Feuervogel von abgemeldet (Ein Junge und sein Benu gegen den Rest der Welt) ================================================================================ Kapitel 15: Licht und Schatten ------------------------------ Es war Nachmittag und da Seth um diese Zeit wie stets in der Kanzlei zu arbeiten hatte, war Merenseth wieder einmal in den Garten zu den Pfauen geflogen, um sie ein wenig in ihrem stolzen Herumspaziere aufzustören. Sie rechnete jedoch nicht damit, dass sich der Pfauenpfleger zusammen mit einem Gehilfen hinter einer Hecke verborgen hatte und bereits geduldig auf sie wartete. Da Merenseth nicht jeden Tag vorbei kam und wenn, dann meist zu verschiedenen Zeiten, mussten die beiden Männer bereits mit beträchtlicher Geduld eine geraume Weile in ihrem Versteck verbracht haben, als der glutfarbene Vogel schließlich nicht weit entfernt von dem Grüppchen Pfauen landete und diese erst einmal mit ruhiger Neugier betrachtete. Beim Anblick dieses frechen Benu, der sie immer wieder aufs Neue ärgerte und sie inzwischen schon allein mit seiner Anwesenheit reizte, zischten und schrien die Pfauen aggressiv, schlugen mit den Flügeln und hatten sich anscheinend ebenso wie ihr Pfleger eine Strategie zurecht gelegt, allerdings nicht um den Benu zu fangen, sondern um ihn ein für alle Mal aus ihrem Revier zu vertreiben. Dass sie mit ihrem aufgeregten Gebaren den lauernden Dienern einen Strich durch die Rechnung machten, ahnten diese Vögel nicht und hätten sie es gewusst, wäre es ihnen gleichgültig gewesen. Da ihre Drohgebärden bei Merenseth keinerlei Wirkung hinterließen, sondern diese ihre unwilligen Gastgeber nur völlig gelassen ansah, während sie es sich auf dem Boden bequem machte, flogen die Pfauen wie auf ein verabredetes Zeichen plötzlich auf und im nächsten Moment entschlossen und mit zum Zuhacken erhobenen Schnäbeln auf den Benu zu. Doch der Angriff verlief ins Leere, denn kurz bevor die Pfauen Merenseth erreicht hatten, war diese mit elegantem Schwung ebenfalls aufgeflogen, schwebte einen Moment über den Pfauen in der Luft, dabei auf sie herabsehend und deren wütend enttäuschtem Geschrei lauschend, um sich schließlich provokant knapp außer Reichweite dieser doch eher trägen Vögel auf dem Ast eines Baumes niederzulassen und völlig unbeeindruckt zu wirken. Das war die Chance, auf die der versteckt lauernde Diener und sein Gehilfe gewartet hatten. Der glutfarbene Vogel saß mit dem Rücken zu ihnen, nur wenige Armlängen entfernt und schien vollkommen auf die Pfauen vor sich fixiert. So eilig und lautlos wie möglich sprangen die beiden Jäger auf, näherten sich dem Vogel und warfen ihm im nächsten Moment ein feinmaschiges Netz über, dessen Enden sie anschließend fest mit den Händen packten und festhielten. Merenseth hatte bei diesem unerwarteten Angriff aus dem Hinterhalt versucht erschrocken aufzufliegen, doch das Netz verhinderte, dass sie ihre Flügel ausbreiten konnte und so versuchte sich der Benu hüpfend irgendwie in Sicherheit zu bringen, doch auch dieser Versuch schlug fehl. Nicht nur das, während Merenseth sich noch bemühte aus der Falle, in die sie geraten war, zu entkommen, zog sich das Netz immer enger um sie, nahm ihr immer mehr Bewegungsfreiheit und schließlich spürte sie, wie sich eine Hand um ihren Hals legte und ihr im nächsten Moment geschickt mit einer Schnur der Schnabel zugebunden wurde, damit sie ihre Fänger nicht beißen konnte. Anschließend wurde sie unter den zu der Hand gehörigen Arm geklemmt, während die Hand ihren Kopf so festhielt, dass sie ihn nicht mehr bewegen konnte. Gleich darauf trug der Pfleger, der auf den Baum geklettert war, um die Beute von diesem herunterzuholen, den Benu in Richtung Palast, sobald er wieder auf festem Boden stand und sich versichert hatte, dass der Vogel in seiner Gewalt keinen nennenswerten Schaden davongetragen hatte. Das heisere, schadenfrohe Hohngekreisch der Pfauen, die sich an der misslichen Lage Merenseth weideten, begleitete die Gefangene und ihre beiden Jäger bis sie schließlich das Innere des Palastes betraten und sich zum Audienzzimmer des Herrn der beiden Länder begaben. Dort angekommen baten die Diener ergebenst um die Erlaubnis vor den Erben des Horus treten und ihm ein Geschenk darbieten zu dürfen. Sie wurden nicht sofort vorgelassen, sondern man befahl ihnen zu warten, bis der Herr der zwei Länder Zeit für sie hätte, was erstaunlich schnell der Fall war. Vermutlich hatte jemand gegenüber dem Bewahrer Kemets erwähnt, dass die beiden Bittsteller ein sehr interessantes Präsent bei sich hatten. Sobald sich die beiden Diener mit devoter Unterwürfigkeit dem offiziell mächtigsten Mann Kemets genähert, sich ihm zu Füßen geworfen und ihn angemessen begrüßt hatten, erklärte der ältere der beiden Männer auf die nicht unfreundlich gestellte Frage Akunemkanons, was sie ihm denn zu schenken gedachten: „Wir haben diesen seltenen Vogel in den Gärten Deiner Majestät gefangen, wenn Du uns die Gnade erweisen willst diesen unbedeutenden Beweis unserer Treue und Ergebenheit für Deine Majestät anzunehmen.“ „Steh auf und zeige mir den Vogel genauer“, forderte der Erbe des Horus daraufhin mit freundlicher Aufmerksamkeit und der Diener beeilte sich diesem Wunsch nachzukommen. Der Pfauenpfleger hatte sich gerade erhoben, um sich zusammen mit dem Vogel dem Herrscher zu nähern, als Seth, von Kakau geschickt, um einige dringende Papyri von Akunadin gegenzeichnen zu lassen, leise den Audienzsaal betrat und erstaunt erstarrte, als er sah, dass sich sein Benu gefangen in den Händen ihm unbekannter Männer befand. Stumm sah er zu, wie sich der Diener langsam auf den Thron zu bewegte, während Merenseth in eine Art Starre verfallen zu sein schien, damit das eng um sie geschlungene Netz ihr nicht Haut und Federn zerschnitt. Äußerst ungehalten darüber, dass der Benu sich wieder einmal in Schwierigkeiten gebracht hatte, die seinen Plänen absolut nicht zuträglich waren, erwog Seth den Vogel einfach seinem Schicksal zu überlassen, wie immer das auch aussehen mochte. Zumal Seth als diener gegenüber dem Willen des Herrn der zwei Länder ohnehin vollkommen machtlos und unbedeutend war. Entschied der Herrscher den Vogel zu behalten und als Prestigeobjekt zur Schau zu stellen, gab es nichts was der Junge dagegen tun konnte. Unterdessen war der Pfauenpfleger nah genug an den König herangetreten, dass dieser sich den Vogel genau ansehen konnte. Gründlich besah sich Akunemkanon das Tier, strich prüfend über die glutfarbenen Federn des stocksteif verharrenden Benus und wandte sich schließlich lächelnd an seinen Bruder, der sich während der Audienzen stets an seiner Seite befand und als Ratgeber fungierte. „Was denkst du, Akunadin, ist das einer der sagenumwobenen Feuervögel aus unserer Kindheit?“ „Du weißt, dass ich nie an derlei Geschichten geglaubt habe“, erwiderte der Angesprochene seinem Herrn und Bruder und fügte hinzu: „Aber wenn du es herausfinden willst, gibt es eine einfach Möglichkeit: töte ihn. Verbrennt er und ersteht wieder auf, bin ich bereit an die Existenz von Benu zu glauben und du wärst tatsächlich im Besitz einer unschätzbaren Kostbarkeit. Erweist er sich jedoch als gewöhnliches Tier mit seltenem Gefieder, kannst du ihn immer noch ausstopfen lassen und dich an seinem Aussehen erfreuen.“ Die Unterhaltung zwischen den beiden Brüdern war nur sehr leise erfolgt, für kaum jemanden außer ihnen zu verstehen, abgesehen von dem Diener, der das Tier hielt, dem Benu selbst und Seth, der in schweigender Zurückhaltung darauf wartete von Akunadin bemerkt zu werden. Als der Junge die Worte des Tjt hörte, fiel sein Zorn auf Merenseth von einem Moment zum anderen in sich zusammen und er empfand Scham darüber, dass er tatsächlich versucht gewesen war, sie im Stich zu lassen. Dass er beinahe für seine Rache das einzige Wesen verraten hätte, das stets bedingungslos zu ihm gehalten hatte. „Ihr werdet sie nicht anrühren!“, obwohl er diese Worte nur leise geäußert hatte, war ihnen die fordernde Entschlossenheit nur allzu gut anzuhören, die ihm die sofortige Aufmerksamkeit der beiden mächtigsten Männer Kemets einbrachten. Der Ältere musterte ihn mit verwunderter Neugier, der Jüngere mit eisiger Gleichmütigkeit, die Seth umgehend zu Bewusstsein brachte, was er da gerade alles aufs Spiel gesetzt hatte. Aber weder konnte, noch wollte er seine Worte zurücknehmen oder sein Verhalten rückgängig machen. Er hatte sich entschieden und diese Entscheidung würde er nicht noch einmal ändern. Also erwiderte er mit stolzer Haltung unverwandt den Blick des Tjt, der sich mit beängstigender Ruhe erkundigte: „Was hast du gesagt?“ „Ihr werdet sie nicht anrühren!“, wiederholte Seth stur und entschlossen seine Worte, „ihr habt kein Recht über das Ba des Osiris zu Gericht zu sitzen, es wäre ein Frevel, den die Götter sicher nicht vergessen werden.“ Noch immer wirkte Akunadin vollkommen beherrscht, während er eine weitere Frage stellte: „Du bist dir über die Folgen deiner Frechheit im Klaren?“ Seth richtete sich noch ein wenig stolzer auf, schob trotzig das Kinn vor und wich dem stechend auf ihn gerichteten Blick seines Gegenüber keine Sekunde aus: „Das bin ich, aber ich werde dennoch nicht zulassen, dass ihr euch an ihr vergreift.“ In diesem Moment griff Akunemkanon in die Auseinandersetzung der Beiden ein, nachdem er seinen Bruder und dessen Untergebenen eine zeitlang prüfend und aufmerksam betrachtet hatte: „Du scheinst bereits sicher zu sein, dass es sich um einen Benu handelt, was würdest du also mit ihm tun?“ „Lasst ihn frei.“ „Mehr hast du nicht vorzuschlagen? Mir scheint, der Vorschlag des Tjt hatte weit mehr Hand und Fuß“, stellte Akunemkanon gelassen fest, sodass Seth die Zähne zusammenbiss und die Hände zu Fäusten ballte, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Er hatte das Gefühl gerade einer äußerst unangenehmen Prüfung unterzogen zu werden. So wenig er die Art der Prüfung mochte, war er dennoch nicht gewillt einfach klein beizugeben und seinen Gegnern ohne weiteres den Sieg zu überlassen. „Wenn ihr einem Gefährten des Re willentlich Leid zufügt, werdet ihr mit Sicherheit den Zorn der Götter wecken und Kemet in Gefahr bringen.“ „Hältst du uns tatsächlich für so dumm, dass wir nicht einschätzen können, ob wir Kemet gefährden oder nicht?“, Akunemkanon klang dieses Mal ein wenig unwillig, während sich Akunadin keine Reaktion anmerken ließ, sah man davon ab, dass er hoch aufgerichtet auf seinen Untergebenen herabsah und kurz eine Hand zur Faust ballte, bevor er sie wieder entspannt an seiner Seite herabhängen ließ und auf Seths Antwort wartete. Dieser hatte aus den Augenwinkeln die Reaktion seines Herrn wahrgenommen, ließ sich jedoch trotzdem nicht von dem einmal eingeschlagenen Weg abbringen und antwortete dem Herrn der beiden Länder: „Bisher nicht“, sich mit dieser Antwort noch weiter über die bereits überschrittene Grenze hinauswagend, in dem Glauben, dass er ohnehin nichts mehr zu verlieren hatte. „Mir scheint, du hast Höflichkeit und Etikette bisher bei seiner Erziehung sehr vernachlässigt“, erklärte Akunemkanon daraufhin ungerührt an seinen Bruder gewandt, Seth von einem Moment auf den anderen plötzlich vollkommen ignorierend. „Das scheint mir auch so“, erwiderte Akunadin unbewegt, „aber sei versichert, dass so etwas nicht wieder vorkommen wird.“ Akunemkanon lächelte freundlich, „Davon bin ich überzeugt. – Nun, was sollen wir also mit diesem angeblichen Benu tun?“ „Die Entscheidung liegt ganz bei dir.“ „Gut, dann entscheide ich, dass sich der Junge um den Vogel kümmern soll. Ist dir das Recht?“, gab Akunemkanon seine Entscheidung bekannt und wandte sich zugleich fragend an seinen Bruder. Dieser verbeugte sich nur mit ergebener Höflichkeit und entgegnete: „Ich werde veranlassen, dass eine Vogelstange in sein Zimmer gebracht wird.“ Akunemkanon nickte zufrieden, gab dann dem Pfauenpfleger mit einer Handbewegung zu verstehen, er solle sich entfernen und wandte sich anschließend an Seth, der wie vom Donner gerührt dastand und nicht glauben konnte, was er gerade gehört hatte. „Steh nicht herum wie ein Standbild, sondern beweise uns, dass du nicht nur gut mit Worten umzugehen verstehst. Du bist ab sofort für das Tier persönlich verantwortlich, wenn ihm etwas geschieht, hast du die Konsequenzen zu tragen.“ Seth nickte nur hölzern auf die Worte des Herrn der beiden Länder, zum Zeichen, dass er verstanden hatte, zögerte noch einen Moment und lief dann kurzerhand zu Merenseth, sie aus ihrer Verschnürung befreiend. Doch auch als der Benu nicht mehr in dem Netz gefangen war und Seth dessen Schnabel von der Schnur befreit hatte, verhielt der Vogel sich unnatürlich ruhig, als würde er sich tot stellen, um so seine Peiniger täuschen zu können. Der Junge wusste nicht recht, was er nun tun sollte und so sah er zu den beiden Brüdern vor ihm auf, in der Hoffnung von ihnen einen Rat zu erhalten. Während der Tjt noch immer den Eindruck eisiger Herablassung erweckte und Seth so wortlos zu verstehen gab, dass die Sache für ihn noch lange nicht ausgestanden war, wirkte der Herr der beiden Länder doch um einiges aufgeschlossener und befahl dem Jungen die Papyri und Schreibpalette im Audienzzimmer zu lassen und mit dem Benu zurück in den Garten zu gehen, bis dieser sich wieder beruhigt hatte. Dankbar verneigte sich Seth tief, tat wie ihm geheißen und verließ gleich darauf den Saal mit dem Gedanken, dass der Gott Seth mit der Behauptung Akunemkanon sei ein schwacher Herrscher vielleicht Recht haben mochte, als Mensch jedoch schien er durchaus nicht so unfähig zu sein. Während Seth den Saal verließ, winkte Akunemkanon auch alle anderen Anwesenden im Saal hinaus, um mit seinem Bruder allein reden zu können. „Dein Sohn scheint ebenso klug zu sein wie du – und ebenso stur. Wirst du ihm sagen, wer du bist?“ Akunadin verneigte sich ein wenig, auf diese Weise für das Kompliment seines Bruders dankend und anschließend erwidernd: „Es ist nicht nötig, dass er erfährt wer ich bin, also wird er es nicht erfahren.“ „Hältst du das für klug? Er ist dein Sohn. Glaubst du nicht, dass er verstehen wird, warum du ihn und seine Mutter damals verlassen hast?“ „Wenn es dein Wunsch ist, werde ich es ihm sagen, aber ich bitte dich, mir den Zeitpunkt zu überlassen, an dem ich es ihm mitteile“, lenkte Akunadin ein, offenbar bemüht eine längere, fruchtlose Diskussion zu vermeiden. Akunemkanon nickte einverstanden, „gut, so sei es. – Hast du vor ihn für sein Verhalten zu bestrafen?“ „Strafe erhält, wer Strafe verdient, anders lässt sich ein Staat nicht am Leben erhalten“, erwiderte Akunadin ruhig, worauf sein Bruder leicht den Kopf schüttelte: „Du bist zu streng, mein Bruder. Aber die Entscheidung liegt bei dir, er ist dein Sohn und dein Untergebener. Nur sorge dafür, dass er sich anschließend noch zufriedenstellend um meinen Benu kümmern kann“, die letzten Worte hatte Akunemkanon mit einem kleinen Lächeln geäußert, seinen Bruder auf diese Weise gemahnend, es nicht zu übertreiben. „Ich werde darauf achten“, antwortete Akunadin erneut mit einer leichten Verneigung und bekam nach einem weiteren Lächeln seines Bruders die Frage zu hören: „Wirst du ihn in deinen Diensten behalten?“ „Er ist anstellig, wenn er lernt sich zu benehmen, könnte er dereinst mein Nachfolger sein und deinen Sohn beraten. Dafür braucht er nicht nur eine gute, sondern die beste Ausbildung.“ „Und du bist derjenige, der ihm diese Ausbildung zukommen lassen wird“, die Lippen Akunmekanons zierte nun ein breites Grinsen, während er feststellte: „Wenn dein Sohn meinen Sohn nur halb so gut berät, wie du mich, dann geht Kemet einem goldenen Zeitalter entgegen.“ Bei diesen Worten verzogen sich auch Akunadins Lippen zu einem vieldeutigen Lächeln, während seine Augen vollkommen ungerührt blieben und er erklärte: „So wird es sein.“ Unterdessen war Seth im Garten angekommen und ließ sich am Rand eines Wasserbeckens nieder, den Benu wie gewohnt auf seinen Knien platzierend und ihm beruhigend über das Gefieder streichend. Es dauerte nicht lang und Merenseth erwachte aus ihrer Starre, reckte sich, schlug mit den Flügeln, um die Federn wieder in Ordnung zu bringen, strich mit ihrem Kopf über Seths Wange, als wollte sie sich auf diese Weise bei ihm für seine Hilfe bedanken und ließ schließlich ein Tschilpen hören, das sowohl verlegen als auch Vergebung heischend klang. Offenbar war es Merenseth nicht nur peinlich in diese Misere geraten zu sein, sondern hatte sie auch sehr wohl mitbekommen in welche Schwierigkeiten sie Seth damit gebracht hatte. So ungehalten der Junge anfangs über das Missgeschick des Benu gewesen war, so wenig konnte er jetzt bei dessen völlig zerknirschtem Anblick wütend auf ihn sein und so versuchte er nun, statt Merenseth eine Strafpredigt zu halten, tatsächlich sie zu trösten. Sie und sich selbst davon zu überzeugen, dass die ganze Sache noch glimpflich ausgehen und sie nicht bald wieder vor dem völligen Nichts stehen würden. Immerhin hatte ihm der Erbe des Horus eine Verantwortung übertragen, die der Tjt nicht einfach übergehen konnte, wenn er sich nicht dessen Unmut einhandeln wollte. Während Seth ein doch sehr einseitiges Gespräch mit seinem Benu führte, erklangen plötzlich die Stimmen zweier Jungen und eines Mädchens, die sich anscheinend unterhielten und dabei dem Wasserbecken, Seth und seinem gefiederten Gefährten immer näher kamen. Seth hatte sich gerade von dem Rand des Bassins erhoben, um sich unbemerkt aus dem Staub zu machen, als auch schon ein edel gekleideter Junge mit äußerst ungewöhnlichen, dreifarbigen Haaren, der im gleichen Alter wie Seth sein mochte, den Platz mit dem Wasserbecken betrat und überrascht inne hielt, als er den Jungen mit dem glutfarbenen Vogel entdeckte. Hinter dem Unbekannten konnte Seth noch einen weiteren Jungen und ein Mädchen erkennen, die sich im Aussehen ähnelten und beinahe ebenso kostbar gekleidet waren, wie der Junge mit der merkwürdigen Haarpracht. Dieser augenscheinliche Anführer der kleinen Gruppe musterte den Jungen vor sich mit neugieriger Ruhe und fragte dann, wer Seth sei und was er hier im Garten täte. Für einen kurzen Moment schwieg der Angesprochene, als würde er darüber nachdenken, ob er dem Fremden tatsächlich antworten sollte, letztendlich jedoch nannte er gleichmütig seinen Namen und erklärte, dass er in Diensten des Tjt stehe. „Das sehen wir“, erwiderte der zweite Junge mit leichter Herablassung in der Stimme, „aber wie es aussieht achtet Akunadin nicht mehr so streng darauf, wen er in seine Dienste nimmt. Für gewöhnlich wissen seine Untergebenen, was sich gegenüber dem Sohn des Herrn der beiden Länder gehört.“ „Mahaado“, mahnte der erste Junge mit ruhiger Stimme, ohne unfreundlich zu klingen oder den Blick von Seth abzuwenden. Dennoch bat der mit Mahaado angesprochene Junge umgehend um Vergebung, allerdings ohne dabei allzu devot zu klingen. Es schien, als wären die beiden Jungen in erster Linie Freunde und erst in zweiter Herrschersohn und getreuer Vasall. Seth war bei den Worten des Unbekannten erstaunlich ruhig geblieben und betrachtete lediglich erneut mit prüfendem Blick den am kostbarsten gekleideten Jungen vor sich. Das war also Atemu, der künftige Gebieter über das Schicksal Kemets. Er machte einen erstaunlich unschuldigen Eindruck, als hätte er bisher stets behütet im Palast gelebt und keine Ahnung davon wie die Welt außerhalb dieser Mauern war, aber dieser Eindruck mochte täuschen. Unterdessen stellte der künftige Herrscher Kemets mit neugieriger Freundlichkeit fest: „Du hast da einen ungewöhnlichen Begleiter.“ Da Seth auf diese Feststellung keine passende Erwiderung einfiel, die dem Sohn des Herrschers gegenüber nicht als ungebührlich empfunden worden wäre, schwieg er und wartete lediglich ab, was als nächstes geschehen würde. „Ich glaube, das ist der Benu, von dem ich euch eben erzählt habe“, äußerte sich erstmals das Mädchen mit einer angenehm klingenden Stimme. Seth konnte sich nicht erinnern, sie im Audienzsaal gesehen zu haben, aber Klatsch verbreitete sich im Palast erstaunlich schnell. Wenn man wollte, dass etwas umgehend im Schloss bekannt wurde, brauchte man es nur einem der müßig herumstehenden Hofschranzen zu flüstern und man konnte sicher sein, dass innerhalb eines Tages der gesamte Hof bescheid wusste. „Dann bist du der Junge, der sich gegen Akunadin und meinen Vater gestellt hat?!“, Atemu wirkte ein wenig überrascht, als wäre ihm etwas Derartiges bisher nie in den Sinn gekommen. Seth neigt lediglich zustimmend den Kopf und schwieg weiterhin. „Dann bist du entweder dumm, mutig oder beides“, stellte Mahaado unterdessen fest und fügte boshaft hinzu: „Obwohl es vermutlich ersteres ist, so verschwiegen wie du dich plötzlich gibst.“ „Im Gegensatz zu Anderen, rede ich, wenn ich etwas zu sagen habe und nicht weil ich mich vor jemandem aufspielen will.“ Bevor Atemu dieses Mal seinen Freund zurechtweisen konnte, hatte Seth bereits mit nicht weniger Herablassung als zuvor Mahaado in der Stimme dessen Worte gekontert. Für einen kurzen Moment verengten sich die Augen des anderen Jungen verärgert, bevor er erwiderte: „Im Gegensatz zu dir, kenne ich meinen Platz sehr genau und du solltest nie vergessen, dass du nie mehr als der Schatten eines mächtigen Mannes sein wirst.“ Seth lächelte daraufhin nur kühl, während er erklärte: „Der Schatten von jemandem zu sein, ist eine große Verantwortung und ein Vertrauensbeweis. – Nichts kommt einem Menschen näher als sein eigener Schatten.“ Mahaado schwieg darauf verbissen, während Atemu und das Mädchen verwundert zwischen den beiden Jungen hin und her sahen, die so unerklärlich Feindschaft geschlossen zu haben schienen. Sowohl um die angespannte Stille zu durchbrechen, als auch weil er an dem Vogel interessiert war, äußerte Atemu schließlich an Seth gewandt: „Isis hat erzählt, dass Vater dir die Verantwortung für den Benu übertragen hat“, Seth nickte bestätigend und Atemu fuhr fort: „Hast du ihm schon einen Namen gegeben?“ „Merenseth.“ Ein Lächeln glitt bei dieser Antwort über das Gesicht des Prinzen, bevor er erklärte: „Ich würde ihn gern einmal anfassen.“ Kurz sah Seth seinen Benu an, der diesen Blick ruhig erwiderte, trat dann einen Schritt auf den Prinzen zu und streckte ruhig den Arm aus, auf dessen Hand der Benu die ganze Zeit über gesessen hatte. Im ersten Moment zögerte Atemu ein wenig den Vogel zu berühren, fasste dann jedoch Mut und strich über das glutfarbene, weiche Gefieder des Benu, der das geduldig über sich ergehen ließ. Wieder lächelte Atemu, trat schließlich einen Schritt zurück und sagte: „Ich denke, wir werden uns in Zukunft sicher öfter sehen.“, bevor er sich abwandte und gefolgt von Isis und Mahaado gelassen davon schritt. Seth sah den Dreien einen kurzen Moment nachdenklich hinterher, bevor er sich wieder auf für ihn wichtigere Dinge konzentrierte und zurück in den Palast ging, um nicht nur seine Aufgaben weiter zu erledigen, sofern er sich noch immer in den Diensten Akunadins befand, sondern auch um zu erfahren, was ihm wohl als Strafe für sein Verhalten im Thronsaal zugedacht worden war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)