Sicarius Vita von Flordelis (Custos Vitae I) ================================================================================ Kapitel 18: Räuber und Gendarm ------------------------------ Bereits am nächsten Tag war ich bereit, alles hinzuschmeißen und mich wieder nach New Kinging zu begeben. Ich war müde, erschöpft und ich wollte nicht noch öfter draußen schlafen. Aber als die Sonne erneut unterging, merkte ich, dass wir noch eine Nacht draußen verbringen würden. Weit und breit war keine Stadt und auch kein Gasthaus zu sehen. Dawn tappste neben mir her, wie ein kleiner Hund, der seinem Besitzer überallhin folgte. Wenn sie wenigstens reden würde, dann wäre die Reise nicht so langweilig gewesen. Aber sie blieb nach wie vor stumm. Lediglich in der Nacht legte sie los wie ein Wasserfall zu reden und nicht mehr aufzuhören, bis ich eingeschlafen war. Bestimmt war Lilium froh gewesen, als Aurora ihr Reich verlassen hatte und deswegen sollte sie mich wieder begleiten. So schön ich diese Nymphe auch fand, so nervig war sie auch. Dawn dagegen war ganz anders und richtig lieb. Viel besser. Warum konnte sie nicht immer so sein? Als ob sie meine Gedanken erraten hätte, kniff Dawn mir plötzlich in den Oberschenkel. „Autsch! Tut mir Leid, ich denk das nie mehr!“ Zufrieden setzte sie ihren Weg fort. Ich dagegen nahm mir vor, mehr auf meine Gedanken zu achten, solange sie in meiner Gegenwart war. Es wurde Abend und immer noch keine Stadt in Sicht. Diese Nacht wollte ich aber keinesfalls erneut unter dem Sternenhimmel verbringen. Man stellte sich das immer romantisch und abenteuerlich vor – aber wenn man mich fragte war es kalt und man wachte viel zu früh auf, weil die Sonne aufging. Ich hasste es. Als Dawn an meinem Ärmel zupfte, sah ich zu ihr. Sie deutete auf etwas, was weiter entfernt war. Bislang waren wir an einem Wald entlanggelaufen (hineinzugehen hatte ich mich nicht getraut, aus Angst, dass wir uns verlaufen könnten), dem ich keine große Beachtung geschenkt hatte. Aber als die Kleine mich darauf hinwies, entdeckte ich etwas inmitten der Bäume. Es schien eine kleine Hütte zu sein. Vielleicht konnten wir dort ja für die Nacht unterkommen. Das heruntergekommene Gebäude schien schon lange verlassen zu sein. Keine Lebensmittel befanden sich in den Regalen, keine Kleidung in den Schränken. Aber etwas war nicht ganz stimmig – und es war ausgerechnet Aurora, die mich darauf brachte: „Dafür, dass hier keiner mehr wohnen soll, ist es aber ganz schön gepflegt. Nicht einmal Spinnweben.“ Ich zuckte zusammen, als ich sie ansah. „Auch wieder da?“ „Na klar. Schon mal nach draußen gesehen? Es ist dunkel. Langsam solltest du doch wissen, was nachts passiert. Du bist Astereas Sohn, du solltest nicht so schwer von Begriff sein. Es sei denn, die Gene deines Vaters kommen durch...“ „Ich weiß nicht mal, was Gene sein sollen“, erwiderte ich schroff. Aurora klatschte freudig in die Hände. „Diese Hütte verspricht ein Abenteuer. Wollen wir uns nicht genauer umsehen? Bitte, bitte, bitte!“ Ich schüttelte heftig den Kopf. „Nein. Ich will einfach nur schlafen.“ Schmollend sah sie mich an. „Du bist so ein Langweiler~“ Statt zu antworten legte ich mich auf die alte Matratze im Bettrahmen. „Gute Nacht.“ „Gute Nacht.“ Beleidigt legte sie sich auf das andere Bett. Trotz der ungewohnten Atmosphäre und der Frage, was hier vor sich ging, forderte die Erschöpfung schon bald ihren Tribut und ich schlief ein. Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe, aber ich erwachte, als ich Stimmen, begleitet von einem schabenden Geräusch hörte. Verschlafen setzte ich mich auf. Ich traute meinen Augen nicht, als sich plötzlich eine Bodenluke öffnete und zwei Männer emporstiegen – aber diesen schien es ähnlich zu gehen wie mir. Eine Lampe in der Hand des Großen spendete trübes Licht, beide Männer trugen abgewetzte Kleidung, Haare und Bart waren verfilzt, die Haut verdreckt. Wann hatten die beiden zuletzt Wasser gesehen? So starrten wir uns einige Sekunden lang nur an, ohne dass einer von uns etwas tat. Aurora schlief unterdessen seelenruhig weiter. „Was tut ihr hier!?“, fauchte einer der beiden Männer mich schließlich an. Angst spürte ich keine. Ich fühlte mich ruhig und in Sicherheit. Deswegen zuckte ich mit den Schultern. „Wir versuchen zu schlafen. Was macht ihr hier?“ Der Kleinere setzte zu einer Antwort an, aber der Große schlug ihm auf den Hinterkopf. „Halt bloß den Mund! Wir müssen denen nichts erzählen!“ Ich konnte nicht anders als zu schmunzeln. „Ich bin aber neugierig.“ „Halt den Mund, Idiot!“, wurde ich angefaucht. Theatralisch zuckte ich zusammen. „Oh, jetzt bin ich aber tief getroffen.“ Die beiden Männer sprangen aus der Bodenluke heraus und ließen diese krachend wieder zufallen. „Machst du dich über uns lustig?“ „Habt ihr denn das Gefühl, dass ich das tue?“ Auch als die beiden ihre Messer zogen, fühlte ich kein Gefühl der Bedrohung. Es war fast so als ob ich diese Ereignisse nur durch die Augen eines anderen beobachten würde, während ich selbst mich in Sicherheit befand. Vielleicht lag es aber nur an meiner Kavalleristen-Ausbildung, die auch Kämpfe abgedeckt hatten. Sofern diese beiden keine ehemaligen Ritter waren, hatte ich also auch ohne Waffe schon gewonnen. Der Kleinere stellte sich direkt neben mich. „Hör endlich auf mit diesem dummen Geschwätz oder ich schlitz dich auf!“ Wieder schmunzelte ich, aber ich schwieg. Der Große beugte sich über Aurora. Sein Grinsen enthüllte eine Zahnlücke. „Kommt ja selten vor, dass sich so ein hübsches Mädel hierher verirrt. Das sollten wir ausnutzen.“ „Sie könnte für uns kochen~“, schlug der Kleine vor. Sein Kumpan knurrte leise. „Das meinte ich nicht, du Idiot!“ „Kennst du auch ein anderes Schimpfwort?“, fragte ich. „Halts Maul!“ Ich rollte mit den Augen, sagte aber nichts mehr dazu. Musste ich aber auch gar nicht, denn plötzlich drehte Aurora sich im Schlaf – und schlug dem Großen dabei mit dem Handrücken ins Gesicht. Er fluchte laut, was sie anscheinend aufweckte. Verschlafen rieb sie sich die Augen. „Mhm, ist schon Morgen? Nein, anscheinend nicht. Was ist denn los?“ „Ich glaube, die wohnen hier“, antwortete ich. Der Große funkelte mich an. „Ich hab gesagt, du sollst still sein!“ „Nein, nein“, erwiderte ich bestimmt. „Du sagtest, ich soll mein Maul halten. Das ist ein Unterschied, meinst du nicht auch?“ Bevor er richtig wütend werden konnte, fuhr Aurora ihm mit ihrer Hand durch den Bart. „Mhm~ Warum wohnt ihr beiden denn so weit weg von einer Stadt?“ Grinsend wandte er sich wieder ihr zu. „Mein Kumpel und ich sind gefürchtete Räuber, weißt du?“ Ich musste mir ein Lachen verkneifen. „Dann müsst ihr sicherlich viel Geld haben.“ Auroras Augen waren groß und wirkten dadurch naiv und neugierig. „Oooh~ Dann habt ihr sicherlich viel Geld in eurem Versteck. Warum wohnt ihr dann hier?“ „Irgendwo müssen wir uns ja verstecken“, antwortete er. „Immerhin werden wir ja gesucht.“ Sie schmunzelte. „So so so. Verstehe.“ Ohne Vorwarnung holte sie aus und verpasste ihm einen so heftigen Faustschlag, dass er nach hinten taumelte, seine Lampe fiel zu Boden und zerbrach. Er fluchte lautstark, während er sich den Kiefer hielt. Das Feuer suchte unterdessen nach Nahrung. Der Kleine und ich blinzelten überrascht. Aurora sprang vom Bett auf und rammte dem Großen ihr Knie in den Magen. „Ich mag es nicht, wenn man mich weckt!“, schrie sie dabei. „Ich habe mir meinen Schlaf VERDIENT! Also lasst mich SCHLAFEN!“ Ihr plötzlicher Wutausbruch jagte mir zum ersten Mal in dieser Nacht Angst ein. Es dauerte nicht lange und der Große lag um Gnade flehend am Boden. Der Kleine starrte verdutzt auf seinen Kumpan. Aurora hob den Blick und fixierte den noch Stehenden. „He! Wenn du nicht auch so enden willst, dann bring mir ein Seil!“ Da er keine Anstalten tat, irgend etwas zu machen, stieß ich ihn an. „Mach lieber, was sie sagt, sie ist unberechenbar.“ Ich kannte sie zwar nicht so gut, um das zu beurteilen, aber das wusste er ja nicht. Gehorsam rannte er los und kam nach wenigen Sekunden mit einem Seil zurück. Aurora brachte die beiden dazu, sich Rücken an Rücken zu setzen. Kaum war das geschehen, fesselte sie die beiden. Als sie fertig war, klopfte sie sich die Hände an ihrer Kleidung ab. „Okay, Lan, lass uns gehen.“ „Und was ist mit schlafen?“, fragte ich weinerlich. „Das können wir, wenn wir tot sind!“ Ihre Stimme klang so enthusiastisch und voller Elan, dass ich mich wunderte, wo ihre schlechte Laune von gerade eben abgeblieben war. Anscheinend hatte ich recht und sie WAR unberechenbar. Damit sie mich nicht auch noch schlug, stand ich auf. „Okay, gehen wir weiter.“ „Hey, hey!“, rief der Große. „Ihr könnt uns nicht im Feuer sterben lassen!“ „Tue ich auch nicht“, erwiderte sie sanft. Sie hielt ihre Hand auf. Das Feuer schien von dem Holz wegzufliegen, direkt auf ihre Handfläche, wo es ohne jede Nahrung zu einer kleinen Flamme verkam, aber immer noch brannte. „Damit sollte dieses Problem auch erledigt sein.“ „Du bist eine Hexe!“, kreischte der Kleine. Sie wedelte mit dem Zeigefinger. „Na na na, wollen wir mal nicht beleidigend werden. Lan, gehen wir lieber, bevor die beiden sich noch verplappern.“ Ich nickte und folgte ihr eilig hinaus. Wir verließen den Wald wieder, blieben aber nochmal stehen. Das Feuer brannte immer noch in ihrer Hand. „So, dann wollen wir mal den Wachen helfen, die beiden Banditen zu finden, nicht?“ Die Flamme verließ ihre Handfläche und setzte in Windeseile den Wald in Brand. „Willst du sie verbrennen?“, fragte ich erschrocken. „Das kannst du nicht machen! Sie sind nur zwei kleine Banditen! Die kannst du nicht umbringen!“ „Will ich auch gar nicht, Dummerchen.“ Sie seufzte. „Die Intelligenz hast du sicher nicht von deiner Mutter geerbt, so wie du dich anstellst. Ich will nur den Wald um sie herum abbrennen, damit man sie leichter findet.“ Mein skeptischer Blick ging zwischen ihr und dem brennenden Wald hin und her. Das Feuer brannte um einiges stärker als ein normales und binne kürzester Zeit waren alle Bäume um die Hütte herum abgebrannt, worauf die Flammen erlöschten und wir wieder in der Dunkelheit standen. Aurora lachte. „Siehst du? Schon vorbei.“ „K-kannst du etwa das Feuer kontrollieren?“ Seufzend schüttelte sie mit dem Kopf. „Oh Junge, dein Vater kann nicht gerade eine große Leuchte gewesen sein. Was solls... Gehen wir weiter, ich will bald da sein.“ Ich nickte langsam und folgte ihr, als sie summend vorauslief. In mir wuchs die Erkenntnis, dass das Ganze noch eine anstrengende Reise werden würde. Interessiert legte Kenton den Kopf schräg. „Dann wart ihr das also wirklich. In einem Bericht teilten die zuständigen Wachen uns in der Hauptstadt mit, dass die Banditen von einer rothaarigen verrückten Hexe und einem Mann namens Lan gesprochen hatten, die für das Feuer verantwortlich gewesen wären. Natürlich hat ihnen niemand geglaubt. Die Geschichte klang zu verrückt, um wahr zu sein.“ Landis nickte schmunzelte. „Doch, doch, das waren wir. Danach haben wir übrigens immer einen großen Bogen um unbewohnt aussehende Hütten gemacht – zumindest wenn wir nicht eine entsprechend große Anzahl an Spinnen darin fanden.“ „Klingt nach einer Furie“, urteilte Oriana über Auroras Verhalten. „Na ja, sie ist sehr lebhaft...“, sagte Landis schulterzuckend. „Das habe ich gehört!“, erklang es aus der gegenüberliegenden Zelle. Frediano rollte mit den Augen. „Oh bitte! Wenn sie wirklich das Feuer kontrollieren kann, warum holt sie sich mit diesem dann nicht hier heraus?“ Landis schmunzelte. „Alles hier hat seinen Grund. Auch, dass ihr mich festgenommen habt.“ „Natürlich hat das einen Grund“, stieg Frediano ein. „Du warst einfach nicht schlau genug, da hat Aurora recht. Aber in einem irrt sie sich: Die Dummheit hast du von beiden Elternteilen.“ Richard, der bislang gar nicht darauf reagiert hatte, sah den Kommandanten genervt an. Oriana verpasste Frediano eine Ohrfeige – und hielt überrascht inne, kaum dass sie vorbei war. Er sagte dazu nichts und wandte sich wieder Landis zu. „Erzähl uns, wie ist es weitergegangen?“ „Aber gern.“ Nachdenklich sah er nach oben. „Zwei Tage danach erreichten wir den Hafen, der uns nach Port Milfort bringen sollte.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)