex-Freund und schienen ihn nie wieder loslassen zu wollen. Ein lautes drängendes Pfeifen hatte sich in Toveys Ohr genistet. Sein Kreislauf wollte versagen. Er vergrub sein Gesicht an Alexejs Hals. Lieber wollte er so ewig sitzen, als ihn wieder gehen zu lassen. Draußen trommelten Schritte eine Treppe hoch, doch Tovey nahm sie kaum wahr. Die Tür wurde aufgerissen. Alexej fuhr hoch, ließ Tovey aber nicht los. Ein großer stämmiger Mann stand in der Tür. Seine Hand war wie ein Schraubstock um den Oberarm des Jungen geschlossen, mit dem Tovey solche Verständigungsprobleme gehabt hatte. „ Папа, что случится все же?“ Alexejs Stimme klang leicht entsetzt und weinerlich. Der stämmige Mann trat vor. „ Кто является этим мальчиком, Алексеем?“ Tovey verstand nur Bahnhof. Er suchte Hilfe in Alexejs Augen, doch die waren auf den Mann an der Tür geheftet. „ Он является ... другом из Германии. Я объявляю тебе это позднее.“ Der Mann warf einen letzten prüfenden Blick auf Alexej, zuckte kaum merklich mit den Schultern und wandte sich dann dem Jungen zu, dessen Arm er immer noch umklammerte. Er zischte ihm etwas zu, schubste ihn zur Tür hinaus und verschwand. Alexej rieb sich müde die Stirn. Ein paar Haarsträhnen fielen ihm ins Gesicht. Tovey betrachtete ihn fasziniert. Ihre Blicke trafen sich unvermittelt. „Was?“ fauchte Alexej seinen Ex-Freund an. „Ich wusste gar nicht, dass du so … emotional sein kannst“, meinte Tovey ehrfurchtsvoll. Dagegen war er selbst ja die reine Luftnummer. „Ich fühle mich so durchschnittlich.“ Alexej brach in lautes Gelächter aus. Es herrschte schweigen. Tovey lauschte, doch es gab nicht viel zu hören, nur Alexejs leisen Atem, gemischt mit seinem wild klopfenden Herzen und ein paar fernen Straßengeräuschen. „Was mache ich jetzt mit dir?“ Alexej sah Tovey durchdringend an. „Du kannst nicht hier bleiben. Erstens habe ich zu tun …“ er warf einen hastigen Blick auf einen digitalen Wecker neben seinem Bett. „ … und Zweitens ist das hier ein Bordell und kein Hotel. Mein Vater könnte bei deinem Anblick auf dumme, kommerziell sehr effektive Gedanken kommen.“ Tovey schluckte. Kommerziell sehr effektive Gedanken? Inwiefern …? „Aber …“, fing er unsicher an. „Aber ich hab ja nichts mehr. Mein Koffer ist verschwunden. Ich hab nur noch …“, hastig untersuchte er die Taschen seiner grauen Jeans und zog erleichtert ein Portemonnaie hervor. „Das hier.“ Das hier bedeutete zumindest Geld und Ausweis. „Sachen kann ich dir geben“, sagte Alexej und sprang praktisch auf. Er lief auf etwas zu, das Tovey im Halbdunkel des Zimmers nicht mal bemerkt hatte: ein Kleiderschrank. „Ich hab alles da, und du passt da ohne Probleme rein …“ Er zog ein T-Shirt heraus, eine Hose, Unterwäsche und legte Tovey den Stapel auf den Schoß. Dieser sah ihn etwas erschüttert an. „Bitte, schmeiß mich nicht raus.“ Alexej schüttelte sachte mit dem Kopf. Er schien ein bisschen seiner alten Ruhe wieder gefunden zu haben. „Ich muss dich rausschmeißen. Schon allein für meinen Seelenfrieden.“ In Toveys Kopf arbeitete es. „Ich …. Ich bezahl dich für heute Nacht!“ „Wie viel bietest du?“ ging Alexej auf diesen erbärmlichen Vorschlag ein. „Alles was ich habe“, erwiderte Tovey, der auf Erfolg hoffte. Doch Alexej schüttelte den Kopf. Liebevoll strich er mit der Hand über Toveys Wange. Das letzte Blut war abgewaschen, so konnte er wieder auf die Straße gehen. Aber wer garantierte, dass nicht sofort die nächsten Schläger auf ihn losgingen? Er sah aus, als hätte er Geld und das war neben seinem höchst schwulen Auftreten wie ein Magnet für Verrückte. Alexej seufzte. Konnte er sich das erlauben? Was, wenn Tovey starb, während er seinem Stammkunden einen blies? Eine wirklich widerliche Vorstellung. „Wenn du hier bleiben würdest, dann müsste ich meinen Kunden absagen, aber das kann ich nicht. Der Verlust wäre zu hoch.“ „Ich kann doch hier auf dich …“ „Nein!“ „Alex, bitte ich … schmeiß mich nicht raus …“ „Ruf Aron an“, sagte Alexej und riss jetzt endlich seinen Blick von Tovey los. „Frag ihn ob er einen Flug für dich buchen kann. Zurück nach Hause …“ Tovey schüttelte nur stumm mit dem Kopf. Nach Hause? Niemals! Er war bis hierher gekommen und so schnell würde er nicht mehr gehen! „Weißt du was?“ Alexej kam unvermittelt näher. Tovey lief ein wohliger Schauder über den Rücken. Noch wenige Zentimeter und sie hätten sich küssen können. „Ich habe 2 fiese Bodyguards.“ Er kam ein Stückchen näher. „Sie sind 2 Meter groß.“ Noch ein Stück. „Haben riesige Muskeln.“ Noch ein Stück. Tovey begann zu zittern. Bitte, bitte, küss mich! Die Bodyguards kamen ihm fürchterlich unwirklich vor. Bitte!! Bitte!! „Ich werde sie damit beauftragen, dass sie dich sicher zum Flughafen bringen und dass sie dich sicher in den Flieger setzten. Und wenn ich heute Nacht meinen hässlichen, alten Stammkunden vögele, dann werde ich die ganze Zeit an dich denken.“ Und alles war mit einer flüchtigen Berührung ihrer Lippen vorbei. Alexej wich zurück, strich fahrig seine Haare nach hinten und warf einen letzten Blick auf die Uhr. Hastig zog er sein Handy aus der Hosentasche. Er verteilte ein paar Befehle, legte wieder auf und lief hastig in Richtung Tür. Tovey starrte ihm entsetzt nach. Das darf doch nicht wahr sein! Alex! „Sie sind in 5 Minuten da“, sagte Alexej und betrachtete Tovey etwas traurig. „Versuch nicht dich zu wehren.“ Er wandte sich um, die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Tovey glaubte, dass das ein wüster Alptraum sein müsste. Dieses abgedunkelte, schläfrige Zimmer … dieser unwillkürliche Rausschmiss … Das Schicksal hatte gewollt, dass er hierher kam und nun das! Nein, er würde nicht aufgeben, nicht jetzt, wo er Alexej wieder so nah war. Der junge Russe wusste selbst nicht, was er eigentlich wollte. Noch war die Geschichte nicht vorbei. Tovey schlug mit den Fäusten auf Alexejs Kissen ein. Als die Bodyguards kamen hatte er das Gesicht im Kissen vergraben und heulte wie ein kleines Kind. Billy drehte sich wie ein Brummkreisel. Das durfte doch nicht wahr sein! Abrupt blieb er stehen. Nichts, nur weiße Regalreihen voll Putzmittel und Damenbinden. „Verdammt!“ murmelte er. Seine Knie zitterten. „Nein, nein … Billy denk nach!“ Er rannte den Gang hinauf, in einen anderen hinein. Sekt … Wodka … Schokolade … Chips … Müsli … Fleisch … Käse. Das durfte nicht wahr sein. Er stieß mit einer Frau zusammen, entschuldigte sich fahrig und rannte weiter. Keuchend kam er an der Kasse an, kaum noch fähig auf beiden Beinen zu stehen. „Sorry!“ er lehnte sich auf das Laufband an der Kasse und sah die blutjunge Verkäuferin an. Ihr blondes Haar war hochgesteckt, die Augen übertrieben geschminkt, der Ausschnitt übertrieben groß. Sie kaute Kaugummi. „Was gibt’s?“ fragte sie lässig und ihr Blick glitt interessiert über Billy. „Haben sie zufällig einen Kinderwagen gesehen? Dunkelblau?“ Sie seufzte. Mist, der war schon vergeben! Und auch noch Vater! Dabei sah er so gut aus! „Nö“, flötete sie. „Verdammt“, murmelte Billy wieder. Nur nicht die Nerven verlieren. Er wandte sich ab und hastete auf die nächste Kasse zu. Dieses Mal glotzte ihm eine alte Schachtel mit Brille und fiesem Lehrerblick entgegen. „Einen Dunkelblauen Kinderwagen? Ja, ein Herr in schwarz ist vor einigen Minuten mit dem Wagen hier vorbeigekommen …“ „Wo lang?“ keuchte Billy, halb erleichtert, halb entsetzt. Jemand versuchte sein Baby zu entführen. Seinen kleinen, süßen Gabriel. Die Kassiererin deutete in die Richtung. Billy rannte sofort los. Ihm entging dabei, dass sämtliche Kassiererinnen ihm nachblickten. „Geiler Arsch“, wisperte das blutjunge, aufgetakelte Mädchen und lächelte ihre Kollegin an. „Aber meinst das is sein Kind? Der sah sooo schwul aus!“ Billy rannte aus der Kaufhalle und fand sich im Getümmel des großen Zentrums wieder. Überall Menschen, überall Läden. „Wo ist mein Baby?“ murmelte er. „Wo bist du Arsch mit meinem Baby?“ Dann entdeckte er, was er suchte. Der Kinderwagen stand verwahrlost inmitten des Gedränges. Doch als er darauf zu rannte wurde ihm klar, dass Gabriel und der „Mann in Schwarz“ längst über alle Berge waren. „Mist, mist, mist, nein das darf nicht wahr sein!“ Wie hatte er so dumm sein können und den Kinderwagen auch nur eine Sekunde aus den Augen lassen können. „Du Trottel!!“ Einige Passanten sahen ihn verwirrt an. Billy griff sich ins Haar. Mein Baby ist weg, verdammt, mein Baby ist weg … Polizei! Er drängte sich durch die Massen, auf der suche nach einem Telefon, denn sein verdammtes Handy hatte er nicht mit. Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen. Dort auf einer Bank saß ein Typ in schwarzen Klamotten. Er hatte Gabriel auf dem Schoß. Der kleine jauchzte zufrieden, während der Fremde ihn auf und abhüpfen ließ. Langsam ging Billy auf die beiden zu. Das war paradox. Was ging hier vor? „Kleiner, süßer Sunny Boy. Sunny Boy … Sunny Boy …” Billys Mund war trocken wie die Wüste. Sunny Boy? Sunny … Sonny?! „Sonny“, sagte er und blieb neben dem schwarz gekleideten jungen Mann stehen, der jetzt verwirrt zu ihm aufsah. „Billy“, kam die Antwort. „Unser kleiner Heten Billy.“ Sonny stand auf und hob dabei Gabriel auf seinen Arm. Die strahlend blauen Augen des Babys funkelten Billy an. „Das …“, stotterte Billy und wusste nicht, was er davon halten sollte, was hier abging. „Das ist mein Kind!“ Sonny blickte das Baby an. „Ist der alte Heten Billy dein Papa?“ Wieder juchzte der kleine Gabriel und warf die Arme in die Luft, wobei er nur knapp Sonnys Gesicht verfehlte. Sonny grinste abwesend. „Dadadadadada!“ Billy trat der Schweiß auf die Stirn. „Sonny, gib mir sofort mein Baby zurück.“ Seine Stimme zitterte fast schlimmer als seine Knie. Das Adrenalin hatte bei Sonnys Anblick nicht gerade aufgehört zu fließen. Damals hatte Billy Sonny für genial gehalten, jetzt wusste er, dass Sonny verrückt war. Doch Sonny gehorchte und gab Gabriel in Billys wartende Arme. Billy presste das Baby an sich und sank schwer atmend auf die Bank. Sonny setzte sich neben ihn. Gerade als hätte er nicht eben versucht mein Baby zu kidnappen. Gerade als wären wir immer noch Freunde! Was geht bloß in seinem Kopf vor?? „So ein süßes Baby“, sagte Sonny und lächelte immer noch. „So ein süßes kleines Baby. Hat der Papa dich einfach allein gelassen? Macht nichts. Onkel Sonny war ja da.“ Onkel Sonny? Vielleicht solltest du wirklich die Polizei hohlen! Entweder ist er auf Drogen oder ein Psychopath! Gabriel fing wieder an zu zappeln und zu strampeln. Billy wischte sich über die Augen. Jetzt bloß schnell weg hier. Kapitel 9: Please just kiss me one more time -------------------------------------------- Please just kiss me one more time Kapitel 3 continued Brian saß am Küchentisch und starrte auf das Telefon vor sich. Wenn Tovey sich nicht bald meldete, dann würde er wahnsinnig werden. Es konnte ihm sonst was passiert sein. Wie konnte Aron so seelenruhig sagen, dass Tovey nur nach Moskau abgehauen war? Nur abgehauen! Seit zwei Tagen gab es kein Lebenszeichen mehr von ihm. Aron kam in die Küche und streifte Brian mit einem säuerlichen Blick. Fuchtig öffnete er die Kühlschranktür, nahm etwas Milch heraus und füllte sich ein Glas ein. Die Kühlschranktür flog klirrend wieder zu. Aron zog einen Stuhl vom Tisch zurück und setzte sich mit überschlagenen Beinen darauf. Brian hob den Blick. Es fiel ihm wieder einmal unangenehm auf: Aron hatte sich verändert. Er war gemein und arrogant geworden, doch woran das lag, wusste er nicht. „Unkraut vergeht nicht“, sagte Aron leichthin. „Und er wird sich nicht melden. Vergiss es.“ In diesem Moment klingelte das Telefon. Brian griff sofort zu, Aron war schneller. Er griff nach dem Hörer und zog ihn ans Ohr. Brian betrachtete ihn fassungslos. „Hallo? … Hallo Billy. Schön von dir zu hören. Was gibt’s?“ Brian atmete hörbar aus. Aron warf ihm einen vernichtenden Blick zu, doch bevor Brian zurückschießen konnte wandte sich Aron dem Gespräch zu. „Mhh … uns geht’s gut. Ja, alles bestens. Tovey? Kein Plan, der ist unterwegs … Keine Ahnung. Passt schon. Mhhmh … schieß los.“ Brian stand auf und ging in der Küche auf und ab. Dieser Trip nach Moskau war wohl Toveys blödeste Idee seit langem. „Sonny?!“ Brian, der gerade aus dem Fenster geblickt hatte fuhr zu Aron herum. „Sonny ist in der Stadt?! Aber … oh Gott … aber er hat dem Baby doch nichts getan?!“ Sofort war Brian wieder neben Aron am Tisch. Aron warf ihm einen flüchtigen Blick zu und stellte dann den Lautsprecher am Telefon an. „ … nichts getan. Aber du hast keine Ahnung wie viel Angst ich hatte!“ kam jetzt Billys Stimme laut und deutlich aus dem Apparat. „Er war total komisch drauf, wie auf Drogen oder so. Und er ist mir die ganze Zeit hinterher gelaufen und hat mir stolz erzählt, dass Blecket bald aus dem Bau kommt…“ Tovey sah die beiden riesigen Typen aus verheulten Augen an. Nein, auch die würden ihn hier nicht rausbekommen. Er wollte einfach nicht! Wie eine Rakete schoss er aus den Laken und mitten durch die Lücke zwischen den beiden Muskelbergen. Sie versuchten nach ihm zu greifen, bekamen ihn aber nicht. Tovey, von seinem Glück überrascht, hechtete zur Tür und schlug sie hinter sich zu. Und jetzt? Keine Zeit zum nachdenken. Er hastete nach links, stolperte eine Treppe hinunter, hielt sich wieder links und rannte fast eine spärlich bekleidete Frau um. Sie kreischte auf, schon im nächsten Moment stürzten die beiden Hünen an ihr vorbei. Tovey rannte einfach, bis plötzlich jemand seinen Arm packte. Ein Gefühl, als würde ihm jemand die Schulter auskugeln, raste durch seinen Arm. Er stolperte zur Seite, wurde in einen Raum gerissen und an eine Wand gepresst. In dem Raum war es dunkel und roch nach Wasser … ja Wasser. Jemand klammerte sich an ihn und hielt ihm den Mund zu. Tovey bekam kaum genug Luft durch die Nase. Draußen trampelten die Bodyguards vorbei. Die Hand löste sich von Toveys Mund. Er atmete tief durch. Das war knapp gewesen. „Danke“, hauchte er atemlos. Jemand betätigte einen Lichtschalter. Jetzt erkannte Tovey seinen Retter: der Junge von vorhin. Sie sahen sich einen Moment schweigend an. „Juri“, sagte der Junge und deutete auf sich. Tovey begriff. Juri also. Warum nicht gleich so? „Tovey“, sagte Tovey und deutete dabei auf sich. Der Junge nickte. Er fixierte Tovey eindringlich. Der Blick war Tovey nicht gerade geheuer. In seinem Kopf hämmerte wieder der Schmerz. Seine Schulter brannte und er atmete immer noch zu hastig. Plötzlich lächelte Juri ihn an. „Ты умрешь“ , sagte er. Tovey war ratlos. Was? Juri kam auf ihn zu und legte die Arme um seinen Hals wie Alexej zuvor. Tovey wurde erst heiß, dann kalt. Was sollte das werden? Doch eigentlich waren Juris Absichten sehr eindeutig. Er presste seine Lippen auf Toveys. In der ersten erschrockenen Sekunde bemerkte Tovey nicht, dass Juri ihn in Richtung einer der Duschen zerrte, doch dann begann er sich zu wehren. „Hey, was soll das?“ Juri interessierte der Protest nicht. Das hier war sein Fachgebiet, er würde Tovey kriegen, so oder so. Er presste seinen Körper gegen Toveys und sagte das einzige Wort, dass sie beide verstanden: „Sex …“ Soviel war zumindest Tovey auch schon klar geworden. Er betrachtete Juri. Rein theoretisch hätte er sich nicht zweimal fragen lassen. Juri war süß, keine Frage. Er hatte die niedlichsten Augen, die Tovey jemals an jemandem gesehen hatte. Doch sie wirkten so kindlich, dass er sich unwillkürlich fragte, wie alt Juri eigentlich war. Und konnte er sich das erlauben? Unter Alexejs Dach? Unter seiner Nase? Wenn er Alexej zurückhaben wollte, dann war dass vielleicht der falsche Weg. „Lassen wir das lieber“, sagte Tovey und hob abwehrend die Hände. „Nein. Ähm … keine gute Idee. Lass das.“ Juri griff nach einer von Toveys Gürtelschlaufen und zog ihn mit sich, wobei er einen Blick aufsetzte, der Widerstand eigentlich zwecklos machte. Langsam näherten sie sich der Duschkabine. Tovey hatte es vorher nicht wahrgenommen, aber dort drinnen lief Wasser. „Запятая“ , hauchte Juri und lächelte dabei. Tovey rang noch mit sich. Das war bestimmt keine gute Idee … aber andererseits wollte Alexej ihn doch gar nicht. Er ließ sich von Juri mit in die Kabine ziehen. Hätte er ein bisschen mehr russisch verstanden, er hätte sich sofort auf und davon gemacht. Unvermittelt ließ Alexej von seinem Kunden ab. Es ging einfach nicht. Er war vielleicht ein Professioneller, aber seine Gedanken kreisten so penetrant um Tovey, dass er es nicht schaffte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. „Was ist denn jetzt los?“ sein Kunde sah ihn halb wütend halb verständnislos an. Alexej reagierte nicht. Was sollte er nur mit Tovey machen? Es war schmerzlich ihn hier zu haben, aber es schien ihm unerträglich ihn wieder gehen zu lassen. Hastig machte er seine Hose zu und warf sich sein Hemd lässig über. Sein Kunde wartete immer noch verdattert auf eine Antwort. Alexej griff nach seinem Handy. „Lasst es, lasst ihn wo er ist … wie weg? Wieso ist er weg? Dann findet ihn, verdammt!“ Nicht zu fassen! Diese Versager! Aber weit konnte Tovey nicht sein. Endlich wandte er sich zu seinem Kunden um. „Soll ich Ihnen jemand anderen schicken?“ Der ältere Herr wirkte beleidigt. „Du weißt genau …“ „Dann sollten Sie gehen.“ „Wir sind hier noch nicht …“ „Da ist die Tür“, sagte Alexej bestimmt, ohne ihn ausreden zu lassen. „Frechheit!“ Der Kunde fluchte unschön. Alexej verschränkte die Arme. Auf das Geld war geschissen. Die anderen verdienten schließlich noch genug. Endlich war der Kunde verschwunden. Alexej seufzte. Er hatte Tovey alles anvertraut und dieser Patzer, dieser gemeine Seitensprung mit Brian hatte alles kaputt gemacht. Alexej hatte lange darauf geschworen, dass die Trennung die einzig wirkungsvolle Strafe für Tovey gewesen war. Vielleicht sollte er die Strafe jetzt beenden. Alexej verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Wenn doch nur alles leichter gewesen wäre. Kein Raphael, kein Brian und die Welt wäre wahrscheinlich in Ordnung … Er trottete eine Treppe hoch und kam an dem Waschraum vorbei, der Raphaels Verhängnis geworden war. Drinnen lief Wasser. Alexej erstarrte. Wer duschte denn jetzt, zur Hauptarbeitszeit? Ein unangenehmes déja-vu Gefühl überkam ihn. „Hey! Hey, was wird das!? Hey!“ Tovey … Alexej stürzte in den Waschraum. Das Bild, das sich ihm bot, wischte den letzten Rest Farbe aus seinem Gesicht. Blut … Blut und Wasser. Juri mit einem Messer … und Tovey, noch übersäht von blauen Flecken auf dem Boden, eine blutige Hand an die Seite gepresst. Blutige Pfützen auf den Fliesen. Alexej sank auf die Knie. Blut und Wasser auf den Fliesen. Blut in der Duschkabine … Ihm war als hätte man eine Glaskugel über ihn gestülpt. Die Geräusche der Außenwelt wurden dumpf. Das war zu viel. Ein markerschütternder Schrei brachte die Welt zum beben. Erst als der Schmerz seinen Hals hoch raste bemerkte Alexej, dass er selbst schrie. Er ist tot, Alexej. Wir konnten nichts mehr für ihn tun. Es tut mir leid. Raphael ist tot. Die Stimme seines Vaters präsentierte ihm die Wahrheit auf dem silbernen Tablett. Er ist tot, Alex. Keiner konnte mehr etwas für ihn tun. Wie schrecklich. Tovey ist tot. Brians Stimme hallte durch Alexejs Kopf. Nein! So weit war es noch nicht. Tovey konnte nicht tot sein. Dieses Mal war es anders … dieses Mal würde seine Liebe nicht sterben. Alexej riss die Augen auf und starrte seinen Halbbruder an. Ohne wirklich zu merken, was er tat stürzte er auf den Jüngeren zu und schlug ihn mit aller Gewalt zu Boden. „Mörder!“ brüllte er. Jemand packte ihn von hinten. „Oh nein, nein hört auf!“ Alexej fuhr herum und blickte in die blauen Augen seiner Mutter. „Du hast einen Mörder groß gezogen. Einen Mörder!!“ „Aber er weiß es doch nicht besser. Er ist noch so jung und ihr wart immer so unfair zu ihm. Alexej, er war doch noch so klein und so eifersüchtig auf dich. Versteh das doch.“ Doch Alexej wollte das gar nicht verstehen. „Nimm ihn gefälligst nicht in Schutz! Schaff ihn weg!“ Tovey beobachtete das Spektakel vom Boden aus und ohne ein Wort zu verstehen. Eine Frau war dazugekommen. Sie und Alexej schrieen sich die ganze Zeit an. Juri lag benommen auf dem Boden. Er war hart mit dem Kopf gegen die Duschkabine geschlagen und schaffte es nicht, sich auf zu setzten. Jetzt kamen drei Männer in den Waschraum geeilt. Zwei davon waren die Bodyguards, die ihn verfolgt hatten, einer war der, den Juri noch vor einiger Zeit auf den Plan gerufen hatte, als er mit Alexej in seinem Zimmer gewesen war. Tovey vermutete, dass dieser Mann Alexejs Vater war. Nun ging er zwischen Alexej und die Frau, wobei er sie grob zur Seite stieß und seinen Sohn sachte aus der Schussbahn zog. Er verschaffte sich dröhnend Ruhe, die nur noch von Alexejs Schluchzern durchbrochen wurden. Mit einem zitternden Finger zeigte Alexej erst auf Juri und dann auf Tovey. Unwillkürlich zuckte Tovey zusammen. Was für ein böses Schauspiel. Alexejs Vater schien mit jedem Wort seines Sohnes zu wachsen. Er schrie die Frau an, woraufhin sie schluchzend davonlief. Dann brüllte er den Bodyguards etwas zu und auch sie verschwanden. Langsam kehrte Ruhe ein. Bleierne Ruhe. Alexej entwand sich seinem Vater und fiel dem auf dem Boden hockenden Tovey um den Hals. Wasser spritzte auf. Rosa gefärbt von Blut. Robanov kniete sich neben seinen Jungen und sah Tovey eindringlich an. „Bist du in Ordnung?“ fragte er in sehr akzentgeprägtem Deutsch. Tovey war sich nicht sicher. Er hob seine Hand von der Seite, dort wo Juri ihn erwischt hatte. Es hatte bereits aufgehört zu bluten. Zum Glück hatte Juri nicht dort getroffen wo er gewollt hatte. „Tatjana holt dir einen Arzt. Bleib einfach wo du bist.“ Tovey hatte nicht vor wegzulaufen. „Danke“, sagte er kleinlaut und betrachtete dann Alexej, der verstört und zitternd neben ihm hockte. Auch Robanov betrachtete seinen Sohn besorgt. Ein gequältes Stöhnen riss sie alle aus ihren Gedanken. Ihre Köpfe fuhren zu Juri herum, der bäuchlings auf dem Boden lang, sich auf seine Arme stützte und es einfach nicht fertig brachte aufzustehen. Robanov trat an ihn heran und betrachtete ihn von oben. Der Junge musste wirklich ungünstig gefallen sein. In Juris Kopf drehte sich alles. Er hatte keine Orientierung mehr. Wo war oben, wo war unten? Er wusste es nicht. Die Welt kippte einmal auf die eine Seite und dann auf die andere. Die Verzweiflung trieb ihm Tränen in die Augen. Musste er jetzt so sterben? Oder war er schon tot? Da war dieser Schmerz gewesen und dann hatte die Welt angefangen Karussell zu fahren. Es war nicht auszuhalten. Er kippte wie eine Marionette zur Seite. Fasziniert betrachteten Alexej und Tovey diese grausige Szene. Juri kämpfte sich hoch und fiel augenblicklich um, als hätte ihn jemand getreten. „Oh Gott“, wisperte Alexej und klammerte sich an Toveys Arm. „Oh Gott, was hat er?“ Tovey schüttelte wortlos mit dem Kopf. „Vielleicht“, stammelte er, ohne den Blick von Juri reißen zu können. „Vielleicht hast du seinen Gleichgewichtssinn außer Gefecht gesetzt.“ Robanov kniete sich neben Juri und starrte ihn immer noch kalt an. Noch ein Moment verging in dem er nichts tat, dann griff er nach Juri, der seine Hände in seine Haare gekrallt hatte. „Mach, dass das aufhört. Es soll aufhör’n.“ Ihm liefen Ströme von Tränen über das verzerrte Gesicht. Er begann zu schreien. Selbst im festen Griff seines Zuhälters drehte sich noch immer alles. „Mach - dass - das – aufhört …!“ Tovey riss endlich seinen Blick los. Sein Magen schien einen Salto zu machen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie jemand den Waschraum betrat. Es war Tatjana. Geschockt blieb sie stehen und betrachtete ihren schreienden Sohn. Als der Rettungswagen kam, war Juri gnädigerweise ohnmächtig geworden. Kapitel 10: Thunder Storms could never stop me ---------------------------------------------- Thunder storms could never stop me Kapitel 3 continued Brian stand der Mund offen, doch er merkte das gar nicht. Billys Stimme drang immer noch aus dem Lautsprecher: „ … das muss man sich mal vorstellen! Er nimmt sich einfach irgendein Baby und haut damit ab, als wäre es das normalste der Welt. Er hat mein Baby entführt! Ich …“ „Billy … bist du sicher, dass er nicht wusste, dass es dein Baby ist?“ fragte Brian dazwischen. Sein Mund war vom ungewohnt langen Lüften ganz trocken geworden. Billy zögerte mit der Antwort. Im Hintergrund hörten sie das Babygebrabbel des kleinen Gabriel, der nicht die geringste Ahnung davon hatte, wer sein „Onkel Sonny“ wirklich war. „Meinst du das war Absicht?“ fragte Billy und man hörte, dass ihm diese Vorstellung nicht grad behagte. „Wusste Sonny, dass ich Vater geworden bin?“ „Ist doch völlig egal“, sagte Aron und schüttelte entsetzt mit dem Kopf. „Er kann dich genauso gut beobachtet haben. Vielleicht wollte er Gabriel gar nicht. Vielleicht hat er darauf gebaut, dass du ihm hinterher rennen würdest. Und mal ehrlich, du bist nicht der, der sofort eine Szene vom Zaun bricht, nicht wahr? Ich an deiner Stelle hätte ihn sofort an Ort und Stelle ungespitzt in den Boden gestampft.“ Wieder zögerte Billy. Aron hatte Recht. Er hätte sofort ein riesiges Spektakel machen können, hatte es aber gelassen. „Also ihr meint, das war kein Zufall sondern böser Wille?“ fragte er nun noch mehr beunruhigt, als ohnehin schon. „Ich meine … er weiß wo ich wohne! Was soll ich machen?“ Brian und Aron sahen sich an. „Er weiß was?!“ Billy druckste herum. „Ich hab doch gesagt, dass er mir die ganze Zeit hinterhergelaufen ist!“ Brian begann mit seinem Lippen-Piercing zu spielen, ein klares Zeichen dafür, dass er nervös war. „Na gut, sehen wir es mal nicht so eng. Du hast nie gegen Sonny ausgesagt.“ „Stimmt!“ sagte Billy und atmete hörbar auf. „Er hat also keinen Grund sich für irgendwas an mir zu rächen, nicht wahr? Ich meine, vielleicht ist er einfach nur einsam! Das würde einiges erklären …“ „Außerdem“, unterbrach Brian ihn und kaute wieder auf dem Piercing rum, wobei er auffällig Arons Blick auswich. „Tovey hat ihn auch getroffen. Vor 3 Wochen oder so, was weiß ich … jedenfalls hat Tovey gegen Blecket ausgesagt und Sonny schien keine großen Rachegelüste zu hegen.“ „Tovey hat was?!“ fragte Aron fassungslos. „Er hat Sonny getroffen. Zufällig!“ „Gut … gut, nicht streiten, Jungs! Ich war vielleicht ein bisschen von der Rolle vorhin, aber aggressiv war Sonny nun wirklich nicht. Er schien nur sehr vernarrt in Gabriel zu sein.“ „Ich fass es einfach nicht!“ Brian verbarg sein Gesicht in den Händen und ließ Arons Wutausbruch über sich ergehen. „Sonny springt hier durch die Gegend, ganz in unserer Nähe und du und dein toller Tovey ihr habt es nicht nötig mir davon zu erzählen?! Mal im Ernst, du weiß genau, dass Sonny unberechenbar ist. Mein Gott! Er hat versucht dich zu töten! Reicht dir das nicht? Er ist mit einem Vergewaltiger zusammen und findet das ganz normal. Sonny ist einfach gestört. Er hätte dir, Billy oder mir sonst was tun können. Ist dir das eigentlich nicht klar?“ Brian atmete tief durch. Er hatte das Gefühl, es wäre ein Fehler den nächsten Satz auszusprechen, aber er tat es trotzdem. „Er hätte auch Tovey was tun können.“ Fehler begangen. „Ach, um Tovey machst du dir also mehr Sorgen als um mich? Manchmal frage ich mich, mit wem du eigentlich zusammen bist. Mit mir, oder mit Tovey? Immer nur, Tovey hier Tovey da … Tovey, Tovey, Tovey, ich kann es nicht mehr hören. Es steht mir bis hier!“ Er machte eine entsprechende Geste dazu. Brian seufzte. Ja, Aron hatte sich verändert. Noch vor einem halben Jahr hätte er ihn niemals so angegangen und er hätte erstrecht keine Eifersuchtsnummer geschoben. „Hör mal zu ja? Du brauchst nicht so zu brüllen, klar? Wir sind keine Kinder mehr, wir können normal miteinander reden“, sagte Brian ungeduldig und sah Aron jetzt an, der wütend von seinem erhöhten Platz auf den sitzenden Brian hinunterblickte. „Du hast dich echt verändert Aron. Und das nicht zum Guten.“ Etwas Farbe wich aus Arons Gesicht. Die Wut versetzte seiner Schönheit einen unübersehbaren Makel. Brian schauderte. Warum? Was hatte ihn so verändert? „Was soll das jetzt heißen?“ Aron ließ sich auf einen Stuhl fallen und musterte Brian mit einem bohrenden Blick. „Was willst du mir sagen? Geht es wieder um Tovey? Gefällt er dir nun doch besser als ich?“ „Darum geht es doch gar nicht!“ fuhr Brian auf, genervt von den ewigen Vorwürfen und dem ständigen Fallen von Toveys Namen. „Es geht doch überhaupt nicht um Tovey. Es geht um dich und mich! Aron … wenn das nicht aufhört, diese ewigen Anschuldigungen und Vorwürfe, wenn das nicht bald aufhört, dann …“ Brian brach ab, unfähig seinen Gedanken zu Ende zu formulieren, geschweige denn ihn zu Ende zu denken. Er brach den Blickkontakt zu Aron ab und starrte auf die Tischplatte. War es schon so weit? Er hatte geglaubt mit Aron könnte er ewig zusammen sein. Ewig und noch länger. Aber nicht mit diesem Aron. „Dann was?“ fragte Aron und Brian hörte das Zittern in seiner Stimme, das von seinem alten Aron sprach, dem nicht aufbrausenden Aron. „Was macht dich so wütend?“ fragte Brian und verdrängte den Gedanken an ein Ende dieser Beziehung so schnell es nur ging. „Warum bist du in letzter Zeit so aggressiv?“ Es herrschte einen Moment schweigen. Brian glaubte endlich wieder bei Aron angekommen zu sein. Damals hatte eine Frage nach dem direkten Problem immer Wunder gewirkt. Sie hatten dann ordentlich reden können. Aron war aus sich heraus gekommen und zusammen hatten sie immer eine Lösung gefunden. Doch dieses Mal war es anders. Aron stand auf. „Du legst es also darauf an mich zu verlassen. Dann hast du natürlich freie Bahn. Denkst du kannst dich nach dieser langen Zeit doch plötzlich um entscheiden. Aber das mach ich nicht mit, Brian … das kannst du vergessen.“ „Ich leg es doch nicht darauf an, dich zu verlassen. Ich möchte …“ „Du brauchst es auch nicht mehr drauf anlegen. Du bist mich schon los! Arschloch!“ Damit fegte Aron aus der Küche. Wenige Sekunden später knallte die Wohnungstür. Brian saß wie festgewachsen auf seinem Platz. Das durfte nicht wahr sein … mit seiner zitternden Rechten griff er zum Telefon. Er rief Arons Nummer aus dem Telefonbuch auf. Das Freizeichen ertönte. Dann plötzlich sprang die Mail Box an. Aron hatte ihn weggedrückt. Brian probierte es noch einmal, wieder und wieder bis schon nach dem ersten Läuten die Mail Box ansprang. Aron hatte sein Handy abgeschaltet. „Scheiße!“ Der Telefonhörer zerbarst knackend an der Wand. Brian sackte zitternd in sich zusammen, unfähig zu weinen. Weinen reichte nicht mehr. Das ging viel, viel tiefer … Aron fegte die Straße entlang, immer weiter von dem Wohnblock in dem er so lang mit Brian und Tovey hatte leben müssen. Wie konnte Brian … Sein Handy klingelte. Aron warf einen Blick auf das Display und drückte Brians Anruf weg. Das passierte noch einige Male, bis Aron die Schnauze voll hatte, er wollte ran gehen, wollte Brian sagen, dass er es lassen sollte, doch jemand packte ihn von hinten und hielt ihm den Mund zu. Arons Handy fiel auf den Boden. Die Akkuklappe sprang auf, der Akku flog heraus. Aron wurde in eine Seitengasse gezerrt, gegen eine Wand geschleudert und sackte benommen auf den Boden. Ihm war noch immer nicht klar, was hier mit ihm passierte. In der Gasse war es so dunkel, dass er kaum etwas erkennen konnte. Jemand ließ sich auf seinem Schoß nieder. Aron biss die Zähne zusammen. „So sieht man sich also wieder“, drang eine bekannte Stimme an sein Ohr. Jemand strich ihm unheimlich liebevoll die Haare aus dem Gesicht. „Schade, dass es so lange gedauert hat.“ Aron schauderte. Wie viel Pech konnte man haben. „Geh von mir runter, du tust mir weh!“ „Tu ich das?!“ Aron wurde heftig nach hinten gegen die Wand geschubst. Sein Kopf knallte wieder dagegen. Tränen schossen ihm in die Augen. „Sonny, hör auf!“ bettelte er. Wenn jetzt kein Wunder passierte, dann war das sein Tod. Sonny strich sanft mit den Händen über Arons Schultern, weiter nach oben über seinen Hals. Er wird mich erwürgen. Er wird mich umbringen. Doch Sonny tat nichts dergleichen. Er streichelte wieder Arons Wange. Aron atmete flach. Die Angst kroch durch jede Ader, kribbelte in seinen Händen und ließ sein Herz rasen. „So viel Schönheit, verschwendet an so einen Idioten. Du hast dich blenden lassen von seinen schönen Worten und seinem schönen Gesicht, nicht wahr? Du hast nicht begriffen, dass du mir gehörst, nicht ihm!“ „Sonny …“, Arons Beine schmerzten unter Sonnys Last. Er war nicht fett, aber er war schwer. „Bitte, lass mich …“ „Ich werde dich nicht lassen, klar?“ zischte Sonny direkt in Arons Ohr. Aron zitterte jetzt unkontrolliert. „Du kommst mit. Ronald wird sich freuen, dich zu sehen, wenn er morgen aus dem Knast kommt. Meinst du nicht auch?“ „Sonny, bitte, du kannst mich nicht umbringen. Denk an deine Bewährungszeit und wenn, wenn ihr mich …“ „Wer redet denn von umbringen?“ säuselte Sonny jetzt und klang als würde er selig Lächeln. „Keiner wird dich umbringen, mein Schatz.“ Ob das besser war, wusste Aron beim besten Willen nicht. „Der einzige, dem wir Rache geschworen haben ist Brian. Weißt du nicht mehr?“ Aron wusste es noch. Sonny und Blecket hatten allein Brian verflucht, warum auch immer. Vielleicht Sonny aus Eifersucht und Blecket aus Enttäuschung. Tovey, Elya und er waren davongekommen. Der Hass hatte sich allein auf Brian gerichtet. Vielleicht einfach nur, weil er entkommen war, im Gegensatz zu seinen Freunden. Aron hatte keine Ahnung wo das hinführen sollte. Er bereute es aber augenblicklich Brian sitzen gelassen zu haben. Jetzt hatte Brian nicht mal mehr einen Grund sich Sorgen um ihn zu machen. Er dachte bestimmt, Aron hätte sein Handy absichtlich abgeschaltet, dabei war es doch nur ein Unfall – nein ein Überfall gewesen. Arons Augen huschten über die scheinbar ferne Straße, matt beleuchtet von den Straßenlaternen glänzte da das Display seines Handys. Brian! Brian, es tut mir leid! Aber bitte, bitte … Bitte was? Bitte gib noch nicht auf! Aber warum? Du bist doch gegangen. War das nicht eindeutig? Arons Blick huschte hoch zu Sonnys Gesicht, dass er kaum erkennen konnte. „Sonny, bitte … lass mich gehen, okay? Bitte, ich … ich muss nach Hause.“ Sonny schnaubte verächtlich. Billy hatte Recht, er war krank. Die Geschwindigkeit mit der er von Wut auf Ruhe und wieder auf Hass schaltete war unmöglich. „Du wirst nicht mehr nach Hause gehen, Kleiner. Nicht in diesem Leben.“ Aron bekam eine Gänsehaut. Nicht in diesem Leben … wenn er mich nicht umbringt, dann tut es Blecket. Ich werde nicht mit den beiden gemeinsame Sache machen oder ihr … ihr Spielzeug sein. Sie können mich doch nicht ewig versteckt halten, oder? „Sonny, mach keinen Unsinn. Davon wird doch nichts besser. Bitte …“ Sonny packte den Kragen von Arons Jacke so fest, dass er nach vorn gerissen wurde. Aron spürte jetzt seinen Atem auf dem Gesicht. Er kämpfte mit der Angst und den Tränen. „Davon wird nichts besser? Meinst du? Hast du eine Ahnung, wie es ist einsam zu sein? Nein, das hast du nicht. Du hast sie immer um dich, deine Freunde. Du hast keine Ahnung wie es ist allein in einer Dachkammer zu Leben. Du hast keine Ahnung, wie es ist gehasst zu werden. Du weißt nicht, was es heißt wenn niemand dich mehr ertragen kann, Aron!“ „Aber was hast du denn davon …?“ Sonny zog Aron noch dichter zu sich heran. „Das kann ich dir erklären. Ich habe dich. Und du kannst nicht von mir weg.“ „Aber, wenn Blecket doch morgen aus dem Gefängnis kommt, bist du doch nicht mehr allein. Ihr seid dann wieder zusammen.“ „Ja“, sagte Sonny langsam und wieder unheimlich ruhig, fast etwas entrückt. „Wir sind dann wieder zusammen. Und er hat so viel für mich getan …“ Ja, dich fast zum Mörder gemacht!! „Und ich möchte ihm etwas wiedergeben. Das Einzige was er sich wünscht bist du. Er will dich, also bekommt er dich.“ Aron biss sich auf die Unterlippe. Das war paradox, doch er durfte nicht sagen was er dachte. Vielleicht wäre Sonny dann auf die Idee gekommen, ihn doch zu töten. Sonny lächelte. Aron sah das, weil er so dicht an seinem Gesicht war. „Du denkst jetzt, dass ich doch eifersüchtig sein müsste, oder?“ Aron erschrak. Er hatte nicht geahnt, dass Gedankenlesen zu Sonnys einschlägigen Fähigkeiten gehörte. Aber wahrscheinlich war er einfach nicht so krank wie er sich gab. Nur etwas verzweifelt. Aron unterlag einem Anflug von Mitleid. „Täusch dich nicht, Aron. Mich liebt Ronald. Dich will er haben. Verstehst du? Das sind zwei verschiedene Sachen. Du bist etwas Besonderes. Viel zu schade für Brian. Warum hast du mich verlassen?“ Die Frage traf Aron ganz unvermittelt. „Weil …“, stammelte er und wusste im ersten Moment nicht, was er sagen sollte. „Weil … weil du … weil du auf Blecket standest und weil Blecket mir wehgetan hat. Das weißt du. Du hast dich extra so angezogen wie er. Wie hätte ich dich da jemals wieder ansehen können?“ „Du hättest mit mir reden können!“ fauchte Sonny. Aron schüttelte wild mit dem Kopf. „Nein, du warst doch völlig vernarrt in ihn. Du hättest mir nie geglaubt, dass er ein Schwein ist …AU!“ Aron merkte zu spät, dass Sonny ausholte und bevor er etwas tun konnte traf ihn unvermittelt die Ohrfeige. „Niemals … beleidige niemals Ronald in meiner Gegenwart. Klar?!“ „Siehst du?“ Aron begann zu weinen, ohne ein Geräusch. „Siehst du? Und schon. Du hättest das niemals hören wollen. Und du hast ja nur ihn geliebt, nicht mich. Du warst gemein zu mir und ein unsensibles Trampel. Nur wenn du mich ficken wolltest warst du nett!“ Sonny lachte. „Das ist es also gewesen. Du fühltest dich nicht als Mittelpunkt der Show. Ich hätte es wissen sollen. Es hat Spaß gemacht dir die Trauer ins Gesicht zu schrieben. Es hat Spaß gemacht dir wehzutun. Aber das verstehst du nicht…“ Das verstand Aron bei weitem nicht. Er versuchte die Tränen zu unterdrücken, doch sie liefen in Strömen. Dieser Typ war nicht nur krank, er war auch noch gefährlich. „Ja, es macht Spaß“, begann Sonny wieder und wischte die Tränen von Arons Wangen. „Es macht Spaß dich weinen zu sehen, so lautlos. Es ist faszinierend…“ Er ergriff sanft mit beiden Händen Arons Gesicht und begann die Tränen wegzuküssen. „Ich konnte dich gar nicht oft genug weinen sehen. Und auch Ronald hat das gesehen und es hat auch ihn fasziniert.“ „Ihr kranken Schweine.“ Aron hätte Sonnys Faszination gern zerstört, aber er konnte nicht, er konnte nicht weinen wie jeder andere. Wenn dieser Verrückte wenigstens wüsste, dass das alles ein Defekt in Arons Körper war! Nichts Faszinierendes. Nur ein Defekt,wie eine Krankheit. Aron spürte, wie Sonnys Lippen sich seinem Mund näherten und versuchte den Kopf wegzudrehen. Doch er konnte nicht. Sonnys Hände hielten ihn fest wie Schraubstöcke. Nein, ich will nicht. Lass mich los!! Kapitel 11: This is what I thought ---------------------------------- Kapitel Vier This is what I thought, I though you need me Kein Lebenszeichen. Brian nahm das gefüllte Tablett hoch. Seine Hände zitterten leicht. Kein Lebenszeichen seit drei Tagen, kein Lebenszeichen seit fünf Tagen. Der mitleidige Blick seines Kollegen entging ihm. Vorsichtig schlängelte er sich um die Tische. Weder Aron noch Tovey haben sich gemeldet. Wie ging es Tovey? Wo war Aron abgeblieben? War er so wütend, dass er sich nie wieder melden wollte? Das war so fürchterlich schief gelaufen. Die Tür des kleinen Restaurants ging auf. Brian bemerkte es nicht. Seine Knie wurden weich. In seinem Ohr fiepte es unaufhörlich. Über die Welt legte sich ein grauer Schleier. Er hatte die letzten drei Tage nicht schlafen können. Immer wieder hatte er sich in Arons Klamotten vergraben und in den Schlaf geheult nur um dann aus Alpträumen wieder aufzuschrecken. Manchmal glaubte er Aron stünde neben seinem Bett, doch das bildete er sich nur ein. Er war furchtbar einsam, allein in der großen Wohnung. Er hörte sein Herz schlagen, seinen Atem gehen. Das Tablett entglitt seinen Händen. Ein lautes Krachen ertönte. „Brian!“ Er fiel hart auf den Boden, doch den Aufprall spürte er nicht. Als Brian die Augen wieder aufschlug blickten ihn scheinbar tausend Leute an. An vorderster Front Tovey und Alexej. Tovey sah sehr besorgt aus. „Bist du okay?“ fragte er und half Brian beim Aufstehen. „Du bist einfach zusammengebrochen. Was ist denn los? Das Telefon bei uns zu Hause geht nicht und es war auch keiner da …“ Tovey brach ab und strich Brian über das blasse Gesicht. „Du siehst furchtbar aus, was ist passiert?“ „Ich finde das schon unheimlich“, bemerkte Tovey, als Brian seine Geschichte beendet hatte. „Aron wäre nicht so gemein sich nicht zu melden.“ Alexej zuckte mit den Schultern. Tovey hatte wohl Recht, aber die Abgründe der menschlichen Seele waren tief. Das wusste er viel zu gut. „Denke ich auch“, sagte Billy. Die Jungs hatten ihn angerufen, nachdem Brian in der Bar zusammengebrochen war. Brian selbst hing jetzt wie ein Schluck Wasser auf der Couch, eingewickelt in eine warme Decke, den leeren Blick auf den Boden gerichtet. Keine Antwort vom Hauptdarsteller. Tovey biss sich auf die Unterlippe. Keiner wollte Brian aufschrecken. Wer wusste schon, wo er gerade war? „Wenn wir es mal von der schlimmsten Seite betrachten“, durchriss plötzlich Alexejs Stimme die summende Stille. Aller Augen, sogar Brians richteten sich auf den jungen Russen. Ein Hauch von Aufregung durchzuckte Billy, als er sah, wie Alexej nach Toveys Hand griff. Was genau zwischen den beiden in Moskau vorgefallen war, wusste niemand wirklich. Aber Billy erkannte in Alexejs Augen wieder das alte gefährliche Feuer. Damals, nach der Trennung von Tovey, war dieses Feuer erloschen, doch Billy hatte es nicht vergessen. Schließlich hatte er die Freundschaft zu seinen schwulen Jungs nie abgebrochen. „Dann könnte vielleicht Sonny seine Hände im Spiel haben“, beendete Alexej seine Überlegung. Aller Augen wanderten nun zurück zu Brian, der anfing zu zittern. „Sonny“, sagte er leise. „Sonny und Blecket, weil Bleckets Zeit im Knast ist abgelaufen … Seit 2 oder 3 Tagen.“ „Gut“, sagte Alexej leise, doch die Köpfe fuhren herum, als hätte er gebrüllt. Gut? Nichts war gut! „Dann müssen wir Sonny finden und Aron retten.“ „Ja“, stimmte Tovey unsicher zu. „Wir rufen die Polizei und …“ Tovey verstummte, als er Alexejs Blick sah. „Keine Polizei. Das können wir ganz allein“, der junge Russe stand auf und wanderte unter strenger Beobachtung in dem gemütlichen Raum auf und ab. Tovey betrachtete ihn fasziniert. Alexej trug eine schwarze Hose mit weißen Nadelstreifen, sie hing bedenklich tief, doch sein T-Shirt war lang genug um die schwarzen Boxershorts möglichst zu verdecken. Es war weiß und der Name irgendeiner Band prangte darauf. Tovey wunderte sich immer wieder, dass Alexej nicht fror. Ihm war kalt in seiner schwarzen Kapuzenjacke. Die Haut an Alexejs Armen zeigte keine Anzeichen von Frost. „Die Sache ist eigentlich ganz einfach“, Alexej war an das große Fenster des Raumes getreten. Draußen war die Sonne im Begriff unterzugehen. Ihre letzten orangefarbenen Strahlen ließen Farbeffekte auf Alexejs schwarzem Haar tanzen. „Ich werde gehen. Das wird ein Kinderspiel.“ Tovey verschränkte fest die Arme um seine zitternden Hände zu verbergen. Alexejs Benehmen machte ihm Angst. Was kam da an die Oberfläche? Welche Welten eröffneten sich neben dem liebevollen Freund und dem unzugänglichen Stricher? Alexej drehte sich zu seinen Freunden um. Er lächelte beruhigend. Mit federnden Schritten kam er auf Tovey zu, nahm sein Gesicht in die Hände und küsste ihn kurz auf den Mund. „Ich bin bald wieder da.“ Und schneller als jemand nein schreien konnte, war er aus dem Wohnzimmer verschwunden und man hörte die Haustür gehen. „Er macht mir Angst“, sagte Billy etwas kleinlaut. Als ungefähr zehn Minuten später die Tür der Wohnung wieder aufflog saßen alle gespannt wie Flitzebögen da und lauschten. Was um Himmels Willen hatte Alexej angestellt, dass alles so schnell ging? Hatte er Aron gefunden? War das wirklich Alexej? Tovey war der erste, der sich etwas verkrampft erhob und zur Wohnzimmertür huschte. Im Flur standen tatsächlich Alexej und ein etwas geschunden aussehender Aron. „Wie hast du das gemacht?“ fragte Billy, der neben Tovey aufgetaucht war. „War nicht schwer“, antwortete Alexej mit einem Seitenblick auf Billy. „Er ist mir praktisch entgegengelaufen.“ Gespannt saßen sie um den Küchentisch herum und starrten Aron an. Seine Arme waren mit blauen Flecken übersät. Einige davon waren bereits lila angelaufen. „Ich habe gedacht, wenn Blecket nach Hause kommt, dann wird alles nut noch schlimmer. Ich dachte, dann bringen die beiden mich um, aber ... Er kam zur Tür rein, sah Sonny an und dann mich und ich saß schneller vor der Tür, als ich Hilfe schreien konnte.“ Schweigen. Brian schüttelte fassungslos den Kopf. Blecket, Ronald Blecket hatte Aron freiwillig laufen lassen? „Was haben die mit dem im Knast gemacht?“ fragte er schließlich laut. Einerseits wollte dieses Verhalten so gar nicht zu Blecket passen, andererseits war Brian froh, dass es so gekommen war. „Mir soll’s egal sein“, murmelte Aron und wischte sich mit beiden Händen über sein Gesicht. „Ich will einfach nur in mein Bett.“ Wie auf Kommando bedachten ihn alle Jungs mit einem mitleidigen Blick. „Willst du denn gar nichts gegen Sonny unternehmen?“ fragte Tovey unerwartet, als Aron im Begriff war aufzustehen. Verwirrt starrte Aron Tovey an. „Was denn unternehmen?“ fragte er. Seine Augen waren etwas zu glasig wie Tovey fand, aber das konnte gut mit den Strapazen der letzten Tage zusammenhängen. „Du hast doch den heißen Draht zum langen Arm des Gesetzes. Willst du Sonny dafür nicht in den Knast bringen? Entführung und das in seiner Bewährungszeit? Nichts wäre leichter als das.“ Aron ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen und sah Tovey durchdringend an. „Ich werde nichts tun. Wenn Sonny schon jetzt mit solchen Aktionen reagiert, was meinst du was passiert, wenn er aus dem Knast wiederkommen würde? Ich zumindest will das gar nicht wissen.“ „Aber“, hielt Tovey sofort dagegen. „Aber was wenn er noch so eine Aktion startet? Wenn er noch schärfere Geschütze auffährt? Er ist jetzt nicht mehr allein!“ „Falls du nicht zugehört hast: Blecket hat kein Interesse mehr an mir, okay? Sonst säße ich nicht hier. Glaub es mir einfach!“ Der Satz blieb endgültig im Raum stehen, während Aron verschwand. Betretenes Schweigen machte sich unter den jungen Männern breit. Billy räusperte sich. „Ich glaube man kann es nicht wirklich richtig machen …“, sagte er etwas kleinlaut, doch niemand ging darauf ein. „Na ja, ich … werd denn mal wieder. Lisa wartet sicher schon auf mich.“ Beschwingt zückte Tovey den Briefkastenschlüssel aus seiner Hosentasche. Das Schloss des Kastens klemmte leicht, die Tür war etwas verbeult und man konnte immer noch die pinke Farbe schimmern sehen, mit der jemand Schwuchtel auf dem weißen Metal hinterlassen hatte. Tovey hatte wie ein blöder versucht sie abzuschrubben und war damit sogar relativ erfolgreich gewesen. Doch völlig weg würde er dieses schreiende Pink wohl nie bekommen. Ein weißer Umschlag, regelrecht dick, fiel ihm entgegen. Mit einem peinlich mädchenhaften: „Huch!“ fing Tovey den Umschlag auf. Er war schwer. Irritiert betrachtete er ihn. Der Brief war an ihn adressiert. Wer schickte ihm Kilo schwere Briefe? Neugierig riss Tovey den großen Briefumschlag auf und spähte hinein. Komisch. In dem Umschlag war noch ein Umschlag! Mühsam zog Tovey diesen heraus. Alexej stand etwas ziellos in der Küche, als Tovey mit zwei Umschlägen im Arm durch die Tür kam. Er lehnte am Fenster und betrachtete seinen Freund fragend. „Post?“ fragte er verwirrt. Hier kam nie sonderlich viel Post an. „Und dann auch noch so viel? Hast du eine Kontaktanzeige aufgegeben?“ Tovey sah ihn etwas beleidigt an. „Nein, mein Süßer. Das hier“, damit drückte er Alexej den schweren Umschlag in die Hände, „ist alles für dich.“ „Für mich?“ Nun wirklich verwirrt starrte Alexej auf die Umschläge. „Der ist an dich adressiert.“ Tovey nickte und bedeutete Alexej auf dem anderen nachzusehen. Der junge Russe tat wie geheißen und machte große Augen. „Bitte unverzüglich an Alexej Robanov weiterreichen. Streng vertraulich“, las er laut vor. „Verrätst du mir was drinsteht?“ Alexej ging nicht darauf ein. Verwirrt stieß er sich vom Fensterbrett ab und ließ sich am Küchentisch nieder. Mit zitternden Händen öffnete er den Umschlag und zog eine Art Buch heraus. Tovey, der sich neben Alexej niedergelassen hatte staunte nicht schlecht. Da hätte er sich auf den Kopf stellen können, das Dokument war auf Russisch geschrieben. Besser hätte man es nicht vertraulich gestalten können. Tovey stupste Alexej an. „Was steht da?!“ „Testament“, antwortete Alexej trocken und hielt das Heft fest. „Wer schreibt so ein fettes Testament?“ „Schlag es auf!“ drängte Tovey. „Ich trau mich nicht“, sagte Alexej kleinlaut. „Was, wenn mein Vater gestorben ist? Oder Mama? Ich trau mich nicht!“ „Dann lass mich das machen. Ich kann es so wie so nicht lesen. Okay?“ Alexej ließ das Heft los und es klatschte auf den Tisch. „Oder was ist, wenn sie noch etwas von Raphael ausgegraben haben? Oh mein Gott!“ Tovey strich seinem Liebsten beruhigend über den Rücken. Was sollte er dazu sagen? Das konnte gut sein und war sogar wahrscheinlicher, als wäre Alexejs Mutter gestorben. Aber genau wissen konnte man das nie. „Ich mach es auf, okay?“ fragte er behutsam und Alexej nickte ängstlich. Tovey hatte ihn noch nie verängstigt gesehen und das bereitete ihm ein ziemlich ungutes Gefühl im Magen. Alexej war immer der starke und in der Rolle mochte Tovey ihn am liebsten. Doch das wollte er sich nicht anmerken lassen. Selbstsicher griff er nach dem dicken Heft und klappte es auf. Zum Vorschein kam eine lose Seite, die man behutsam vornan gelegt hatte. „Lesen musst du es allein“, sagte Tovey und seufzte beim Anblick der russischen Handschrift. Alexej nahm den Zettel in die Hand. Einen Moment herrschte Schweigen. Tovey konnte die Uhr im Flur ticken hören. Gespannt betrachtete er seinen Freund. „Mein Gott“, wisperte Alexej endlich und betrachtete das Dokument jetzt wirklich entsetzt. Tovey konnte sich vor Ungeduld kaum noch auf seinem Stuhl halten. „Ich les es dir mal vor, das heißt … ich übersetze es dir mal …“ Na endlich! Mein lieber Alexej, mit Bedauern muss ich dir mitteilen, dass dein Bruder Juri in der Nacht zum Sonntag verstorben ist. Wir hatten ihn, nach dem unangenehmen Zwischenfall mit deinem deutschen Freund im Waschraum, ins nächste Krankenhaus gebracht. Dort kam er dann wieder zu sich. Wir bekamen nicht viel aus ihm heraus. Er weigerte sich mit jemandem zu reden. Wir hatten sogar schon Probleme mit der Polizei, aber das dachte ich wäre geregelt. In der folgenden Nacht hat sich Juri dann mit einem Bettlaken in seinem Krankenzimmer erhängt. Nach einigen Problemen mit der Polizei, einem Anwalt und sonstigem Gesindel bekam ich dieses Testament ausgehändigt. Man hat mir verboten es zu lesen, es ist ausdrücklich nur für dich bestimmt. Ich weiß nicht welche Grausamkeiten dieser kleine Bastart dort niedergeschrieben hat, aber denk daran mein Junge: Nichts davon ist dein Fehler. In Liebe Papa Tovey schauderte. Juri hatte sich aufgehängt? Warum? Forschend betrachtete er Alexejs Gesicht. Er klebte noch immer mit den Augen an dem Zettel. Ob er etwas verschwiegen hatte? Etwas ausgelassen vielleicht? Tovey spürte wie er rot wurde. Eigentlich peinlich wie ungeniert neugierig er sich gerade aufführte. Alexej legte den Zettel auf den Tisch. „Es ist nur Juri“, murmelte er etwas abwesend. Tovey verzog leicht die Mundwinkel. Nur Juri, das klang böse, richtig böse. Aber wenn man es genauer betrachtete … wenn man bedachte, was Juri wahrscheinlich getan hatte. Was er getan haben musste. Tovey gab sich einen Ruck. „Soll ich dich damit allein lassen?“ fragte er vorsichtig und strich seinem Freund über den Rücken. Alexej betrachtete nun wieder das dicke Heft. „Ja … nein … also doch. Bitte.“ Kapitel 12: You’re somewhere where I can’t go --------------------------------------------- You’re somewhere where I can’t go Kapitel 4 continued Wieder einmal wurde der gute alte Küchentisch mit Schweigen strapaziert. Wortlos und irgendwie jeder in seiner Welt saßen sie dort und stocherten ohne viel Hunger in ihrem Essen. Aron hatte sich zurückgezogen, schlimmer denn je und Brian war verzweifelt darum bemüht wieder Zugang zu ihm zu finden. Tovey fragte sich im Stillen, was wohl in diesem verdammten Testament, das von Juri stammen musste, stehen könnte, denn Alexej hatte seit dieser zwielichtigen Lektüre kein Wort mehr gesagt. Er starrte nur entsetzt vor sich hin, scheinbar unfähig eine bestimmte Information zu verarbeiten. Sein Teller war völlig unberührt. Tovey legte seine Gabel beiseite und sah seinen Freund an. Irgendwas musste schrecklich schief gelaufen sein. „Alex?“ Alle am Tisch fuhren hoch und starrten Tovey an, alle außer Alexej. „Alex?“ versuchte Tovey es erneut und erfasste nun sanft seinen Arm. Alexej zitterte. „Was ist los?“ Völlig unerwartet fegte Alexej mit einer Bewegung seines Arms den Teller vom Tisch. Er zersplitterte auf dem Boden, das Essen verteilte sich. Aron sprang erschrocken auf. Brian, unentschlossen wohin er sich zuerst wenden sollte, blickte hastig von seinem Freund zu Tovey und zurück. „Ich wollte es nicht glauben“, Alexejs Gesicht verschwand hinter seinen dunklen Haaren, als er den Kopf senkte und auf seine verkrampften Hände starrte. „Es wäre zu … zu grausam gewesen, aber es stimmt!“ „Was stimmt?“ Toveys Stimme sollte ruhig und liebevoll klingen, aber er konnte einen ängstlichen Unterton nicht verbergen. „Er war es Tovey. Juri war es wirklich. Und in seinem so genannten Testament, hat er jede Sekunde festgehalten. Jede beschissene Sekunde, alles um mich zu quälen, selbst wenn er tot ist. Kannst du … dir das … vorstellen …?“ Seine Stimme brach in einem Anfall von Tränen. Tovey wirkte geschockt, das war allerdings nichts im Vergleich zu Brian, der sich in diesem Moment lebhaft daran erinnerte, wie Alexej damals Sonny fertig gemacht hatte, nachdem dieser ihn, Brian, angegriffen hatte. Das war nicht derselbe Alexej. Und wer zum Henker war Juri? Unsicher griff Tovey nach Alexejs Händen, die sich augenblicklich ein wenig entspannten. „So ein gemeines Arschloch“, flüsterte Tovey und legte seinen Kopf an Alexejs Schulter. „Du darfst dich davon nicht fertig machen lassen. Das wollte er doch nur!“ „Und das hat er geschafft …“ „Fuck“, Arons Lippen formten das Wort nur, denn kaum ein Laut kam dabei über seine Lippen. Entsetzt starrten seine Augen zur Decke, an der ein recht kräftiger Haken angebracht war. Er hatte sich schon öfter gefragt, warum man so etwas in eine Wohnung baute. Das lud doch geradezu dazu ein … Aron schauderte. Der Haken war nicht das Problem, der Haken war die Lösung. Ein Schal war an dem Haken befestigt. Ein Schal, der selbst im Dunkeln noch glänzte. Aron taumelte Richtung Tür zurück. „Hör auf! Lass das!“ Seine Stimme klang verzerrt, weinerlich und viel zu schwach. Eigentlich hatte er schreien wollen, doch seine Stimmbänder verweigerten ihren Dienst. Das andere Ende des Schals, das nicht am Haken befestigt war, schlag sich sauber geknotet um den Hals von Alexej, der wie versteinert auf dem Küchentisch stand. Nur ein Schritt, nur ein Sprung und alles wäre vorbei. Arons Herz donnerte gegen seine Rippen. Sein Atem ging keuchend und das Adrenalin der Angst raste durch seine Adern. Er zitterte und schwitzte gleichzeitig. „Komm schon, hör auf … was soll denn das? Alex! Hör auf.“ Noch immer brachte er nichts als ein verängstigtes Keuchen zustande. All der Horror der letzten Jahre ging ihm durch den Kopf. Würde dieser Scheiß denn niemals enden? Alexejs Gestalt begann sich zu regen, machte einen Schritt nach vorn. In diesem Moment versagten Arons Sinne. „Oh Gott!!“ Brian fuhr entsetzt auf und starrte hinüber zu Arons Seite des Bettes. Sein Freund saß senkrecht neben ihm, die schreckgeweiteten Augen nach vorn gerichtet, die rechte Hand vor den Mund geschlagen. Brian überlegte nicht lang sondern zog Aron in seine Arme. „Hey? Was ist denn los mit dir?“ Aron wehrte sich nicht. Er schlang seine Arme um Brians Oberkörper und ließ sich von seinem Freund festhalten. „Brian, bitte … geh in die Küche, bitte … guck nach Alex.“ „Was?“ Brian starrte auf Arons dunklen Haarschopf. Die ersten Sonnenstrahlen stahlen sich durch einen Spalt in den Vorhängen. „Warum Alex?“ „Ich glaube er hat sich umgebracht!“ Irritiert schüttelte Brian den Kopf und hielt Aron nur noch fester. Immer diese Alpträume. „Bitte, Brian! Geh gucken!“ Schließlich gab Brian Arons Bitten nach, denn er wollte sich absolut nicht beruhigen lassen. Zusammen gingen sie in die Küche. Doch sie fanden absolut nichts, weder Alexej, noch einen Schal. Die Küche lag verlassen da, so wie am letzten Abend, als sie alle zu Bett gegangen waren. Aron konnte es nicht fassen. War das alles wirklich nur ein böser Alptraum gewesen? Aber alles, wirklich alles hatte sich so real angefühlt. Er konnte noch seine kalten Füße auf den Fließen spüren. Aber auch als sie nach Alexej suchten, fanden sie ihn in seelenruhigem Schlaf neben Tovey in dessen Bett. „Siehst du?“ flüsterte Brian eindringlich. „Es war nur ein Traum. Lass uns noch eine Stunde schlafen.“ Und mit einem Kuss musste sich Aron dazu überreden lassen, alles als Traum anzusehen. „Eines finde ich merkwürdig“, plauderte Tovey mit einem Toast in der Hand, während sich Alexej durch den Kühlschrank wühlte. Er wirkte immer noch mitgenommen, auch etwas unausgeschlafen, aber es schien ihm gut getan zu haben eine Nacht über das Testament zu schlafen. „Ich dachte Juri kann gar nicht schreiben.“ Alexej machte die Kühlschranktür zu und hielt jetzt eine Packung Milch in der Hand. „Konnte er auch nicht. Nur lesen konnte er. Aber wer weiß, was er in seiner Freizeit alles gemacht hat. Vielleicht hat er heimlich sein Abitur abgelegt.“ Tovey kaute auf seiner Unterlippe herum. „Unwahrscheinlich.“ „Na sicher“, erwiderte Alexej und schüttelte ratlos den Kopf. „Jeder Notar oder jeder geizige Kunde hätte das Testament für ihn schreiben können. Wer weiß? Vielleicht hat es jemand für ihn geschrieben, den er dann gratis rangelassen hat.“ Alexej schwang sich falsch herum auf einen Stuhl Er wirkte ziemlich gelassen. Tovey lächelte. So gefiel ihm das. Alexej war stark. Das passte in sein Weltbild. „Was machst du eigentlich jetzt?“ fragte Tovey und schob sich den letzten Happen Toast in den Mund. Er war heute gut gelaunt. Warum auch immer. „Inwiefern?“ fragte Alexej und lächelte die Milchpackung an. „Na jetzt, wo du keinen Job mehr hast“, erklärte Tovey sich und setzte sich neben Alexej an den Tisch. „Deine Freier kommen hoffentlich nicht bis hier her?“ „Ich bekomme Taschengeld“, sagte Alexej nach einer kurzen Pause. „Das heißt ich werde bezahlt, obwohl ich nichts tue. Man kann es aber auch Taschengeld nennen. Und wenn mir langweilig ist, dann richte ich mir einen Folterkeller ein und wir spielen Meister und Sklave.“ „Hui“, Tovey schlug die Beine übereinander. „Unser Keller ist viel zu klein dafür. Und mir steht Lack und Leder nicht wirklich.“ „Schade …“ Die Fliesen unter seinen Füßen waren kalt. Brian verfluchte sich, weil er nicht mit Socken schlief. Dann wäre ihm diese eine Kälte zumindest erspart geblieben. Nervös stand er in der Küchentür und starrte auf die Gestalt, die dort am Tisch saß. Noch immer fiel genügend Licht der Laternen von draußen in den Raum um eine klare Silhouette ausmachen zu können. „Warum sitzt du hier im Dunkeln?“ fragte Brian leise, um niemand anderen zu wecken. Keine Antwort von der Gestalt am Küchentisch. Brian trat leise in die Küche. Die Fliesen waren wirklich abnormal kalt. „Hey? Bist du im Sitzen eingeschlafen?“ „Nein.“ Brian erschrak fast, als er Alexej endlich reden hörte. „Was machst du denn hier? Es ist mitten in der Nacht. Willst du nicht ins Bett gehen?“ „Nicht wirklich.“ Brian grinste in die Dunkelheit und setzte sich Alexej gegenüber an den Tisch. „Es ist extrem kalt hier“, flüsterte er während er die Beine anzog, um seine Füße endlich vom Boden zu lösen. „Ein wenig.“ Alexej griff über den Tisch, legte seine Hand auf etwas und gab ihm Schwung. Das Ding begann sich zu drehen. Ziemlich schnell sogar. Brian versuchte zu erkennen was es war. Doch erst, als er sich verlangsamte um dann endlich wieder still liegen zu bleiben, verstand Brian was dort lag: eine Waffe! „Oh Gott, wo hast du die her?!“ flüsterte Brian entsetzt. Angst, dass Alexej ihm etwas tun würde, hatte er eigentlich nicht. Er vertraute Alexej. Der Junge war ja nicht verrückt. Nur anders … als die anderen. Wie sie alle eben. „Mein Vater hat sie mir Geschenk. Man kann sich in Moskau nicht ungeschützt auf die Straße wagen“, erklärte Alexej ruhig und ließ das Ding wieder kreisen. Brian beobachtete das leicht fasziniert. „Musstest du etwa Kerle auf der Straße abfangen?“ fragte er und hörte sich eigentlich selbst gar nicht zu. Alexej lachte leise. „Nein, meine Kerle sind freiwillig und sehr gern zu mir gekommen.“ Plötzlich stoppte Alexejs Hand die 9mm. in ihrer Rotation. Brian erschrak. Mit ein paar Handgriffen entsicherte Alexej die Waffe und hielt sie Brian dann mit dem Griff hin. „Was?“ fragte Brian verwirrt. „Schieß!“ „Was? Auf wen?!“ „Auf mich!“ „Nein!“ „Tu es.“ Brian schüttelte heftig den Kopf. „Nein. Wieso sollte ich? Das ist doch … was soll das?“ Alexej ließ die Waffe sinken. „Wenn du nicht willst, dann muss ich es wohl selbst tun.“ „Nein!“ Brian langte über den Tisch, doch Alexej huschte unter seinen Fingern weg wie nasse Seife. Keuchend starrte Brian ins Halbdunkel. Alexejs Stuhl war umgekippt. Er lächelte Brian an und hielt sich die Waffe an die Schläfe. Brians Herz raste gegen seine Rippen. „Hör auf!“ flehte er. Alexejs Finger am Abzug zuckte. „Fuck!“ Brian schlug die Augen auf. Sein Herz raste. Er war schweißgebadet. „Brian!“ Aron neben ihm sah genauso entsetzt aus, wie Brian sich fühlte. „Was hast du?“ Für Sekunden starrte Brian seinen Freund nur an. Ihm ging vieles durch den Kopf und ihm schien, dass er Minuten lang dort saß, wie zu einer Salzsäule erstarrt. Er konnte Aron jetzt nicht entsetzt berichten, dass Alexej sich erschossen hatte, heute Nacht in der Küche. Ganz bestimmt! Nein, das war Irrsinnig. Aron hatte gestern geträumt und er musste jetzt geträumt haben. Ganz einfach. Arons Geschichte hatte ihn doch mehr beschäftigt, als er es wahrgenommen hatte und nun hatte sein Unterbewusstsein zurückgeschlagen. „Nichts“, hauchte Brian, senkte den Kopf und umschlang mit den Armen seine Knie. „Nichts. Nur ein Traum.“ Er begann zu zittern. Der Drang, aufzuspringen und sich davon zu überzeugen war zu groß. „Nur ein Traum“, wiederholte er, eher um sich selbst, als um Aron zu überzeugen. „Du hast mich echt verrückt gemacht mit deinem gestern.“ Er lachte leise. Verstehen machte sich auf Arons Gesicht breit. Die Nervosität wollte nicht weichen. Brian wartete nur darauf, dass gleich ein zerbrochener Tovey zur Tür hereinstürmen würde. Das konnten sie wahrlich nicht gebrauchen. Das Glück mochte sie ohnehin nicht. „Meinst du, dass du auch geträumt hast, wie Alex sich in der Küche … erhängt?“ fragte Aron vorsichtig und begann über Brians Rücken zu streicheln. „Nein“, erwiderte Brian und schüttelte mit dem Kopf. „Nein, nicht erhängt. Erschossen. Weißt du ob er eine Waffe hat?“ Aron biss sich beim Nachdenken auf die Unterlippe. „Hat er, ja“, sagte er dann langsam. „Er hat sie …“ „… von seinem Vater bekommen“, beendete Brian den Satz und jetzt war es wirklich nicht mehr auszuhalten. Er sprang auf. „Ja, woher …?“ Den Rest der Frage verstand Brian schon nicht mehr. Er stürmte aus dem Schlafzimmer und raste in die Küche. „Na, du Langschläfer“, begrüßte Tovey ihn mit einer Tasse Kaffee in der Hand. „Warum die Hektik? Es ist Wochenende.“ „Wo ist …“ Brians Blick glitt hastig durch die Küche. Nichts, alles so, wie sie es gestern Abend verlassen hatten. Kein Blut auf dem Boden oder dem Tisch und ein unversehrter Alexej stand am Herd. „Ey … unnormal …“, murmelte Brian und beachtete Toveys verwirrte Mine gar nicht. Beruhigt und verunsichert zugleich schlurfte er zurück ins Schlafzimmer. „Also irgendwas stimmt nicht mit den beiden“, bemerkte Tovey und starrte Brian nach, der sehr leicht bekleidet gewesen war. „Die sind schon gestern Morgen so abgegangen. Ob die sich abends immer noch zudröhnen?“ „Unwahrscheinlich“, meinte Alexej und wirkte dabei nicht sehr interessiert. Kapitel 13: Sexy Boy -------------------- Sexy Boy Kapitel 4 continued „Unklar, wirklich“, Brian sah Billy etwas hoffnungslos an. Billy erwiderte den Blick tröstend. „Wie können wir beide solchen Unsinn träumen und auch noch beide denken: man war das verdammt echt! Meine Füße werden jetzt noch kalt, wenn ich daran denke.“ Er ließ seinen Blick durch die Wohnung schweifen und entdeckte durch die offene Küchentür Aron, der scheinbar einen riesengroßen Narren an Gabriel gefressen hatte. Ein Lächeln schlich sich über seine Züge. Aron sah unheimlich süß aus, mit dem Baby auf dem Arm. Brians Lächeln gefror etwas. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihm breit. Zum Glück würden sie nie ein Baby bekommen. Die Verantwortung war ihm viel zu hoch. Er mochte Kinder, das war nicht das Problem. Aron war teilweise vernarrt in sie, das war eher kritisch. Was, wenn er sich ein Kind in den Kopf setzte? „Das war bestimmt nur euer Unterbewusstsein, das euch einen Streich gespielt hat.“ Billys Worte drängten sich in Brians Gedanken. „Ja“, sagte er und wandte sich wieder seinem alten Schulfreund zu. „Aber es war wirklich unheimlich.“ „Vielleicht macht ihr euch zu viele Sorgen um Alexej“, vermutete Billy weiter. „Warum? Ich meine, das ist doch eindeutig Toveys Aufgabe.“ „Aber ihr mögt Alex“, führte Billy weiter aus. „Ich denke ihr mögt Alex alle ziemlich gern. Nicht nur Tovey. Du hast mir mal erzählt, dass er etwas ganz Besonderes ist, schon vergessen?“ Nicht wirklich. Leider. Brian erinnerte sich noch an die Einweihungsparty der Wohnung. Damals hatte er sich völlig betrunken zu Billy gesetzt und angefangen diesem zu erzählen, dass Alexej etwas ganz Besonderes war. Alles wusste er nicht mehr, und Billy verschwieg es ihm auch hartnäckig, aber Brian war froh, dass Aron nichts gehört hatte. „Das wird schon wieder“, redete Brian sich ein und erhaschte wieder einen Blick auf Aron und den kleinen Gabriel. Sie saßen jetzt auf der Couch und Lisa und Aron unterhielten sich angeregt, während Aron das Baby auf dem Schoß hatte. Ein wirklich ruhiges Kind. Was wollte man mehr? Es saß einfach dort und bestaunte seine hübsche Mammi und seinen noch viel hübscheren … „ … Patenonkel?“ „Was? Sorry Billy, ich hab grad gar nicht … entschuldige.“ Billy lachte und beugte sich über den Tisch, um sehen zu können was Brian sah. Er lächelte selig. Dann ließ er sich auf seinen Stuhl zurückfallen und sah Brian genau in die Augen. „Hörst du jetzt zu?“ „Ich schwöre!“ „Okay … ich wollte dich, also euch … Aron und dich fragen, ob ihr Gabriels Paten werden wollt. Wisst ihr, falls Lisa und mir irgendwas passiert, möchte ich, dass er bei Leuten aufwächst, von denen ich genau weiß, dass sie ihn lieben werden. Und Aron liebt Gabby. Soviel steht fest.“ Brians Mund stand leicht offen, als er Billy entsetzt anstarrte. „Aber, aber euch passiert ja nichts!“ „Das kann man leider nie wissen. Weißt du … ich habe eine Stelle als Pilot bekommen.“ „Oh je …“ „Und ich möchte verhindern, dass Lisa so allein ist mit Gabby. Wenn ihr euch ein wenig mitkümmern könntet, dann wäre das wirklich, wirklich lieb von euch. Noch packen wir das, aber bald muss Lisa wieder arbeiten und bald werde ich irgendwo zwischen Himmel und Erde sein und niemand weiß ob das gut geht.“ Er lächelte entschuldigend, aber auch etwas flehend. „Bitte, Brian.“ „Warum wir?“ fragte Brian immer noch verwirrt. „Weil ihr emotional minimal stabiler seid als Tovey. Deshalb.“ Brian steckte Billy die Zunge raus. „Gar nicht!“ „Und ob. Außerdem wäre sonst nur noch Sonny in die nähere Auswahl gekommen.“ „Bist du verrückt?!“ Brian erhob sich von seinem Stuhl und blieb im Türrahmen zum Wohnzimmer stehen. Billy trat hinter ihn. Sie beobachteten wie Aron mit Gabriel spielte, während Lisa im Kinderzimmer verschwand. Man konnte kaum sagen wessen Augen mehr leuchteten, Arons oder Gabriels. „So werden wir also erwachsen, ja? Dadurch, dass du uns dein Kind andrehst. Wir sollen studieren, Arbeiten und ein Kind mitversorgen. Was denkst du dir eigentlich dabei?“ „Ich denke mir, dass Brian Moore ein bisschen Verantwortung gut stehen würde. Was sagst du?“ Brian schüttelte mit dem Kopf während er Aron stumm beobachtete. „Sieht das so aus, als könnte ich noch nein sagen?“ „Na komm Alex. Es ist kalt. Lass uns wieder reingehen.“ Tovey sah sich unbehaglich auf dem Dach um. Der Wind fegte ihm ständig die Haare ins Gesicht. Nachher würde er wieder völlig zerwühlt aussehen und alles Styling war umsonst. „Ich will noch nicht wieder rein“, sagte Alexej, der neben Tovey stand. Er rannte auf den Rand des Daches zu, der von einer hohen Kante abgegrenzt wurde. Tovey blieb fast das Herz stehen. „Alex!“ Doch sein Freund hörte gar nicht zu. Er kletterte auf die Kante. Tovey wurde Angst und Bange. „Komm her! Sieh dir das an!“ rief Alexej über den lauten Wind und breitete die Arme aus. Tovey setzte zitternd einen Fuß vor den anderen. Der Wind war nicht zu verachten, was wenn er Alexej einfach vom Dach fegte, wie eine Puppe. „Komm bitte runter, Alex.“ „Nein, komm rauf!“ Alexej hielt Tovey seine Hand hin. Mit einem tiefen Seufzer ergriff Tovey sie und ließ sich nach oben ziehen. Der Blick auf die Stadt war atemberaubend, aber auch Schwindel erregend. Tovey klammerte sich an Alexejs Hand. „Oh Gott“, hauchte er dem Wind entgegen, der an seinen Haaren und seiner Jacke zerrte. Alexej hörte ihn nicht. „Das wäre Freitod“, rief er und trat so nah an den Rand, dass Tovey wirklich und endgültig schlecht wurde. „Du wärest frei für wenige Sekunden. Wirklich frei.“ „Sag nicht so was. Bitte, lass uns hier verschwinden!“ „Wie viele Stockwerke hat dieses Haus? Elf? Du hättest keine Chance.“ „Alex! Hör auf von so was zu reden!“ Tovey wollte von der Kante runter, doch Alexej zog ihn unerwartet kräftig an sich ran. Eine Sekunde, eine schmerzvolle Sekunde glaubte Tovey ganz fest, dass Alexej den Aufprall nicht würde abhalten können, dass sie in die Tiefe stürzen würden. Doch es geschah nicht. Tovey fing vor lauter Angst an zu weinen. Alexejs Arme schlossen sich liebevoll um ihn, doch mit einer gewissen Distanz. Er schien den Nervenkitzel zu genießen, der Tovey fast den Verstand raubte. Verträumt starrte er hinunter auf die Stadt, Tovey fest umschlungen und so nah an der Kante, dass ein einzelner Fehltritt ihr sicherer Tod gewesen wäre. Ein sehr kräftiger Windstoß er griff sie. Tovey schrie hilflos auf. Er wusste nicht, wie er Alexej dazu bekommen sollte, dieses lebensmüde Spielchen abzubrechen. Sich körperlich zu wehren, wäre reiner Selbstmord gewesen und danach stand Tovey gerade gar nicht der Sinn. „Alex, bitte“, wimmerte er und krallte sich an seinen Freund. „Ich will wieder rein.“ Kapitel 14: You are never coming home ------------------------------------- You are never coming home Kapitel 4 continued Alexej starrte hinunter, senkrecht hinunter und spürte eine Flut von Adrenalin durch seine Adern rasen. So war es gut, so spürte er sich, spürte seinen Körper, seine Seele. Toveys zitternder Körper in seinen Armen machte ihm klar, da war noch Leben in ihm. Leben, das danach schrie freigelassen zu werden. Es wollte wieder zurück ans Licht. Die Dunkelheit des letzten Jahres, hatte an seinem Leben gezerrt, es vergewaltigt, es weggesperrt. Es war das Opfer seiner selbst. Raphaels Tod, der Umzug ins Internat, sein erstes Treffen mit Tovey… all das hatte ihn viele Nerven gekostet. Und dann die Trennung, die Prüfungen, die Rückkehr nach Moskau und die Gewissheit, dass er sich der Verantwortung für Raphaels Grab entzogen hatte. Alles war so furchtbar schief gelaufen. Und Juri hatte dafür gesorgt, Juri hatte alles zerstört und sichergestellt, dass Alexejs Seele nie wieder Frieden finden würde. „Lass und springen. Du wirst nie mehr fühlen wie sehr du lebst, als kurz bevor du stirbst.“ „Alex …“, Toveys Stimme brach in regelrechter Panik. Er weinte. Der Wind zerrte an ihrer Kleidung. „Alex … hör doch … auf … wieso…?“ Der Himmel zog sich zu, fast unnatürlich schnell. Die ersten Tropfen begannen zu fallen und mischten sich mit der salzigen Flüssigkeit auf Tovey Wangen. Ein Wolkenbruch ging auf sie nieder, der den beiden Jungen die Sicht nahm und ein Wind kam auf, dem Alexej kaum noch standhalten konnte. Eine kräftige Böe und sie würden wirklich stürzen. Tief hinab ins Nichts, bis ihre leblosen Hüllen auf grauem Alphalt zerbarsten. In dem Moment, als Alexej mit hastig klopfendem Herzen über ihr Ende sinnierte sank Tovey in seinen Armen in sich zusammen. Er hatte es zu weit getrieben. In Alexejs Armen wurde Tovey zu schwer und beide fielen zur Seite. Zurück auf das Dach. Alexej keuchte beim Aufprall. Tovey landete neben ihm, das Gesicht dem Boden zugewandt. Alexej erschrak und drehte Tovey ängstlich herum. Nasses Haar klebte in seinem Gesicht wie Algen und in das kühle Nass des Regen mischte sich etwas Rotes. Blut. „Was habt ihr denn angestellt?“ fragte Aron empört und reinigte Sanft die Wunde an Toveys Stirn. Sie war nicht lebensbedrohlich, eigentlich nur eine Hautabschürfung, aber sie blutete wie wild. „Ich weiß es nicht mehr“, sagte Tovey leise und verzog das Gesicht. Er hatte Kopfschmerzen. Sie würden ihn gleich zum Arzt fahren. Aron wollte sicher gehen, dass Tovey sich keine Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Der Filmriss, die Kopfschmerzen … das waren bedenkliche Symptome. Alexej saß neben seinem Freund und hielt dessen Hand. Auch er hatte einige Kratzer, allerdings ausschließlich an seinen Händen. So als wäre er gefallen und hatte sich dabei mit den Händen abgefangen. „Erzählt doch keine Märchen! Ihr müsst doch irgendetwas angestellt haben!“ fauchte Aron beinahe. Was waren das für wüste Geschichten? Keiner der beiden wollte sich erinnern und beide waren klitschnass gewesen, als er mit Brian von Billy zurückgekehrt war. Alexej rührte dieser kleinere Ausbruch überhaupt nicht. Er sah hinüber zu Brian, der am Fenster lehnte und den heftigen Wolkenausbruch draußen beobachtete, der zu einem enormen Gewitter geworden war. Blitze zuckten über den Himmel und schon zwei Mal hatte die Deckenbeleuchtung geflackert. Ein Grollen rollte über sie hinweg. Alexej sah, wie Brian Gänsehaut bekam. „Ich hoffe das hört bald auf“, sagte Aron und seufzte ob der Ignoranz, die ihm entgegengebracht wurde. „Bei diesem Unwetter bekommen wir Tovey bestimmt nicht lebendig ins Krankenhaus. Und wenn doch müssen wir gleich mit da bleiben.“ „Im Radio haben sie gesagt, man soll nicht mehr auf die Straße gehen, sobald es angefangen hat“, murmelte Brian und drehte sich zu seinen Freunden um. Der Ausdruck in seinen Augen war unergründlich. Alexej fand, dass er geschockt wirkte. Aron meinte Überforderung zu erkennen. Doch das war längst nicht alles. Tovey seufzte und Aron verdrehte die Augen. „Wir wissen es, es tu furchtbar weh, aber rumheulen bringt gar nichts“, meckerte Aron und verschwand mit seinem feuchten Tuch im Badezimmer. Tovey sah ihm giftig hinterher. Der alte große Streit. Wahrscheinlich würden sie niemals wirklich miteinander auskommen können. Selbst jetzt nicht, wo die Fronten geklärt waren: Brian gehörte Aron, Alexej gehörte Tovey. Ihre Feindschaft lag tiefer, als die beiden selbst es für möglich hielten. Doch Tovey hatte nicht lange Zeit darüber nachzudenken. Schon begann die Beleuchtung wieder zu flackern und erlosch dann mit einem Mal. Er hörte Brian zischend Luft einatmen und erinnerte sich belustigt daran, dass sein Freund an Gewitterphobie litt. Besonders schlimm wurde diese, wenn der Strom ausfiel. All das war jetzt der Fall. „Schon gut, Brian. Es passiert ja nichts“, sagte er laut in den Raum und lauschte auf Brians Antwort. Dabei bemerkte er kaum, wie Alexej sich neben ihm erhob. „Jaja, nichts dabei, ich komm klar“, stammelte Brian. Er trat an die Anbauwand. Tovey hörte wie er eine Schublade aufzog. Bestimmt suchte er Kerzen. Tovey wusste, dass keine Kerzen mehr da waren, nur noch einige wenige Teelichter. Das teilte er Brian auch mit. „Wir sollten einfach ins Bett gehen“, fügte er noch hinzu und lehnte sich auf der Couch zurück. „Morgen sieht die Welt wieder ganz anders aus.“ „Wenn sie morgen noch steht“, fügte Brian seltsam pessimistisch hinzu. „Wir sollten nicht hier sein“, sagte Sonny und beobachtete den Regen, der von draußen gegen die Frontscheibe knallte, ja wirklich knallte. Das war kein normaler Wolkenbruch mehr, das war ein richtiges Unwetter erster Klasse. Es war so laut im Auto, dass man sein eigenes Wort kaum verstand. „Was hast du gesagt?“ fragte Ronald Blecket laut über den donnernden Regen hinweg. „Wir sollten nicht hier sein!“ brüllte Sonny fast zurück. Bleckets Blick war konzentriert auf die Straße gerichtet. Sonny wurde übel bei den Gedanken, was ihnen hier draußen, in diesem Blechhaufen von Auto passieren könnte, doch genau genommen war kaum jemand auf den Straßen heute Nacht. „Das lass meine Sorge sein!“ konterte Blecket, ohne Sonny anzusehen, der in seinem Sitz zusammengesunken dasaß, so tief, dass der Sicherheitsgurt ihm fast im Gesicht hing. Sein Gesicht war sehr blass und die Schatten der Regentropfen, die Straßenlaternen auf sein Antlitz malten, ließen ihn irgendwie krank aussehen. Auch Blecket war das aufgefallen, doch um Sonnys Gesundheit machte er sich im Moment so viele Sorgen wie um die Waljagd in Japan, nämlich gar keine. „Wozu sind wir hier?“ fragte Sonny, als sie auf die Autobahn abbogen. Auch diese war nahezu geisterhaft verlassen und ein starker Wind zerrte an dem Blechhaufen von Auto. Blecket lenkte ständig dagegen. Bald würde es sie wegfegen. Sonny schluckte schwer. Die Übelkeit wollte nicht weniger werden. „Wir machen einen kleinen Ausflug. Und jetzt halt den Mund.“ Einen kleinen Ausflug, dachte Sonny mürrisch, sehr schön. Er wollte wissen wohin dieser angeblich Ausflug ging! Das war im Moment seine größte Sorge. Seit ungefähr einer halben Stunde waren sie unterwegs, pünktlich mit dem Beginn des Sturms hatte Blecket Sonny aus ihrer kleinen verkommenen Wohnung gezerrt und in sein Auto gesetzt. Ein Wagen, den er zum Schleuderpreis von einem schmierigen Perversen erworben hatte, der seinerzeit mit Begeisterung Ronald Bleckets privater Schulpornosammlung seinen Zuspruch gegeben hatte. Der Perverse konnte sich sogar noch an Sonny erinnern und machte ihm ein anzügliches Angebot nach dem anderen, bis Blecket damit drohte den Wagen nicht zu nehmen. Und dann das. Sonny seufzte leise und schloss die Augen. Langsam begann er sich in seiner legeren Kleidung fast wohl zu fühlen, irgendwie jung, denn jetzt, da er selbst auf die 25 zuging kam er sich alt vor. Manchmal hasste er sich selbst dafür, dass er seine Jugend mit Dingen wie Mathematik und Physik verschwendet hatte, ganz abgesehen von der Tageszeitung und dem Wirtschaftsmagazin. Heute hatte er keinen Bezug mehr zu diesen Dingen, fand sie höchstens noch abgehoben und Politiker waren so wie so das Letzte. Sicherlich hätte er mit Abitur einen guten Job, oder einen Studienplatz bekommen, aber wer wollte schon ein versnobbter Spießer werden? Er auf keinen Fall. „Was machen die anderen Jungs eigentlich? Die leben bestimmt nicht von Sozialhilfe“, setzte Blecket plötzlich an, als hätte er Sonnys Gedanken erraten. Sonny schnaubte beleidigt. „Aron studiert Kunstpädagogik. Er hat es echt drauf, das wusste ich gar nicht. Brian studiert irgendwas mit Soziologie oder son Kram, vielleicht ist es auch Psychologie. Tovey, kein Plan, der macht auch irgendwas. Englisch glaube ich, was er damit will weiß ich nicht. Und Alexej macht eigentlich gar nichts. Vielleicht geht er anschaffen.“ „Wäre nichts Neues“, murmelte Blecket und verließ die Autobahn wieder. Sonny fragte sich nun mehr denn je, was sein Freund vorhatte. Er kannte die Strecke, die Blecket eingeschlagen hatte, doch er wollte und konnte sich einfach nicht erinnern wohin sie führte. Brian entfernte sich vom Fenster. „Nicht erschrecken“, sagte er dabei laut. „Ich trampel hier rum auf der Suche nach meinem Bett. Also alles im Grünen.“ Tovey lächelte über die beruhigenden Worte. Er hatte keine Angst, es war Brian, der seine eigene überspielte. Der Regen, durch eine heftige Windbö gelenkt, prasselte laut gegen das Wohnzimmerfenster. Tovey seufzte und beobachtete die glitzernden Tropfen, die in Strömen am Fensterglas hinunter rannen. Wie auf der Flucht, auf der Flucht vor dem Sturm. „Ich hoffe der Strom ist bald wieder da“, murmelte er, unsicher, ob Brian schon weg war, oder ihn noch hörte. In seinem Kopf pochte noch immer ein dumpfer Schmerz und etwas schien hervorkommen zu wollen. Die Erinnerung. Es war, als hielte der Schmerz sie zurück. Tovey schloss die Augen. Was war passiert? Wie eine Welle überkam ihn die Antwort, ein Stich aus Angst, nein aus purer Panik erfüllte seinen ganzen Körper. Er schluchzte leise auf. „Alex?“ Keine Antwort. Und erst jetzt wurde ihm klar, dass er ganz allein war in diesem Raum. Allein mit seinen Gedanken. Allein im Dunklen. Und plötzlich konnte er auch Brians Angst verstehen. Er sollte sein Bett suchen. Dort würde er vielleicht auch Alexej wieder finden. Eine weitere halbe Stunde später wurde Sonny plötzlich klar, wohin die Reise ging und es ließ ihn kerzengerade im Beifahrersitz hochfahren. „Was hast du vor?“ fragte er eine Spur panisch. Blecket lächelte undurchdringlich. „Alte Freunde besuchen“, sagte er und lachte dabei fast. Sonny wollte nicht wissen, was das zu bedeuten hatte, aber andererseits wollte er auch nicht weiterhin den dummen Jungen spielen. „Ronald, was hast du vor? Halt sofort an!“ „Ich denke gar nicht dran!“ Sonny sah sich panisch um. „Was willst du bei der verdammten Schule? Was gibt es denn da noch für dich?“ Eine Weile lang war nur das Prasseln des Regens zu hören und Sonny dachte gerade, dass er wieder keine Antwort bekommen würde, als Blecket etwas weiter ausholte. „Als deine kleinen Freunde mich damals in den Knast gebracht haben, da habe ich das Schulgebäude verkauft. Ich wollte damit sichergehen, dass niemand es wagen würde die Schule zu schließen. Damit wären mir alle viel zu leicht entkommen. Diese Schule soll nicht friedlich dahinvegetieren, Sonny, sie soll mit einem Knall untergehen und dafür werde ich sorgen. Ich habe sie also verkauft, an diesen Spinner, seinen Namen habe ich vergessen. Und wie du vielleicht weißt, gibt es dort jetzt eine nette Homophile Schule mit lauter kleinen Lesben und Schwulen. Süß, nicht wahr? So habe ich mir das wirklich nicht gedacht, Sonny und das weißt du. Jetzt werde ich dafür sorgen, dass dieses Haus, das mir gehört hat, von mir aufgebaut wurde, auch von mir zerstört wird. Und diese Zweckentfremder gleich mit ihm.“ Sonny sah seinen Freund mit großen Augen an. „Das heißt?“ fragte er verunsichert. „Was soll das schon heißen?! Wo hast du deinen Verstand gelassen? Ich sprenge es!“ brüllte Blecket fast und machte einen unangenehmen Schlenker mit dem Auto dabei. Sonny zitterte. „Warum nimmst du mich dazu mit?“ fragte er so leise, dass man ihn kaum noch verstand, doch Blecket erriet die Frage praktisch. „Du musst mir helfen, Sonny“, sagte er eine Spur ruhiger. „Allein schaffe ich es nicht.“ „Aber das ist …“ fiel Sonny ihm ins Wort, hielt sich dann aber zurück. „Willst du mir helfen, oder lässt du mich im Stich?“ Blecket warf einen zornigen Blick in den Rückspiegel. Noch eine Viertel Stunde und sie waren da. „Du hast mir versprochen mir beizustehen, weißt du noch? Du wolltest alles für mich tun.“ „Ja …“, gab Sonny zu und senkte den Blick. Kapitel 15: Close your eyes and think of me ------------------------------------------- Kapitel 5 Close your eyes and think of me Blecket fuhr das alte klapprige Auto auf den Schulhof, als hätte er nicht die letzten 2 Jahre im Knast verbracht. Er parkte auf einem Lehrerparkplatz, als hätte er nie Schüler vergewaltigt. Er machte den Motor aus, als hätte er es nicht darauf abgesehen hier erst wieder zu verschwinden, wenn alles in Schutt und Asche lag. Der Sturm tobte noch immer. Ob jemand sie gesehen hatte? Sonny blickte aus dem nassen Fenster und nahm verschwommen die altbekannte Häuserfront wahr. Das Internat. Hier hatte er lange Zeit gelebt, drei Jahre um genau zu sein. „So, pass auf Kleiner“, sagte Blecket und nahm Sonny das erste Mal seit Tagen direkt ins Visier. „Du bekommst gleich von mir einen kleinen schwarzen Kasten.“ Sonny nickte verunsichert. Lass mal nicht den Lehrer raushängen, Oppa! „Damit gehst du dann rein. Ins Internat. Du wirst in die 120 gehen, kapiert? Und da wirst du die Bombe anbringen, irgendwo, es ist egal. Wenn dir jemand begegnet, dann hau zu, oder denk dir was aus. Wenn das getan ist, dann öffnest du den Kasten und … verschwindest, okay? Alles ganz einfach.“ Sonny nickte wieder. Das dürfte ja nicht schwer sein. Fehlte nur noch der schwarze Kasten. Sonny konnte Bleckets Blick nicht standhalten. Er hatte ein ungutes Gefühl, wollte aber nicht mehr widersprechen. Dieses Gebäude wieder zu betreten, in dem er gnadenlos gescheitert war, verursache eine Angst in ihm, die er noch nie gespürt hatte. War es Reue? Er hätte es schaffen können, damals … und ohne Ronald Blecket. Sonny seufzte und starrte wieder hinaus in den Sturm. Seine Vergangenheit griff zu wie eine eisige Klaue. „Sonny?“ Ronalds Stimme riss ihn aus seinem Elend. Zumindest ein Stück. Er sah den Mann an, dem er all das zu verdanken hatte. Ihm wurde wieder klar, warum er sich das antat. Er liebte Ronald Blecket, doch er wusste nicht warum. Blecket fasste ihm unters Kinn. Sonny schluckte. „Du wirst jetzt nicht heulen, Kleiner. Du gehst jetzt für mich da rein, okay? Ich werde mir das Schulgebäude und die Sporthalle vornehmen. Enttäusch mich nicht.“ Damit zog er Sonny zu sich ran und küsste ihn kurz auf den Mund. Sonny schluckte noch einmal schwer, als Blecket ausstieg um Sonny den besagten Kasten aus dem Kofferraum zu holen. Dann löste auch er seinen Sicherheitsgurt und stieß heftig die Tür auf, wie um seine Schmerzen und die Erinnerungen noch vor sich selbst herauszubefördern. Regen wurde ihm ins Gesicht getrieben, als er ausstieg und die Tür hinter sich zufallen ließ. Seine dünne Jacke durchweichte fast augenblicklich. Er trat hinter Ronald Blecket, der am offenen Kofferraum stand und darin herumwühlte. „Hier!“ rief er schließlich über den Sturm. „Das Ding nimmst du und gehst rein damit. Mach es erst oben auf, klar? Auf keinen Fall früher!“ „Okay!“ brüllte Sonny zurück und nahm den Kasten an. Er war relativ schwer. Sonny nahm ihn in die Arme und rannte in Richtung Eingang. Blecket blickte ihm nach. Kurz vor der Tür, hielt Sonny noch einmal inne und drehte sich um. Er hob den linken Arm und streckte den Daumen aus. Alles klar, sollte die Geste heißen und Blecket erwiderte sie. Er schlug die Kofferraumklappe zu und hechtete zurück ins trockene Innere des Autos. Der Motor heulte auf, als er ihn anließ und mit ratterndem Rückwärtsgang aus der Lücke stieß. Als er das Gaspedal zur Flucht durchtrat heulte der Motor ein letztes Mal auf. Dann war Ronald Blecket verschwunden. Sonny trat ins Internat und atmete durch. Alles war dunkel, doch er würde sich orientieren können. Da war er sich sicher. Es würde sich nichts verändert haben. Fast lautlos schlich er die erste Treppe hoch, immer auf Schritte anderer lauschend, doch alle schienen bereits in ihren Betten zu schlummern. Auch die zweite Treppe schaffte er ohne gestört zu werden und dann hielt er sich rechts. Hier im Gang war es so dunkel, dass Sonny sich nicht sicher sein konnte, die richtige Tür zu erwischen. Deshalb zog er ein altes Handy aus seiner Hosentasche. Das Display leuchtete auf. Im spärlichen gelben Licht sah Sonny sich um. Die Kiste in seinen Armen wog schwer. Er trat näher an die Türen heran, so dass er im Licht des Handys ihre Nummern erkennen konnte. 118, 119, 120 … Sonny blieb stehen und ließ das Handydisplay schwarz werden, bevor er vor die entsprechenden Tür trat. Seine Hand fuhr nach vorn um die Klinke zu packen, doch sein Griff wurde plötzlich ganz sanft. Drei Jahre seines Lebens. Er spürte eine Träne seine Wange hinunterfließen, gefolgt von unbändiger Wut. Aus dir hätte etwas werden können. Politiker oder Mathematikprofessor in Havard. Hast du daran mal gedacht? Man hätte sich vor dir im Staub gewälzt. Du wärest ein Mann zum anbeten geworden und kein Kleinkrimineller, der Babys und Ex-Freunde entführt, oder Bomben in Schulen montiert. Sonny schloss fest die Augen. Die Klinke unter seinen Fingern war kalt gewesen, als er sie berührt hatte, jetzt glühte sie fast unter seiner schweißnassen Hand. Er wollte wenigstens Ronald glücklich machen. Wenn das eben nur so ging, dann sollte es doch! Leise öffnete er die Tür und spähte hinein. Die Vorhänge waren nicht zugezogen, doch dunkel war es trotzdem. Sonny trat ein. Er hörte sie Schlafgeräusche zweier Personen in dem Zimmer. Er durfte sie nicht wecken, musste möglichst vorsichtig sein. Die Bombe deponieren, den Deckel öffnen und dann nichts wie weg! Er durchquerte das Zimmer und mied dabei eine Diele, von der er wusste, dass sie knarren würde. Mit einem siegessicheren Lächeln trat er auf seinen alten Schreibtisch zu. Er war gefüllt mit Schulbüchern über Kunst. Sonny verzog das Gesicht und kniete sich nieder. Erstaunlich wie gut sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten. Er setzte den Kasten unter dem Schreibtisch ab. Ronald würde stolz auf ihn sein. Einen Moment zögerte Sonny noch und horchte aufmerksam auf die Schlafgeräusche der fremden Personen im Zimmer. Sie schienen weit weg zu sein, weit weg im Land der Träume. Sie würden nie wieder aufwachen. Der Gedanke machte Sonny eine Gänsehaut, doch er grinste weiterhin. Ronald und er würden sich absetzen, das war bestimmt der Plan. Sie würden mit Ronalds letztem Geld abhauen, nach Mallorca oder Ibiza, sich dort ein Haus am Strand kaufen, für sich ganz allein. Keine Sorgen mehr. Ronalds letztes Geld war nicht gerade ein Notgroschen. Mit den illegalen Pornos hatte er einiges eingenommen. Sonny legte die Hände auf die schwarze Kiste. Jetzt nur noch öffnen, dann war die Arbeit getan und er musste einfach nur noch verschwinden. Sonny griff nach dem aufklappbaren Deckel und zog ihn langsam hoch. Das Letzte, was er in seinem versauten Leben hörte war ein lauter Knall. Das Letzte, was er fühlte Schmerzen. Doch sie waren nur kurz, sie hielten nicht lang an. Als die ersten Überlebenden erwachten war Sonny längst tot. Aron streckte sich gähnend als er aus dem Schlafzimmer trat. Die anderen Jungs schienen noch zu schlafen, denn kein einziges Geräusch war in der ganzen Wohnung zu vernehmen. Leise huschte Aron in die Küche. Er machte sich eine Schüssel Müsli und verkrümelte sich damit ins Wohnzimmer. Die Uhr zeigte kurz vor 10. Aron schnappte sich die Fernbedienung und schaltete den Fernseher an. Gerade in diesem Moment ertönte die Erkennungsmelodie der Nachrichten. Aron schaufelte ein paar Löffel des Müslis in sich hinein und lausche nebenbei dem Nachrichtensprecher. „Im Bundestag läuft noch immer eine heftige Debatte über …“ Blah blah blah, wen interessiert es denn? „Erneute Streiks der Post haben dazu geführt …“ Ich streike auch gleich! „Ein Drama ereignete sich in der Nacht in …“ Aron seufzte. Drama, nachts, bestimmt wieder irgend so ein Widerling der sein Kind umgebracht hatte. Er hasste diese Nachrichten. Sie zerrten an seinen Nerven, denn er liebte Kinder. „ … niemand bemerkte wie der Junge unerlaubt in die Schule eindrang, die schon vor ein paar Jahren in den Schlagzeilen war, weil der ehemalige Schulleiter Ronald B. dort Schüler sexuell missbraucht hatte.“ Arons Herz setzte einen Schlag aus. Sein Blick klebte an der Mattscheibe, über die ein Überwachungsvideo flimmerte. Ein Junge war darauf zu sehen, wie er sich umdrehte. Man erkannte sein Gesicht kaum. Er streckte den Arm aus und reckte den Daumen in die Höhe. Die Müslischüssel fiel mit einem lauten Knall zu Boden. Milch verteilte sich über den Boden. Aron zitterte. Der Junge auf dem Bildschirm lächelte, hatte etwas Dunkles in den Armen. Sein Gesicht verschwand. „Bei der Explosion gab es nach ungefähren Schätzungen 140 Tote. Weitere Schüler sind schwer verletzt …“ Es folgten Bilder eines großen Brandes. Feuerwehr war vor Ort und versuchte zu löschen. Man blendete entsetzte Gesichter ein. Schüler, die es überlebt hatten, die sich weinend in den Armen lagen. Einige erkannte Aron wieder. Sie mussten jetzt im Abschlussjahrgang sein. Doch er erkannte ihre Gesichter. Das war kein fernes Unglück. Es war real. Wieder blendete man den Jungen ein, der unmissverständlich Sonny war. „Die Polizei bittet um Hinweise. Der Täter konnte bisher nicht identifiziert werden. Sollten Sie ihn kennen, melden sie sich bitte umgehend bei der Polizei. Jeder Hinweis ist wichtig.“ Damit endete der Bericht. Aron stand zitternd auf, kaum fähig sich auf den Beinen zu halten. Er kam bis zum Telefon im Flur und hob es ab. Sein Name war Sonny, Sonny Iero. Er war mein Freund. Wir waren zusammen, doch dann ging alles kaputt. Er kann doch nichts dafür… Das Telefon klingelte hektisch. Zumindest kam es ihnen so vor. Mit entsetzten Gesichtern hockten Brian und Tovey vor dem Fernseher. Alexej betrachtete das aus sicherer Entfernung. „Er ist tot“, flüsterte Tovey, als wollte er es einfach nicht begreifen. „Wem hat er den Daumen gezeigt? Wer hat ihn da reingeschickt?“ Das Telefon klingelte immer noch. Aron war es, der sie gnädigerweise von dem Gebimmel erlöste. Mit einem schwachen „Ja“ nahm er ab. Kurz lauschte er der Stimme am anderen Ende, dann aktivierte er die Lautsprecherfunktion. Als Brian und Tovey die Stimme hörten, wandten sie sich vom Fernseher ab. „Habt ihr das … ich meine … die Schule … Sonny“, Billys Stimme klang so verzweifelt wie sie sich fühlten. „Das kann doch nicht …“ Im Hintergrund hörte man Gabriel weinen. Auch Aron standen Tränen in den Augen. Nur Alexej wirkte überhaupt gefasst. „Hat jemand von euch die Polizei angerufen?“ „Ja“, sagte Aron mit belegter Stimme. „Ich hab es heute Morgen … als erster gesehen und sofort angerufen. Sie glauben er hatte einen Komplizen, doch es gibt keine Spur von ihm. Keine heiße zumindest. Nur ein paar Reifenspuren, die verwischt sind durch die Aufregung und den Regen.“ „So eine Scheiße!“ fluchte Billy. „Er … er war ja nun nicht gerade … ich meine … er war mal unser bester Freund. Das will mir nicht in den Kopf.“ „Komm schon Brian. Einer geht noch!“ Brian schüttelte träge den Kopf, den er auf den Tresen vor sich gebettet hatte. All der Alkohol tat ihm absolut nicht gut. Er setzte Sorgen und Ängste frei, die Brian sonst erfolgreich unterdrückt hatte. Alexej zog ihn an der Schulter hoch. „Brian, mach nicht schlapp!“ Musik dröhnte in seine Ohren, lauter schäbiger Kommerztechno. Ihm wollten die Gehörgänge bluten. „Man ey, Alex … hau ma rein, wie wäre denn das? Du stirbst und keiner kommt.“ Alexej stellte einen Tequila vor Brian ab. „Du bist ja nicht gestorben, also denk nicht dran. Es war nur Sonny, okay? Man kein Weltuntergang. Der hatte sein Leben eh nicht im Griff.“ Brian beäugte den Tequila und dann Alexej. Ohne weiter nachzudenken griff er nach dem Glas und stürzte das Zeug pur hinunter. Salz und Zitrone ließ er unberührt. „Das ist nicht besonders fair von dir“, Brian hatte das Gefühl, dass er mächtig lallte, doch viel schlimmer war, das die ganze Welt um ihn herum gefährlich schwankte und der Barhocker war ziemlich hoch. „Wieso, es stimmt doch nur …“ „Ne, ne, ne, halt mal den Ball flach. Sonny war 2 Jahre lang ein richtig guter Freund.“ „Und weitere zwei Jahre lang habt ihr ihn nicht mit dem Arsch angeschaut und außerdem hat er Aron entführt und wollte dich umbringen. Weißt du noch?“ Brian knurrte etwas Unverständliches und bestellte noch einen Tequila. Trotzdem. Da war jemand gestorben. Jemand, der sehr real gewesen war. „Es hat ihn zerfetzt“, legte Brian nach. „Zerfetzt, klar? Sie haben nur noch Stückchen von ihm gefunden. Es hat Sonny zerfetzt, man! Das hat selbst er nicht verdient!“ „Hör auf dran zu denken“, antwortete Alexej und kippte ebenfalls einen neuen Drink herunter. „Du hast echt deine eigenen Probleme.“ „Ja und das gehört dazu!“ „Unsinn!“ „Lass uns gehen.“ Brian rutschte von seinem Hocker. Die Welt machte einen Ruck und Alexej hielt ihn fest, damit er nicht umkippte. „Wir sollten lieber hier bleiben. Ohne Scheiß, so bekomm ich dich nicht nach Hause. Musst du kotzen?“ Alexejs Stimme war mindestens genauso alkoholgetränkt wie Brians. „Vielleicht“, gab Brian zu. „Dann sollten wir das Klo suchen. Ich kotze nämlich gleich. Versprochen.“ Brian gab einen Protestlaut von sich, der im schlechten Technogedröhne unterging. Sie bahnten sich unsicher und alle paar Meter stolpernd ihren Weg zu den Klos, die dreckig waren und voller Junkies. Auch hier hörte man den stampfenden Beat noch klar und deutlich, aber man brauchte sich nicht mehr anzubrüllen. „Meinst du es ist okay, dass wir Tovey und Aron alleingelassen haben?“ fragte Brian benommen und ließ sich von Alexej in eine Toilettenkabine zerren. „Die sind alt genug“, brummte Alexej und schloss hinter ihnen ab. „Bitte, du darfst zuerst“, bot Brian an und lehnte sich an die mit Edding beschriebene Kabinentür. Alexej machte eine wegwerfende Handbewegung und zog eine zerknautschte Schachtel Zigaretten aus seiner Jackentasche. Die Verpackung war blau, doch als Alexej sie öffnete kamen rosa Kippen zum Vorschein. Sie rochen leicht nach Vanille. Alexej zog vorsichtig eine raus und zündete sie an. Brian beobachtete ihn etwas irritiert dabei. Für einen Moment hatte er Angst Alexej würde seine Haare in Brand setzten, aber es geschah nicht. Die Zigarette begann zu qualmen. Der Geruch von Vanille wurde gedämpft. „Was tust du da?“ fragte Brian und ließ sich auf dem geschlossenen Klo nieder. „Rauchen, wonach sieht es denn aus?“ fragte Alexej dagegen. „Du rauchst doch gar nicht“, stellte Brian fest und wischte sich mit beiden Händen über sein Gesicht. Ihm war schlecht und der Schwindel wollte nicht aufhören. Hätte er nur den letzten Tequila einfach stehen lassen. Alexej lachte leise und hielt Brian die Zigarette hin. Brian nahm sie ihm ab und inhalierte den Rauch tief. Der Schwindel wuchs. „Nicht schlecht“, meinte er und musste unwillkürlich an damals denken, an einen Jungen namens Elya. Er war der einzige Raucher der ganzen Schule gewesen, mit dem Brian etwas zu tun gehabt hatte. Wenn es ihm wirklich schlecht ging, hatte er sich immer von Elya eine Zigarette geschnorrt. Und er hatte oft mit ihm geschlafen. Trotzdem war Elya nie jemand gewesen, mit dem Brian viel zu tun haben wollte. Alexej nahm die Zigarette zurück und zog wieder daran. Er grinste in sich hinein und Brian fragte sich unwillkürlich, was er wohl dachte. „Was machen wir hier?“ Alexej grinste immer noch. „Was glaubst du denn?“ fragte er wieder dagegen. Seine Augen glitzerten. Ein Ausdruck, den Brian noch nie an ihm gesehen hatte, den er aber nicht ernst nahm. Das lag alles am Alkohol. „Ich glaube, dass wir in einer schäbigen Toilettenkabine sitzen, in einem komischen Techno Schuppen, umzingelt von lauter komischen Leuten und dass uns das nicht wirklich weiterhilft.“ Alexej lächelte immer noch. Er hatte sich vor Brian aufgebaut. Brian sah blinzelnd zu ihm auf. Hinter Alexejs Kopf war die einzige Lampe im ganzen Raum und so konnte er das Gesicht des jungen Russen nicht mehr ausmachen. Die Zigarette baumelte leblos zwischen Alexejs Fingern, er schien sie kaum noch festzuhalten, sie fiel zu Boden. Brian beobachtete ihren Fall wie in Zeitlupe. Sie drehte sich einmal, bevor sie in eine kleine Wasserpfütze fiel und zischend verlosch. Eine pinke Kippe am Boden einer Toilette. Brian grinste jetzt auch. Eine pinke Kippe am nassen Boden eines Klos, tiefer konnte man wohl nicht sinken. Er hob wieder den Kopf um Alexej anzusehen. „Tovey kommt nicht von dir los“, sagte Alexej und Brian fiel auf, dass sein Akzent wieder durchkam. Auch das musste am Alkohol liegen. „Quatsch“, meinte er und schirmte die Augen vor dem Licht ab. Seine Pupillen waren ganz klein geworden. „Er ist doch heiß auf dich. Und das schon sehr lange.“ „Ich bin nur die zweite Wahl“, stellte Alexej klar und warf seine Haare nach hinten, die ihm ins Gesicht gefallen waren. „In Wahrheit bist du alles was er je wollte. Ich sehe es in seinen Augen. Er will nur dich, aber er bekommt dich nicht. Das tut mir weh, denn ich liebe ihn.“ Brian nickte, unsicher wo das hinführen sollte. Er erinnerte sich an damals, als Blecket versucht hatte ihn umzubringen. Oder war es Sonny gewesen? Vielleicht spielte das keine Rolle. Er erinnerte sich, wie Tovey ihn völlig durchgefroren und halb tot gefunden hatte. Tovey sein bester Freund, nachdem Aron verschwunden war. Brian senkte den Blick wieder auf die Kippe. Tovey hatte seine Situation ausgenutzt, hatte sich Brian geholt und dafür Alexej verloren. Er hatte sich selbst im Weg gestanden. Brian bemerkte gar nicht, wie Alexej ihn musterte. Er merkte gar nicht mehr, dass immer noch schlechter Techno von den Fliesen widerhallte. Erst als Alexejs Jacke auf die Fliesen fiel und der Ärmel Kippe sowie Pfütze bedeckte sah er wieder hoch. „Ich wollte wissen, was an dir ist, was ich ihm nicht geben kann.“ Brian machte große Augen. Eine Welle aus Angst überschwemmte ihn. Er sollte nicht hier sein, nicht in dieser Kabine, nicht mit Alexej. Er sollte zu Hause bei Aron sein und … Alexejs T-Shirt gesellte sich zu Bruder Jacke am Boden. Unwillkürlich verfolgten Brians Augen den Fall. Sein Herz begann in der Brust zu hämmern. Er war nicht jemand, der gern etwas anbrennen ließ. Es war nicht seine Art Jungen vom Schlage Alexejs einfach stehen zu lassen. Was er kriegen konnte nahm er mit. Doch das hier war ein Problem. Alexej war nicht irgendwer. Alexej war … nun ja eben Alexej. „Alex … hey ehrlich, was wird das? Ich weiß nicht was du von mir willst.“ Alexej lachte. Er klang ehrlich belustigt, aber auch irgendwie ungesund. Brian musste an seinen Traum denken. Wie Alexej nach der Waffe gegriffen hatte, um sie an die Schläfe zu führen und abzudrücken. Wo kamen die ganzen Erinnerungen her? Er war überfordert, ganz eindeutig und der Alkohol … „Das ist doch klar.“ Alexejs Gürtelschnalle klapperte laut, als sie auf die Fliesen schlug. Brian schloss die Augen. Doch auch vor diesem schwarzen Hintergrund tanzte die Gürtelschnalle auf und ab. Es waren zwei Würfel. Beide zeigten jeweils sechs schwarze Punkte. Brian wusste, dass Alexej jetzt nackt war. Dazu brachte er nicht hinsehen. „Komm Brian. Zeig mir, wie berüchtigt du wirklich bist. Du konntest jeden haben nicht wahr? Sie sind schließlich zu dir gekommen. Ich will wissen wie das ist. Ich will wissen, ob es sich lohnt. Du bist hübsch, aber das kann nicht alles sein.“ „Zieh dich an“, bat Brian und hielt weiterhin die Augen fest geschlossen. In seiner Kleidung war ihm viel zu warm. „Ich werde es dir nicht zeigen. Allein wegen Aron nicht.“ „Aron ist nicht hier. Aron braucht nichts davon zu erfahren.“ Alexejs Fingerspitzen glitten über Brians weiches, schwarzes Haar. „Sieh mich an.“ Es war wie verhext. Brian öffnete die Augen und sah Alexej an, versuchte sein Gesicht zu fixieren, doch da war immer noch diese verdammte Lampe. Er konnte nur Alexejs Körper sehen. Ein kleiner Stricher. Ein kleiner Stricher aus Moskau. Pass auf, nachher will er Geld von dir. Brian lächelte. Eigentlich … eigentlich wäre es eine Schande jetzt nein zu sagen. Eigentlich konnte er sich das nicht entgehen lassen. Es interessierte ihn viel zu sehr, was Alexej eigentlich so drauf hatte. Niemand braucht es zu wissen. Er winkte Alexej zu sich hinunter um ihn endlich ansehen zu können. So war es schon besser. „Dann zeig mal was du gelernt hast.“ Alexejs Gesicht näherte sich seinem und zu dem betrunkenen Schwindel mischte sich ein ganz anderer. Ein Taumel der Lust, den Brian lange nicht mehr gespürt hatte. Das Fremde lockte ihn. In welcher Gestalt es kam konnte er nicht mehr beeinflussen. Er strich über Alexejs nackte Haut und vergaß einfach alles andere. Brian hatte sich oft ausgemalt, wie es wohl wäre, mit ihm, mit Alexej. Natürlich hatte er nie darüber geredet. Außer einmal. Einmal mit Billy, als er gesagt hatte, Alexej sei etwas ganz Besonderes. Als Alexej seine Lippen auf Brians presste, während seine Hände Brians Hose erkundeten, schoss Brian ein neuer Gedanke durch den Kopf. Jetzt ist Sonny der Einzige, den ich niemals bekommen werde. Billy hatte er gehabt. Irgendwann einmal. Vor langer, langer Zeit. Für Alexej war er nur ein neuer Kick, der ihn am Leben hielt. Kapitel 16: Everything goes according to plan --------------------------------------------- Everything goes according to plan Kapitel 5 continued Es war ungefähr um zwölf, als Brian zum Frühstück kroch. Aron, der mit Tovey allein gefrühstückt hatte wusch das letzte Geschirr ab, während Brian gähnend und mit einem Kater, wie er noch keinen gehabt hatte, im Kühlschrank nach Essbarem suchte. „Ich weiß“, meldete sich Aron von der Spüle her. Er hatte die Ärmel hochgekrempelt, damit sie nicht nass wurden. „Ich muss wieder einkaufen. Der Kühlschrank ist fast leer.“ „Überschaubar, ja“, murmelte Brian und nahm eine Packung Milch heraus. „Haben wir Aspirin?“ Aron hielt einen Moment inne, einen nassen Teller in der Hand. „Nein“, sagte er schließlich. „Die letzten hat Tovey verbraucht.“ Brian ließ sich am Tisch nieder und legte die Stirn auf die Milchpackung. Sie war kühl, immerhin das. Wenn sie schon keine Schmerzmittel mehr dahatten. „Du solltest kein Aspirin auf den ganzen Alkohol nehmen. Das könnte alles noch schlimmer machen“, bemerkte Aron und begann mit dem Abtrocknen. Brian sah ihn von der Seite an. „Ja, Mama“, versetzte er dann und widmete sich wieder der kühlen Packung Milch. Keine Sekunde später plärrte das Telefon los und Brian wurde schmerzhaft bewusst, wie eintönig sein Leben sich gerade gestaltete. Sein Freund benahm sich wie eine fleißige kleine Hausfrau, während sein Chef anrief und ihn zur Arbeit orderte. Brian stand stöhnend auf. Im Flur griff er fast daneben, als er den Hörer abheben wollte. „Ja?“ hauchte er fast ins Telefon. Er war heiser. Bestimmt vom Rauchen und dem ganzen Gebrülle über die schlechte Musik hinweg. „Brian, sind Sie das?“ „Ja …“, Brian verdrehte die Augen. Es war wirklich sein Chef. „Ich brauche Sie in der Bar. In etwa zwei Stunden. Geht das in Ordnung?“ Brian kniff die Augen zusammen. Er schwankte. Nein, das ging gar nicht in Ordnung, aber das war nicht die Frage gewesen. „Ja, ich bin dann da“, sagte er zu, obwohl er sich eher fühlte, als wäre die Toilette heute sein bester Freund. „Ich hoffe ich kann mich auf Sie verlassen.“ „Wie immer, natürlich.“ Brian legte auf. Er seufzte innig und schleppte sich zurück in die Küche. Seine schöne kühle Milchpackung hatte ihren Weg bereits zurück in den Kühlschrank gefunden. Dafür stand dort eine Tasse heißen Kaffees. Brian warf Aron einen dankbaren Blick zu. „Wo ist Tovey eigentlich?“ fragte er und nippe vorsichtig an der Tasse. „Vorlesung“, sagte Aron etwas zu genüsslich und lächelte, als Brian laut fluchte. „Scheiße, verdammt. Das hab ich ganz vergessen.“ „Ich weiß“, sagte Aron ruhig. „Ich hab angerufen und dich krank gemeldet.“ „Wozu?“ Brian wusste, dass es eigentlich niemanden interessierte, ob er da war oder nicht. „Nur für dein Image. Streber“, Aron grinste immer noch und Brian starrte beleidigt in seine Kaffeetasse. Von wegen Streber. Er hatte einfach nur das perfekte Fach für sich gewählt. „Dein Professor scheint dich zu lieben. Ich soll gute Besserung wünschen.“ Brian streckte ihm die Zunge raus. „Was ist eigentlich mit dir? Wieso bist du nicht in der Uni, am Montagmorgen?“ „Mein Prof ist krank“, erklärte Aron und setzte sich mit einer zweiten Tasse Kaffee Brian gegenüber. „Ich habe Hausaufgaben bekommen. Und ich werde mich gleich im Wohnzimmer verschanzen und die machen. Du solltest zusehen, dass du duschen gehst und dann ab zur Arbeit. Das Geld verdient sich ja nicht von allein.“ Brian brummte etwas Unverständliches. Spießer. Sein Kopfschmerz nahm sein gesamtes Denken so sehr ein, dass er gar nicht bemerkte, wie Alexej die Küche betrat und ebenfalls sein Glück am Kühlschrank versuchte. „Du bist dran mit einkaufen“, erinnerte Aron ihn sofort. An ihm war wirklich ein Haushälter verloren gegangen. Alexej antwortete nicht. Er schnappte sich Brians geliebte Milchpackung und trank sie leer. Aron beobachtete ihn dabei wartend. Die leere Milchpackung feuerte Alexej achtlos in den Mülleimer und setzte sich schwungvoll neben Aron. „Kein Problem“, sagte er dann endlich und erst jetzt bemerkte Brian ihn. „Was habt ihr eigentlich getrieben letzte Nacht?“ fragte Aron beiläufig. „Ihr ward wirklich spät zu hause.“ „Verzeih Mami“, sagte Alexej trocken und sah Aron ganz offen und mit einem irgendwie komischen Lächeln an. „Was ist denn?“ fragte Aron und wusste nicht, ob er belustigt sein sollte. Brian spürte seinen Magen rebellieren und schob den Kaffee weg. „Es war sehr schön gestern Nacht, nicht wahr Brian?“ Brian wurde erst rot und dann blass. Aron bemerkte das und auch ihm wurde irgendwie ungut zumute. „Was habt ihr denn gemacht?“ fragte Aron, obwohl er es nicht wirklich wissen wollte. Jetzt nicht mehr. Brians Blick war starr auf Alexej geheftet, der ihn gar nicht beachtete. Er sagte etwas wie: Was tust du da?! „Tjaaa“, sagte Alexej gedehnt. Er warf Brian einen verächtlichen Blick zu, jedoch ohne aufzuhören zu lächeln. Er winkte Aron mit einem Finger an sich heran und mit einem entsetzten Blick auf Brian beugte sich Aron zu ihm vor. Er roch nach Zigaretten und Deo. Fast genauso wie Brian. Alexej führte seine Lippen an Arons Ohr und sagte drei Worte, nur ganz leise, aber die Stille in der Küche war so bleiern, dass Brian sie hörte. „Wir haben gefickt!“ Schneller, als Aron reagieren konnte, drückte Alexej ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen und schwang sich von seinem Stuhl hoch. Brian bewegte stumm die Lippen, als wolle er nein sagen, doch es kaum nichts dabei heraus. Er wollte nach Arons Hand auf der Tischplatte greifen, doch dieser zog sie hastig weg. „Aron … ich …“ Doch Aron hörte gar nicht zu, er starrte nur in seinen Kaffee und reagierte gar nicht. Er wurde ganz still, zu still. Brians Magen machte einen Salto nach dem anderen. Er würde sich übergeben, aber er konnte doch nicht Aron hier allein lassen. Brian hatte keine Chance. Entweder er kotzte die ganze Küche voll, oder er schaffte es noch bis zum Klo. Sein Stuhl fiel hinter ihm klappernd auf den Boden. Er schaffte es, wenn auch knapp. Er übergab sich, bis nichts mehr übrig war. Kaffee, Alkohol und Sperma. „Es war nicht seine Schuld“, sagte Alexej und betrachtete Aron dabei fast mitleidig. Im Badezimmer hörte man Brian kotzen, ein Geräusch, das den stärksten Magen rebellieren ließ. Aron reagierte nicht darauf. „Ich wollte ihn einfach. Der Rest war mir egal.“ „Halt die Klappe, Alex“, sagte Aron ruhig, doch Alexej sah Tränen seine Wangen herunter laufen. Gruselige Sache. Und auch irgendwie faszinierend. „Er war wirklich gut. Das hätte ich nicht gedacht. Meistens ist es ja so, dass alles nur ein riesiges Gerücht ist, aber in dem Fall bin ich …“ „Halt verdammt noch mal die Klappe!!“ Alexej biss sich auf die Unterlippe und fixierte Aron, der jetzt auf den Füßen stand. Reichte das? Oder ging da noch mehr? Einen Moment überlegte er noch, dann beschloss er, dass es nicht reichte. „Er kann besser blasen als jeder scheiß Stricher in Moskau …“ Jetzt reichte es. Alexej sah es daran, wie Aron wieder auf seinem Stuhl zusammensackte, als könnten ihn seine Beine nicht mehr tragen. Alexej zitterte, versuchte das aber zu unterdrücken. „Ich hasse dich.“ Gut so … Das Zittern wurde übermächtig. Selbst wenn er gewollt hätte, er konnte nicht. Aron war ihm mehr ans Herz gewachsen, als er gedacht hatte. Mit einem Stich im Herzen erinnerte er sich an die Szene am Flughafen, als Tovey ihn seine letzten Nerven gekostet hatte. Aron war damals sein einziger Trost gewesen. Möglichst ruhig wandte Alexej sich ab und verschwand in seinem Zimmer. Er hoffte, dass er zwischen Aron und Brian nichts zu viel kaputt gemacht hatte. Noch vor wenigen Minuten war er sich sicher gewesen, dass diese Beziehung niemals scheitern würde, egal wie sehr man es versuchte. Jetzt hatte er Angst zu weit gegangen zu sein. Der Knoten in seiner Kehle wurde zu fest. Er kniff die Augen zusammen um die Tränen zu verbannen. Trotzdem fanden einige ihren Weg über seine Wangen. Kurz vor dem Ende durfte er nicht weich werden. Nur noch ein Schritt und es war geschafft. Er lächelte in die Einsamkeit des Schlafzimmers. Kapitel 17: Hold my head and ease my pain ----------------------------------------- Hold my head and ease my pain Kapitel 5 continued Tovey schloss die Tür auf und begann sofort sich zu beklagen. „Das kann ja echt nicht wahr sein! Diese scheiß Grammatik, die bricht mir echt noch das Genick. Wer braucht die denn? Man kann auch ohne sprechen. Alles Unsinn!“ Er schwieg während er sich aus seinen Vans schälte. Ein schwarz-weißes Paar mit diversen Schnörkeln bedruckt. Als er keine Antwort bekam, sah er sich verwirrt um. „Hey? Niemand zu Hause? Alex?“ Tovey trat auf Socken in den Durchgang zum Wohnzimmer. Dort fand er Aron und Brian. Eine knisternde Stille hielt den Raum gefangen. Brian saß auf dem Boden zu Arons Füßen, den Kopf gesenkt wie ein geschlagener Hund und umklammerte Arons linke Hand mit seinen beiden. Aron saß auf der hellen Couch, überließ seine eine Hand Brian, sah ihn aber nicht an. Tovey konnte sein Gesicht nicht sehen. Unbeweglich blieb er in der Tür stehen. Er traute sich nicht die Stille zu zerbrechen, doch diese Last wurde ihm abgenommen, als er Brian schluchzen hörte. Tovey hielt die Luft an. Wenn Brian weinte … dann bedeutete das nichts Gutes. Vielleicht sollte er verschwinden. Doch etwas hielt ihn zurück. Die Trauer der Szene machte ihn verrückt. Er fühlte sich plötzlich elend, völlig am Boden. Was war hier passiert? „Komm doch rein, Tovey.“ Das war Arons Stimme und Tovey fühlte sich unheimlich ertappt. Ihm war unwohl bei der ganzen Sache. „Was ist los?“ fragte er leise und unsicher. Brian antwortete nicht. Brian, der sonst die Klappe kaum halten konnte, antwortete nicht. Wie er dort am Boden hockte, das war nicht Brian. Irgendwas war kaputt gegangen. Und irgendetwas Wesentliches war Tovey entgangen. Er machte einen Schritt ins Wohnzimmer, ohne den Blick von Brian lösen zu können. Der Anblick war zum Heulen. Und es sollte noch schlimmer werden. Eine Bewegung durchlief die Szene, als Aron Brian seine Hand entzog. Brian wollte sie nicht hergeben, doch ein Blick von Aron genügte, dass er sich widerwillig fügte. Tovey erhaschte einen Blick auf Brians Gesicht. Er war erschreckend blass. Von seinem Glanz, seinem Charme war nichts übrig geblieben. Seine Augen waren rot geweint. Tovey ließ sich benommen auf einen Sessel sinken, während Aron wortlos aufstand. Mit sanftem Schritt und gesenktem Kopf verließ er das Wohnzimmer und Brians leidender Blick folgte ihm nach draußen. Das Elend war kaum in Worte zu fassen. Tovey schluckte. Man hörte einen Schlüssel klappern und die Wohnungstür gehen. Dann war es wieder still. Brian begann unbändig zu zittern und zu schluchzen. Er schien keine Tränen mehr zu haben. Sein sonst perfekt gestyltes Haar hing in wirren Strähnen herab. „Brian“, sagte Tovey heiser, doch er wusste eigentlich nicht, was er sagen sollte. Was war hier passiert? In seiner Brust verkrampfte sich etwas. Er hielt die Spannung kaum aus. Er konnte Brian fast leiden fühlen. „Oh Gott … bitte … lass ihn – ihn zurückkommen …“ Tovey schüttelte verständnislos den Kopf. Wie betäubt streckte er eine Hand nach Brian aus und berührte mit den Fingerspitzen seine krank aussehende blasse Wange. „Ich halt das nicht aus … Er darf nicht weggehen. Ich will nicht …“ „Er hat dich verlassen“, wisperte Tovey und faltete die Hände vor seinem Gesicht. „Warum?“ Brian sah Tovey an und es war, als würde sein ganzer Schmerz sich über den Blickkontakt in Toveys Seele brennen. „Alexej“, sagte er und konnte Toveys Augen dann doch nicht mehr standhalten. Er strich ein paar Haarsträhnen mühselig aus seinem Gesicht. „Tovey, was ist mit ihm? Warum tut er das?“ „Wer?“ fragte Tovey endgültig aus der Raison gebracht. „Alex“, Brians Stimme war zu hoch und doch heiser. Er gab ein Bild des Schreckens ab. „Warum tut er das alles? Wollte er mir nur heimzahlen, was damals passiert ist? Silvester?“ Tovey riss die Augen auf. „Was? Willst du sagen, dass ihr …?“ Tovey zog hastig seine Hände zurück. Yes I was erected, but no, we’re not connected Kapitel 5 continued Arons Augen verengten sich zu Schlitzen. Das nasse Glas in seiner Hand vergaß er fast, als Alexej durch die Tür stolziert kam. Er hatte wieder diese nichtsnutzige Sonnenbrille auf. Das verwirrte Aron. Eigentlich hatte sein ehemaliger russischer Freund sie nur getragen, um seine Trauer zu verbergen. Jetzt war sie wohl zum Symbol seiner Arroganz geworden. „Hey, ein Martini, bitte.“ Leck mich am Arsch! „Kommt sofort.“ Aron riss seinen wütenden Blick von Alexej los und machte sich zurück an die Arbeit. Er konnte es sich nicht erlauben, die Kunden zu verärgern. Sein Chef sagte immer, Aushilfskraft oder nicht, jeder musste den Kunden als König behandeln. Aron stellte den fertigen Martini vor seinem neuen Kunden ab und schaffte sogar ein unechtes Lächeln. „Cheers“, sagte der Gast und zwinkerte Aron zu. Ekelhafter Schleimer. „Cheers“, antwortete Aron und hatte auch schon den nächsten durstigen Gast vor sich sitzen. Trotzdem wagte er einen Blick auf Alexej, der sich im hinteren Teil der Bar herumtrieb. Einer von Arons Kollegen ging grad auf ihn zu. Aron war froh, dass er direkt an der Bar seine Schicht schob und nicht rumlaufen musste um zu bedienen. Sein Kollege kam ein wenig später zurück. „Ein Bier für Mr. Sonnenbrille“, sagte er im schwulsten Tonfall den Aron jemals gehört hatte. Er lächelte wieder sein unechtes Lächeln und holte eine Flasche kaltes Bier aus dem Kühlschrank. „Bitteschön, extra für Mr. Sonnenbrille“, sagte er. Sein Kollege grinste breit. „Aber heiß ist er ja.“ Aron zuckte mit den Schultern. Sein Blick glitt an seinem Kollegen, der sich übrigens irgendwann einmal als Jimmy vorgestellt hatte, vorbei und betrachtete wieder Alexej. Ein zwielichtiger Kerl hatte sich zu ihm gesellt und die beiden schienen angeregt zu diskutieren. Jimmy folgte Arons Blick. „Das ist ein Drogendealer“, stellte er klar und schüttelte missmutig mit dem Kopf. „Immer dasselbe.“ Drogendealer? Aron riss erneut seinen Blick von Alexej. Was ging ihn fremdes Elend an? Als Alexej die Bar wieder verließ, in der Aron ungünstigerweise gerade Schicht gehabt hatte, war er um 200 Euro leichter, aber um ein paar Gramm hochwertige Drogen schwerer. Er ging noch einmal alles durch. Die Bande zu Aron und Brian hatte er gekappt. Bei seinem Anwalt war er gewesen. Und die Drogen hatte er auch. Nun fehlte nur noch eine Sache: Tovey. Alexej seufzte bei dem Gedanken und knetete unruhig das weiße Pulver, das er in einem Tütchen in seiner Jackentasche herumtrug. Das würde nicht einfach werden. Alexej blieb auf dem Gehweg stehen. Von überall her leuchteten ihn bunte Reklametafeln an. Hier war er falsch. Er musste erst aus dieser real gewordenen „Liberty Avenue“ heraus, bevor er zum letzten Teil seines Plans übergehen konnte. Hastig setzte er seinen Weg fort. Er erinnerte sich an den Club in dem er mit Brian gewesen war. Keine Chance, das war ebenfalls eine Schwulendisko gewesen. Das was er brauchte, würde er hier nicht finden. Der Krankenwagen raste jaulend an Aron vorbei, der hastig zurück auf den Gehweg sprang. Mit klopfendem Herzen sah er dem weiß roten Gefährt nach. Fast hätten die ihn platt gemacht. Na ja, zumindest war es das Beste was einem passieren konnte, wenn man von einem Krankenwagen überfahren wurde. Man musste nicht lange auf den Notarzt warten. Aron sah sich noch einmal um. Jetzt war die Straße ruhig. Er huschte hinüber und zückte seinen Autoschlüssel. Jetzt bloß noch nach Hause und ab ins Bett. Die Schicht hatte ihn fix und fertig gemacht. Aron hatte sich, nachdem er die Sache erfahren hatte – er nannte es nur „die Sache“ denn allein der Gedanke daran tat weh – bei seiner Mutter und ihrer Freundin Anna einquartiert. Die beiden lebten idyllisch in einem kleinen Haus am Stadtrand und für Aron war immer ein Zimmer frei. Er parkte seinen Wagen, nach einer Fahrt von etwa einer halben Stunde, in der sauberen aber dunklen Einfahrt. Möglichst leise stieß er die Autotür hinter sich zu und betrat das Haus praktisch auf Zehenspitzen um seine Mutter und Anna nicht zu wecken. Als er jedoch die Treppe hoch huschen wollte, sah er im Wohnzimmer Licht brennen. Vielleicht hatte eine der beiden Frauen vergessen es auszuschalten. Er betrat das Wohnzimmer, schon die Hand am Lichtschalter und blieb dann überrascht stehen. „Anna“, sagte er, als er seine Stiefmutter am großen Wohnzimmertisch sitzen sah. Neben ihr lag das schnurlose Telefon. Sie drehte sich um, als hätte er sie erschreckt. Doch dann lächelte sie zaghaft. „Da bist du ja. Komm her.“ Aron gehorchte und setzte sich neben Anna. Ein Schreiben lag auf dem Tisch und sie hatte eine dünne Akte dabei. „Aron … ich wurde angerufen vom Krankenhaus, als dein Anwalt hat man mir mitgeteilt, dass ein gewisser Alexej Robanov dich in seine Patientenverfügung eingetragen hat.“ Aron zog die Augenbrauen zusammen, unsicher was als nächstes kommen würde. Alexej hatte ihn in seine Patientenverfügung eingetragen? Warum zum Teufel? „Dieser Alexej liegt jetzt im Krankenhaus. Er hat eine Überdosis Drogen im Blut gehabt, eine Prostituierte hat den Krankenwagen gerufen. Er liegt im Koma. Jetzt liegt es also in deinem Ermessen, ob die Geräte, die ihn am Leben halten weiterlaufen sollen oder nicht.“ WAS?! Aron hatte es vollständig die Sprache verschlagen. Er starrte seine Stiefmutter nur an. Alexej im Koma … Überdosis … Prostituierte??!!! „Du musst dich nicht sofort entscheiden. Du hast Zeit. Überlege es dir gut. Solange du nichts sagst werden die Geräte weiterlaufen.“ Anna seufzte leise und sah Aron besorgt an, der fast komplett weiß im Gesicht geworden war. Er tat ihr Leid, doch eine Patientenverfügung war eine Pflicht, die sie ihm absolut nicht vorenthalten konnte. „Ist Alexej ein Freund von dir?“ fragte sie, noch unsicher über die Situation. Drogen und Prostituierte, das war kein Umfeld für Aron. Wenn er solche Freunde hatte, musste Katrin, seine Mutter, das wissen. „Er war …“, Aron fasste sich an die Stirn. Er sah wirklich nicht gut aus. „Ja, er war ein Freund. Doch plötzlich ist er völlig ausgerastet. Deshalb bin ich hier, bei euch. Warum hat er mich in diese Patientenverfügung eingetragen? Er hasst mich! Glaube ich …“ „Aron, du bist müde … schlaf lieber erstmal eine Nacht darüber. Vielleicht sieht morgen schon alles halb so wild aus.“ Aron schüttelte mit dem Kopf. Er musste sofort ins Krankenhaus, er musste wissen, was passiert war und er musste sich überlegen, ob er Alexejs Leben ein Ende machen sollte oder nicht. Eine leise Stimme in seinem Hinterkopf tobte Räche dich! Das ist die Chance! Er hat es nicht anders gewollt! doch Aron schüttelte beständig den Kopf. Alexej war ein guter Freund gewesen. Erst wenn er wusste, was Alexej zu diesen Ausrastern bewogen hatte, würde er überhaupt wieder in Erwägung ziehen, die Maschinen abstellen zu lassen. Und vielleicht wachte der junge Russe bis dahin längst auf. Kapitel 18: You’ve taken something solid from me ------------------------------------------------ You’ve taken something solid from me Kapitel 5 continued Aron schüttelte bedächtig den Kopf. Die Müdigkeit wollte nicht weichen und er hatte schreckliche Kopfschmerzen. Sicherlich, er musste schlafen, aber wie hätte er jetzt schlafen können? Er kniff die Augen zusammen, öffnete sie wieder und betrachtete Alexejs leblosen Körper auf dem Krankenbett. Vorhin war noch ein Mädchen hier gewesen. Aron hatte sie noch nie gesehen, doch das war wohl kein Wunder. „Ich weiß echt nich was mit dem is!“ hatte sie verkündet. „Der is einfach abgekackt. Ey, scheiße ich will mein Geld! Schließlich ham wir noch gevögelt bevor er einfach den Geist aufgegeben hat!“ Angewidert hatte Aron ihr ein Bündel Geld in die Hand gedrückt und sie war in ihrem viel zu kurzen Minirock abgezogen. Tatsächlich, eine Prostituierte. Alexej hatte sich auf seine letzten Stunden noch ein Mädchen ins Bett geholt. Von käuflicher Liebe hatte er ja Ahnung. Aron ließ sein Gesicht in die Hände sinken. Sein Herz raste schmerzhaft in seiner Brust. Die Tür des Krankenzimmers ging auf und Aron brauchte nicht hochsehen, um herauszufinden, wer dort kam. Ein entsetzter Aufschrei bestätigte seine Vermutung. Er blickte sich um, traf direkt Brians Augen. „Oh nein!“ Tovey sank ohnmächtig in sich zusammen. Brian fing ihn auf, selbst kraftlos und so landeten sie beide auf dem Boden. Aron rührte sich nicht. Brian hielt Tovey umklammert und wagte nicht noch einmal hochzusehen. „Was ist los mit ihm?“ murmelte Aron mehr zu sich, als zu jemand anderem im Raum. Er stand von seinem Platz auf und ignorierte den Schwindel, der ihn dabei überfiel. Er wollte nicht so schwach sein wie Tovey. „Vielleicht“, sinnierte Aron weiter und trat ans Fußende von Alexejs Bett. So leblos wie er war, wirkte er sehr entspannt, fast kindlich und sehr süß. All die Sorgen und all die Spannung waren gewichen. Er war kaum noch als Alexej zu erkennen. „Vielleicht will er sterben.“ Brian blickte endlich wieder hoch, wobei er noch immer Tovey an sich presste, der ohnmächtig auf seinem Schoß lag. „Was soll das heißen?!“ Aron funkelte ihn böse an. Er stampfte auf Brian zu, der für einen Moment die Luft anhielt. Sein Herz hämmerte nervös gegen seine Rippen. Toveys Körper auf seinen Beinen war schwer. Ihm brach der Schweiß aus und er wollte heulen. „Was das heißen soll? Ich gebe ihm drei Tage und dann schalte ich ab!“ Aron brüllte Brian das fast ins Gesicht. Damit brach der Damm. Brian fing wieder an zu weinen. Das passte nicht zu ihm, Aron konnte es kaum ertragen. Hastig verschwand er zur Tür hinaus. Drei Tage. Wenn Alexej dann nicht aufwachte, würde er abschalten, ein für alle mal. Dann war dieses Problem gelöst. „Sie sollten sich das besser überlegen“, sagte plötzlich jemand hinter Aron, als er auf den Fahrstuhl wartete, der ihn runter zum Ausgang bringen würde. Aron fuhr wütend herum, doch als er den Sprecher erkannte, beruhigte er sich augenblicklich. Vor ihm stand ein Mann im Kittel. Er hatte einen Kaffee in der Hand und war unglaublich sexy dabei. Aron blinzelte. Wie konnte er jetzt an so was denken? „Hier, trinken Sie den. Danach wird es etwas besser gehen.“ „Danke“, schüchtern nahm Aron den angebotenen Kaffee entgegen und musterte den jungen Arzt wieder. „Wer sind Sie?“ „Ich bin Assistenzarzt hier. Man hat mir den Fall von Alexej Robanov übertragen. Ich bin Dr. Carpenter.“ „Soso …“, Aron nickte und hielt den Becher mit beiden Händen fest. Er hatte Kaffee bitter nötig. „Ich sollte mir das also besser überlegen?“ Dr. Carpenter nickte verständnisvoll. „So eine Patientenverfügung ist eine schwierige Sache. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn die Betreffenden vorher nicht informiert werden, doch die meisten Patienten verdrängen das wohl. Sie glauben vielleicht nicht daran, das wirklich einmal etwas passieren könnte.“ Aron schüttelte mit dem Kopf. „Alexej wusste das. Er hat es geplant, da bin ich mir sicher.“ „Sie meinen einen Suizid?“ fragte Dr. Carpenter und Aron nickte. Seine Vermutung war vielleicht verrückt, aber er war sich noch nie so sicher gewesen. „Warum sollte er das tun?“ fragte der Arzt und sah Aron dabei irgendwie liebenswürdig an. Aron hatte sich diese Frage auch schon gestellt. „Es ist einfach zu viel passiert, in den letzten Jahren.“ Aron wollte die Sache nicht ausführen. Was, wenn dieser Arzt die Geschichte nicht verstehen würde? Was, wenn er nur nett zu Aron war, weil er es als Arzt für seine Pflicht hielt? Was, wenn er vielleicht sogar homophob war? „Sie meinen also, er hätte Gründe gehabt, sich umzubringen?“ hakte Carpenter nach und Aron nickte wieder nur. Er nippte an dem Kaffee. Seine Hände zitterten verdächtig. „Viele Gründe.“ Carpenter suchte Arons Blick, doch der wurde ihm verweigert. „Könnte er auch krank gewesen sein?“ Aron schüttelte mit dem Kopf. „Wie meinen sie das?“ fragte er etwas zu heftig. Der Kaffee im Plastikbecher erzitterte. „Na ja … kann es sein, dass er positiv war? Es wäre ein Grund für den Suizid.“ „Positiv?“ keuchte Aron und starrte den jungen Arzt jetzt unverblümt an. Wusste er doch mehr als Aron ahnte? „HIV, Aids wie auch immer. Das passiert schnell, wenn man unachtsam ist. Unter 100 Männern kann ein schwarzes Schaf sein und man erwischt genau dieses. Das ist schon so oft passiert.“ Bevor Aron sich bis zu Ende wundern konnte, hörten sie einen Schrei. Aron ließ den Kaffeebecher fallen. Der Arzt fuhr herum. Wie auf Kommando rannten sie los, zurück zu Alexejs Krankenzimmer. Was sie fanden, war ein völlig aufgelöster, halb wahnsinniger Tovey. Hätte Brian ihn nicht mit aller Gewalt festgehalten, wäre er sicherlich aus dem nächsten Fenster gesprungen. „Alex darf nicht sterben!“ schrie Tovey Brians Brust entgegen, an die er von eben diesem gedrückt wurde. „Mach doch einer was! Alex darf nicht sterben!“ Carpenter, die Krankenakte in der Hand, schob sich an Aron vorbei und legte Tovey eine Hand auf den Rücken. „Hören Sie. Ich werde Ihnen ein Beruhigungsmittel geben müssen. Im Moment können wir nichts für Ihren Freund tun. Er liegt im Koma. Wir können nur warten, ob er aufwacht.“ „Aber ER will ihn umbringen!“ Aron hätte nicht geglaubt, dass Tovey noch lauter schreien konnte, als ohnehin schon, doch er tat es und alle Anwesenden verzogen das Gesicht. Wahrscheinlich hatte es auch in ihren Ohren geschmerzt. Tovey versuchte sich von Brian wegzudrücken, statt seinen Schutz zu suchen. Ihm musste wirklich viel an Alexej liegen. Aron starrte ihn nur an. Toveys Blick enthielt eigentlich nichts als grenzenlosen Hass. „ER will ihn umbringen! Was glaubst du eigentlich wer du bist!!?“ Aron meinte den Assistenzarzt seufzen zu hören, aber er war sich nicht sicher. „Ich bin derjenige, dem er diese Aufgabe übertragen hat, klar!?“ setzte Aron zum Gegenangriff an. „Du hast trotzdem nicht das Recht ihn umzubringen! Du darfst das einfach nicht! Er war mein Freund! Du hattest nichts mit ihm zu tun!“ Aron versuchte nicht so aufgebracht zu klingen wie Tovey, doch er brachte es kaum fertig. „Er war auch irgendwann mal mein Freund! Und ich habe alles Recht es zu tun! Ich kann es sofort tun! Ich kann sofort sagen, Herr Doktor stellen Sie die Geräte ab!“ „Oh nein, das wirst du nicht!“ Tovey schaffte es auf Brian vehementer Umklammerung und stürzte, die Hände vor sich ausgestreckt wie ein Irrer, auf Aron zu. Er kam nicht weit. Der Arzt war schneller. „Beruhigen Sie sich. Niemand wird heute Nacht irgendeine Entscheidung fällen. Sie kommen jetzt mit.“ Ohne Widerspruch gelten zu lassen bugsierte Carpenter Tovey aus dem Krankenzimmer und ließ Aron und Brian allein zurück. Das Schweigen war plötzlich unangenehmer als Toveys Geschreie. „Aron?“ durchbrach Brian sie, sah ihn aber nicht an. Der Angesprochene betrachtete ihn das erste Mal seit Tagen genauer und das erschreckte ihn zutiefst. Brian, der Brian der immer gut aussah, unnahbar und sexy, unverschämt perfekt schien während Arons Abwesenheit gestorben zu sein. Jetzt war da ein anderer Mann, ein anderer Junge, der nichts mehr mit diesem Brian gemeinsam hatte, außer die Klamotten und die Körpergröße. „Ja?“ fragte Aron vorsichtig. Ihm wollten die Tränen kommen. Brians sonst immer penibel frisiertes Haar war nur noch ein schwarzes etwas, dass in Strähnen von seinem Kopf hing und sein Gesicht verdeckte, wenn er den Kopf senkte. Seine Haut war kränklich blass geworden, hatte ihr helles Strahlen verloren. Die sonst so leuchtend blauen Augen, waren nur noch ein paar schlecht polierte Murmeln umgeben von geröteter Haut, fast ausgetrocknet vom Weinen. „Du hast vielleicht Recht“, Brian setzte sich auf die Kante von Alexejs Bett. Aron rührte sich nicht, beobachtete ihn nur. Was sollte das werden? „Du solltest ihn nicht zu lange hier liegen lassen. Vielleicht … ich meine er war so komisch in letzter Zeit. Vielleicht wollte er ja … du weißt schon … sterben.“ Aron nickte. Ja, genau das vermutete er auch. „Ich fahr nach Hause.“ Kapitel 19: You took everything that I owned, broke it into pieces ------------------------------------------------------------------ Kapitel 6 You took everything that I owned, broke it into pieces Die Stimme des Professors war nur ein Säuseln. Brian verstand kein Wort. Er starrte nur gerade aus, versuchte die Buchstaben zusammenzusetzen, die sich unter dem Schnurbart des Professors auf seinen Lippen formten. Nichts, nur weiter dieses Säuseln, das zu einem Rauschen anschwoll. Die Augen des Professors wanderten durch den Vorlesungssaal und landeten auf Brian. Die Lippen des alten Mannes formten seinen Namen. Die Sekunden zogen sich hin, während das Rauschen in Brians Kopf zu einem Dröhnen wurde. Nacheinander drehten sich die anderen zu ihm um. Sie wirkten neugierig, aber auch besorgt. Was war los mit Brian, dem Musterstudenten, dem der immer alles wusste, der in Abgründe der Seele blickte, als wären es seine eigenen. Der Typ, der immer die besten Aufsätze und Vorträge ablieferte. Der Typ, der ständig von den Professoren in den Himmel gelobt wurde. Die Lippen des Professors formten wieder Brians Namen. Er wünschte er könnte antworten, doch sein Mund war wie zugenäht. Selbst wenn er ihn aufbekommen hätte, so wäre nichts herausgekommen. Wie in Zeitlupe setzte sich der Professor in Bewegung, doch bevor Brian klar wurde warum, kippte die Welt zur Seite und wurde schwarz. „Hey Moore, verdammt man wach auf!“ „Rede nicht so mit ihm!“ „Ach halt dich raus. Er merkt eh nichts.“ „Das gibt dir nicht das Recht so mit ihm zu reden.“ Brian schlug die Augen auf. Über ihm waren scheinbar tausend Gesichter. Entsetzt rappelte er sich hoch und stieß den nächst Besten weg. Aufgerissene Augen musterten ihn. Gesichter ohne Namen, denn er hatte sich nie viel mit ihnen abgegeben. Er wollte nicht, dass jemand herausfand, dass er schwul war. Damals war noch alles so einfach gewesen, aber in dieser Welt hier, unter den Heten war nichts mehr einfach. Ein Mädchen mit blonden Haaren und Mondgesicht näherte sich ihm wieder. „Alles okay mit dir?” Er hatte ihre Stimme schon bei dem Streit gehört. Verwirrt starrte er sie an, starrte in ihre hellblauen lieben Augen und hatte das Gefühl sofort wegrennen zu müssen. Er erkannte einen verliebten Blick, wenn er einen sah. „Schon gut, schon gut“, er riss den Blick von ihren Augen und fuhr sich durch die Haare. Ihm wurde das erste Mal bewusst, was für ein schreckliches Bild er abgeben musste und seine alte Eitelkeit kehrte mit einem vernichtenden Schlag wieder. Ihm wurde fast unbeschreiblich übel. „Professor Abendroth ist einen Arzt holen gegangen, Brian“, sagte die Stimme des Mädchens. Sie alle wussten wie er hieß, doch er wusste nicht wie sie hießen. „Nicht nötig“, murmelte er, stand schwankend auf und verließ fluchtartig den Vorlesungssaal, wobei er sich seinen Weg fast gewaltsam bahnen musste. „Warte doch“, rief sie ihm hinterher und er wünschte sich in diesem Moment sie würde einfach tot umfallen und ihn in Ruhe lassen. Kurz vor der Tür brach er wieder zusammen. Ein erschreckter Seufzer ging durch die Traube der Studenten. Das Mädchen war sofort an seiner Seite. „Meine Mutter hat es immer gesagt“, hörte er jemanden verkünden. „Wer Psychologie studiert muss selbst krank im Kopf sein.“ „Brian, es wird gleich ein Arzt kommen. Bleib einfach hier sitzen und warte“, versuchte das Mädchen auf ihn einzureden. Brian, dessen Knie von dem schmerzhaften Aufprall protestierten ließ sich gegen die Wand sinken und sah das Mädchen an. „Wer bist du?“ fragte er und atmete schwer. Sie hatte wohl Recht. Seine Beine wollten ihn nicht mehr tragen. „Caty“, sagte sie, wirkte nicht einmal verwirrt ob der Tatsache, dass er solche Fragen stellte. „Okay, hör zu Caty“, setzte er an, wurde aber unterbrochen von einem stechenden Schmerz in der Brust. Er keuchte auf und zauberte damit Panik in ihr Gesicht. „Ganz ruhig Brian, gleich kommt der Arzt. Nicht aufregen!” Sie hatte gut reden. „Caty“, fing er neu an, als der Schmerz sich verflüchtigte. „Lass mich einfach in Ruhe, okay? Lass mich in Ruhe, ich komme ganz allein klar.“ „Tust du nicht“, konterte sie und Brian begann sie ganz weit hinten in seinem Kopf zu bewundern. „Du bist eben umgekippt, als wolltest du sofort sterben und du kannst keine fünf Meter gehen, ohne wieder zusammenzuklappen.“ „Das ist richtig. Aber ich kann es mir auch nicht leisten schwach zu sein und bei irgendwelchen Ärzten rumzulungern. Okay? Ich habe echt andere Probleme!” Er wollte wieder aufstehen, war sich sicher, dass es dieses Mal klappen würde, doch sie hielt ihn am Handgelenk fest. „Was für Probleme?“ fragte sie hastig. Brian fand, dass sie ihn hinhalten wollte, bis der Arzt endlich da war. „Das geht dich nichts an!“ „Ist es wegen deinem Freund?“ Er riss die Augen auf und betrachtete sie aus einer ganz neuen Perspektive. Nein, das war kein verliebter Blick, das war nur Sorge und Zuneigung. „Woher …?” „Ich habe euch gesehen“, sagte sie und lächelte. Das machte sie um einiges Schöner, als sie ohnehin schon war. „Ihr saht sehr süß aus zusammen.“ „Ja“, Brian senkte den Blick wieder. „Wir sahen sehr süß aus zusammen.“ Er senkte den Blick. Wieder wollten seine überforderten Augen Tränen vergießen. Er hasste sich dafür. Eine kleine sanfte Hand, legte sich auf seine. Er war dankbar für den Trost. Da war niemand mehr, der ihn sonst trösten konnte. Er war fast seit ich denken kann ein Bestandteil meines Lebens. Und jetzt ist er einfach weg. Wie soll ich damit klar kommen? Man hat uns auseinander gerissen, aus so einem lapidaren Grund. Es reicht keine Entschuldigung mehr, kein Kuss, kein Flehen. Das Band ist gerissen und ich scheine zu verbluten, weil er mein Herz mit dem Band herausgerissen hat. Es gibt keine Entschuldigung für das, was ich getan habe. Sicherlich hat er alles Recht böse auf mich zu sein, aber ich wünsche mir nichts sehnlicher, als das ich ihn noch einmal sehen darf. Ich ertrage es nicht. Es ist das dritte Mal, ein endgültiges Mal, das man ihn mir weggenommen hat. Ich werde es nicht verkraften glaube ich. Er lässt mich zurück, blind, taub, halbtot. Und der Mensch, der dafür verantwortlich ist, weil seine eigenen Probleme ihn trieben, steht selbst mit einem Bein im Grab. Zusammenfassend, ist es eine Situation, aus der wir nicht wieder rauskommen. Ich sollte mich damit abfinden. Wir haben es versaut. Aron wusste nicht mehr genau, wie lang er an Alexejs Bett gesessen hatte. Doch als Doktor Carpenter das Zimmer betrat und er aus seinen Gedanken erwachte, spürte er wie sehr seine Muskeln sich verkrampft hatten. „Wie geht es ihm, Herr Doktor?“ fragte er leise. „Unverändert“, war die Antwort. Aron drehte sich zu ihm um. Der Doktor schien zu wissen, worum es ging. Er schüttelte sanft mit dem Kopf. „Die drei Tage sind um“, sagte Aron unnötigerweise und betrachtete dann wieder Alexej. Er hatte dieses Ultimatum gesetzt. Sollte er wirklich davon abweichen? Alexej wollte nicht mehr leben. Er hatte alle Bande hinter sich abgebrochen und das Leben seiner Freunde gleich mit zerstört. „Sie sollten nicht vorschnell handeln. Sie sind noch nicht so weit, dass Sie eine gute Entscheidung treffen können. Das Emotionale hält Sie noch zu sehr fest. Es dürfen keine Rachegedanken dabei sein.“ „Aber das war es was er wollte“, flüsterte Aron fast und streckte die Hand nach Alexejs Gesicht aus. „Er wollte, dass ich ihn hasse, damit ich das hier schnell beende, falls es jemals dazu kommt. Er hat alles eingeplant, Herr Doktor.“ Carpenter schüttelte mit dem Kopf. Er hatte schon viel erlebt, aber das hier toppte wirklich alles. „Phelix“, sagte er und Aron sah ihn verwirrt an. „Ich heiße Aron!“ „Ich weiß, aber ich heiße Phelix.“ Aron blinzelte etwas verstört und nickte dann. „Es ist vielleicht nicht der richtige Moment um mit der Tür ins Haus zu fallen. Aber ich möchte dich davon abhalten eine Entscheidung zu fällen, die du bereuen würdest.“ Die plötzliche Vertrautheit war Aron nicht einmal unangenehm. Er sah den jungen Arzt fragend an. „Du bist wirklich ein … ein besonderer Mensch Aron. Ich empfinde viel für dich.“ „So?“ Ein Lächeln schlich sich auf Arons Lippen. Er konnte sich nur allzu gut vorstellen, was seine Mutter jetzt sagen würde. Guter Fang, mein Kleiner. „Ich habe jetzt Feierabend. Ich würde mich freuen, wenn du mit mir einen Kaffee trinken würdest.“ „Einen Kaffee?“ „Ich meine, wenn du keine Lust hast …“, er hob entschuldigend das Klemmbrett mit Alexejs Patientendaten und Aron schnappte es ihm aus der Hand. Phelix Carpenter starrte ihn einen Augenblick verwirrt an. „Ich habe keine Lust auf Kaffee“, sagte er und warf das Klemmbrett auf Alexejs Bauch. Sollte er doch sehen wie er klarkam. Das war die Rache. Er würde Alexej nicht sterben lassen. Sollte er doch 10 Jahre lang hier versauern! Aron rutschte von der Bettkante und machte einen Schritt auf den jungen Assistenzarzt zu, der ihn enttäuscht ansah. „Ich mag das Vorgeplänkel nicht. Lass uns zur Sache kommen.“ „Oh mein Gott!“ Aron ließ von Phelix ab und fuhr herum, die eine Hand noch an seiner Hose. Der junge Arzt war nicht weniger geschockt als Aron. „Was zur Hölle macht ihr da?“ Alexej saß aufrecht in seinem Bett, noch immer blass, doch eindeutig lebendig. Kapitel 20: It’s so hard, so damn hard, I have to let you go ------------------------------------------------------------ Eins vorneweg: Seid nicht verwirrt, ihr habs nichts verpasst. Das Leben geht halt weiter. Viel Spaß mit dem letzten Kapitel und vielen Dank fürs Lesen. Ich hoffe es hat euch ein wenig Spaß gemacht. Eure Angie ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ It’s so hard, so damn hard, I have to let you go Kapitel 6 continued Brian stieß die Wohnungstür auf. Er machte eine ausladende Bewegung und verneigte sich gönnerhaft. „Willkommen in meinem bescheidenen Heim.“ „Oh mein Gott wie geil!“ rief der Besucher begeistert und klatschte in die Hände. Brian lächelte und stieß die Tür mit einem Tritt zu. Sein Begleiter sah sich mit leuchtenden Augen um. Er schien sich gar nicht satt sehen zu können. „Geh erstmal ins Wohnzimmer. Das ist nur der Flur.“ „Da lang?“ Der Junge deutete auf die Tür geradezu. Brian nickte lächelnd. Zögerlich öffnete der Junge die Tür und trat ein. Ein bezauberter Laut kam aus seinem Mund. „Das ist soo groß. Und es sieht so verdammt teuer aus!“ juchzte er. Brian schlang von hinten die Arme um ihn. „Ist es auch!“ Sie lachten beide. „Wow, ich bin echt beeindruckt!“ Brian sah den Jungen an. Er war gerade mal 18. Er war niedlich und er würde vielleicht endlich Wärme in dieses teure aber kalte Haus bringen. „Das ist echt saucool!“ Brian schob ihn etwas weiter ins Wohnzimmer, damit er sich umsehen konnte. Die Decke war sehr hoch, eine Wendeltreppe führte ins nächste Stockwerk auf die Galerie. An einer Wand hing ein riesiges Bild. Der Junge bestaunte es. Das Bild zeigte einen tiefschwarzen Hintergrund. Darauf war eine hellere Figur, die die ganze Mitte des Kunstwerkes ausmachte. Diese Figur, hielt einen Arm angewinkelt, hatte eine Pistole an die rechte Schläfe gedrückt. Pinke Schmetterlinge traten auf der linken Seite aus seinem Kopf und verteilten sich spielerisch über den schwarzen Hintergrund. „Wow“, sagte der Junge. „Das sieht echt cool aus. Aber auch irgendwie deprimierend.“ „Ein wenig“, gab Brian zu. „Wo hast du es her?“ „Ein ehemaliger Freund hat es gemalt. Ich habe es gekauft. Er weiß nichts davon.“ Der Junge, übermütig in seiner Art, lief auf das große Bild zu und suchte den unteren Rand ab. Triumphierend deutete er auf den Namen, den er in der rechten Ecke fand. „Aron Wayne! Er war ein Freund von dir? Man er ist echt hammer berühmt. Ich liebe seine Bilder!“ „Ich auch“, gab Brian zu und verschränkte die Arme. „Wie lange ist das her, dass du ihn kanntest?“ „Zehn Jahre, Bunny. Und jetzt komm. Wir sind nicht hier um uns über Kunst zu unterhalten.“ „Ohhhh“, der Junge ließ sich auf Brians dunkler Ledercouch nieder. „Ich hasse es, wenn du mich Bunny nennst!“ Er winkte ihn mit einem Finger zu sich heran. Brian gehorchte und ließ sich neben ihm auf der Couch nieder. Der Junge sah ihn verführerisch lächelnd an und näherte sich seinem Gesicht. „Wie heiße ich?“ „Bunny.“ „Sag meinen Namen, oder es gibt keinen Sex!“ „Aron, und jetzt küss mich endlich.“ „Das ist wunderschön.“ Aron lächelte verlegen und sah Phelix von unten herauf an. „Ich mag es auch“, gab er zu und wandte sich wieder seinem Werk zu. Es war in drei Farben gehalten: weiß, rot und schwarz. Eine hübsche Elfe nahm die Bildmitte ein. Sie hatte einen süßen Schmollmund und schien an einem Spinnenwebfaden in der Luft zu hängen. Ein hübsches weißes Kleidchen umspielte ihren Körper und von einem Finger ließ sie lässig einen weiteren Faden hängen, an dem eine rote Spinne baumelte. Ihr Haar hing in einem langen Zopf herunter, der mit weißen Bändern zusammengehalten wurde. „Ich mag deine Bilder“, sagte eine Stimme hinter Aron und er drehte sich um. Sein Herz machte einen freudigen Hüpfer, als er seine neuen Besucher erkannte. „Billy! Lisa! Schön, dass ihr da seid.“ „Onkel Aron!“ Ein kleiner zehnjähriger rannte auf Aron zu und sprang ihm stürmisch in die Arme. „Gabby!“ Aron fing ihn auf und drückte ihn lachend an sich. „Wie geht es dir?“ „Super!“ sagte der Junge strahlend und erzählte stolz, dass er sich schon alle Bilder der Ausstellung angesehen habe. Er war ein Ebenbild seines Vaters. Aron lächelte ihn liebevoll an. Sein Patenkind war ihm sehr ans Herz gewachsen. „Komm, ich werde dir was Tolles zeigen!“ Billy und Phelix beobachteten wie Aron den kleinen Gabriel mitnahm. Billy lächelte zufrieden und sah Arons Mann an, während Lisa sich einem weiteren Bild zuwandte und es betrachtete. Ihre Augen strahlten dabei. „Du tust ihm sehr gut“, sagte Billy. „Das hoffe ich“, entgegnete Phelix. „Wann wollen wir eigentlich mal wieder ein Bier trinken gehen?“ „Wenn du mal Zeit hast und dein Pieper nicht ständig nervt! Habt ihr Ärzte auch so was wie Urlaub?“ Sie lachten beide kumpelhaft und folgten Lisa durch die Ausstellung. Die Uhr über der Tafel tickte. Man hörte nur ab und zu eine Buchseite rascheln. Tovey sah sich suchend im Klassenzimmer um. Ihm war, als würde jemand fehlen, aber er kam einfach nicht darauf, wer das sein könnte. Ein ums andere Mal zählte er nach. Einer musste fehlen, aber wer nur? „Amy?“ „Ja, Herr Way?“ horchte das Mädchen in der ersten Reihe auf. „Wer fehlt heute?“ „Sebastian fehlt.“ Tovey lächelte sie dankbar an, schnappte sich das Klassenbuch und notierte das Fehlen des unscheinbaren Schülers. „So Leute, eure Zeit ist um! Wer kann mir den Text von Seite 34 übersetzen?“ Keine Meldung. Tovey lächelte. Das war nichts Neues. Seine Schüler schienen eine angeborene Angst vor Textübersetzungen zu haben. „Alex, wie wäre es mit dir?“ Der Junge sah verunsichert auf. „Ich habe leider nicht alles verstanden.“ Tovey nickte und griff sich ein Stück Kreide aus einer kleinen Kiste. „Alex, sage mir bitte zunächst die Wörter, die du nicht verstanden hast. Vielleicht haben ein paar deiner Mitschüler dasselbe Problem. Wir werden dann die Übersetzungen gemeinsam zusammentragen und danach übersetzt sich der Text kinderleicht.“ Der sechszehnjährige Alex lächelte dankbar. „Welches ist das erste Wort?“ „Es ist trust.“ Tovey schrieb das Wort an die Tafel und wandte sich dann wieder der Klasse zu. „Kann mir jemand sagen, was trust bedeutet?“ Amy, das Mädchen aus der ersten Reihe meldete sich. Tovey lächelte ihr zu. „Es heißt Vertrauen!“ „Richtig.“ Tovey schrieb die Übersetzung daneben. „Das Nächste bitte Alex.“ „Das nächste Wort ist salvage.“ Tovey gab einen Zustimmenden Laut von sich und brachte auch dieses Wort an die Tafel. „Salvage bedeutet soviel wie geborgen.“ Er wandte sich wieder der Klasse zu und einen Moment herrschte Schweigen. Alex sah ihn an und schien zu warten. Tovey musterte ihre Gesichter. Sie alle wollten von ihm lernen und sie mochten ihn. Er hatte es geschafft. Er war Lehrer und konnte alles besser machen, was die Lehrer damals an dieser Schule vermasselt hatten. „Das nächste Wort!“ verkündete er und erschreckte die Klasse damit. „Satisfied.“ „Na Leute, was heißt satisfied?“ Ein Junge aus der letzten Reihe meldete sich eifrig. Tovey zeigte mit dem Finger auf ihn, und übergab ihm so das Wort. „Das heißt zufrieden, Herr Way!“ „Perfekt!“ „Was ist los mit dir?“ Alexej schreckte aus seinen Gedanken hoch und sah auf. Sein Blick war stechend, unausweichlich. Dimitri hielt den Atem an. „Stör mich nicht, wenn ich nachdenke Sunnyboy.“ Dimitri lief leicht rot an und trat auf den schwarzhaarigen zu, der ihn so von oben herab behandelt hatte. „Worüber denkst du denn nach?“ fragte er und ließ sich auf Alexejs Schoß nieder. Ein offenes schwarzes Hemd baumelte von den Schultern des Dreißigjährigen. „Über das was war, was ist und was noch werden wird“, sagte er in einem möglichst mysteriösen Tonfall. „Oder vielleicht überlege ich auch, ob ich dich rausschmeiße Sunnyboy.“ „Tust du nicht!“ sagte Dimitri empört und streichelte über Alexejs nackte Brust. „Du solltest Arbeiten und nicht an mir rumfummeln. Ich gebe dir kein Geld, Kleiner.“ Eine pinke Zigarette baumelte zwischen Alexejs Fingern. Er führte sie langsam zu seinem Mund. Dimitri sah ihm dabei mit verklärtem Blick zu. „Ich spiele aber zu gern an dir herum“, hauchte er und schlang seine Arme um Alexejs Hals. „Arbeiten, nicht spielen“, sagte Alexej etwas gnadenlos. „Du willst mich wieder zu den ekelhaften Säcken da rausschicken?“ „Ja, Sunnyboy, genau das will ich. Du bist mein bestes Pferdchen im Stall, okay? Ich kann dich nicht einfach Urlaub machen lassen.“ „Ohhhhh bitte … Chef … ich mag nicht wieder raus. Ich habe heute schon so viel gemacht. Bitte schick doch einen anderen Jungen.“ Alexej sah zu dem Jungen hoch. Er lächelte kaum merklich. „Du bist unbelehrbar. Ich werde dich nicht zur First Lady im Staat machen, Dimitri.“ Der junge Russe seufzte und bedachte seinen Chef mit einem todtraurigen Blick. „Aber du bist süß, wenn du so guckst.“ „Zehn Männer. Reicht das nicht?“ Alexej drückte die Zigarette im Aschenbecher auf dem kleinen Tischchen neben seinem Platz aus. „Vielleicht reicht das. Das ist eigentlich ziemlich gut, Sunnyboy. Ich bin stolz auf dich.“ „Alles damit du glücklich bist“, hauchte Dimitri in Alexejs Ohr, wobei er sich noch mehr an ihn schmiegte. „Und du meinst, du hast noch genug Kraft für mich?“ „Immer!“ versicherte Dimitri eifrig und schob sich so weit von Alexej weg, dass er ihm in die Augen sehen konnte. Alexej lächelte jetzt offensichtlich. „Ich habe gehört, dass du besonders gut bist, Sunnyboy“, sagte er und zauberte damit ein Lächeln auf Dimitris Gesicht. „Ich möchte das testen.“ „Nichts würde ich lieber tun, Chef.“ „Dimitri?“ Der junge Russe sah Alexej fragend an. Eine Sekunde verging, in der keiner der beiden ein Wort sprach, dann durchbrach Alexej die Stille. „Glaubst du, dass die Leute aus der Vergangenheit manchmal noch an uns denken?“ Dimitri wirkte zunächst verwirrt. Dann lächelte er. „Niemals!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)