God's Dark Sabbath von LinkyBaby (Gott schickt mir einen Engel) ================================================================================ Kapitel 1: Ben -------------- Gott schickt mir einen seiner Engel. Das war mein erster Gedanke, als ich am ersten Sonntag des Monats Mai in der kleinen Dorfkapelle auf einer der harten Kirchenbänke die Konfirmation meiner Nichte Clarissa mitverfolgte. Zumindest wollte ich den braven Onkel mimen und so tun, als freue ich mich für ihre kindliche Selbstbestimmung sowie ihre Eltern den Weg Gottes zu gehen. Als Patenonkel war ich es ihr sowieso schuldig zu kommen und meine ältere Schwester hatte mich aus Dankbarkeit mit tausenden Küssen belohnt. Wer konnte da schon Nein sagen? Zum Teufel, ich hatte nichts mit der Kirche und ihrer Religion am Hut und war dankbar dafür, dass man mich mit diesem Quatsch nach meiner Jugend verschonte. Nur für Clarissa saß ich jetzt hier und die familiäre Atmosphäre meines Heimatdorfes umhüllte mich mit all ihrer gegenwärtigen Pracht. Besagte Pracht war mir nämlich, kaum, dass der Gottesdienst begonnen hatte, in Gestalt eines jungen Priesters erschienen, der sich mit einem bezaubernden Lächeln an seine Schafe wandte. Meine Augen klebten an seinen vollen, geschwungenen Lippen, die sich zu einen verführerischem Wortspiel hinreißen ließen. Seine klare Stimme mag nicht ganz so tief zu klingen wie die meine, doch war sie fest, selbstsicher und ermutigend. Warme, dunkelbraune Augen, umrahmt von langen, vollen Wimpern, die den süßen Eindruck erweckten, als hätte sich der Pfarrer einen Lidstrich aufgemalt und feine, geschwungene Augenbrauen wurden von einem Dreiecksförmigen Gesicht umrahmt. Braun wie Zedernholz wippten die zarten Ponysträhnen in sein Gesicht und ich ertappte ihn mehrere Mal dabei, wie er den Kopf zur Seite fliegen ließ um die Haare aus dem Gesicht zu verbannen ohne die Hände zu benutzen, die eine Bibel hielten. Das restliche Haar, zu einem lockeren Seitenscheitel frisiert, ruhte weich in seinem Nacken. Mit Bedauern versuchte ich bei jeder noch so kleinsten Bewegung seinerseits etwas von seiner Körperstatur zu erhaschen, die sich gut unter der Priesterrobe zu verstecken wusste, doch er musste ein ziemlich dünnes Kerlchen sein, betrachtete man die Breite seiner Schultern. Trotz allem war sein ganzes Dasein Balsam für die Seele, der mir einen inneren Frieden schenkte, von dem ich nicht geglaubt hatte ihn jemals in der Kirche zu finden. Verträumt saß ich keine fünfzehn Schritte von ihm entfernt und ob es nun Einbildung war oder nicht. Ich konnte ihn riechen. Einen Moment gönnte ich mir die Augen zu schließen und so energisch Luft zu holen, dass sich mein Brustkorb wie ein Ballon aufblähte. Der süße Duft von Verlangen lag in der Luft und zauberte mir ein zugegeben ziemlich dreckiges Grinsen auf das Gesicht. Als ich die Augen wieder aufschlug, nahm ich gerade noch wahr, wie die leibhaftige Sünde dort vorn am Altar die Heilige Schrift schloss, sich umwandte, die Bibel auf die Marmorplatte legte und dann sachte den Kopf hängen ließ. Er sollte dringend etwas an seiner Haltung ändern. Während er leise seine Gebete schickte, spannte sein Gewand ziemlich am Rücken, was dadurch ausgelöst wurde, dass er ziemlich die Schultern hochzuziehen schien. Was zutage kam, war ein wundervoller Prachthintern, der von dem schwarzen Gewand zärtlich umschmeichelt wurde. Völlig hingerissen starrte ich diese Rückansicht meiner Glückseligkeit an und konnte es mir leider nicht erlauben die Bilder zu vertreiben, die sich mir unaufhörlich durch den Schädel fraßen, nur um die Signale an meine Lenden weiterzuschicken. Verheerend war die Vorstellung, wie er plötzlich gegen den Altar gestoßen wurde, an dem er sich notgedrungen abzustützen suchte und einen unruhigen Blick hinter sich warf. Noch viel verheerender war es aber, wenn er seinen Kopf in die Höhe riss und kehlig stöhnte, während ich in ihn… „Ben!“, zischte eine Stimme oberhalb meines Kopfes und ich warf meiner Schwester verwunderte Blicke zu. Düster starrte sie mich an. Was hatte ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Und weshalb stand sie? ..und weshalb stand mein Schwager an ihrer anderen Seite auch…? Unruhig folgte mein Blick der kompletten Bankreihe, in der alle standen. Mein Kopf ruckte hinter uns – wo ebenfalls alle standen und artig die Hände vor sich gefaltet hatten. Im selben Moment wie ich mich endlich erhob, so wie alle die es in dieser verdammten Kirche getan hatten – bis auf Tante Mary, die hatte ein schlimmes Bein und durfte im sitzen beten – spürte ich nur noch wie mir das Blut in den Kopf schoss. So schnell und umbarmherzig, dass es mir noch minutenlang in den Ohren rauschte. Vermaledeite Scham! Ich konnte seine entzückende Stimme überhaupt nicht hören. Aber zumindest konnte ich ihn sehen. Diesen anbetungswürdigen Hintern und… Verflucht! Der Ellenbogen, der sich urplötzlich in meine rechte Seite rammte, raubte mir einen Moment den Atem und Tränen stiegen mir in die Augen. Ehe ich Susan mit verachtenden Blicken strafen konnte, beugte sie sich zu mir hinüber und flüsterte: „Wenn du es noch länger wagen solltest Pfarrer Gladson mit deinen vor Geilheit triefenden Augen anzustarren, reiß ich dir hier vor Gott und aller Welt deinen verdammten, süßen Arsch auf.“ „Fluchen ist eine Sünde, vor allem in einem Gotteshaus“, zischte ich mühevoll zurück und ich konnte schon fast vorausahnen wie sie ihren linken Fuß hob um mir ihren spitzen Absatz schmecken zu lassen. Doch zu meinem Glück wandte sich Pfarrer Gladson – welch süßer, unbedarfter Name für diese Schönheit – nun wieder um und lächelte auf uns herab. Beinahe eifersüchtig beobachtete ich wie er so gut wie jeden Einzelnen von uns ehrlich in die Augen sah. Trost spendend, freudestrahlend, mitfühlend… Wenn wir hier schon ein Wunschkonzert haben, könnte ich einen Blick bekommen, wonach ich dich anschließend mit Haut und Haaren fressen will? Oh danke, reicht schon… Heiliger Strohsack! Dieser Blick war wirklich nicht ohne. Und auch wenn er nicht lang angedauert hatte, ich würde noch Tage davon zehren können. Okay, es war kein Flirten, aber er hat mich gemustert. Vielleicht hat er in mir ja auch den Sünder erkannt, der ich nun mal bin. Scheue dich nicht vor den gierigen Klauen des Teufels, mein Engel. Ich werde dir deine zarten Flügel schon nicht kaputt machen, wenn du unter mir nach mehr schreist… „Ich mein’s ernst, Ben. Ich bring dich um, wenn du nicht sofort aufhörst!“ Dieses Mal erwiderte ich nichts, zog lediglich einen Schmollmund und ließ mich dazu herab, etwas von dem Segen aufzufangen, den der Engel den Konfirmanden sandte. Was würde ich darum geben jetzt ebenfalls dort vor ihm zu knien…oh, bestraf mich für alle meine… Entsetzt schnappte ich nach Luft und rang mich gerade noch dazu ab, nicht laut aufzubrüllen, als sich wider erwarten tatsächlich ein Absatz auf meinen ordentlich polierten Lederschuh platzierte und es sich scheinbar vorgenommen hatte bis auf die Dielen des Hauses zu gelangen. Aus den Augenwinkeln konnte ich gerade so erkennen, dass Susan den Blick verbissen nach vorn richtete, um sich nicht ansehen zu lassen, wie sehr sie sich ärgerte. Mal wieder über mich. Mal wieder über ihren missratenen, notgeilen, Männerfressenden, kleinen Bruder. Ich konnte gar nicht beschreiben wie egal mir das war. Ich mochte Susan immer sehr gern, eigentlich hat sie mich selbst als Kind immer beschützt, auch kam sie mit meiner Homosexualität immer klar, doch sie konnte es nicht ertragen, dass ich wie ein wildes Tier hinter jedem süßen Hintern her war, der mir vor die Schnauze kam, dabei war es völlig egal, ob es nun der Hintern einer Frau oder eines Mannes wäre. Sie übertreibt natürlich maßlos mit einer solchen Aussage. Sie hatte leicht reden. Sie hat den erstbesten Mann geheiratet, in den sie sich damals in der Highschool verliebt hatte. Sie hatte schon immer den Riecher für die beste Gelegenheit, hatte so etwas wie einen sechsten Sinn für so etwas. Oder hatten das alle Frauen? Noch während ich mir den Kopf darüber zerbrach, wie es meiner Schwester immer wieder gelang meine Gedanken zu lesen, entließ Gladson seine jungen Schafe in die grausame Welt der Erwachsenen. Die Kirche leerte sich schnell und ich war einer der ersten, den es nach draußen verschlug. Stöhnend sog ich an meiner Zigarette, schloss die Augen und lehnte mich an die Außenfassade des Gebäudes, während um mich herum Verwandte und Bekannte herumlungerten, um sich zu begrüßen und den Konfirmanden ihre Geschenke zu überreichen. Familienbilder wurden wie wild geschossen, als ob es kein Morgen gäbe. Auf der großen Rasenfläche, die zum Grundstück der Kirche gehörte, war Clarissa von ihren Cousinen umringt, die tuschelten und giggelten. Clarissa stieß ein fröhliches, unbeschwertes Lachen aus und ihre langen dunkelblonden Haare wippten schwungvoll hin und her. Sie ließ sich von ihrem Vater umarmen und auf die Stirn küssen und schmiegte sich glücklich an ihn. Ein herzzerreißendes Bild. Ich stand ruhig da und beobachtete sie. Vielleicht war sie wirklich ein Kind Gottes und hatte die richtige Entscheidung getroffen. Wenn es so war, dann wünschte ich Clarissa alles Glück dieser Welt, dass ihr Gott sie niemals im Stich ließe. Wenn es jemand verdiente von ihm da oben erhört zu werden, dann sie. „Entschuldigen Sie vielmals“, murmelte plötzlich eine weiche Stimme an meiner Seite und ich wandte ihr verwundert den Kopf zu. Der Engel! Der Pastor stand vor mir und lächelte mich freundlich an. Er war doch größer, als ich zuerst vermutet hatte, er konnte kaum 10 Zentimeter kleiner sein als ich. Scheinbar etwas unentschlossen, strich er sich eine Haarsträhne hinter seine Ohren. Er wirkte wie ein verschämtes Schulmädchen. „Sie sind… Sie sind Clarissas Onkel, oder?“ Verblüfft stand ich da und starrte ihn ziemlich sprachlos an. Göttliche Eingebung? Woher wusste der Engel das? Er streckte mir die Hand zur Begrüßung hin. „Mein Name ist Andrew Gladson.“ „Benjamin Rigman.“ Seine Hand war warm. „Clarissa hat mir im Konfirmandenunterricht von Ihnen erzählt.“ „Ach. Ehrlich?“, fragte ich erstaunt, nachdem ich seine Hand endlich losgelassen hatte und zwang mich zu einem Lächeln, obwohl mir eher danach war, der kleinen Kröte von Nichte den Hals umzudrehen. „Oh ja. Sie sind eine wichtige Person in ihrem Leben und sie hat gern von Ihnen erzählt. Als ich Sie während des Gottesdienstes gesehen habe, war mir klar, dass ihre Beschreibung eigentlich nur auf Sie zutrifft.“ Noch immer schenkte er mir ein nahezu zerfließendes, anbetungswürdiges Lächeln. Ich wich seinem Blick aus, nahm Zeit schindend einen weiteren Zug von meiner Zigarette und verweilte eine Weile in der schnatternden Menschenmenge. Ich fragte mich ernsthaft warum er mir das erzählte. „Wissen Sie…“, fuhr er etwas unsicher fort, „Zu Anfang war ich mir nicht sicher, ob Clarissa sich für den richtigen Weg entschieden hatte. Sie war… sagen wir, sie war manchmal etwas ungehalten…“ „Waren Sie nie in der Pubertät, Mr. Gladson?“ Der Engel lachte leise auf und senkte nun selbst einen Moment den Blick. „Wahrscheinlich haben Sie Recht. Man muss die Entwicklung eines Menschen wohl wirklich einplanen, aber… trotz allem beschäftigte mich die Sache“, er hob den Blick wieder, sah mir zielstrebig in die Augen, „Darf ich Sie fragen, ob Sie an Gott glauben, Mr Rigman?“ „Nein“, sagte ich ehrlich heraus, „Jedenfalls nicht so, wie es meine Eltern oder meine Schwester oder Clarissa es tun.“ Der Pastor lehnte sich direkt neben mir an die Wand. „So eine Antwort habe ich erwartet, nachdem Clarissa von ihnen erzählt hatte.“ „Was hat sie Ihnen denn über mich erzählt?“, wollte ich neugierig wissen, ließ den Zigarettenstummel zu Boden fallen und trat ihn aus. „Dass Sie eine starke Persönlichkeit haben. Und ein großes Herz.“ Das Kichern konnte ich mir nicht verkneifen. „Finden Sie das so lustig?“ „Ja, allerdings“, erwiderte ich immer noch mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht, „Kinder neigen dazu in Menschen, die Ihnen näher stehen, Helden zu sehen, wo überhaupt keine sind. In Wirklichkeit bin ich ein Feigling und dermaßen introvertiert, dass ich dazu neige aggressiv zu werden, wenn man mir zu nahe kommt.“ „Das glaube ich Ihnen nicht.“ „Und warum nicht? Weil Sie als Gottesmann in meine Seele blicken können?“, fragte ich spitz. „Nein, Mr. Rigman, weil ich Augen im Kopf habe. Und weil ich sehen kann, was Sie wollen.“ Überrascht, aber nicht wirklich überzeugt hob ich die Brauen an und wandte mich ihm zu. „Aha. Und was genau will ich Ihrer Meinung nach?“ In diesem Moment bekam ich sein wahres Gemüt zum allerersten Mal zu Gesicht. Augen so heiß wie das Feuer der Hölle mit denen er mich von unten herauf fixierte, sodass ich einen Moment tatsächlich vergaß zu atmen. Eine Antwort lieb er mir schuldig. „Vater Gladson!“, die Konfirmanden winkten uns strahlend zu, „Kommen Sie mit auf das Foto!“ „Ich komme!“, rief Gladson lächelnd und warf dann noch einen letzten Blick über seine Schulter um mich anzusehen. „Es hat mich sehr gefreut endlich Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Rigman. Vielleicht trifft man sich ja mal wieder.“ Mit ruhigen Schritten ging er auf seine Sprösslinge zu und ich konnte selbst aus der Entfernung sein falsches Lächeln sehen. So war das also. Ein Teufel im Engelsgewand. Kapitel 2: Ben -------------- Die späteren Tage des Monats Mai waren regnerisch und dunkel. Die Gewitterwolken hingen bedrohlich schwer über unserer Stadt und dicke Tropfen trommelten gegen das große Fenster in meinem Büro, an dem ich stand und in Ruhe eine Zigarette rauchte. Um mich herum gab es kein weiteres Geräusch. Es war bereits 17 Uhr 38 und unsere Angestellten hatten sich schon in den Feierabend begeben. Ich mochte die Stille im leeren Gebäude. Unsere Bekleidungsfirma, in der ich der stellvertretende Leiter war, war nicht sonderlich groß, besaß nur noch einen Nebenposten in der Nachbarstadt. Die Arbeit gefiel mir, weil sie mich zwar forderte, aber nicht überanstrengte. Mein Chef war Mary Alice Harlander, eine knallharte Geschäftsfrau in ihren frühen Fünfzigern, die jeden Mann in die Knie zwang, egal ob im Job oder im Privatleben. Sie hat gerade ihre vierte Ehe hinter sich. Gatte 2 und 3 hatte sie überlebt, Gatte 1 hatte sich ins Ausland abgesetzt und Gatte 4 hatte eine Klage wegen versuchtem Todschlags am Hals. Ich weiß nicht was Mary angestellt hatte um den armen Teufel soweit zu treiben. Sie selbst nahm das Ganze mit unübertroffenem Humor. Der kleine Funksprecher auf meinem Schreibtisch piepte und ich schlenderte an den Schreibtisch heran um den blinkenden Knopf zu betätigen. „Ja, Mary?“, meldete ich mich und setzte mich an meinen Schreibtisch. „Ich mach mich auf den Weg, Schätzchen“, knackste es aus dem Lautsprecher, „Ich habe noch ein Treffen mit diesem verschrobenen John McLair. Wie sieht es mit deinem Feierabend aus?“ „Ich mache gleich Schluss. Ich warte noch auf ein Fax von Camelchords Corp. Dann bin ich auch weg.“ „Gut. Dann sehen wir uns morgen. Die Konferenz war um zehn?“ Ich grinste. „Nein, um neun. Ich hole dich besser ab.“ „Wenn ich dich nicht hätte, Darling. Hab einen schönen Abend.“ „Du auch, Mary. Bis morgen.“ So war es immer. Knallharte Geschäftsbedingungen, aber ihre Termine hatte sie nie richtig im Kopf. Ich war mehr ihr Privatsekretär als alles andere, aber ich konnte mir keinen besseren Boss vorstellen. Es klopfte an meine Tür und nach meiner genuschelten Erlaubnis zum Eintreten, öffnete mein Kollege Stuart Cramer und steckte seinen blonden Schopf hindurch. Er grinste. „Wusste ich doch, dass du noch hier bist“, kommentierte er und trat schließlich ganz ein, „Sagtest du nicht vorhin noch, du seiest fertig?“ Gelassen breitete ich die Arme zu beiden Seiten aus und lehnte mich genüsslich auf meinem Stuhl zurück. „Sieht das nach Arbeiten aus?“, stellte ich die Gegenfrage. „Nein. Es sieht eher danach aus, als würdest du einen Grund suchen nicht nach Hause zu müssen.“ „Warum bist du kein Hellseher geworden?“ Stuart zog eine Augenbraue hoch. „Hey, ich kann nichts dafür, dass die Handwerker nicht fähig sind deine Heizung wieder in Gang zubekommen.“ „Hast ja recht“, seufzte ich und drückte den Zigarettenstummel in meinem Aschenbecher aus, „Also, was hast du heute vor?“ In diesem Moment piepte mein Faxgerät und das Blatt Papier landete geradewegs in der dafür bereitgestellten Ablage. Ich nahm es zur Hand und warf einen prüfenden Blick darauf. Alles war wie es sein sollte. Stuart zuckte die Schultern, „Wie wäre es mit einem Bier im Foxxys?“ Angewidert verzog ich das Gesicht, während ich einen Aktenordner zur Hand nahm und das Fax einheftete. Dann stellte ich den Ordner in sein Fach zurück. „Stu, du weißt genau, dass ich diesen verklemmten Heteschuppen nicht leiden kann. Ich habe nicht wirklich Bock, wieder aus diese Idioten zu treffen, die meinen, nur weil ich schwul bin, könnte ich nichts einstecken. Zur Abwechslung wäre es auch mal ganz toll ein Bier ohne aufgeschürfte Fingerknöchel zu genießen.“ „Das war vor zwei Monaten“, erinnerte Stuart mich. „Ja, weil ich seitdem nicht mehr hingegangen bin“, unterbrach ich ihn. „Aber Piet und Damien sind doch bestimmt auch da.“ „Ruf sie an und sag ihnen, sie sollen ins Zodiacs kommen.“ Vorwurfsvoll blickte Stuart mich an. Ich wusste sofort was er sagen wollte. Seit ich ihn vor einer ganzen Weile dazu überreden konnte das Zodiacs einfach mal aufzusuchen, wollte er in keine Schwulenbar mehr. Es war nicht so, dass der Laden dafür bekannt war, besonders tuntig zu sein, vielmehr war er bekannt für seine ziemlich spontanen Mottoparties. Am besagten Abend ist Stuart nach einer halben Stunde geflohen, weil ein paar Dragqueens der mittleren Alterstufe im betrunkenen Kopf ihn dazu überreden wollten für sie zu strippen und ihn dabei nicht gerade zimperlich zu drängten. Es sollte ein Witz sein, nichts weiter. Er hatte es mir nie verziehen, dass ich ihm nicht zur Hilfe gekommen war. Und seither war Stuart nicht bereit mich wieder einen Laden aussuchen zu lassen. „Dann schlag etwas Besseres vor“, lenkte ich schließlich ein. „Wir gehen in die Lounge des Imperiums“, meinte er nach kurzer Überlegung. Ich ließ es mir auf der Zunge zergehen. Das Imperium war unser großes Stadthotel, berühmt für sein gutes Restaurant und seine einmalige Bar. Der Preis zwar auch nicht zu verachten, dafür war der Service aber auch hervorragend und solange man nicht täglich im Imperium speiste, durfte man sich zwischenzeitlich ja auch mal etwas gönnen. „Ja, gute Idee“, stimmte ich dann endlich zu, packte meine Sachen zusammen und verließ gemeinsam mit Stuart das Bürogebäude durch die Tiefgarage. Die Lounge im Imperium war immer gut besucht, aber niemals überfüllt. Stuart und ich ergatterten eine gemütliche Ecke in der Nähe des pompösen Quallenaquariums. Der einzige blaue Farbgeber zu der beige-braunen Garnitur. Ein Saxophonist und ein Pianist am schwarzen Flügel im hinteren Teil des Raumes gaben gerade „Misty“ zum Besten. Jazzmusik war eigentlich nicht so mein Geschmack, doch verlieh es dem Ort seine ganz eigene Atmosphäre, die ich nicht hätten missen wollen. Eine junge Kellnerin nahm unsere Bestellungen entgegen, dann lehnten Stuart und ich uns erst einmal zurück und lauschten der sanften Musik. Stuart hatte die Angewohnheit beim Musikhören immer mit dem Zeigefinger auf der nächstbesten Oberfläche zu trommeln. In diesem Fall seiner Sessellehne. Er war äußerst unmusikalisch, besaß keinerlei Taktgefühl und trommelte meistens viel zu schnell. Tanzen konnte er auch nicht, aber darin lag unser gemeinsames Interesse so wieso nicht. Stuart und ich waren schon lange Freunde und er respektierte meine Sexualität vom ersten Augenblick an. Glücklicherweise war er nicht mein Typ, das hätte die ganze Angelegenheit wohl nur erschwert. Außerdem war er viel zu bodenständig für mich. Sein Traum war es schnell wie möglich die richtige Frau fürs Leben zu finden, zu heiraten, zwei, drei Bälger in die Welt zu setzen und ein großes Haus zu bauen, in dem er und seine Geliebte bis ans Ende ihrer Tage ihren Enkeln oder Urenkeln bei Spielen zusehen konnten. Es mag daran liegen, dass ich schwul war, obwohl es ja auch solche Männer gab, die Kinder adoptierten, um eine Familie zu gründen. Für mich war das allerdings nichts. Ich hatte Susan, die den Enkelwunsch unserer Eltern erfüllte. So war es mir gegönnt frei wie ein Vogel zu leben und zu lieben wie ich wollte. Eine größere Beziehung habe ich nach meiner Highschoolzeit geführt. Es lief drei Jahre gut, dann haben wir uns im gegenseitigen Einverständnis getrennt. Daniel war so ein Fall Schwuler, der gerne Kinder hätte. Da unsere Vorstellungen für ein Leben zu weit auseinander gingen, entschieden wir, dass es besser wäre, wenn jeder seinen eigenen Traum lebte. Heute hat er zwei Mädchen, soviel ich weiß. Und einen Koloss von einem Partner, der in der Baubranche tätig ist. Hin und wieder trifft man sich, glücklicherweise ohne im Bett zu landen, obwohl ich zugeben muss, dass ich schon den einen oder anderen Stich spürte, wenn ich sah, wie glücklich er mit George war. Für mich hatte die Liebe alle Register geöffnet, aber nichts festes mehr hinterlassen. Ich würde wohl der ewige Junggeselle bleiben. Lächelnd stützte ich bei diesen Gedanken meinen Kopf auf meine Handfläche und beobachtete zwei Männer an einem anderen Tisch, die wohl ebenfalls ihr Feierabendbier genossen. „Sag mal…wie geht es eigentlich Patrick?“, riss mich Stuart plötzlich aus der Träumerei und schmunzelte mich an. Ich zuckte die Schultern. „Zuletzt beim Dealen unter der Gallertbrücke gesehen. Müsste ein paar Wochen her sein…wieso fragst du?“ Stuart schüttelte verständnislos den Kopf. „Du suchst dir in letzter Zeit schwierige Jungs aus, oder?“ Unsere Biere kamen und wir prosteten uns zu. „Den Drogenjunkie hat er ganz plötzlichen heraushängen lassen. Das konnte nun wirklich keiner ahnen“, erwiderte ich und ließ mir den ersten, kühlen Schluck schmecken. „Das stimmt…allerdings war es doch davor dieser suizidgefährdete Lehrer, oder nicht?“ „Das war ein One-Night-Stand“, berichtigte ich unbeeindruckt, „Es war definitiv nicht meine Schuld, dass er zwei Tage später vor einen Zug gesprungen ist. Zumal er irgendwie überlebt hat…auch wenn er nun im Rollstuhl sitzt. „Sagen wir doch einfach, du hast einen Hang zum Drama“, versuchte Stuart das leicht abgerutschte Thema zu retten. „Mag sein“, murmelte ich, betrachtete das Bierglas in meiner Hand und musste dann an Clarissas Konfirmation denken. „Hast du schon mal einen schwulen Pastor kennen gelernt?“, fragte ich schließlich. Stuart hielt in der Bewegung inne und starrte mich an. Sein Blick sprach Bände. „Keine Angst, ich hatte keinen, falls du das denkst.“ Augenmerklich sackten seine Schultern entspannt nach unten. In Momenten wie diesen fragte ich mich, ob Stuart mich auch für einen sexbesessenen Homo hielt, wie meine Schwester es tat. Sicher gibt es dieses Klischeedenken über Schwule. Dass sie alle drei Sekunden an Sex dachten oder so, aber Gerüchte waren in den meisten Fällen eben nur Gerüchte und ich konnte mir nicht vorstellen, dass heterosexuelle Männer nicht auch sofort an Sex dachten, wenn sie eine schöne Frau sahen. Welchen Interessen wir auch frönten, Mann blieb eben Mann. „Ich weiß nicht, ob der Kerl schwul ist, jedenfalls wirkte er nicht so unschuldig wie es seiner göttlichen Berufung vorschreibt“, erzählte ich weiter. „Wo hast du ihn denn kennen gelernt?“, wollte Stuart wissen. „Bei Clarissas Konfirmation. Haben aber nicht viel mit einander gesprochen. Meine liebe Nichte hat scheinbar im Konfirmandenunterricht über mich erzählt.“ Stuart lachte. „Erstaunlich, dass Clarissa noch konfirmiert wurde, obwohl sie ein schwarzes Schaf in der Familie vorzuweisen hat!“, piesackte er mich und ich grinste. Ich wusste, dass er solche Bemerkungen nicht böse meinte. Und schließlich hatte er irgendwie recht. Auch wenn die Protestanten nicht so verklemmt wie die Katholiken waren, warf es nicht gerade das beste Licht auf jemanden, der Homosexuell war. Ich konnte mir allerdings auch nicht vorstellen, dass Clarissa im Unterricht darüber gesprochen hatte, dass ich schwul war. Stuart hatte sich etwas vorgebeugt. „Und?“ Ich blinzelte ihn verständnislos an. „Was und?“ Er verdrehte kurz die Augen. „Willst du ihn wieder sehen?“ Nun war ich es der auflachte. „Mach mal halb lang. Vergiss nicht, dass er ein Gottesmann ist. Selbst wenn es zwischen uns funken sollte, kann ich mir nicht vorstellen, dass er seinen Beruf für einen Flirt an den Nagel hängt. Außerdem kenn ich ihn überhaupt nicht. Okay, er sieht wirklich verdammt gut aus“, gestand ich immer noch grinsend, „Aber es gibt viele hübsche Männer auf der Welt. Er ist nur einer unter vielen. Und jetzt sieh mich nicht so an, Stu, ich weiß, dass du an die große Liebe glaubst.“ „Ich wollte gar nichts sagen“, beteuerte er scheinheilig und nippte wieder an seinem Bier. Ich hätte ahnen können, dass mir Andrew Gladson nicht so ohne weiteres aus dem Kopf gehen würde. Seid der Konfirmation waren nun fast drei Wochen vergangen und es kam immer wieder vor, dass sein feingeschliffenes Gesicht mit erotischdüsteren Augen in meinen Träumen erschien. Ich war nach einem letzten kleinen Snack in meiner Wohnung vor dem Fernseher eingeschlafen. Stuart und ich sind nach einigen Bieren auf Cocktails umgestiegen, die mich zwar nicht umgehauen, aber schläfrig gemacht hatten. Während der junge Pastor nackt auf allen Vieren auf mich zu gekrochen kam, sich auf meinen Schoß setzte und einen wilden Kampf mit meiner Zunge entfachte, schreckte ich plötzlich ruckartig aus dem Schlaf. Das Erotikprogramm auf der Mattscheibe präsentierte mir ein paar pralle Brüste einer dunkelhäutigen, scheinbar sehr spielwilligen Señorita. Ich stöhnte enttäuscht darüber, dass dieses Weibsbild sofort mein Traumbild zerstören konnte, schaltete den Fernseher aus und schlich dann zu meinem Schlafzimmer hinüber um gleich genüsslich in das leichte Bettlaken zu kriechen. Mit etwas Glück war mir ja doch noch ein weiterer Traum von dem Engel gegönnt. Mit einem schmutzigen Schmunzeln auf den Lippen, schloss ich die Augen und wartete auf den seligen Schlaf. Kapitel 3: Andrew ----------------- Das kann eindeutig nur an meiner bestandenen Geschichtsprüfung gestern liegen XD Wer weiß? ^^ Jedenfalls hat mich die Muse geküsst und das Ergebnis will ich euch nicht vorenthalten. Es wird etwas ernster. Ich hoffe, ich schockiere nicht allzu sehr, aber die Story sollte auch nie nur Friede, Freude, Eierkuchen werden. Ach ja! ^^ Achtet immer schön welchen Namen das jeweilige Kapitel trägt ^^ Ich werde sowohl aus Bens als auch aus Andrews Sicht schreiben, damit man die Chance hat beide Parteien gut kennen zu lernen. Freue mich auf eure Feedbacks ^^ Und nun, viel Spaß! ^^ Kapitel 3 Wenn man mich fragt, warum ich mich für diesen Beruf entschieden habe, dann antworte ich am liebsten, dass ich es aus Liebe zu Gott tat. Er hat mir tatsächlich in meiner Jugendzeit viel Kraft gegeben. Eine Kraft, die ich ohne Hilfe niemals hätte erreichen können, da bin ich mir sicher. Wenn man auf sich allein gestellt ist, führt oftmals der letzte Ausweg zu Gott. Aber der eigentliche Grund, warum ich Pastor wurde, ist viel banaler. Nahezu schockierend simpel, doch mit Sicherheit nicht für Jedermann eindeutig. Ich gebe zu, dass es wohl eine Rolle spielt, dass ich ein sehr gläubiger Mensch bin, denn durch meinen Glauben zu Gott, war ich auch schon immer in der Lage an den Teufel zu glauben. Ich muss als Pastor an den Teufel glauben, denn die Kirche weiß wer ihr Feind ist, vor wem man sich in Acht nehmen muss, vor wem man die Menschen schützen muss. Nur glaube ich nicht nur an den Teufel mit all seiner Bosheit. Der Teufel existiert. Er ist Teil meiner Familie. Schon als Kind habe ich es gehasst, wenn ich über das Wochenende zu meiner Tante Erica und Onkel Robert geschickt wurde. Die beiden waren unsagbar liebe Menschen, die mir näher ans Herz gewachsen waren als meine eigenen Eltern, die viel arbeiteten und keinerlei Interesse an ihren Jungen zeigten. Es hätte die schönste Ersatzfamilie sein können, die ich mir in meinen Träumen ausmalte. Doch wann immer ich mich über die Liebe von Tante Erica freute, die mir liebevoll über den Kopf streichelte, mir bei den Hausaufgaben half und für mich Kekse buk, immer in den Momenten, wenn ich am glücklichsten war, tauchte er auf. Philip war mein Cousin. Wir waren beide im selben Alter, wir waren beide Einzelkinder und sollten wie Geschwister zusammen erzogen werden, doch gab es keinen Menschen vor dem ich mich so fürchtete wie vor ihm. Er war alles was ich verabscheute, er war für mich der Inbegriff der Sünde. Ich hasste seine kalten Blicke, wenn wir einander begegneten. Wenn ich spürte, dass ich erstarrte, als würde mich sein Blick wie der der Medusa in Stein verwandeln. Diese abgrundtief bösen, grauen Augen unter dem pechschwarzen Schopf. Jede Nacht in diesem Haus zwangen sie mich in seinem Zimmer zu schlafen. Auf einer Matratze, die unterhalb der Woche unter sein Bett geschoben wurde. Jede Nacht lag ich zitternd unter meiner Decke und wartete darauf, was er als nächstes tun würde, um mich zu ängstigen. Im Alter von sechs Jahren hatte er seine große Freude damit zur Nacht Insekten unter meiner Bettdecke zu verstecken. Wenn ich dann schreiend und weinend hinunter ins Wohnzimmer rannte und meinen Onkel anflehte mich nicht bei ihm schlafen zu lassen, weil er mir Streiche spielte und wir gemeinsam wieder hinauf gingen, lag nichts in meinem Bett. Philip hatte es immer rechtzeitig geschafft die Insekten verschwinden zu lassen, seine Eltern haben ihn niemals erwischt. Liebevoll wurde mir eingebläut, dass ich bestimmt nur schlecht geträumt habe und dass ich doch keine Angst zu haben bräuchte, Philip war schließlich auch noch da. Und dann verließ Onkel Robert das Zimmer wieder, ohne den Blick zu sehen, den sein Sohn mir zu warf, mit weiß glänzenden gebleckten Zähnen wie ein Raubtier. Es gab Nächte, da habe ich mich die ganze Nacht im Badezimmer eingeschlossen. Mit zwölf Jahren gingen wir auf dieselbe Schule. Philip konnte überall Insekten auftauchen lassen, als sei er Mammon, der Herr der Fliegen persönlich. In meinem Pult, in meinem Spind, in meinem Sportschuhen oder meiner Brotdose. Doch seine Streiche waren nun die kleinsten Übel, die ich mit ihm hatte. Er lauerte mir auf, wann immer ich dachte vor ihm sicher zu sein. Er verprügelte mich mehr als einmal. Doch jede Rückkehr nach Haus ließ meine Wunden verheilen, sodass ich keinerlei Beweise für seine Taten hatte. Etwa zu dieser Zeit begannen meine regelmäßigen Besuche in der Kirche. Eine Tages war ich aus reiner Verzweiflung in die Kirche in der Nähe der Schule geflüchtet. Ich hatte mich ganz vorne in der ersten Bank versteckt und geweint. Ich war mir sicher, dass dieser Ort der einzige wäre, zu dem er nicht kommen würde. Hier würde ich endlich meine Zufluchtsstätte finden und es hatte sich bewährt. Ich überredete meine Eltern mich taufen zu lassen, sie waren keine Christen und hatten keine großen Ambitionen zur Kirche, aber schließlich willigten sie ein, als ich ihnen versicherte, dass ich keine Feier und keine Geschenke wolle. Ich wollte nur meine Taufe und meine Konfirmation. Seitdem war ich regelmäßig in der Kirche. Der Pastor war ein freundlicher Mann, der mir viel Trost spendete, doch auch er nahm meine Furcht vor Philip nicht wirklich ernst. Er habe immer ein offenes Ohr und wenn Philip mich wieder schlagen solle, sollte ich unverzüglich Fotos davon machen. Ich hatte niemals die Gelegenheit dazu. Meinen schlimmsten Tag hatte ich, als Philip seinen 16. Geburtstag feierte. Schweigend saß ich am Abend allein in der Küche, vor mir ein Stück vom leckeren Kirschkuchen, den Tante Erica gebacken hatte, doch ich bekam ihn nicht herunter. Philip und seine Gäste waren im Garten. Das herrliche Augustwetter lud dazu ein auf der Terrasse zu feiern. Ich hatte Tante Erica gesagt, dass ich mich nicht gut fühle und gleich ins Bett gehen würde. Dort lag ich schon, als die Sonne endlich untergegangen war. Ich betete den Herrn an mich schnell einschlafen zu lassen. Ich wollte an diesem Abend Philips Visage nicht noch einmal sehen müssen. Kurz nach zwölf öffnete sich die Zimmertür und an der plötzlich so finsteren Atmosphäre wusste ich sofort, dass es Philip war. Er ließ das Licht aus, als wolle er mich schlafen lassen und setzte sich auf das Bett. „Willst du mir gar nichts schenken, Drew?“, hörte ich seine leise Stimme. Ich hatte ihm den Rücken zugewandt, sodass er nicht sehen konnte, dass ich mit offenen Augen da lag, in die Dunkelheit des Zimmers starrte und die Lippen aufeinander presste. Ich hoffte, dass er annehmen würde, dass ich schon fest schliefe. Sein Bett knarrte. Ich hielt die Luft an. Philip kniete sich hinter mich und flüsterte mir ins Ohr. „Du hast doch ein Geschenk für mich. Oder, Drew?“ Ich hasste diesen Spitznamen. Er war der einzige, der mich nicht Andrew nannte. Als sei er etwas Besonderes! Als sei er ein wichtiger Mensch in meinem Leben! Mein Kiefer verspannte sich. Alles in mir lechzte danach ihn anzuschreien, dass er mich endlich in Ruhe lassen sollte. Dass ich seine kleinen Spielchen nicht länger mitspielen wollte. Doch meine Feigheit zwang mich zum Schweigen. Da legte sich seine große, warme Hand auf meine Schulter. Auf meinem Rücken breitete sich eine Gänsehaut aus. Er berührte mich selten, außer er schlug mich. Ich realisierte, dass ich nur darauf wartete, dass er mich auf den Rücken drehte, um mit seiner Faust meine Nase zu brechen. Schon wurde ich mir der bekannten Schmerzen bewusst, die nur allzu bald verheilen würden. Doch als er mich zu sich drehte, kam kein Schlag. Ich öffnete langsam die Augen. Meine Atmung hatte sich rasant erhöht, während ich Philips Gesicht im fahlen Licht der Straßenlaterne, das durch das Fenster fiel, anstarrte. Er hockte neben mir, mein bildhübscher Cousin mit dem schmalen Kinn und den hohen Wangenknochen. Er war bei den Mädchen in der Schule sehr beliebt. Ich habe schon einige Nächte im Badezimmer oder im Wohnzimmer verbracht, wenn Philip ein Mädchen mit nach Hause brachte. Es war fast jede Woche ein anderes Mädchen, dessen Herz er brach, nachdem er sie entweiht hatte. Philip legte den Kopf schräg und musterte mich innig. Seine Hand schob sich an mein Gesicht heran. Sein Blick machte mir unsagbare Angst. „Ich wollte mir mein letztes und liebstes Geschenk für den Schluss aufheben, weißt du?“, flüsterte er mir zu und strich mir durch das Haar. „Ich habe nicht gewusst, dass du ein Geschenk von mir erwartet hast“, erwiderte ich ebenso leise, weil meine Kehle keine Kraft hatte lauter zu sein, „Ich werde dir morgen eines besorgen, wenn du willst.“ Jede Bestechung war mir Recht, wenn er mich dann nur in Ruhe ließ. Doch alles was ich damit erreichte, war sein unverhohlenes Grinsen hervorzulocken, das ich so sehr hasste. „Warum gibst du mir dein Geschenk nicht einfach jetzt?“ „Ich habe keines hier.“ „Ach Drew, ich will doch gar kein teueres Geschenk von dir. Du bist mein Lieblingscousin. Du bist doch schon fast mein Bruder“, säuselte er zärtlich und ich spürte wie meine Panik in mir heranwuchs. Die Hand die eben noch meinen Kopf gestreichelt hatte, wanderte langsam meinen Hals entlang und über den Stoff meines T-Shirts. Unter meiner Haut begann es zu kribbeln. „Phil…lass mich bitte los…“, keuchte ich. „Hast du Angst?“, hauchte er mir nah an mein Ohr und dann spürte ich seine feuchte warme Zunge an meiner Ohrmuschel. Entsetzt presste ich beide Arme an seine Brust, um ihn von mir zu stoßen, doch ich fuhr ungläubig zusammen, als ich spürte, wie seine Hand in Windeseile den Saum meiner Boxershorts überwand und hastig sein Mund gegen meine Lippen gepresst wurde, um meinen Schrei im Keim zu ersticken. Panisch versuchte ich mich gegen seine lockende, süße Zunge und die warme Hand in meinem Schritt zu wehren. Tränen rannen mir über das Gesicht und ich stöhnte und wimmerte unter ihm, als er sich nach Entfernung meiner Shorts zwischen meine Beine legte und mich bezwang. Mein Shirt drückte er mir schließlich als Knebel in den Mund. Mit seinem Shirt fesselte er meine Hände. Ich habe die halbe Nacht stumm geschrieen und zu Gott gebetet, dass er mein Leben einfach beenden solle. Ein Herzinfarkt, ein Hirnschlag. Es war mir egal, ich wollte nur endlich von meinem Leid erlöst werden. Seit dieser Nacht machte Philip keinen Hehl davon mir zu zeigen, wie sehr ihn meine Angst erregte. Und je panischer ich durch seine Anwesenheit würde, desto gieriger wurde er auf mich. Jedes Mal, wenn er mich nahm, entblößte er bereitwillig seine Fassade. Er verspottete mich, forderte mich dazu auf ihm meinen Gott zu zeigen, der über seine Schafe wache und dass ich lange warten könne, erlöst zu werden. „Du bist das Eigentum des Teufels, mein süßer, kleiner Drew“, hatte er mir irgendwann gesagt, „Du bist mein Eigentum und wenn ich meinen Spaß hier oben hatte, wirst du mir in die Hölle folgen.“ Ich habe ihm dabei in die Augen gesehen und plötzlich begriffen, dass er die Wahrheit sagte. Alles ergab plötzlich einen Sinn. Er hatte eine Macht, die kein Mensch begreifen konnte. Er war nicht von dieser Welt. Und als ich das einsah, bröckelte meine Barrikade und ich war nicht mehr als ein Untergebener, bis er es leid war mit mir zu spielen. Und nun, zehn Jahre später wartete ich noch immer darauf, dass er mich wieder zu sich holen würde. Auch wenn er nach der Schule die Stadt verlassen hatte, weiß ich, dass er jede Nacht bei mir ist, um mich zu quälen. Und ich scheine mich daran gewöhnt zu haben. Das Vertrauen in Gott hatte ich nicht verloren, im Gegenteil. Es ist, als hätte er mich dazu bestimmt diese Aufgabe zu bestehen. Ich brauchte vielleicht nur etwas Hilfe an meiner Seite. „Andrew?...Andrew!“ Erschrocken zuckte ich zusammen und drehte mich von der kleinen Küchenzeile im Gemeindehaus um, an der ich mir gerade einen Kaffee machen wollte und stand der jungen Francine gegenüber, die mich mit einem schrägen Grinsen musterte. „Tagträume?“, fragte sie, „Hätte ich gewusst, dass du so beschäftigt mit deinen Träumereien bist, hätte ich dich nicht gebeten her zu kommen.“ Ich lachte leise. „Tut mir leid. Ich war wohl tatsächlich etwas abgelenkt. Nein, nein, ich habe mich sehr gefreut über dein Angebot. Es war ohnehin längst mal wieder an der Zeit auf dem Speicher für Ordnung zu sorgen.“ Francine war eine gute Freundin von mir. Sie arbeitet ehrenamtlich in unserer Gemeinde und betreute eine Gruppe taubstummer Kinder. An diesem Samstagnachmittag hatte sie mir vorgeschlagen den Speicher auszumisten. Ich habe sofort eingewilligt, da ich im Laufe der Zeit wahrscheinlich nicht ganz unschuldig an seinem Chaos war. Die blonde Frau trat einen Schritt an mich heran, nun runzelte sie die Stirn. „Du bist ganz blass. Geht es dir nicht gut?“, fragte sie besorgt. Ich nahm beruhigend ihre Hand in meine. „Alles in Ordnung. Ich habe bloß noch nicht viel gegessen heute.“ „Wie wäre es nach der Arbeit mit einer dicken Portion Lasagne in meiner Wohnung? Jamie hat ein neues Rezept ausprobiert. Das müssen wir unbedingt zusammen versuchen.“ „Da sag ich doch nicht nein!“, erwiderte ich begeistert, machte rasch noch eine zweite Tasse Kaffee für Francine und trug ihn dann mit ihr zusammen die Treppe zum Speicher hinauf um sich das Elend genauer anzusehen. Während der Arbeit musste ich immer wieder an meine Kindheit zurückdenken. In letzter Zeit war das sehr selten vorgekommen und Albträume hatte ich auch keine mehr. Ich dachte meine Vergangenheit endlich hinter mir gelassen zu haben, aber nach der Konfirmation meiner letzten Konfirmandengruppe vor ein paar Wochen und dem Gespräch mit dem Onkel von Clarissa, war ich noch in derselben Nacht Philip begegnet. War das ein schlechtes Omen? Eigentlich hatte ich mir aus der Begegnung mit Mr. Rigman nicht viel gemacht, auch wenn ich gleich gespürt hatte, was sein Blick während des Gottesdienstes zu bedeuten hatte. Seine Augen hatten ein ähnliches Feuer wie das von Philip. Das war auch der Grund gewesen, warum ich ihm nach dem Gottesdienst sprechen musste. Kaum, dass seine Hand zur Begrüßung in meiner gelegen hatte, wusste ich, dass der Mann keine Gefahr für mich war. Er war nicht wie Philip. Niemand war so wie Philip und ich schimpfte mich einen Narren auch nur einen Moment daran gedacht zu haben. Doch das Feuer in seinen Augen konnte ich nicht vergessen. Was war er wohl für ein Mann? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)