Das Feuer Eos von abgemeldet (...Hamburg, 1890...) ================================================================================ Kapitel 2: ----------- 15.6.1890 „Erzähl mir von deiner neuen Anstellung. Gefällt es dir, endlich ehrlich in Lohn und Brot zu stehen?“ Nur ein belustigtes Funkeln in Rodrigos nahezu schwarzen Augen verriet den Schalk hinter seiner Bemerkung, während er Bela neugierig ansah. Sie hatten sich erneut in einem von Rodrigos zahlreichen, über die Stadt verteilten „Büros,“ wie er seine kriminellen Quartiere augenzwinkernd selbst nannte, getroffen. Bela wartete einen Moment mit der Antwort, streckte sich auf seiner mit Gold und zahlreichen Bommeln verzierten Rokoko-Chaiselongue und nippte bedächtig an seinem Drink. „Ich denke darüber nach, mir endlich ein rechtschaffenes Leben zuzulegen. Du wirst es kaum glauben, aber die Valet-Dienste liegen mir. Hemden einordnen, Korrespondenz erledigen, Tee und Gebäck reichen, Stiefel putzen, Bankgeschäfte vorbereiten, die Kutsche rufen... So lässt es sich auch leben, Rod,“ sagte er schließlich todernst. González sah ihn prüfend an, dann brachen sie beide in lautes Lachen aus. „So, und nun die Wahrheit,“ verlangte Rodrigo. „Na schön, ich finde es furchtbar,“ sagte der Dieb, während er, nach wie vor lachend, den Kopf schüttelte. „Aber keine Sorge, du musst dir keinen anderen Meisterdieb heranzüchten. Dafür ist dieser Auftrag viel zu reizvoll.“ Er ließ amüsiert seine Augen durch den Raum schweifen. „Eines muss ich dem Botschafter allerdings lassen...“ „Was denn?“ Rodrigo richtete sich aufmerksam auf und legte einen Stapel Papier und einen Füllfederhalter vor sich auf den reich verzierten Sekretär, wohl in der Erwartung, dass sie zum geschäftlichen Teil des Abends übergehen würden. „Er hat einen nicht ganz so teuren Geschmack wie du.“ „Mein Lieber, glaube mir, ich habe für kein einziges Möbel in diesem Raum bezahlt.“ Rodrigos Augen leuchteten stolz, während er auf das aufwendig mit Schnitzarbeiten dekorierte Buffet zeigte: „ein Geschenk unserer Freunde aus Italien. Die Cosa Nostra vergisst nicht, wenn man der Familie einen Dienst erwiesen hat. – Oder dort,“ er zeigte auf die Sitzgruppe, zu der Belas Chaiselongue, sowie ein dazu passender Tisch und zwei kleinere Sessel zählten, „die sind vom ‚verschwundenen’ Frachter Marie-Claire, unterwegs von Frankreich hierher nach Hamburg. Mittlerweile fährt sie unter dem Namen ‚Herzogin Diane’ unter deutscher Flagge, drei Mal darfst du raten, wer Haupteigentümer ist. Glaube mir, mein Geschmack ist nur teuer für Leute, die dumm genug sind, dafür Geld auszugeben.“ Bela blickte ihn spöttisch an und hob sein Glas. „Eigentlich spielte ich nur wieder auf deinen Brandy an.“ Der dunkelhaarige Chilene lachte und hob gleichfalls sein Glas. „Touché, mein Freund. Und nun erzähle mir vom Botschafter und seinem Haus.“ „Nun gut,“ Bela setzte sich gerade auf und stellte seinen Brandy ab. Zeit für das Geschäft. „Der Botschafter hat, mit mir, einen Dienerstab von acht Personen, die auf dem Gelände wohnen. Im Haus wohnen ich selbst, Ames, der englische Butler, obendrein Mary, die dicke Köchin, Katharina, das Küchenmädchen und zwei Haushilfen; Thea und Susanne. Außerdem gibt es Robert, den Kutscher, und Lukas, den Pferdeknecht, die ihre Räume hinter’m Stall, in der Nähe der Pferde haben. Hinzu kommen einige Gelegenheitsarbeiter; Gärtner, Stallburschen und Aushilfen, die mehrmals die Woche vorbeikommen, sowie diverse zusätzliche Bedienstete, die nach Bedarf eingestellt werden, falls Gäste erwartet werden. So wird es auch wieder sein, wenn die Crowleys kommen, Lord Farin wird in der Zeit mindestens fünf zusätzliche Hausdiener haben.“ Rodrigo schrieb in aller Ruhe einige Stichworte auf das Blatt Papier, das er vor sich liegen hatte. „Das kann nur zu unserem Vorteil gereichen,“ sagte er dann. „Mehr potentielle Verdächtige, die sicherlich genauer von unserer ehrenwerten, aber unfähigen Polizei unter die Lupe genommen werden als der treue Valet.“ „Der Gedanke kam mir auch bereits,“ antwortete Bela. „Zurück zu den festen Bediensteten. Mit den männlichen Angestellten komme ich mittlerweile hervorragend aus. Abendliches Kartenspielen und häufiges Verlieren hat sich als sehr praktisch erwiesen. So zahle ich die Getränke, während die Herren Hausdiener sich als äußerst ergiebige Informationsquellen erwiesen haben. Billigere – und ergiebigere – Spione hattest du selten, mein Lieber.“ Der Chilene lächelte und nickte seine Zustimmung. „Da magst du Recht haben. Wie sieht es denn mit dem Herrn des Hauses aus?“ „Lord Farin ist freundlich zu seinen Dienern. Er ist allerdings allgemein ein sehr auf Regelmäßigkeit bedachter Mensch und kann durchaus streng sein, wenn er der Meinung ist, dass sein Tagesablauf durch die Unachtsamkeiten seiner Angestellten gestört wird. Morgens steht er vor Sonnenaufgang auf, nimmt das Frühstück in der Bibliothek ein, während er sich die Zeitung zu Gemüte führt und bricht anschließend, gegen acht Uhr, zur Botschaft auf, wo er auch in der Mittagspause verweilt. Gegen sechs Uhr am Abend kommt er zurück, dann wechselt er seine Kleidung und legt Wert darauf, dass das Abendessen – er isst selten warm, außer wenn Gäste kommen – zu seiner freien Verfügung steht, wann immer ihm danach ist. Meist isst er jedoch erst gegen halb Acht und zieht sich vorher etwa eine Stunde lang in die Bibliothek zurück. Ein paar Mal musste ich ihn bereits daran erinnern, dass er noch nicht gegessen hatte, weil er so sehr in ein Buch vertieft war.“ Bela schwieg einen Augenblick, ein vages Lächeln auf den Lippen. Er konnte sich nicht helfen, er mochte diese seltsame Leseleidenschaft Lord Farins. Er hatte sich sogar schon dabei ertappt, wie er ihn heimlich beobachtete – die lange Gestalt aufgerollt in seinem Lesesessel, mit einer dampfenden Kanne Tee – darin war er tatsächlich sehr englisch – neben sich und einem Wälzer auf dem Schoß. Alles, weil er die Gewohnheiten des Botschafters auskundschaften musste, redete er sich ein. Er wechselte schnell das Thema. „Nun, jedenfalls laufen die Vorbereitungen für den Besuch der Crowleys auf Hochtouren. Meine Verlobte hat mir erzählt...“ Entgeistert unterbrach Rod ihn. „Moment, deine was?“ Ein leichtes Lächeln umspielte Belas Lippen, er hatte seinen Arbeitgeber durchaus ein wenig schockieren wollen. „Meine Verlobte. Katharina, das Küchenmädchen. Es gibt keine bessere Methode, jemanden unwissentlich als Spion für sich arbeiten zu lassen. Die Liebe macht nicht nur blind, sondern auch redefreudig und glücklich...“ González schüttelte amüsiert den Kopf. „Eines Tages wirst du zu weit gehen, Bela...“ Der Angesprochene sah ihn aus funkelnden Augen an. „Du heuerst mich doch nur an, weil ich immer weiter als Andere gehe, Rod...“ „Da magst du Recht haben. Nun, sieh zu, dass du das arme Mädchen nicht um den Verstand bringst.“ „Keine Sorge, sie ist ein launisches junges Ding, hoffnungslos verliebt, aber ich nehme an, das wird spätestens vorbei sein, wenn ihr der nächstreichere Herr schöne Augen macht. Sie ist zwar Küchenhilfe von Beruf, aber Prinzesschen im Anspruch. Spätestens, wenn ich ihr keine neuen Kleider mehr kaufe, wird sie schnell über mich hinweg sein.“ „Nun gut, ich helfe dir hoffen. Falls du einen Auftragsmörder suchst um sie loszuwerden, komm bitte nicht zu mir.“ „Keine Sorge,“ lachte Bela, „das erledige ich schon selbst. Also, das loswerden, nicht das Umbringen, ich denke, das wird nicht nötig sein.“ Er wurde wieder ernst. „Nun, jedenfalls hat mir die liebreizende Katharina bei einem unserer romantischen Spaziergänge erzählt, dass ab nächster Woche der Ostflügel für die Crowleys renoviert werden soll. Lord und Lady Crowley sind, so flüsterte sie mir, ziemlich anstrengend, Lord Farin ist wohl auch dieser Meinung, gibt aber bislang ihren Wünschen statt. Unter anderem sollen alle Türen neue Schlösser bekommen, deren Schlüssel ausschließlich ihnen selbst und ihren vertrauenswürdigen Dienern zur Verfügung gestellt werden sollen. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn die Handwerker völlig ausversehen ein paar zusätzliche Schlüssel für die neuen Schlafzimmertüren herstellen und bei dir deponieren könnten.“ Rodrigo lächelte, während er seinen Füllfederhalter in das Tintenfass tauchte und sich eine weitere Notiz machte. „Keine Sorge. Du sollst deine Schlüssel bekommen. Auch wenn ich mich frage, ob der Auftrag damit nicht viel zu einfach für den schnell gelangweilten Bela B. werden wird...“ Bela unterdrückte ein Seufzen. Nein, einfach würde es nicht werden. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er einen Diebstahl plante. Nicht etwa, dass er Lady Crowley bestehlen würde belastete ihn; er blieb dabei, sie hatte mehr als genug Geld. Nein, was ihn störte, war, dass er den grundehrlichen Botschafter, der so vertraulich und freundlich mit ihm und dem Rest seiner Dienerschaft umsprang, da mit hineinziehen würde. Er war schon des Öfteren in verschiedenste Rollen geschlüpft, um einen Diebstahl besser planen und ausführen zu können; er hatte Frauen und Männer verführt, Bedienstete bestochen, Verdachte abgelenkt und alle Brücken hinter sich abgebrannt. Warum sollte es diesmal anders sein, sagte er sich wieder und wieder, und fand keine Antwort darauf, warum das fahrige Gefühl nicht weichen wollte. - TBC - --- Vielen Dank bis hier her all euch fleißigen Kommentierern - ich lese alles und freu mich wie ein Honigkuchenpferd, werde regelmäßig rot und habe ein albernes Grinsen im Gesicht, das Farin zur Ehre gereichen würde. Ich sollte euch auch mal persönlich danken, aber momentan geht jede Minute, die nicht von der Migräne (verdammtes Scheißwetter!) bestimmt ist, fürs schreiben drauf. Trotzdem, vieeeelen Dank, ihr Lieben!! Und ja, die Tage hole ich das nach, wirklich. XD Und noch eine kleine historische Anmerkung, weil ich mir selbst unsicher war: Chile gab es tatsächlich schon eine ganze Weile, von daher kann ich Rod ohne Weiteres "Den Chilenen" nennen. Übrigens: das Land hat - auch lange vor Pinochet - eine verdammt interessante - und leider sehr blutige - Geschichte. Ich muss mich da mal mehr rein vertiefen. In diesem Sinne: La resistencia vencerá. La junta cairá! ;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)