The Exam Called Life von Aranori ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Elmo Sputtersparks Alltag in der St. Canard High School war seit dem Tag, an dem er zum ersten Mal einen Fuß in die Schule gesetzt hatte, von Demütigungen und Torturen geprägt gewesen. Als leidenschaftlicher Naturwissenschaftler hatte er zwar immer die Aufmerksamkeit seiner Mitschüler auf sich gezogen, aber stets in negativer Hinsicht. Tagtäglich musste er die Kommentare der anderen ertragen, die ihn als „Streber“ und „Freak“ bezeichneten – an ihren freundlicheren Tagen. In den Pausen auf dem Flur musste er ständig aufpassen, wo er hintrat und hinschaute, denn so gut wie alles war Anlass genug, ihn durch die Gegend zu schubsen oder ihn zu beschimpfen. Als Junge hatte Elmo ein noch schwereres Los gezogen als Eleanor, denn sowohl das weibliche als auch das männliche Geschlecht (und gerade letzteres) gingen permanent auf ihn los. Mindestens einmal am Tag landete er mit dem Kopf voran in einer beliebigen Mülltonne oder sein Gesicht wurde - meist mithilfe des ein oder anderen Fußes - gezwungen, Bekanntschaft mit dem gekachelten Boden zu machen. Die größte Angriffsfläche bot aber Elmos Aussehen: er war nicht sehr groß gewachsen, hatte aber umso größere Hände und Füße, seine Gesichtsfarbe tendierte zu grau und die Unsicherheit stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Dürr“ war für die Bezeichnung seiner Körperstatur noch ein Kompliment, und sein Kleidungsstil war mehr als gewöhnungsbedürftig, sah er doch mehr wie ein Bänkerlehrling oder ein Wirtschaftsstudent (mit – wohlgemerkt – schlecht sitzender und farblich unmöglich aufeinander abgestimmter Kleidung) als wie ein Schüler aus. Und seine Haare ... die waren in seinen Augen eine einzige Katastrophe. Sie waren schulterlang, dunkelbraun und so ungehorsam, dass es ihm nie gelang, sie zu bändigen. Davon abgesehen machte sich Elmo nicht viel aus seinem Erscheinungsbild, war sich aber gleichzeitig bewusst, dass es ihm zumindest bis ans Ende seiner Schulzeit Spott und Häme bescheren würde. Er hatte allerdings auch keine Lust, jetzt noch etwas daran zu ändern; er hatte sich an seinen Status bei den Mitschülern gewöhnt. Und plötzlich, ganz unerwartet, war da dieses Mädchen aufgetaucht. Eleanor war ihr Name, und sie schien dasselbe Leid ertragen zu müssen wie er. Tatsächlich hatte er schon mehrmals persönlich mitbekommen, wie sie von anderen Mädchen psychisch fertig gemacht worden war - und in der Beziehung war Elmo froh, kein Mädchen zu sein. Mädchen konnten wahnsinnig grausam sein. Er hatte sich damals geschämt, sich nicht für sie eingesetzt und sie verteidigt zu haben. Aber insgeheim hatte er gespürt, dass jeder von ihnen seinen stummen Kampf allein austragen musste. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Nun hatte er sie offiziell kennen gelernt und sie auf Anhieb sympathisch gefunden. Sie machte sich nicht über ihn lustig, hatte einen enormen Intellekt und dieselben Interessen wie er. Elmo und Eleanor hatten sich nach Physik in der großen Pause ganz wunderbar unterhalten, und er genoss es, endlich mit einer Person sprechen zu können, die mit ihm auf einer Wellenlänge war. Als er an diesem Nachmittag nach Hause ging, war er bester Laune. Elmo konnte sich durchaus vorstellen, dass zwischen den beiden eine Freundschaft entstehen konnte. *~*~* Auch Eleanor ging es ganz vorzüglich, als sie sich daheim auf ihr Bett fallen und den Tag Revue passieren ließ. Alles lief wie gedacht. Die Mädels auszuhorchen war einfacher gewesen, als sie gedacht hatte. Und Elmo getroffen zu haben, war bestimmt kein dummer Zufall gewesen. Es hatte ihren Tag perfekt gemacht, denn sie und er waren Seelenverwandte. Da gab es überhaupt keinen Zweifel. Aber sie wollte ihn nicht in ihren Plan einspannen. Da musste sie ganz alleine durch. Und der nächste Schritt war bereits getan. Kurz vor Schulschluss hatte ein quietschbunter Zettel am schwarzen Brett Eleanors Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Er hatte für die Cheerleader der Schule geworben und verkündet, dass das Vortanzen für die Bewerber in 6 Wochen stattfinden würde. Eleanor hatte nicht lange gezögert und ihren Namen auf die Anmeldeliste geschrieben. Das Auswahlkomitee würde einen Koller bekommen, allen voran Preena, die Vorsitzende war. Aber sie waren dazu verpflichtet, allen Teilnehmerinnen dieselbe Chance einzuräumen, denn das Vortanzen und die Trainings wurden betreut. Wenn Preena also ein krummes Ding drehen wollte, würde es einer der Lehrer mitbekommen. Ein zufriedenes Grinsen stahl sich auf Eleanors Gesicht. Sie wusste, dass es ein langer und steiniger Weg werden würde. Sie besaß so gut wie keine Kondition, von gymnastischem Talent gar nicht zu sprechen, und sie hatte ungefähr die Grazie eines fußkranken Giraffe. Aber das Gegenteil war erlernbar, und wenn es etwas gab, was Eleanor beherrschte, dann war es das Aneignen von Fähigkeiten durch theoretisches Wissen. Sie holte ihren Notizblock hervor und breitete die Blätter vor sich aus. Sie schob sie hin und her, sodass sich unterscheiden ließ zwischen den einzelnen Aufgaben und den Anwendungsgebieten. Eleanor hatte eine Menge Arbeit vor sich: sie musste lernen, wie man sich schminkte und das Beste aus seinen Haaren herausholte, neue Klamotten kaufen, ihre Kondition trainieren und gymnastische Übungen machen und das tun, wovor sie sich am meisten fürchtete: flirten üben. Das hatte sie noch nie gemacht und sie verstand das Konzept auch nicht wirklich. Wenn ihr jemand ein Kompliment machte (was selten genug vorkam), wusste sie nicht viel damit anzufangen. Und nun sollte sie den Spieß umdrehen. Aber es brachte nichts, sich bereits jetzt um den Ausgang der Aktion zu sorgen. Sie war ihnen intellektuell allen überlegen, und solange sie auch so handelte, war Eleanor auf der Gewinnerseite. Sie ging hinüber zu ihren Kommoden, zog die Schubladen auf und hob ihre gesamte Wäsche auf einmal heraus. Sie ließ sie auf den Boden fallen und begutachtete sie argwöhnisch. In gewisser Weise hatten die Mädchen ja Recht: Eleanor konnte es sich so langsam angewöhnen, etwas modischer herumzulaufen. Nicht mehr so prüde und hochgeschlossen, nein: sexy, aber nicht zu freizügig. Sie sortierte sorgfältig alles aus, was nicht in ihr neues Schema passte. Was übrig blieb, war ein kleiner Haufen einfarbiger Shirts und ein Kleid, das sie von ihrer Großmutter geerbt hatte. Und auch wenn dieses Kleidungsstück älter war als Eleanor selbst, gefiel es ihr sehr: es war schwarz, mit weißen Polkadots, knielang und wurde im Nacken mit einer Schleiße verschlossen. Sie hatte es bisher noch nie getragen, freute sich aber umso mehr auf die Premiere. Nach dieser Ausmistungsaktion stand Eleanor vor der letzten Schublade, deren Inhalt sie sich bis zum Ende hatte aufsparen wollen: ihre Unterwäsche. Sie atmete tief ein und entleerte die Schublade ebenfalls auf den Boden. Es war schwierig für Eleanor, sich mit diesen Kleidungsstücken auseinanderzusetzen, da sie in direktem Bezug zu ihrem Körper standen - und sie hatte ein ziemlich angespanntes Verhältnis zu selbigem. Er hatte sich lange Zeit gelassen, ehe er beschlossen hatte, dass es an der Zeit war, sich zu verändern. Eleanor konnte sich gut daran erinnern, dass sie die anderen Mädchen in der Umkleide immer beneidet hatte angesichts ihres unterentwickelten Körpers. Sie hatten gejammert, wenn ihre Tage sie wieder heimgesucht hatten, stolz ihre neuen BHs herumgezeigt oder auch die eine oder andere auffällige kleine Tablette. Eleanor hatte bei all dem nicht mitreden können und war wie immer die Außenseiterin gewesen. Doch von einem Tag auf den anderen hatte alles begonnen, sich zu verändern. Als Eleanors Körper aus seinem 16-jährigen Winterschlaf erwacht war, hatte er sofort damit angefangen, reichlich Östrogene für den Rest ihres Leben zu produzieren. Es war, als hätte Eleanors körperlich erwachsenes Ich nur in einem Kokon darauf gewartet, mit einem möglichst imposanten Auftritt ausschlüpfen zu dürfen. Das zierliche, schlaksige Mädchen hatte zunächst um den Hüftbereich Kontur angenommen. Ihre Taille hatte sich herausgebildet und einen interessanten Kurvenverlauf hinterlassen, der mit ihren Beinen harmonierte. Eleanors Rücken, der im Kindesalter eine ungesunde Krümmung vorgewiesen hatte, hatte sich begradigt. Die leicht geschwungene Linie ihrer Wirbelsäule ließ ihren Hintern leicht, aber nicht aufdringlich, hervortreten. Er war klein, hatte aber das, was die Mädchen in ihrem Jahrgang als erstrebenswerte „Apfelform“ bezeichneten. So seltsam weiblich das alles schon war, die meiste Sorge hatte ihr der Bereich zwischen Bauch und Hals bereitet – und er tat es immer noch. Manchmal hatte Eleanor das Gefühl, es wohne ein Monster in ihrer Brust, das versuchte, sich einen Weg nach draußen zu boxen. Und das Monster hatte im vergangenen Jahr ganze Arbeit geleistet. Es war unheimlich und ekelerregend mit anzusehen, wie das Wachstum ihres Busens voranschritt. Er war nicht riesig, aber er hatte mittlerweile trotzdem eine recht üppige Größe erreicht. Die arme Eleanor kam mit dem Kauf neuer BHs gar nicht mehr hinterher und vor dem Sportunterricht beeilte sie sich stets, eine der Ersten zu sein, die umgezogen waren. Sie wusste genau, dass sie sonst den Mittelpunkt ausmachen würde, und das wollte sie um jeden Preis vermeiden. Deshalb trug sie immer und überall etwas weitere Klamotten, damit niemand auf die Idee kam, sie auf ihre Figur anzusprechen. Es war für sie furchtbar schwer zu begreifen, dass sie kein Kind mehr war, sondern eine Frau – noch dazu eine, die einen Körper besaß, der dem eines Models würdig war. Aber es nützte alles nichts. So sehr Eleanor ihren Körper verabscheute: sie musste lernen, ihn von nun an zu ihren Gunsten einzusetzen. Auch wenn das bedeutete, dass sie sich erst mal in Gefilde begeben musste, die weit unter ihrem Niveau lagen. Eleanor ließ also auch bei ihrer Unterwäsche keine Gnade walten und legte alles beiseite, was ihr nicht mädchenhaft genug erschien. Die aussortierten Klamotten packte sie allesamt in eine Kiste, die sie sicher unter ihrem Bett verstaute. Wie befreiend es war, sein altes Leben hinter sich zu lassen. *~*~* Elmo saß an seinem Schreibtisch und brütete über den Hausaufgaben. Es war schon lange nicht mehr passiert, dass er ein physikalisches Problem nicht auf Anhieb lösen konnte. Wenn er genauer nachdachte, war das noch nie der Fall gewesen. Er legte den Stift beiseite, lehnte sich zurück und schaute aus dem Fenster. Was war es nur, das so sehr an seinen Nerven nagte, dass er nicht mehr in geraden Bahnen denken konnte? Hamilton String, dessen Lieblingsopfer er war, war heute ausgesprochen mild zu ihm gewesen. Vielleicht hatte er einfach seinen gönnerhaften Tag gehabt. Vielleicht hatte es aber auch daran gelegen, dass er und Preena sich in der Mittagspause in die Haare gekriegt hatten. Weswegen sie sich gestritten hatten, wusste Elmo nicht. Es ging ihn schließlich nichts an. Außerdem hatte er über die Jahre gelernt, in Bezug auf die beiden seine Ohren auf Durchzug zu stellen. So bekam er einerseits die ständigen Streitereien nicht mit und andererseits prallten somit auch die ganzen Beleidigungen an ihm ab. - Nein, seine Zerstreutheit hatte einen anderen Grund. War es vielleicht so etwas wie aufkommende Prüfungsangst? Es dauerte zwar noch ewig bis zu den Abschlussklausuren, aber könnte es nicht sein, dass ihm das zu schaffen machte? „Blödsinn!“, protestierte die kleine Stimme in Elmos Kopf, die ihn ein ums andere Mal zurechtwies, wenn er zweifelte. „Du wirst alle Prüfungen mit Bravour bestehen und im schönsten Falle noch als bester Schüler, den diese Bildungsanstalt je hatte, in die Schulchroniken eingehen!“ So überheblich das klang: Elmo musste der Stimme Recht geben. Er würde mit einer gegen Null strebenden Wahrscheinlichkeit scheitern. Er begab sich mitsamt seines Hockers zum Fenster und blickte hinunter auf die Straße. Nichts los, wie immer. Doch, Moment – was war das? Da kam jemand gelaufen – nein gejoggt. Und irgendwie hatte Elmo das Gefühl, die Person zu kennen. Als sie sich nahe genug heranbewegt hatte, sah er, dass es Eleanor war. Er erschrak und wich augenblicklich vom Fenster zurück. Wusste sie, dass er hier wohnte? Er riskierte einen Blick nach draußen. Sie schien das Haus nicht weiter zu beachten, sondern joggte einfach weiter. Ihre Schritte federten ziemlich stark, wahrscheinlich widmete sie sich dieser sportlichen Betätigung nicht allzu oft. Elmo atmete erleichtert aus, erwischte sich aber dabei, dass er ihr hinterhersah, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)