Nebel über Hogwarts von Glasschmetterling ================================================================================ Kapitel 55: Misstrauen ---------------------- Nebel über Hogwarts – Kapitel 55: Misstrauen Während die Wochen verrannen und die Abschlussprüfungen immer näher rückten, wusste Severus, dass er sich entscheiden musste, auf die eine oder andere Weise. Die Briefe von Lucius, die er mittlerweile alle paar Tage erhielt, getränkt mit dem Gefühl von Macht und Bedeutung, Regulus' Nachfragen, von denen er nur durch den Beginn der Osterferien, die Black bei seiner Mutter in London verbrachte, erlöst wurde – sie alle verlangten nach einer Antwort, entweder für oder gegen Lily. Derjenige, der genau das mit den meisten Worten getan hatte, war ironischerweise Black, immer verzweifelt auf der Suche nach einem Angriffspunkt oder Hebel, den er an Severus ansetzen konnte. „Ich werde es Malfoy sagen“, drohte er an einem Morgen Ende März, bevor er sich auf den Weg zu den Kutschen machte, aber die Angst, die tief hinten in seinen Augen schlummerte, strafte seine kalte, harte Stimme Lügen. „Was?“, entgegnete Severus kühl, aber innerlich spürte er, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. „Dass du mit dem Schlammblut befreundet bist.“ Severus schnaubte, aber in seinem Inneren summte die Anspannung. „Du möchtest mich damit erpressen, ihm Dinge zu sagen, die er ohnehin schon weiß? Und ich dachte immer, du wärst ein Slytherin und kein verzweifelter kleiner Hufflepuff.“ Regulus machte einen wütenden Schritt vor, und Severus' Hand schloss sich fester um seinen Zauberstab in seiner Umhangtasche. „Wo liegt deine Loyalität, Severus? Bei ihr? Bei dir? Beim Dunklen Lord? Ich bin mir sicher, an dieser Frage wäre er brennend interessiert...“ Ein anderer Angriffswinkel. Er schnaubte. „Du fragst, wo meine Loyalität liegt? Wo du doch selbst jedem, der es hören möchte, verzweifelt erzählst, dass du dich ihm nur anschließen möchtest, um deine Familienehre wiederherzustellen?“ „Die Ziele des Dunklen Lords sind die meiner Familie. Aber was ist mit deinem kleinen Spielzeug? Glaubst du wirklich, dass sie genauso denkt wie der Dunkle Lord – als Schlammblut? Denkst du, sie würde Spaß daran haben, wie ihre Eltern gefoltert werden, und ihre Schwester?“ Severus biss die Zähne zusammen – er kannte Mr und Mrs Evans, sie waren nichts als nett zu ihm gewesen, hatten ihm sogar erlaubt, einige Nächte bei ihnen zu übernachten, wenn sein Vater wieder besonders schrecklich war... und er mochte sie. Und auch wenn er Petunia nicht leiden konnte, alleine sich vorzustellen, wie sie sich unter dem Cruciatus-Fluch wand... Severus zwang sich, ruhig und unbeeindruckt dreinzusehen, und versuchte, Regulus abschätzend anzusehen, auch wenn er sich nicht sicher war, ob es ihm gelang. „Wo meine Loyalität liegt, geht dich nichts an, Regulus – nur den Dunklen Lord. Und du solltest nicht vergessen, dass ich nicht der Einzige bin, der Verbindungen nach Gryffindor hat...“ „Ich hasse meinen Bruder!“ Severus lachte. „Und das von jemandem, der Geburt höher schätzt als Charakter. Sagt ihr Reinblüter nicht immer, dass Blut dicker ist als Wasser? Was, wenn irgendwo tief in dir versteckt doch noch ein Rest von Loyalität für den armen, kleinen, missverstandenen Sirius liegt... könntest du deinen großen Bruder töten, wenn du ihm gegenüber stehst?“ „Natürlich.“ Regulus' Stimme transportierte nicht annähernd die Sicherheit, die seine Aussage übermitteln wollte, und er ballte die Fäuste. „Sirius ist ein Verräter am führnehmen und gar alten Haus der Blacks, und er verdient es, aus dem Stammbaum radiert zu werden.“ Severus lächelte kalt, und dachte, dass seine vielen Gespräche mit Lucius, der natürlich in den besten – und ehemals besten – Häusern verkehrte, sich jetzt endlich bezahlt machten. „So wie deine Mutter es auf dem Wandteppich mit ihm getan hat? Und mit ihrer Nichte Andromeda? Und ihrem Schwager Alphard? Schwäche und Schande scheinen euch ja im Blut zu liegen, oder brauchst du noch mehr Beispiele?“ Regulus' Faust schoss auf sein Gesicht zu, aber bevor er seine Nase treffen konnte, stoppte Severus' Zauberstab an seiner Kehle ihn, ließ ihn erstarren, und Severus fühlte ein tiefes Gefühl der Befriedigung in ihm aufsteigen. Ein Mal, ein einziges Mal, konnte er zurückgeben, was die Rumtreiber ihm angetan hatten... ein Mal stand er am richtigen Ende des Zauberstabs. Langsam hob er seine Hand ein wenig höher, die Spitze bohrte sich in Regulus' Kinn, und der Junge musste sich auf die Zehenspitzen strecken. „Ein wenig aggressiv heute, Black? Wieder eine Eigenschaft der Familie gefunden, nicht wahr.“ Er hielt inne, sah Regulus an, und als er seinen rechten Arm zucken sah, packte er sein Handgelenk, verdrehte es, bis er den Zauberstab fallen ließ, der klackernd auf den Steinboden des Korridors aufschlug – eine Technik, die er in den langen Sommerferien auf den Straßen von Spinner's End gelernt hatte. „Vielleicht solltest du doch noch ein wenig üben, bevor du dich den Todessern anschließt – kleine Jungen wie dich fressen sie bei lebendigem Leibe.“ Der Hass in Regulus' Augen schien Funken zu sprühen, aber er bestätigte Severus damit nur in seiner Entscheidung. Er wollte nicht für Regulus verantwortlich sein, wollte nicht in den Augen des Dunklen Lords für seine Fehler haften – und Fehler würde Regulus begehen, da war er sich sicher. Dass Lucius ihn überhaupt in die Kreise der Todesser einführte, war ein außerordentlicher Vertrauensbeweis, denn er trug damit das Risiko für sein eigenes, mögliches Versagen... und dieses Risiko wollte Severus seinerseits nicht auf sich nehmen. Nicht für Regulus. Hinter ihnen, im Korridor, hörte er Schritte, und mit einem letzten, warnenden Blick an Regulus stieß er ihn von sich, sodass er zurücktaumelte, weg von seinem Zauberstab, dann steckte er den seinen in die Tasche seines Umhanges, gerade als Professor Slughorn um die Ecke trat. „Gibt es hier ein Problem, meine Herren?“, fragte er, augenscheinlich desinteressiert, denn weder Regulus noch Severus gehörten zu seinen Lieblingsschülern. Dem einen fehlte das Talent, und dem anderen die berühmte Familie. Severus schüttelte nur den Kopf und sah zu, wie Regulus seinen Zauberstab aufhob, dann machten sie sich gemeinsam mit ihrem Hauslehrer zurück auf den Weg in ihren Schlafsaal. Dass er sich noch immer mit Lily traf, um zu brauen, nun vor allem, um Zaubertränke für ihre Abschlussprüfungen zu üben, trug nicht dazu bei, seine Entscheidung einfacher zu machen. Jedes Mal, wenn er sie sah, fühlte er sich wieder besser, gewappnet gegen den Hass, der ihm vom Rest der Welt entgegenschlug... aber manchmal gab es auch Momente, in denen er an ihr zweifelte, und an sich, weil er sie liebte... war er wirklich so schwach? „Severus?“, fragte sie eines Abends am Beginn der Osterferien, während sie rührte, und er sah von den Zutaten auf, die er gerade vorbereitete. „Ja?“ Seine eigene Stimme klang unruhig, reagierte auf das Zögern in ihrer, und wieder einmal fragte er sich, was er nun falsch gemacht hatte. „Ich hab mit Sirius gesprochen.“ „Mit Black?“ Sein eigener Unglaube reflektierte sich in seiner Stimme. „Wieso solltest du mit Black reden?“ „Wegen... wegen dem, was du erzählt hast. Von seinem... Mordversuch.“ Sie klang unsicher, so, als ob sie sich nicht sicher wäre, dass ihre Unterhaltung mit Black der richtige Weg gewesen war – und er konnte diese Frage beantworten, und zwar sehr schnell, und sehr eindeutig. Nein! „Glaubst du mir etwa nicht?“ „Natürlich glaube ich dir!“ Sie hob die Hände in einer Geste der Unschuld, die ihn nicht wirklich überzeugte. „Dann hast du doch keinen Grund, bei ihm nachzufragen, oder? Wenn du mir glauben würdest, dann müsstest du das nicht!“ Lily zog den Schöpflöffel mit etwas zu viel Schwung aus dem Kessel, und kleine Tropfen ihres Trankes ätzten schwarze Löcher in den Schultisch, bevor sie sich vor ihm aufbaute, die Hände in die Hüften gestemmt. „Vielleicht, weil es mich interessiert, ob mein Hauskollege noch einmal versuchen möchte, meinen besten Freund umzubringen? Ist das so abwegig? Dass ich mir Sorgen um dich mache, Severus? Dass ich dich mag? Dass ich nicht möchte, dass dir etwas passiert?“ Als sie das letzte Worte erreichte, brüllte sie fast, und Severus warf einen kurzen Blick zur Tür, weniger aus Sorge darüber, dass jemand sie stören konnte, sondern mehr, um seine Beschämung zu verstecken und ihr nicht ins Gesicht sehen zu müssen. Warum dachte er immer das Schlimmste von Menschen, nie das Beste? Und das sogar bei Lily, von der er wusste, dass sie ihn mochte und ihm nicht wehtun wollte? Zumindest nicht absichtlich... auch wenn sie sich so oft stritten, so oft aneinandergerieten... „Es tut mir leid, Lily.“ Diese Worte schien er viel zu oft zu sagen, und dass sie sich erschöpft eine Haarsträhne aus dem Gesicht schob und seufzte, half ihm nicht, sich dabei besser zu führen. „Mir auch, Severus. Ich wollte dir damit nicht sagen, dass ich dir nicht vertraue, oder nicht denke, dass du Recht hast. Sirius behauptet zwar, es wäre ein Scherz gewesen, und dass er dich nicht töten wollte, sondern dir nur klarmachen, dass du sie in Ruhe lassen sollst... aber ich glaube nicht, dass Sirius so dumm ist, die Gefahr zu unterschätzen, die von einem ausgewachsenen Werwolf ausgeht.“ Die Erleichterung, die ihn durchfuhr, als sie sagte, dass sie ihn ernst nahm, war ihm fast peinlich, und er hoffte, sie würde nicht allzu viel davon sehen. Oft fühlte es sich so an, als ob sie der einzige Mensch in seinem Leben wäre, der ihm zuhörte, ihm glaubte, ihn nicht abtat als den dummen Snape-Jungen oder Schniefellus, und manchmal brauchte er es so dringend wie Wasser, zu wissen, zu begreifen, dass er kein Idiot war, den niemand beachtete. „Du glaubst mir?“, fragte er deswegen noch einmal, und sie nickte, griff nach seiner Hand. „Natürlich tue ich das.“ Für einen Moment sah sie ihm ins Gesicht, dann lächelte sie schließlich. „Sirius spricht übrigens noch immer nicht mit mir.“ Eine irrationale Wolke der Zufriedenheit breitete sich in ihm aus. Sie hatte ihn verteidigt. Sie hatte sich für ihn eingesetzt, etwas, das selbst seine Mutter nie getan hatte. Er war glücklich. „Gut“, entgegnete er und grinste, im Einklang mit sich und der Welt. „Und danke.“ Sie nickte, aber schien noch nicht gewillt, das Thema fallen zu lassen. „Ist... haben... sind sie noch einmal auf dich losgegangen, seit der Sache mit James zu Weihnachten?“ Severus schüttelte den Kopf, während er hilflos dabei zusah, wie das angenehm warme Gefühl in seinem Inneren verpuffte – die Rumtreiber hielten sich wahrscheinlich nur zurück, um etwas Großes zu planen, und dass er es zuvor nicht hatte kommen sehen, dass erst Lily ihn darauf hinweisen musste... „Nein, sie verhalten sich überraschend ruhig... vielleicht ein, zwei Sticheleien im Unterricht, aber ansonsten... wahrscheinlich müssen sogar sie lernen.“ Lily nickte langsam. „Gut. James und Black haben versprochen, dass sie dich in Ruhe lassen, und ich hoffe, sie halten sich daran.“ „Das klingt nicht wirklich nach ihnen.“ Lily warf ihm einen ernsten Blick zu. „Für mich sah es so aus, als ob sie es ernst meinen würden.“ Das trug nicht unbedingt dazu bei, sich sicherer zu fühlen, immerhin wusste er von sich selbst, dass Lily... nun ja, Lily war. Sie glaubte Menschen, sie vertraute ihnen, und alleine der Gedanke, dass ihre Hauskollegen sie anlügen könnten, war ihr vollkommen fremd. Typisch Gryffindor eben – was sein Leben einerseits leichter machte, weil er sie in seiner gegenwärtigen Situation täuschen musste, andererseits aber auch ein ganzes Stück schwieriger, so wie jetzt, wenn er ihr nicht begreiflich machen konnte, wieso er misstrauisch blieb. Leise seufzte er. „Das kann schon sein, aber vielleicht haben sie auch gelogen...“ Er sah ihr auf den ersten Blick an, dass sie nicht glücklich war mit seinen Worten, und für einen Moment wirkte sie, als wollte sie ihm widersprechen, aber dann schüttelte sie nur leicht den Kopf und ließ es, sehr zu seiner Erleichterung. Er wollte sich nicht schon wieder mit ihr streiten. „Wollen wir weiter brauen?“, fragte sie schließlich, und er nickte, nahm das Messer wieder zur Hand, während er sich nicht entscheiden konnte, ob er nun wollte, dass sie recht hatte, oder nicht. Wenn Severus allerdings so zurückdachte... vielleicht war es wirklich nicht die Ruhe vor dem Sturm, die ihm gerade eine Erholungspause verschaffte, sondern eine wirkliche Änderung im Verhalten der Rumtreiber. Immerhin verhielten sie sich so wie alle anderen Siebtklässler, die ein Interesse an ihrem Abschluss hatten, und verbrachten jede freie Minute in der Bibliothek – möglicherweise hatte also tatsächlich der Ernst des Lebens zugeschlagen und ihnen verständlich gemacht, dass Angriffe, Flüche und schlechte Streiche nicht zum normalen Repertoire erwachsener Verhaltensweisen gehörten. Und nun waren auch noch Mr und Mrs Potter ermordet worden. Auch wenn Severus James hasste, wie man nur einen Mitschüler hassen konnte – dieses Schicksal hatte er nicht verdient, vor allem, weil es offensichtlich war, wie sehr er unter seinem Verlust litt. Aber es war eine andere Frage, die ihn in diesem Zusammenhang mehr beschäftigte als die nach Potters Gefühlslage und der Häme, die Severus' Slytherinkollegen über ihn ausgossen. Er wollte sich den Todessern anschließen, denjenigen, die Mr und Mrs Potter ermordet und davor wahrscheinlich gefoltert hatten. Konnte er das? Wollte er das? Er wusste es nicht. Es schien ein hoher Preis zu sein, um ernst genommen zu werden... einer, der ihm erst jetzt bewusst wurde. Natürlich, er hatte Lucius' Briefe gelesen, hatte die Berichte gehört, aber das alles war für ihn abstrakt und fern gewesen... erst jetzt begriff er, was dort von ihm verlangt werden würde, und seine Unsicherheit nahm zu. Konnte er wirklich das ablegen, was ihn menschlich machte, was ihm das Gefühl gab, zu leben und nicht nur zu existieren? Wieder einmal verdrängte er das Thema, beschloss, diese Entscheidung vor sich herzuschieben. Noch war der Juni nicht da, noch musste er nicht vor den Dunklen Lord treten... noch hatte er Zeit. Und er würde genießen... und besonders genoss er an Tagen wie dem, als er morgens aus den Kerkern in die Einganghshalle trat und auf die Punktegläser blickte. Gryffindor hatte in der Nacht einhundert Punkte verloren, und damit lag Slytherin im Hauspokal in Führung. Dass er am Tisch schließlich hörte, dass Potter dafür verantwortlich war, und ihm schließlich auffiel, dass in der Nacht davor der Vollmond am Himmel gestanden hatte, machte seinen Triumph nur noch perfekter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)