Feuervogel von abgemeldet (Ein Junge und sein Benu gegen den Rest der Welt) ================================================================================ Kapitel 1: Dichtung und Wahrheit -------------------------------- Geschichten über Feuervögel, Benu genannt, die Boten und Gefährten der Götter, gab es viele in Kemet. Die Alten erzählten sie den Kindern und diese erfanden neue hinzu. All diesen Geschichten war gemeinsam, dass diese sagenhaften Vögel von großer Schönheit und Anmut waren, Wunderkräfte besaßen und Unsterblichkeit. Sie waren ebenso alt wie die Welt, von Ptah geschaffen, als er die Erde schuf, geschlüpft aus Eiern, die nicht gelegt worden waren, ebenso wie Re. Seth glaubte nichts von diesen Geschichten, sie waren eben nur das: Schöne Märchen für kleine Kinder, die an Wunder glaubten. Und er glaubte nicht an Wunder. Ein Glück bringender Vogel war ein Tier, das man entweder essen oder für gutes Geld auf dem Markt verkaufen konnte. Dennoch hörte er diese Erzählungen über die geflügelten Boten der Götter gern. Sie ließen ihn vergessen, dass es für ihn und seine Mutter, seit sein Vater sie ohne Grund einfach verlassen hatte, schwierig geworden war an das für das Leben Notwendige zu gelangen. Er war sechs Jahre alt, als er herausfand was es tatsächlich mit diesen Feuervögeln auf sich hatte und ein Benu ein fester Bestandteil seines Lebens wurde. Seth kletterte, wie häufiger in letzter Zeit, in den nahe dem Dorf gelegenen Felsen herum. Als er durch einen schmalen Gang auf eine höher gelegene Felsplatte gelangte, die rings von hoch aufragendem, glattem Gestein umgeben war, hörte er ein leises, traurig ängstliches Piepsen. Er sah sich nach der Quelle des Geräusches um und entdeckte bei näherem Hinsehen, am anderen Ende des Felskessels etwas Kleines, Fussliges, das sich unbeholfen zu bewegen versuchte. Als er näher trat, sah er, dass es sich um ein winziges Vogelküken handelte, dessen Flaum aschgrau und zerzaust war. Neben dem Küken lag ein verkohlter Pfeil, während sich rings um die Beiden, wie feiner Staub, hellgraue Asche verteilte. Seth hockte sich vor das Küken und beobachtete es eine Weile dabei, wie es sich abmühte auf die Beine zu kommen. Schließlich hob er es vorsichtig hoch und setzte es auf seine Handfläche. Die Augen des Kükens besaßen die Farbe von dunkelbraunen Schilfkolben und Seth hatte den Eindruck, dass es ihn doch tatsächlich neugierig überrascht betrachtete. Vorsichtig strich er über den Flaum des kleinen Wesens, „wie kommst du denn hier her? Hier nisten keine Vögel und du bist noch viel zu klein, um fliegen zu können.“ Das Küken piepste nur einmal auf und begann sich in die Hand des Jungen zu kuscheln. Seth sah sich um, ob nicht irgendwo ein Vogel zu sehen war, zu dem das Kleine gehörte, aber er konnte nichts dergleichen entdecken. Gerade als er sich erhoben hatte, um die Felsen zusammen mit dem Küken zu verlassen, hörte er sich nähernde Stimmen. Instinktiv sah er sich nach einem Versteck um, hierher kamen nur selten Menschen und selbst wenn sie nichts Böses im Schilde führten, hatte er keine Lust sich eine Strafpredigt darüber anzuhören, dass er sich unnötig in Gefahr brachte, indem er allein hier herum kletterte. Er hatte Glück, links von ihm, im Schatten gelegen, entdeckte er eine schmale Felsspalte. Er lief hinüber und versuchte sich darin zu verstecken; es gelang ihm nur mit Müh und Not, obwohl er nicht sonderlich groß oder kräftig war, war die Spalte doch äußerst eng und unbequem. Das Küken in seiner Hand begann aufgeregt zu piepsen, während Seth sich langsam tiefer in die Spalte schob, beruhigend streichelte er mit dem Daumen über die Brust des kleinen Wesens. „Du musst jetzt still sein, Kleiner, sonst erwischen sie uns doch noch.“ Als hätte der Vogel verstanden, was Seth gesagt hatte, schwieg er daraufhin wieder, drückte sich aber noch fester in die Hand des Jungen. Kaum hatte Seth sich so gut es ging in den Tiefen der Spalte verborgen, konnte er hören wie jemand das steinerne Tal in den Felsen betrat. „Wir müssen den Vogel unbedingt finden, Kawab. Wenn es wirklich ein Benu war, sind wir gemachte Männer!“ „Aber Feuervögel sind nur eine Legende, an die Alte und kleine Kinder glauben“, war die skeptische Erwiderung des mit ‚Kawab’ Angesprochenen. „Du hast ihn doch auch brennen sehen, nachdem ich ihn in der Luft mit einem Pfeil getroffen habe. Wie willst du mir das erklären, wenn nicht damit, dass es ein Feuervogel war?“, fragte der erste Mann seinen Begleiter. Seth konnte hören, wie sie sich während ihres Gesprächs langsam seinem Versteck näherten. „Ich weiß es nicht, Pepi, aber vielleicht, wollte dich Re für etwas bestrafen, dass du getan hast und hat dir auf diese Weise deinen Jagderfolg versagt.“ Pepi schnaubte daraufhin nur ungläubig und äußerte dann: „Sieh mal, da ist mein Pfeil. Der Vogel muss hier herunter gefallen sein. Aber wo ist er hin?“ „Vielleicht hatte ich ja doch Recht und er wurde in der Luft von Re verbrannt, um dich zu bestrafen, dann können wir gar nichts finden. Oder er ist nachdem er verbrannt ist, sofort wieder auferstanden und davon geflogen. In beiden Fällen wäre unsere Suche jedenfalls völlig vergeblich“, war Kawabs Meinung dazu, während sich die Beiden offenbar wieder Richtung Ausgang des Felskessels begaben. „Vielleicht ist uns aber auch nur jemand zuvor gekommen und hat ihn mitgenommen“, spekulierte Pepi düster. „Sei nicht dumm, hier kommt so gut wie nie jemand her, wer hätte ihn vor uns finden sollen?“, tat Kawab diese Vermutung ab, „komm, lass uns nach Hause reiten, wir finden ihn ja doch nicht mehr. Ich lade dich auch auf ein Bier ein, als Trost.“ Was Pepi darauf antwortete, konnte Seth in seinem Versteck nicht mehr verstehen. Er wartete noch einen Moment, um sicher zu sein, dass die beiden Männer wirklich verschwunden waren und begann dann sich aus der Felsspalte heraus zu winden. Nachdem er mit einigen Kratzern und Schrammen wieder in dem Felstal stand, sah er sich seinen Fund genau an. Das sollte ein Feuervogel sein? Wohl kaum, von der viel gerühmten Schönheit und Eleganz war jedenfalls nichts zu erkennen. Der kleine Vogel war unförmig, zerzaust und niedlich, aber das waren alle Tierkinder. Ob es sich nun um einen dieser sagenumwobenen Vögel handelte oder nicht, er würde ihn mitnehmen, denn wenn er ihn hier zurückließ, würde er jämmerlich zu Grunde gehen. Das Küken immer noch in der Hand haltend, machte Seth sich auf den Rückweg, musste schließlich jedoch inne halten, da er für den weiteren Abstieg beide Hände benötigen würde. Aber wo sollte er den kleinen Kerl in seiner Hand solange lassen? Da ihm nichts anderes einfiel, ließ er ihn vorsichtig in das Oberteil seines ausgefransten, alten Gewandes gleiten. Er konnte spüren, wie das kleine Ding, für einen Moment verängstigt, an seinem Bauch herumhüpfte und mit Zehen und Schnabel versuchte wieder heraus zu kommen. Beruhigend legte er von außen eine Hand auf die kleine Beule oberhalb seines Gürtels und flüsterte: „Du brauchst keine Angst haben, dir passiert nichts, ich pass auf dich auf“, und wie schon in der Felsspalte schien der Vogel auf das Gesagte zu reagieren, vielleicht war es auch nur der Tonfall oder Seths Körperwärme, auf jeden Fall beruhigte sich das Tier schnell und ließ sich nun widerstandslos durch die Gegend tragen. Zu Hause angekommen, lief der kleine Junge schnell, um nicht von seiner Mutter gesehen zu werden, in den kleinen Verschlag, der ihnen als Vorratskammer diente, die meiste Zeit jedoch eine gähnende Leere aufwies. Aus alten Stoffresten baute er für seinen Schützling ein weiches Nest und setzte das Küken hinein. Nachdem er ihm befohlen hatte leise zu sein, ging er auf die Suche nach etwas Essbarem. Er wusste nicht genau, was sein kleiner Vogel fraß, aber er würde es schon herausfinden. Schließlich kam er mit einigen grünen Gräsern, einer Handvoll Körnern, die er den Hühnern der Nachbarn gestohlen hatte, einem Regenwurm und einer kleinen Schale Wasser wieder in die Kammer, wo das Küken sich in die Fetzen gekuschelt hatte und ruhig schlief. Der Junge ließ sich vor dem Stoffnest nieder, zog die Beine an seinen Körper und sah seinem Küken mit um die Beine gelegten Armen und auf den Knien aufgestütztem Kinn beim Schlafen zu. Die Wasserschale, das Grünzeug und die Körner hatte er neben sich gelegt, nur der Wurm hing noch immer zwischen zwei Fingern von seiner Hand herab. Seine blauen Augen, die er ebenso wie seine braunen Haare, die nur in der landesüblichen Kinderlocke existent waren, von seiner hethitischen Mutter geerbt hatte, waren nachdenklich auf das kleine Flaumbündel vor ihm gerichtet. Er fragte sich, ob es vielleicht doch ein Feuervogel sein könnte und wenn ja, ob er sich dann etwas von ihm wünschen konnte. Er würde es herausfinden, wenn nicht jetzt, dann mit der Zeit. Schließlich erwachte der kleine Vogel aus seinem Schlaf und riss sogleich den Schnabel auf, um nach Futter zu schreien. Als Seth jedoch versuchte ihm den Wurm zu füttern, weigerte sich der Kleine diesen zu fressen, indem er immer wieder dem von Seths Fingern baumelnden Tier auswich. Letztendlich gab Seth seufzend auf und ließ den Wurm frei, um es mit seinen anderen Mitbringseln zu versuchen. Dieses Mal hatte er mehr Glück, er musste zwar Körner, Grünzeug und Wasser zunächst zu einem Brei vermanschen, um es dem kleinen Gierschlund in den Hals tropfen zu können, aber sobald er das herausgefunden und in die Tat umgesetzt hatte, ging das Füttern erstaunlich problemlos von statten. Nachdem das Küken satt war, begann es bettelnd zu piepsen, mit den winzigen Stummelflügeln zu schlagen und versuchte sich hoch auf zurichten. Seth war sich nicht sicher was der kleine Kerl von ihm wollte, aber er beschloss, dass er einfach etwas Nähe brauchte, nahm ihn aus seinem Nest und setzte ihn auf seinen angezogenen Knien ab. Da saßen sie nun, der kleine Junge und sein Vogelküken, sahen einander in die Augen und waren’s zufrieden. Seth begann wieder vorsichtig mit seinem Zeigefinger die Brust des kleinen Kerlchens zu streicheln, welcher dies zufrieden genoss und schließlich ebenso vorsichtig begann am Daumen des Jungen zu knabbern. Eine etwas schmerzhafte Zuneigungsbekundung, dennoch lächelte Seth glücklich. Am Abend, nachdem Seth und seine Mutter sich in dem einzigen Raum ihres winzigen Hauses zur Ruhe begeben hatten, hörte er plötzlich ein leises Piepsen aus dem Verschlag dringen, in dem er das Vogelküken untergebracht hatte. Auch seine Mutter hörte es und stand schließlich verwundert auf, um nachzusehen, ob sich tatsächlich ein Vogel in ihre Speisekammer verirrt hatte. Als sie das aschefarbene Küken in seinem Stoffnest entdeckte, sah sie ihren Sohn fragend an und wartete auf eine Erklärung. „Ich hab ihn neben seiner toten Mutter in einem heruntergefallenen Nest gefunden und hab mir gedacht, dass ich ihn behalten könnte, bis er groß genug ist, um für sich selber zu sorgen. Darf ich, bitte?“, mit flehendem Blick sah Seth zu seiner Mutter auf, geduldig auf eine Antwort wartend. Seths Mutter schwieg zunächst nachdenklich und sah ihren Sohn nur an. Seth war ein Einzelgänger, er hatte keine Freunde, was ihr Sorgen bereitete, man konnte nicht völlig allein und ohne die Hilfe Anderer durchs Leben gehen. Vielleicht war dieser Vogel eine Möglichkeit, dass sich ihr Sohn begann anderen Menschen zu öffnen. Schließlich nickte sie zustimmend, „behalt ihn, aber du musst dich auch gut um ihn kümmern.“ Seth lächelte glücklich, was er nur sehr selten tat und versicherte seiner Mutter, dass er sich ganz bestimmt gut um den Kleinen kümmern würde. Eine Weile nachdem sich die Beiden wieder hingelegt hatten und Seth schon beinahe eingeschlafen war, fühlte er plötzlich etwas Weiches gegen sein Gesicht plumpsen, das sich danach an ihn kuschelte. Seine Mutter musste die Tür der Kammer nicht richtig geschlossen haben, sodass das Küken sich hindurch quetschen konnte und zu ihm getapst war. Er hob eine Hand, legte sie um das kleine Flaumknäuel und zog es an seine Brust; so aneinander geschmiegt schliefen sie schließlich ein. tbc Für Besserwisser und solche, die es werden wollen: Es existierte in der altägyptischen Mythologie tatsächlich ein als Benu bezeichneter Vogel, dem die typischen Phönixeigenschaften zugeschrieben wurden. Allerdings wurde er zunächst als Bachstelze, später als Reiher dargestellt. - Ich hab mir die Freiheit genommen, ihn nach meinen Vorstellungen abzuändern. Bier war in Ägypten seit dem 4. Jahrtausend vor Christus bekannt und ein sehr verbreitetes Getränk. Allerdings weit weniger haltbar als heutige Varianten und vermutlich um einiges berauschender. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)