Wie Kobold Dummheit steigert von Hobbit (Sommerwichtelgeschichte für ChinChila) ================================================================================ Kapitel 5: Klischees -------------------- Das Stellas existierte schon seit Generationen. Es war ein Familienbetrieb der stets über die älteste Tochter der Stellas weitervererbt wurde. Bis vor Kurzem hatte es sich bei dem Laden um eine üble Spelunke gehandelt, doch dann war die Besitzerin an einem Morgen tot im Lagerraum aufgefunden worden. In einem Bierfass ertrunken. Nicht besonders dramatisch und nicht besonders traurig. Ihre Familie weinte ihr keine einzige Träne nach. Und nun kam die Reihe an Hrune Stellas das Familienunternehmen fortzuführen. Innerhalb kürzester Zeit war das Stellas nicht nur komplett renoviert und neu ausgestattet, sondern hatte sich sogar seine Fünf-Eicheln als Feinschmeckerrestaurant verdient. Also, wer war diese Hrune? Sie war eine junge Kobolddame mit sehr anspruchsvollen Ambitionen. Die allerdings die Kneipe ihrer Familie nicht mit einschlossen. Seit Jahren nämlich litt Hrune unter einem ganz bestimmten Problem. Ihrer Intelligenz. Als kleines Kind war sie auf einen der Christbäume geklettert, die ihr Vater zu Weihnachten von den Oberirdischen „geborgt“ hatte. Wie durch ein Wunder hatten die Äste die junge Koboldin sogar getragen, bis sie die Spitze erreicht hatte. Dann allerdings war sie auf die schlaue Idee gekommen, ihren kleinen Brüdern eine ordentliche Grimasse zu schneiden, hatte den Baum losgelassen und war ziemlich hart mit dem Kopf auf dem Boden aufgestoßen. So nahm das Übel seinen Anfang. Hrune kämpfte gegen zwei entscheidende Klischees. Zum einen das der Unterirdischen: So etwas wie einen intelligenten Kobold gäbe es nicht. Das sprichwörtliche „dumm wie ein Kobold“ kam ja leider auch nicht gerade von ungefähr. Zum anderen gegen das ihrer eigenen Artgenossen: Bildung sei etwas für Ängstliche. Nicht dass es sie sonderlich interessiert hätte, was andere Kobold wie zum Beispiel ihre Brüder von Intelligenz dachten. Eine einzige Person allerdings gab es, bei der es einen ganz gewaltigen Unterschied gab. Lem, der Kobold, der seine Verlobung mit Hrune ausgelöst hatte, weil sie ihm erklären konnte, weshalb das Wasser im Kochtopf heiß wurde, wenn man ihn über eine Flamme stellte. Seit diesem Tag stand für die Koboldin fest, entweder sie bekam ihre eigentlich naturgegebene Dummheit zurück oder sie bekam ihre Dummheit zurück. Schon diese simple Feststellung machte es eigentlich klar, dass Hrune sich auf dem besten Weg befand, dieses Ziel schon bald zu erreichen. In der Küche war die Hölle los. Hrune hätte am liebsten die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wären die nicht von Nöten gewesen, um links eine Platte herunterfallender Desserts aufzufangen und mit rechts ihren jüngsten Bruder Dex am Kragen festzuhalten, damit er nicht auf Rex, ihren anderen Bruder, losging. „Würde vielleicht einer von euch die Freundlichkeit besitzen, mir zu sagen, was für ein Problem ihr habt?“, brüllte die Koboldin über die Titelmusik von ‚Es war einmal am See‘ hinweg, die gerade aus den Lautsprechern des tragbaren Minifernsehers erklang, den Rex zu jeder Zeit mit sich herumtrug und den er abends sogar mit ins Bett nahm. Trotz der Lautstärke ihrer Stimme sahen die beiden Koboldbrüder sie nur verständnislos an. Hrune verdrehte theatralisch die Augen. War das etwa schon zu hoch für die zwei? „Ihr wollt es einfach?“ Ah, diese Frage kam Rex und Dex schon wesentlich bekannter vor. Ihre Schwester stellte sie oft. Zwar begriffen die beiden auch diese Worte nicht so wirklich, allerdings hatten sie gelernt, dass es deutlich gesünder für ihre Trommelfelle war, wenn sie daraufhin einfach nickten. „Dann sagt mir einfach, wer von euch Flachschädeln diesen Streit angefangen hat!“ Dex sah nach Hilfe suchend zu Rex und leckte sich nervös über die Augen. „Hey, sag mal, war das eine Beleidigung, Rex?“ Der Angesprochene zuckte verwirrt mit den Schultern. „Kann schon sein... Hruni? War das eine Beleidigung?“ Die Kobolddame tätschelte ihren nun glücklicherweise wieder friedlichen Brüdern nacheinander über den Kopf. „Geht nach Hause zu Papi, Jungs.“ Feierabend? Das war wie Musik in den Ohren der beiden Jungspunde. Ohne Widerworte kamen die beiden der Aufforderung nach. An der Tür stießen die Brüder noch beinahe mit dem Koch zusammen. Dem Feenmann allerdings gelang eine rasche Flucht an die Küchendecke. Hrune seufzte erleichtert auf, nachdem die Stimmen ihrer Brüder verklungen waren. Von dem Tablett mit den Desserts, das sie nach wie vor auf der linken Handfläche balancierte, nahm sie sich ein kleines Spinat-Marzipan-Törtchen. „Du kannst es ruhig essen. Das Betäubungsmittel ist in den Kirschtrüffeln.“ Crunch, Koch und stellvertretender Geschäftsführer des Stellas, schwebte wieder hinab auf den Boden und genehmigte sich selbst ein kleines Praliné, von dem Hrune vermutete, dass es irgendeine Mischung mit Kaffee sein musste. „Erzähl‘ mal, Crunch, wieso war Dex gerade dabei Rex zu erwürgen, als ich die Küche betreten habe“, forderte die Koboldin ihren engsten Vertrauten auf, während sie das Törtchen wieder auf das Tablett zurücklegte. „Und nun sag‘ mir bloss nicht, dass es schon wieder um die Häutung ging.“ Der Feenmann machte eine wage Handbewegung und grinste. „Knapp daneben. Bleiben noch zwei Versuche.“ Allerdings schien Hrune in diesem Moment ausgesprochen wenig von dem Ratespiel zu halten. „Witzig“, kommentierte sie trocken. „Dass es um das Ei ging, ist ja wohl klar. Du solltest mir sagen, was genau die beiden für ein Problem hatten.“ „Es ist wegen dieser Sache mit den drei Fragen. Sie glauben wirklich immer noch, dass du ihnen eine übriglassen wirst. Aber sie sind sich nicht einig, ob sie den Drachen fragen sollen, ob die Hauptperson aus dieser Fernsehserie... wie hieß sie doch gleich?“ „Es war einmal am See?“ „Ja richtig. Genau die. Rex will fragen, ob die Hauptperson den Schatz am Ende finden wird. Dex möchte aber lieber wissen, welchen von ihnen du lieber magst.“ Hrune lachte spitz auf. „Sie sind alle beide unverzeihliche Idioten.“ Sie drückte Crunch das Desserttablett in die Hand und durchquerte die Küche. In der Mitte des Raumes gab es einen großen, steinernen Kamin. Eine selbst für die feuerfeste Koboldin außergewöhnlich heiße Luftströmung schlug ihr aus dem Kamin entgegen je näher sie kam. „Aber was soll’s. Ich brauche die beiden nicht für die Vollendung meines Planes.“ Sie ging vor dem Kamin in die Knie und beugte sich mit leuchtenden Augen noch ein Stück weiter vor. Dort in der Asche eines längst vergangenen Feuers lag ein roter Klumpen, oval und fleckig. Das echte Drachenei. Liebevoll streichelte sie über die glatte Schale. Unter ihr verborgen lag die Erfüllung ihres Zieles. Oder zumindest ein großer Schritt in die richtige Richtung. „Sobald mein kleiner Drache erst einmal geschlüpft ist, gebe ich ihm einen Namen. Und du weiß ja wie es heißt, Crunch, nicht wahr?“ Kleine blauen Flammen tanzten um Hrunes Hände herum. Das Baby brauchte Wärme, ganz viel Wärme. Kaum etwas war so heiß wie Koboldfeuer. „Wer den Namen eines Drachen kennt, dem beantwortet er drei Fragen“, erwiderte sie auf ihre eigene Frage. Crunch nickte hektisch. „Ja! Eine für Rex und Dex, eine für mich und eine für dich.“ Es könnte einem beinahe ironisch vorkommen, dass dieses Superhirn, das sich den Plan mit dem Drachenei ausgedacht hatte, bloss die Frage interessierte, wie sie ihre Intelligenz schnellstmöglich loswerden konnte. Aber wie gesagt, nur beinahe. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)