The Sorrow von Illu ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Nacht. Ein gellender Schrei ließ die Umgebung erwachen. Er war lang gezogen und wurde mit der Zeit immer höher. Jeder, der ihn hörte, bekam von ihm eine Gänsehaut über den gesamten Körper gejagt. Man erstarrte förmlich. Die Spannung in der Luft war fast greifbar. Seit Monaten wurde in einem kleinen Haus gebetet. Ein junger Mann um die 20 Jahre alt lag nun schon geraume Zeit krank und verseucht im Bett. Er war der Urheber dieser Schreie. Dieser Laut von ihm ließ die Nachbarschaft aufhorchen. Sie hatten vor langer Zeit schon geglaubt, dass er sterben würde. Sollte dieser Schrei nun endlich das Ende des jungen Mannes herbeirufen, der sich schon so lange quälte? Man hatte ihn vor 5 Monaten blutüberströmt. In einer Gasse gefunden. Überall hatte er Wunden, war zerfleischt und geschändet. Der junge Mann sagte nichts, saß nur apathisch da. Man vermutete einen Tierangriff, denn man entdeckte auch Bisswunden. Dann brachte man ihn zu seiner Familie, die ihn wieder gesundpflegen sollte. Anfangs schien es ihm besser zu gehen, doch dann kamen die krampfhaften Anfälle und Fieber. Dazu schrie er. Nächtelang. Tagelang. Wochenlang. Dabei starrte er immer wieder zum Himmel. Seine Worte waren jedoch unverständlich. Ansonsten sprach er zu niemandem. Die Ärzte vermuteten Tollwut und konnten nichts mehr für ihn tun. Nach 2 Monaten hörte der Mann mit dem Schreien auf. Sein Zustand verbesserte sich schlagartig. Seine Familie atmete auf. Er konnte endlich seinen gewohnten Arbeiten nachgehen. Doch erschien er von außen wie ein normaler Mensch, hatte sich doch sein Charakter verändert: War er vorher freundlich, schien er jetzt allen das Leben schwerer zu machen. Hatte er davor viel und gerne geredet, blieb er nun schweigsam. Erschien er früher gutmütig, war er nun umso aggressiver. Seine Familie bemerkte es als erste. Danach die Nachbarn und zum Schluss das ganze Städtchen. Sie alle wussten, dass sein innerer Kampf mit der Krankheit noch nicht gewonnen war. Aber sie ließen ihn in Frieden, in der Hoffnung, die Ruhe würde ihm guttun. Doch danach verschlechterte sich sein Zustand wieder drastisch. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Die Krämpfe setzten wieder ein, doch diesmal blieben die Schreie aus. Sein Blick wurde immer trüber. Auch in diesem Zustand musste er Wochen im Bett liegen. Dem Städtchen wurde nun klar, dass die Krankheit doch stärker als sein Wille war. Das einzige was sie nun noch tun konnten, war zu hoffen, dass er ein schnelles Ende fände. Und in dieser Nacht schrie er wieder. Es war soweit. Bald würde er abtreten. Wie lange dauert es wohl noch? Vielleicht ein oder zwei Tage? Stunden? Dann wäre es endlich vorbei. Dieser letzte Schrei, dieser letzte Aufruf innerer Qualen rief nun das Ende dieses jungen Mannes herbei. In diesen dunklen Stunden ließ das Städtchen die Familie des Sterbenden allein. Die Leute wollten kein Blut an ihren Händen kleben haben. Der Tod war etwas schmutziges, was nur schwer wieder abzuwaschen war. Auch die eigenen Familienmitglieder zogen sich einige Momente nach dem Schrei zurück. Zuerst die Cousins und Cousinen, danach die Großeltern, dann der eigene Vater, der seinen Blick angewidert abwandte von dem kümmerlichen Menschenrest, den er einst ‚Sohn‘ genannt hatte. Dem Vater folgten nach und nach die Geschwister des Mannes. Allein seine Mutterhielt sich krampfhaft an ihm fest und wollte ihm beistehen, bis sie unter fließenden Tränen von ihm weggezerrt wurde. Der Sterbende sollte alleine in eine andere Welt übergehen. So war es Brauch. So war es Tradition. Wer dagegen verstieß war befleckt und unrein, ein Ausgestoßener. Die Minuten vergingen. Leise tickte eine Uhr, als ob diese die letzten Sekunden für den Mann zählte. Plötzlich war ein Knacken zu hören. Jemand schlich sich trotz des Verbotes zu dem beinahe Toten. Die Tür öffnete sich knarrend und wurde sogleich mit einem leisen Klicken zugeschlossen. Eine kleine Kerze erhellte den Raum etwas. In ihr Licht trat nun eine zierliche Gestalt, den Körper darauf bedacht unter einer schwarzen Robe zu verstecken. Sie nahm nun die Kapuze mit langsamen Bewegungen ab. Braune Locken umspielten das runde Gesicht mit den hohen Wangenknochen, was nun erschien. Ihre sonst so honigfarbenen Augen waren nass und von den vielen Tränen, die sie geweint hatten, gerötet. Sie richteten sich nun auf den Mann, der ihnen so viel bedeutete, und der sie jetzt doch zu verlassen drohte. Das Mädchen ging nun vorsichtig zu dem Bett, in dem er lag. Dort kniete sie sich auf den harten Holzboden und griff nach seiner Hand. Mit zittriger Stimme flüsterte sie ihm ‚Bruder‘ zu. Dieser wandte ihr daraufhin langsam sein Gesicht zu. Es war schweißüberströmt und voller Zweifel. „Marylin! Was tust du hier?“, fragte er sie nun mit erschöpfter Stimme. Seit langem hatte er mit niemandem mehr ein Gespräch geführt. „Du darfst nicht hier sein, also mach, dass du wegkommst! Wenn dich hier – “ Weiter konnte er nicht sprechen. Marylin hatte ihm ihren Finger auf dem Mund gelegt, damit er schwieg. Sie wollte, dass er seine letzten Kräfte noch sparen konnte und nicht für Gerede verschwendete. „Ich weiß“, sprach sie mit leiser Stimme. „Wenn sie mich hier jetzt finden würden, wäre ich verbannt. Aber ich möchte nicht, dass du alleine bist.“ Sie sah ihn liebevoll an. Er war ihr älterer Bruder und sie seine jüngere Schwester. Sie waren zusammen aufgewachsen und hatten viel Gutes, aber auch Böses erlebt. Von all ihren Geschwistern hatte er sich am meisten um sie gekümmert. Nun wollte sie ihm helfen, so wie er es immer früher immer für sie getan hatte. Sie liebte ihren Bruder und er hatte einen großen Platz in ihrem Herzen. „Du musst gehen, Mary. Meine Zeit ist gekommen. Ich werde nun bald gehen.“ Bei diesen Worten wandte er sich wieder von ihr ab. Seine Miene wurde bitter. Marys Griff um seine Hand wurde fester. Sie wollte seinen Worten nicht trauen und schüttelte mit ihren Kopf. Ihr traten nun wieder Tränen in die Augen. „Geh jetzt!“, befahl er ihr. Seine Worte waren kalt. Als sie weiterhin sitzen blieb und ihn anstarrte, riss er seine Hand nun von Marylin weg. Tränen der Verzweiflung rannen ihr nun über das schöne Gesicht. Sie schmeckte das Salz an ihren roten Lippen. Als sie jedoch immer noch neben dem Bettihres Bruders kniete, wandte dieser sich plötzlich um und erhob die Hand dabei. Als diese die Wange der jungen Frau traf, hörte man ein lautes Klatschen. Marylins Tränenfluss hörte mit einem Lidschlag auf. Der Schock war zu groß. Das hatte ihr Bruder noch nie getan. Und sie war sich sicher, dass er das ohne seine jetzige Krankheit auch niemals getan hätte. Nun begriff auch sie es: Es war nicht ihr Bruder, der da im Bett vor ihr lag und sie geschlagen hatte. Erst in diesem Moment fiel ihr auf, wie sehr sich ihr Bruder in den Monaten seiner Krankheit verändert hatte. Nun stand sie auf, eine Hand an ihrer geröteten Wange aufgelegt. Ihr Herz wurde nun schwer. Sie musste sich für immer von ihm verabschieden. Einige Momente stand sie noch regungslos vor ihm. „Mach, dass du hier wegkommst!“, sagte er mit ruhigem Ton aber scharfen Worten zu ihr. Dann drehte auch er sich wieder weg. Es wurde still in dem Raum. Einige weitere Momente vergingen. „Leb wohl.“, flüsterte Marylin ihm nun zu. In diese Worte legte sie all ihre Zärtlichkeit und Gefühle. Hastig zog sie dann ihre schwarze Robe enger und setzte sich wieder ihre Kapuze auf. Sie bewegte sich Richtung Tür. „Egal was passieren wird, trauer bloß nicht um mich.“, sagte der Sterbende noch schnell zu ihr. „Wende dich nicht der Vergangenheit zu. Vergiss sie und lebe für die Zukunft.“ Seine Stimme klang nun erschöpft. Marylin stoppte. War das jetzt nicht ihr wirklicher Bruder, der zu ihr sprach? Sie hatte den Drang sich ein letztes Mal umzudrehen, ihrem Bruder in die Augen zu sehen. Doch sie wusste, dass es ein Fehler wäre. Dann könnte sie nie mehr aus diesem Zimmer gehen und den Tod hinter sich lassen. Sie schritt nun, langsamer als zuvor, auf die Tür zu, um die Bande zwischen ihr und ihrem Bruder langsam zu trennen. Sie ergriff das Schloss, drehte den Schlüssel um und ließ die Tür aufgehen. Leise schlüpfte sie durch den Türspalt und ließ die Vergangenheit hinter sich, wie es ihr Bruder gesagt hatte. Der Mann sah ihr hinterher. In dem kurzen Moment, in dem er Marylin vor sich selbst gewarnt hatte, wurden seine Augen klar und hell. Er hatte sich kurz von seiner Krankheit losgerissen. Nachdem Marylin dann verschwunden war, kehrte die Leere wieder in seinen Blick zurück und er versank wieder in der Dunkelheit. Die Zeit verging weiter. Regungslos las der Sterbende auf seinem Bett. Wartete er auf das Ende? Dachte er gerade daran, dass er diese Welt verlassen sollte? Nein. Er wusste es besser. Es war nicht der Tod, der ihn erwartete. Lange hatte er auf diesen Moment gewartet, viel zu lange. Sicher war es für ihn eine Erlösung, doch nicht von den Qualen und Schmerzen, die er empfand. Nun konnte er sein bisheriges für immer hinter sich lassen. Dann konnte er frei sein und hätte keine Verpflichtungen mehr. Er musste nur warten bis sie kommen und ihn holen würden. Nicht mehr lange. Er schaute auf eine Uhr. Bald brach der Morgen an. Die Zeit wurde knapp. Der Sterbende hievte sich hoch. Langsam stieg er nun aus dem Bett und als er stand, bewegte er sich auf das einzige Fenster im Raum zu und öffnete es. Kühle Luft schlug ihm entgegen, die er begierig einsog. Dann bemerkte er, wie sich seine Erschöpfung langsam legte und seine Kraft, die er vor seiner Krankheit besessen hatte, zu ihm zurückkehrte. Sie mussten schon ganz in seiner Nähe sein. Der Sterbende, nunmehr wieder ein Mann, lehnte sich aus dem Fenster und beobachtete das Städtchen. Die Laternen auf den Straßen waren bereits gelöscht. Bald würden wieder die ersten Menschen erwachen. Der Mann wurde ungeduldig. Plötzlich ertönte Hufgetrappel auf den steinernen Straßen. Er sah, wie sich vier Reiter seinem Fenster näherten. Seine Aufregung stieg, als sie nun vor ihm anhielten. Die Gestalten trugen schwarze Mäntel, mit denen sie Körper und Gesicht verhüllten. Auch ihre Pferde waren schwarz wie die Dunkelheit und warfen ihre Köpfe hoch. Eine Gestalt streckte nun nach dem Mann ihre Hand aus und der Wind flüsterte ihm zu, dass er mitgehen sollte. Doch der Mann brauchte nicht zu überlegen. Er war schon aus dem Fenster heruntergeklettert und stand nun direkt vor den Gestalten. Ihre trüben Augen richteten sich auf ihn. Er wusste, wen er vor sich hatte: Sie waren es gewesen, die ihn vor mehreren Monaten angefallen und infiziert hatten. Sie hatten ihn beobachtet und auserwählt. Sie hatten ihn zu dem gemacht, was er jetzt war. Er stieg nun auf eines der Pferde mit auf. Die Reiter gaben ihren Tieren nun die Sporen und galoppierten davon. „Leb wohl, Marylin.“, war das Letzte, was er zu seiner Vergangenheit sagte. Ab jetzt sollte sie niemals mehr erwähnt werden und für immer hinter ihm bleiben. So verschwanden die schwarzen Gestalten mit wehenden Umhängen in der Dunkelheit der Nacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)