Isoliertes Leben von Varlet ================================================================================ Kapitel 1: Isoliertes Leben --------------------------- „Oh mein Gott“, stieß sie atemlos hervor. „Sie kommen zu Hunderten.“ Das Mädchen, schwarze, lange Haare, die ihr über die Schulter fielen und dazu noch, durch den Wind, ins Gesicht verweht wurden, traute ihren Augen kaum. So viele Menschen waren gekommen, sie konnte sie alle nicht zählen, es waren einfach viel zu viele gewesen. In solchen Momenten fragte sie sich, wie schon oft, was sie hier machte, warum hatte sie sich wieder einmals überreden lasen, mit zukommen? Manchmal, da glaubte sie, sei sie viel zu gut für diese Welt, auch wenn sie, was kaum einer von ihr kannte, außer ihre Eltern, ein kleines Biest sein konnte. Es kam immer auf die Situation an, aber bekam sie mal etwas nicht, was sie so gerne haben wollte, wurde sie launisch und schikanierte ihre Eltern so lange, bis sie es bekam. In der Schule hingegen war es ganz anders, dort warte sie ihr Gesicht, war das liebe kleine Schulmädchen, dass keiner Fliege etwas zu Leide tun konnte. Aber im Inneren war sie ganz anders gewesen, zwar immer noch verletzlich, aber sie konnte auch für sich einstehen und für das Kämpfen was ihr lieb war. „Tu nicht so, als hättest du es nicht gewusst“, sprach eine ältere Frau. „Dein Vater und ich, haben es dir gesagt“, fügte sie noch hinzu und blickte auf ihre Tochter runter, diese war nämlich ein kleines Stückchen kleiner gewesen. Die ältere Frau, die mit ihr sprach, war, wie es nicht zu übersehen war, ihre Mutter gewesen. Auch sie hatte schwarze Haare, sie waren kurz und sie trug sie als Dauerwelle, welche man nun, aufgrund ihres feinen Hutes nicht sehen konnte. „Ja, ich weiß“, murmelte das junge Mädchen. Sie war, ihres Erachtens, leider noch nicht volljährig und musste noch das machen, was ihre Eltern von ihr verlangten, auch wenn sie sich zunehmens gegen diese auflehnte und ihre Grenzen ausprobieren wollte. Meistens hatte sie gegen ihre Mutter keine Chance gehabt, diese hatte ihre Tricks und fing, in solchen Situationen, immer mit dem Weinen an. Barbara wusste immer, wie sie es schaffte, ihre Tochter vom Gegenteil zu überzeugen und immer umzustimmen. Ihr war es auch egal gewesen, was diese über sie dachte, Hauptsache sie hatte ihr Ziel erreicht und ihre Tochter unter Kontrolle gehabt. Früher, als Vittoria noch ein kleines Kind war, war es viel einfacher gewesen, aber schon in kürzester Zeit, wurde sie von den Großeltern verzogen und warum? Weil ihre Eltern keine Zeit für das Mädchen mehr hatten und diese zu ihren Großeltern schoben. Vittoria hatte da immer das bekommen was sie wollte, durfte machen was sie wollte und lernte es nicht anders. Die Jahre vergingen und es wurde immer schlimmer und schlimmer, vor allem, weil sich alles drastisch änderte. Wie genau es dazu gekommen war, hatte ganz andere Umstände. Barbara und Jules waren nicht immer so verliebt ineinander gewesen, wie es zur Zeit schien, auch wenn die alten Gefühle bereits erloschen waren und sie, nur wegen ihrer Tochter zusammen blieben. Auch wenn diese schon öfters den Wunsch aussprach, eine Scheidung der Eltern zu begrüßen, die zwei blieben immer noch zusammen. Sie wollten es weiterhin miteinander versuchen und das ganze Leben, des Mädchens damit stärker verfuschen, als sie es schon damals taten. Damals, da waren noch schöne Zeiten angebracht, aber nun, nun nicht mehr, Barbara war frisch verliebt in den jungen Handwerker. Er hielt sie, als Einziger, nicht für das vornehme Mädchen, was sie zu sein schien. Er hatte mehr in ihr gesehen und ihr versucht die Welt zu zeigen. Die zwei liebten sich und schon bald, ging aus dieser Liebesbeziehung ein Kind hervor, jenes, das das Schicksal nicht haben wollte. Daran zerbrach die leidenschaftliche Beziehung und die, ehemals verliebten, sahen sich nie wieder. Doch schon bald tauchte ein neuer Mann in ihrem Leben auf, Jules. Er war lieb, nett und zärtlich zu ihr, er schien sie zu verstehen und dennoch wollte er sie für immer besitzen. Und was war mit Barbara? Sie hatte nichts dagegen, freute sich viel mehr, dass sie so begehrt wurde und einen Menschen fand, der für immer zu ihr stehen würde. Ihm von ihrer alten Beziehung hatte sie nie erzählt, es war unwichtig für sie und in ihren Augen, einfach viel zu lange her gewesen, sie wollte was Neues und sich auf diesen charmanten Mann einlassen. Selbst ihre Eltern bewilligten diese Verbindung und schon sehr bald kam es zur Hochzeit. Wie glücklich die zwei doch damals waren und dennoch störte etwas die traute Zweisamkeit. Immer wieder versuchten sie ein Kind zu bekommen, es wollte nicht gehen, nie und bald gaben sie auf. Barbara gab sich die Schuld daran, weil sie doch diejenige war, die damals das Kind verloren hatte und Jules machte ihr Vorwürfe, kein Kind zu wollen und heimlich immer noch die Pille zu nehmen. Der Streit endete in einer leidenschaftlichen Entschuldigung im Schlafzimmer, jene, der es zu verdanken war, dass Vittoria nach neun Monaten der Dunkelheit, das Licht der Welt zu Gesicht bekam. So glücklich waren die jungen Eltern noch nie gewesen und nichts schien das Glück der Beiden zu trüben. Da Jules als Architekt arbeitete und Barbara ihr Studium als Archäologin gerade beenden wollte, traf es sich nicht gut, das Beide auf eine wochenlange Exkursion mussten. Barbara, als Auslandsstudentin und Jules für ein Bauprojekt. Keiner der Beiden wollte darauf verzichten und so konnten sie sich dennoch darauf einigen, dass sie Beide es tun würden. Die kleine Vittoria, gerade mal zwei Jahre alt, würde in der Zeit bei ihren Großeltern bleiben, während ihre Eltern ihrer Arbeit nach gingen. Es dauerte nicht lange, nach wenigen Wochen kehrte Barbara wieder zurück, sie war viel entspannter gewesen und freute sich, ihren Mann, aber auch ihre Tochter wieder in den Armen zu halten und als Familie zusammen zu leben. Aber als sie zu Hause ankam, war keiner da gewesen, nicht einmal eine Nachricht hatten sie hinterlassen, einfach weg und von Vittoria war auch nichts zu sehen gewesen. Nervös informierte Barbara ihren Mann über die Tatsache, der teilweise etwas Ruhiger gewesen war, als sie es war. Er wusste was los war. „Sag mir, was ist passiert, Jules“, Barbara hielt es nicht mehr aus. Er wollte es ihr sagen, brauchte dafür aber Ruhe und diese hatte sie nicht gehabt. „Es ist eigentlich nichts schlimmes“, sagte er ruhig und sah auf seine Schwiegereltern, diese nickten ihm nun zu. „Vittoria, sie ist beim Spielen die Treppe runter gefallen, wir sind im Krankenhaus und ihr fehlt nichts, nur eine leichte Gehirnerschütterung“, fügte Jules hinzu. Nebenbei erwähnte er auch kurz in welchem Krankenhaus sie sich befanden und ehe er sich versah, hörte er nur noch das Piepen des Telefons. Barbara hatte aufgelegt. Kein gutes Zeichen, wie er fand und dennoch legte er es einfach nur Seite und blickte seine Kleine an. Sie lag friedlich in dem Bettchen und ließ sich, was eigentlich untypisch für ein Kind war, vom Arzt versorgen. Auch die Schwiegereltern kümmerten sich um die Kleine und hielten ihre Hand, aber schon bald mussten sie los lassen, als Barbara im Krankenhaus ankam und sofort ins Zimmer eilte. Ohne zu Zögern, nahm sie ihre Tochter in ihre Arme, wiegte sie und verbat ihren eigenen Eltern, ihre Tochter je wieder anzufassen. Sie wollte nicht noch ein Kind verlieren, hatte sie gesagt gehabt und versuchte, somit all ihre Sorgen zu erklären. Doch mit der Zeit wurde es immer schlimmer. Barbara erlaubte nun keinem mehr, ihre Tochter anzufassen oder mit dieser draußen zu spielen. Alles musste im Hause stattfinden und dann auch nur so, dass sie selber es sehen konnte. Die junge Mutter wurde panisch, sie hatte viel zu viel Angst um ihre Tochter gehabt und ließ nicht zu, dass sie sich je wieder verletzen würde. Fahrrad fahren, schwimmen und Klassenreise, sowie Schulausflüge, alles hatte sie ihr verboten. Vittoria durfte nirgends mehr alleine hin, nicht einmal alleine zu Hause bleiben, denn dort waren die Quellen der Verletzungen gewesen. Und genau das war es, was Barbara verhindern wollte, keiner sollte ihrer Tochter je weh tun, egal wie oder was sie dafür tun musste. Aber es ging nicht immer so einfach, dafür musste sie ihr Studium an den Nagel hängen und blieb von nun an, immer zu Hause, während Jules arbeiten war. Mit der Zeit konnte dieser das alles auch nicht mehr aushalten, er versuchte, seiner Frau wieder Vernunft einzubläuen, und ihr klar zu machen, dass ihre Tochter auch mal ein eigenes Leben führen musste, Fehlanzeige. Barbara machte immer weiter damit, fuhr ihre Tochter zur Schule und holte sie auch ab, Freundinnen zu haben, das konnte das Mädchen vergessen. Keiner wollte mit jemanden wie ihr, etwas zu tun haben, doch für Barbara war es nur das Beste gewesen. Und was war mit Vittoria? Das Mädchen zog sich immer weiter zurück, baute, gegen die ständigen Hänseleien einen Schutzschild um sich herum auf und ließ keinen in ihre Seele schauen. Sie hatte sich mit allem abgefunden, scheinbar, doch dann kam die Zeit, wo sie die Schule wechseln musste und weiter fahren musste. Barbara hatte nicht aufgehört sie hinzufahren, aber sie war wenigstens soweit gewesen, dass sie erlaubte, Vittoria am Parkplatz abzusetzen, sodass diese einige Schritte alleine ans Schultor gehen durfte, aber mit Freiheit war es nicht verbunden, da Barbara immer noch mit dem Wagen daneben stand und gewartet hatte, bis das Mädchen heil an der Tür ankam. Es war übertrieben, aber ändern konnte man die Frau wohl nicht mehr. Am Anfang fuhr Barbara noch nach Hause, wartete dort bist der Unterricht sich dem Ende neigte und fuhr erst dann wieder zur Schule, aber dieses Verhalten änderte sich stark. An jenem Tag hatte Vittoria zwei Stunden eher Schluss und ließ sich von zwei Mädchen aus ihrer Klasse dazu überreden noch mit in die Stadt zu kommen, einfach mal ein Eis essen und Spaß haben. Dies ließ sich das, mittlerweile 15 Jahre alte, Mädchen nicht nehmen und stimmte zu, bis sie eine verhängnisvolle Begegnung mit ihrer Mutter hatte. Auch diese war einkaufen gewesen und sehr enttäuscht, dass ihre Tochter nicht anrief und sich hier, in der Öffentlichkeit alleine, ohne sie bewegte. Barbara war sehr enttäuscht davon gewesen und nahm ihre Tochter sofort mit nach Hause. Von da an, fuhr die Mutter das Mädchen zur Schule, nahm sich meistens ein oder zwei Zeitschriften mit und las diese im Wagen, während sie darauf wartete, das Tönen der Schulglocke zu hören. Nach Hause fuhr sie nicht mehr, dafür machte sie sich viel zu viel Sorgen, dass Vittoria wieder in die Stadt gehen würde und sich dort verletze. Die Angst vor so etwas beschlich Barbara jeden Tag und jeden Tag wurde es stärker, da ihr Mann, der sich scheinbar nur halb so viele Sorgen machte, versuchte ihr beizubringen, dass Vittoria erwachsen wurde und sich auch mal mit Freunden treffen müsste. Nichts da, es hatte alles nicht geklappt und das Mädchen blieb weiter in der Isolation, aber sie hatte sich verändert. Vittoria hatte wieder Kontakt mit ihren Großeltern, es war ihr wieder erlaubt worden und von denen bekam sie alles was sie nur wollte, Geschenke, Anziehsachen, einfach alles und das billigte Barbara nicht. Sie wollte einfach nicht, dass das Mädchen den Atem der Welt schnuppern würde und mehr davon sehen wollte. Vittoria sollte so sein, wie sie immer war, das kleine, liebe Mädchen, welches nie etwas sagte, weil sie den Erziehungsmethoden vetraute. Doch dem war nicht so, Vittoria hatte schon lange gemerkt, was wirklich los war und nachdem sie, erfahren musste, dass von ihrem Vater keine Hilfe zu erwarten war, lehnte sie sich auf. Immer öfters bat sie ihre Eltern abends oder zu Geburtstagen raus zu dürfen, schon Tage vorher sprach sie beide darauf an, doch es half nicht. Viel mehr kam dadurch Streit auf, Streit zwischen Jules und seiner Frau. Von da an musste Vittoria erfahren, dass sie für das, was sie wollte kämpfen musste und so schrie sie immer mehr ihre Mutter an. Sie wollte doch auch ein normales Leben führen, so wie ihre Freudinnen, aber statt dessen, hatte sie was ganz Anderes bekommen. Wenn Vittoria nicht das tat, was ihre Mutter wollte, wurde sie bestraft, meistens mit flachen Schlägen auf die Wangen, da eine weitere Isolation keinen anderen Effekt ausüben würde. Und nun war sie hier gewesen, musste her kommen, weil ihre Eltern sie nicht alleine zu Hause lassen wollten, nun eigentlich hatte Jules nichts dagegen gehabt, aber Barbara sträubte sich. Sie wollte nicht, dass ihre Kleine, wie sie sie immer bezeichnete, alleine zu Hause war und sich mal wohl fühlen würde. Auch wenn hier mehr Menschen waren und Barbara die Befürchtung hatte, dass Vittoria mit einen von diesen mitgehen würde, rein oder zum Garten, sie würde es unterbinden, ihre Tochter musste die ganze Zeit über bei ihr sein, in ihrer Nähe. „Vergiss nicht, die ganze Zeit über, wirst du neben mir sein“, ermahnte Barbara ihre Tochter und blickte sie an. Sie wollte es noch einmal klar machen, sollte ihre Tochter auf die Idee kommen, und mit den Anderen verschwinden wollen. „Ich weiß, das sagtest du mir schon zu Hause“, maulte das Mädchen herum, sah aber nicht zu ihr. „Werd nicht frech“, gab Barbara einfach nur zurück. „Und wen doch? Schickst du mich dann nach Hause?“, wollte Vittoria wissen. Wieder musste sie sich einfach ausprobieren, sehen wie weit sie gehen konnte und vielleicht würde sie auch Glück haben und dufte nach Hause. „Schmink dir das ab und nun komm endlich“, meinte Barbara und zog ihre Tochter rein. „Dein Großvater wird nicht jeden Tag 60.“, fügte sie noch hinzu und schaute zu den Gästen. Es waren wirklich viele da gewesen, nicht nur Verwandte, auch Freunde hatte sich angekündigt und, was sie nicht dachte, waren diese auch schon da gewesen. Alleine waren sie nicht, sie hatten ihre Frauen und Kinder mitgebracht, eigentlich eine große Gefahr für Barbara, würde Vittoria es schaffen und mit einem von denen in Kontakt kommen. Vittoria hatte wirklich Recht gehabt, es waren mehr als Hundert hier gewesen und sie konnte sie alle sehen, was furchtbar war, vor allem, wenn sie sich vorstellte, bald unter ihnen zu sein und sich in der Menge zu verlieren. „Ich komm ja schon“, murmelte das Mädchen leise und machte sich mit ihrer Mutter auf den Weg in diese Massen von Menschen. Es war schier unmöglich gewesen von weitem zu sagen, wer wo war, aber dennoch versuchten sie ihr Glück und suchten nach dem Geburtstagskind. Damit Barbara ihre Tochter nicht verlieren würde, nahm sie deren Hand und hielt sie fest. Das es dem Mädchen peinlich war, war ihr egal gewesen, die Hauptsache war, dass diese nicht einfach in der Menge verschwinden würde. Auch, wenn so viele Menschen da waren, Barbara wusste genau wo sie hin gehen musste, sie kannte diesen Ort schon seit klein auf und hatte erwartet, dass ihr Vater immer noch im Haus sein würde und alle Gäste dort begrüßen würde, bevor es sich diese im Garten, dem beim Eingangstor gemütlich machen würden. Und sie sollte Recht behalten. „Hallo Vater...herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“, gratulierte Barbara und umarmte ihren Vater. Direkt danach reichte sie ihm sein Geschenk. „Jules muss leider arbeiten, aber auch er wünscht dir, einen schönen Geburtstag“, fügte sie hinzu, bevor die Frage nach ihrem Mann aufkommen würde. Ob er wirklich arbeiten war, das konnte sie nicht sagen. Jules zog sich mit der Zeit immer wieder zurück, hatte an ihren Erziehungsmethoden gezweifelt und auch daran, ob es das Richtige für Vittoria wäre, von der Außenwelt abgeschottet zu werden, nur um Verletzungen vorzubeugen. Er wunderte sich auch, dass das Mädchen einen starken Organismus hatte und nicht, allein durch die Schule oder durch die kurzen Aufenthalte an der frischen Luft, krank geworden war, aber vielleicht hatte Barbara ihre Heilmittel dafür gehabt. Er wusste es nicht und durch diesen Streit, hatte er sich zurück gezogen. Er konnte seine Frau nicht mehr länger ertragen, wollte es nicht mehr, hatte es satt wieder einmal mit einem Teller oder einer Vase beworfen zu werden. Diesmal war es vorbei, diesmal machte er sein Versprechen war, er zog ins Hotel und blieb dort für ein Weilchen, bis sich die Lage normalisieren würde. Und Barbara schien es egal zu sein, ihr Mann konnte weg sein, ihre Tochter durfte es nicht, in all den Jahren hatte sie sich zu sehr, auf das Mädchen fixiert und gar nicht bemerkt, was das wirklich wichtige im Leben war. „Herzlichen Glückwunsch, Opa“, sagte Vittoria, ein wenig verkrampft, viel zu sehr verkrampft, sie wollte ihn umarmen, hatte aber ein wenig Angst gehabt. Würde ihre Mutter zu lassen, dass sie sie mal nicht im festen Griff hatte? „Nun nimm ihn doch mal in den Arm“, lächelte Barbara. Für die Außenwelt hatte sie immer eine Fassade gehabt, jedes Mal wenn sie im engsten Kreis der Familie waren, tat sie so, als dürfte ihre Tochter alles was sie nur wollte, sich mit Freunden treffen, Abends weg gehen, selbst Geschichten dazu, hatte sich die Mutter überlegt und alle musste ihre Tochter kennen und bestätigen. Es musste für die Öffentlichkeit so aussehen, als würde Vittoria ein ganz normales Leben führen. Aber dennoch fiel es den diversen Menschen auf, selbst die Großeltern hatten es bemerkt, konnten aber nichts dagegen tun. „Mach ich“, nickte Vittoria und umarmte ihren Großvater. Auch wenn sie, ältere Menschen umarmen nicht mochte, es war besser, als wenn sie dauernd an der Hand ihrer Mutter hängen musste, nur weil diese mal wieder ein wenig panisch war. „Ich hab ein Geschenk für dich, Vittoria“, lächelte der Großvater und sah zu Barbara. Würde sie ihm erlauben, ihr das Geschenk zu zeigen oder würde sie sich wieder eine Ausrede einfallen lassen? Er wusste es nicht, und schon lange hatte er das Gefühl gehabt, als würde er seine eigene Tochter nicht mehr kennen. Sie war ihm so fremd geworden und hatte ihr Verhalten total verändert. Auch schien es ihr egal zu sein, was mit ihrer Familie wurde, Hauptsache sie hatte das, was sie wollte. „Ein Geschenk? Für mich?“, das Mädchen konnte es nicht glauben. Ihr Opa hatte doch heute Geburtstag gehabt und er war derjenige, der Geschenke bekommen sollte, nicht aber das Mädchen. „Das war doch nicht nötig gewesen, Papa“, meinte Barbara und sah ihn an. „Ich wollte ihr trotzdem etwas Schenken, es ist im Haus, komm lass es uns uns ansehen gehen“, schlug der Ältere vor und schenkte Barbara keinen Blick. Er wollte nicht, dass sie denken würde, mit kommen zu dürfen, aber leider verstand sie es wohl nicht anders. „Danke, Papa, aber verwöhn sie bitte nicht so sehr“, lächelte die Mutter ein wenig. „Na kommt, dann wollen wir uns doch mal das Geschenk ansehen“, meinte Barbara. Ihr Vater hätte es eigentlich ahnen müssen und dennoch war er überrascht gewesen, dass Barbara immer noch das gleiche Verhalten an den Tag lehnte, wie bei ihrem letzten Treffen. Damals war es nicht anders gewesen, zwar gab es für Vittoria kein Geschenk, aber als er daran dachte, dass das Mädchen ja nicht bei den älteren Herrschaften mit sitzen müsste und raus in den Garten könnte, war Barbara strikt dagegen. „Dann kommt mit“, nickte der Großvater und begab sich mit den anderen in ein separates Zimmer, seinem früheren Arbeitszimmer. Auch wenn er recht alt war, er konnte immer noch selber gehen, nutzte dafür aber eine Krüke. Es ging zwar langsam vorwärts, aber es ging vorwärts. „Wo ist nun das Geschenk, Vater?“, wollte Barbara wissen und sah ihn an. Sie selber war auch schon gespannt gewesen, was es geben würde und hoffte, dass es nichts Schlimmes sein würde. Sie hoffte so sehr, dass ihr Vater ihrer Tochter keinen Urlaub, keine Wochenendreise oder gar einen Ausflug schenkte. „Ich hole es kurz, setzt euch“, bat der Ältere und sah zu Beiden hinüber. Dann torkelte er, ohne seine Krüke, zu seinem Schreibtisch, setzte sich und zog aus einer Schublade sein Geschenk raus. Es war eingewickelt und verpackt, sodass man nicht erkennen konnte was es war, aber das was man sehen konnte, beruhigte Barbara ein wenig. Es war in einer großen Schachtel eingepackt gewesen, sie war flach, aber auch nicht zu flach und sie konnte sich denken, dass es keine Reise war. „Bitte meine Liebe“, sagte er und gab seiner geliebten Enkelin das Geschenk. „Pack es bitte nun aus, ich bin mir sicher, es wird dich freuen“, lächelte er und sah ihr zu. Er wollte so gerne das Strahlen, das Leuchten in ihren Augen sehen, wenn sie ihr Geschenk auspacken würde. Für nichts auf der Welt, hätte er die jetzige Situation gegen eine Andere eingetauscht. „Vielen Dank, Opa“, bedankte sich das Mädchen schon mal zuvor. Dann erst fing sie damit an, ihr Geschenk aus zupacken. Als sie sah, was es war, weiteten sich ihre Augen, sie konnte es nicht fassen. Es war so klein und doch so teuer gewesen. „Vater...das kann nicht dein Ernst sein“, warf Barbara ein. Sie konnte es nicht glauben, es war viel schlimmer gewesen, als das, was sie sich vorgestellt hatte. „Das ist ein Intel Core 2 Duo, mit 2,5 Gigahertz, 3072MB DDR2-RAM, 640GB Festplatte, 512MB NVIDIA, 1280MB Hypermemory, Blu-Ray DVD und RW Laufwerk, einen Kartenleser, eine integrierte Webcam und bereits vorhandenes Internet. Ich zahle es dir für ein ganzes Jahr, du kannst damit also machen was du willst“, grinste der Opa. Das alles was er sagte, hatte er selber vom Verkäufer im Laden erfahren und es sich gemerkt, dabei hatte er allerdings die Hälfte vergessen, versuchte aber, noch das meiste in Erinnerung zu rufen. Es schien geklappt zu haben, da Vittoria nicht wusste, was sie sagen konnte. Warum er ihr dieses Geschenk machte, war logisch zu erklären. Ihm war klar gewesen, dass Barbara ihr nie und nimmer ein Wochenende alleine sein, erlauben würde und er hatte gehofft, dass sie gegen einen Laptop nichts sagen könnte. Das Mädchen würde dadurch wohl weiterhin zu Hause sein, kriegt dadurch allerdings doch die Chance mit der Außenwelt in Kontakt zu bleiben. „Das kannst du nicht machen, Vater“, entgegnete Barbara und nahm den Laptop an sich. Sie wollte das nicht, ihr war klar, dass Vittoria dann nur noch im Internet sein würde, die ganze Zeit chatten, chatten und nochmals chatten. Etwas, das sie sicher nicht zu lassen würde. Chatten war genau so schlimm gewesen, wie wenn ihre Tochter in der Stadt wäre. Sie würde einfach viel zu viel Kontakt zu Anderen haben, Mitschülern, Fremden, aber auch Bekannten, die ihr zeigen wollten, wie die Welt da draußen war. „Ich verstehe nicht, was dagegen spricht“, meinte der Großvater. Er schüttelte leicht den Kopf. Wieso musste seine Tochter nur so stur sein? Er hatte sie doch nicht so schlecht erzogen, dass sie so mit ihrer Tochter umging. „Ich werde das Geschenk an mich nehmen, sie wird es an ihrem Geburtstag, wenn sie volljährig ist, bekommen“, meinte Barbara. Sie steckte den Laptop in ihre Tasche, jene die sie mitgebracht hatte und das Geschenk für ihren Vater verwahrte. Die Tasche stellte sie dann hinter das Sofa im Raum und würde den Laptop erst am Ende mit nach Hause nehmen. „Warum, Barbara?“, wollte er wissen. Er verstand es nicht, auch wenn er alt war, so zermatterte er sich den Kopf darüber und kam zu keiner logischen Erklärung. „Sie braucht keinen Laptop, sie hat zu Hause einen Computer und dort alle notwendigen Enzyklopädien, das reicht ihr und wenn sie mehr braucht, dann fahr ich sie in die Bücherhalle“, sagte Barbara. „Hör auf, ihr solche Geschenke zu machen“, fügte sie, mit einem scharfen Unterton hinzu. „Du kannst sie nicht ewig vor der Außenwelt versteckt halten. Vittoria wird langsam erwachsen, sie ist ein junges Mädchen und braucht mehr, als immer wieder zu Hause zu sitzen. Denk doch mal an deine Kindheit und Jugend zurück, du hattest alle Freiheiten gehabt, warum handelst du nun so und gibst deiner Tochter keiner?“, wollte er wissen. „Doch genau deswegen“, zischte Barbara. Sie hasste es, wenn ihre Eltern sich in ihr Leben einmischten, besonders nun wo sie selber wusste, was das Beste für ihre Tochter war und was nicht. „Ihr habt mir immer alles gegeben, was ich wollte und dieses Leben werde ich Vittoria nicht auch geben. Ich weiß, was ich damals getan hab, hab mich ausprobiert und ich lasse nicht zu, dass sie es auch so macht, wie ich damals, sie wird keine Verletzungen in der Seele erleiden und auch keine körperlichen“, fügte sie hinzu und stand auf. „Komm mit, Vittoria, wir gehen nach draußen zu den Gästen.“ „Ja, Mama“, nickte das Mädchen leicht seufzend. Sie rollte mit den Augen und wollte nicht, ihr Opa tat so viel für sie und dann kam das von ihrer Mutter. Sie hasste es, konnte es aber nicht mehr ändern. „Tut mir Leid, Opa“, stammelte sie leise und wurde schon wieder von ihrer Mutter nach draußen gezogen. Vittoria konnte einfach nichts dagegen machen, sie hatte sich viel zu lange von ihrer Mutter so unter Druck setzen lassen und wusste, was passieren würde, sollte sie es auch nur wagen, sich zu widersetzen. Vor allem in der Öffentlichkeit traute sie es sich nicht. Es war hier zwar nur die Familie anwesend gewesen, allerdings sobald sie durch den Garten gehen würde, wären auch die anderen Gäste zu sehen. „Barbara...das kannst du nicht machen“, warf der Großvater ein und sprang auf. Man konnte ihm ansehen, dass er sich nur schwer auf den Beinen hielt und dennoch versuchte er es. „Du siehst, dass ich es machen kann, Vater. Hör bitte auf, hier sind mehr als Hundert Menschen, ich will keinen Streit“, sagte sie und ging mit ihrer Tochter nach draußen in den Garten. Wie konnte ihr Vater es nur wagen und ihre Erziehungsmethoden in Frage stellen? „Mama...“, fing Vittoria leise an zu sprechen. „Sei still“, fauchte die Mutter. Jetzt noch eine Diskussion mit ihrer Tochter zu führen, ertrug sie nicht. Der Tag sollte einfach schnell zu Ende gehen, sodass die Familie nach Hause konnte. Vittoria hatte keine andere Wahl gehabt, sie musste leise sein, einfach schweigen und hoffen, dass es heute, in Mitten der Menschenmassen nicht schlimm sein würde. Egal was sie tun würde, sie konnte nur hoffen und beten. Genau beten, es würde ihr helfen, sie würde zu Gott beten und ihn um Hilfe bitten, aber dann, dann würde sie wütend werden. Warum wütend? Ganz einfach, Gott half jedem Menschen immer und immer wieder, er war da, wenn jemand Hilfe brauchte, aber nie tat er etwas für Vittoria, sie musste alleine mit ihrem Leben zu Recht kommen, alleine Leben und versuchen klar zu kommen. Gegen ihre Mutter hatte er nie was getan, nie dafür gesorgt, dass sie die Freiheit spüren konnte. Es war unfair und vielleicht war es auch nur ihr Versuch gewesen, einen Schuldigen für das Ganze zu finden. Doch innerlich wusste Vittoria, wer wirklich Schuld hatte: Sie Von klein auf war sie daran gewöhnt gewesen, kaum etwas machen zu dürfen, immer wieder lebte sie so und sie fragte nicht nach, hackte nicht nach und tat einfach nur das, was ihre Mutter von ihr verlangte. Ihr war nicht bewusst gewesen, dass sie ein Leben voller Isolation führte und die Sachen nicht durfte, die andere Kinder in ihrem Alter machen durfte. Sie kannte es nicht anders und hatte sich viel zu sehr an diesen Leben gewöhnt, es nicht in Frage gestellt. Doch die Zeit änderte es, sie merkte langsam immer mehr, was eigentlich los war und dass sie ganz anders als ihre Mitschüler war. Das schlimmste daran war, sie glaubte wirklich, ihre Mutter würde aus Liebe so handeln und dies nur für ihre Tochter tun, doch wenn sie, in der Schule die anderen Mädchen und ihre Mütter sah, war ihr klar geworden, dass sie kein gutes Leben führte. Sie war diejenige die es am Schlimmsten hatte und man konnte ihr ansehen, dass sie fand, die anderen Mädchen würden mehr von ihrer Mutter geliebt werden. Weiterhin war da ihr Vater, nie tat er etwas gegen ihre Mutter. Gut, er versuchte es, aber sie merkte auch, dass es immer im Streit der Beiden endete und das alles wollte sie nicht, sie wollte nicht sehen, wie sehr ihre Eltern darunter litten, dass sie diejenige war, die den Streit verursachte. Sie durfte nicht mehr daran denken, nein, es würde alles nur schlimmer machen. Sie musste schweigen, weiter schweigen, denn so würde sie nicht das Leben einiger Menschen zerstören und sie wollte, dass diese glücklich waren, auch wenn sie selber unglücklich war und im goldenen Käfig ausharren musste. Es war einfach das Beste gewesen und so wie sie es hier sah, war es wirklich die richtige Entscheidung gewesen. Ihr Großvater setzte sich für sie ein und was bekam er? Rein gar nichts. Die zwei Frauen gingen nun nach draußen und mischten sich unter die Gäste. Hier schien alles wieder in Ordnung zu sein, keiner der sie so sehr kannte, das er wusste, was wirklich in der Familie vor ging und dass sie ihre Tochter an der Hand hielt, konnten viele verstehen. Wenn sie dennoch nachfragten, antwortete Barbara immer damit, dass hier so viele Menschen seien und dass sie nicht wolle, dass ihre Tochter sich in der Menschenmasse verirren würde. Das Besondere hierbei war, dass diese Ausrede auch noch zog, die Menschen glaubten es und viele Mutter taten es ihr gleich und nahmen ihre, kleinen Töchter an die Hand. Für Barbara war es ein gutes Gefühl gewesen, wenn die Mütter genau das gleiche taten, wie sie selber, sie war sich somit auch sicherer gewesen, das sie alles richtig in der Erziehung ihrer Tochter getan hatte und hatte damit den Beweis, ihr eigener Vater hatte Unrecht gehabt. „Komm wir setzen uns“, sagte Barbara und wies auf die ganzen aufgebauten Reihen. Egal was ihre Tochter sagte, sie wollte sich nun setzen und diese musste mit dabei sein. „Ja“, nickte Vittoria leise und tat, was ihr befohlen war. Auch wenn es sich wie eine Bitte anhörte, so hatte sie doch gemerkt, dass es das nicht war, es war ein Befehl und würde sie nicht das machen, was von ihr erwartet werden würde, dann würde es sicher zu Hause ärger geben und dies, wollte sie sich nicht wieder antun. Nicht heute, an einem, fast wunderschönen Tag. „Gefällt es dir hier?“, wollte die Mutter von ihrer Tochter wissen. Etwas Konversation war ja nie schlecht gewesen. „Es ist ganz schön hier...kann ich nicht doch den Laptop behalten?“, fragte Vittoria nach. Sie wollte das Geschenk ihres Opas so sehr haben und hoffte, wünschte sich, dass ihre Mutter dies einsehen würde. „Nein, Vittoria“, verneinte Barbara sogleich die Frage. Sie wollte auch nicht mit sich reden lassen, aber scheinbar, ging es ihrer Tochter da anders. „Aber warum...es ist ein Geschenk“, warf das Mädchen leise ein. Sie wollte nicht allzu laut sein, hatte Angst gehabt, dass die anderen mitbekommen würde, wie sie lebte und verhielt sich deswegen ruhiger. „Ich hab es doch schon deinem Großvater erklärt, du brauchst keinen Laptop, du hast deinen Computer im Zimmer stehen und für Schularbeiten reicht dieser auch aus. Internet ist noch viel zu früh für ein junges Mädchen wie dich, ich werde nicht zu lassen, dass du nur noch stundenlang an diesem hängst und chatten willst oder Spiele spielst, auch wenn du es jetzt nicht verstehst, dir wird in deiner Zukunft bewusst werden, warum ich das alles getan habe“, erklärte Barbara. Ihr war klar gewesen, dass es Vittoria in der Zukunft wohl nicht verstehen würde, aber mit der Zeit würde sie es schon versuchen und nicht an den Methoden ihrer Mutter zweifeln. Jetzt war es einfach das Beste gewesen, so zu handeln. „Hallo“, grüßte ein Junge das Mädchen. Er war in ihrem Alter gewesen und der Sohn eines Bekannten von Vittorias Großvater. Seine kurzen blonden und doch zerzausten Haare flackerten im Wind und seine großen blauen Augen sahen sie an. „Hallo“, antwortete Vittoria nur zurück. Sie wusste, dass sie wohl keine Zeit und auch keine Erlaubnis von ihrer Mutter bekommen würde, auch nur mehr als einige Worte mit ihm zu wechseln. Das ihre Mutter auch immer so stur sein musste. Doch das lag wohl in der Familie und wurde von Generation zu Generation weiter gegeben. „Wir alle haben uns gedacht, dass wir uns zum Pool verziehen und die ganzen Erwachsenen hier lassen. Hast du Lust mit zu kommen?“, fragte Pablo. Man konnte nur an seinem Namen merken, dass er Spanier war, vom Aussehen war es da ganz anders, er hatte nicht diesen südlichen Touch gehabt, was auch daran lag, dass sein Vater aus Irland kam, aber wissen konnte es keiner. „Das ist doch schön für euch, ihr kennt ja den Weg zum Pool...ich wünsch euch viel Spaß und meine Tochter sicher auch“, lächelte Barbara und antwortete für diese. Sie würde nicht zulassen, dass Vittoria überhaupt diesen Gedanken in Erwägung ziehen würde. Nein, das würde sie unterbinden, egal was ihre Tochter wollte. „Ihre Tochter kann doch mit kommen“, warf Pablo ein und sah zu dem Mädchen. Sie war still und er merkte, dass sie ziemlich in sich zurück gezogen war. Was war da los? Irgendwie spürte er, dass nicht alles mit ihr in Ordnung war, auch wenn es auf den ersten Blick danach aussah. Sie hatte irgendwas, er wusste nur noch nicht was. „Sie möchte aber nicht“, entgegnete Barbara und sah ihn stechend an. Es war schon fast so, dass ihr Blick totbringend war. „Sie kann es mir doch sicher selber sagen. Woher wollen Sie wissen, dass sie nicht will?“, fragte Pablo. Es war eine berechtigte Frage gewesen, die er stellte und was er nicht wusste war, dass er somit Barbara teilweise aus der Reserve lockte. Sie würde nur schwer erklären können, woher sie wusste, dass Vittoria nicht wollte, aber da sie recht gerissen war, würde ihr auch dafür etwas Einfallen, egal was. Lügen waren dabei auch kein schlecht gesehenes Mittel von ihr gewesen. Nun sah Barbara, dass Vittoria zur Antwort ansetzen wollte, indem sie ihre Mundbewegungen beobachtete, aber das hielt sie nicht davon ab, etwas zu sagen. „Meine Tochter mag diesen ganzen Rummel mit vielen Menschen nicht und weil sie sich selten traut, etwas zu sagen, wenn man ihr was vorschreibt oder ihr einen Vorschlag macht, mache ich das für sie. Ich kann verstehen, dass du sie gefragt hast, aber sie ist einfach zu schüchtern und zu lieb für diese Welt, als das sie nein sagen würde. Aber mir als Mutter hat sie sich schon vorher anvertraut und ich habe ihr versprochen, ihr zu helfen“, antwortete Barbara und ließ nun auch den Jungen nicht mehr aus den Augen. Dieser war von der Antwort so perplex, dass es schließlich wieder zurück zu den Anderen ging, sich mit diesen in Richtung Pool machte und Spaß hatte. Jenen Spaß, den Vittoria auch gerne in ihrem Leben erleben wollte, es aber nie tun würde, nicht bei dieser Mutter. „Du kannst mir danken, das hab ich doch gut hinbekommen...der Junge wird dich nun nicht mehr fragen, ob du mit ihnen etwas Machen willst“, lächelte Barbara und sah zu ihrer Tochter. Diese schien geknickt zu sein und hatte merklich eine schlechtere Laune als zuvor gehabt. „Nun schmoll nicht...du weißt doch, es ist nur zu deinem Besten“, warf sie ein. „Du hättest es mir ruhig erlauben können, ich wäre immerhin in deinem Blickfeld und du würdest die ganze Zeit sehen können, was ich tun würde“, entgegnete Vittoria leicht gehässig. Es gab ihr den Rest, selbst in einer solch perfekten Welt für ihre Mutter, fand sie immer noch etwas, womit sie ihre Tochter quälen konnte. Dabei hatte Vittoria recht gehabt, so hätte es theoretisch gehen können. Sie wäre wirklich die ganze Zeit über im Blick ihrer Mutter gewesen, aber für die war es dennoch gefährlich gewesen. Es hätte schließlich im oder am Pool etwas Passieren können, Vittoria konnte zwar schwimmen, aber es gab dennoch Tücken und Listen. „Du weißt ganz genau, was ich davon halte und wie ich zu dem ganzen Thema stehe“, warf Barbara ein. Sie zog ihre Tochter leicht zur Seite, es sollte schließlich keiner mit anhören, dass sich die zwei stritten. „Barbara...wir müssen reden“, sprach Jules. Er war nach langem Nachdenken nun doch noch her gekommen und ihm war es egal, was Barbara erzählte. Vielleicht war er ja sogar auf einer Geschäftsreise gewesen, bei seiner Frau konnte man wirklich nie wissen. „Jules...du hier? Was willst du hier?“, fragte sie leise nach. Die Katastrophe, das war wirklich eine Katastrophe gewesen. Vittoria konnte man ja nicht unter Kontrolle halten und Jules eigentlich auch. Sie hoffte, dass er wie immer wäre und in der Öffentlichkeit versuchen würde sein Gesicht zu wahren und nicht das übliche Streitthema anschneiden würde. „Wie gesagt, wir müssen reden. Wir können das gerne hier klären oder gehen zusammen rein“, meinte Jules und sah sie an. Eigentlich wollte er es alleine mit Barbara klären, aber sobald er es gesagt hatte, blickte diese zu Vittoria. Ihm hätte bewusst sein müssen, dass sie nicht ohne ihre gemeinsame Tochter rein gehen würde, aber genau das wollte er nicht. Er wollte alleine mit ihr reden und nicht, während Vittoria dabei war. Seufzend schüttelte er den Kopf. „Gut, du musst nichts sagen“, fing er an und blickte sich zu der Menge. Wie auf Kommado hatte diese gleich zu der Kleinfamilie gesehen, keiner gab ein Zeichen, aber irgendwie hatten diese vielen Personen gespürt, dass hier etwas Großes im Anmarsch war. „Lass uns das alles doch zu Hause besprechen, in Ruhe“, schlug Barbara vor. Es behagte ihr nicht, dass die ganzen Menschen zu ihnen sahen, insbesonders ihre eigenen Eltern. „Es gibt kein zu Hause mehr, ich will die Scheidung“, platzte es aus ihm heraus. Länger hätte er es wohl nicht mehr für sich behalten könnten und was raus musste, musste raus. Es war schon viel zu lange so, er war unglücklich und das war seine ganze Familie gewesen. So konnte und wollte er nicht weiter, es ging nicht mehr. Als Vittoria das hörte, weiteten sich ihre Augen. Ihre Eltern wollten sich trennen, aus vorbei....einfach so, auch wenn es einen Grund gab und sie sich dieses schon so oft wünschte. Es war viel zu unvorbereitet gekommen und sie hatte keine Zeit gehabt, um darauf zu reagieren oder sich mit dem Thema auseinander zu setzen. „Gut, dann lassen wir uns scheiden“, meinte Barbara leise. Sie versuchte sich zu verstellen, trotz allem liebte sie ihren Mann immer noch und sie wollte es nicht so weit kommen lassen, aber seine Entscheidung schien fest zu sein, besonders da er es nun vor allen Gästen verkündete. „Gut, komm morgen, dann kannst du die Papiere unterschreiben, ich hab mich dazu entschlossen, dass wir das Trennungsjahr von einem Jahr zurück datieren lassen, dann sind wir ab morgen geschiedene Leute“, sagte Jules und sah zu Vittoria. Ihm tat seine Tochter Leid, aber dann erinnerte er sich daran, wie sie ihnen schon oft vorschlug, sich zu trennen und sie dies nie in Erwägung zogen. Er konnte sich vorstellen, wie sie sich nun fühlte und was sie wohl dachte. Als er 13 Jahre alt war, musste er auch mit ansehen, wie sich seine Eltern trennten und wie der Streit um das Sorgerecht begonnen hatte und nun würde das alles auf ihn zu kommen. „Ich werde morgen da sein, dann hast du die Unterschrift und wir sind nicht mehr Mann und Frau“, sprach Barbara. Absichtlich hatte sie die Worte Mann und Frau verwendet, sie wollte, dass er sich noch einmal daran erinnern würde, dass die zwei sich einst ewige Liebe versprachen und für immer zusammen sein wollten. Vielleicht würde sie es ja so schaffen und weiter mit ihm zusammen sein können. Eine Scheidung wollte sie nicht, aber wie konnte sie ihn davon abwenden? Langsam bröckelte ihre Fassade. Tränen füllten ihre Augen und sie versuchte diese mit der Hand weg zu wischen. Eigentlich war sie gut darin gewesen, Tränen auf Kommando kommen zu lassen und sich damit, die Gutmütigkeit ihrer Tochter zu holen, aber in diesem Fall waren die Tränen echt. Es ging Barbara wirklich Nahe, dass sich ihr Mann von ihr trennen wollte. „Können wir es nicht, noch einmal versuchen?“, bat sie ihn leise. Es war nicht ihr Stil gewesen zu kuschen oder ihn anzubetteln, aber weil sie ihn liebte, tat sie es dennoch. „Nein, Barbara, es geht nicht mehr. Sieh uns doch an, die Ehe ist kaputt, du hast sie mit Füßen getreten, es hat keinen Sinn mehr, es noch zu versuchen. Wir haben uns auseinander gelebt, dir sind andere Dinge wichtiger. Diesmal ist es zu spät, es ist endgültig“, meinte er ein wenig hart. „Jules....nein tu das nicht, wir...wir haben so viel durchgemacht“, warf sie ein und stand von ihrem Platz auf. Sie konnte, sie durfte ihn nicht so gehen lassen, nicht ohne es nicht versucht zu haben. „Ich liebe dich“, sagte Barbara leise, dennoch laut genug, damit er sie hören konnte. „Ich liebe dich auch...aber es geht nicht mehr...du machst uns alle kaputt. So kann keiner von uns weiterleben“, entgegnete Jules. Nein, er durfte sich nicht wieder von ihr einlullen lassen, auch wenn er sie liebte, er musste hart sein und es durchziehen. „Aber Jules...ich kann mich ändern“, versprach Barbara. Sie meinte es sogar ehrlich, aber es war zu viel passiert, was die letzten Jahre vergessen lassen würde. „Das hast du schon so oft versprochen. Ich kann einfach nicht mehr, das Fass ist voll“, er musste standhaft bleiben und durfte nicht wieder einbrechen, nicht diesmal, wo es nicht nur um ihn ging. „Barbara, ich habe mich entschieden. Außerdem fordere ich das alleinige Sorgerecht für Vittoria“, fügte Jules sogleich hinzu. „Das kannst du nicht machen, ich werde dagegen ankämpfen, du nimmst sie mir nicht weg“, zischte seine Frau. Nun war sie wütend gewesen und auch wenn sie ihn liebte, ihre Tochter würde er ihr nicht weg nehmen. „Und ob ich das kann. Ich hab schon viel zu lange zu gesehen, was du ihr angetan hast. Sie wird bei mir endlich ein normales Leben führen können, ihre eigenen Entscheidungen treffen und nach draußen wann und mit wem sie will. Du sperrst sie nicht weiter zu Hause ein, nur weil du Angst hast, dass sie sich verletzt oder dass du sie verlierst, wenn sie Freunde findet“, sprach Jules wütend und unabsichtlich laut aus. Nun hatten es fast alle der Gäste gehört und die die es nicht taten, die haben es von den Anderen erfahren. Und dennoch ihm war es egal gewesen. „Da sie fast volljährig ist, wird das Gericht ihre Meinung wissen wollen und ich bin mir zu 100% sicher, dass sie sagen wird, dass sie bei mir bleiben will. Natürlich wirst du das Besuchsrecht erhalten, aber bei dir bleiben wird sie nie wieder, dafür werde ich sorgen. Auch wenn es hart klingt, aber du hast es dir selbst zuzuschreiben und für Vittoria ist es das Beste“, erklärte Jules und sah zu seiner Tochter. „Komm Spätzchen, wir gehen nach Hause“, lächelte er ein wenig. Wenigstens konnte er, mit der Scheidung, ein Menschenleben retten. „Ja, Papa“, nickte Vittoria. Sie konnte gar nichts anderes mehr sagen. Vielleicht war es einfach besser so und ein Leben nur mit ihrem Vater stellte sie sich viel unkomplizierter vor, als mit ihrer Mutter alleine zu sein. Es war das Beste für sie gewesen. Langsam stand sie auf. Jules drehte den Rücken zu Barbara hin und ging los. Er würde seiner Tochter keine Vorschriften machen, ob sie nun ihrer Mutter noch Trost spenden würde, bleiben würde und mit den Anderen etwas Unternahm oder ob sie mit ihm kommen würde. „Es tut mir Leid, dass es so enden musste, Barbara“, murmelte er leise, dem Wind entgegen. Kurz blieb er stehen, dann aber ging er weiter. „Jules...nein, das kannst du nicht machen. Du darfst sie mir nicht weg nehmen. Ich kann so nicht leben, bitte tu das nicht“, flehte sie ihn an. Die Tränen rannten ihr nun an den Wangen nieder und sie fing an zu zittern. Alleine und einsam. Dabei hatte sie es doch nur gut gemeint und wollte ihrer Tochter nichts böses. „Tu das nicht...nicht vor Hunderten von Gästen“, schrie sie ihm nach. Es war eine Schmach für sie gewesen und eine Qual zu wissen, dass sie ihre Tochter nicht mehr sehen würde. Das durfte nicht sein. Jules aber antwortete nicht, er hatte sich entschieden und stand dazu. Lange genug, ließ er sich von ihr auf der Nase rumtanzen, viel zu lange hatte er das alles einfach nur mit angesehen und nichts getan. Diesmal würde er nicht einknicken, egal was sie tun würde. Heute würde er hart bleiben und mit seinem Handeln ein Zeichen gesetzt haben. „Danke, Papa“, murmelte Vittoria leise. Sie war ihm hinterher gegangen und hielt anschließend seine Hand fest, so wie sie es immer bei ihrer Mutter tun musste und selten bei ihrem Vater tat. Vittoria war glücklich gewesen, dass erste Mal in ihrem Leben. Sie würde das tun können, was sie immer wollte, zwar musste sie sicher ihren Vater um Erlaubnis bitten, aber er würde einsichtiger sein und nicht das tun, was ihre Mutter tat. Nun war es vorbei gewesen und ein neuer Abschnitt in ihrem Leben begann. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)