Christmas Carol von maykei ((eine TRC-Weihnachtsgeschichte)) ================================================================================ Strophe 1 bis 15 ---------------- Strophe 1 Die Straßen strömten über vor Menschen. Auf den Bürgersteigen drängten sie sich und es war ein Wunder, dass sie nicht auf die bereits vom heftigen Verkehr eingenommenen Straßen quollen. Über den Wolkenkratzern prangte strahlend weiß der Himmel und in den Ritzen zwischen den Straßenpflastern hatten sich Eiskristalle gebildet. Überall bimmelte und sang es, Männer in schlecht gemachten Weihnachtsmannkostümen sammelten in klappernden Blechboxen für Arme. Männer in sauberen, wuscheligen, puschigen Weihnachtsmannkostümen und knapp bekleidete, wunderschöne Weihnachtselfdamen sammelten Kunden für Reiche. Überall waren Weihnachtsbäume aufgestellt worden und im Park strahlte ein besonders riesiger Weihnachtsbaum vor einer extra für diesen Anlass errichteten Eislaufbahn. Es war einen Tag vor Heiligabend und jeder, wirklich jeder schien noch ein Geschenk zu brauchen. Verärgert bahnte sich ein außergewöhnlich groß gewachsener, aber dennoch kräftiger Mann seinen Weg durch die Menschenmassen und fühlte sich als würde er durch ein Meer im heftigen Wellengang voller Treibholz warten. Hatten die denn nichts anderes zu tun, verdammt noch mal? Wenn sie jetzt noch ein Geschenk suchten, war die Person, für die dieses Geschenk gedacht war, sicher nicht viel wert, sonst hätten würden sie ja das Geschenk nicht am letzten Tag kaufen!! Er selbst war auf dem Weg zu einem Blumenladen. Normalerweise nahm er immer das Taxi, wenn er aus dem Haus ging. In New York Auto zu fahren war nervlicher Suizid, zu Fuß gehen heute allerdings auch. Aber die Straßen waren dicht: Selbst wenn er gegen alle Erwartungen doch noch eins bekommen hätte, wäre er nur dumm in der Gegend herumgestanden, während der Zähler weiter ratterte und der Auspuff grauen Dampf in den eh nicht all zu fröhlich aussehenden Himmel puffte. Hupen und Motorgeräusche vermischten sich mit nerviger Weihnachtsmusik und gingen dem Mann alles in allem auf die Nerven. Blumenladen, Blumenladen. Blumenladen. Er wusste, dass es hier einen gab, doch diese Straße war lang, verdammt lang, und hatte dazu noch verdammt viele Geschäfte in die Menschen aus und ein strömten. Endlich sah er sein Ziel. An der Ecke dort sah er das grüne Schild über dem Laden mit der weißen Schrift. „Claires Flowers“. Endlich dort angekommen schritt er über einen Haufen halb gefrorener violetter Stiefmütterchen und Christsterne ins Innere. Sofort schlug ihn eine schwere Duftwelle entgegen. Aber wenigstens dudelte hier keine Weihnachtsmusik, er fühlte sich nur wie in einem Urwald. Die Heizung war auf das Maximale aufgedreht worden und zwischen lauter Pötten, Blumen und sonstige Pflanzen, die so gar nicht zu dem Weihnachtstrubel passen wollten, war auch noch jeder freie Platz mit Lametta, Glitzer, Weihnachtssternen und Engelsfiguren zugestopft worden. „Kurogane!“, kam mit schrecklich amerikanischen Akzent hinter der Theke hervor, kurz bevor es ein leicht übergewichtiger Mann tat, dessen spärliches Haupthaar schon recht weißlich wirkte. „Du kommst sicher wegen den Lilien und Kirschblütenzweigen, nicht wahr, Kumpel?“ „Ah“, antwortete er und fragte sich, warum sich der Amerikaner einfach nicht seinen Nachnamen merken konnte. „Warte, sie sind hinten. Hast du einen Blick auf den Laden? In letzter Zeit werden immer Blumen geklaut. Blumen! Kann sich das einer vorstellen! Wer klaut denn Blumen?“ Und schon war er verschwunden. Der hochgewachsene Japaner lehnte sich mit verschränkten Armen an die Theke, schloss die Augen und versuchte alles auszublenden. „Huhu~ Alles in Ordnung?“ Doch viel Ruhe war ihm nicht vergönnt. Unter ihm stand ein .... etwas. Es hatte einen unglaublich langen blau-weißen Schal um den Hals mit dem man den wohlbeleibten Besitzer des Blumenladens wohl drei Mal mumifizieren konnte. Die langen Zipfel fielen über eine dick gefütterte weiße Daunenjacke, schmerzlich dünne Jeansbeine entlang auf den Boden. An den Enden waren sie schon etwas grau, er hatte sie wohl den ganzen Weg mit sich herum gestreift. Das Gesicht war verborgen unter einer übergroßen blau-weißen Strickmütze und ein paar straßenköterblonde Haare lugten darunter hervor. Die Stimme war weich, aber definitiv männlich. Sonst hätte Kurogane seinen Gegenüber wohl auf dem ersten Blick für eine Frau gehalten. „Ah.“, gab er nur einsilbig von sich und schloss wieder die Augen. „Hey, kann ich mir was von den Plätzchen da nehmen?“ Kurgane öffnete die Augen wieder und blickte auf die Pfefferminzplätzchen, die in einer schrecklich bunten Schüssel auf dem von Zweigen und Blättern übersäten Einpacktisch standen .“Keine Ahnung, ist nicht mein Laden.“ „Wirklich nicht?“ „Ja, wirklich nicht.“ „Sie sehen aus, als gehörte Ihnen das hier.“ „Ich mag keine Blumen.“ „Ja, aber was machen Sie denn dann hier?“, nervte sein Gegenüber Plätzchen kauend weiter. Doch in dem Moment kam der Amerikaner wieder in den Verkaufsraum, im Arm ein dickes Bündel. Kurogane wand seinen Blick von seinem unfreiwilligen Gesprächspartner ab. Den Schal hatte dieser etwas herunter gezogen und neben außergewöhnlich schön geschwungenen Lippen klebten ein paar Krümel. „Warten Sie, ich wickle es ihnen auf.“ „Nicht nötig, ich nehme es so.“ Eilig bezahlte er und verließ den Laden. Doch das blonde Schalwesen folgte ihm. „Was willst du?“, fragte Kurogane murrend. „Wissen, warum Sie Blumen kaufen, obwohl Sie gar keine Blumen mögen. Sind die für Ihre Freundin? Für ihre Frau? Feiert man in Asien überhaupt Weihnachten? Sie sind doch Asiate, oder? Chinese? Vietnamese?“ Entnervt schritt Kurogane weiter voran seinen Weg durch die Masse. Was nicht so einfach war und schon gar nicht in der von ihm gewünschten Geschwindigkeit. Zu Fuß gehen war wirklich nervig, wie konnte er diesem nervende Kerl nur entkommen? Er hatte gerade wirklich alles andere im Kopf. „Wussten Sie, dass die Blumen länger halten, wenn sie Mineralwasser in die Vase füllen?“ „Nein.“ „Dann halten Sie länger. Heiligabend ist ja erst morgen und wenn Sie die Blumen verschenken, sollen sie dann ja auch noch zumindest Silvester überleben, nicht wahr?“ Es sah eh niemand, wenn die Blumen verwelkten. Also war es völlig egal, wie lange sie hielten. Aber das musste er dem Kerl ja nicht sagen. Sicher war er von einer dieser Weihnachtssekten, die seiner Seele unbedingt gegen einen horrenden Mitgliedsbeitrag retten wollten. Endlich am Ende der Straße angekommen, wurde es leerer und er beschleunigte seinen Gang. Endlich betrat er den Vorplatz des Krankenhauses, aber er wurde immer noch verfolgt. „Besuchen Sie jemanden?“ Abrupt blieb er stehen und das Schalwesen prallte gegen seinen Rücken. Kurogane bemerkte einen krankhaften zarten Knochenbau, selbst durch ihrer beider dicker Kleidung hindurch. Der Vorplatz des renommierten Krankenhauses war völlig leer, bis auf eine geschmacklose Eisenkonstruktion in der Mitte, die sich Kunst schimpfte. Dahinter hob sich die Glasfassade des „Eisenhower-Central-Hospitals“ in den weißen Himmel. „Hören Sie, wenn Sie ein verdammter Stalker sind, suchen Sie sich jemand anderes, ich schlag Sie windelweich. Wenn Sie mir weiter auf die Nerven gegen, schlag ich Sie auch windelweich. Sie haben jetzt also die Möglichkeit zu verschwinden und sich einen anderen Dummen zu suchen, den Sie nerven können, oder die letzten Meter zur Rezeption getragen zu werden.“ „Oh!“, die Augen – eisblau, aber eher wie ein gefrorener Sommerhimmel – leuchteten begeistert auf. „Das würde ich begrüßen!“ Ungläubig sah Kurogane den Mann vor sich an. „Was?“ „Getragen zu werden. Ich wurde sehr lange nicht mehr getragen. Schlagen Sie nur zu!“ Er hatte es mit einem Verrückten zu tun. Er hatte es wirklich mit einem Verrückten zu tun... wortlos ging er weiter. Doch er wurde weiter verfolgt. Einfach ignorieren, bis er aufgab. „Hey, wollten Sie mich nicht schlagen?“ „Sie stehen wohl drauf. Oder suchen Sie nur einen Dummen, von dem Sie Schmerzensgeld fordern können?“ Sein unfreiwilliger Wegbegleiter schloss auf und grinste ihn breit von der Seite an. „Ich will nur, dass Sie sich besser fühlen. Und dachte, wenn Sie sich besser fühlen und ich mich dabei auch noch besser fühle, haben wir beide ein schönes Weihnachten.“ „Ich scheiß auf Weihnachten.“ „Wollen Sie eine Mohnblume? Ist Klatschmohn, aber ich glaube Sie sind nicht der Typ, der oft begeistert in die Hände klatscht, nicht wahr?“ Kurogane hatte es fast bis zu den großen Glastüren des Eingangs geschafft, stoppte nun seine Schritte und sah auf die einzelne, in der Kälte zitternde Mohnblume, die ihm vor der Nase schwankte. Moment, im Laden hatte der Kerl noch keine in der Hand gehabt. „Die hast du geklaut.“ „Jap, zusammen mit den Plätzchen.“ Kuroganes Augenbrauen verengten sich. Der Mann vor ihm kramte mit einer Hand im Inneren seiner dicken Daunenjacke und beförderte ein paar Pfefferminzplätzchen hervor. Die Mohnblume hielt er ihm die ganze Zeit vor die Nase und der Japaner musste etwas schielen, um seinen Gegenüber überhaupt fixieren zu können. Die roten Blüten verströmten einen eigentümlichen Duft. „Wollen Sie was? Plätzchen?“ „Nein.“ „Ach, seien Sie nicht so fies! Tun Sie irgendwas, Sie können doch nicht immer vor ihrem Problemen weglaufen! Stellen Sie sich ihrer Wut! Lassen Sie alles raus.“ Der Kerl wollte ihn also doch provozieren. Ohne ein weiteres Wort ging er an ihm vorbei ins innere, ohne an der Rezeption halt zu machen zum Aufzug und wartete. Ohne hinzusehen, wusste er, dass das Schalmonster neben ihm stand. Die Aufzugtüren öffneten sich, er trat ein, schubste den kleiner Mann kräftig aus der Kabine und fuhr endlich allein in den vierten Stock. Strophe 2 Wieder kein Schnee. Die Musik auf volle Lautstärke gedreht schlurfte der Junge durch die steril stinkenden Krankenhausgänge. Seine Füße waren eiskalt, seine Turnschuhe und Socken durchweicht, weil er auf dem Schulhof in eine Pfütze getreten war. Da kam er mal zur Schule und dann das... aber dieses Mal wieder kein Schnee, hatte der Fritze im Radio gesagt. Wenn schon kalte Füße, dann durch Schnee, aber seit 3 Jahren gab es hier kein weißes Weihnachten mehr. Fast lief er, in so mürrischen Gedanken versunken, gegen einen Riesen in fescher Lederjacke, der ihm auf dem Gang entgegen gestampft kam. Aber bis auf die Tatsache, dass er Asiate war, konnte er nicht viel erkennen. Na ja, war ja auch egal. Raum 472. Er öffnete die Tür, schmiss seine Schultasche in die nächste Ecke, zog sich die Kopfhörer raus und kramte in der Papptüte auf seinen Armen. „Hey, Sakura. Ich hab dir vernünftiges, nährstoffreiches von Mr. Donuts mitgebracht. Den Fraß hier können wir uns nicht noch ne Woche an tun, ich frag mich, ob sie den Koch aus der Psychiatrie geklaut haben.“ Auf dem Bett lag ein Mädchen, die einzige Patientin hier. Die beiden anderen, eine ältere Frau und eine Alkoholikerin waren wohl gerade in der Kantine. Wer noch konnte, dem wurde das Essen nicht aufs Zimmer gebracht. Ihre Haare waren kastanienbraun und sie sah heute nicht so blass aus, stellte der Junge fest. Nun gut, das Essen stand schon da, aber die Schwester hatte sich wohl erinnert, dass es Mittwoch war und er Mittwoch fast immer kam. Das Bett knarzte als er sich auf die Kante fallen ließ, sich rüber beugte und dem Mädchen einen flüchtigen Kuss auf die Lippen gab. Das Bett war schon hochgestellt worden, nichts stand seinem Vorhaben im Wege. „In der Stadt is echt was los, wird wohl echt bald Weihnachten. Bin froh, dass wir das so geregelt haben, erst am 28ten zu feiern, wenn der ganze Schmu vorbei ist. Muss nämlich Weihnachten im Heim sein, Vorschrift. Beschissen, aber alles is ja beschissen, ne?“ Der Kirschdonut in der Tüte war mittlerweile reichlich zerbröselt und er begann ein paar Brocken zwischen die hübschen Kirschlippen zu schieben. Sie aß, aber sie starrte die ganze Zeit aus dem Fenster. „Im Radio haben Sie gesagt, dass es dieses Jahr wohl nicht mehr schneien wird“, erzählte er und stopfte sich den nächsten Brocken selbst in den Mund, bis sie langsam fertig gekaut hatte. Nun war seine Freundin wieder dran und auf diese Art und Weise killten sie 6 Donuts und das Krankenhausessen. Gerade beim Nachtisch, den er allein aß, denn Sakura mochte keinen Griesbrei, öffnete sich die Tür und ein schlanker, blonder Mann kam hereingeschlüpft. Feindlich sah ihn Shaolan an. „Was? Die anderen beiden sind weg, verpiss dich.“ „Aber, aber!“, ein breites Grinsen war die einzige Reaktion des Blondschopfs auf seine Worte. „Ich wollte fragen, ob ihr Mohn mögt.“ „Lass stecken.“ „Aber sie mag Mohn, sie hat es mir gesagt!“, verkündete er und kam herein. Nun sah braunhaarige Junge auch, dass er einen rote Blume in der Hand hielt, der Kerl hatte gar keine Drogen gemeint... Ein langer, weiß-blauer Schal schlurfte über den Boden, als der Fremde mit großen Schritten den Raum durchschritt, unter dem grünen Beistelltisch eine Vase hervor fischte, sie mit der Flasche Mineralwasser vom Nachbartisch auffüllte und die Blume hinein steckte. Shaolan hielt einfach mal den Mund und aß weiter den Griesbrei. „Also dann! Frohe Weihnachten!“, verkündete der Blonde beim Herausgehen und im nächsten Moment war die Erscheinung schon wieder fort. Der Junge sah zu dem Mädchen im Bett. Ihr Blick war noch genau so starr und leer nach draußen gerichtet. Er fragte schon gar nicht mehr, was da draußen so interessant sein konnte. Oder an der weißen Wand, oder an der Tür, oder an ihren Händen. Sie sah immer überall hin, nur nicht in sein Gesicht. „Gesagt hast du's ihm also? Dass ich nicht lache.“ Noch ein Kuss auf die Wange, den Müll in den Eimer, packt er wieder seine Tasche und verließ das Krankenzimmer. Von Zimmer zu Zimmer streifend, ergatterte er noch zwei Portionen Nachtisch, bis er an der Aufzugstür ankam. Ach, es war doch der 23te nicht wahr? Also würden diese hübschen Blumen wieder im Zimmer 419 stehen, die genau so hießen wie Sakura. Sakura war auf einer Japanreise ihrer Eltern zur Welt gekommen und da die beiden total in dieses Land vernarrt waren, hatten sie sie nach den traditionellen Blüten benannt, die da wuchsen. Und ein Mal im Jahr standen solche Zweige auch in Krankenzimmer 419 rum. Shaolan brach sich immer einen Zweig ab und stellte ihn zu Sakura hinein. Als Ritual sozusagen. Doch dieses Mal war das Zimmer besetzt. Durch die Tür schielend sah er den Mann, mit dem er auf dem Gang fast zusammen gecrasht wäre, am Bett der Frau und des Mannes sitzen. Die Ellenbogen auf die Knie gestützt und mit seinen Fingern die Schläfen massierend. Die beiden Patienten, die hier schon waren, als Sakura vor 3 Jahren eingeliefert wurde, war eine Frau mit langen schwarzen Haaren und schweren, schwarzen Wimpern. Er fand sie recht hübsch, obwohl sie voll alt war, sicher so 30, und ihre Haut ganz papierweiß, die Wangen eingefallen. Der Mann, ihr Bruder oder Mann oder so - sie hatten den selben Nachnamen - war allerdings nicht so hübsch. Meistens lag sowieso so n weißes Tuch auf seinem Gesicht, aber die Haut, die darunter hervor blitzte war so rot- schwarz wie ne zerquetschte Stechmücke. Als Shaolan nach nem Streifzug durch die dritte Etage und proppesatt wieder an der Tür zu 419 ankam, war der Besuch immer noch da. Der Kerl hatte wirklich Durchhaltevermögen. Plötzlich bekam er Schluckauf, Schluckauf, der so schlimm war, dass er zum Klo rennen musste und sich übergab. Strophe 3 Als Kurogane sich auf den Rückweg machte, war es zum Glück so spät, dass kaum noch Irre auf der Straße waren. Am Eingang blieb er stehen und erwartete schon irgendwo seinen kleinen Stalker zu erblicken, aber statt dessen tat sich nur ein weiter, windiger Platz vor ihm auf. Der Japaner machte sich seine langen Beine zu nutze und überquerte den Platz zügig mit in den Taschen seiner Lederjacke vergrabenen Händen, rief sich ein Taxi und fuhr zu seiner Wohnung. Sie lag nicht weit vom Krankenhaus entfernt, aber weit genug von jeglichen Trubel. Ein paar Bars waren in der Nähe, aber bis auf ein paar Besoffene war alles zu seiner Zufriedenheit. Nicht die sicherste Gegend, aber billig und für ihn reichte es. Doch vor seiner Tür kam dann das, was seinen eh ziemlich beschissenen Tag noch ein wenig schlechter machte. Er konnte in seiner Tasche graben bis der Morgen kam, er fand seinen verfluchten Schlüssel nicht, war sich nicht einmal sicher, ob er ihn eingepackt hatte! Na wunderbar, jetzt stand er in einem verfickten – scheißkalten – Treppenhaus, selbst scheißkalt, vor ner verfickten Tür, vor seiner eigenen Wohnung, und kam nicht rein. Und morgen war Heilig Abend. Nicht, dass das ne Rolle gespielt hätte, aber es machte die Situation zusätzlich bescheuert. Mit einem Knurren und weiterem kinderunfreundlichen Fluchen ging er ein paar Schritte zurück und warf sich mit aller Kraft gegen die Tür. Auf dem Boden liegend, um ihn herum die Überreste seiner Tür, sah ein von blonden Strähnen umrahmtes Gesicht besorgt auf ihn nieder. „Klopfen“, informierte ihn das Gesicht, „ist in den meisten Kulturkreisen ein Zeichen, dass man um Einlass bittet. Weiß ja nicht wie das bei euch in Asien ist, da sollen die Wände und Türen ja aus Papier sein, aber ich hätte Ihnen auch liebend gern aufgemacht.“ „Was zur Hölle machst du in meiner Wohnung?“, fragte der Japaner nicht motiviert genug Überraschung zu empfinden. „Gerade?“ „Ja, verdammt!“ „Gerade mache ich Kakao. Habe extra Schokolade gekauft.“ Und mit diesem Worten drehte sich der unverschämte Fremde um und verschwand in Kuroganes kleiner Küche, in der sich wahrscheinlich immer noch das Geschirr bis zur Decke stapelte. Er hatte sich wirklich einen Stalker angelacht. Mit einem protestierendem Knarzen, das er bei so einer Behandlung wohl auch von sich gegeben hätte, hob er die Überreste der Tür zurück in die Angeln, griff nach seinem Handy und wählte die Nummer des Hausmeisters. „Ja hallo?“, murrte es am anderen Ende der Leitung euphorisch begeistert. „Ich braun ne neue Tür. Apartment 27.“ „Schon wieder, Kurogane?“ Konnten sich diese scheiß Amis nicht einfach seinen Nachnamen merken? Der war sogar kürzer, verdammt noch mal. In der Küche angekommen vergaß er allerdings seinen Ärger wieder und ließ beinahe das Mobiltelefon fallen: Sie war aufgeräumt, blitzblank und von einem Duft erfüllt, der ihn an Weihnachten seiner Kindheit erinnerte. Plätzchen – Schokoladen- und Kokosplätzchen - lagen auf einem Haufen auf dem Küchentisch des kleinen Raumes, eine Portion war noch in der Röhre, Kakao blubberte in einem seiner Töpfe vor sich hin und der Schalkerl hämmerte diesmal ohne Schal in einer seiner Schüsseln herum. Die Jacke und den Schal entdeckte Kurogane in seinem Wohnzimmer über das Sofa gelegt. Der Mann wirkte in dem weißen Rollkragenpullover nur noch magerer. „Ich dachte, Sie mögen vielleicht Schoko- oder Kokosplätzchen lieber als Pfefferminz“, plauderte der Blonde, als würde das sein hier sein erklären. „Wie, verdammt noch mal, kommst du hier rein?“ „Hab Ihren Schlüssel geklaut.“ „Soll ich die Polizei rufen oder reicht es, wenn ich dir die Fresse poliere?“ „Zweiteres habe ich beim Krankenhaus schon bevorzugt. Aber erst will ich noch die Glasur für die Schokoplätzchen machen.“ Normalerweise wäre jetzt die Gelegenheit gewesen dem Kerl ein neues Gesicht zu verpassen und vor die Tür zu setzen. Aber verflucht noch mal, es war der 23te Dezember, in 4 Stunden sogar der 24te. Und auch wenn bei dem Japaner dieses Datum nicht gerade weihnachtliche Gefühle hegte, es war am Ende des Jahres. Es war verdammt noch mal der 23te und auch wenn er es vermutlich mit einem Psychopaten zu tun hatte, der in seiner Küche voller Messer stand, er hatte einfach dieses Jahr keine Kraft mehr. Selbst um jemanden zu verprügeln fehlte ihm jegliche Motivation. „Willst du hier übernachten?“, fragte er. Offensichtlich eiskalt erwischt ließ der Blonde beinahe die Schüssel fallen und sah ihn verdattert an. Kurogane öffnete nur den Kühlschrank und nahm sich ein Bier. Das kalte, zischende Getränk in seinem Rachen fühlte sich gut an. „Ja... schon. Und was ist mit der Person, die die Blumen bekommen hat?“ „Gestorben.“ „Oh.. echt? Im Krankenhaus?“ „Nein, nicht richtig. Sie wissen es beide noch nicht.“ „Hast du n Blick dafür?“ „Hör auf so bescheuerte Fragen stellen.“ „Okay, ich will übernachten.“ „Runter auf die Knie.“ „Übernachtungskosten?“ „Da ist die Tür.“ „Was kostet die Kaution?“ „Is nicht zu vermieten.“ „Oh, okay.“ Die Schokolade bei Seite stellend, kam der Stalker auf ihn zu und sah von unten zu ihm hoch. Er überragte ihn wirklich um zwei Köpfe, war kräftiger gebaut als dieses halbe Hemd und auch sonst körperlich in jeder Hinsicht überlegen. Was dachte sich der Kerl? Nun ja, in New York gab es genug Verrückte. Aber wohl wenige, die so gut einen blasen konnten. Als die feuchten Lippen ihn umschlossen und er noch einen Schluck von seinem Bier nahm, verschwamm die Welt. Alles bestand nur noch aus der Erregung zwischen seinen Beinen und dem kühlen Alkohol in seinem Rachen. Seine Augen wurden ganz schwer, sein Körper schlapp, als er den Höhepunkt in diesem nervigen, aber genau die richtige Größe besitzenden Mund hatte. Und das erste Mal seit er an diesem scheiß Morgen des 23ten mit einem schweren Gefühl in der Brust aufgewacht war, konnte er aufhören nachzudenken. Als Kurogane wieder in dieser Sphäre ankam, stand der namenlose Blonde wieder an der Arbeitsfläche und bestrich die warmen Plätzchen mit Schokoladenglasur. Stände Kurogane nicht mit offener Hose seiner Küche, hätte er wetten können, er hätte nur einen sehr, sehr feuchten Tagtraum gehabt. Strophe 4 Bis zum Abend hatten sie frei. Vermutlich dachten die Aufseher sie bräuchten noch Zeit, um Weihnachtsgeschenke zu besorgen. Am 24ten, wo jeder Idiot in der Stadt war und Geschenke suchte. Die Straßen waren überfüllt, der Park war überfüllt. Überall waren gestresste Geschäftsleute, die durch die vollen Straßen hetzten, mit nem Telefon am Ohr klebend, nervige, schreiende Kinder, alte Omas, die den Verkehr aufhielten, Weihnachtsmänner und vor dem großen Kaufhaus standen sogar Rentiere rum. Shaolan betrachtete alles gelangweilt und tat sein bestes taub zu werden. Die Musik schallte so laut in seinen Ohren, dass er nichts anderes mehr hörte, obwohl die Blagen auf der Schaukel neben ihm ein Mords Theater veranstalteten. Er nahm eine Hand Sand und schmiss es den Blagen ins Gesicht, als die Eltern nicht hin sahen. Dann wand er sich wieder seinem neuen mp3 Player zu. 24ter. Er hatte nichts zu tun. Sakura würde er erst am 28ten was schenken und sonst hatte er niemanden, für den er sich sonst den Stress machte. Und heute in die Geschäfte? Nicht in diesem Leben, am 28ten war auch noch Zeit. Aber sie würde es eh nicht merken, wenn er es ihr n Weihnachtsgeschenk mitten im Juli machen würde... warum machte er sich eigentlich die Mühe? Weil du keine bessere Idee hast, beantwortete er sich die Frage in Gedanken. Er war erst 17, in einem Jahr war er aus dem Heim draußen. Vielleicht sollte er irgendetwas anstellen, für das er in den Knast kam? Da müsste er sich wenigstens nicht um sein weiteres Leben Gedanken machen... aber dann konnte er Sakura nicht mehr besuchen. Verdammt, erwachsen werden bedeutete doch eigentlich nur, dass das Leben nicht mehr nur scheiße war. Sondern scheiße und zu allem Überfluss auch noch scheiß kompliziert. Strophe 5 Der Morgen des 24tn brachte schon wieder keinen Schnee. In der kleinen Wohnung war es eiskalt. Mit lautlosen Schritten schlichen nackte Füße zum Fester und schlanke Finger drehten die Heizung höher. Das Fester schloss nicht richtig und da die Tür auch noch kaputt war, zog es. Unten schlossen gerade die Bars, sein Spiegelbild reflektierte im Glas, doch Fye wollte die traurige Gestalt darin nicht ansehen. Auf dem Sofa schnarchte immer noch der Besitzer dieser Wohnung. Mit zitternden Händen fuhr der Mann vor dem Spiegel zu seinem Bauch, er war ein wenig geschwollen, durch die ganzen Plätzchen, die er gegessen hatte, aber seine Beckenknochen stachen dennoch spitz hervor. Da, genau über den rechten Hüftbogen prangte ein blauer Fleck, wie auch auf seinem ganzen Oberkörper. Dafür, dass der andere Mann ihn unbedingt loswerden wollte, hatte er ja fast versucht ihn auszusaugen. Die Hände glitten weiter, über seine Brustwarzen, seinen Hals, dann zu seinem Hintern, der leicht schmerzte. Die ganze Nacht hatten Sie es getan, als hätten sie Angst vor der Nacht und noch größere Angst vor dem Schlaf, aber gegen vier Uhr, der stillsten Stunde der Nacht, konnten sie beide nicht mehr. Befriedigt und dennoch unruhig waren er irgendwann eingeschlafen, mit dem ruhigen Herzschlag eines anderen Menschen im Ohr. Einen Finger in sich gleiten lassend, spürte er, dass es dort feucht war, etwas, was nicht Gleitgel war. Also hatte er sich doch nicht geirrt, irgendwann hatte sein One-night-stand keine Kondome mehr benutzt. Vielleicht waren sie alle ausgegangen, vielleicht hatte er Aids und es war ihm egal, vielleicht war es ihm auch so egal. Fye war das nur Recht, ihm war's ja auch egal. In dem kleinen Badezimmer fand er zu seiner Freude eine Badewanne, auch wenn sie alles andere als geputzt war. Er ließ heißes Wasser ein und schüttete fast das ganze Männerduschgel hinein. Wenn er schon nach dem anderen roch, in sich hatte, würde er auch noch mehr Duft an sich haben können. Oder? Vielleicht würde er dadurch zu jemand anderes werden? Nach einer Weile öffnete sich die Badezimmertür und ein Schwall kalter Luft strömte herein. Der schwarzhaarige Mann sah ihn himmlisch verzaust und verwegen verpennt an, doch dann schien die Nachricht, dass jemand in seiner Badewanne lag in seinem Hirn anzukommen. Seine Augenbrauen zogen sich etwas zusammen und Fye zog sein Bein vom Rand zurück, mit dem er zusätzlich zum Schaum auch noch Wasser auf den Fliesenboden befördert hatte. Die Luft war so feucht, dass er kaum atmen konnte. Aber der Schwarzhaarige drehte sich einfach nur um und begann sich die Zähne zu putzen. „Wie heißt du eigentlich?“ Keine Antwort. Nur Schrubben. „Ich heiße Fye de Flourite.“ „Franzose?“ Fyes Lächeln wurde breit, er sprach! „Meine Eltern. Ich bin in Amerikaner.“ Verächtlich spuckte sein immer noch recht namenloser Gastgeber den Zahnpastaschaum in das mal wieder zu putzende Waschbecken. „Kurogane.“ „Aha, ist das ein chinesischer Name?“ „Nein, japanisch.“ „Bist du Japaner?“ „Ja.“ „Ich kann was auf japanisch sagen! „Ni-hao!“ „Das ist chinesisch.“ „Oh, hab ich mal in nem Restaurant aufgeschnappt, in dem ich gearbeitet habe. Der Chef war da auch Japaner...“ „shaberasena...“ „Was heißt das?“ „Dass du die Klappe halten sollst.“ „Cool!“ „Wenn du denkst, dass du dich hier einnisten kannst, hast du dich geschnitten.“ „Ne hab ich nicht getan, noch nicht. Stehst du drauf? Soll ich's machen?“ Schwungvoll richtete er sich auf und streckte Kurogane seine Arme entgegen. Drei rote Schnitte zierten jedes Handgelenk quer und einer längs. Sein Gegenüber reagierte unangebracht desinteressiert. „Nur einmal ernsthaft, oder was?“ „Jap, is’ schwerer als man denkt.“ Die braunen Augen, die fast rot wirkten, sahen ihn verächtlich an. Dann zuckte er nur mit den Schultern und stieg zu ihm in die Badewanne. Fye lehnte sich nach hinten, schloss die Augen und erwiderte die Küsse. Der große Körper glitt zwischen seine Beine, die großen Hände fuhren seinen Nacken entlang und die kurzen Haare kitzelten an seinen Gesicht, als Lippen seinen Hals entlang fuhren. Leise kicherte er und stellte einen Fuß auf den Wasserregler, den anderen auf den Badewannenrand und schon spürte er einen rauhen Finger zwischen seine Pobacken gleiten. Das Schaumwasser brannte höllisch und er verkrampfte sich kontraproduktiverweise, biß sich aber auf die Lippen, um kein entmutigendes Geräusch von sich zu geben. Sein Sexpartner hielt inne und sah ihn undeutbar an. „Verschwinde.“ Eben ausgesprochen, zog sich der Japaner zurück und wollte aufstehen, doch auch wenn es nur ein One-night stand war, auch wenn dieser Mann noch nie wirklich nett zu ihm gewesen war, diese Worte wollte er nicht hören. Nicht am 24ten. Mit aller Kraft klammerte er Arme und Beine um ihn, auch wenn das bewirkte, dass er etwas aus dem Wasser an die kalte Luft gehoben wurde. „Es ist Weihnachten...“ „Ich scheiß auf Weihnachten.“ „Ich mag Weihnachten nicht allein sein... schick mich nicht weg.“ Entnervt sah Kurogane ihn an und Fye sah sich schon splitternackt in die Dezemberkälte hinaus befördert, doch dann kam dieser leere Blick zurück in die schönen Augen und er wurde wieder ins Wasser gelassen. Es war ganz warm, ganz feucht und das Wasser streichelte immer wieder über seinen ganzen Körper, als sie wieder gegeneinader glitten und er sich wieder für ein paar Minuten vergessen konnte. Strophe 6 Als Kurogane langsam wach wurde, war ihm eiskalt. Auch die Pfütze Badewasser, in der er lag. Der Rest schien abgeflossen zu sein. Mit einem Stöhnen richtete er sich auf und wischte sich über die feuchten Augen. Hatte er etwa geflennt? Doch dann tauten auch endlich seine Sinne auf und er merkte, dass im Badezimmer ein Schwall feuchter, kalter Dampf lag und sich nur das Kondenswasser an seinen Wimpern gesammelt hatte. Sein Rücken knarrte bedenklich, als er aufstand und sich in seinen Bademantel wickelte. Ach ja, sein Stalker. Er sah auf die Digitaluhr neben der Badewanne. 24.12. 10:40. Noch 15 Stunden und 20 Minuten bis Christmas Eve. Zeit seinen ungebetenen, aber gut zu vögelnden, Besuch hinaus zu schmeißen. So hatte er sich einiges Ziehen durch die Clubs erspart, um jemanden auf zu reißen, der ihn auf andere Gedanken brachte. Doch als er das Wohnzimmer betrat, war es aufgeräumt und leer. Kerzen brannten auf dem frisch geputzten Glastisch, Plätzchen stapelten sich in einer Schüssel darauf. In der ganzen Wohnung keine Spur von „Fye“. Zu Tode erschrocken raste er in sein Schlafzimmer, riss den Schrank auf und atmete erleichtert durch. Vor ihm, auf roten Tüchern aufgebart, lag ein edles Langschwert, der Knauf ein silberner Drachenkopf, die Klinge voller Verzierungen. Es verstrahlte einen edlen Glanz, den ihm seine Wohnung und sich selbst nur noch viel schäbiger vorkommen ließen. Ehrfürchtig schloss er die Türe. 24ter. Er hasste diesen Tag. Er ging zu seinem Mantel und suchte nach seinem Portemonnaie. Das er nicht fand. Beschissener Tag. Strophe 7 Er hatte sich doch hier her gewagt. Obwohl es voll blockig war, dass in diesen sterilen Gängen Weihnachtsmusik lief. Auf der Kinderstation waren jetzt die ganzen als Weihnachtsmänner verkleideten Pfleger, aber Sakura lag nicht dort. Dennoch war einer der „Elfen“ bei ihr, als er in das Zimmer kam. Die Musik donnerte in seinen Ohren, aber er hatte es leise machen müssen, die Batterie war fast alle. An der Tür stehen bleibend beobachtete er, wie sie Sakuras Hand tätschelte und einen kleinen Teddy neben sie stellte. Das Mädchen sah langsam vom Fester zu ihr und lächelte leicht. „Ah, Mr. Li!“; begrüßte die Krankenschwester – Amanda war ihr Name – ihn offen fröhlich. Shaolan riss die Stöpsel aus den Ohren und sah sie grimmig an. Sie war noch sehr jung und noch nicht lang genug dabei, um ihr Mitleid gut überspielen zu können. „Willst du deiner Freundin etwas zu Weihnachten schenken?“ „Verschwinden Sie“, zischte der Junge nur und sie sah etwas verletzt drein. „Aber, aber, nicht so frech, Kleiner!“ „Verschwinden Sie!“ Sakura hatte sie angesehen, irgend so eine dahergelaufene Krankenschwester lächelte sie sogar an, aber ihn, ihn erkannte sie nicht und ihn sah sie nicht an! Er war immer hier und redete mit ihr, aber sie bestrafte ihn mit ihrer Ignoranz, nur weil er ein Junge war. Sie strafte ihn, genau wie seine Eltern. Nur waren die wenigstens ehrlich gewesen und hatten gesagt, dass sie ihn nicht wollten! Trotzig gegen die Tränen ankämpfend sprang er zum Bett, packte das Mädchen an ihrem pinken Schlafanzug und scheuerte ihr eine. Amanda schrie empört auf und zog ihn vom Bett weg. „Was soll das?! Verschwinde und komm dieses Jahr nicht wieder! Machst du das immer, wenn niemand da ist, du unverschämter Bengel? Da machen wir schon eine Ausnahme, weil du nicht mit ihr verwandt bist und dann so was! Scher dich hinaus! Ich werde an der Rezeption Bescheid sagen, dass du nicht mehr hier rein darfst!“ „Fick dich ins Knie!“, schrie der braunhaarige Junge außer sich und bemerkte geschockt, dass ihm die Tränen über die Wange liefen. Eilig nahm er seine Tasche und stürmte in den Gang, zum Aufzug, schmiss den Essenswagen um und flüchtete über den großen Platz vor dem Krankenhaus. Strophe 8 Es wurde schnell Abend. Die Weihnachtsmänner legten sich noch einmal so richtig ins Zeug und es bimmelte auf allen Sendern nur Weihnachtsmusik. Kurogane saß in einer Bar und versuchte sich gerade die Welt schön zu trinken. Bedauerlicherweise war er trinkfest. Er hätte seinen Besuch behalten können, dann hätte er sich die Welt wenigstens schön vögeln können. Es war wohl eine außergewöhnlich fiese Ironie des Schicksals, dass Soumas Mutter gestern einen Schlaganfall bekommen hatte und sie noch an diesem Morgen die Stadt verlassen musste, um sie im Krankenhaus zu besuchen. Ihr kam das sicherlich recht, dachte Kurogane, ein Weihnachten mit ihrem Freund war für die junge Frau nie wirklich besinnlich fröhlich und ausgelassen. Sie hatte ihn nicht gebeten ihn zu begleiten, und das war auch gut so. Weihnachten in Krankenhäusern... war wirklich das Letzte. Das Klavierspiel endete und der nervige Moderator ergriff das Mikrofon. Der Idiot dachte wohl es wäre seine Aufgabe, die ganzen Weihnachtsmuffel mit noch weiterer Weihnachtsscheiße zu berieseln, damit mehr Alkohol verkauft wurde. Bei dem hochgewachsenen Japaner klappte das gerade bestens. „Und jetzt meine Lieben! Jetzt ist es fast 9 Uhr! Zeit für unser Scheiß-auf-Weihnachten-super-special!! Wer mag mir erzählen, warum er Weihnachten hasst? Der soll auf die Bühne kommen und der mit der herzzerreißensten Geschichte gewinnt diese wunderschönen, ansehnliche elektrische Glühtanne hier auf meinem Klavier! Freiwillige vor! Freiwillige vor!“ „Hey“, erklang es leise und sanft neben ihm und Kurogane sah schon wieder das Schalmonster. Diesmal wieder mit Schal und dicker Mütze. Doch noch während er ihn wortlos anstarrte, schälte sich der Blonde aus seinen zig tausend Jacken. Was hatte er alles an? Schal, Jacke, Rollkragenpullover, darunter noch ein langärmeliges Oberteil. Da kam er sich mit seinem schwarzen T-Shirt und der Lederjacke an diesem kalten Dezemberabend ja fast nackt vor. Breit grinsend ließ sich Fye auf den Hocker neben ihm nieder. Kurogane wusste nicht, ob er sich freuen sollte, heute doch eine Abendbeschäftigung gefunden zu haben, oder beginnen sollte, die Beerdigung für seine Nerven zu planen. „Du.“ „Jap, ich!“ Da war doch was... Kurogane holte aus und schlug nach dem blonden Kerl, doch dieser wich geschickt aus. „Wo ist mein Portemonnaie?!“ Zum Glück hatte er noch was Geld in der Küche gehabt, sonst hätte er an diesem Abend nicht mal saufen können. „Ach das!“, gut gelaunt holte der kleinere Mann die schwarze Geldbörse aus seiner Tasche und legte sie auf die Theke. „Ich hab davon noch ein Weihnachtsgeschenk gekauft für Sie!“ „Von meinem GELD?! Außerdem, wer am letzten Tag n Geschenk gekauft bekommt, der is dem Geber nichts wert.“ „Stimmt. Aber es ist ne Ausnahme, wenn man den Beschenkten erst zwei Tage kennt!“, erwiderte Fye fröhlich. „Oh, das ist aber ein hübscher Baum da!“ „Kann man gewinnen“, grummelte der Japaner und checkte seine Geldbörse. 50 Dollar fehlten. Na ja, 50 Dollar und eine Übernachtung. Ne Prostituierte wäre ihm teurer gekommen. „Mit der traurigsten Weihnachtsgeschichte.“ „Oh! Echt?!“ „Echt.“ „Ich probier's!“ Gerade als eine rothaarige Frau, die ihre Tochter an diesem ach so schönen, besinnlichen Tag verloren hatte, an dem irgendwo noch viel mehr Kinder in dieser Sekunde krepierten, endete, sprang der Blonde auf und kletterte auf die Bühne. Nonchalant an das Klavier gelehnt nahm er das Mikro an sich, als hätte wäre er schon immer auf der Bühne gestanden. „Also~ ich will diesen tollen Baum bekommen! Aber meine Geschichte ist nicht gelogen! Ersthaft! Also, ich bin jetzt 24 Jahre alt und heiße Fye de Flourite! 24 und heute ist der 24te, cool nicht wahr? Ich bin auch am 24ten geboren, aber ich bin dennoch nicht das Christkind, wollt ich so anmerken. Als ich 5 war, beschlossen meine Eltern sich endgültig die Kante zu geben und die Kugel folgte auf dem Fuße, mein Bruder Yuui und ich schafften es ne Weile ganz allein und dann wurden wir adoptiert. Von einem echt netten Onkel, der aber leider an einen an der Schüssel hatte und na ja, mein liebes Brüderchen, wie er eben war, hatte mit 14 genug und wollte abhauen. Bedauerlicherweise war der Kerl mit der Schüssel Yuui sehr zugetan und na ja, er ließ ihn nicht gehen. Mir war er nicht zugetan, aber ich wollte Yuui dennoch beschützen, weswegen ich mich mit meinem Adoptivvater anlegte. Sehr voraussehbares Ende von der Geschichte war, dass ich zurück ins Heim kam und letztendlich meinen Bruder im Stich ließ, hatte anderes zu tun. Ziemliches Arschloch bin ich, nicht wahr? Und nun ja, mein Bruder begann Selbstmord mit 17, einen Monat bevor er von meinem Ex-Paps weg kam. Verrückt, nicht wahr? Ich hab n ziemlichen Schuldkomplex deswegen und daran erinnere ich mich eben immer an meinem Geburtstag, den 24ten, der Tag an dem sich mein Bruder umgebracht hat, weil ich ihn im Stich gelassen habe. Seit dem suche ich mir zur Weihnachtszeit immer einen Irren, klebe mich an ihn, vögel mit ihm - falls er denn an Männern interessiert ist - und versuche die Tage so gut wie möglich zu überleben, um dann kurz danach auch wieder abzuhauen. Und da ich nicht sicher bin, ob dem grimmig guckenden Kerl an der Bar da der rote Schal gut gefällt, den ich von seinem Geld gekauft habe, brauche ich diesen lustig blinkenden Weihnachtsbaum da. Oder besser seine Lichterkette, wickel mich dann nackt darin ein und na ja, sie wissen schon was dann passiert - den sexuellen Aspekt haben wir ja schon geklärt. Und all diese Gründe zusammen gezählt hasse ich Weihnachten. Ich mag nämlich nicht allein sein, bin es aber jede Weihnacht und sobald ich mich mit jemand anfreunde, lauf ich nur weg. Aber kann man ja nicht erwarten, dass man über Weihnachten hinaus auch nett ist, deswegen schwing ich die Hufe vor Silvester. Ach ja, und ich bin schwer krank, dies ist also mein letztes Weihnachten. Kurzum, ich brauch diesen Baum.“ Strophe 9 Okay, es war Weihnachten und es war ihm vollkommen bewusst, dass er ein Klischee erfüllte! Aber verfickt, wenn's vorbei war, dann war es ihm auch egal was alle dachten. Heimlich hoffte er ja noch, dass es nicht klappte, aber er wusste auch nicht, was er mit einem gefaketen Selbstmordversuch bewirken wollte, also machte er es lieber richtig. Eigentlich war er nur sauer gewesen und der Junge war stundenlang durch die unsagbar nervige Weihnachtswelt gestampft, in die sich NY verwandelt hatte. Auf der Eislaufbahn vor dem großen Weihnachtsbaum drängten sich die Menschen und er hatte recht gute Chancen in diesem Bezirk der Stadt keinem Aufseher über den Weg zu laufen. Hier gab es nur ein paar Bars und irgendwo einen Puff, hatte er gehört. Vielleicht sollte er das letzte Geld nehmen und sich ne Frau kaufen? Aber ließen die einen Minderjährigen da überhaupt rein? Außerdem... er hatte so was noch nie gemacht, und auch wenn er genug Geld zusammen geklaut hatte, fand er es dreckig und irgendwie Verrat gegenüber Sakura. Prostitution war in seinen Augen auch nur so was wie ne bezahlte Vergewaltigung. Er musste es nur bis Silvester schaffen, dann war seine Laune wohl auch was besser, denn dann war der ganze Scheiß hier vorbei. Sakura konnte er wohl am 28ten nicht besuchen, aber sie merkte es eh nicht. So dachte er. Bis zu dem Moment an dem sein mp3-Player endgültig den Geist aufgab. Verdammt! Das Ding war doch neu! Und nirgendwo nen PC zum aufladen. Na super, na toll, genial!! Unachtsam in seiner Wut rannte er fast gegen ein „Parken Verboten“ Schild und wie ein Fingerzeig Gottes zeigte es durch einen vermutlichen Frontalzusammenstoß mit einem Auto leicht zur Hauswand hin. Shaolan sah hoch. In dem Licht der einzelnen Lampe in der dunklen, vereisten Gasse, die aussah, als würden hier Mafiafilme gedreht, sah die Feuertreppe regelrecht verrostet aus. Stieg er auf die Mülltonne da, müsste er hinauf kommen... Strophe 10 Breit grinsend, den Weihnachtsbaum im Arm, setzte sich der Franzose wieder neben Japaner und bestellte sich ein Glas Baileys mit Kirschsaft. Die roten Augen sahen ihn ungläubig und etwas misstrauisch an. „Warum schaust du denn so kritisch?“ „....“ „Ach, ich weiß, du willst dein Geschenk, nicht wahr?“ Eilig griff er in die Tasche, die er mit sich herumtrug und fischte ein rot eingepacktes Geschenk mit einer goldenen Schleife heraus. Der Schwarzhaarige sah ihn immer noch an, als wäre er von einem anderen Stern und hätte ihm gerade erklärt, dass die Welt explodieren würde, wenn er nicht sofort einen Striptease vor ihm machte. „Ich dachte du magst rot, gefällt's dir?“ „....“ Doch endlich schien sein asiatischer Gegenüber sich gefasst zu haben. Wortlos beugte er sich vor, nahm das Geschenk an sich und packte es aus. Er schien verwundert, dass da wirklich ein roter Schal drin war. „Das grade war doch gelogen, oder?“ „Klar! Ich wollt den Weihnachtsbaum!“ Der rote Blick fiel auf seine unter dem langen Ärmeln seines Pullovers verborgenen Arme und Fye wusste, dass er ihm nicht glaubte. Aber es war doch egal, der andere wollte ihn und wenn er ihn genug wollte, war dieses Weihnachten nicht allein. Lasziv grinsend lehnte er sich zurück und bewegte die Bein etwas auseinander. Sie beobachtete die ganze Bar, gespannt wie sich die Geschichte entwickeln würde. „Ich hasse, wenn man sich so wegschmeißt.“ „Dann musst du mich besonders hassen.“ Wortlos schlang sich der Asiate den Schal um. „Du weißt wo ich wohne.“ „Ich darf mitkommen?“ „Morgen früh. Heilig Abend verbring allein. Ich hab keinen Bock auf Prostitution zum „Fest der Liebe“.“ Der große Mann war schon fast auf dem Weg zur Tür. „Hey, ich wiege zwar wenig, aber ich bin kein leichtes Mäd- ähm, kein Stricher!“ „Ich auch nicht.“ Und schon war er im weihnachtlichen Menschenauflauf verschwunden, der sich übrigens um diese Uhrzeit etwas gelichtet hatte. Meist nur Betrunkene, Penner, Sektenanhänger und Weihnachtsboten. Schwer seufze Fye und nahm noch einen Schluck von seinem Drink. Das Portemonnaie lag da noch. Damit bezahlte er wohl seine und Kuroganes Zeche. Er hatte den Schal mitgenommen. Jetzt lag er gerade ganz weich um seinen etwas kratzigen Hals. Er hatte gesagt, er dürfte wieder kommen. Ein ganz... ganz leichtes Glücksgefühl machte sich in Fyes Brustkorb breit und das lag nicht daran, dass er keinen Alkohol vertrug. Strophe 11 Kurogane stampfte die Straße entlang. Das war wohl das verrückteste, hirnverbrannteste Weihnachten, dass er je erlebt hatte! Es gab wirklich mehr als ein psychisches Wrack in NY, er war sogar überzeugt, dass diese Stadt die offizielle Sammelstelle für solche Leute war. Doch bevor sich der hoch gewachsene Mann noch mehr in seinen Gedanken aufregen konnte und mit seiner wütenden Miene den Passenten die gute Weihnachtslaune verdarb, klingelte sein Mobiltelefon. „Ja, was denn verdammt?!“, maulte er in den Hörer. „Kurogane....“, Somas Stimme klang verweint. „Bitte komm her... sie... meine Mutter... sie ist tot...“ Wie vom Donner gerührt blieb er stehen. Sie war tot. Seine war auch tot, auch wenn sie es selbst nicht wusste. Wie konnte Souma ihn nur ausgerechnet an diesem verfluchten Tag anrufen und bitten, dass er zu ihr kam um sie zu trösten, weswegen er gerade viel mehr Trost brauchte. Verfluchte Scheiße! Konnte ihn die Welt nicht einfach in Ruhe lassen!? „Dann wird sie es ja nicht merken, wenn ich heute nicht komme“, brummte er in das Telefon, machte es aus und schmiss es in die nächste Mülltonne. Ihr Weinen, bevor er aufgelegt hatte, klang ihm noch im Ohr. Er sah vor sich, die Straße war mittlerweile fast leer. Die Bar war nicht fern von seiner Wohnung. Aber dennoch, nur ein Penner vor einem beleuchteten, geschlossen Geschäft, die Schaufester glitzerten und funkelten fröhlich weihnachtlich auf den zugefrorenen Asphalt. Der Himmel über ihm war kalt, ihm war kalt. Das einzige, was ihn ein wenig wärmte, war der rote Schal um seinen Hals. Und der war von seinem eigenen Geld gekauft, von einem Hochstapler geschenkt, den er nach Weihnachten zusammen mit seinem Portemonnaie und sonstigen Wertgegenständen aus seiner Wohnung eh nie wieder sehen würde. Langsamen Schrittes trat er auf den Penner zu. Er roch zehn Meilen gegen den Wind nach Bier und Schnaps. Wie konnte man sich nur so gehen lassen? Das vermaledeite rote Strickding von seinem Hals ziehend fluchte er und der Penner rülpste nur, als sein Wohltäter ihm den Schal umband. In seiner Wohnung angekommen, stieg er trotz seines immensen Alkohlpegels in sein Auto und fuhr zum Krankenhaus, um seine Eltern zu besuchen. Weihnachten, das Fest der Liebe und die Feier zur Geburt irgendeines Retters, war für ihn auch nur ein scheiß Tag, der ihm ganz besonders deutlich sagte, dass die Welt einfach nur grausam und unfair war. Die ganzen Irren, die dieses Fest feierten, wollten sich doch nur darüber hinweghelfen, dass alle Welt in Glück schwebte und nur sie es nicht schafften glücklich zu werden. Und wenn man das erst einmal kapiert hatte und sich dennoch ein schönes Weihnachtsfest wünschte... dann wurde man so erbärmlich wie dieser Franzose, der seinen Körper verkaufte, nur um ein paar Nächte Gesellschaft zu haben. Wie viele außer ihm hatte er wohl schon verarscht? Kurogane beschloss ihn am nächsten Morgen, wenn er denn wirklich kam, eine Tracht Prügel zu verpassen und dann rauszuschmeißen. Wie er dem Blonden schon gesagt hatte, er war keine Hure und er hatte keine Lust so einer jämmerlichen Gestalt mit seinem Körper über die Weihnachtstage zu helfen. Strophe 12 „Hey, was machst du da? Das ist unser Revier.“ Entnervt sah der braunhaarige Junge zu dem Quartett Italiener die vor ihm standen und ihn provozierend ansahen. „Is hier Italien Quarter? Dachte hier leben nur Hispani.“ „Halt die Fresse! Denkst du, du hast Ahnung? Ich geb dir gleich Ahnung! Mach deine scheiß Tasche leer und ich schlag dir nur n Zahn aus!“ Immer noch auf dem Müllcontainer thronend zog der Junge seinen mp3-Player heraus und warf ihn den Schlägern vor die Füße. „Mehr hab ich nicht.“ „Erzähl mir nicht, du hast keine Geld dabei.“ „Die fünf Dollar in meiner Tasche brauch ich noch, um deine Schwester zu kaufen.“ „Dich hol ich mir, Schlitzauge.“ DAS, war eine kreative Weise Selbstmord zu begehen, fand Shaolan und wich dem ersten Schlag aus. Das Klacken eines Klappmessers ließ dann doch einen Hauch von Survivalinstinkt in ihm aufkommen und er riss es dem Nudelfresser vor sich aus der Hand und beförderte es in die nächste Kanalisation. Doch rein rechnerisch gesehen hatte er gegen die vier keine Chance, auch mit dem bisschen Karate, das er von dem Heimvorsteher Sakurazuka gelernt hatte. Ein Schlag traf ihm genau im Gesicht, Schmerz legte sich eiskalt darauf und irgendwie tat das gut. Er lebte also noch, okay, dann würde er sich auch dementsprechend wehren. Er kämpfte wie eine wild gewordene Katze, aber das Resultat war eher niederschmetternd. Aufgeschlagene Lippe, garantiert angeknackste Rippe, Spucke im Gesicht und um seinen mp3-Player und 100 Dollar erleichtert, von denen er Sakura ein Weihnachtsgeschenk kaufen wollte, lag er in der eisigen Gasse und sah hoch in den schneelosen Himmel. Im Film hätte er eine voll coole Show hingelegt, aber bedauerlicherweise war das hier kein Film. Sonst gäbe es nämlich so n megakitschiges Happy End... Strophe 13 Die Tiefgarage war um diese späte Stunde längst für Besucher geschlossen, nur das Personal durfte noch ein und aus gehen. Kurogane stellte seinen Wagen einfach auf dem Vorplatz ab, war ihm doch egal, ob der Krankenwagen im Weg stand. Heute Abend wurden doch eh nur Selbstmörder eingeliefert und denen tat er damit noch einen Gefallen. Leer. Sein Kopf war wie lehrgefegt. Seit 5 Jahren war er nicht mehr an diesem Tag hier her gekommen, immer nur am 23ten und hatte Blumen gebracht, damit die Toten an Weihnachten nicht allein dort lagen. Er war wütend, er war so wütend, er hätte fast vor Wut geweint. Doch die Blöße würde er sich nicht geben, selbst in seinem Auto nicht, wo ihn niemand sah. Er musste jetzt seinen Vater sehen. Jenen Mann, der sagte, er sollte alle die er liebte beschützen und sich dann einfach aus dem Staub gemacht hatte. Wahrscheinlich machte er nur nicht die Augen auf, weil er es nicht ertragen konnte seinen Sohn anzusehen, der so jämmerlich versagt hatte. Vielleicht starb er einfach nicht, um ihn zu strafen! Kurogane würde nie wieder versagen, sobald diese Menschen gestorben waren, würde er niemanden auf der ganzen Welt haben, die ihm etwas bedeuteten. Vielleicht Souma, aber die war auch nur ne Frau und Frauen kapierte er nicht. Wollte sich auch gar nicht in ihren modeverrückten, überemotionalen Schäden eindenken. Er – er wurde an der Rezeption aufgehalten. Von einer sehr voluminösen Asiatin im Schwesternkittel. „Sie können hier jetzt nicht rein. Die Besucherzeit ist längst vorbei.“ „Ich will zu meinen Eltern!“ „Es ist halb 12, kommen Sie doch morgen wieder und wünschen Sie ihnen ein frohes Fest. Ich darf Sie hier nicht rein lassen.“ Gefährlich funkelte der rasende Besucher die kleine Frau an und hob drohend eine Faust. Er schlug keine Frauen, aber heute am Fest der Liebe konnte er ja auch eine Ausnahme machen!! „Und wie willst du mich davon abhalten?“ „Ich nicht“, erwiderte sie unbeeindruckt, „aber die da.“ Die Wachmänner waren schon auf Kurogane zugekommen, ihre Gummiknüppel fest in jeder Hand. „Aha. Wollen sie das?“ Gefährlich grinsend, das schon an Wahnsinn grenzte, kam der Japaner auf sie zu. Er hatte keine Kraft mehr weiter zu machen, er hatte keine Nerven mehr sich zurück zu halten, egal was passierte, egal was er hier provozierte. Es war ihm egal. Solange nur irgendetwas passierte. Er wachte wieder auf, mit schmerzenden Schädel und auf dem kalten Boden des Krankenhausvorplatzes liegend. Es zog wie Hechtsuppe auf den ungeschützten Vorplatz und in den Himmel starrend, fragte sich der Japaner, wann, wann endlich, es schneien würde. Aber statt Schnee legte sich eine warme Hand auf sein Gesicht. „Lass' mich raten. Sie wollen da rein.“ Noch bevor er hinsah, wusste Kurogane wer es war. War er denn verflucht diesen Mann ständig an seiner Seite zu haben? „Und lassen Sie mich weiter raten, sie lassen Sie nicht rein, weil Besuchszeit nur bis 8 ist, ne? Und dann haben sie Sie verprügelt.“ „Schnellmerker.“ „Ich helf' Ihnen rein.“ Der kalte Boden schmerzte an seinem Rücken. „Aha.“ „Jap. Is aber nicht umsonst.“ „Was willst du?“ Er schloss die Augen. Die warmen Hände waren immer noch in seinem Gesicht, aber obwohl sie sich gut anfühlten schlug er sie weg. Er hatte sie nicht verdient, er wollte sie nicht, er konnte nichts damit anfangen. „Ich will, dass Sie mich bis zum Ende des Jahres keine Sekunde allein lassen... Vor allem nicht heute Nacht...“ „Und Silvester gehst du?“ „Nicht ohne bye zu sagen.“ Schwer seufzte er. Wieder in dem Himmel starrend, kein Schnee. Der Gedanke machte ihn traurig, obwohl es ihm egal war. Alle redeten von Schnee, von der weißen Weihnacht, im Radio hörte man nichts anderes mehr. Diese ganzen Idioten, die sich auf diesen Weihnachtsblödsinn einließen, wollten das, weil es perfekt in ihr Bild einer friedlichen, fröhlichen Nacht passe. Heutzutage musste alles perfekt aussehen, bunte Lichter, glänzende Geschenke, Pulverschnee am besten noch am Heilig Abend, lachende Kinder. Alles musste perfekt aussehen, um zu überspielen, dass ein Scheißdreck perfekt und gut und glücklich und vor allem nicht heilig und selig war!! „Was auch immer. Bring mich da rein.“ „Okay~!“ Der Blonde sprang auf wie von einer Tarantel gestochen, half ihm hoch und zerrte ihn zur Rückseite des Krankenhauses, Richtung Parkgarage. Unten angekommen frischte Fye geschwind einen Schlüssel zum Treppenhaus hervor und sie schlichen sich hinein. Kritisch betrachtete der Asiate die ganzen Überwachungskameras, aber eigentlich war es ihm egal. Er brach mit seinem persönlichen Stalker in ein Krankenhaus ein. Nachdem man ihm vor nicht mal 10 Minuten wahrscheinlich das Besuchsrecht in dieser Klinik für mehrere Wochen versagt hatte, tat er nun sein Bestes auf immer aus diesem Hause verbannt zu werden. Na ja, er konnte seine Eltern jederzeit verlegen lassen... Sie schlichen durch die Gänge, Kurogane wie im Traum. Ab und an blieben sie stehen, ließen die Schwestern vorbei laufen und versteckten sich in Zimmern, in denen die Patienten ruhig oder röchelnd oder vielleicht auch gar nicht mehr atmeten, aber alle möglichen Geräte piepsten. Er hatte Krankenhäuser von klein auf gehasst, nie hätte er sich träumen lassen, selbst einmal freiwillig so viel Zeit dort zu verbringen. „Mr. Flowright!“, erklang plötzlich eine strenge Frauenstimme hinter ihm. Mit einem ertappten Gesicht eines unschuldig spielenden Schwerverbrechers drehte sich der Blonde um. „Eh.. Mrs. Pumkin, nicht wahr? Sie müssen entschuldigen, das weiße Kaninchen hat so laut gekräht, dass ich nicht schlafen konnte. Ich verspreche hoch und heilig in 10 Minuten in meinem Bett zu sein.“ „Wer ist das da bei Ihnen?“ „Das? Das ist ... .eh... Mr. Ni-hao, er wird mir helfen dieses vermaledeite Kaninchen zurück in seinen Käfig zu packen. Er ist ein renommierter Hasenjäger, Sie haben sicher schon einmal von ihm gehört.“ „Mr. Flowright, hören Sie auf mir so einen Unsinn zu erzählen und gehen Sie zurück in ihr Zimmer.“ „De Flourite, Madamme.“ „Wie auch immer. Gehen sie sofort. Und Sie“, wand sie sich an Kurogane, „Wer sind Sie?“ „Er ist von der Beobachtungsstation, ich zeig im nur das Krankenhaus. Keine Sorge, ich pass auf, dass er nichts anstellt. Geh'n nur mal austreten, dann melden wir uns bei Ihnen!“ „Ich hoffe! Denken Sie bitte daran, dass Sie nicht hier bleiben können, wenn Sie nicht die Regeln befolgen.“ „Ja, Madamme...“ Kurogane konnte es nicht glauben, sie ging tatsächlich. Kurogane war fest überzeugt gewesen, dass sie sie beide rausschmiss. „Du bist hier Patient?“, fragte der Japaner mit einer selbst für ihn skurrilen Mischung aus Überraschung und Desinteresse. „Jap.“ „Lass mich raten, Ebene 5.“ „Jap. 5 is ne schöne Zahl, nicht wahr?“ Gemütlich schlenderte der Mann weiter und sein langer Schal schleifte wieder einmal auf der Erde. „5te Ebene ist doch die Klapse.“ „Jap. Die Offene.“ Kurogane schwieg. „Ist das ein Problem für Sie?“ „Ne, erklärt nur einiges.“ Der kleinere Mann lachte nur und blieb vor dem Zimmer 419 stehen. „Sodalla, hier sind wir!“ Strophe 14 Seine Beschäftigungstherapie stoppte vor dem Zimmer und starrte wie weggetreten auf die Zimmernummer. Nervös sah sich Fye auf dem Gang um, wenn sie nicht hinne machten, würden sie wirklich noch Ärger bekommen! Zum Glück war Amanda wirklich eine Liebe, auch wenn sie manchmal recht rabiat sein konnte, bei ihm und seinen Eskapaden drückte sie stets ein Auge zu. Vielleicht wusste sie ja mittlerweile auch um seinen kleinen Weihnachtstick. Vielleicht wusste sie auch... Seine arg traurigen Gedanken wurden unterbrochen, als der Asiate die Türklinke hinunterdrückte und das stille, dunkle Zimmer betrat. Wie immer piepten hier nur zwei Apparate, mussten wohl Leute mit Kohle sein, die hier lagen. Sonst würden sie wohl kaum so ein schmuckes Einzelzimmer für so viele Jahre bekommen! Er wäre fast gegen den großen Rücken gerannt, der ihm jegliches Licht nahm als er ihm folgte. Bedrohlich, aber so müde, sah ihn sein Gegenüber an. „Ich hab dir nicht die Zimmernummer gesagt.“ „Ich bin schon länger im fünften Stock. Besuch sie öfter mal, mag die rosa Blumen, die du am 23ten immer reinstellst.“ „Sind Sakurablüten.“ „Aha.“ „Sie wachsen im Winter eigentlich nicht... es sind Frühlingsblumen. Nur dieser Blumenladen bestellt sie von einem botanischen Garten...“ Sein Gesprächspartner war heute ungewöhnlich informativ. Fye hatte schon öfter den Verdacht gehabt, dass der Japaner nicht so die Plaudertasche wäre. Die zwei Bewusstlosen atmeten still und unauffällig in ihren Betten, doch der große Mann kam nicht näher. Fye wagte nicht sich zu bewegen, ihm wurde immer noch der Rücken zugedreht und das Piepsen klang überlaut in seinen Ohren. Was wollte der Japaner nur Weihnachten um diese Zeit bei seinen im Koma liegenden Eltern? Und hatte er sich wirklich nur hier her geschlichen, um doof in der Gegend rumzustehen? Na ja, vielleicht machte er das ja immer so, als Ritual sozusagen. Konnte er nicht beurteilen, er hatte nur ein Weihnachten hier im Krankenhaus verbracht und an dem Abend war er zu beschäftigt gewesen Selbstmord zu begehen, als dass er sich um Zimmer 419 hätte scheren können. Er bemerkte immer nur die Blumen am 23ten, aber bald war Weihnachten vorbei und er wollte es auf keinen Fall wieder im Krankenhaus verbringen, dachte der Blonde nervös und hibbelte etwas. Gerade als er fragen wollte, ob er vielleicht raus gehen sollte, setzte sich der Riese in Bewegung und setzte sich auf einen Stuhl zwischen den Betten. Ganz still saß er da, bis auf das Massieren der Schläfen, und starrte ins Nichts. So wie er ihn voriges Jahr stundenlang beobachtet hatte, doch voriges Jahr hatte er nicht gewagt ihm nahe zu kommen. Er brauchte jemand an Weihnachten, den er vergessen konnte. Und dieser Mann, der seine Eltern einmal in Jahr besuchte und diese schönen Blumen mitbrachte, strömte so eine Einsamkeit aus, so eine Leere, dass Fye sich selbst irgendwie wie ein Hochstapler vorkam. Dabei fiel ihm wirklich keiner ein, der in seinem Leben noch eine Rolle spielte. Aber nun... nun würde er vergessen, egal was er tat. Das letzte Weihnachtsfest sollte etwas besonderes sein und der verschwiegene Mann war die einzige, lebende Person auf der ganzen Welt, die ihm eingefallen war. Aber plötzlich, ganz plötzlich wollte er nicht mehr vergessen. Nicht diese Einsamkeit, nicht dieses Bild wie der Mann dort saß, nicht die Umarmung in der Badewanne und auch nicht dass der Mann seinen roten Schal angenommen und um den Hals geschlungen hatte. Das erste Mal in Fyes recht kurzem Leben hatte er etwas tun können, was jemanden ein klein wenig Wärme verschafft hatte. „Sie sind... sie sind schwach.“ „Wer?“ „Sakurablüten. Sie blühen nur einmal in Jahr an Bäumen und sobald auch nur ein Windhauch kommt, segeln sie auf die Erde und sterben. Als wären sie bei ihrer Erschaffung schon dazu bestimmt zu sterben.“ „Is das nicht normal?“ „Ach, ich vergaß. Für euch Suizidgefährdeten ist die ganze Welt ja zum Sterben verurteilt.“ „Nein, Irrtum. Die ganze Welt ist schon tot.“ „Hast du jemals so etwas wie wahre Stärke gesehen?“ „Nein. Aber ich will gar nicht sterben, falls Sie darauf hinaus wollen. Ich will leben.“ „Was auch immer, gehen wir.“ „Schon fertig?“ „Ja.“ „Haben Sie schon einmal wahre Stärke gesehen?“ „Gesehen, nicht gefühlt.“ „Oh.“ „Was ist passiert?“ „Wie, was ist passiert?“, der hochgewachsene Mann hatte sich bereits wieder erhoben und nach seiner Lederjacke gegriffen. Die deprimierte Stimmung im Raum war verschwunden, sie waren sich wieder fremd. Dennoch wollte Fye es nicht auf sich beruhen lassen. „Das mit Ihren Eltern. Die Verbrennungen dritten Grades kann ich mir ja noch selbst erklären, aber Koma, man fällt nicht einfach so ins Koma, oder doch? So weit ich weiß nicht.“ „Hast du nichts anderes zu tun als Krankenakten zu lesen?“ „Schwerlich.“ „Das geht dich einen Scheißdreck an.“ „Ich hab Ihnen meine Geschichte erzählt, nun sind Sie dran.“ Gott, erzähl es mir. Erzähl es mir. Erzähl es mir. Ich will die Erinnerung eines anderen Lebens mit in den Tod nehmen, dann sterbe ich wenigstens nicht allein. Doch dieser Gefallen wurde ihm von Gott nicht getan, und schon recht nicht von seinem One-night-stand, aus dem mittlerweile schon ein Two-night-stand wurde und vielleicht sogar ein all-week-stand. Wütend packte der Japaner ihn an seinem Lieblingsschal und hob ihn etwas in die Höhe. Oh, oh, würde er nun doch seine Pracht Prügel bekommen, die ihm von Anfang an angedroht war? „Ich erzähl dir meine Geschichte und dann lecken wir uns die Wunden, ficken ne Runde und die Welt ist wieder gut, oder was? Ich erzähl dir mal was, das klappt nicht. Man kann nicht von heut auf morgen glücklich werden, man kann es sich nur einbilden. Aber auch da wacht man wieder drauf aus, und darauf hab ich keinen Bock. Menschen können sich nicht erreichen, nicht einmal ansatzweise. Sie kommen sich nur nahe, um Bedürfnisse zu befriedigen, körperliche und seelische. Das ist alles. Und für letzteres hab ich keinen Bedarf, also hör auf Psychiater zu spielen, du brauchst selbst einen. Und halt ja die Klappe, ich will nichts hören.“ „Aber...“ Hart wurde seine Hand gepackt und Kurogane zog den Ärmel seines weißen Pullis hoch, offenbarte die Schnitte. Für einen Moment war das Gesicht des riesigen Japaners nur ein einziger Schatten. „Sie hin, SIEH da hin.“ Schwer schluckte der Blonde. Ein wenig kam ihm die Angst hoch. Der Mann vor ihm schien wirklich gerade auszuflippen, vielleicht hatte er emotionalen Stress oder so... also senkte Fye de Flourite den Blick und sah auf sein Handgelenk. „Siehst du das? DAS ist der Grund, weswegen ich froh sein werde, wenn du Silvester wieder gehst. Ich hasse solche Schwäche!“ Fye zauberte ein breites Lächeln auf seine Lippen. „Dann sind wir uns ja einig, nicht wahr?“ Entnervt ließ ihn der Schwarzhaarige los und Fye taumelte ein paar Schritte zurück. „Ich fahre nach Hause“, verkündete er müde, resigniert, die Wut war raus, ohne Frage. „Au ja, ich hol auf den Weg noch Eiscreme und Milch! Dann kann ich wieder heiße Schokolade machen! Hat Ihnen die letzte denn geschmeckt?“ „Allein.“ „Kein Problem, hab meinen eigenen Wagen da. Denken Sie ich bin ihnen vorher hinterher gejoggt?“ Entnervt sah Kurogane ihn an. Und schüttelte den Kopf. „Ich will heute Abend allein sein. Komm wenn überhaupt morgen. Vielleicht fühle ich mich dann entfrustet genug für's vögeln.“ Das Zimmer war ganz dunkel, er konnte den größeren Mann kaum erkennen. Er ihn wohl auch nicht, sonst hätte er sicher gemerkt, dass er zitterte. Vor Wut oder Angst wusste er nicht. Er wollte diese Nacht nur nicht allein sein. Und wenn sie die ganze Nacht hier standen und sich beleidigten, es war ihm lieber, als heute Nacht allein in seinem Zimmer oder auf den leeren Straßen zusammen mit den Pennern zu sein, ohne einen warmen Körper um sich und in sich, einer Stimme, die kontinuierlich zu ihm sprach oder auch nur Atem, dem er immer lauschen konnte. „Alles was ich mir wünsche, ist diese Nacht nicht allein zu sein, Kurogane....“ „Ich bin nicht der Weihnachtsmann.“ Mit diesen Worten verließ er den Raum und ließ Fye allein zurück. „Ich sterbe, verdammt noch mal!“, schrie er durch den ganzen Gang, als Kurogane bereits am Aufzug war. Ob sie nun doch noch einer der Schwestern ertappte, war ihm gerade herzlich schnuppe. „Du herzloser Kerl! Es ist Weihnachten! Du hast es mir versprochen!“ „Ich scheiß auf Weihnachten. Und sicher stirbst du nicht heute Nacht. Es sein denn du bringst dich um.“ „Wenn, dann nur wegen dir!“, wie verzweifelt war er eigentlich, dass er versuchte mit allen Tricks und Kniffen den anderen Mann zum Bleiben zu bewegen? „Kann ich mit leben, ich kenn' eh nur Tote.“ „Du bist grausam...“ Ein Flüstern. „Die ganze verfluchte Welt ist grausam.“ Ein Flüstern. Und die Aufzugtüren schlossen sich mit einem pling. Strophe 15 Ihm tat alles weh, trotzdem hatte er es auf der Feuerleiter in den fünften Stock geschafft. Shaolan konnte sagen, er hatte was mit seinen 17 Jahren geleistet, auf das er stolz sein konnte. Niemand schaffte es sonst krankenhausreif so eine Zirkusnummer hinzulegen. Im fünften Stock angekommen, machte er eine Verschnaufpause und lehnte sich an das tatsächlich rostige Geländer. Hier in der Gasse war es ganz ruhig. In Filmen wären jetzt alle hinter hell erleuchteten Fenstern und feierten höchst kitschig und Waschmittelwerbung mäßig ein glückliches Weihnachtsfest mit der ganzen Familie. Aber die meisten Fenster an denen er vorbeigeschlichen war, waren dunkel, nur eines erleuchtet und hinter dem saß ein Mann am Fernseher. Die Gasse unter ihm schimmerte feucht, aber er wusste das es Eis war. Es hatte geknackst, als er mit seinen zerrissen Turnschuhe darüber gelaufen war. Der Verkehr ging am Ende der Gasse seinen Gang, allerdings nicht so stark wie sonst. Vermutlich hatten heute alle ihre Energie beim Endeinkaufsspurt verausgabt und nun hatte keiner mehr Lust rauszugehen. Shaolan hatte auch kein Lust hier draußen zu sein. Er hatte auch keine Lust im Heim zu sein. Er hatte auch keine Lust bei Sakura zu sein. Er hatte überhaupt keine Lust dieses Weihnachten irgendwo zu sein. Plötzlich hörte er das Quietschen von Reifen und sah einen roten Kleinwagen die Gasse hinunter schmettern, dicht gefolgt von einem schwarzen. Neugierig lehnte sich Shaolan vor, um die Raser zu beobachten. In der Gasse passten nicht einmal zwei Autos nebeneinander durch, da war vielleicht 70 km/h keine Geschwindigkeit, die der Lebensversicherung Freude machte. Doch dann machte der schwarze Wagen, der mittlerweile aufgeschlossen hatte, einen scharfen Schlenker nach rechts und rammte den Roten. Der verlor auf dem Eis die Bodenhaftung, kollidierte volle Pulle mit der Häuserwand , so dass die ganze Feuerleiter wackelte wie verrückt. Das Geländer gab nach und bevor Shaolan seine Selbstmordpläne noch einmal überdenken konnte, flog er auch schon wie ein nasser Sack Richtung Erde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)