Es steht geschrieben von Vanillaspirit ================================================================================ Kapitel 1: Der Brief -------------------- Der Brief war an den Ecken geknickt und übersät mit braunen Flecken, die von seiner langen Reise stammten. Der Bote hatte sich beeilt ihn hierher zu bringen und dabei sogar sein Pferd zu Tode geritten. Elisabeth hatte vom Fenster aus sehen können, wie das arme Tier qualvoll zusammengebrochen war und nun stand sie in ihrem Schlafzimmer und hielt die Nachricht in ihren zitternden Händen. Ihre Finger fuhren über das Siegelwachs mit dem Familienwappen. Eine Nachricht ihres Vaters. Unruhig begann Elisabeth auf und ab zu gehen. Ihr Vater war kein großer Freund von Papier und Feder, auch lagen ihm große Worte nicht. Er war Major, er musste Befehle nur brüllen und nicht schmuckvoll verpacken. Konversationen waren nicht seine Stärke, auch vermied er es mit seiner Tochter zu reden. Sie wäre ihm zu ungestüm und eigensinnig, hatte er Elisabeth vor seiner Abreise beschrieben, es würde schwer werden einen Mann für sie zu finden. Der Brief wurde gegen das gepuderte Kinn der jungen Dame getippt, bevor ihre Augen ihn noch einmal genau musterten. Elisabeth war unschlüssig, ob sie ihn öffnen sollte. Ihre Neugier war groß, aber sie war nicht dumm. Sie ahnte, welche wichtige Nachricht ihr Vater geschrieben hatte. Energisch marschierte sie zu ihrem Sekretär, riss den Stuhl zurück und ließ sich darauf nieder. Den Brief warf sie auf die Arbeitsfläche und ertappte sich kurz darauf dabei, wie sie mit den polierten Fingernägeln auf dem Siegelwachs trommelte. Es war eine Grenze, die Elisabeth nicht überschreiten wollte. Das Rot hielt Worte verschlossen, die sie sich denken konnte, aber noch nicht lesen wollte. Jetzt noch nicht. Die Reste ihres kindlichen Verstandes bildeten sich noch ein, dass nichts passieren würde, solange dieses Wachs nicht zerbrechen würde. Die Majorstochter hingegen wusste zu genau, dass das dumme Gedanken waren. In ein paar Tagen würde ihr Vater zurück kommen, samt Bräutigam, und dann war es egal, ob das Siegel noch intakt war oder nicht. Resignierend seufzte die junge Dame, bevor sie den Brief in eine der Schubladen legte. Sie wagte es sogar sich ein verschmitztes Lächeln zu gönnen. Wenigstens bis zur Rückkehr des Majors wollte sie in verlogener Unwissenheit die Reste der Kindheit genießen. Ein letzter Blick auf das rote Siegel, dann schloss Elisabeth die Schublade. Noch wollte sie sich dem Gedanken hingeben, dass sich nichts ändern würde, solange das Wachs ungebrochen war und die verborgenen Worte ungelesen blieben. Kapitel 2: Ein Tag am Strand ---------------------------- Meine Kindheit am Meer war schön. Manchmal glaube ich schöner als alle anderen. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich noch alles vor mir: den Sand in seinen vielen Braunnuancen, grünliches Wasser, das farblos wurde, sobald man es in seiner Hand gefangen hatte. Ich rieche den Geruch von Salz und Algen. Ein einzigartiger Duft, den ich heute am liebsten in Flaschen füllen würde, nur um mich immer wieder daran berauschen zu können. Der Sand knirscht zwischen meinen Zehen und ich weiß, dass ich ihn noch Tage später in meinem Rucksack finden werde. Ich hebe das Bruchstück einer schwarzen Muschel hoch und puste sorgfältig die wenigen Sandkörner fort. Das Schalenstück wirkt in meiner Kinderhand zerbrechlich und unscheinbar, dennoch behandle ich es wie einen Schatz und lege es zu meinen anderen Kostbarkeiten - einem Berg voller Hühnergötter, Muscheln und flachen Steinen. „Jeannine, komm!“ Ich schaue zu meiner Freundin Maria in ihrem neongrünen Badeanzug. Sie winkt mir vom Wasser aus zu, doch ich habe noch keine Lust auf die erschreckende Kälte der Ostsee. Mein Blick schweift über den Strand. Ich sehe Freude, Lachen, Familien die sich amüsieren. Grellbunte Drachen fliegen am Himmel, sie scheinen die Wolken kitzeln zu wollen. Ich möchte lachen, so laut, dass ganz Warnemünde es hören kann. Dieser Anblick ist so wundervoll. Grün, blau, rot, gelb und ihre kunterbunten, zuckenden Schwänze, die vor himmelblau und watteweiß tanzen. „Jeannine!“ Ich reiße mich von den Farbtupfern am Himmel los und laufe zu Maria. Immer durch den Sand, in dem meine kleinen Füße versinken und tiefe Spuren hinterlassen, vorbei an verlassenen Decken und Sonnenschirmen. Maria lacht. Sie sieht mich an und ich weiß, dass sie nur darauf wartet mir eine glitschige Qualle ins Gesicht zu werfen und dennoch laufe ich weiter, immer weiter, bis das erste Wasser meine Füße umspült. Das Rauschen der Wellen in meinen Ohren. Eine eigene Melodie, die mich beschwingt. Durch den warmen Sand hüpfen und glauben, dass dies nie enden wird. Ein unendlich langer Tag voller Glück und Lachen. Ich blicke auf meine Füße hinab. Sie sind umhüllt von klobigen Schuhen mit rostigen Schutzkappen. Der Blaumann ist beschmiert mit Fett und Öl. Staub hängt in der viel zu warmen Luft und macht das Atmen schwer. Nur noch den Bereich mit den emaillierten Rohren kehren und hoffen, dass der Emailstaub sich dieses Mal nicht bis in die Lunge verirrt. Der Besen fegt über den Boden, wirbelt schwarzen Dreck auf, von dem ich nicht einmal wissen möchte, wie gefährlich er ist. Eine Wolke baut sich vor mir auf und zwingt mich mit dem Putzen inne zu halten. Es kribbelt in der Nase und hastig suche ich in der Hosentasche nach einem Taschentuch. Ich hasse diese Arbeit, dieses dreckige Loch und die Düsternis, die kaum von den spärlich verteilten Lampen vertrieben werden kann. Erwachsen sein ist schwer. Es tut weh und ich weiß nicht, wie lange ich schon nicht mehr ehrlich und laut gelacht habe. Wieder schaue ich zu Boden und bilde mir einen flüchtigen Moment lang ein nackte Zehen und Sand zu sehen. Kapitel 3: Langeweile --------------------- Vor Monaten für einen Wettbewerb über eigene Gedanken entstanden. Annähernd autobiographisch. Ob man vor lauter Langeweile wirklich stirbt? Gute Frage, die Antwort werde ich wohl am Ende des Tages wissen. Meine Hand fährt zu meiner Stirn und streicht die lästigen Haare weg. Ich gratuliere mir innerlich. Eine Bewegung, ich konnte mich tatsächlich zu einer Bewegung herablassen. Mal etwas Abwechslung, wo das Nichtstun mich schon seit geraumer Zeit zu paralysieren scheint. Ich habe das Gefühl, dass mein Hirn zu Grütze zusammenfällt. Heute ist absolut nichts los, niemand da, keine Veranstaltung und zum Kino komme ich ohne Auto schon gar nicht. Eine besonders grausame Entität hatte meinen Eltern vor Jahren eingeredet, dass es ja so toll sei, weit weg jeder kulturellen Einrichtung zu leben. Ich schnaube verächtlich. Wahrlich super toll! Vielleicht sollte ich los ziehen und mich mit Schafe zählen ablenken. Tiere gibt es hier ja genug. Apropos Tier. Das dicke, rote Fellknäuel, dem ich täglich eine Dose Futter öffnen darf, hat sich in mein Bett geschlichen. Lustlos hebe ich meinen Kopf und schaue zu, wie es sich zwischen mich und die Lehne meines Schlafsofas drängt. Noch ein Grund sich nicht zu bewegen. Dieses verdammte Vieh hat die Eigenschaften von Wasser: es dringt in kleinste Lücken und dehnt sich auf ein Vielfaches aus, wenn man nicht entgegen hält. Immer wieder erstaunlich, welche Ausmaße ein Kater annehmen kann. Nanu? Er guckt mich an, er miaut leise, er will gestreichelt werden. Ich seufze leise, lege meine Hand auf seinen Kopf und bewege sie leicht hin und her. Das ist alles, nur keine Ablenkung und das Geschnurre stört mich eher, als dass es entspannt. Vielleicht hilft etwa Fernsehen?! Also Hand hoch auf die Lehne, Fernbedienung ertasten und zappen. Faszinierend, wie viel Nichts auf knapp 30 Kanälen Platz findet. Schließlich lasse ich MTV laufen und Musik, die ich nicht mal geschenkt haben will, erschallt in meinem Zimmer. Das war nun sehr effektiv, höre ich das fiese, kleine Etwas tief in mir sarkastisch denken. Als ob ich nicht selber weiß, wie sinnlos diese Aktion im Endeffekt ist. Ein bisschen Verstand, der noch nicht im Sumpf aus Antriebslosigkeit und Langeweile versunken ist, kratzt sich mühevoll zusammen und schlägt vor, ein Buch zu lesen. Meine Augen wandern wieder zur Lehne meines Sofas, auf der sich bonbonbunte Buchrücken stapeln. Ich sehe sie mir knapp an und entscheide, dass ich grad gar keine Lust dazu habe. Soweit ist es also schon. Vor lauter Langeweile bin ich bereits in die Antriebslosigkeit abgedriftet. Ich hasse dieses Gefühl, das sich in meinem Kopf immer nur als wabberndes Grau manifestiert. Es ist lästig und fühlt sich nach einer Weile an wie bleierne Müdigkeit und gleichzeitiger, rotierender, ungenutzter Energie im ganzen Körper. Es ist einfach nur abstoßend, kaum greifbar und virusartig. Es breitet sich aus, wie ein Krankheitserreger, den ich kaum bekämpfen kann, bis ich da liege, nicht weiß, was ich machen soll und irgendwann auch keine Lust mehr verspüre. Weiches Fell unter meinen Fingern sagt mir, dass ich wieder begonnen habe Kyo zu streicheln. So lieg' ich nun also auf dem Rücken, starre die Poster an meiner Decke an, kraule ein dickes, rotes Fellknäuel, das mich garantiert anknabbern würde, wenn ich mich nicht alle paar Zeiten mal bewege und weiß rein gar nichts mit mir anzufangen. Ziemlich erbärmlich. Einen Moment lang schließe ich die Augen, sammle etwas Kraft und hindere meinen inneren Schweinehund kurz daran, weiterhin an meinem Antrieb zu nagen. Mit einem Ächzen aus tiefster Seele richte ich mich auf. Mein Kater nutzt das sofort aus und erobert sich etwas mehr Platz. Ich schüttle knapp den Kopf darüber, bevor ich den PC einschalte. Mit etwas Glück bietet sich dort etwas Ablenkung. Windows baut sich auf. ICQ erscheint. Anmelden! Und natürlich sofort eine Nachricht. Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem grimmigen Lächeln, als ich lese. Ach, ihr ist langweilig? Na, mein Beileid aber auch! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)