Nebel über Hogwarts von Glasschmetterling ================================================================================ Kapitel 63: Der Würfel ist gefallen ----------------------------------- Nebel über Hogwarts – Kapitel 63: Der Würfel ist gefallen Die Hölle hatte für Severus einen neuen Namen bekommen – sie befand sich nun in Hogwarts, nicht mehr in dem kleinen Haus in Spinner's End, das seinen Eltern gehörte, und der Teufel war nun Lily anstatt seines Vaters. Wie er es tatsächlich geschafft hatte, seine inneren Qualen vor den anderen Slytherins zu verbergen, die im Gemeinschaftsraum saßen und lachten, wusste er nicht, doch irgendwie war er zu seinem Himmelbett gelangt und hatte die Vorhänge zugezogen, einen Schallschutzzauber gesprochen und seine ganze Wut, seinen ganzen Zorn, seinen ganzen Schmerz hinausgebrüllt, bis nur noch Leere in ihm übrig war. Er hasste sie. Er hasste Potter. Er hasste die ganze Welt, die es schaffte, sich mit einem hämischen Lachen weiterzudrehen, während er dachte, alles sei für ihn zusammengebrochen. In den darauffolgenden Jahren erinnerte er sich kaum an ein bestimmtes Ereignis oder an einen bestimmten Tag bis zu seinem Abschluss, nur vage an die vorbeiziehenden Unterrichtsstunden, auf die er versuchte, sich zu konzentrieren – mit mäßigem Erfolg. Nur in Slughorns Unterricht, so wenig er den Mann auch mochte, gelang es ihm wenigstens zum Teil, seine rasenden Gedanken, die von dem Wunsch nach Rache getrieben waren, unter Kontrolle zu bringen. Die Arbeit mit seinen Händen, die Routine seiner Bewegungen, die Sicherheit, hier in seinem Aufgabengebiet zu sein, wo er jeden Trick kannte, flößten ihm wenigstens ein bisschen Ruhe ein, und auch nach seinen Stunden versuchte er, dieses Gefühl zu konservieren. Auch wenn der Trank, an dem er gerade arbeitete, schmerzhafte Erinnerungen an Lily zurückbrachte, wie sie gemeinsam im Labor standen, wie sie lachte, wie er sie in einem gedankenverlorenen Moment beobachtete, so nahm er das doch alles in Kauf, um ein wenig Ruhe, ein wenig Ablenkung zu finden. Nach ihrem Streit war er wieder zurück an die Arbeit gegangen, um sein Projekt für den Dunklen Lord noch besser und wirksamer zu machen, um noch höher in seiner Gunst zu steigen und seinen Eintritt in die Reihen der Todesser zu beschleunigen. Ja, der Trank war davor schon gut gewesen – doch gut war nicht mehr das, was Severus wollte, sondern perfekt. Wenn der Schlaf sich wieder einmal nicht einstellen wollte, brütete er über Zutatenlisten und Rezepturen, um genau die richtige Mischung in genau der richtigen Art und Weise verarbeiten zu können, um das perfekte Ergebnis zu erzielen. Perfekt, um nicht nur die Anerkennung des Dunklen Lords zu erreichen, sondern auch all seinen reinblütigen Hauskollegen, die immer auf ihn, das Halbblut mit den schäbigen Umhängen, herabgesehen hatten, zu beweisen, dass ihre Illusionen von der Reinheit des Blutes eben nur das waren. Illusionen. Jetzt, wo Lily fort war, wo sie ihn endgültig verraten hatte, nicht nur mit ihrer Anbiederung an Potter und seine Clique, sondern auch mit ihren verletzenden, boshaften Worten, war jeder Anschein des Zögerns oder des Zweifels fortgewischt. Er wusste, was er wollte, und er würde alles tun, um das zu erreichen! Vielleicht sollte er Lily sogar dankbar sein, dass sie ihre wahren Gedanken und Gefühle über ihn schon jetzt gezeigt hatte. Dass sie ihn irgendwann im Stich gelassen hätte, war ihm nach ihrem Angriff auf ihn klar – so viel Verachtung wären sicherlich irgendwann einmal herausgebrochen... und nicht auszudenken, wenn er seine eine, große Chance auf ein besseres Leben und eine bessere Zukunft geopfert hätte nur um ihrer Freundschaft wegen... um dann am Schluss mit gar nichts von beidem dazustehen. Nein, es war gekommen, wie es hatte kommen müssen – doch so sehr er sich auch bemühte, so sehr er es sich auch wünschte, dieser Gedanke war nur ein schwacher Trost, als Regulus Black im Gemeinschaftsraum auf ihn zukam, ein hämisches Grinsen im Gesicht. „Hey, Snape.“ Dass der Junge, der wenige Wochen zuvor noch versucht hatte, sich bei ihm anzudienen, ihn sogar zu erpressen, um ebenfalls in die Reihen des Dunklen Lords aufgenommen zu werden, ihn jetzt mit so schlecht kaschierter Verachtung ansah, bedeutete nichts Gutes. Trotzdem zwang er sich, den letzten Satz auf seinem Essay für Professor Flitwick fertigzustellen und seine Feder mit betonter Ruhe wegzulegen, bevor er schließlich zu ihm aufsah. „Was?“ „Du wirst nicht glauben, was ich gerade beim Abendessen gesehen hatte.“ Mittlerweile waren ein paar seiner Freunde an seine Seite getreten und blickten hämisch auf ihn herab, und Severus machte sich bereit, seinen Zauberstab aus seinem Ärmel gleiten zu lassen, um sich verteidigen zu können. Die unmittelbare Furcht war allerdings nicht so stark, als dass er nicht Zeit gehabt hätte, eine sehr starke Vermutung zu entwickeln, was Black ihm gerne sagen wollte – und zu erkennen, dass es ihm, seinem schützenden Panzer aus Wut und Verachtung zum Trotz, wehtun würde, es zu hören. „Wenn du nicht langsam den Mund aufmachst, dann wirst du nie herausfinden, ob ich es glaube oder nicht“, schnarrte er zurück und hob eine Augenbraue, so als ob er sich über Blacks Verhalten wundern würde. „Potter hat deiner kleinen Freundin am Gryffindortisch die Zunge in den Hals gesteckt, und sie fand es ganz toll!“ Trotz allem, was er bereits vermutet oder befürchtet oder gehofft hatte, war es doch ein Schlag ins Gesicht, mit der Realität zu konfrontiert werden, und noch dazu vor allen seinen Hauskollegen – genau die Situation, die er durch seine Abwesenheit bei den meisten Mahlzeiten hatte vermeiden wollen. Jahre des Missbrauchs durch seinen Vater, der jedes Anzeichen von Schwäche gnadenlos zu seinen Gunsten ausnutzte, erlaubten es ihm allerdings, keine Regung zu zeigen, außer dass sich seine Hand zur Faust ballte und seine Fingernägel sich in sein Fleisch bohrten – ein Gefühl, das, wenn auch nicht angenehm, ihm zumindest erlaubte, sich zu fokussieren. „Und?“ Seine Reaktion entsprach offensichtlich so gar nicht dem, was Black sich ausgemalt hatte, seine Verunsicherung verriet das deutlich, aber trotzdem schien er nicht bereit, sich so schnell zurückzuziehen. „Dafür, dass eigentlich du sie flachlegen wolltest, reagierst du ganz schön kühl.“ Severus lachte, ein kurzes, scharfes Bellen, das so gar kein Amüsement transportierte. „Danke, aber das Blut der Familie Prince ist auch ohne deine wohlmeinenden Ratschläge dünn genug. Aber das ist ja ein Thema, über das deine Familie intim Bescheid weiß – wie geht es eigentlich der kleinen Nymphadora?“ Black biss die Zähne so fest zusammen, dass Severus sehen konnte, wie seine Kiefermuskeln sich anspannten, und stellte mit einem Gefühl der Zufriedenheit fest, dass seine Zunge so scharf war wie eh und je. „Während du damit beschäftigt bist, deine Sprache wiederzufinden, entschuldige mich bitte – ich glaube, es könnte eine Weile dauern.“ Er stand auf und klappte sein Zauberkunst-Buch mit einem Schlag zusammen, der im ganzen Gemeinschaftsraum widerhallte, dann packte er seine Sachen und drängte sich an Black vorbei, der jede seiner Bewegungen mit argwöhnischen dunklen Augen musterte. Gerade als er den letzten Schritt machte, um ihn endgültig hinter sich zurückzulassen, spürte er, wie eine Hand sich um seinen linken Arm schloss und ihn festhielt – genug Bedrohung, um seinen Zauberstab aus seinem anderen Ärmel gleiten zu lassen. „Wie kannst du es nur wagen...“, zischte Black, und Severus lächelte. „Genau das könnte ich dich fragen, Black. Lass mich dir einen Rat geben, zum letzten Mal – lass mich in Ruhe, oder du musst dich nicht mehr fragen, ob du verfolgt wirst.“ Der Moment des Schocks, als Black realisierte, dass seine kleine, geheime Konferenz mit Rabastan Lestrange nicht ganz so unbeobachtet vor sich gegangen war wie gedacht, ließ Severus genug Spielraum, um sich von ihm loszureißen und in seinen Schlafsaal zu verschwinden auf der Suche nach einem Moment der Ruhe, um den Sturm an Konflikten in seinem Inneren einzudämmen. Lily war also mit Potter zusammen. All ihr großes Geschwätz über Selbstlosigkeit und die Pflichten, die man Freunden gegenüber hatten, hatte sich also als Schall und Rauch erwiesen, als nicht mehr wichtig, wenn es plötzlich um ihr Glück ging anstatt um seines... aber hatte er ehrlich etwas anderes erwartet? Nein, eigentlich nicht – gehofft vielleicht, aber nicht erwartet. Das war auch der Grund gewesen, warum er sich so gewissenhaft von ihr ferngehalten hatte wie nur irgend möglich. Er war immer sehr früh beim Frühstück gewesen, noch bevor sie aufstand, hatte seine Bücher in den Pausen in der Bibliothek ausgeliehen und zurückgebracht, anstatt seine Nachmittage wie üblich dort zu verbringen, vermied jedes Fenster, um keinen Blick auf die Ländereien zu werfen... alles, nur, um nicht zu sehen, wie Potter sie im Arm hielt oder, wie Black es so eloquent ausgedrückt hatte, ihr die Zunge in den Hals steckte. Und auch wenn er es jetzt nicht gesehen, sondern nur gehört hatte... alleine die Vorstellung reichte aus, um ihn sich vor Abscheu schütteln zu lassen. Er hatte eigentlich gedacht, dass der zusätzliche Schlag von Lilys neuer Beziehung zu viel für ihn sein würde, dass er darunter endgültig zusammenbrechen würde, doch jetzt, wo er gefallen war, stellte er, ein wenig zu seiner morbiden Überraschung, fest, dass es schon fast egal war. Egal, was man ihm sagte, egal, was mit ihm geschah, egal, was mit ihr passierte. So oft war er getroffen worden, so oft verletzt worden, dass er auch wusste, wie er mit diesem letzten Verrat umgehen würde – er würde Rache nehmen. Sein Trank für Voldemort stand kurz vor der Fertigstellung, nur noch einige wenige Arbeitsschritte fehlten, dann könnte er Lucius von seiner Verbesserung erzählen und sich bereit machen, seinem neuen Meister nach seinen Abschlussprüfungen zum ersten Mal gegenüberzutreten. Die darauffolgende Nacht war lang und beschwerlich – er war müde und erschöpft, und doch trieb seine Wut ihn immer weiter, ließ ihn über seinem Kessel stehen und über seinen Rezepturen brüten, auch wenn ihm der Schweiß in die Augen tropfte, seine Haare an seinen Kopf klebte und die Hitze seine Müdigkeit nur verstärkte... und in den frühen Morgenstunden wurde er belohnt. Der Trank nahm genau die blendend weiße Farbe an, die er für die letzte Phase vorhergesagt hatte, und musste nur noch eine Woche simmern, bevor er ihn schließlich abschöpfen und verkorken konnte. Sein Triumph wurde von seiner Müdigkeit geschmälert, doch trotzdem spürte er, wie diese grenzenlose Euphorie durch seinen Körper flutete, dieses Glücksgefühl, das er kaum kannte und das ihm so merkwürdig fremd war... jetzt verstand er, wie seine Kollegen aus Slytherin sich fühlten, wenn sie ein Quidditch-Spiel gewonnen, und wie sie es schafften, danach noch die ganze Nacht zu feiern. Auch er hätte jetzt noch einen ganzen Tag weiterbrauen können – doch auf ihn wartete nichts als ein langer Samstag voller langweiliger Bücher, mit denen er für eine Prüfung lernte, die nicht mehr wichtig wäre, wenn er Voldemort diente. Er säuberte seinen Arbeitsplatz mit der Routine, die er sich in sieben Jahren des Brauens erarbeitet hatte, während seine Gedanken vor Müdigkeit in alle Richtungen gleichzeitig zu rasen versuchten, doch alle seine unzusammenhängenden Ideen wurden von seinem Triumph überschattet. Er hatte es geschafft, hatte nicht nur einen uralten Trank mit obskuren Zutaten und komplexen Anweisungen gebraut, sondern auch zahlreiche nicht mehr erhältliche magische Stoffe ersetzt und ihn währenddessen noch verbessert... eine Leistung, die einem ausgebildeten Zaubertränkemeister schwer gefallen wäre. Und er hatte es geschafft, noch bevor er seinen UTZ abschloss und unterrichtet von einem Lehrer, den er schon in seinem zweiten Jahr überflügelt hatte. Das zufriedene Grinsen auf seinem Gesicht verschwand auch nicht, während er eine kurze Notiz an Lucius schrieb, um ihm mitzuteilen, wie sich sein Projekt entwickelt hatte und dass er nun fest entschlossen war, in die Reihen der Todesser aufgenommen zu werden, und auch nicht, als er die Tür seines Labors hinter sich versiegelte und sich auf den Weg hinauf in die Eulerei machte. Er hoffte, keiner seiner Schulkollegen würde ihn so sehen – sein ganzer Ruf wäre dahin – aber er konnte sich nicht helfen... das war ein Lichtblick nach Lilys Verrat, den er so dringend benötigte, und er würde ihn auskosten bis zum letzten Tropfen. Wer, wenn nicht er, hatte sich ein wenig Hoffnung, ein wenig Zufriedenheit verdient? An Glück glaubte er ja gar nicht mehr... aber wenigstens das Gefühl, etwas geschafft zu haben... und das hatte er jetzt bekommen, auch wenn er sich bemühte, nicht zu sehr darüber nachzudenken, was der Trank mit demjenigen anstellen würde, auf den er angewendet werden würde. Der Effekt wäre, aus den benutzten Zutaten zu schließen, auf jeden Fall... schmerzhaft. Er erreichte die Eulerei, die im rötlichen Licht der ersten Sonnenstrahlen glitzerte und in die die vielen Eulen gerade nach ihrem nächtlichen Jagdausflug zurückkehrten. Er wusste, sie würden nicht besonders glücklich mit ihm sein, wenn er sie sofort wieder losschickte, und noch dazu auf eine Reise, die nicht zum frisch gedeckten Frühstückstisch in der Großen Halle führte – aber im Moment war ihm das egal. Nur widerwillig fand sich eine große Schleiereule der Schule, um seine kurze Mitteilung nach Malfoy Manor zu Lucius tragen würde, und als er ihr das Ziel nannte, klapperte sie indigniert mit dem Schnabel, doch er machte sich keine Sorgen. Die Vögel brachten ihre Last immer ans Ziel – und als er am selben Abend noch von Lucius eine ebenso kurze, ebenso knappe Antwort erhielt, wurde er in dieser Überzeugung noch bestätigt. Vierzehnter Juni, Verbotener Wald, bei Sonnenuntergang. Er lächelte und warf den Zettel ins Feuer des Gemeinschaftsraumes – noch zwei Wochen, und endlich würde er aus der Bedeutungslosigkeit aufsteigen zu jemandem, der tatsächlich etwas zu sagen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)