Das Feuer Eos von abgemeldet (...Hamburg, 1890...) ================================================================================ Kapitel 6: ----------- 22. August 1890 Bela lag auf dem Bett in seiner Kammer und genoss einen seltenen Moment der Ruhe. Seit Lord und Lady Crowley vor zwei Tagen endlich angekommen waren, glich Lord Farins Haus einem einzigen Hexenkessel. Ein nicht abreißen wollender Strom von Journalisten schellte zu Zeit und zu Unzeit am Eingangstor, Schmuckverkäufer verlangten die Gräfin zu sprechen, Schneider boten Hochzeitsanzüge an, Rosenverkäufer wollten das Haus verschönern und unzählige Bittsteller störten die würdige Ruhe, die ehemals im Botschafterwohnsitz im Binnenalsterviertel geherrscht hatte. An ihm und Butler Ames war es nun, sie alle abzuweisen, ohne dass sie das Grafenpaar oder den Botschafter in ihren Tagesabläufen stören würden. Bela mutmaßte, dass sie alle nicht einmal so sehr auf das Geld der Crowleys aus waren, sondern heimlich auf einen einzigen Blick auf „Das Feuer Eos“ hofften, jenem unglaublich wertvollem Diamanten, dem jede norddeutsche Zeitung in den letzten Wochen täglich mindestens einen Artikel gewidmet hatte. Jenem Diamanten, den er, Bela stehlen würde. Die Voraussicht, endlich wieder seiner Berufung nachgehen zu können, heiterte ihn auf. Die vergangenen Tage hatte er damit verbracht, in jeder freien Minute an seinem Plan zu feilen, die Gegebenheiten auszukundschaften, alle Möglichkeiten und eventuellen Probleme im Kopf durchzugehen, so dass ihn nichts unvorbereitet treffen würde. Erfahren wie er war, wusste er, dass es im Zuge seiner kriminellen Aktivitäten immer zu Unwägbarkeiten kommen konnte. Seinen Plan hatte er dementsprechend grobmaschig geknüpft, mit genügend Spielraum für spontane Veränderungen, die den Nervenkitzel, den er so sehr liebte wie er ihn brauchte, nur verstärken würden. Rodrigo hatte ihm versprochen, alle notwendigen Gerätschaften am morgigen Tag persönlich vorbeizubringen. Die unzähligen Bittsteller würden ihnen somit doch noch einen Dienst erweisen; durch die hühnerstallgleichen Verhältnisse im Botschafterhaus konnte González ungestört selbst das Haus betreten. Bela nickte zufrieden – ja, die Crowleys waren unsympathisch genug, dass es ihm eine helle Freude sein würde, sie zu bestehlen, der persönliche Juwelenwachmann war ähnlich arrogant wie seine Arbeitgeber und mit der Zeit hatte er sich davon zu überzeugen gesucht, dass Lord Farin sicherlich keinen direkten Schaden nehmen würde. Sein Ruf, sicherlich – aber seine Position als Botschafter war relativ sicher und seit der Spionage-Sache war Bela sicher, dass Farin kaum Wert auf Ansehen legte. Zumindest redete er sich das ein. Lord Farin. Ja, das war sein Stolperstein. Er versuchte, zu tun, als könne der blonde Botschafter ihn nicht treffen, als sei er einfach einer dieser vielen Menschen, die er kennen lernte, für seine Zwecke benutzte und fallen ließ. Nur war es nicht wahr. Lord Farin sah unendlich müde und verletzlich aus in den letzten Tagen und Bela wollte nichts anderes, als ihn festzuhalten. Oder vielleicht mit ihm das nächstbeste Schiff zu kapern und mit ihm um die Welt zu segeln, der Sonne, dem Wind und den Wellen hinterher, so lange, bis das unbeschwerte Lachen nie wieder aus dem Gesicht des blonden Briten weichen würde. Romantischer Tor, schalt er sich, und wollte gerade aufstehen und sich wieder an die Arbeit begeben – es war beinahe Zeit für Lord Farins abendlichen Tee - als es an der Tür klopfte. „Herein,“ bat er erstaunt, froh darum, dass er noch keinerlei kompromittierende Gegenstände in seinem Zimmer gab. Die Tür öffnete sich, im Türrahmen stand Katharina. Er seufzte innerlich, während er ein freundliches Lächeln, das seine Augen nicht berührte, aufsetzte. Er brauchte sie noch – und eigentlich war sie kein schlechtes Mädchen, ein bisschen Freundlichkeit konnte also nicht schaden. „Hallo Katharina, meine Liebe. Du siehst bezaubernd aus.“ Das stimmte sogar – ihre rehbraunen Augen und die braunen Haare kontrastierten wunderbar mit dem dunkelroten Kleid, das er ihr gekauft hatte und das sie in ihrer Freizeit bevorzugt zu tragen schien. Er winkte sie herein und klopfte einladend neben sich auf das Bett. „Was kann ich für dich tun?“ „Hallo Dirk,“ zögerlich kam sie herein und setzte sich nervös auf die Bettkante. Er hatte schon des Öfteren beobachtet, wie unbehaglich sie sich in seiner Gegenwart nach wie vor meistens zu fühlen schien, um so mehr wunderte er sich immer wieder, wie unhinterfragt sie ihm vor fast drei Monaten strahlend um den Hals gefallen war, als er um ihre Hand angehalten hatte. Sie starrte eine Weile auf ihre feingliedrigen, von der harten Küchenarbeit schwieligen Hände, dann sah sie auf und ihm in die Augen. „Liebst du mich eigentlich?“ fragte sie, geradeheraus. Die Frage überraschte ihn, so sehr, dass er sie nicht direkt belügen wollte. Stattdessen nahm er ihre Hand, strich über ihre Wange, küsste sie zärtlich, ohne aufdringlich sein zu wollen und war überrascht, als sie von sich aus den Kuss vertiefte und ihre zierliche Hand seinen Oberschenkel hinaufwanderte. Er erschrak – er mochte Katharina, irgendwie, aber der Gedanke an Beischlaf mit ihr drehte ihm den Magen um. Sie war mehr wie eine kleine, naive Schwester – die er obendrein nach Strich und Faden ausnutzte. Doch er brauchte sie für die Ausführung seines Plans – er musste sich über seine Bedenken hinwegsetzen und sie bei Laune halten, wenigstens noch einige Tage. Vorsichtig brach er den Kuss und sah sie an. „Welcher Dummkopf würde dich nicht lieben?“ fragte er sanft, weiterhin darauf bedacht, sie nicht direkt zu belügen. Dann war eben er dieser Dummkopf, und vielleicht war er das tatsächlich. Sie war hübsch, gefügig, ein bisschen naiv vielleicht, ja, aber alles andere als dumm. Warum nur konnte er sich nicht mehr auf sie einlassen, statt seinen Kopf von einem blonden Lord dominieren zu lassen, den er nicht haben konnte? Unwillig verbannte er die mahlenden Gedanken, das brachte nichts, er musste jetzt einen klaren Kopf bewahren, keine Fehler machen. Sie blickte ihn einen Moment lang an, dann lächelte sie. „Ich liebe dich auch. Ich bin sicher, meine Eltern werden sich freuen, dich bald kennenzulernen.“ Ihre Hand lag weiter auf seinem Oberschenkel, doch bevor sie sie weiter hinaufbewegen konnte, nahm er sie in seine Linke, so dass er nun ihre beiden Hände hielt. „Übermorgen ist dein freier Tag, richtig?“ fragte er, bemüht, auf das Thema zu kommen, das ihn interessierte, ohne sie misstrauisch zu machen. „Aber ja, das weißt du doch,“ antwortete sie und sah ihn aus fragenden dunkelbraunen Augen an. „Was hältst du davon, wenn wir den Tag gemeinsam verbringen, nur wir beide? Ich kenne einen schönen Elbstrand, abgelegen genug, dass uns niemand stören würde, und nahe genug an der Stadt, dass wir vor Einbruch der Dunkelheit zurück sein könnten...“ „Gern... das klingt wunderbar.“ Sie schluckte, beugte sich vor, schien ihn noch einmal küssen zu wollen, als die Glocke über seiner Tür leutete. „Das ist Lord Farin,“ sagte er hastig und drückte ihre Hände, bevor er aufsprang. „Er wird seinen abendlichen Tee trinken wollen, ich sollte mich besser beeilen.“ „In Ordnung.“ Sie nickte. „Morgen habe ich viel zu tun, aber übermorgen werde ich in meinem Zimmer auf dich warten.“ „Gut,“ er lächelte. „Ich hole dich um zehn Uhr ab, dann habe ich auch frei. Schlaf dich aus, ich kümmere mich um alles, du brauchst nur fertig zu sein und mit mir den Tag verbringen wollen.“ Er küsste sie flüchtig auf die Wange, dann verließ er den Raum, froh um die Ausrede, die Lord Farin ihm beschert hatte. ... „Dirk, you look a bit dishevelled.“ Halb lächelte Farin, halb sah er besorgt aus. „Ist alles in Ordnung?“ Bela stellte die das Tablett mit dem Tee auf den Beistelltisch neben dem großen Ohrensessel, beruhigt, dass manche Dinge – wie die abendliche Tasse Tee und die freundschaftlichen Gespräche zwischen ihm und Jon – sich trotz Graf und Gräfin, die im Übrigen den Abend mit Otello in der Staatsoper am Dammtor verbrachten, nicht änderten. Dann lächelte er, füllte die Tasse des Botschafters sowie seine eigene und setzte sich in den kleineren Sessel, in dem er schon viele Abende lesend, diskutierend oder einfach nur zufrieden schweigend mit Lord Farin verbracht hatte. „Ja, alles in Ordnung,“ erwiderte er. „Es tut gut, dich zu sehen. Es war ein aufreibender Tag...“ Der Botschafter lächelte. „Wem sagst du das. Du glaubst gar nicht, wie viele Menschen auf einmal claimen, meine Freunde zu sein und auf der Gästeliste zur Hochzeit vergessen worden zu sein. Was für ein Affentanz. Ich werde froh sein, wenn hier wieder Ruhe einkehrt und der Hohe Herr Crowley, seine Lady und ihr verdammter Diamant wieder wohlbehalten zurück auf unserer godforsaken island sind.“ Er nahm seine Tasse und blickte über ihren Rand zu Bela, während er vorsichtig über die heiße Flüssigkeit blies. „Du und Ames, kommt ihr mit den unzähligen housecalls zurecht?“ fragte er plötzlich. „Ich habe darüber nachgedacht, zusätzliches Personal einzustellen, aber...“ „Das wäre ein Sicherheitsrisiko.“ Bela nickte begreifend und hoffte stillschweigend, Farin würde seine Erklärung akzeptieren, sonst könnten sich seine Pläne weiter verkomplizieren. „Keine Sorge, wir kommen schon zurecht zu zweit.“ Er lachte kurz. „Heute haben wir eine Strichliste geführt, wer mehr Bittsteller abgewimmelt hat. Ich habe gewonnen, mit vierundzwanzig zu neunzehn. Aber Ames hatte die Morgenschicht, mal sehen, wer morgen gewinnt.“ Farin schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich mag den Einfluss, den du auf den stocksteifen Ames hast. Er scheint dir gegenüber aufzutauen, das würde Vater gar nicht gefallen. Good.“ Bela lehnte sich vor und unterdrückte die Neigung, Farins Hand zu nehmen. „Du solltest ihn nicht so sehr über dein Leben bestimmen lassen, Jon.“ Farin sah ihn ernst an. „Ich kann nicht anders, Dirk, das weißt du. He made me, and he can break me just as easily. Mir wäre das egal, aber mother...“ Er schüttelte traurig den Kopf. „Es würde ihr Herz brechen.“ Bela hob in einer hilflos wütenden Geste die Schultern, wollte am liebsten seine Teetasse in den leeren Kamin – oder in Farins Gesicht – schmeißen. Sie hatten nie wieder über ihren Kuss gesprochen, und doch hatte er das Gefühl, dass er wie ein Damoklesschwert über ihnen hing, während Jons Vater ununterbrochen als geheimnisvoller Schatten an dem Rosshaar feilte, das das Schwert über ihren Köpfen hielt. „Ist er hier? Nein! Kann er dir hier Befehle erteilen? Nein! Du bist der verdammte Botschafter, du kannst selbst entscheiden, was du tust, hör auf, dich hinter deinem Vater zu verstecken!“ Farin blieb äußerlich vollkommen ruhig, während er aus aufeinandergeklemmten Kiefern zischte: „was willst du damit sagen? Dass ich ein Feigling bin?“ „Nein, das bist du nicht, das weiß ich. Aber ein Tor, dass du dich von ihm oder sonst wem davon abhalten lässt, glücklich zu sein!“ Farins Augen sprühten Funken. Er öffnete den Mund, für einen Moment schien die Zeit still zu sehen, bis seine Worte zu Bela durchdrangen. „Und woher weißt du, was mich glücklich macht, you rotten pervert, of all people?“ Ihrer beiden anklagenden Stimmen hallten in Belas Ohren nach, während er der geschockten Stille lauschte, die auf Farins Worte folgte. Er fühlte sich leer, nicht einmal verletzt – schließlich hatte er Jon endlich einmal wirklich treffen wollen, wissen wollen, wie er auf Provokation reagierte. Er atmete tief durch und antwortete dann. „Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass du nicht glücklich bist. Und das...“ seine Stimme wurde leiser und er musste sich zwingen, weiter zu sprechen, wenigstens in diesem Kontext das ewige Lügen aufzugeben. „...das macht auch mich unglücklich. Verdammter Perverser, der ich nun einmal bin.“ Farin stand langsam auf, überbrückte den Abstand zwischen ihnen mit zwei kurzen Schritten und sank vor ihm auf die Knie, umarmte ihn fest und verbarg sein Gesicht zwischen seinen Jackett-Aufschlägen, an Belas Hemd, während seine Finger sich fast schmerzhaft um Belas Arme schlossen. Bela konnte ihr Zittern fühlen. „Es tut mir leid,“ murmelte Jon, sein schneller Atem drang durch den dünnen Stoff an Belas Brust. „Du hast Recht. Er bestimmt mein Leben, ist immer da, hält mich von allem ab, was mich glücklich macht. Especially you. Ich... ich hätte das nicht sagen sollen. Nicht sagen dürfen.“ Er sah auf, die grünbraunen Augen verzweifelt. „If you are a rotten pervert, so am I. Und, wenn du einer bist, dann... kann es nichts schlimmes sein.“ Bela schloss kurz die Augen, getroffen von Farins Worten – und von der Schuld, die er durch sein Lügengebilde auf sich lud. Er musste aufstehen und gehen, jetzt. Stattdessen vergrub er seine Hände in den blonden Haaren, zog Farin zu sich hinauf und küsste ihn. Die Gier, mit der Farin den Kuss erwiderte und ihn an sich zog, überraschte Bela. - TBC - Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)