Es steht geschrieben von Vanillaspirit ================================================================================ Kapitel 2: Ein Tag am Strand ---------------------------- Meine Kindheit am Meer war schön. Manchmal glaube ich schöner als alle anderen. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich noch alles vor mir: den Sand in seinen vielen Braunnuancen, grünliches Wasser, das farblos wurde, sobald man es in seiner Hand gefangen hatte. Ich rieche den Geruch von Salz und Algen. Ein einzigartiger Duft, den ich heute am liebsten in Flaschen füllen würde, nur um mich immer wieder daran berauschen zu können. Der Sand knirscht zwischen meinen Zehen und ich weiß, dass ich ihn noch Tage später in meinem Rucksack finden werde. Ich hebe das Bruchstück einer schwarzen Muschel hoch und puste sorgfältig die wenigen Sandkörner fort. Das Schalenstück wirkt in meiner Kinderhand zerbrechlich und unscheinbar, dennoch behandle ich es wie einen Schatz und lege es zu meinen anderen Kostbarkeiten - einem Berg voller Hühnergötter, Muscheln und flachen Steinen. „Jeannine, komm!“ Ich schaue zu meiner Freundin Maria in ihrem neongrünen Badeanzug. Sie winkt mir vom Wasser aus zu, doch ich habe noch keine Lust auf die erschreckende Kälte der Ostsee. Mein Blick schweift über den Strand. Ich sehe Freude, Lachen, Familien die sich amüsieren. Grellbunte Drachen fliegen am Himmel, sie scheinen die Wolken kitzeln zu wollen. Ich möchte lachen, so laut, dass ganz Warnemünde es hören kann. Dieser Anblick ist so wundervoll. Grün, blau, rot, gelb und ihre kunterbunten, zuckenden Schwänze, die vor himmelblau und watteweiß tanzen. „Jeannine!“ Ich reiße mich von den Farbtupfern am Himmel los und laufe zu Maria. Immer durch den Sand, in dem meine kleinen Füße versinken und tiefe Spuren hinterlassen, vorbei an verlassenen Decken und Sonnenschirmen. Maria lacht. Sie sieht mich an und ich weiß, dass sie nur darauf wartet mir eine glitschige Qualle ins Gesicht zu werfen und dennoch laufe ich weiter, immer weiter, bis das erste Wasser meine Füße umspült. Das Rauschen der Wellen in meinen Ohren. Eine eigene Melodie, die mich beschwingt. Durch den warmen Sand hüpfen und glauben, dass dies nie enden wird. Ein unendlich langer Tag voller Glück und Lachen. Ich blicke auf meine Füße hinab. Sie sind umhüllt von klobigen Schuhen mit rostigen Schutzkappen. Der Blaumann ist beschmiert mit Fett und Öl. Staub hängt in der viel zu warmen Luft und macht das Atmen schwer. Nur noch den Bereich mit den emaillierten Rohren kehren und hoffen, dass der Emailstaub sich dieses Mal nicht bis in die Lunge verirrt. Der Besen fegt über den Boden, wirbelt schwarzen Dreck auf, von dem ich nicht einmal wissen möchte, wie gefährlich er ist. Eine Wolke baut sich vor mir auf und zwingt mich mit dem Putzen inne zu halten. Es kribbelt in der Nase und hastig suche ich in der Hosentasche nach einem Taschentuch. Ich hasse diese Arbeit, dieses dreckige Loch und die Düsternis, die kaum von den spärlich verteilten Lampen vertrieben werden kann. Erwachsen sein ist schwer. Es tut weh und ich weiß nicht, wie lange ich schon nicht mehr ehrlich und laut gelacht habe. Wieder schaue ich zu Boden und bilde mir einen flüchtigen Moment lang ein nackte Zehen und Sand zu sehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)