Feuervogel von abgemeldet (Ein Junge und sein Benu gegen den Rest der Welt) ================================================================================ Kapitel 21: Treue und Intrige ----------------------------- Dieses Mal gibt es die Erklärungen ausnahmsweise vorweg, um möglichen Verständnislosigkeiten während des Lesens vorzubeugen. Eine Woche umfasste im alten Ägypten 10 Tage, Fliegen galten zu jeden Zeiten als Zeichen der Tapferkeit und wurden in Form von Orden an Soldaten verliehen bzw. dienten in Form von Kettengliedern als Amulette. Das Isisblutsymbol sah aus wie eine verknotete Schlinge und war im Ursprung vermutlich der Gürtelknoten von Göttergewändern, und wurde ähnlich dem Henkelkreuz (= Hieroglyphe für Leben) als Amulett getragen. Eine richtige Hochzeitszeremonie gab es zu jener Zeit auch nicht, wenn ein Paar zusammen zog galt es als verheiratet und die Sache war erledigt, ich nehme aber an, dass sie auch schon zu jener Zeit gern Feste gefeiert haben und da ein General nicht gerade unbedeutend war, werden sie dessen neue Häuslichkeit vermutlich gründlich begossen haben. Es zeigte sich, dass auch keiner der verbliebenen vier Söldner mit der Quittung oder Seths Dorf in Verbindung zu bringen war. Ebenso wenig ließ sich nachweisen, dass Karim in irgendeiner Weise an den Überfällen auf die Dörfer war und auch Sechemib gab keine weiteren Hinweise darauf in welcher Beziehung er zu dem Mörder aus der Brandnacht stand. Drei Jahre lang verliefen alle Bemühungen Seths und seines Benu irgendetwas Genaueres über den Angriff auf Seths Dorf herauszufinden buchstäblich im Sand. Unterdessen kam es immer wieder zu erneuten Übergriffen auf Dörfer und Karawanen, die keinerlei Muster erkennen ließen und es so unmöglich machten sie vorherzusagen und vielleicht zu verhindern. Zwar war die Zahl der Überfälle auf unerklärliche Weise geringer geworden, aber die Unfähigkeit des Königs die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten, sorgte dennoch für Unmut bei den Bewohnern Kemets. Sie fühlten sich ausgeliefert und im Stich gelassen, während zugleich immer wieder Gerüchte kursierten, die behaupteten Soldaten wären für diese Übergriffe verantwortlich, und der Herrscher unterdessen nichts Besseres zu tun hatte als die Armee zu hofieren. Allerdings gab es auch eine nicht geringe Zahl von Menschen, die das Vorgehen Akunemkanons gut hießen und immer wieder darauf hinwiesen, dass die Armee nicht für die Taten Entlassener verantwortlich zu machen sei. Viel schlimmer sei die immer wieder aufgedeckte Korruption von Beamten, die häufig genug in den Diensten Amuns standen, sodass Forderungen laut wurden auch die Priesterkaste müsse grundlegend reformiert werden. Diese Aufteilung in Fürsprecher und Gegner der Armee oder der Amunpriesterschaft setzte sich auch im Palast fort. Die einen standen auf Seiten des Tjt, die andern auf Seiten Karims und jeder verstand es jeweils hervorragend die Fehler und Vergehen der anderen Seite zu bemerken, aufzuzählen und für ihre Zwecke zu verwenden. Sowohl der Tjt als auch Karim bemühten sich unterdessen nach außen hin, wenn auch keine Freundschaft, so doch zumindest einmütigen Waffenstillstand zu demonstrieren. Bestrebt das Wohlwollen Akunemkanons nicht unbedacht aufs Spiel zu setzen. Eines Tages schien es jedoch, als würde sich das äußerst fragile Gleichgewicht zwischen den beiden engsten Beratern des Königs zu Ungunsten Karims verschieben und Akunadin aus dem stillen Machtkampf als Sieger hervorgehen. Es war früher Nachmittag, wenige Tage vor Seths Abschluss der Priesterausbildung. Auf dem Trainingsgelände der Soldaten übten sich einmal mehr Mahaado und Seth im Schwertkampf, unter den aufmerksamen Augen Karims und Merenseths. Seth war bei weitem nicht mehr so ungeschickt im Umgang mit dieser Waffe wie zu Beginn seiner Lehrzeit, es war ihm sogar gelungen Mahaado so etwas wie widerwilligen Respekt für seine Leistungen abzutrotzen. Übermächtiges Vergnügen bereitete ihm diese Art des Kampfes dennoch nicht. So war er auch nicht sonderlich ungehalten darüber, als Mahaado mitten in einem Scheinangriff plötzlich innehielt und besorgt in Richtung des Palastes sah, von wo in diesem Moment Isis herbeigelaufen kam. Die Besorgnis Mahaados war nur zu verständlich, wenn man berücksichtigte, dass Isis, die normalerweise stets ein sehr würdevolles und beherrschtes Auftreten an den Tag legte, in diesem Moment äußerst würdelos in größter Hast auf sie zu rannte, mit einem Gesichtsausdruck, den man nicht anders als panisch bezeichnen konnte. Sie war kaum neben Karim stehen geblieben, als sie auch schon nach Atem ringend hervorstieß: „Sie haben die Kette gefunden!“ „Welche Kette und wer hat sie gefunden?“, erkundigte sich Karim mild, seiner Frau beruhigend eine Hand auf die Schulter legend, während gleichzeitig Mahaado und Seth unaufgefordert nähertraten, um ebenfalls zu erfahren, was geschehen war. „Sechemib und seine Leute. Sie haben in dem Dorf bei Gebtiu die Kette gefunden, die ich dir zur Hochzeit geschenkt habe.“ Auf diese Erklärung Isis’ herrschte für einen Moment betroffenes Schweigen. Unauffällig warf Seth seinem Benu einen kurzen Blick zu, während er sich fragte, ob er und Merenseth die Observierung Karims womöglich doch zu früh abgebrochen hatten. Es war Mahaado, der das Schweigen schließlich beendete, indem er sich bei seiner Schwester erkundigte: „Bist du sicher? Vielleicht hast du irgendetwas falsch verstanden.“ Isis schüttelte vehement den Kopf, während sie gleichzeitig erklärte: „Ich bin sicher. Sechemib erstattet gerade dem König Bericht.“ Noch bevor einer der drei Männer darauf reagieren konnte, näherten sich auch schon zwei Palastwachen und ein Diener der kleinen Gruppe. Höflich erklärte der Dienstbote dem General, dass der König ihn und seine Frau zu sprechen wünsche, während die beiden Wachen den Diener schweigend flankierten und ihnen die Situation alles andere als angenehm zu sein schien. Karim nickte auf die Worte des Dieners lediglich und forderte ihn anschließend auf voranzugehen, während er tröstend Isis Hand ergriff und das Paar gleich darauf dem Diener in den Palast folgte, von den erleichtert wirkenden Wachen eskortiert. Die unbeachtete Nachhut dieser kleinen Prozession bildeten in ungewohnter Eintracht Mahaado und Seth. Auch als sie schließlich als Letzte den Raum betraten, in dem sich bereits der König, Atemu, der Tjt und Sechemib befanden, achtete niemand auf sie. Während der Kronprinz seinen Freunden aufmunternd zulächelte, in dem Versuch ihnen Mut zu machen und ihnen so zu versichern, dass alles gut werden würde, trug Akunadin eine Miene kühler Ausdruckslosigkeit zur Schau, zeigte der Amunpriester sich von unterwürfiger Aufmerksamkeit und schien Akunemkanon über das, was er gehört hatte, aufrichtig bekümmert zu sein. Dennoch begann er mit ruhiger Beherrschung Fragen an Karim und Isis zu richten, sobald sich niemand mehr außer den acht genannten Personen im Raum befand. „Ihr wisst, dass vor drei Wochen wieder ein Dorf überfallen wurde?“ Sowohl Isis als auch Karim bestätigten die königliche Frage mit höflicher Zustimmung. „Und ihr wisst ebenfalls, dass der Priester Sechemib beauftragt wurde diese Sache zu überprüfen.“ Wieder bestätigten die Beiden die Feststellung des Königs, worauf für einen kurzen Moment lastende Stille eintrat, während der Herrscher nach einem unauffälligen Holzkästchen griff, das auf einem kleinen Tisch neben seinem Stuhl stand. Nachdem er das flache Kästchen geöffnet hatte, hielt er es dem Ehepaar entgegen. „Erkennt ihr das wieder?“, verlangte Akunemkanon gleich darauf zu wissen, während er prüfend die Gesichter des Paares betrachtete. Bei dem Gegenstand, der sich in dem Kästchen befand, handelte es sich um eine aus breiten, quadratischen Goldgliedern geschmiedete Kette. Den Mittelpunkt und Blickfang dieser Kette bildeten zwei goldene Fliegen, die zwischen ihren Vorderbeinen eine stilisierte Lotosblüte trugen, in deren Mitte das Isisblutsymbol zu sehen war. Es hätte keinen Zweck gehabt zu leugnen, worum es sich bei diesem Schmuckstück handelte, zu viele Menschen hatten es am Tag der Hochzeit und auch danach bewundernd betrachtet. Scheinbar unbewegt und gelassen hatte Karim die Kette betrachtet, während Isis äußerst angespannt und besorgt wirkte, Beide nickten jedoch in schweigender Bestätigung auf die Frage Akunemkanons. Dieser seufzte leise während er den Holzkasten schloss und wieder zu Seite stellte, sich anschließend in neutralem Tonfall erkundigend: „Könnt ihr mir eine glaubhafte Erklärung dafür geben, dass diese Kette in der Hand eines toten Dörflers gefunden wurde?“ Da sowohl Isis als auch Karim darauf nur betroffen schwiegen, gab Atemu an ihrer statt Antwort auf die Frage seines Vaters: „Es könnte sich um ein Duplikat handeln. Immerhin ist es doch möglich, dass auch andere Menschen als Isis auf eine solche Idee kämen.“ Akunemkanon nickte daraufhin nachdenklich, während er weiter die beiden Verdächtigen betrachtete. Gleichzeitig erwiderte der Tjt auf die Worte seines Neffen ruhig: „Wenn dem so ist, wird einer der Beiden uns sicher die in ihrem Besitz befindliche Kette zeigen können und diese Angelegenheit umgehend aufklären.“ Wieder nickte der König bei dieser Äußerung und sah abwechselnd erwartungsvoll Karim und Isis an, zugleich auffordernd nachhakend: „Nun? Könnt ihr uns eure Kette zeigen?“ „Verzeih, Majestät“, erwiderte Isis darauf leise, mit gesenktem Blick, „aber die Kette wurde gestohlen, während wir in Gebtiu waren.“ „Dann wurde sie mit Absicht gestohlen und in das Dorf gebracht, um euch zu schaden“, stellte Mahaado mit nur mühsam unterdrückter Erregung fest. „Das wäre natürlich möglich“, konterte wiederum Akunadin gelassen, „aber es ist schon ein erstaunlicher Zufall, dass jemand genau dann die Kette stiehlt, wenn sich deren Eigentümer nur einen halben Tagesritt von dem überfallenen Dorf entfernt aufhalten.“ „Es war kein Geheimnis, dass wir diese Reise unternehmen würden. Jeder hätte etwas Entsprechendes planen können, wenn er nur entschlossen dazu gewesen wäre“, gab Isis nun zu bedenken. „Du bist also der Ansicht, dass jemand aus dem Palast für die Zerstörung der Dörfer verantwortlich ist“, mischte sich nun auch wieder Akunemkanon in die Debatte, „das wäre Hochverrat!“ „Es muss nicht jemand aus dem Palast sein, es kann auch jemand sein, der Verbündete unter den Palastbewohnern oder den Bediensteten hat“, lenkte Isis vorsichtig ein. Immerhin gehörte Karim ebenfalls zum Palast und im Moment galt es jeden Schatten, der auf ihn fallen mochte, abzulenken. Doch offenbar war es dafür bereits zu spät, denn nun ergriff Akunadin wieder das Wort, während für Sekunden ein winziges Lächeln um seine Lippen spielte, das nicht einmal im Ansatz den Versuch unternahm seine Augen zu erreichen. „Ich denke, derjenige, der für die Zerstörung der Dörfer verantwortlich ist, befindet sich sehr wohl im Palast. Nur nicht zu dem Zeitpunkt, als das letzte Dorf überfallen wurde. An diesem Überfall hat er sich in eigener Person beteiligt, sei es aus Hochmut, weil er sich vollkommen sicher und überlegen fühlte, oder aus einer uns noch unbekannten Notwendigkeit heraus. Er weiß, dass er schuldig ist und es für ihn keine Möglichkeit mehr gibt, sich zu verstecken. Also schweigt er verbissen, um keinen weiteren Fehler zu begehen, statt zu versuchen vor seinem Wohltäter seine Unschuld zu beweisen.“ „Aber das ergibt keinen Sinn“, widersprach Atemu verärgert, ohne Karim überhaupt die Möglichkeit zu lassen, sich selbst zu verteidigen. „Warum sollte es für den Anführer der Rebellen auf einmal notwendig sein, an den Raubzügen teilzunehmen, wenn das doch bisher nicht der Fall gewesen ist? Und warum sollte er so leichtsinnig sein, ein so auffälliges Schmuckstück mit sich zu tragen, zu riskieren, es zu verlieren und es schließlich einfach zurückzulassen, sodass wir ihm auf die Schliche kommen müssen?!“ „Die Antwort auf deine erste Frage, Hoheit, kann wohl nur der Betreffende selbst beantworten“, erwiderte Akunadin unverändert gelassen, „obwohl es keine Beweise dafür gibt, dass er nicht auch schon an anderen Überfällen teilgenommen hat. Die Kette sollte ihm sicher als Schutz und Glücksbringer dienen, dass sie stattdessen verlorenging und er nicht in der Lage war sie wieder zu finden, bevor er nach Gebtiu zurückkehren musste, um seine Abwesenheit nicht auffällig werden zu lassen, ist ein Zeichen für den Unwillen der Götter angesichts seiner Verbrechen.“ „Warum haben die Götter dann nicht schon vor mehr als drei Jahren ihren Unmut geäußert, als die Überfälle begonnen haben?“, verlangte Mahaado zu wissen, dem es deutlich schwerer fiel seine gereizte Stimmung unter Kontrolle zu halten. „Ich bin nur ein einfacher Mensch, wie könnte ich es wagen, das Vorgehen der Götter in Zweifel zu ziehen“, erklärte der Tjt mit betont milder Stimme und direktem Blick, der Mahaado mit grimmigem Gesicht verstummen ließ. Wieder herrschte für einen Moment drückendes Schweigen in dem kleinen Raum, bevor sich Akunemkanon direkt an seinen obersten Befehlshaber wandte und äußerte: „Es haben mein Sohn, deine Frau und ihr Bruder zu deinen Gunsten gesprochen und auch wenn der Tjt die unangenehme Aufgabe übernommen hat, all die Punkte zu nennen, die gegen dich sprechen, so bin ich doch überzeugt, dass auch er von deiner Unschuld überzeugt ist. Dennoch will ich von dir selbst hören, was du zu den Vorwürfen zu sagen hast. Ich hatte bisher nie Grund zu der Annahme, dass du Kemet schaden wolltest, wenn du also eine Idee hast und sei sie noch so flüchtig, wer dir Übel will, so hilf uns, dich von diesem Verdacht freizusprechen.“ „Majestät“, Karims Stimme klang vollkommen gefasst, nichts an seiner Haltung wies daraufhin, dass er sich irgendeiner Schuld bewusst war, „alles was ich sagen kann ist, dass weder Isis noch ich diese Kette mit nach Gebtiu genommen haben. Keiner von uns ist auch nur in die Nähe des überfallenen Dorfes gekommen. Natürlich haben wir von dem Überfall erfahren, aber erst als wir bereits auf dem Rückweg in die Hauptstadt waren. Wie die Kette in das Dorf gelangt ist, weiß ich nicht anders zu erklären, als auf die Arten, wie sie bereits genannt worden sind.“ „Wärst du bereit zu schwören, dass du nichts mit diesen Überfällen zu tun hast?“, hakte Akunemkanon ernst nach, Karim nicht aus den Augen lassend. Jeder, der einen Meineid schwor, würde vor dem Totengericht seine schwere und gerechte Strafe erhalten. Kein Ägypter, der an ein Leben nach dem Tod glaubte, würde sich selbst der Möglichkeit darauf berauben. Karim wich dem Blick des Königs nicht einen Moment aus und erwiderte ruhig: „Ich schwöre, auf Maat und das Leben meines ungeborenen Kindes.“ Akunemkanon atmete ebenso erleichtert auf wie sein Sohn, während ein freundliches Lächeln in seinem Gesicht erschien. „Ich glaube dir. Wir werden herausfinden, wer Kemet und dir schaden will und ihn seiner gerechten Strafe zu führen. Bis wir den Schuldigen gefunden haben, wird es allerdings nötig sein, dass du dich nicht vom Palast entfernst, um weiteren Angriffen vorzubeugen.“ Karim verneigte sich ehrerbietig, während er erwiderte: „Ich danke dir, Majestät, für dein Vertrauen.“ Er hatte sich kaum aufgerichtet, als Sechemib ein etwas verlegen klingendes Räuspern hören ließ und anschließend äußerst höflich erklärte: „Vergib, oh Beschützer der beiden Länder, aber es gibt da etwas, das du noch nicht weißt.“ Der Blick mit dem Akunemkanon den Priester betrachtete war eher überrascht als verärgert, während er äußerte: „Ich hatte angenommen, du hättest mir einen vollständigen Bericht gegeben. Wenn du deine Arbeit stets so unvollkommen erledigst, könnte es notwendig sein, deine Position zu überdenken. Sieh zu, dass solche Fehler in Zukunft nicht mehr geschehen.“ „Ja, Majestät. Vergib, Majestät“, murmelte der Priester daraufhin unterwürfig und zerknirscht, den Blick auf den Boden vor sich gerichtet. „Nun, was hast du also vergessen zu erwähnen?“, erkundigte sich der König ruhig, zum eigentlichen Thema zurückkehrend. „Es gibt einen Zeugen, der den obersten Befehlshaber der königlichen Armee in der Nacht des Überfalls im Dorf gesehen hat. Er schwört, dass er ihn jeder Zeit wiedererkennen würde.“ „Lügner!“, so leise Karim dieses eine Wort hervorgestoßen hatte, verriet es doch nur zu gut das Gefühlschaos aus Hilflosigkeit, Wut und Abneigung gegen den Überbringer dieser Nachricht. Sechemib ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken, sondern erklärte nur mit selbstsicherer Ruhe: „Ich lüge nicht. Es gibt diesen Zeugen, er hat uns begleitet, um dem Herrn der beiden Länder Rede und Antwort zu stehen, wenn dieser es wünscht.“ „Und was hast du ihm dafür geboten, dass er mich verleumdet?“, Karims Stimme klang schneidend, während er Sechemib unverwandt in die Augen sah. Dieses Mal schien der Priester aufrichtig gekränkt zu sein über die Worte des obersten Befehlshabers. „Es mag beim Militär üblich sein, Leute zu bestechen und Beweise zu fälschen, ich aber diene dem Gott Amun“, unverkennbarer Stolz schwang in diesem Satz mit, während sich Sechemib ein wenig höher aufrichtete, um seinem Kontrahenten klar zu machen, dass er sich nicht von diesem unterkriegen lassen würde. Bevor die beiden Gegner ihre Auseinandersetzung jedoch fortführen konnten, entschied Akunemkanon mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete: „Genug. - Karim wird bis auf weiteres in seinem Zimmer unter Arrest gestellt. Des Weiteren wird Isis nicht gestattet die Frauengemächer zu verlassen. Sechemib, du wirst diesen Zeugen zu mir bringen. Alle anderen dürfen sich zurückziehen, bis auf Akunadin.“ Schweigend gehorchten alle Anwesenden diesen Befehlen. Während Isis und Karim, jeweils von zwei herbeigerufenen Wachen flankiert, in ihre jeweiligen Gemächer geführt wurden, holte Sechemib den erwähnten Zeugen. Mahaado begleitete in düsterem Schweigen den Kronprinzen, während Seth, der das Geschehen mit schweigender Aufmerksamkeit verfolgt hatte, nachdenklich Richtung Garten ging, sicher dort Merenseth zu finden. Er hatte kaum den Garten betreten, als ihm der Benu auch schon entgegen geflogen kam und ein fragendes Tschilpen hören ließ, sobald er sich auf dem auffordernd ausgestreckten Arm des jungen Mannes niedergelassen hatte. Seth jedoch erklärte lediglich: „Nicht hier“, während er auch schon kehrt machte und sich auf sein Zimmer begab. Dort angekommen, ließ sich der Vogel auf seiner Stange nieder, während der junge Priester an das einzige Fenster im Raum trat und einen Moment schweigend hinaussah. Schließlich wandte sich Seth seinem Benu zu, verschränkte die Arme vor der Brust und gab knapp und sachlich wieder, was er während des Verhörs erfahren hatte. Unterdessen nahm Merenseth ihre menschliche Gestalt an und setzte sich auf den einzigen Stuhl im Zimmer. Sobald der Priester seinen Bericht beendet hatte, fragte das Vogelmädchen ernst: „Du glaubst nicht, dass er dort war?“ „Ich glaube gar nichts“, erwiderte Seth entschieden, fügte aber gleich darauf hinzu: „An der Sache stimmt etwas nicht. Möglich, dass Sechemib sie inszeniert hat um Karim und damit dem König zu schaden.“ „Dann willst du die Wahrheit selbst überprüfen?“, schlussfolgerte Merenseth, den nachdenklichen jungen Mann vor sich abwartend ansehend. „Vielleicht. Ich habe dem Tjt mein Wort gegeben ihm dabei zu helfen Kemet zu schützen. Wenn Sechemib tatsächlich dem König schaden will, dann…“ Bevor Seth den Satz beenden konnte, klopfte es zaghaft an der Tür. Verwundert stellte Seth fest, dass auf seine Aufforderung hin Kisara das kleine Zimmer betrat. Es war das erste Mal, dass sie ihn aufsuchte und nicht umgekehrt. Seth hatte bis zu diesem Moment noch nicht einmal daran gedacht, ob sie überhaupt wusste, wo sich sein Zimmer befand. Offenbar hatte sie es jedoch herausgefunden und stand nun unsicher und verlegen vor ihm, ihn aus großen, bittenden Augen ansehend, in denen zugleich unumstößliches Vertrauen zu lesen war. Da Kisara auch nach einer Weile keine Anstalten machte zu erklären, was sie zu Seth geführt hatte und dieser allmählich die Geduld verlor noch länger zu warten, erklärte er bestimmt: „Wenn es nicht wichtig ist, was du zu sagen hast, geh.“ Dieser Satz genügte um Kisara hastig hervorstoßen zu lassen: „Die Kette. Sie war noch da, nachdem Isis und ihr Mann abgereist waren.“ „Was?“, entfuhr es Seth verblüfft, während er Kisara mit neuerwachtem Interesse ansah. „Die Kette, die als Beweisstück dient, sie war noch da. Karim kann sie nicht getragen haben als er das Dorf überfallen hat“, erklärte Kisara mutiger geworden, mit Überzeugung. „Woher weißt du von der Kette und dem Verdacht gegen Karim?“, erkundigte sich Seth ein wenig misstrauisch und erhielt darauf die Antwort: „Hapi hat mir befohlen mich um Isis zu kümmern, während sie unter Arrest steht.“ Ohne weiter darauf einzugehen, kam Seth nun zum eigentlich Punkt: „Woher weißt du, dass die Kette erst verschwunden ist, nachdem die Beiden abgereist waren?“ Bei dieser Frage wurde Kisara wieder sichtlich verlegen und war nicht mehr im Stande ihrem Gegenüber in die Augen zu sehen. Stattdessen glitt ihr Blick ziellos durch das Zimmer, schließlich an dem ruhig auf der Stuhllehne sitzenden Vogel hängenbleibend, der die Vorgänge aufmerksam zu verfolgen schien. Den Blick noch immer auf den Benu gerichtet, erklärte sie schließlich leise: „Sie hat mir gefallen. Deshalb hab ich sie mir hin und wieder angesehen, wenn es keiner mitbekommen hat.“ „Wann hast du bemerkt, dass sie verschwunden war?“, verlangte Seth als nächstes zu wissen, völlig unempfindlich gegen die Verlegenheit des Mädchens und mit keinem Wort auf dessen Fehlverhalten eingehend. „Vier Tage vor ihrer Rückkehr“, erwiderte Kisara mit leicht geröteten Wangen, sich etwas entspannend, nachdem das Schlimmste überstanden war. „Und wann hast du sie zuletzt gesehen?“ „Zwei Tage davor.“ „Hast du eine Vermutung, wer die Kette genommen haben könnte?“ Kisara schüttelte ratlos den Kopf, bevor sie erklärte: „Aber ich denke, es muss eine Frau gewesen sein. Ein Mann wäre in den Frauengemächern aufgefallen und ohne das Wissen Hapis wäre er nie in das Zimmer von Isis gelangt.“ Seth runzelte nur leicht die Stirn. Während er schweigend die Möglichkeiten durchging, bei denen durchaus aus ein Mann der Dieb hätte sein können. Laut stellte er dagegen nur die Frage: „Warum befand sich die Kette eigentlich bei Isis, wenn sie doch Karim gehört?“ Kisara lächelte darauf ein wenig verschmitzt, während sie erwiderte: „Ich glaube, sie war ihm etwas peinlich. Deshalb hat er Isis wohl gebeten sie für ihn aufzubewahren. Außerdem hat er sowieso die meiste Zeit bei ihr verbracht, Wenn er die Kette anlegen wollte, brauchte er sie nicht erst holen lassen müssen.“ „Hm“, war alles was Seth daraufhin von sich gab, es gänzlich Kisaras Fantasie überlassend, ob es sich dabei um Zustimmung, Zweifel oder einfach nur um ein Andeutung handelte, dass er nachdachte. „Warum bist du damit zu mir gekommen?“, wechselte der junge Priester plötzlich abrupt das Thema, den Blick durchdringend auf das weißhaarige Mädchen gerichtet, das bei seiner in bittendem Tonfall vorgebrachten Antwort wieder leicht verlegen wirkte. „Du kannst ihnen doch bestimmt helfen, wenn du dem Tjt sagst, was ich dir erzählt habe. Dann werden Isis und Karim doch sicher nicht mehr verdächtigt.“ „Warum bist du nicht selbst zum Tjt gegangen und hast ihm davon erzählt?“ „Oh nein, das könnte ich nicht“, wehrte Kisara vehement ab, allein bei dem Gedanken bereits völlig entsetzt. „Du hast Angst vor ihm“, stellte Seth ein wenig überrascht fest, während Kisara mit gesenktem Blick zustimmend nickte. „Das musst du nicht. Er ist gerecht.“ Kisara schien von Seths ruhig vorgebrachten Worten nicht sonderlich überzeugt zu sein. „Er hätte mich bestimmt dafür bestraft, dass ich unerlaubt an die Sachen der Herrschaft gegangen bin. Vielleicht hätte er sogar geglaubt, dass ich die Kette gestohlen hätte.“ „Hast du?“ hakte Seth daraufhin in neutralem Tonfall nach, der nichts darüber verriet ob er das weißhaarige Mädchen einer solchen Tat für fähig hielt oder nicht. „Nein!“ lautete die mit erschrockener Heftigkeit vorgebrachte Antwort Kisaras, worauf Seth lediglich nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. Durch dieses Nicken beruhigt, sah Kisara den jungen Priester ernst an, während sie sich versicherte: „Du wirst ihnen helfen, nicht wahr?“ Die Frage, die keinen Zweifel daran ließ wie fest das Mädchen daran glaubte, dass Seth Isis und Karim ebenso beistehen würde, wie er ihr, ließ Seth sich verlegen räuspern, bevor er mit abweisender Miene kühl erwiderte: „Ich werde sehen, was ich tun kann.“ Kisara nahm es als Zustimmung und ein dankbares Lächeln erhellte ihr Gesicht, während sie die ganze Sache offenbar schon als so gut wie aufgeklärt und erledigt betrachtete. Nachdem sich das Mädchen schließlich bedankt und verabschiedet hatte, um Seth nicht länger als nötig von seinen Ermittlungen abzuhalten, seufzte der junge Mann geplagt auf, straffte dann entschlossen die Schultern und wandte sich wieder seinem Benu zu, der inzwischen wieder in Menschengestalt vor ihm saß. „Meren, du musst für mich herausfinden, ob noch andere Dorfbewohner überlebt haben und ob einer von ihnen Karim während des Überfalls bemerkt hat.“ Noch bevor Merenseth ihn darauf hinzuweisen konnte, wie schwierig es werden würde einen lebenden Dorfbewohner ausfindig zu machen, geschweige denn mehrere, fügte Seth ergänzend hinzu: „Ich weiß, dass es schwierig ist, Aber du bist ein Benu.“ Für einen Moment betrachtete Merenseth ihr Gegenüber mit einem undeutbaren Blick, dann neigte sie lediglich leicht den Kopf und erwiderte: „Ich werde mich beeilen“, sich anschließend erhebend und zum Fenster tretend. Seth nickte auf diese Bemerkung nur knapp, wartete bis Merenseth wieder ihre Vogelgestalt angenommen hatte und davongeflogen war und verließ dann ebenfalls zielstrebig das Zimmer, um kurze Zeit später die Gemächer des Erbprinzen zu betreten, der ihn nicht weniger erstaunt ansah, als Seth zuvor Kisara. Auch Mahaado befand sich in den Gemächern des Prinzen, und er war es auch der gewohnt angriffslustig wissen wollte: „Was willst du hier?“ „Die Wahrheit herausfinden“, erwiderte Seth kühl und sachlich, den grimmigen Blick Mahaados ungerührt erwidernd. Dieser schnaubte nur abfällig, bevor er brummte: „Die Wahrheit. Dass ich nicht lache. Euch Priestern ist es doch nur Recht, wenn Karim verbannt oder noch besser geköpft wird. Und als kostenlose Dreingabe erhaltet ihr die Verbannung meiner Familie noch dazu.“ „Mahaado“, mahnte Atemu wie so oft beschwichtigend, „ich kann deine Besorgnis verstehen, aber blind auf jeden loszugehen, der Hilfe anbietet, ist keine Lösung. Lass uns lieber hören, was Seth zu sagen hat.“ Nur widerwillig stimmte Mahaado der Meinung des Prinzen zu, lauschte anschließend jedoch ebenso aufmerksam wie dieser dem Bericht des jungen Priesters. „Wenn es stimmt, was Kisara erzählt hat, könnte es sein, dass die Kette sich immer noch im Palast befindet und das Beweisstück tatsächlich nur ein Duplikat ist. Ich halte es zwar für unwahrscheinlich, aber es ist besser wenn wir es mit Sicherheit ausschließen können. Der Zeuge sollte ebenfalls überprüft werden. Es ist merkwürdig, dass er in dem Chaos des Überfalls Karim so genau gesehen und erkannt haben will und trotzdem noch lebt. Darüber hinaus wäre es gut zu wissen, wann genau der Überfall stattgefunden hat und ob Karim überhaupt die Möglichkeit hatte zu dieser Zeit im Dorf zu sein“, beendete Seth schließlich seine Ausführungen. Mahaado war unterdessen unruhig auf und abgelaufen, hielt nun abrupt inne und fragte: „Wie stellst du dir das Alles vor? Ohne die Zustimmung des Königs können wir nicht einfach den Palast von oben bis unten durchsuchen, schon gar nicht bei so einem vagen Verdacht und welchen Grund hätte er einer solchen Bitte zu zustimmen?“ An dieser Stelle unterbrach Atemu seinen Freund: „Ich werde mit Vater reden, er wird sicher zustimmen, wenn die Hoffnung besteht Karims Unschuld zu beweisen.“ Die Zuversicht des Prinzen schien Mahaado ein wenig zu beruhigen. Er hatte zwar seine Wanderung durch das Zimmer wieder aufgenommen, schritt aber nun wesentlich langsamer hin und her, eher als würde es ihm beim Nachdenken helfen und nicht als wäre es der hilflose Versuch seiner Unruhe Herr zu werden. „Was ist mit dem Zeugen?“, hakte der junge Adlige als nächstes nach und erhielt zur Antwort, dass der Prinz auch für dessen Vernehmung bei seinem Vater vorsprechen würde. „Ich fürchte nur, wir werden nicht beweisen können, ob er über den Hergang des Überfalls lügt oder ob er die Wahrheit sagt“, fügte Atemu nachdenklich hinzu und sah dabei fragend zu Seth, ob dieser vielleicht eine Lösung für das Problem wusste. „Ich habe bereits jemanden beauftragt herauszufinden, ob es noch andere Überlebende gibt und diese zu befragen“, erklärte Seth ruhig und erhielt einen anerkennenden Blick von Seiten des Prinzen, während Mahaado ungeduldig ausrief: Aber das wird Wochen in Anspruch nehmen, wenn es überhaupt Überlebende gibt.“ „Es gibt sie“, erwiderte Seth überzeugt, „es gibt immer welche. Es macht keinen Sinn ein ganzes Dorf auszulöschen, wenn man die Überzeugung nähren will, dass eine bestimmte Gruppe schuld an den Verbrechen hat, man braucht jemanden der das Gerücht verbreitet. Und was die Zeit betrifft, liegt es an uns, dafür zu sorgen, dass deine Verwandten bis dahin am Leben bleiben.“ Ungläubig starrte Mahaado den jungen Priester an, während für einen Augenblick nachdenkliches Schweigen in dem hellen, luxuriösen Zimmer herrschte. „Gibt es nichts, was ich tun kann?“, brach Mahaado schließlich das Schweigen, noch immer unruhig auf und ablaufend, während seine Stimme jede Aggressivität verloren hatte und nun nur noch resigniert und unzufrieden klang. „Aufhören ständig hin und her zu rennen, wäre ein Anfang“, erwiderte Seth darauf mit kühler Herablassung, wofür er einen grimmigen Blick von Mahaado und ein entnervtes Seufzen von Atemu erhielt. Nichts desto trotz gehorchte Mahaado widerspruchslos dem Vorschlag und ließ sich mit missmutig verzogenem Gesicht in den nächststehenden Stuhl fallen. Es wurmte ihn, dass er nicht selbst auf einen Teil der von Seth angesprochenen Punkte gekommen war. Es ätzte wie Säure, dass er ausgerechnet von einem künftigen Amunpriester, einem Helfershelfer des Tjt, Ratschläge annehmen musste, um seine Familie vor dem sicheren Untergang zu retten. Am meisten jedoch schmerzte, dass er in dieser Situation offenbar nicht das Geringste tun konnte, sondern ebenso wie Karim und Isis dazu verurteilt zu sein schien hilflos abzuwarten, was Andere für sie taten. Wütend über seine eigene Hilflosigkeit presste Mahaado die Lippen zusammen und ballte die Hände unwillkürlich zu Fäusten, wie gern hätte er in diesem Moment dem Verräter einen Dämon auf den Hals gejagt, um ihn das Fürchten zu lehren. „Geh zu deiner Schwester und Karim und lass dir so genau wie möglich schildern, was sie am Tag vor und nach dem Überfall getan haben. Wo sie waren, mit wem sie gesprochen haben. Wenn wir beweisen können, dass sie gar nicht die Zeit hatten in das Dorf zu gelangen, am Überfall teilzunehmen und wieder zurückzukehren, ist es nicht mehr wichtig, dass sie theoretisch die Möglichkeit hatten“, erklärte Seth sachlich, die düsteren Gedanken des Gauprinzen unterbrechend. Atemu nickte zustimmend, während sich Mahaado bereits erhob, erleichtert doch etwas tun zu können. „Ich werde sofort mit ihnen reden“, entschied er entschlossen und wollte sich bereits mit einer Verneigung gegen den Erbprinzen verabschieden, als Seth noch warnend hinzufügte: „Du wirst mit Beiden allein reden und weder Karim noch Isis sagen, was der Andere berichtet hat oder dass wir nach weiteren Zeugen suchen.“ Mahaados Augen verengten sich bei dieser dreisten Forderung zu verärgerten Schlitzen: „Du wagst es anzudeuten, dass sie lügen könnten?“, die Stimme des jungen Adligen klang unwillkürlich einige Lagen tiefer als gewöhnlich, während er diese Frage drohend hervorstieß. „Es sieht so aus, als hätten sie das bereits mehr als einmal getan“, entgegnete Seth ungerührt und fügte nach einer kleinen Pause leiser hinzu: „Und sie sind nicht die Einzigen.“ Die Worte waren mehr für ihn selbst als für seine Zuhörer gedacht, dennoch lief diesen plötzlich ein kalter Schauer über den Rücken, während sie den jungen Priester verunsichert ansahen. In dessen Stimme hatte eine verhaltene Drohung mitgeklungen, die es sehr ratsam erscheinen ließ auf der Hut zu sein und besser nicht den Zorn Seths zu wecken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)