Feuervogel von abgemeldet (Ein Junge und sein Benu gegen den Rest der Welt) ================================================================================ Kapitel 6: Die Göttin des Krieges --------------------------------- Seth und sein Benu schafften es gerade noch rechtzeitig vor der Dämmerung wieder in ihrem Dorf anzukommen, sodass Seth ein eingehendes Verhör seiner Mutter, wo er denn den ganzen Tag über gesteckt hätte, erspart blieb. Allerdings schützte es ihn nicht vor der Frage, wo er den versprochenen Fisch gelassen hätte. Ziemlich betreten erklärte Seth schließlich nach kurzem Schweigen, er hätte ihn vergessen. Erstaunt musterte seine Mutter ihn nach dieser Antwort, ging jedoch nicht weiter darauf ein, sondern ermahnte ihn lediglich, das nächste Mal nicht wieder so nachlässig zu sein. Erleichtert nickte Seth und versprach es. Am nächsten Tag half Seth wieder einmal Meni beim Verkauf von dessen Waren, wobei dieser ihm die Frage stellte: „Wie geht es eigentlich deiner Freundin Meren? Ich habe sie seit deinem Geburtstag nicht mehr gesehen und sie meinte doch, sie würde wahrscheinlich eine ganze Weile hier bleiben?“ Für einen Moment war Seth um eine Antwort verlegen, das hatte er völlig vergessen, dann erwiderte er jedoch: „Sie musste wieder nach Hause, hrem Vater geht es nicht gut.“ Zufrieden klopfte er sich gedanklich auf die Schulter, so konnte niemand etwas dagegen sagen, wenn Meren im Dorf nicht zu sehen war und auch nicht, wenn sie wieder einmal auftauchen sollte. Meni schien sich denn auch mit dieser Antwort zufrieden zu geben und fragte nicht weiter nach. Nachdem er seine Arbeit für den Tag erledigt hatte, verließ Seth den Kaufmann wieder und ging wie so oft zum Ufer des Nils. Dort konnte er sich ungestört mit Merenseth unterhalten; gab es doch einige Dinge, die er neugierig war zu erfahren. Und so verlangte er, kaum dass der Vogel menschliche Gestalt angenommen hatte, um ihm antworten zu können: „Die Frau gestern hat von Leuten gesprochen, die Dämonen beherrschen können. Erzähl mir mehr davon.“ Für einen Moment wirkte Merenseth überrascht, erklärte dann aber: „Es gibt unter Menschen einige Magier und Priester, die in der Lage sind, sich durch ihren Willen Dämonen eine zeitlang dienstbar zu machen. Es gibt aber auch Dämonen die in der menschlichen Seele leben, ohne dass ihre Wirte davon wissen. Nur wenn diese Menschen große Angst haben oder sehr wütend sind, kommt es vor, dass die Dämonen ihre Macht zeigen, um die Seele zu schützen, in der sie wohnen. Denn würde dem Menschen etwas geschehen, in dessen Seele sie sich verbergen, würden auch sie Schaden nehmen.“ „Könnte ich lernen, Dämonen zu beherrschen?“, fragte Seth neugierig, sobald Merenseth wieder schwieg. Das Vogelmädchen sah den Jungen nachdenklich an, „ich nehme an, dass es möglich wäre, wenn du die entsprechende Ausbildung erhieltest. Aber überlege dir gut, ob du das wirklich willst. Dämonen sind keine Werkzeuge, die man einfach benutzt. Sie haben ihren eigenen Willen und wenn du einen von ihnen verärgerst oder ungebührlich behandelst, kann das schlimme Folgen haben.“ Der Junge gab daraufhin ein nachdenkliches Brummen von sich, schwieg einen Moment und wechselte dann das Thema: „Kannst du mir lesen und schreiben beibringen? Meni hat mir zwar einige Zeichen gezeigt, aber im Tempel gestern konnte ich trotzdem kaum etwas entziffern.“ Merenseth lächelte, „das liegt an den verschiedenen Schriftsystemen. Ich zeige es dir gern, aber du wirst Geduld haben müssen, die meisten Schreiber erlernen ihr Handwerk nur mit langjähriger Übung.“ „Dann sollten wir keine Zeit verlieren und bald damit anfangen“, erklärte Seth entschieden, während Merenseth nur leicht den Kopf neigte, auf diese Weise zeigend, dass sie sich seiner Entscheidung fügen würde. Nachdem Seth bereits zwei der Punkte, die ihn beschäftigten, geklärt hatte, wandte er sich dem letzten und für ihn interessantesten Punkt zu: „Können wir so einen Ausflug wie gestern wiederholen? Ich würde gern einmal das Meer sehen.“ Merenseth nickte daraufhin erneut, fügte jedoch hinzu: „Wir werden dafür aber länger als einen Tag unterwegs sein und wenn du ohne Erklärung verschwindest, wird sich deine Mutter Sorgen machen.“ Das war tatsächlich ein Problem, zumal ihn seine Mutter vermutlich auch nicht einfach ziehen lassen würde, wenn sie wüsste, was er vorhatte. Die Möglichkeit, dass er seine Geheimnisse, die den Benu betrafen, preisgeben müsste, behagte Seth ganz und gar nicht. Die Tatsache etwas zu wissen von dem sonst niemand auch nur den Hauch einer Ahnung hatte, gefiel ihm viel zu sehr, als dass er gern darauf verzichtet hätte. Aber er konnte auch nicht einfach zu seiner Mutter gehen und sagen: „Mach dir keine Sorgen, ich bin ein paar Tage nicht da, aber ich komme bald wieder.“ Sie würde ihm das nie durchgehen lassen… Andererseits, wenn er alles gut vorbereitete und schnell genug verschwand, bevor sie ihn aufhalten konnte, würde es vielleicht doch gelingen. Nur, was sollte er ihr sagen, wenn er von seinem Ausflug zurückkäme? Seth entschied, dass er sich darüber Gedanken machen würde, wenn es soweit wäre und konzentrierte sich lieber wieder auf die Durchführung seines Abenteuers. Zunächst füllte er einen Leinensack mit einem Vorrat an Essen und Wasser und deponierte ihn etwas abseits des kleinen Hauses zwischen einigen Büschen. Dann wartete er bis seine Mutter im Haus mit Näharbeiten beschäftigt war, stellte sich in die Eingangstür und blickte einen Moment schweigend auf den über die Handarbeit gebeugten Kopf seiner Mutter. Kurz kam ihm der Gedanke in den Sinn, ob sein Vater, bevor er verschwunden war, auch so dagestanden und seine Frau beobachtet hatte. Ob er auch gezögert und sich gefragt hatte, ob er tatsächlich das Richtige tat. Anders als sein Vater hatte Seth jedoch fest vor zurückzukommen. Er wollte nicht, dass seine Mutter völlig allein zurückblieb oder wieder weinte, wie in den ersten Nächten, nach dem Verschwinden des Vaters. Aber genauso sehr wollte er auch die ihm noch unbekannten Dinge der Welt entdecken und kennen lernen. Sich innerlich einen Ruck gebend, holte der kleine Junge tief Luft und sprudelte dann hastig hervor: „Ich will mit Merenseth für einige Tage durch die Gegend wandern. Bitte, mach dir keine Sorgen um uns, wir kommen bestimmt wieder, versprochen.“ Jetzt war es heraus; brauchte er sich keine Gedanken mehr darüber machen, ob er es sich nicht doch besser anders überlegte. Erleichtert sanken seine Schultern ein wenig herab und wartete er auf die Reaktion seiner Mutter. Bei den ersten Worten ihres Sohnes hatte sie mit einem fragenden Lächeln von ihrer Arbeit aufgesehen. Aber dieses Lächeln war sehr schnell von einem ernsten Blick voller Sorge abgelöst worden. Schweigend betrachtete die Mutter ihren Sohn mit prüfendem Blick und erkannte, wie ernst es ihm mit seiner Ankündigung war und hätte es ihm doch gern instinktiv verboten. Unwillkürlich dachte sie an den Vater des Jungen, der ihr genauso zielstrebig und überzeugt verkündet hatte, dass er an der Seite seines Bruders gebraucht werde und deshalb Frau und Kind verlassen müsse. Sie hatte nie verstanden, warum seine Familie ihn nicht begleiten durfte und dennoch war ihr letztendlich nichts anderes übrig geblieben, als ihren Mann gehen zu lassen. Alles in ihr sträubte sich nun dagegen auch noch ihr Kind zu verlieren. Aber er war nun einmal der Sohn seines Vaters - hielte sie ihn auf, würde er eines Tages ohne ein Wort für immer verschwinden. Also nickte Seths Mutter letztendlich nur, das Gesagte widerwillig akzeptierend sich zu der besorgten Forderung hinreißen lassend: „Pass auf dich auf und halte dein Versprechen!“ Seth nickte bekräftigend, während er seiner Mutter aufmunternd zu lächelte, sich anschließend hastig verabschiedete und gleich darauf eilig zu Merenseth und dem Leinenbeutel rannte, bevor seine Mutter es sich vielleicht doch noch anders überlegte oder er sich entschied die Reise zu verschieben. Auf dem Rücken seines Benu flog Seth schließlich Richtung Norden, sich stetig u seinem Wunschziel, dem Meer, nähernd. Unterwegs legten sie jedoch immer wieder Pausen ein, wenn der Junge etwas entdeckte, das vorübergehend seine Aufmerksamkeit fesselte und er sich genauer ansehen wollte. Am Merwer im Schedet legten sie schließlich Rast ein, um sich von der bisherigen Reise auszuruhen und dem furchteinflößenden Krokodilgott, dem Schedet geweiht war, ein Opfer darzubringen unddiesen so friedlich zu stimmen. Während ihrer Rast hörte Seth, wie sich eine Gruppe reisender Händler mit besorgten Mienen darüber unterhielt, dass weiter im Norden an der östlichen Grenze Kemets die Streitmacht des Landes zusammengezogen wurde und immer mehr Bauern und Handwerker dazu gezwungen wurden Haus und Hof zu verlassen, um die Zahl der Soldaten zu vergrößern. Offenbar war der Feind so mächtig und überlegen, dass die normale Heeresstärke Kemets nicht ausreichte, um das feindliche Heer erfolgreich in die Flucht zu schlagen. Etwas, das umso besorgniserregender war, wenn man bedachte dass Menschen, die im Krieg starben, nur in den seltensten Fällen ein Begräbnis und somit die Möglichkeit für ein Leben nach dem Tod erhielten. Seth beschloss, sich die ganze Sache genauer anzusehen und so änderte Merenseth nach ihrem Aufbruch aus Schedet die bisherige Flugrichtung gen Osten ab. Schu, der Luftgott, war ihnen wohlgesonnen, bereits nach wenigen Stunden erreichten sie ihr Ziel: Das Lager der ägyptischen Streitmacht. Merenseth landete etwas entfernt von dem großen Heerlager auf einem Felsplateau, das ihnen einen guten Blick über die Gegend und die Armee bot. In dem Lager herrschte rege Betriebsamkeit: Rekruten exerzierten und wurden darauf gedrillt mit Waffen umzugehen und Befehle zu befolgen; Karawanen mit Nahrungsvorräten, Waffen und Zelten kamen an; Boten brachen Nachrichten; Offiziere berieten über geeignete Strategien und die Aussichten, sie erfolgreich einzusetzen. Über dem gesamten Lager hing wie eine schwere Decke eine angespannte, emsige Atmosphäre. Man konnte die Nervosität und Angst der Männer geradezu körperlich spüren. Es war, als könnte man sie riechen und schmecken. Seth merkte, wie diese Stimmung allmählich auch von ihm Besitz ergriff. Wie er unruhig wurde, sich plötzlich merkwürdig gespalten fühlte, weil ein Teil von ihm diese Vorbereitungen auf einen Kampf spannend, belebend fand und ihn eine seltsame Gier danach überfiel ebenfalls an dieser Schlacht teilzunehmen, um seinen Mut und sein Geschick zu beweisen und seine Heimat vor allem Übel zu bewahren. Zugleich war da aber auch noch ein besorgter, ängstlicher Teil in ihm, der sich bekümmert fragte, wie viele dieser Männer den Kampf überleben würden. Seth dachte an Meni und war froh zu wissen, dass dieser sich sicher in ihrem Dorf befand und seine Waren verkaufte. Der Gedanke, dass der kräftige, gutmütige Mann verstümmelt wurde oder qualvoll in einem Kampf starb, sei es auch zum Wohl und Ruhm Kemets, gefiel ihm nicht. Es war diese unbestimmte Sorge, die ihn zu der Frage trieb: „Gibt es keinen anderen Weg, um Kemet zu schützen, einen der weniger Opfer kosten würde?“ Obwohl Seth diese Frage seinem Benu gestellt hatte, war es nicht das Vogelmädchen, das ihm antwortete: „Wenn es erst einmal soweit ist, dass sie mich rufen, gibt es keinen anderen Weg.“ Erstaunt und neugierig hatte sich Seth zu der Stimme hinter ihm herumgedreht und sah sich einer im Waffenrock dastehenden Frau gegenüber, die auf dem Kopf die rote Krone Unterägyptens trug und in der Hand ein Futteral mit zwei Bögen hielt. Auch Merenseth hatte sich der Frau zu gewandt, demütig den Kopf geneigt und geäußert: „Ich grüße dich, ehrwürdige Göttin Neith.“ Mit großen Augen starrte Seth die Frau an, die die Göttin des Krieges und die Mutter der Krokodile war. Kein Lächeln war in dem strengen Gesicht Neiths zu erkennen, als sie an den Jungen gewandt feststellte: „Du bist entweder sehr mutig, sehr dumm oder sehr schlecht erzogen.“ Für einen Moment war Seth verwirrt, bevor er begriff, dass die Göttin von ihm eine höfliche Begrüßung erwartete. Eilig holte er sein Versäumnis nach; Neith zu erzürnen war nichts was man mehr als einmal tat und er hatte noch zu viel vor, um es auch nur das eine Mal zu tun. Die Mutter der Krokodile schien besänftigt und verlangte nun zu wissen: „Was führt euch her; dies ist kein Ort für Kinder.“ Merenseth setzte gerade zu einer Antwort an, als ihr Seth zuvor kam und ruhig erklärte: „Ich habe davon gehört, dass Kemet sich für den Krieg rüstet und wollte mich mit eigenen Augen davon überzeugen.“ „Und bist du nun zufrieden, nachdem du gesehen hast?“, fragte Neith in gleichmütigem Ton, während sie mit ihren harten Augen den schmalen Jungen vor sich durchdringend musterte. Der ließ sich davon jedoch nicht einschüchtern, schüttelte verneinend den Kopf und verlangte zu wissen: „Wogegen kämpfen sie?“ „Gegen Isfet. Es ist nicht stark genug Kemet selbst zu zerstören, deshalb versucht es mit Hilfe der hethitischen Armee Kemet zu schwächen.“ Mit unruhiger Besorgnis sah Seth zu der Göttin auf, „wird ihm das gelingen oder wird unsere Armee siegen?“ „Das, Sohn der roten Erde, hängt von dem Glauben und dem Vertrauen derer, die kämpfen ab. Ich werde ihnen voranschreiten, ihnen die Wege öffnen und mit ihnen kämpfen. Zweifeln sie jedoch, wird Isfet an Stärke gewinnen.“ Nachdenklich hatte Seth bei den mit gelassener Endgültigkeit vorgebrachten Worten Neiths über die Schulter in das Lager hinabgesehen, in dem noch immer eine hektisch nervöse Betriebsamkeit herrschte. „Ich sehe, du hast es bereits bemerkt“, stellte die Göttin fest und Seth nickte zustimmend. Ja, er hatte die Unsicherheit und Zweifel bemerkt, sie waren nur allzu deutlich, beinahe schon greifbar. Entschlossen wandte er sich wieder ganz Neith zu, sah sie ernst an und fragte: „Gibt es etwas, dass ich tun kann, damit Isfet nicht stärker wird?“ Für einen kurzen Augenblick schwieg die Göttin, musterte den Jungen vor sich erneut gründlich und erwiderte dann: „Fliege auf dem Rücken deines Benu, gut sichtbar für alle, über das Heerlager und lass die Tochter Maats singen.“ „Singen?“, wiederholte Seth verblüfft und Neith nickte, „sie wird wissen, welches Lied notwendig ist, um den Männern Mut zu machen.“ Damit schien die Göttin das Gespräch als beendet zu betrachten, denn ebenso plötzlich wie sie erschienen war, verschwand sie auch wieder Mensch und Vogel sich selbst überlassend. Verunsichert sah der Junge zu dem Vogelmädchen, das diesen Blick ruhig erwiderte und darauf wartete, dass Seth seine Entscheidung traf. Schließlich nickte der Junge mit entschlossenem Gesichtsausdruck und erklärte: „Lass uns fliegen.“ Infothek der Selbstbedienung Isfet, oder auch Isefet, war die altägyptische Vorstellung von Chaos und Unordung, das absolute Gegenteil zur angestrebten Maat. Es musste möglichst verhindert werden, wenn die Welt bestehen bleiben sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)