Another Precious Rainbow von abgemeldet (Nothing's like it seems to be) ================================================================================ Kapitel 19: Et kjærlighetsbrev Teil 2 ------------------------------------- II. Der Liebesbrief Es wurde zunehmend kälter im Land und der Oktober hatte deutliche Spuren hinterlassen. Während die Bäume ihre prächtig gefärbten Baumkronen sachte verloren und die Stürme des Nachts zunahmen, flogen auch die letzten Zugvögel gen Süden. Die Sonne ließ sich nun nicht mehr vor acht Uhr morgens blicken und verursachte eine bereits winterliche Kälte, die Ruki unter die Haut kroch und erzittern ließ. Auch heute ging sie allein mit Johan zur Schule, denn Juudai war, so wie es aussah, noch immer beharrlich dabei die Schule zu schwänzen. Über ihnen hingen an diesem Morgen keine grauen Wolken mehr wodurch auch die Luft erheblich abgekühlt wurde, allerdings sorgten die Sterne für eine warme Atmosphäre und das seichte bläuliche Grün am Horizont, verkündete die Ankunft eines sonnigen Tages. Im Augenblick war es der Deutschen allerdings egal wie schön es noch werden würde, denn sie fror bitterlich als sie neben ihrem norwegischen Freund herging. „Wie wäre es, wenn du dir langsam wärmere Sachen anziehst, Ruki?“, schlug Johan etwas entgeistert vor. „Wer kann denn wissen, dass es von Gestern auf Heute gleich so kalt werden muss?“, entgegnete sie ihm und ließ ein leichtes klappern mit den Zähnen hören, „Ich habe Mal `ne andere Frage, Johan. Kann ich sie dir stellen?“ Der Junge warf ihr einen fragenden Blick zu, er konnte sich schon denken worum es ging, allerdings wollte er ihr die Frage nicht aus dem Mund ziehen und antwortete schließlich: „Natürlich, frag doch einfach!“ „Es ist nicht so einfach abzuschätzen ob du gleich die Nerven verlierst! Sag mal, findest du es wirklich nötig, Juudai so böse zu ignorieren? Er war schon so fertig, dass er die Schule geschwänzt hat und... ach ich weiß einfach nicht warum du ihn so permanent abblockst!“, erklärte Ruki, „Warum versuchst du nicht einfach normal mit Juudai umzugehen?“ „Warum?“, wiederholte Johan ein klein wenig hitzig, „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“ „Oh doch natürlich, ich meine, schön und gut dass du in ihn verliebt bist, aber das heißt doch für Juudai noch lange nichts. Außerdem finde ich die Methode anderen durch schubsen, kneifen und ignorieren zu zeigen wie wichtig sie einen sind, nach der vierten Klasse völlig unbrauchbar. Du bist schon fünfzehn Jahre alt Johan, du solltest dich bemühen Juudai normal entgegen zu treten. Rede wenigstens wieder vernünftig mit ihm, ja?“, schlug das Mädchen nun vor, die ganz und gar nicht mit Johans Umgangston zufrieden war. Der Norweger atmete tief durch, für ihn gab es eigentlich keinen Grund sich auch noch mit Ruki zu streiten, allerdings hatte er allen Grund Juudai auch weiterhin zu ignorieren, aber das wollte er ihr noch nicht so offen darlegen. Wenn überhaupt, dann nur um Juudai eine Nachricht zu überbringen, denn er schien auch heute nicht zur Schule zu kommen. Johans Blick war nach unten gerichtet, als ob er auf dem kalten Asphalt etwas Wärme finden würde, wenn er ihn lange genug anstarrte. Aber es gab keine wärme auf leblosen Steinen, egal wie lange Johan auf den Weg vor sich herunterstarrte, er fände sicherlich auch keinen Trost und noch weniger eine Lösung für seine Probleme. Was sollte er also tun? Ruki den Gefallen tun und wieder vernünftig mit Juudai umgehen? Immerhin hatte er es dem Jungen doch versprochen, immer für ihn da zu sein, egal was los war. Allerdings hatten sich die Spione, die solch reges Interesse an dem Japaner gezeigt hatten, nicht mehr blicken lassen, also gab es eigentlich auch keinen Grund mehr ihn jeden Tag in seiner Nähe zu haben. Es war zu spät, er musste sich einfach von Juudai lösen. Ruki gab sich mit der aufgekommenen Stille zunächst noch zufrieden, die nur durch das Fahren der Autos und gelegentliches Hupen durchtrennt wurde. Ab und zu hatte Ruki auch das Gefühl sie müsste sich jetzt unbedingt nach einem Raser umdrehen und ihm hinterher brüllen er möge sie doch nicht so erschrecken und seine Probleme zivilisiert lösen. Sicher, es war eine starke und ziemlich übertriebene Reaktion, allerdings war das Mädchen unausstehlich, wenn es kalt war und sie fror. Die gewundene Straße vom Levretoppen bis zur Gjettum Schule hatten sie wie immer nach einer knappen Viertelstunde hinter sich gebracht. Auf dem Schulhof standen die beiden Schüler dann immer noch ein paar Minuten bevor sie sich in ihre Klassenräume aufmachten. „Wir sehen uns in der großen Pause, ne?“, wollte sie vorsichtshalber wissen, man konnte in letzter Zeit nie wissen was Johan so vorhatte. Johan nickte: „Natürlich.“ Gerade als sie sich umdrehen wollte um zu gehen, hörte sie die Schritte eines weiteren Jungen, der mit schweren Schritten auf sie zu kam. Schon angesichts dieser plumpen Schritte konnte sie sich sicher sein, dass es nicht Juudai war der sich doch noch dazu aufrappeln konnte rechtzeitig in die Schule zu kommen. Bevor der Junge, der in eine dicke Daunenjacke und viel zu weiten Hosen gekleidet war überhaupt etwas sagen konnte, drehte Ruki sich schnell auf dem Absatz um und winkte Johan zu: „Bis später, ich möchte nur ungern der Dummheit der ganzen Kommune begegnen.“ Johan konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und schüttelte den Kopf. Um zu verhindern dass Ruki und Brage nicht aneinander gerieten wandte auch Johan sich um und gab Brage ein Zeichen direkt in den Klassenraum zu gehen. Brage folgte Johan und zusammen betraten sie den noch dunklen Klassenraum. In letzter Zeit war Brage ebenfalls pünktlicher als sonst, vielleicht hatten seine drei neuen Bekanntschaften einen schlechten Einfluss auf den sonst eher schulisch desinteressierten Jungen. Während er seinen Stuhl vom Tisch holte warf er einen unschuldigen Blick zu Johan herüber. „Sag mal, was war dann eben mit unserem kleinen Rukilein los?“, wollte er wissen. „Ach gar nichts, sie wollte nur nicht mit dir sprechen, das ist alles“, antwortete Johan ehrlich worauf Brage mit den Schultern zuckte: „Mich würde es auch wundern, wenn sie jemals an einen Jungen kommen würde. Stimmt es eigentlich, dass sie jetzt ganz allein im Unterricht sitzt?“ „Ja“, antwortete Johan einsilbig, natürlich war Ruki nicht die einzige, die ihn auf Juudai aufmerksam machte. Der Norweger war sich ziemlich sicher, dass auch Brage in wenigen Momenten anfangen würde ihn nach dem Japaner auszufragen, was mit ihm los war und warum er gar nicht mehr so oft mit ihm in den Pausen zusammen war. Johan seufzte leicht aus, er konnte die Spannung zwischen sich und Brage praktisch fühlen, also entschloss er sich sofort reinen Tisch zu machen: „Vielleicht ist es besser ich spreche mit Juudai-kun über unsere Differenzen, meinst du nicht?“ „Ach Differenzen nennst du das?“, hakte Brage nach, „Johan wenn ich dir Mal was richtig ehrliches sagen dürfte...“ „Darfst du, keine Sorge! Aber wenn du mich ebenso rund machen willst, wie Ruki es immer tut, dann spar’s dir lieber. Mir ist eine Ruki schon mehr als genug!“, entgegnete Johan leicht genervt und setzte sich auf seinen Stuhl. Es war wirklich schrecklich immer wieder zu hören, dass er sich so ungerecht verhielt, außerdem war es ermüdend. Für Johan schien es kein guter Tag zu werden, oder er hatte einfach nur einen vollkommen schlechten Start in diesen. „Wollte ich doch gar nicht! Ich meine nur, dass es eine gute Idee ist. Sonst kann es ja nicht besser werden, hab ich Recht?“, erklärte Brage. Die rhetorische Frage brauchte Johan gar nicht zu beantworten, denn er wusste ganz genau, dass sowohl Brage als auch Ruki am Ende Recht behielten. Es ärgerte Johan ein bisschen, dass sogar sein Klassenkammerat dieser Meinung war und damit ein besseres Verhalten aufwies als er selbst. Johan nickte zu sich selbst, als er still auf seinem Platz saß und scheinbar nur auf die Ankunft des Lehrers wartete. Er musste das Spiel mit Juudai schnell zu ende spielen, damit er sie beide ihren inneren Frieden wiederfanden. Dass Johan so tiefe Gedanken hatte und sich wieder einmal nur um den kleinen Japaner wanden, ahnte Brage überhaupt nicht. Für Ruki war die letzte Woche die langweiligste in ihrer gesamten Schulzeit gewesen, so hatte sie zumindest das Gefühl. In diesen Wochen durfte sie ganz allein jede Aufgabe bewältigen, sie brauchte Juudai immerhin nicht behilflich sein, wenn er gar nicht da war. Dadurch war sie auch ziemlich oft genervt durch ihre Lehrerin, die sie nun extra hart arbeiten ließ, weil die Weihnachtsprüfungen bevor standen. Wie auch schon in den letzten drei Tagen saß sie allein vor der blonden Frau die, bevor die Stunde so richtig beginnen sollte, etwas in ihrem Klassenbuch vermerkte. „Hast du etwas von Juudai gehört?“, wollte Sonia wissen. Jedes Mal wenn sie diesen Namen sagte, hätten Ruki Krallen wachsen können, denn sie tat es ganz falsch, nach einem kleinen Zögern brachte das Mädchen heraus: „Ihm geht es schon viel besser, ich glaube er kommt morgen wieder zur Schule.“ „Das ist gut. Bringst du ihm heute Nachmittag wieder die Hausaufgaben?!“, es hörte sich nicht an wie eine Frage, deshalb sparte Ruki sich die Antwort und ging nach vorn zum Lehrerpult um ein paar Arbeitsbogen entgegen zu nehmen. „Ich hoffe Juudai lernt auch fleißig. Sonst besteht er seine Prüfung nachher nicht“, meinte die Lehrer mit Nachdruck in der Stimme, „Vielleicht solltest du ihm noch ein Mal gut zusprechen, an dir nimmt er sich sicher ein gutes Beispiel.“ ‚Na klar, schon immer’, dachte das Mädchen bei sich und verdrehte ein wenig die Augen, ‚Auf Johan hat er immer gehört. Es ist Johan der zu Juudai vorgedrungen ist und auch unser Verhältnis zueinander gestärkt hat, nicht umgekehrt!’ Sie hatte damit vollkommen Recht. Anfangs konnte Juudai sie überhaupt nicht leiden und auch Ruki war wenig angetan von ihm gewesen, trotz seiner japanischen Herkunft konnte sie keinen guten Kontakt mit ihm knüpfen. Am liebsten wäre sie auf der Stelle aufgestanden, in Johans Klasse hineingeplatzt um ihn am Kragen nach draußen zu schleifen. Irgendwie musste sie ihn dazu bewegen wieder normal mit Juudai umzugehen. Die Sonne ging inzwischen langsam auf und sorgte dafür dass wenigstens der Tau auf dem Rasen und an den Bäumen wieder schmolz. Die Temperaturen blieben allerdings an diesem Tag ziemlich gering, so dass sie sich wirklich eingestehen musste, dass sich der Herbst langsam in Winter verwandelte. Sie seufzte leicht als sie ihre Aufgaben erledigte. Nun begann die wirklich dunkle Zeit des Jahres, die Weihnachtszeit würde auch bald eingeläutet werden und ihr den letzten Nerv rauben, da sie Weihnachtsmusik und vor allem den Stress des Geschenkkaufens nicht ausstehen konnte. Sowieso hatte sie keine besonders romantische Einstellung zum ewig kaltem Wetter und ihr graute es schon vor dem bevorstehenden Schneefall. Nein, sie war ganz und gar kein Wintermensch. Sehnsüchtig hatte das Mädchen schon auf die große Pause gewartet während sie eine Aufgabe nach der anderen erledigte, einen kleinen Text verfasst und Grammatik wiederholt hatte. Sie mochte es nicht so gern zugeben, aber sie hatte große Angst davor das Tentamen schlecht zu bestehen, auch wenn sie bisher noch keine einzige schlechte Arbeit abgeliefert hatte. Der Gedanke an Halbjahresprüfungen verursachte einfach eine innere Unruhe in ihr und auch unglaublich große Panik. Letztendlich konnte sie tief durchatmen als es zur großen Pause klingelte und sie ihr Pausenbrot rüber zu den zehnten Klassen nehmen konnte. Johan und Brage kamen allerdings schon aus ihrem Klassenzimmer heraus. „Ah, Ruki ich dachte wir sollen zu dir kommen“, stellte Brage überrascht fest. Sie begegnete dem Jungen mit einem erbosten Gesichtsausdruck: „Eigentlich nur Johan, aber da du schon Mal da bist, tu dir keinen Zwang an mit und zu essen!“ „He-...“, Brage schüttelte den Kopf, „Wirst du dich mir gegenüber nie ändern?“ „Du hast es erfasst!“, entgegnete Ruki mit einem Nicken, „Ich habe ja auch gar keinen Grund dazu! Ich mag dich nicht, verstanden? Du bist ein Rüpel und ich kann so unhöfliche Kerle wie dich einfach nicht leiden!“ „A - aber...“, dem Norweger fehlten offenbar die Worte, deshalb schwieg er und folgte den beiden leise. Johan hatte seine Kameraden in Ruhe streiten lassen. Er hatte keine Lust immer wieder dazwischen zu gehen, genauso wenig wie er Lust hatte sich ewig Vorträge anzuhören, er solle wieder mit Juudai sprechen. Genau, jetzt fiel es ihm wieder ein. Er musste sogar dringend mit ihm sprechen. In diesem Moment schlug sein herz von einer Sekunde zur anderen ein bisschen schneller. Eigentlich konnte er sich doch glücklich schätzen wieder in die rehbraunen Augen sehen zu können, die ihn schon so oft angelächelt haben. Manchmal waren sie auch durch Tränen gerötet und andere Male, wenn er mit Ruki zusammen geraten war, hatten sie auch Ärger ausgedrückt. „Ruki, ich muss dich um einen Gefallen bitten“, meinte Johan plötzlich, als sie sich auf eine Treppe gesetzt hatten, die in den zweiten Stock führte. Normalerweise war es den Schülern nicht gestattet die Pausen im Schulgebäude zu verbringen, doch diese Treppe war nicht oft begangen und die Lehrer machten sich meistens auch nicht die Mühe zu kontrollieren ob sich noch Schüler hier verbargen. „Was?“, sie war ein bisschen verwirrt über seinen Ausbruch, „Worum geht es denn?“ Nicht dass sie erwartete, dass Johan ihre eine unmögliche Bitte stellen würde. Der Junge wartete noch etwas, als wenn er mit sich selbst im Zwist läge ob er die Bitte wirklich hervor bringen sollte. Es war Ruki, der ihn wieder aus seiner Trance hervor holte: „Na jetzt sag schon!“ „Ich möchte dass du Juudai-kun etwas ausrichtest“, antwortete Johan, was nicht nur das Mädchen überraschte, auch Brage machte große Augen. „Ehh!?“, brach es aus ihr heraus, „Du willst, dass ich Juudai etwas ausrichte? Kannst du es ihm nicht selbst sagen, Johan? Ich meine... ach du bist-...“ „Ruki! Ich möchte dass er heute Nachmittag zu mir kommt, ich kann leider nicht weg, heute sind meine Eltern mal wieder beide weg. Ich möchte Ruby nicht so lange allein lassen und außerdem muss ich auch lernen und Juudai-kun... Na Juudai-kun tut doch eh nichts für die Schule so wie es aussieht. Du kennst ihn doch!“, erklärte Johan ohne dass er die letzte Bemerkung böse gemein hatte. Er war sich nur bewusst geworden, dass Juudai Hausaufgaben noch für ziemlich unbedeutend hielt und auch nicht so wirklich interessiert daran war viel zu lernen, was er konnte das konnte er eben und was nicht, dass würde er entweder irgendwann lernen oder nie. Ruki nickte schließlich, sie hatte sich kurz darauf vorbereitet ihren Freund auszuschimpfen, jetzt aber war sie ziemlich erleichtert, dass Johan wieder mit Juudai sprechen wollte. Juudai sollte zu ihm kommen? Das versprach doch immerhin schon Mal die Aussicht auf eine Versöhnung. Zumindest hoffte Ruki das. „Juudai-kun hat Post bekommen. Denk dir nichts anderes dabei!“, mahnte Johan, „Ich will nur, dass er seine Post abholt, verstanden?“ „Post?“, hakte Ruki nach bevor Brage nachfragen konnte, was Johan damit meinte. Der Junge nickte: „Ja, Post. Von seinem Freund, du weißt schon, Juudai hatte ihm vor Ewigkeiten mal geschrieben.“ „Richtig... Na auf den wäre ich sauer! Juudai hat doch bestimmt schon vor zwei Monaten geschrieben. Der scheint wirklich ...“ „Nein, ich kann verstehen, dass er nicht früher antworten konnte. Ich hätte ihm auch nicht so schnell schreiben können“, meinte Johan und stand dann auf, „Wir sollten uns auf den Weg in die Klasse machen Brage.“ Einen Augenblick wollte Ruki nicht ihren Ohren trauen. Warum sagte Johan so etwas unverschämtes? Sicher war Brage daran schuld, dass er sich so verändert hatte. Sie sagte allerdings nichts weiter zu Johans gemeinen Worten sondern behielt ihren Ärger für sich. Für Ruki war es allerdings einfach gewesen so zu denken, sie wusste schließlich nicht, dass sich hinter Johan ein ganz anderer Grund für solch eine Reaktion verbarg. Er hatte auch Brage nicht davon erzählt, warum auch? Er musste allein mit seinen eigenen Gefühlen fertig werden. Johan würde immerhin selbst merken wie es war, Juudai gegenüber zu stehen. Wenn er es nicht schaffen sollte ihm zu widerstehen, dann sollte es eben so sein. Dann war Johan sich sicher, dass er Juudai nicht mehr verheimlichen durfte was er fühlte, wenn er Juudai aber wieder an der Haustür mit dem Brief wegschicken konnte, dann war es gut, dass er so viel Abstand von ihm genommen hatte. Juudai hatte sich den ganzen Tag lang auf die Schule am nächsten Tag vorbereitet. Seit letzter Nacht war er sich sicher gewesen wieder regelmäßig zur Schule zu gehen. Der junge Japaner war sich darüber im Klaren geworden, dass er sein Leben nicht auf eine einzige Freundschaft basieren lassen konnte. Von nun an musste Juudai eben seinen eigenen Weg gehen. Deshalb hatte er sich den lieben langen Tag an seinen Schreibtisch gesetzt um fleißig zu lernen, ebenso rege wie Johan es tat. Vielleicht war es ja Schicksal, dass sie sich nun mehr von einander entfernten, vielleicht sollte die Bekanntschaft mit Johan nur für die Übergangszeit sein, damit er sich in Norwegen eingewöhnen konnte. Juudai spürte zwar, dass sich dieser Fakt wie ein Schwert in sein Herz bohrte und einen deutlichen Schmerz in seiner Seele hinterließ, aber dies war nun Mal die einzige Erklärung, die der Junge für Johans Benehmen hatte. Früher oder später würde er schon darüber hinweg kommen. Kurz nachdem Juudai sich etwas zum Mittag gemacht hatte klingelte es an seiner Tür, worauf er ein paar Sekunden nachdachte, wer wohl davor stehen könnte. Eines konnte er allerdings ausschließen, es war mit Sicherheit nicht Johan. Als er öffnete, stand Ruki vor ihm, dieses Mal in wärmerer Kleidung und sie sah ziemlich ernst aus, dabei lehnte sie ab hinein zu kommen. Mit wenigen Worten erklärte sie ihm, was Johan ihr gesagt hatte und mit großer Nachdrücklichkeit ließ sie den Jungen noch mehr wissen: „Ich weiß nicht genau ob Johan noch etwas anderes von dir will. Mach dir nicht allzu große Hoffnungen dass ihr eine große Konversation führen werdet. Ich meine, er ist sehr... Du weißt schon.“ „Ja ich weiß“, antwortete Juudai ebenso ernst und ziemlich knapp. „Juudai! Bitte komm morgen auch wirklich wieder zur Schule, es ist so langweilig ohne dich!“, meinte sie und ergriff die Hand ihres Freundes, die langsam begann kalt zu werden, allerdings immer noch wärmer war als seine eigene, „Wenn du willst, dann helfe ich dir heute Abend noch, egal wie spät es ist! Dann übernachte ich auch bei dir oder so, aber ich halte diese Lehrerin langsam nicht mehr aus.“ Juudai musste sich wirklich zusammenreißen um nicht lauthals loszulachen, er konnte Ruki schon verstehen, dass sie nur ungern allein im Unterricht saß. Er schüttelte schließlich den Kopf: „Nein, nein mach dir keine Sorgen. Ich hab mir gesagt dass ich wieder gehen muss. Ich komme, aber es wäre nett, wenn du etwas früher kommen würdest, damit ich auch pünktlich komme.“ Ruki nickte hastig und sah um einiges erleichtert aus, damit verabschiedete sich das Mädchen auch schon wieder. Sie war natürlich überrascht gewesen, dass Juudai seine Hausaufgaben mit Freuden entgegen genommen hatte und anscheinend doch fleißig gelernt hatte. Anscheinend war nichts mehr so wie es im Sommer gewesen ist. Juudai schloss die Tür hinter sich als er Rukis Rücken nicht mehr sehen konnte. Die von draußen in die Wohnung hereingedrungene Kälte verflog nur langsam wieder und wurde durch die Heizungsluft aufgewärmt. Juudai stand nun mit dem Rücken an die Tür gelehnt. Einen Augenblick lang hielt er inne. Er wollte sich noch ein Mal Rukis Worte ins Gedächtnis rufen. Johan wollte, dass er zu ihm kommt. Natürlich nur um den Brief abzuholen, aber trotzdem wollte Johan nicht erst darauf warten bis Juudai wieder zur Schule kam, sondern es gleich erledigen. Juudai wusste nicht, was er davon halten sollte. Johan wollte tatsächlich dass er sich den Brief persönlich abholte, er hatte ihn nicht Ruki gegeben damit sie ihn brachte, nein in wenigen Augenblicken würde er den Norweger schon wieder sehen und mit ihm reden können. Sicherlich wäre das auch die passende Gelegenheit sich wieder etwas näher zu kommen, selbst wenn es nur ein kurzes Gespräch über das Wetter war sie würden wieder ein bisschen miteinander sprechen, davon war Juudai jeden falls überzeugt. Außerdem stieg Juudais Laune kolossal als er sich bewusst wurde, dass Manjoume Jun ihm endlich geantwortet hatte. Nach so langer Zeit bekam er endlich einen Brief von seinem besten Freund in Japan. Juudai hatte seiner Ruki an der Nasenspitze angesehen, dass sie ihm gern gefolgt wäre, auch als eine Art moralische Stütze, allerdings musste sie auch lernen und ihre Mutter wollte sie dringend mit in die Stadt nehmen um ein paar Einkäufe zu erledigen. Damit war Juudai mit seinem neu entdeckten Enthusiasmus und seiner Hoffnung auf sich allein gestellt. Er hatte neuen Mut gefasst und so wollte er keinen einzigen Moment mehr zögern, sondern schlüpfte schnell in seine Schuhe und ging hastig die Straße hinauf, geradewegs auf den Waldrand zu und an den wunderschönen Eigenheimen vorbei gekommen betrat Juudai etwa nicht den Levre Wald sondern ging direkt auf Johans Haus zu. Nein, heute würde ihm sicher nicht in den Sinn kommen in den Wald zu gehen. Es hatte Tage gegeben an denen er die Schule schwänzte und Vormittags in den Wald ging, um seiner Mutter zu verheimlichen, dass er nicht in der Schule gewesen war. Insgeheim hatte er jedes Mal gehofft sich tief in ihm zu verlaufen, damit Johan kommen konnte um ihn zu retten. Um ihn zu retten... Darauf hätte er wirklich Jahre lang warten können. Nun stand Juudai aber erst einmal vor dem Haus. Johans Haus in der Kälte, wirkte so unfreundlich als sei jedes Gefühl des Wohlwollens daraus gewichen. Schon lange waren die Blätter und die roten Blüten der Kletterrosen auf dem Boden gefallen, wo sie nun welk und traurig die Kraft ihres Lebens ausgehaucht hatten, der Rasen war nun gelb und unansehnlich im großen Garten der Andersens, übersäht von braunem Laub der umstehenden Bäume. Vielleicht lag es nur an dieser trüben Jahreszeit, obwohl die Sonne ausnahmsweise an diesem Tag schien. Auf Juudai wirkte das alles jedoch wie ein unsicheres Omen für das, was sich in wenigen Minuten zwischen ihm und seinem norwegischen Freund abspielen würde. Juudai schluckte hart, der Winter stand vor der Tür und er konnte nichts dagegen tun. Er brauchte einen Moment bis er in der Lage war zu klingeln, er hatte das Gefühl, dass sich sein Arm schwerer anfühlte, als er sonst war. Dennoch überwand sich der Japaner relativ schnell und ließ die Klingel im Haus ertönen. Juudais Herzschlag wurde wild, es schlug so hart gegen seine Brust als er darauf wartete, dass ihm jemand die Tür öffnete dass er befürchtete Johan könne es hören. Er musste natürlich zugeben, dass er nervös und etwas unsicher war, obwohl es dafür eigentlich keinen Grund gab. Er hoffte, dass Johan weder die Nervosität noch die Unsicherheit bemerkte, die sich in seinem Körper befanden. Er wartete. Eine Sekunde... Zwei, drei Sekunden... Dann plötzlich stand Johan schon vor ihm, wobei Juudai sich nur schwer beherrschen konnte nicht vor Überraschung zurückzuschrecken. Gott sei Dank beruhigte er sich ebenso schnell da er seinen Freund hier sah. Es wunderte Juudai ein wenig, dass Johan in der Lage war so schnell die Tür öffnen konnte, diese Frage wurde dem Japaner allerdings beantwortet als sein Gegenüber das Wort ergriff: „Ich habe nicht erwartet, dass du so schnell klingelst... Oder ohne das unsere Ruki auch hier auftauchst.“ Juudai sah in die smaragdgrünen Augen, die ihn seit einigen Wochen nicht mehr angestrahlt hatten. Es wirkte auf den Japaner so, als hätten sie jeden Hauch von sommerlicher Wärme verloren, ebenso wie das Haus in dem er sein Leben zubrachte. Es waren nun mehr kalte Edelsteine, die Juudai anblickten und dem Japaner nun einen Schauer über den Rücken huschen ließ. Juudai wusste, dass er entlarvt war. Johan kannte ihn mittlerweile zu gut. Nun wanderte der Blick des Brünetten nach unten, als ob er irgendetwas interessantes auf dem Treppenabsatz finden würde, doch er fragte sich eigentlich nur ob er etwas sagen sollte oder ob es besser war einfach still zu schweigen. „Juudai du bist unheimlich beschissen im Bluffen. Du bist wegen dem Brief hier, ist doch so?“, wollte Johan wissen wobei nicht eine einzige japanische Silbe seinen Mund verließ. Juudai durchfuhr ein kalter Schauer, noch nie hatte Johan eine so vulgäre Sprache benutzt. Es brauchte eine Weile bis er die richtigen Worte fand, er konnte nur nicken um zumindest die Frage wortlos zu beantworten: „Du kannst es dafür ungemein gut. Ich bin wirklich nicht gekommen um dich länger zu belästigen, alles was ich von dir will, ist diesen Brief abholen!“ „Lügner!“, entgegnete Johan und verschwand wieder im Haus. Juudai betrat es nicht, er hatte das Gefühl Johan nie wieder zu sehen, als dieser im Haus verschwunden war. Er war sich auch sicher, dass dies das letzte Gespräch war das sie jemals führen würden. Die Kälte des Hauses ergriff Juudai Herz und seine Seele wieder, es fühlte sich an wie ein eiserner Griff um den Muskel der sein Blut durch seinen Körper pumpte. Ihm war als gefröre sein Blut und in diesem Moment gab es ihm eine kleine Idee wie es wohl war, wenn das Herz aufhörte seinen Job zu tun. Würde das Blut in seinen Adern dann wirklich gefrieren und er einfach nur aufhören zu fühlen? Der Gedanke daran nie wieder etwas fühlen zu müssen war gar nicht so schlimm. Allerdings zu vergessen, dass Johan einst so liebevoll zu ihm gewesen war, tat ihm ebenso weh wie die Worte des Norwegers vor nur ein paar Sekunden. Wie konnte er ihn so verraten? Niemandem würde er mehr so sehr vertrauen können wie Johan. Auf jeden Fall glaubte Juudai dies in jenem Moment. Er spürte auch die heißen Tränen nicht, die über seine kalten Wangen liefen und hatte somit auch keine Ahnung, dass er nicht mehr glaubwürdig wirkte. Johan war nur ein paar Sekunden weg gewesen. Es waren nur Sekunden in denen Juudai darüber nachdenken konnte ob ihn der Verrat seines Freundes schmerzte oder nicht. Es tat weh... Sehr sogar. Den sichtbaren Schmerz des Japaners konnte Johan gut erkennen, als er wieder zur Tür heraus kam. Als Juudai sich ebenfalls über die Tränen auf seinem Gesicht klar wurde, schämte er sich für diese und noch mehr dafür, dass Johan sie nun auch sehen konnte. Natürlich wunderte es den Norweger nicht, dass Juudai weinte. Am liebsten hätte er ihn zu sich gezogen, in seine Arme um ihn zu trösten, um ihm zu erklären was los war. Nein eigentlich wollte er Juudai ins Haus ziehen. Er wollte ihn an die Wand drücken und seine Lippen erobern. Ihn in sein Zimmer bringen und ihn aufs Bett werfen... Nein, weiter wollte Johan nicht denken auch wenn sein Körper ihm andere Signale gab. Er konnte sich zusammen reißen und Juudai hier an der Tür wieder wegschicken. „Da“, Johan übergab Juudai den Brief. Die dünnen, geschmeidigen Finger legten sich um den schmalen, zartrosa Briefumschlag, der von einem tiefroten Herzaufkleber geschlossen gehalten wurde. Diese Details ließen Juudai kalt. Er sah sie nicht einmal. Er blickte wieder in die kalten Smaragde, doch alles was er hervor bringen konnte war ein Schluchzen und verweinte Worte: „Sag bitte, Johan-kun...“ Die japanische Phrase musste Johan unter den Tränen seines Freundes erst erahnen um sie zu verstehen, dann fuhr Juudai fort: „Sind es deine Eltern? Haben deine Eltern das alles verursacht? Warum sprichst du nicht mehr mit mir? Ich weiß, es muss anstrengend mit mir gewesen sein und nervig-...“ „Meine Eltern haben nichts damit zutun“, wieder gebrauchte Johan nur Norwegisch, „Es war meine eigene, freie Entscheidung!“ Nicken folgte auf Johans Antwort, dann ergriff Juudai nochmals das Wort: „Du sollst wissen, dass ich dir immer vertraut habe und ich dir immer vertrauen werde. Sicherlich total bescheuert in deinen Augen, aber Johan, ich verstehe es, wenn du nichts mehr von mir wissen willst. Ich sollte es wirklich hinnehmen!“ Weitere Worte blieben unausgesprochen an diesem Tag. Es fiel kein Wort über den Brief von Manjoume, es waren keine Erklärungen gefolgt warum Johan so grausam zu Juudai war. Der Japaner lief die Straße wieder hinunter bis er das rote Holzhaus erreichte, das er seit dem Sommer bewohnte. Juudai war sehr froh, dass seine Mutter im Augenblick nicht zu Hause war, so hatte er die Möglichkeit sich richtig gehen zu lassen. Die Tür plumpste ins Schloss zurück, härter und lauter als Juudai eigentlich beabsichtigt hatte. Die Brust des Jungen hob und senkte sich unkontrolliert, dabei war er gar nicht lange gerannt, allerdings fühlte Juudai den Grund. Es kam von weit, tief unten aus seinem Körper. Ein quälendes Schluchzen drang aus seiner Kehle und die Tränen, die schon zuvor gekommen waren rannen nun unaufhaltsam über seine Wangen und suchten sich einen unangenehmen Weg über seinen Hals. Juudai umklammerte den Briefumschlag, der einzige Trost, der ihm geblieben war. Der Junge machte sich nicht die Mühe in sein Zimmer zu gehen bevor er den Umschlag öffnete und noch immer nicht auf den Herzaufkleber achtete. Hastig faltete Juudai den Brief auseinander und begann ihn zu lesen. Tokio am 23.10.200X Mein lieber Juudai, wie sehr habe ich mich über Deinen Brief gefreut! Anhand des Datums ahne ich, dass er irgendwo fehlgeleitet wurde, aber umso mehr freut es mich ihn jetzt endlich gelesen zu haben. Du wohnst jetzt also mit Deiner Mutter in Norwegen und bei Leuten mit Namen Andersen?! Wie es aussieht geht es Dir recht gut obwohl viele Deiner Worte auch sehnsüchtig klingen. Nichts lieber würde ich tun als Dich zurück zu holen. Du schreibst, Du vermisst die Stadt, die Schule, die Klasse und was Dir sonst noch teuer und wichtig war-... Ich wünsche mir nur eines, Dich wieder bei mir zu haben. Um Dir in solchen Situationen in die Augen sehen zu können, damit es nicht nur farbenscheinige Worte auf Papier sind, sondern die Wirklichkeit. Schon am Tag Deiner Abreise habe ich gemerkt, wie tief meine Gefühle wirklich sind. Ich will das Du zu mir zurück kommst, Juudai. Ich liebe Dich, auf Ewig soll meine Liebe nur Dir gehören. Für immer! Jun Verständnislos blickte Juudai auf den Brief herab, den er in seinen Händen hielt. Er brauchte eine Weile, bis er den Sinn dieser Schrift richtig verstand. Wieder und wieder las er sich diese zärtlichen Worte durch und immer wieder fragte sich Juudai, wie Manjoume Jun in der Lage gewesen sein konnte, solch einen Text überhaupt nieder zu schreiben. Eines war Juudai allerdings gewiss: es war Juns Handschrift, die er auch unter Tausenden wieder erkannt hätte. Aber wie konnte Manjoume Jun in ihn verliebt sein? In ihn... Yuuki Juudai, der doch eine Hand voll anderer Probleme hatte... _________________________________ Fortsetzung folgt in Teil 3 An dieser Stelle muss ich mal was loswerden X3 Wie immer, danke für eure vielen, lieben Kommentare und ganz HERZLICHEN DANK das Mina jetzt den Beta in Sachen Rechtschreibung und Kommas übernimmt (also ab nächsten Teil) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)