After the dust settles von Arianrhod- (Einsamkeit: Sesshoumaru x Kagura) ================================================================================ Kapitel 4: Cassandra -------------------- Sie trafen sich in einem kleinen Café in der Altstadt. Beide waren sie Stammgäste und beide kannten sie sich schon lange, bevor sie je ein Wort miteinander wechselten, vom Sehen. Wann immer sich ihre Blicke zufällig trafen, lächelte sie, ehe sie sich wieder der Tätigkeit zuwandte, der sie vor der Unterbrechung nachgegangen war. Er zeichnete sie. Er zeichnete viele Gäste und Bedienstete des Cafés, was einer der Gründe war, warum er herkam. Aber sie zeichnete er am Häufigsten, ohne jemals zufrieden damit zu sein, denn er fing nicht das ein, was er einfangen wollte. Es fehlte etwas. An einem Tag skizzierte er sie nur und diese Skizzen – leicht und schnell auf das Papier geschmiert – gefielen ihm von allen Bildern am Besten. Darum ging er auf dem Weg nach draußen an ihrem Tisch vorbei und gab ihr den Bogen Papier. Sie musterte es, doch als sie wieder aufblickte, um ihn zu fragen, ob dass eine billige Anmache war, war er schon aus der Tür verschwunden und bummelte die Straße hinunter, also ließ sie die Idee fallen. Als sie das nächste Mal kam, saß er schon auf seinem üblichen Platz, also stolzierte sie zu ihm hinüber und ließ sich ungefragt auf den freien Stuhl gegenüber gleiten. Er sagte nichts und erst, nachdem die Kellnerin ihre Bestellung gebracht hatte, wollte sie wissen: „Warum zeichnest du mich?“ Er blickte auf von der halbfertigen Radierung einer eleganten, alten Dame und ihrem schlanken Jagdhund, die neben dem Fenster saßen und Tee tranken, und schaute sie an. Nach kurzem Schweigen hob er die Schultern und sagte aus Ermangelung einer besseren Antwort: „Kein Grund, hm.“ Sie nickte und schwieg. Als sie ihren Kaffee geleert hatte, erhob sie sich, aber bevor sie ging, sagte sie: „Ich bin Kagura.“ Er sah sie an, blätterte zwei Seiten in seinem Notizblock zurück und schrieb die Buchstaben ihres Namens fein säuberlich unter eine detaillierte Zeichnung von ihr. Als er fertig war, hatte sie das Café bereits verlassen. Das nächste Mal trat er zu ihrem Tisch, wo sie ein Buch las, und erklärte: „Mein Name ist Deidara, hm.“ Sie lächelte und er ging zu dem Platz, an dem er immer saß und packte seine Zeichensachen aus. Kagura setzte sich immer häufiger zu ihm und hin und wieder kam er zu ihr. Anfangs waren die Worte zwischen ihnen sporadisch und oft schwiegen sie. Manchmal führten sie Gespräche, die immer länger wurden. Sie hatten mehr gemeinsam, teilten mehr Ansichten, als sie es für möglich gehalten hätten. Dann kam der Tag, an dem sie ihn am Handgelenk festhielt, als er gehen wollte und sagte: „Nimm die spätere Bahn.“ Er zog fragend die Augenbrauen hoch und sie antwortete: „Tu es einfach.“ Und er ging. Er wusste nicht wieso, aber er befolgte ihren Rat. Am nächsten Tag quälte er sich aus seinem Bett in seinem unordentlichen Appartement, schlüpfte in seine Jeans und stolperte in die Küche. Als er mit der Post – zwei Mahnungen, Werbung, Rechnungen und der Tageszeitung – wiederkam, war der Kaffee bereits durchgelaufen. Er schenkte sich ein und klappte die Zeitung aus. U-Bahn-Unglück fordert Dutzende Menschenleben. Seine Tasse zerschellte auf den Küchenfließen und das braune Getränk breitete sich unbemerkt darüber aus. Das war seine Bahn. Jene, die er gestern nicht genommen hatte. „Woher wusstest du, was passieren würde, hm?“ Sie blickte ihn an und legte den Kopf schief. Dann griff sie in ihre abgewetzte Umhängetasche und zog eine Zeitung heraus, auf der eine ähnliche Schlagzeile prangte wie auf seiner eigenen. „Manchmal weiß ich Dinge.“ Ihre Stimme war dunkel wie immer und völlig unberührt. Als wären am letzten Tag Dutzende von Menschen gestorben und sie nicht gewusst hätte, dass es so sein würde. „Bevor sie geschehen.“ Deidara ließ sich auf den Stuhl ihr gegenüber fallen und winkte die Kellnerin herbei um seine übliche Bestellung abzugeben. Er streckte lässig die Beine aus, dass seine Unterschenkel ihre Knöchel berührten. Kagura betrachtete ihn weiterhin mit schiefgelegtem Kopf und ihre roten Augen schienen zu glühen wie Kohlestücke. Deidaras Stimme durchbrach die zwischen ihnen herrschende Stille erst, als die Kellnerin das Gewünschte gebracht hatte, klar und scharf wie zerbrochenes Glas. „Wenn du weißt, dass so was passiert, warum sagst du es niemandem, hm?“ Sie richtete sich auf und bewegte die Füße in den hochhackigen Schuhen, dass sich ihre Knöchel dichter an seine Beine pressten. Sie konnte seine Wärme fühlen, durch den dicken Stoff der Jeans hindurch. Ihr Rücken war gerade wie ein Stock. „Weil ich mich dazu entschieden habe.“ Dies war der erste Tag, an dem sie gemeinsam das Café verließen und den Weg zu der U-Bahn-Station einschlugen, die einige Straßen weiter lag. Sie gingen nebeneinander und ihre Arme berührten sich beim Gehen. An der Treppe hinunter blieb sie stehen, mit einem festen Griff um sein Handgelenk. Er tat nicht einmal erstaunt, sondern drehte sich um und presste die Lippen auf ihren weichen, einladenden Mund. Sie brauchten fast zwei Minuten, ehe sie sich wieder lösten, und hielten den Fußverkehr auf. Sie nahmen U-Bahnen, die in verschiedene Richtungen führten, weil sie nicht nahe beieinander lebten. Es war noch früh am Tag, darum war das Café noch leer; die übliche Kundschaft hatte entweder keine Zeit für einen Morgenkaffee in einem solchen Ambiente oder stand erst später auf. Sie trafen gemeinsam ein und setzten sich an die Bar, während die Kellnerin ungefragt ihre Bestellungen vorbereitete – sie kannten sie schon lange. „Warum tust du es nicht, hm?“, wollte Deidara plötzlich wissen und Kagura warf ihm einen Seitenblick zu. Sie wusste genau, was er meinte, obwohl sie bisher über etwas völlig anderes gesprochen hatten. Für einen Moment blickte sie in seine blauen Augen, dann drehte sie sich weg. Und antwortete nicht. Statt dessen fragte sie: „Wie kommst du mit deinem neuen Projekt zurecht?“ Deidara ließ das Thema fallen, das ihn am meisten interessierte, und grübelte weiter darüber nach, was für einen Grund es geben konnte, zu schweigen. Außer reinem Desinteresse natürlich. Doch Kagura war alles mögliche, leidenschaftlich und wild und sarkastisch; aber nicht apathisch. Erst, als sie vor den Türen des Cafés standen, sagte sie: „Alles, was ich seit jeher wollte und noch immer will, ist meine Freiheit.“ Deidara verschränkte die Arme hinter dem Kopf und legte den Kopf in den Nacken. Der Himmel war grau von Wolken. Auch er liebte seine Unabhängigkeit; darum hatte er die Schule abgebrochen und war von Zuhause weggelaufen um Künstler zu werden und nicht Anwalt oder Arzt. „Freiheit heißt, eine Wahl zu haben.“ Kagura blickte ihn an. „Dies ist meine Wahl.“ Sie wussten beide, das hinter ihren Worten noch eine größere Wahrheit steckte, als sie ihm jetzt sagte. „Kommst du mit, hm?“, wollte er wissen und sie nickte. Deidara grinste und führte sie in sein Apartment. Sie hatten Sex und redeten und aßen Eis, Kekse und Schokolade direkt aus den Packungen und nachher hatten sie wieder Sex. Und dann ging die Sonne auf. Am nächsten Tag verließ Kagura seine Wohnung, ohne ihn zu wecken. Im Café trafen sie sich wieder und Deidara setzte sich zu ihr, als wäre nichts gewesen. Sie reagierte auch nicht, also sprach keiner von ihnen darüber und die nächsten Tage und Wochen vergingen, fast als wäre nichts geschehen. Nur manchmal verbrachten sie die Nächte in dem einen oder anderen Apartment, zwischen Gesprächen, Sex und Zeichnungen auf Leinwand und Haut. Und Deidara stellte fest, dass seine Bilder von ihr nun besser waren. Nicht mehr unvollständig und misslungen wie vorher. Vielleicht weil er jetzt den Part von ihr hatte, der vorher unbekannt war, eine Variable, die er nicht allein hatte herausfinden können, nicht ehe sie es ihm gezeigt hatte. Und Kagura, Kagura verspürte zum ersten Mal seit langer Zeit wieder so etwas wie Glück. Da waren Akzeptanz und Teilnahmslosigkeit in einem Maße, wie sie es nirgendwo bisher gefunden hatte. Niemand hatte je ihre Entscheidung geduldet, ohne weiter nachzufragen, zu ergründen, was sie dazu getrieben hatte sie zu fällen. Kaum jemand hatte ihre Entscheidung je gebilligt. Deidara aber verstand – vielleicht nicht die Entscheidung, aber er verstand die Freiheit. Sie war ihm ebenfalls wichtig, wichtig wie kaum etwas anderes. Und Entscheiden – das war ein Teil von ihr und es war ihr gutes Recht; selbst falsch zu entscheiden und dann an dieser Entscheidung festzuhalten, trotz der Konsequenzen, die sie klar und deutlich vor sich sah, dies war auch ihr Recht. Wer ihr dies absprechen wollte, hatte ihren Respekt nicht verdient. Sie brauchte es, brauchte ihre Freiheit wie die Luft zum Atmen und Deidara ging es nicht anders. Vielleicht verstand er sie deswegen. Ohne Freiheit konnten sie beide nicht fliegen. „Kennst du die Geschichte von Kassandra von Troja?“ Deidara wandte ihr den Kopf zu und zog eine Augenbraue hoch. Er kannte die Geschichte, in Ansätzen und er hatte die mythische Frauengestalt einmal gemalt, wild und schön und verzweifelt; die Leinwand mochte jetzt irgendwo begraben sein unter all den anderen und all dem Zeug, das sich in seiner Wohnung stapelte. „Sie war eine Seherin. Sagte viele Dinge voraus, unter anderem auch den Fall der Stadt.“, fuhr Kagura fort, als wüsste sie nicht, dass er die Geschichte kannte. Vielleicht tat sie es nicht. sie konnte ja nicht alles wissen und oft genug missdeuteten sie Blicke. Sie lagen auf ihrem Bett, die Glieder miteinander und in der Decke verschränkt und die Sonne auf dem Linoleumboden, auf dem ihre Kleider lagen und die leeren Boxen mit den chinesischen Schriftzeichen vom Lieferdienst. „Aber niemand glaubte ihr, denn Apollo hatte ihr die Glaubwürdigkeit gestohlen mit einem einzigen Kuss. Nur weil er es mit ihr treiben und sie über sich selbst bestimmen wollte. Die Leute hielten sie bald für verrückt und weil sie nur schlechte Dinge voraussagte, sperrten sie sie weg, die Narren.“ Sie versank wieder in das Schweigen, mit dem sie den Tag begrüßt hatten, aber es dauerte nicht lange, da drehte sie ihm wieder den Kopf zu, dass sie sich ansahen. „Mir glaubte auch kein Schwein. Ich hab ihnen gesagt, dass was passieren würde; ich habe gesagt, dass die Kleine nicht mehr zurückkommen wird, wenn sie sie jetzt gehen lassen, dass sie langsamer fahren sollen oder bei der Kurve aufpassen. Aber haben sie auf mich gehört? Natürlich nicht!“ Sie wandte sich heftig ab und starrte an die Decke. Ihre Stimme war scharf und verärgert und hart, aber da klang auch bitterer Hohn mit und eine Spur von Hass. „Die Leute haben irgendwann angefangen zu reden. Manchmal gab man mir die Schuld und oft nannten sie mich eine Hexe und das war in einem Kaff wie diesem nicht lustig. Mein Vater sperrte mich ein, statt mich gehen zu lassen, aber das hat er ja schon immer getan. Vielleicht hätte mir jemand geglaubt, wäre er nicht gewesen, wäre ich nicht so aufgewachsen, wie ich aufgewachsen bin, wenn ich einen anderen Weg der Kommunikation gewählt hätte. Aber ich wusste es nicht besser. Ich hätte eine Heilige werden können, statt dessen wurde ich eine Hexe oder mindestens eine Irre.“ Sie musste nicht sagen, wem sie die Schuld dafür gab, es war ersichtlich aus ihren Worten, ihrem Hass und der Bitterkeit. „Ich bin Kassandra.“ Sie ließ sich wieder auf den Rücken fallen und legte den Kopf zurück, dass sie über das Fensterbrett in den weiten Himmel sehen konnte. Eine kleine Topfpflanze stand an der Seite und man konnte das Geländer und das Gitter der Feuertreppe sehen. Aber der Himmel... Der Himmel war klar und weit und offen und eine Gruppe dunkler Vögel zog davor seine Kreise. „Ihre Wahl war es, als die Verrückte zu gelten. Meine zu schweigen. Das war unsere Freiheit.“ Sie drehte den Kopf. „Vielleicht konnte sie den Gedanken nicht ertragen, es nicht zumindest zu versuchen. Wegen all dem Tod und all dem Leid. Denn das ist es, was wir sehen – all das Schlechte und das Böse. Für jeden Tag müssen wir das Gute dort sehen, wo viele Seher nicht mehr hinblicken, in der Gegenwart. In jeder kleinen Geste, jedem kleinen, einsamen Helden und jeder Legende, die auf der Straße geboren wird. Dort finden wir unser Glück und du ... du kannst das sehen.“ Sie rollte sich herum und kniete sich über ihn, dass sie ihm in die Augen sehen konnte, ihr Blick, ihr Gesichtsausdruck voller Sehnsucht und etwas, was er nicht zuordnen konnte. Die Zukunft und die Vergangenheit hatten ihn nie interessiert. Er hatte nie zugehört, wenn sein Vater ihm vorgebetet hatte, sich endlich auf die Schule zu konzentrieren, denn wie wollte er einen guten Job bekommen ohne das, irgendwann in der Zukunft? Sein Vater hatte nie begriffen, dass ihn die Zukunft nicht interessierte, sondern er für nur die Gegenwart lebte. Wie sonst konnte er das einfangen, was er auf seinen Bildern haben wollte? Momentaufnahmen, Augenblicke und jene Ewigkeit, die zu kurz war um sie zu messen. „Vielleicht hat sie es wegen den Menschen getan, wegen all denen, die sterben müssen.“ Ihre Stimme war nachdenklich bei dem Satz und beinahe leise und ihr Blick abgeschweift. Dann konzentrierte sie sich so plötzlich wieder auf ihn, dass sich seine Augen weiteten, ihr Blick intensiv und brennend wie die Feuer der Hölle. „Aber weißt du was? Mich interessiert das nicht.“ Deidara hob bedächtig die Hand und strich ihr einige jettschwarze Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Haben sie auch nicht verdient, hm.“ Er grinste und unter ihrem glühenden Blick verwandelte sich sein Grinsen in ein beinahe sanftes Lächeln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)