Nebel über Hogwarts von Glasschmetterling ================================================================================ Kapitel 60: Zerstörte Träume ---------------------------- Nebel über Hogwarts – Kapitel 60: Zerstörte Träume Severus Snape starrte missmutig in die sternenklare Nacht hinaus und harrte der Dinge, die da kommen würden mit dem distinkten Gefühl, dass sie ihm nicht gefallen würden. Zum Frühstück war eine der Schuleulen auf seinem Toastbrot gelandet und hatte ihm eine kurze Nachricht von Lily überbracht, die besagte, dass sie sich mit ihm treffen wollte, weil sie dringend mit ihm sprechen müsste, und Ankündigungen dieser Art hatten in seinem ganzen Leben noch nicht gut geendet. Niemand verlangte ein dringendes Treffen, um gute Nachrichten zu überbringen... und auch wenn er nicht wusste, was es war, das sie von ihm wollte – vielleicht hatte es mit ihrer Forschung oder mit den Prüfungen zu tun? – er hatte ein schlechtes Gefühl dabei. „Hey Severus.“ Lily flitzte durch die Tür, die den kleinen Balkon verbarg, auf dem sie sich trafen, und lächelte ihn an, aber es gelang ihr nicht, so zu strahlen wie sonst auch – sie wirkte eher abgelenkt und so, als ob irgendetwas sie sehr beschäftigen würde. „Tut mir leid, dass ich zu spät bin, aber ich bin im Gemeinschaftsraum... hängen geblieben.“ Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, als sie das sagte, und Severus spürte, wie die Furcht, die er bis zu diesem Moment fest im Griff gehabt hatte, sich gegen ihre Ketten legte und brüllte. Für einen Moment, als er sie lächeln sah, hatte er sich die Hoffnung erlaubt, dass ihm vielleicht doch gefallen könnte, was sie zu sagen hatte – doch die Art, wie sie neben ihm an die Brüstung trat und ihre Haarspitzen zwirbelte und nach der ersten Begrüßung den Augenkontakt vermied, ließ sein Herz tiefer sinken. „Warst du gestern nicht auf den Ländereien? Ich hab dich vermisst“, fragte sie schließlich, ein wenig stockend, und er zuckte unbehaglich mit den Schultern. „Du solltest wissen, dass Sonne und eine große Menge an Schülern die Ländereien für mich nicht unbedingt attraktiver machen, Lily.“ Ihr beschämter Gesichtsausdruck zeigte, dass sie sich an einen sehr ähnlichen Tag ziemlich genau zwei Jahre zuvor erinnerte, genau wie er auch, und er seufzte innerlich – wie auch immer ihr Gespräch ablaufen würde, er war sich ziemlich sicher, es gerade schlimmer gemacht zu haben. Sie antwortete nicht, sondern starrte hinaus auf die dunklen Ländereien und den See, lauschte auf die fernen Gespräche und das Gelächter, die aus den Fenstern in entfernteren Teilen des Schlosses drangen, und er gesellte sich zu ihr, beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Er hatte noch nie von sich behaupten können, die Stimmungen anderer Menschen und besonders dieser einen Frau mit einiger Sicherheit deuten zu können, doch an diesem Abend fühlte er sich noch ratloser als sonst, seine Furcht schien ihn zu lähmen. Er wusste nicht, was sie ihm sagen wollte – wollte es gar nicht wissen, wenn er ehrlich war – und doch wusste er, dass diesem Gespräch zu entkommen dumm wäre, den Schmerz nur verschieben würde. Sie schlicht und ergreifend zu fragen, was mit ihr los war, brachte er aber auch nicht übers Herz, seine vorsichtigere Hälfte hielt ihn davon ab. Die Art, wie sie immer wieder einen Blick zu ihm warf, schien auszudrücken, dass sie sich mehr Sorgen machte um seine Reaktion als über sich selbst... Ein Gedanke schlich sich in seinen Kopf, den er am liebsten sofort wieder vergessen hätte, der sich dort allerdings hartnäckig festsetzte und ihm die Kehle zuschnürte. Was, wenn sie jemanden... kennen gelernt hatte? Mit jemandem zusammen war? Aus dem Augenwinkel warf er einen intensiven Blick auf sie und hoffte, dass sie die Sehnsucht, von der er wusste, dass sie darin lag, nicht bemerken würde, aber die Chancen dafür waren zu seiner Erleichterung gering, so abgelenkt wirkte sie, als sie hinunter in die Dunkelheit starrte. Sie war schön – wunderschön... perfekt... von den grünen Pupillen über die roten Haare bis zu den Gesichtszügen, die er so gut kannte, dass er sie vor sich sehen konnte, selbst wenn er die Augen schloss. Er seufzte erneut leise, auf der Suche nach einem Weg, den quälenden Gefühlen in seinem Inneren irgendwie Ausdruck zu verleihen, ohne dass sie sie bemerkte. Im Grunde hatte er schon lange gewusst, dass sie nicht für immer alleine bleiben würde und dass er Glück hatte, sie so lange nur für sich zu haben... aber das machte den Gedanken weder angenehmer, noch dämpfte es seine Eifersucht, Eifersucht, die so vergeblich wie demütigend war. Egal was für Hoffnungen er sich einmal hingegeben hatte, dass sie irgendwann einmal mehr für ihn empfinden würde als bloße Freundschaft, und auch die nur unter bestimmten Bedingungen wie der, dass er nicht seiner Neigung zur Dunkelheit nachgab, glaubte er nicht mehr. Aber der Teil von ihm, der sich noch immer stur an dem irrsinnigen Gedanken festhielt, dass die Welt nicht nur dazu da war, um ihn zu quälen, und dass das Schicksal irgendwann einmal doch auf seiner Seite stehen würde, hatte zumindest gebetet, dass sie vielleicht erst nach der Schule jemanden kennenlernen würde, wenn er seinen Abstand halten könnte. Nun... soviel dazu. Selbst in seinem Pessimismus vergaß er nicht, dass sie ja noch nichts gesagt hatte, dass es vielleicht doch um etwas anderes gehen könnte... aber dann sah er, wie sie sich fast wütend von der Brüstung abstieß und ein paar schnelle Schritte auf dem steinernen Boden des Balkons machte. „Ach verdammt.“ Sie wandte sich ihm zu, und für einen Moment versuchte er, die widerstreitenden Gefühle, die Angst, die Entschlossenheit, das Mitleid auf ihrem Gesicht aufzunehmen, dann schüttelte sie den Kopf. „Es gibt ja doch keinen netten Weg, das zu sagen... ich... ich hab gestern James Potter geküsst.“ Nur mit dem letzten Rest an Selbstbeherrschung, über den er noch verfügte, konnte er seine Würde retten und verhindern, dass sein Mund aufklappte, doch der Schock hielt nur so lange, wie sein taubes Gehirn brauchte, um den Sinn ihrer Worte aufzunehmen. Dann brandete sein Temperament gegen die Grenzen seines Körpers und seines Willens und er ballte die Hände zu Fäusten, aber das blieb vorerst das einzige Zugeständnis an seine unbändige Wut. Seine Stimme klang beinahe so kühl wie immer, als er antwortete. „Und warum erzählst du mir das?“ Ihre Augenbrauen hoben sich, aber sie zögerte für einen Moment, bevor sie schließlich entgegnete: „Ich dachte nur, du solltest es von mir erfahren, und nicht von einem deiner... Kollegen aus Slytherin.“ „Das ist kein Punkt, um den du dir hättest Sorgen machen müssen. Dank meiner Freundschaft zu dir haben wenige aus meinem Haus genügend Loyalität zu mir übrig, um meine Wut zu riskieren.“ Langsam gesellte sich Schmerz zu seinem Zorn, Schmerz und das Gefühl, von ihr verraten worden zu sein. „Wie es aussieht, hätte ich doch besser zu ihnen gehalten als zu dir.“ Sie starrte ihn an mit dem Gesichtsausdruck eines kleinen, verletzten Tieres, das noch nicht so recht begriffen hatte, was mit ihm geschah, weil seine scharfe Zunge sich ihr gegenüber immer zurückgehalten hatte, doch dann biss sie die Zähne zusammen. „Damit sie dir bei der ersten Gelegenheit in den Rücken fallen? Du weißt, wie Slytherins sind – ich habe zu dir gehalten, Severus.“ Er machte einen kleinen, wütenden Schritt nach vorne. „Ich weiß das? Dann bist du offensichtlich im falschen Haus gelandet, Lily. Von all den mäßig gut aussehenden und nicht vollkommen hirnverbrannten Jungen in Hogwarts, musstest du dir dann ausgerechnet denjenigen aussuchen, um deinen Hormonstau abzubauen, den ich am meisten hasse? Nicht in den Rücken fallen, dass ich nicht lache.“ Für einen Moment hielt er inne, und auch wenn er wusste, dass er spätestens am nächsten Morgen bereuen würde, was er gesagt hatte, er konnte sich nicht aufhalten. Er wollte sich nicht aufhalten – zu oft hatte er sich auf die Zunge gebissen, hatte nicht gesagt, was er dachte, um Lilys Freundschaft nicht zu verlieren... aber jetzt hatte er nichts mehr zu verlieren. „Bist du noch immer zu sehr von dir selbst eingenommen, um zu bemerken, mit welchem doppelten Maß du misst? Du lebst in deiner eigenen kleinen Welt, in der Schwarz und Weiß sauber getrennt sind und wo glückliche Gryffindors mit leichtem Schritt über rosa Wölkchen wandern – aber das ist nicht meine Welt, und das ist auch nicht die außerhalb von Hogwarts. Nichts ist schwarz und weiß, nichts ist nur gut und böse, Lily.“ „Meinst du, das weiß ich nicht?“ Sie klang wütend und spuckte ihm die Worte fast vor die Füße, aber wo ihr Tonfall ihn früher verletzt und zum Rückzug getrieben hätte, zog er nun neue Stärke aus ihm. „Natürlich weißt du das nicht, und am allerwenigsten weißt du das, wenn es um dich selbst geht. Ich war immer derjenige, der sich entschuldigen musste, ich war derjenige, der falsch und schlecht und dunkel war, während du dich im reinen, weißen Licht deiner Tugend gesonnt hast, und alle Lehrer, deine Freunde, deine Eltern, haben dich darin bestärkt. Wenn du etwas falsch gemacht hast, war ich daran schuld, weil ich dich dazu verführt habe – wenn ich etwas richtig gemacht habe, und vielleicht im Gemeinschaftsraum der Slytherins dafür bezahlt, war das nur das, was du ohnehin von mir erwartet hast. Mach die Augen auf, Lily. Wenn ich nur an die Todesser denke, siehst du mich an wie einen Blasphemiker – und wenn du meinen ärgsten Feind küsst, soll ich das einfach so hinnehmen? Das kann nicht dein Ernst sein.“ Ihre Wut war mittlerweile dem Unglauben gewichen, wenn die Art, wie sie ihn anstarrte, irgendein Maßstab war, und für einen Moment, in der schwer lastenden Stille, die zwischen ihnen hing, schien sie sogar ihre Sprache verloren zu haben. „Das kann auch nicht dein Ernst sein, Severus.“ „Natürlich ist das mein Ernst. Wenn du hingegangen wärst und mit Absicht nach einer Möglichkeit gesucht hättest, wie du mir am meisten wehtun kannst, Lily, dann hättest du einen Volltreffer gelandet. Jeder Mann, Lily... auch wenn ich James Potter nicht wirklich Mann nennen sollte. Jeder, außer dieser eine, und du suchst dir genau den aus, der meine gesamte Schulzeit zur Hölle gemacht hat, der mich getriezt, gequält, gedemütigt hat. Was soll ich sonst denken, außer, dass ich dir vollkommen egal bin, dass das, was ich fühle, dir vollkommen egal ist – und wieso sollte ich dir im Gegenzug den Gefallen tun, auf deine Rücksicht zu nehmen? Das habe ich viel zu lange getan, und mich mit den Brotkrumen zufrieden gegeben, die du mir hingeworfen hast. Soll ich mir jetzt jedes Mal, wenn ich dich sehe, vorstellen, was du mit ihm gemacht hast? Wo du deine Hände hattest? Wo er seine Hände hatte?“ Als die Worte aus seinem Mund kamen, wusste er, dass er zu weit gegangen war, in seinem Zorn zu viel verraten hatte, und dass Lily gar nicht so wütend sein konnte, als dass sie nicht bemerken würde, was er von sich preisgegeben hatte. Für einen Moment starrte sie ihn an, dann holte sie tief Luft, und er wusste, er würde nicht gerne hören, was sie jetzt zu sagen hatte. „Was ich tue oder nicht tue und mit wem, geht dich kein Stück an, Severus, und sollte dich eigentlich auch nicht interessieren. Aber offensichtlich tut es das ja doch – eifersüchtig?“ Er konnte es nicht verhindern, er zuckte zusammen – und seine Reaktion war offensichtlich genug, um sie in ihrer durchaus korrekten Vermutung zu bestätigen. „Das ist auch alles, was dir bleibt, Severus – denkst du wirklich, ich würde noch einmal sieben Jahre darauf warten, dass du deinen ganzen Mut zusammenkratzt und mich fragst, ob ich mit dir ausgehen möchte? Oder mich vielleicht sogar einfach küsst? Aber das ist ja vollkommen unvorstellbar für einen Feigling wie dich, der sogar Angst hat, mir ehrlich zu sagen, was er fühlt. Wie ich auch nur darüber nachdenken konnte, selbst den ersten Schritt zu machen, ist mir schleierhaft... und jetzt hat jemand anderer das getan, und ich bin glücklich damit. Chance verpasst, Severus.“ Er starrte sie an, und nur gnädig langsam sickerte die Erkenntnis dessen, was sie gesagt hatte, in seinen Kopf – sie gab ihm Zeit, zu reagieren, den affektiert unbeeindruckten Tonfall zu bemerken, in dem sie sprach, zu registrieren, dass ihr das, was sie sagte, ebenfalls wehtat, dann machte sie einen Schritt zurück. Er hatte das Gefühl, eine unsichtbare Verbindung zwischen ihnen wäre durchgeschnitten worden, und taumelte fast, fing sich aber noch rechtzeitig, bevor sie seine Schwäche bemerken konnte, und umarmte die Taubheit, die er in seinem Inneren beschwor, um sich aufrecht zu erhalten. „Ich wollte dir eine unangenehme Situation leichter machen, Severus – aber wenn du das nicht möchtest, ist es nicht meine Schuld.“ Sie schaffte es irgendwie, die Mundwinkel in der Parodie eines Lächelns hochzuziehen. „Bye, Severus.“ Er starrte ihr hinterher, wie sie durch die Tür verschwand, und schaffte es gerade noch, sich an der Brüstung abzustützen, als sein Panzer brach und der Schmerz und die Erkenntnis ihn schließlich trafen und die rechtschaffene Wut, die ihn zuvor aufrecht erhalten hatte, vertrieben. Sie war fort... für immer, und ihre letzte Begegnung war noch viel schlimmer verlaufen, als er es sich in seinen schlimmsten Albträumen hatte vorstellen können. Und trotz allem, was sie gesagt hatte, trotz der Art, wie sie ihn verletzt hatte... ein Teil von ihm wünschte sich immer noch, dass sie wieder zur Tür hereinkommen würde und ihm sagen, dass sie ihm verzeihen würde, wenn er sich nur entschuldigte. Die plötzliche Übelkeit, die bei diesem Gedanken in ihm aufstieg, der Schatten, den er auf seinen Stolz und sein Selbstwertgefühl warf, half ihm, sich wieder aufzurichten und hinunter in die Kerker zu wanken, und als er seinen Gemeinschaftsraum erreichte, hatte er die Mauern, die ihn schützten, wieder errichtet, und seine Maske der Gleichgültigkeit erneut aufgesetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)