Step Into My World von RallyVincento ================================================================================ Kapitel 5: Step Five... Encounters ---------------------------------- Wer selbst keinen inneren Frieden kennt, wird ihn auch in der Begegnung mit anderen Menschen nicht finden. Dalai Lama Mamoru Chiba Das lauwarme Wasser, welches auf mich runterprasselte, schaffte es zwar nicht, dass die Mordgedanken verschwanden, aber es beruhigte mich etwas. Dieses Badezimmer war ebenso imposant wie der Rest der Wohnung, obwohl dieses schlichte Weiß überall auch eine gewisse Kühle ausstrahlte, aber das deckte sich wenigstens mit seinem Charakter und seiner Ausstrahlung. Die Wohnung als Spiegel der Seele. Ich seufzte resigniert, innerlich wusste ich nicht, wie lange ich diesem Kerl noch Paroli bieten konnte. Schon nach einer Woche wurden meine Nerven nur noch von einem dünnen Seil gehalten. War es denn wirklich so viel verlangt? Das Einzige was ich wollte, war ein Job mit guten Arbeitszeiten, wo man etwas mehr Geld als sonst verdiente und trotzdem nichts Illegales machen musste. Doch was hatte ich bekommen? Einen Boss, der anscheinend ein ernsthaftes Problem hatte und einen Job, der zu einer ungeheuren Belastung eben wegen jenes Chefs wurde. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und schloss die Augen und doch wurde ich dieses unangenehme Gefühl nicht los, welches ich seit gestern hatte. Obwohl ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, so war doch diese leise Stimme in mir, die mir sagte, dass das gestern Abend nicht nur reine Provokation war. Doch was brachte Grübeln, es bereitete mir nur noch mehr Kopfschmerzen, also beschloss ich, es einfach zu vergessen. Nur noch kleine Tropfen perlten am Duschkopf entlang, als ich das Wasser abdrehte und mich abtrocknete. Ich hatte mir meine Sachen schon vorher ins Bad gelegt, so war es mir erspart geblieben, nur halb bekleidet das Badezimmer zu verlassen. Es wunderte mich nicht, dass auch dieses hellblaue Hemd zu lang war, aber diesmal ersparte ich es mir, nach der Marke zu schauen. Dies hätte mir nur die Tränen in die Augen getrieben, ich konnte einfach nicht nachvollziehen, dass man(n) so viel Geld in Kleidung stecken konnte. Dieser Tag war schon wieder richtig ätzend, wenn ich nur daran dachte, dass ich diesen Mann den ganzen Tag ertragen musste und das als sein persönlicher „Sklave“, dieser Gedanke drehte mir den Magen um. Die Badezimmertür war noch nicht ins Schloss gefallen, da wurde ich auch schon vollgepackt. „Diese Sachen müssen in die Reinigung. Sie ist nicht weit von hier, aus dem Gebäude, dann links, dann am Ende der Straße. Du kannst es nicht verfehlen!“ Mit diesen Worten drehte er sich herum und verschwand in einem anderen Raum. Nun stand ich hier, mit einigen Kleidersäcken in der Hand und einer Geldbörse, auf welchem ein Zettel klebte, mit der Aufschrift: „Vergiss die Quittungen nicht!!!!!“ Ich hatte keine Lust, mit ihm zu diskutieren und der einzige Gedanke, der mir jetzt immer und immer wieder durch den Kopf ging, war: Ich hoffte, wenn ich mir das nur lang genug einreden würde, wäre es leichter, diesen Mann und seine Allüren zu ertragen. Aber in Wirklichkeit glaubte ich nicht daran. Also verließ ich seufzend und fast schon etwas resignierend seine Wohnung und danach das Gebäude. Die Reinigung hatte ich eigentlich recht schnell gefunden, aber ich war froh, dass die nette Dame etwas Zeit brauchte, um die gereinigten Anzüge hervorzuholen. Langsam und recht gemächlich trottete ich mit zwei anderen Kleidersäcken wieder zurück. Hier in Shinjuku konnte man sich richtig elend fühlen, die Läden, die Menschen, alles wirkte so schrecklich weltfremd. Wenn ich nur daran dachte, dass ich schon Mitte des Monats recht knauserig mit meinem Rest an Geld umging, dann konnte einem schon anders werden. Aber, und dies war nie gegen Bunny gerichtet gewesen, seitdem ich wieder Single war, sparte ich schon einiges an Geld. Freundinnen waren eben teuer, egal wie man es drehte und wendete. Ich fragte mich in letzter Zeit oft, was wohl gewesen wäre, wenn meine Eltern noch leben würden. Oder wenn ich damals adoptiert worden wäre. Wenn ich daran dachte, dass Yosuke und May einfach alles hinterhergeworfen bekamen. Das Studium, ihre Wohnungen, all das bezahlten ihre dämlichen Adoptiveltern. Bei diesem Satz blieb ich stehen und biss mir auf die Lippen, ich hasste mich selber für diese Gedanken. Aber was sollte ich denn machen? Ich dachte nun mal so und eben diese Gedanken waren ein Grund, warum das Verhältnis zu ihnen nicht mehr so war wie damals. Mit trüben Gedanken betrat ich den Fahrstuhl und versuchte, dieses schreckliche Gefühl von Eifersucht einfach wieder in eine tiefe Ecke zu drängen, aber aus irgendeinem Grund klappte es diesmal nicht so gut wie sonst. Als der Fahrstuhl sich endlich öffnete, war ich kaum noch mit den Gedanken bei Massanorie Lenjier. Ich betätigte den Klingelknopf und wartete. Es dauerte einen Augenblick, bis sich die Tür endlich öffnete, doch anstatt in das Gesicht meines Chefs zu schauen, sah ich nichts. „Hallo?“ Ich senkte den Blick und sah in die braunen Augen eines kleinen Mädchens. „Hallo!“, erwiderte ich überrascht. Einen Moment lang starrte ich die Kleine nur an. „Hast du noch nie ein kleines Mädchen gesehen?“ Herr Lenjier trat an die Tür und war sichtlich schlecht gelaunt. „Doch sicherlich, ich war nur – überrascht“, kam es etwas irritiert von mir zurück. „Komm endlich rein!“ Sein scharfer Tonfall verriet nichts Gutes. Ich ging an der Kleinen vorbei, welche mich noch immer mit großen Augen musterte und schloss die Tür hinter mir. „Katrin! Geh in dein Zimmer. Ich muss arbeiten.“ Ich hatte nicht alles verstanden, da er plötzlich von Japanisch in Deutsch verfiel. So schnell konnte ich mich gar nicht umstellen, außerdem verstand ich Deutsch zwar, aber für eine lange und intelligente Konversation würde es sicher nicht reichen. Die Kleine schien nicht sehr begeistert darüber, dass ihr – gute Frage, was war er denn für sie? Vielleicht war sie seine Tochter, aber das konnte ich mir bei diesem Kerl wirklich nicht vorstellen. Aber man sollte ja nicht voreilig schlussfolgern. Als das Mädchen an mir vorbei ging, drehte sie sich noch einmal zu mir um und winkte. Ich lächelte und winkte mit meiner freien Hand zurück. Die nächsten Worte von Pestboy galten mir. Er erklärte mir, wo ich die Sachen hinhängen sollte. Nachdem ich auch dies für diesen Mann erledigt hatte, kam das „Ich diktiere, du schreibst“-Spiel dran. Bei diesem Mann nicht leicht, was aber eher an seiner Aussprache lag. Denn jetzt gerade stellte ich fest, dass er, wenn er sehr schnell sprach, einen schrecklichen Akzent hatte. Ich sah ihn fragend an, er redete weiter, während ich aufgegeben hatte, ihm zu folgen. „Was?“ Er klang sehr gereizt. Doch er ließ mich erst gar nicht antworten, er seufzte nur, setzte sich und machte eine Handgeste, damit ich nichts sagte. Dieses Schweigen gerade war viel schlimmer als alles andere. Es dauerte sicherlich zehn Minuten, bis er aufstand. Er kam zu mir herüber, nahm mir den Block ab und las sich durch, was ich geschrieben hatte. Während er das tat, ging er auf und ab. Schließlich blieb er hinter meinem Stuhl stehen, legte mir den Block in den Schoß, nahm meine Hand und malte mit seinem Finger einige Kanji in meine Handfläche. „Jetzt verstanden?“ Zum ersten mal klang eine Frage von ihm weder spöttisch noch zynisch. Ich nickte. „Sie haben einen schrecklichen Akzent, wenn Sie reden.“ Irgendwie schien auch er heute nicht wirklich bei der Sache zu sein, genauso wie ich. Meine Gedanken hingen noch immer bei Yosuke und May und dieser blöden Adoptionssache. Er ließ meine Hand wieder los und nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz. „Sie ist meine Nichte und wird wohl für ein bis zwei Wochen bei mir wohnen. Meine Begeisterung hält sich in Grenzen.“ Dass er plötzlich von sich aus ein Gespräch auf einer vernünftigen Basis mit mir begann, machte mich stutzig. Doch ich hörte zu. „Ihr Vater ist vor einigen Monaten gestorben. Nun will ihre Mutter - meine Schwester - endgültig nach Tokio ziehen, weil sie alleine zur Zeit nicht sehr gut zurecht kommt. Doch sie will das Haus in Deutschland noch leer räumen und verkaufen und sie wollte Katrin nicht mitnehmen. Vielleicht ist es besser, aber ich bin wohl der Letzte, dem man ein Kind anvertrauen sollte.“ Ich glaubte in dem Moment, dass er schmunzelte, war mir aber nicht sicher. Er zündete sich eine Zigarette an und wandte seinen Blick dann wieder mir zu. „Irgendwie denke ich, dass du gut mit Kindern umgehen kannst. Wenn du also deine heutige Zeit ihr widmen würdest, verspreche ich dir, dich heute zufrieden zu lassen.“ Ich schüttelte nur den Kopf und konnte gerade meinen eigenen Gedanken nicht verstehen. „Sicherlich“, kam es knapp von mir. „Danke!“ Ich sah ihn verdutzt an, anscheinend konnte er wirklich nett sein. Gerade hatte er es geschafft, einen Sympathiepunkt zu ergattern. Zweihundert Minuspunkte gegen einen Pluspunkt. Nicht gerade die beste Wertung, aber man musste klein anfangen. Als ich seine Bürotür hinter mir schloss, lehnte ich mich dagegen und atmete einmal tief ein und aus. Am liebsten hätte ich alles hingeschmissen und wäre nach Hause gefahren, nicht wegen meines Chefs oder wegen der Aufgabe, auf seine Nichte zu achten, eher war der Grund meine melancholische Stimmung. Die Tür zu dem zweiten Gästezimmer war nur angelehnt, ich drückte sie leise auf und sah in das Zimmer hinein. Die Kleine saß mit dem Rücken zu mir, deswegen klopfte ich sachte an die offene Tür und lächele, als das Mädchen sich zu mir umdrehte. „Konnichiwa.“ Ich lachte leise auf über diese Begrüßung und nickte. „Du kannst also doch etwas Japanisch?“, fragte ich langsam, doch ihr nun etwas unsicherer Blick zeigte mir, dass ihre Sprachkenntnisse wohl auf wenige Worte beschränkt waren. "Ich spreche Deine Sprache vielleicht nicht so gut, aber ich hoffe, es wird reichen." Offenbar erfüllte sich meine Hoffnung, zumindest sagte mir das ihr freudiger Gesichtsausdruck. „Ich heiße Katrin.“ Sie strahlte über das ganze Gesicht und legte die Haarbürste in ihrer Hand zur Seite, bevor sie auf mich zukam. Ich ging in die Hocke und schüttelte ihr freundlich die Hand. „Und ich heiße Mamoru.“ Sie nahm meine Hand, überlegte dann aber, was ich daran ausmachte, dass sie ihre Nase kräuselte. „Hast du auch einen Spitznamen?“ Anscheinend fand sie meinen Namen etwas zu schwer und versuchte nun auf die höfliche Weise ihn zu umgehen. Ein schlaues Mädchen und gut erzogen, dass sie die Nichte dieses Mannes war, kaum zu glauben. Ich überlegte, doch mir fiel nur die schreckliche Koseform ein, welche Yosuke immer benutzte. „Eigentlich nicht, aber – mein bester Freund sagt immer Maru. Wäre das für dich leichter?“ Die Antwort war wohl ja, denn sie nickte nur und fragte gleich weiter. „Darf ich Maru-chan sagen? Meine Mama sagt, dass ich ‚chan’ nur sagen darf, wenn man ganz liebe Freunde hat und nicht zu fremden – aber...“ Sie holte Luft, doch bevor sie ohne Punkt und Komma weiterreden konnte, nickte ich nur lachend. „Ja, du darfst ruhig Maru-chan sagen.“ Mit diesen Worten sah ich sie an. „Du darfst dann Kati-chan sagen, ja?“ Ich nickte nur und tippte ihr auf die Nase. Sie war wirklich ein nettes Mädchen. „Wie alt bist du denn, Kati-chan?“ Schnell nahm sie ihre Finger und begann angestrengt zu zählen. Als sie mir dann sieben Finger hinhielt, stutzte ich etwas. „Ich bin fünf Jahre alt“, kam es stolz von ihr. Ich schmunzelte etwas und nahm die zwei Finger, die zu viel waren, in meine Hand. „Dann ist das wohl etwas richtiger.“ Sie sah mich an und nickte dann. „Ich kann nicht gut zählen und Japanisch kann ich auch nicht so gut.“ Sie wirkte etwas traurig als sie das sagte, jedoch munterte ich sie sofort wieder auf. „Und ich kann nicht so gut Deutsch. Ich kann dir ja etwas Japanisch beibringen und du mir Deutsch. Ist das eine gute Idee?“ Sie sah mich fragend an, doch das nun freudige Lachen zeigte mir, dass sie meinen Vorschlag sehr gut fand. Ich richtete mich wieder auf und sah mich im Zimmer um, als mein Blick auf eine Zeichnung fiel, welche auf dem Boden neben einigen Buntstiften lag. „Darf ich mir das Bild mal anschauen?“ Katrin sah mich an, brachte mir ihr Meisterwerk aber nur zögerlich. „Du darfst nicht lachen.“ „Das werde ich nicht, versprochen!“ Lächelnd setzte ich mich auf das Bett und nahm das Bild, welches sie mir jetzt hinhielt. Innerlich lachte ich laut auf, nicht weil es schlecht gemalt war, es war eher das Motiv. „Das ist Sailor Moon. Sie rettet die Welt!“ Mit einer ungeheuren Begeisterung begann sie mir von ihrem ‚Idol’ zu erzählen. Ich hörte nur zu und nickte immer, wenn sie mich ansah. „Sano-oji-chan hat gesagt, dass es Sailor Moon nicht gibt.“ „Sano-chan?“ Etwas perplex sah ich das Mädchen an. Sie nickte heftig, sodass ihre braunen Haare quer durch einander flogen. „Ja. Du weißt doch, mein Onkel. Oji heißt doch Onkel, das hat Papa mir beigebracht und mein Onkel heißt ja eigentlich Massanorie, aber das ist sooooo lang und deswegen Sano-chan.“ Ich musste mir ein Lachen wirklich verkneifen. Mir fielen ja wirklich ein Duzend Spitznamen für diesen Mann ein, wobei keiner jugendfrei war, aber Sano-chan gehörte definitiv nicht dazu. Und ich hatte immer gedacht, dass Yosukes Spitzname für mich doof war, aber es war doch steigerungsfähig. „Magst du Sano-oji-chan?“ Ich horchte auf und sah sie fragend an. „Wieso fragst du?“ Ich sah mir das Bild weiter an und fragte mich, was Bunny wohl zu ihrem kleinen Fan sagen würde. Sicherlich wäre sie begeistert. „Weil du doch in seiner Wohnung bist und mit ihm redest und weil er dich nicht anschreit.“ Sie lehnte sich an mich und sah mich an, ich überlegte und fand nicht, dass die Punkte, die sie aufgelistet hatte, unbedingt Kriterien waren, aus denen man erkennen konnte, dass man jemanden mochte. Aber ihr zu sagen, dass ich ihren Onkel für ein mieses Ekel hielt, war sicherlich auch nicht so gut. Also versuchte ich, diese Tatsache mit einigen Blümchen zu schmücken. „Ich arbeite für deinen Onkel und erledige halt Sachen für ihn, die er nicht schafft, weil er so hart arbeitet.“ Ihr Nicken zeigte mir, dass sie anscheinend mit dieser Antwort vorerst zufrieden war. Aber Kinder waren ja unberechenbar in solchen Sachen. „Duhu, Maru-chan? Glaubst du auch, dass es Sailor Moon nicht gibt?“ Mit einem Seufzen strich ich mir durch die Haare. Was sollte ich ihr denn jetzt sagen? So genau hatte mich das noch niemand gefragt. „Also - ich glaube schon, dass es sie gibt“, gab ich zögerlich als Antwort. Das war weder eine Lüge noch die ganze Wahrheit, einfach eine Tatsache. Doch diese Aussage reichte ihr schon. „Ich glaube das auch.“ Ein plötzliches Grummeln ließ mich zu ihr hinunter sehen. Ich lächelte und stupste sie leicht an. „Na, hast du auch Hunger?“ „Ja, etwas.“ Nur kurz darauf stand ich in der Küche und sah mich in den Schränken um. Diese gähnende Leere war erschreckend. Von was ernährte sich dieser Mann, von Wasser und Luft? Deswegen sah diese Küche aus wie neu, sie war noch nie wirklich benutzt worden. „Machst du mir jetzt auch Käse-Makkaroni?“ Ihr Gesicht zeigte, dass dieses Essen ihr überhaupt nicht gefallen wollte. „Wieso? Macht dein Onkel dir das immer?“ Sie nickte und sah zum Kühlschrank. „Er hat ganz viel davon in dem Eisfach. Aber ich will nicht immer Käse-Makkaroni, die sind immer so labberig. Und gut schmecken sie auch nicht.“ Sie verzog angeekelt das Gesicht und ich lachte leise auf. „Dieses Zeug ist wohl auch das Falsche für Kinder, die noch wachsen wollen.“ Ich hatte eine Idee, aber ob die wirklich so gut war, bezweifelte ich. „Wir können ja etwas einkaufen und dann koche ich dir was sehr Leckeres, ist das eine gute Idee?“ „JA! Ich sag das nur schnell Sano-chan.“ Noch bevor ich sie davon abhalten konnte, war sie aus der Küche hinaus gelaufen. Das war wohl nach hinten losgegangen. Es dauerte keine Minute, da stand mein Lieblingsboss auch schon in der Küche und sah mich an. „Was habt ihr gegen Käse-Makkaroni, du und meine Nichte?“ Mit einem prüfenden Blick sah er mich an, während ich mich gegen die Arbeitsfläche lehnte und ihn ansah. „Nichts, aber nicht jeden Tag zu jeder Mahlzeit.“ Darauf sagte er nichts, eher sah er mich an und – er schmunzelte! Ungläubig sah ich ihn an, was war denn jetzt los? Er kam auf mich zu und ich erinnerte mich wieder an seine Aktion aus dem Büro und ging automatisch einen Schritt zur Seite. Doch anstatt wieder eines seiner blöden Spiele zu spielen, griff an mir vorbei und nahm seine Geldbörse, welche hinter mir lag. „Um des Kindes Willen, geht einkaufen. Aber vergesst die Quittungen nicht.“ Damit drückte er mir etwas Geld in die Hand und verschwand wieder. „Und was kochst du nun für uns?“ Katrin zupfte aufgeregt an meiner Hose. „Wie großen Hunger hast du denn?“ Fragte ich mit einem Grinsen zurück. Sie streckte die Arme auseinander. „Soooooo großen Hunger. Und Sano-oji-chan hat sicherlich auch sooooo riesigen Hunger. Weil er doch immer viel arbeitet.“ Ich lachte auf und überlegte, was bei solch einem Hunger den wohl das Beste wäre. Massanorie Lenjier Ich war froh, dass Mamoru und Katrin sich anscheinend verstanden. Dies bedeutete weniger Arbeit für mich und sehr viel Ruhe. Der heutige Tag war einfach nur Mist gewesen. Ich hatte es einfach vergessen und als dann meine Schwester vor der Tür stand, zusammen mit Katrin, da wusste ich wieder, warum dieser Tag in meinem Kalender rot eingekreist gewesen war. Seitdem ihr Mann gestorben war, hatte Julia mal wieder alle Aufmerksamkeit der Familie auf sich gelenkt. Sicherlich, sie hatte mein Beileid und ich hatte auch tiefes Mitleid mit ihr und Katrin, aber trotz alledem hatte ich ein schlechtes Verhältnis zu ihr. Und das Schlimmste war, dass selbst das Herumgehacke auf Mamoru keinen Spaß machte. Er schien heute ebenso einen schlechten Tag zu haben wie ich. In diesem Moment hörte ich, wie das Schloss in die Tür fiel, Sparky sah kurz auf, regte sich aber nicht. Anscheinend hatten die beiden meine Wohnung verlassen. Kinder waren noch nie mein Fall gewesen und immer, wenn Katrin in den letzten Monaten hier gewesen war, hatte ich sie mit Käse-Makkaroni gefüttert. Bis jetzt war ich der festen Überzeugung gewesen, dass eben dieses Gericht bei Kindern sehr beliebt war. Die nächsten zwei Wochen würden wohl wirklich sehr anstrengend werden. Das Klingeln des Telefons ließ mich aufschauen. „Lenjier“, kam es barsch von mir. „Massanorie. Ich wollte nur hören, ob bis jetzt alles in Ordnung ist.“ Die Stimme meiner kleinen Schwester klang etwas besorgt und ich glaubte heraus hören zu können, dass sie geweint hatte. Zur Zeit war das ihre Lieblingsbeschäftigung. „Sie lebt noch, wenn du das meinst.“ Ich tippte weiter auf der Tastatur meines Laptops herum und hörte Julia nur mit einem halben Ohr zu. „Danke, dass du dich um sie kümmerst. Mama und Chrissy lassen dich grüßen, ich bin ihnen wirklich dankbar, dass sie mit mir ko-“ „Komm zum Punkt. Ich muss arbeiten“, gab ich gereizt von mir. Sie schwieg und sagte nichts, es war eine dieser bekannten Situationen zwischen uns. Ich wurde giftig sie verstand es nicht und würde gleich versuchen, es zu hinterfragen. „Was habe ich dir denn getan?“ Ich ignorierte diese Frage. „Wenn du mit deiner Tochter reden willst, dann rufst du einige Minuten zu spät an. Sie ist nicht da.“ Ich hörte, wie Julia am anderen Ende die Luft hektisch einzog. „Wo ist sie denn?“ Sie klang etwas hysterisch. „Sie ist einkaufen, anscheinend halten sie und mein Sekretär Käse-Makkaroni nicht für eine passende Nahrungsgrundlage für eine Fünfjährige. Auch wenn ich das nicht nachvollziehen kann.“ Stille. Ich wusste, dass sie nun am Flughafen stand mit dem Telfonhörer in der Hand und wahrscheinlich die Tränen in den Augen stehen hatte. Dass ich Recht hatte, hörte ich gleich darauf, denn schon im gleichen Moment hörte ich eine andere Stimme am Telefon, die einzige Stimme, die ich kannte, der ich Respekt gegenüber brachte. Die Stimme meiner Mutter. „Massanorie! Sag mir bitte, was los ist und zwar vernünftig.“ Ich seufzte, speicherte das Dokument ab und wandte mich nun ganz dem Telefonat zu. „Julia soll sich zusammen reißen. Ihrer Tochter geht es gut, sie ist zusammen mit meinem Sekretär einkaufen und auch, wenn du es nicht glauben willst, aber ich bürge für ihn. Sie mag ihn und er kann sichtlich besser mit Kindern umgehen als ich. Sie ist in guten Händen. Auch, wenn mich alle Welt für ein egozentrisches Arschloch hält, so weiß ich sehr wohl, was Verantwortung ist.“ Zuerst hörte ich nichts, doch dann bekam ich eine Antwort auf meine kleine Ansprache. „Ich weiß, dass du gut auf die Kleine achtest. Aber versuche wenigstens, deiner Schwester nicht so viel Kummer zu bereiten, sie hat es schon schwer genug.“ „Ja, armes Ding. Wenn ich Zeit habe, schicke ich ihr eine Packung Mitleid“, gab ich bissig zurück. „Spar dir das, Massanorie. Wenn du willst, dass ich wütend auf dich werde, dann mach ruhig weiter so.“ Ihre Stimme klang enttäuscht. „Ich muss arbeiten. Sag Julia, dass es Katrin gut geht.“ „Werde ich. Ich hab dich lieb, Massanorie.“ „Ja, ich dich auch, Mum.“ Damit war das Telefonat beendet. Die nächste halbe Stunde verbrachte ich damit, auf den Bildschirm des Laptops zu starren. Ich hasste meine Familie, meine Mutter und Katrin ausgenommen. Es war schon fast 12 Uhr, als ich die Wohnungstür wieder hörte. Irgendwann in der letzten Stunde hatte ich mich auf den Balkon gesetzt, zusammen mit Sparky und einem Kaffee. Katrins fröhliches Geschnatter drang gleich durch die ganze Wohnung, aber besser so, als anders. Die Grünpflanzen, welche man mir gegen meinen Willen aufgedrängt hatte, ließen langsam aber sicher die Blätter hängen. Überwiegend waren sie nicht mehr grün, sondern braun und zierten so meinen Balkon. „Oji! Oji?“ Wie ich es doch verabscheute, dass sie mich so rief. Nun war ich schon seit vier Jahren in Japan und trotzdem hasste ich teilweise diese Sprache. „Hier!“, rief ich laut und nahm daraufhin einen Schluck aus meiner Tasse. „Sano-oji-chan. Wir waren einkaufen.” Sie schälte sich aus ihrer Jacke und ließ diese auf den Boden sinken. „Hätte ich nicht gedacht. Habt ihr jetzt mein ganzes Geld ausgegeben?“ „Nein, aber das Essen wird ganz lecker, ganz bestimmt. Ich darf Maru-chan auch kochen helfen.“ Ich horchte auf und lachte leise. „Maru-chan? Darfst du ihn so nennen?“ Sie nickte und war auch gleich wieder weg, einen Moment später trat auch schon mein Sekretär, Babysitter und Koch auf den Balkon. „Wie ich gehört habe, scheint euer Einkauf ja erfolgreich gewesen zu sein.“ „Kann man so sagen. Quittungen und Restgeld liegen auf dem Wohnzimmertisch.“ Er schaute sich um und ich sah, dass er die Augenbrauen zusammenzog, als er die langsam sterbenden Pflanzen erblickte. „Sie haben anscheinend keinen grünen Daumen“, kam es recht monoton von ihm. Ich lächelte und stand auf. „Nein. Vielleicht kannst du dich auch noch als Gärtner nützlich machen, Maru-chan!“ Ich lachte und ging an ihm vorbei. „Sano-chan ist auch kein besserer Spitzname.“ Ich blieb stehen, drehte mich um und sah, wie Mamoru mich ebenso spöttisch ansah wie ich ihn zuvor. Daraufhin schmunzelte ich nur gehässig und verschwand dann wieder in meinem Büro. Mamoru Chiba Mein Blick fiel wieder auf die Pflanzen, welche den Balkon zierten. Es war wirklich ein Trauerspiel. Ich ging wieder in die Küche und schmunzelte, als ich sah, wie Katrin damit begonnen hatte, die Einkäufe auszupacken und fein säuberlich auf den Tisch zu drapieren. Während des Einkaufes hatte sie nur ein Thema gehabt: ‚Sailor Moon’! Sie hatte mich kaum zu Wort kommen lassen, also hatte ich immer nur genickt und sie staunend angesehen. Ich hatte mir vorgenommen, Bunny auf jeden Fall von Katrin zu erzählen. „Maru-chan? Was soll ich nun machen?“ Sie setzte sich auf einen der Stühle und sah mich fragend an. „Zuerst kochen wir den Reis. Weißt du, wie das geht?“ Sie schüttelte den Kopf, aber als ich einen der Stühle an die Arbeitsfläche stellte, stand sie sehr schnell darauf und schaute mir zu. „Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“ Ich sah Katrin von der Seite her an und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Ihre Augen wurden ganz groß und sie nickte, sah sich aber vorsichtig um, so als könnte uns jemand belauschen. Langsam beugte ich mich zu ihr herunter. „Ich habe Sailor Moon sogar schon mal gesehen.“ Sie schlug die Hände vor den Mund und sah mich mit einer so großen Verwunderung an, dass ich dachte, sie würde das Atmen vergessen. „Du lügst auch nicht?“ „Nein, ich schwöre es.“ „Kennst du sie auch?“ Sie sprach ganz leise und zupfte aufgeregt an meinem Hemd herum. „Also, das sage ich dir alles später. Aber weißt du, Sailor Moon würde ihre Jacke niemals einfach auf den Boden schmeißen und sie dort liegen lassen.“ Ich hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, da war die Kleine auch schon weg. Das war wirklich leicht gewesen und sicherlich würde es niemandem weh tun, wenn ich ihr etwas von Sailor Moon erzählte. „Ich habe sie ganz ordentlich aufgehängt.“ Sie kletterte wieder auf den Stuhl und sah mir dabei zu, wie ich den Reis aufsetzte. Katrin deckte gerade den Tisch, während ich das Essen anrichtete, als ihr Onkel in die Küche kam. „Sano-oji-chan. Du kommst ganz richtig. Maru-chan und ich sind fertig mit kochen.“ Sie zog ihren Onkel zum Tisch und schien sich wirklich zu freuen. „Hier. Es sei denn, Sie bevorzugen Tiefkühl-Käse-Makkaroni.“ Ich stellte das Schälchen mit dem Oyakodon vor ihm ab und lächelte. „Es riecht gut, aber ob es mit Käse-Makkaroni mithalten kann, bezweifle ich sehr.“ Katrin verzog nur das Gesicht und schien sehr entrüstet über diese Aussage. Als ich auch ihr ein Schälchen gegeben hatte und mir selbst auch, sah sie mich freudig an. Als ich jedoch gerade essen wollte, musste ich leise lachen. Die Kleine saß neben mir und versuchte, mit den Stäbchen den Reis zu greifen. „Eine Gabel wäre wohl besser.“ Doch bei diesem Satz sah sie mich erschüttert an und schüttelte den Kopf. „Nein, ich möchte es doch auch können, so wie du.“ Sie hatte schon die Tränen in den Augen stehen, als mir einfiel, wie ich es gelernt hatte. Tröstend strich ich ihr über den Kopf, lächelte und stand auf. Nur einen Augenblick später kam ich wieder, ich trennte die Enden mit einem Stückchen Pappe und umwickelte sie mehrmals fest mit einem Gummiring, so dass sich die Stäbchen wie eine Pinzette halten und benutzen ließen. Als sie es nun erneut versuchte, klappte es sofort. „Es geht, schau mal, Sano-oji-chan, ich kann es!“ Dieses Erfolgserlebnis war ihrem Onkel nicht vergönnt, er stellte sich ebenso schusselig an. Jedoch noch bevor ich etwas sagen konnte, hatte er sich schon mit einer Gabel eingedeckt. „Und?“ Ich sah zu meinem Chef, der ohne einen Kommentar aß. „Für den Hausgebrauch reichen deine Kochkünste anscheinend allemal.“ Er sah mich an und grinste. Ich hatte diesen Mann in den letzten fünf Stunden mehr lächeln sehen als in einer ganzen Woche. Die Frage war nun, warum das so war. Jedoch hatte ich eine Vermutung, diese war fünf Jahre alt und saß neben mir. Nachdem Katrin nach zweimal Nachschlag holen endlich gesättigt war und auch ihr Onkel einmal Nachschlag bekommen hatte, half eben jener mir beim Abwasch. Ich war überrascht, jedoch sagte ich nichts. Diese Ruhe ohne einen Kommentar tat gut, auch wenn ich dadurch wieder meinen eigenen Gedanken nachhing. Katrin indessen hatte sich mit Blättern und Buntstiften an den abgeräumten Küchentisch gesetzt und malte konzentriert. „Warum hast du noch nicht gekündigt?“ Ich sah auf und ihn an. Er hatte mit Absicht wieder japanisch gesprochen, anscheinend wollte er nicht, dass seine Nichte uns verstand, oder besser ihn. Ungläubig starrte ich ihn weiterhin an und wusste überhaupt nicht, was ich von solch einer Frage halten sollte. „Wieso fragen Sie mich so etwas? Wollen Sie, dass ich kündige?“ Ich sah wieder auf das Waschbecken und reichte ihm eines der sauberen Schälchen. „Sagen wir es so, ich hätte nicht gedacht, dass du dich so lange schikanieren lässt.“ „Eine Woche ist für Sie lange?“ „Ja, wenn man mit mir arbeitet schon. Oder warum denkst du sind wohl so selten andere Angestellte in meiner Etage?“ Er sah mich ausdruckslos an und ich wusste nicht, was ich jetzt sagen sollte. Natürlich war es mir aufgefallen, in den anderen Etagen herrschte immer ein Kommen und Gehen, doch bei ihm war es anders. Erst zweimal war einer aus einer anderen Abteilung zu ihm gekommen und dann konnte man schon sehen, dass es wohl aus purer Notwendigkeit geschehen war. „Sie haben mich nur eingestellt, weil sie Recht haben wollten, nicht wahr? Und Sie haben gehofft, dass ich kündige, damit Sie es nicht tun müssen, weil Sie wissen, dass ich unqualifiziert bin. So hätten Sie sich die Blöße vor Frau Midori erspart.“ Ich trocknete meine Hände ab und lehnte mich mit dem Rücken gegen den Schrank. „Schlauer Junge. Aber aus irgend einem Grund bist du noch hier. Und nur um es dir zu sagen, der Vertrag heute Morgen war nur ein von mir aufgesetzter Fake. Midori würde mir Einen husten, wenn sie auch noch Erledigungen für mich ausüben sollte!“ Wir sahen uns schweigend an und ich wollte diesem Arsch wirklich nur zu gerne in die Fresse schlagen. „Sie haben keine Freunde oder?“ Ich schmiss ihm das Handtuch vor die Füße und ging. Dieser Mistkerl! „Du hast meine Frage nicht beantwortet. Warum hast du noch nicht gekündigt?“ Er war mir in den Flur gefolgt und lehnte sich gegen den Türrahmen der Küche. „Weil ich das Geld brauche. Leider ist es nicht allen vergönnt, mit einem unermesslichen Geldsegen aufzuwachsen. Es gibt Menschen, die müssen für ihre Zukunft arbeiten und sei es, dass sie bei einem Egomanen wie Ihnen landen. Ein Medizinstudium bekommt man leider nicht hinterhergeworfen. Aber all das wüssten Sie, wenn Sie meine Bewerbung gelesen hätten.“ Damit war die Unterhaltung für mich beendet. Doch für ihn wie immer nicht. „Ich möchte, dass du weiterhin für mich arbeitest.“ Ich blieb stehen, drehte mich zu ihm herum und wusste nicht, was ich mit diesem Typen anfangen sollte. „Midori ist leider weg, es ist keiner da, der eine neue Sekretärin einarbeitet. Außerdem ist meine Nichte wie gesagt zwei Wochen bei mir. Ich gebe es nur ungern zu, aber zur Zeit ist deine Hilfe besser als keine. Also?“ Ich sah ihn an und merkte, dass ihm dieses Geständnis schwergefallen war. Er war einfach ein Idiot. „Um meines Studiums Willen – ja, ich arbeite weiter für Sie.“ Ich seufzte und hasste mich dafür. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen zu gehen, aber das konnte ich nicht. „Gut! Ich habe heute Abend noch ein Treffen mit einem Geschäftspartner, das bedeutet, dass du hier bleibst, Katrin ins Bett bringst und danach noch einige Sachen für mich abtippst. Du darfst die Nacht wieder hier bleiben, aber nur als Ausnahme. Morgen früh nehme ich dich mit ins Büro, ebenso wie Katrin. Du wirst ein Auge auf sie haben und auch noch daran denken, meine Sachen zu erledigen, plus meinen Kaffee und den Muffin.“ Er drehte sich herum und ließ mich einfach stehen. Das war alles nur Theater gewesen, dieses ganze nette Getue, dieses Verständnis heucheln. Dieser Bastard, sollte er doch jämmerlich in der Hölle schmoren. Massanorie Lenjier Es war kurz nach 22 Uhr, als ich die Wohnungstür aufschloss. Sparky kam mir gleich entgegen und begrüßte mich freudig. Glücklicherweise hatte das Essen nicht so lange gedauert, wie ich vorerst angenommen hatte. Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr, aber trotzdem waren die letzten drei Stunden zu viel gewesen. Dieser Mann war einfach ein sehr unangenehmer Mensch und wäre er kein so enger Partner meines Vaters, so hätte ich ihm eins gehustet, von wegen Fusion mit seiner kleinen Pissfirma. Seufzend löste ich meine Krawatte und schmiss das Jackett auf das Sofa, als ich das Wohnzimmer betrat. Erst jetzt bemerkte ich, wie still es hier eigentlich war. Ich vermutete nicht, dass Mamoru meine Nichte einfach so in Bett bekommen hatte, dies war nämlich ein sehr unbequemes Unterfangen, weil es mit sehr viel Arbeit verbunden war. So war es bei bis jetzt immer gewesen. Doch als ich in das Zimmer von Katrin hinein sah, war ich überrascht. Völlig zufrieden saß sie in ihrem Bett, den rosa Barbie-Pyjama an und mit ihrem Stoffhasen bewaffnet. Sie hatte mich nicht gesehen, sie schien zu sehr auf Mamoru fixiert zu sein, welcher am Fußende saß. „Du musst es mir sagen, bitte. Ich war doch gaaanz lieb.“ Sie bettelte ja schon fast, kaum zu glauben, wenn ich sie ins Bett brachte, dann war das wie ein Inferno. „Ja, das werde ich. Aber du musst gut zuhören und darfst es nicht weiter erzählen.“ Er sah sie verschwörerisch an, Katrin aber nickte nur heftig und ihre Augen wurden immer größer, als Mamoru dann zu erzählen begann, dachte ich im ersten Moment, sie würde vergessen zu atmen. „Vor langer Zeit, da gab es auf dem Mond ein großes und sehr prachtvolles Königreich. Der Mond war damals nicht so wie heute, dort lebten Tiere und Pflanzen wuchsen dort auch. Besonders berühmt war der Mond für seine vielen Seen. Das Volk, welches dort lebte, war das Mondvolk. Regiert wurde es von Königin Serenity, sie war eine sehr gute Herrscherin und sie liebte ihr Volk. Sie besaß einen Kristall, den Silberkristall, mit ihm beschützte sie alle Menschen. Sie hatte auch eine Tochter, die auch Serenity hieß, sie war ebenso hübsch wie ihre Mutter und alle liebten sie, weil sie ein großes und reines Herz hatte. Der Palast der Königin war schneeweiß und sah wunderschön aus, selbst nachts konnte man das Leuchten dieses Palastes auf der Erde sehen. Das Mondvolk konnte sehr alt werden, die Menschen waren nicht unsterblich, aber Zeit hatte für sie nicht dieselbe Bedeutung wie für uns auf der Erde. Die Königin selber hatte silbernes Haar, welches bis zum Boden reichte, ebenso wie das ihrer Tochter. Damals lebten auch die Sailorkrieger auf dem Mond und beschützten die Königin und die Prinzessin. Aber als die Prinzessin älter war, ich glaube so vierzehn Erdenjahre, da schlich sich die Prinzessin manchmal auf die Erde, was sie nicht durfte, weil das Mondvolk den Menschen auf der Erde nicht vertraute. Deswegen waren die Sailors auch besorgt und besonders Venus. Du musst wissen, sie war damals die Anführerin.“ „Warum war sie denn immer auf der Erde?“ „Weil sie sich in den Prinzen der Erde verliebt hatte. Er hieß Endymion und war der Sohn von Königin Gaia, welche die Königin der Erde war. Du musst wissen, vom Mond aus sah die Erde wie eine blaue Perle aus und die Prinzessin liebte es, diese Perle anzuschauen, sie sehnte sich nach den grünen Wiesen und nach den vielen Dingen, die es auf dem Mond nicht gab. Irgendwann begegneten sich die Prinzessin und der Prinz und auch der Prinz verliebte sich in die junge Prinzessin. Sie trafen sich immer öfter, aber meistens heimlich. Dann plötzlich begannen sich die Menschen auf der Erde zu verändern, sie wurden wütend und eifersüchtig auf die Menschen des Mondes. Sie wollten auch so lange leben wie das Mondvolk und wollten ihnen deswegen den Silberkristall stehlen. Königin Gaia aber wollte das nicht und verstand nicht, warum die Menschen plötzlich so wütend waren. Zu dieser Zeit hatten plötzlich schwarze Wolken den Himmel verdunkelt und ließen kaum noch Sonnenlicht hindurch. Der Prinz reiste zum Mond und wollte die Prinzessin warnen und beschützen, aber – als er die Erde verlassen hatte, brach der Krieg aus. Er konnte die Prinzessin nicht mehr rechtzeitig erreichen und versuchte sie vor dem drohenden Unheil zu bewahren, als die Menschen den Mond angriffen. Aber er war nicht stark genug und schaffte es nicht, diejenigen, die er liebte, zu verteidigen. Die Prinzessin, der Prinz und auch die Sailorkrieger starben. Die Königin des Mondes war so traurig darüber, dass sie nichts tun konnte, dass sie den mächtigen Silberkristall nahm und all ihre Kraft dazu benutzte, um die Dunkelheit, welche die Menschen befallen hatte, einzusperren. Aber, weißt du, wenn man den Silberkristall benutzt, dann muss der Mensch, der das macht, auch sterben. Jedoch war das der Königin egal. Als sie die Dunkelheit verbannt hatte, nahm sie ihre letzte Kraft und bat den Kristall darum, dass alle Menschen, die gestorben waren, auf der Erde wiedergeboren werden sollten. Der Silberkristall erfüllte ihr diesen Wunsch und die Prinzessin und die Sailors durften auf der Erde der heutigen Zeit als normale Menschen leben.“ „Auch der Prinz?“ „Ja, der auch.“ „War die Königin der Erde hübsch?“ Ich sah, wie Katrin gähnte und sich in ihr Kissen kuschelte. Mein Blick fiel auf Mamoru. Irrte ich mich oder wirkte er gerade wirklich traurig? „Sie war wunderschön. Sie hatte blaue Augen, gelockte schwarze Haare und ein wunderschönes Lächeln.“ „Das ist eine traurige Geschichte – was ist denn dann passiert? Ist die Prinzessin dann zu Sailor Moon geworden? Hat sie den Prinzen gefunden? Liebt sie ihn denn noch?“ „So viele Fragen! Ich verspreche dir, ich erzähle dir die Geschichte weiter, aber erst einmal musst du schlafen.“ Ich sah Mamoru zu, wie er Katrin zudeckte, wartete aber nicht ab, bis er mich sehen würde. Ohne einen Mucks von mir zu geben ging ich in die Küche und goss mir ein Glas Wasser ein. Sparky hatte sich irgendwann wieder in den Flur gelegt und streckte alle Viere von sich. Hund musste man(n) sein. Ich hörte, wie die Balkontür geöffnet wurde. So ganz war ich mir nicht sicher, ob ich es toll finden sollte, dass er meiner Nichte gerade so einen Blödsinn erzählt hatte. „Ein Königreich auf dem Mond – wie kindisch!“ Leise lachte ich und schaute dann nach meinem ‚Gast’. Er hatte in einem der Stühle Platz genommen, die Beine an den Körper gezogen und den Blick in den Nachthimmel gerichtet. „Du siehst so aus, als würdest du am liebsten von hier oben hinunter springen!“, kommentierte ich die Szenerie. Erschrocken sah er mich an, als ich mich neben ihn setzte und mein Glas leerte. „Was machen Sie denn schon hier?“ Er war nicht begeistert über mein Erscheinen, aber das störte mich nicht im Geringsten. „Draußen auf der Klingel steht mein Name, ich nehme also an, dass dies hier meine Wohnung ist, also sollte es dich einen feuchten Kehricht interessieren, wann ich hier bin oder nicht.“ Aber anstatt einer schlagfertigen Antwort stand er einfach auf. „Dann kann ich ja nach Hause fahren. Schlafen Sie gut, Herr Lenjier.“ Mit diesen Worten verbeugte er sich kurz und verschwand dann. Verwundert darüber stand ich auf und folgte ihm, was eigentlich eher ungewöhnlich für mich war. „Dir ist bewusst, dass jetzt keine Bahn mehr von Shinjuku fährt, oder?“ „Eine wird schon fahren.“ „Du wirkst so, als müsstest du gleich heulen.“ Mamoru hatte sich vor die Eingangstür gehockt und schlüpfte gerade in seine Schuhe, als ich das sagte. Plötzlich jedoch hielt er in seiner Bewegung inne und ich sah, wie er sich verkrampfte. „Gute Nacht, Herr Lenjier!“ Er stand auf und legte seine Hand auf die Türklinke, doch so einfach ließ ich mich nicht abspeisen. Meine Hand legte sich auf die Tür und drückte sie wieder zu. Er drehte sich nicht zu mir herum, doch ich konnte sehen, wie er leicht zitterte. Ich wusste selbst nicht, was ich tat, als ich mich zu ihm beugte und meine freie Hand auf seine Schulter legte. „Geh schlafen, Mamoru. Es ist doch unvernünftig, jetzt noch nach Hause zu fahren.“ Ich flüsterte es nur und obwohl ich sein Gesicht nicht sehen konnte, weil er mir ja den Rücken zuwandte, wusste ich, dass er leise geweint hatte. Ich konnte mir jedoch den Grund nicht erklären. Aber entgegen allen Meinungen wusste ich, wann es einfach genug war. Ich sah keinen Grund darin, dass Mamoru sich vor mir die Blöße geben sollte, dass ich sah, wie er weinte. Also ließ ich meine Hand über seinen Rücken streichen und ging dann wieder. Es war kurz vor Mitternacht, als ich mein Büro verließ und einen Blick in Katrins Zimmer warf. Die Kleine schlief fest und ich wunderte mich, dass sie noch nicht aus dem Bett gefallen war. Kopfschüttelnd ging ich weiter und warf dann einen Blick in das andere Gästezimmer. Es war leer. Nachdenklich sah ich das leere Bett an und fragte mich, warum er plötzlich so seltsam gewesen war? Vielleicht hatte es ja doch mit dieser Geschichte zu tun, welche er Katrin erzählt hatte. Plötzlich schmunzelte ich. Ich ertappte mich zur Zeit sehr oft dabei, dass ich mir über Menschen Gedanken machte, die ich nicht kannte und die eigentlich uninteressant für mich waren. So viele Gedanken und alle waren verschwendet an einen dummen Jungen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)