Sicarius Vita von Flordelis (Custos Vitae I) ================================================================================ Epilog: Träume leben ewig ------------------------- Vorsichtig schlich das Mädchen sich an den Kirschbaum heran. Ihr Ziel saß direkt davor und schien wie so üblich vor sich hinzudösen. Eine silberne Kette mit einem verschlungenen Anhänger hing um seinem Hals und wartete nur darauf, gestohlen zu werden. Das wird zu einfach. Direkt vor dem Baum hielt sie wieder inne und holte tief Luft. „LANDIS!“ Der Schrei hallte bis zu den nahestehenden Häusern, war den Bewohnern inzwischen aber derartig bekannt, dass keiner von ihnen auch nur den Blick hob. Der Junge unter dem Baum dagegen schreckte aus dem Schlaf hoch. „Wer? Wie? Was?“ Seine braunen Augen fixierten das Mädchen, das sich inzwischen lachend auf dem Boden rollte. Sie schnappte nach Luft, während sie Worte hervorstieß: „Oh Mann... dein Gesicht...!“ Schmollend verstaute er seinen Anhänger wieder unter seiner Kleidung. „Das war nicht lustig, Rina.“ Schlagartig hörte sie auf zu lachen und setzte sich wieder hin. „Fand ich schon. Weil du jedes Mal so reagierst.“ Ihr leises Kichern stimmte ihn wieder gnädig. Er konnte ihr einfach nicht böse sein, egal wie sehr er es versuchte. Plötzlich tippte sie auf seine Nase. „Außerdem sollst du nicht dauernd tagsüber schlafen. Du solltest lernen und trainieren, damit du einmal ganz stark und schlau wirst.“ „Und dann kann ich dich heiraten?“, fragte er aufgeregt. Sie nickte lächelnd. „Sobald du stärker bist als ich, damit du mich beschützen kannst, werden wir heiraten.“ Seine Augen begannen zu leuchten. „Dann werde ich ganz stark werden! Und dann werde ich dich heiraten!“ Die Umarmung der beiden wurden von zwei lächelnden schwarzhaarigen Frauen aus einiger Entfernung beobachtet. Renea kicherte. „Sind sie nicht niedlich?“ Oriana lächelte matt. „Das ist wahr.“ „Aber dass du ihn wirklich Landis genannt hast...“ Renea beendete den Satz nicht, aber das Thema war in den letzten Jahren ohnehin immer wieder zwischen ihnen besprochen worden. Der kleine Junge war der Sohn von Landis, der inzwischen als Held in Király galt. Für Oriana war es selbstverständlich gewesen, ihm den Namen seines verstorbenen Vaters zu geben. Nicht unbedingt, weil er ebenfalls ein Held werden sollte, aber er sollte den Namen mit Stolz und hoch erhobenem Kopf tragen und für die Nachwelt aufbewahren. Außerdem war das neben dem Anhänger um den Hals das einzige Andenken an seinen Vater, das er besaß. Fast sechs Jahre waren seit der schicksalhaften Nacht vergangen. Frediano war von Königin Juno zum Tode verurteilt, Sir Dorugon dafür von allen Anschuldigungen freigesprochen worden. Der Posten des Kommandanten war an Nolan übergeben worden, der zwei Jahre darauf Nadia, die immer noch als Kellnerin arbeitete, geheiratet hatte. Beide waren im Jahr nach den Ereignissen um Sicarius Vita auf der Suche nach einem Etwas, über das keiner von beiden sprechen wollte, losgezogen und zur Überraschung aller als Paar zurückgekommen. Aidan dagegen war inzwischen Page von Prinz Svarog geworden, ein Posten, der ihm außerordentlich gut gefiel und dessen er nie müde wurde. Kenton war immer noch Berater der Königsfamilie und verheiratet mit der menschlich gewordenen Aurora. Das gemeinsame Kind der beiden war nur wenige Monate jünger als der kleine Landis. Kureha war zur ersten Nekromantin von Király erklärt worden und setzte sich verstärkt für die Rechte solcher Leute wie sie ein, auf dass Menschen keine Angst mehr vor ihresgleichen haben würden. Oriana und Milly waren nach Cherrygrove zurückgezogen, wo das Mädchen eine Ausbildung zur Kavalleristin angefangen hatte. Auch für Prinzessin Selene war inzwischen ein Heiratskandidat gefunden worden und es handelte sich nur noch um Tage, bis sie ins Ausland abreisen und ihre Familie verlassen würde. Königin Juno hatte Sicarius Vita aufgrund all seiner Fürsprecher und Fredianos Geständnis von allen Verdächtigungen freigesprochen und damit den Namen jedes einzelnen Mitglieds wieder reingewaschen. Gerüchte besagten, dass sie ihrem Sohn bald den Thron überlassen würde. Die Puppenspielerin Yarah war noch in derselben Nacht spurlos verschwunden, aber Händler berichteten, dass sie erfolgreich Vorstellungen im Ausland gab. Oriana hob ihre Tasse, um von ihrem Tee zu trinken. Kurz nach Landis' Tod hatte sie sich so leer und einsam gefühlt, trotz ihrer kleinen Tochter. Doch seit der Geburt des kleinen Landis war ihr Lächeln zurückgekehrt und sie war der sicheren Überzeugung, dass es nicht wieder einfach so verschwinden würde. Besonders wenn sie sah, wie Rina und Landis miteinander spielten oder bereits Heiratspläne schmiedeten, ging ihr Herz auf. Und so verbrachte sie viele Stunden gemeinsam mit Renea, der sie nun näher stand als früher, um die beiden Kinder zu beobachten. Jedesmal fielen ihr dabei wieder die letzten Worte des Mannes ein, den sie geliebt hatte. „Auch wenn du mich nicht sehen kannst... ich werde immer bei dir sein... Ria...“ Wieder einmal lächelte Oriana, als sie mit den Augen der Flugbahn einer Kirschblüte folgte. Ja, du bist immer bei mir. Und jetzt weiß sogar ich, dass Träume ewig leben können. Vielen Dank – für alles. *********************************** A/N: Das war auch schon das Ende. Ich danke allen Kommentarschreibern und auch jenen, die diese Geschichte ohne jegliche Rückmeldung verfolgten. Ein etwas längeres Nachwort könnt ihr unter einem der beiden Links finden (ist beide Male derselbe Text, nur hat nicht jeder Zugriff auf meinen Animexx-Blog): http://animexx.onlinewelten.com/weblog/71322/364639/ http://alonad.livejournal.com/2955.html Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)