Nebel über Hogwarts von Glasschmetterling ================================================================================ Kapitel 70: Schuld ------------------ Nebel über Hogwarts – Kapitel 70: Schuld Die Dunkelheit Cornwalls hatte sich über sie gebreitet wie eine schwarze, samtene Decke, während sie in Deckung lagen, die Zauberstäbe in der Hand, und warteten. Wie lange schon – eine Stunde, zwei? Vielleicht sogar drei? – wusste Severus nicht, nur, dass seine Konzentration langsam nachzulassen begann, die Müdigkeit unter seine Augenlider kroch. Er war weniger schläfrig als erschöpft, ausgelaugt von den Dingen, die er zuvor gesehen hatte, von der Übelkeit, die in ihm hochgestiegen war, als Regulus das kleine Mädchen folterte, von den Schmerzen, die noch immer dumpf in seinem Arm pochten, von den Zweifeln, die nun in ihm aufstiegen. Hatte er das Richtige getan? Oder war es doch ein Fehler gewesen, Lucius zu vertrauen, seinen Erzählungen, seinen Beteuerungen, dem Schein von Glanz und Glorie, den die Bälle und Empfänge auf Malfoy Manor vermittelten... diese Nacht in der Gegenwart des Dunklen Lords hatte ihm die hässliche Realität gezeigt, fernab von schimmernden Champagnerflöten und silbernem Besteck. War er stark genug dafür? Stark genug, um zu foltern und zu töten, wie es heute von ihm verlangt wurde, stark genug, um sich eine Zukunft zu erkaufen um den Preis seines Gewissens? Severus seufzte innerlich. Eigentlich war diese Frage bedeutungslos – in dem Moment, in dem er auf die Lichtung appariert war, hatte er diese Entscheidung getroffen, auch wenn ihm klar war, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht alle Informationen gehabt hatte. Lucius hatte ihm die Wahrheit verschwiegen, mit Absicht, wenn er den Slytherin richtig einschätzte, doch die Frage nach dem wieso konnte er sich nicht beantworten. War es aus dem Wunsch heraus gewesen, Severus' Dienste für seinen Herrn zu sichern, selbst um den Preis seines Lebens oder seiner Integrität? Oder hatte er es um Severus' Willen getan, damit er sich selbst im Weg stand mit dem, was Lucius als unnötige Skrupel und gryffindor'sche Träumereien ansah? Er wusste nicht... aber wieder einmal versuchte er sich, mit einer theoretischen Diskussion abzulenken, in einer Situation, in der er Ablenkung so gar nicht gebrauchen konnte. Er würde sich später mit dem beschäftigen, was Lucius getan hatte und warum, und mit der Frage, ob er ihm noch trauen konnte... oder besser sollte. Trotz seiner Vorsätze gelang es ihm nicht ganz, die in ihm aufsteigende Befürchtung zu unterdrücken, dass er einen Fehler gemacht hatte – einen gravierenden, vielleicht sogar tödlichen Fehler, einen, der ihn in der Zukunft vielleicht mehr kosten würde, als er bezahlen konnte. Aber zurück... nein, zurück konnte er nicht mehr. Sein Stolz und seine Sturheit widersprachen alleine schon dem bloßen Gedanken daran, nach Hogwarts zurückzukehren und dort mit Lily zu sprechen, ihr zu erklären, wie viel er falsch gemacht hatte, dass diejenigen, die er für seine Freunde hielt, vielleicht nicht seine besten Interessen im Sinn hatten... nein, das konnte er nicht. Sie hatte ihm zu sehr wehgetan, als dass er einen solchen Preis in Kauf nehmen würde, um nicht ganz alleine in dieser düsteren, gefährlichen Welt dazustehen – und der einzige Weg, der ihm nun offenstand, war die Flucht nach vorne, tiefer in den Kreis des Dunklen Lords, tiefer in sein Vertrauen... Severus seufzte innerlich. „Ist es immer so?“, fragte er mit papiertrockenem Mund, und Lucius wandte den Kopf, das erste Mal seit Stunden, dass er seinen Blick vom Apparationspunkt nahm. „Ist was immer so?“ Lucius' scharfe, graue Augen suchten in der Dunkelheit nach einem Hinweis auf seine Gemütslage, und Severus war dankbar für die Maske, die seine Regungen verbarg. „Die... Treffen.“ Lucius zuckte mit den Schultern. „Ungefähr, ja. Manchmal feiern wir, manchmal werden einige bestraft... aber im Grunde...“ Severus verstand, was sein Freund nicht sagen wollte, vielleicht sogar nicht sagen konnte, weil er es mittlerweile hinnahm – auch Todesser wurden gefoltert, nicht nur Feinde, und früher oder später würde Severus auch einer von ihnen sein. Niemand war perfekt, niemand machte niemals einen Fehler, so wie den, dass Regulus und das Mädchen ihm gefolgt waren... und wahrscheinlich hatte ihn nur seine gute Arbeit gerettet. Severus biss die Zähne zusammen, um die erneute Welle des Zweifels, die über ihn hinwegspülte, abzuwehren – er hatte eben schon festgestellt, dass er keine Wahl hatte, und daran hatte sich nichts geändert. Doch seine Angst widersprach vehement, bestand darauf, dass es irgendeinen Weg hinaus geben musste, irgendein Schlupfloch in der Falle, in der er sich selbst gefangen hatte... aber das waren müßige Gryffindorhoffnungen, die er besser gleich begrub. Furcht und Zweifel führten zu Fehlern, und Fehler waren etwas, das Severus sich nicht leisten konnte, wenn er überleben wollte... also schluckte er sie hinunter, vergrub sie in den Tiefen seines Geistes, und die Hoffnung mit ihnen. Er war hier. Er hatte, was er wollte. Jetzt musste er nur noch mit den Karten spielen, die er sich hatte geben lassen. Ohne Lucius zu antworten drehte er sich um, blickte unverwandt hinaus in die Dunkelheit, wo ihren Informationen nach der Auror auftauchen musste, doch seine äußerliche Ruhe spiegelte nicht im Geringsten den Tumult in seinem Inneren wieder. Selbst ohne die Frage, ob er nicht vielleicht doch noch fliehen konnte, belastete die Situation ihn noch genug – er sollte... musste... einen Menschen töten, um den eingeschlagenen Weg weiter gehen zu können, und er wusste nicht, ob er dazu fähig war. Natürlich, er kannte den Zauber, hatte unzählige Male überlegt, ob es die Strafe wert wäre, ihn auf seinen Vater anzuwenden, wenn er wieder einmal den Gürtel zur Hand nahm... aber er hatte es nicht getan, nicht einmal bei jemandem, den er so sehr hasste. Wie konnte er das dann bei einem vollkommenen Fremden tun? Severus wusste es nicht. Das Knacken in der Dunkelheit ließ sie beide zusammenfahren nach einer so langen Zeit des Abwartens und der Reglosigkeit, doch ihr Ziel hörte ihr leises Rascheln nicht über dem Geräusch seiner eigenen Apparation. Jetzt oder nie – in ein paar Schritten wäre er im Schutz der Banne, die sein Haus bewachten, in einer Position, die Lucius und Severus nicht würden durchdringen können. Der nonverbale Fluch, den er vorbereitet hatte, schoss blendend hell durch die Dunkelheit, versengte die Blätter des Busches, in dem sie sich verbargen, doch der Auror war schneller. Er war mit gezogenem Zauberstab appariert, und sein Schildzauber schnellte hoch bevor Severus' Fluch ihn erreichen konnte. Auch Lucius' Angriff prallte wirkungslos ab, ein Beweis für das Talent und die Fähigkeiten ihres Ziels, und Jahre des Kampfes gegen James Potter und seine Bande ließen Severus vorausahnen, was nun passieren würde. Er rollte sich im Schutz der Büsche zur Seite, nur Sekunden, bevor der Gegenangriff des Aurors das trockene Gehölz traf und es innerhalb von Herzschlägen in Flammen setzten. Severus entkam gerade noch, bevor das züngelnde Feuer nach seiner Kleidung greifen konnte, doch Lucius hatte weniger Glück. Seine schwarze Robe hatte zu brennen begonnen und er streifte sie hastig ab, versuchte, die Flammen auszutreten – und gab dem Auror die Chance, einen Fluch auf ihn abzufeuern. Auch wenn er keine Formel verwendet hatte, nach einem Abend voller solcher Demonstrationen kannte Severus die Auswirkungen des Cruciatus so genau, dass er ihn überall wiedererkannt hätte, und er biss wütend die Zähne zusammen. Skrupellos, in der Tat. Der Gedanke schoss zusammenhanglos durch seinen Kopf, während er im Schutz der sich bewegenden Flammen nach einer Angriffsposition suchte und Lucius' Schreie durch die Sommernacht hallten. Er hatte ihn belogen, ja, aber er war immer noch sein Freund, derjenige, der ihm geholfen hatte, seinen Stand in Slytherin zu verbessern – ihm, einem Halbblut. Und der Auror dachte immer noch, Lucius wäre alleine... Er festigte seinen Griff um seinen Zauberstab und holte einen kurzen Moment Luft, suchte nach der Wut und dem Hass, die schon immer in ihm gebrodelt hatten, warf einen kurzen Blick auf den Rücken seines Gegners – und schickte den Avada Kedavra auf die Reise. Der Auror sah den grünen Strahl nicht einmal kommen, er versuchte nicht, sich zu verteidigen, sondern erstarrte einfach nur, die Hand mit dem Zauberstab noch immer auf Lucius zugestreckt, nun aber machtlos. Für einen Moment, während Severus sich aufrichtete und noch nicht so recht begriffen hatte, was gerade geschehen war, schien er vor ihnen zu stehen, dann klappte er steif nach vorne, fiel auf sein Gesicht, und der dumpfe Aufschlag brachte ihn wieder zu Verstand. Er hastete nach vorne, zu Lucius, der keuchend auf dem Boden lag, die Lippe blutend, weil er sie sich selbst aufgebissen hatte, aber abgesehen davon unverletzt. „Hier.“ Er streckte seinen Arm aus, und nach einem Moment des Zögerns nahm sein Freund sie auch, ließ es zu, dass Severus ihn vom Boden hochzog – ein Eingeständnis von Schwäche, dass er sich wahrscheinlich bei niemand anderem erlaubt hätte. Sein Umhang schwelte noch immer ein paar Meter weiter, und Severus sah zu, wie Lucius ihn aufsammelte, die Bewegungen steif vor Schmerz, die letzten, züngelnden Flammen löschte und ihn dann reparierte. „Eine Schande – er wird nie wieder so sein wie vorher.“ Severus nickte abwesend, den Zauberstab noch immer in der Hand, und versuchte, seine rasenden Gedanken wieder unter Kontrolle zu bringen. Er hatte einen Menschen getötet... er hatte es getan. Die Wucht seiner eigenen Schuld überraschte ihn trotz all der Warnzeichen, auf die er hätte hören sollen, trotz des dumpfen Gefühls, nicht bereit gewesen zu sein... doch dafür war keine Zeit. Sie mussten zurückkehren zum Dunklen Lord, um über ihren zweifelhaften Erfolg zu berichten, auch wenn der Gedanke daran Severus den Magen umdrehte. „Gehen wir.“ Seine Stimme klang fester, als sich seine Knie anfühlten, und Lucius nickte, bevor er auf den Auroren zuging und seinen Zauberstab aus seiner toten Hand pflückte. „Nur noch eine Kleinigkeit. Morsmordre.“ Das Dunkle Mal stieg von der Spitze des fremden Stabes auf, hing hässlich und grün über den brennenden Büschen, deren Flammen dem Totenschädel ein wenig mehr Farbe gaben, dann disapparierten sie. Das Gefühl der Desorientierung war nicht so stark wie zuvor, als er gemeinsam mit Lucius gereist war, und es gelang ihm problemlos, sich auf den Beinen zu halten. Die Übelkeit, die langsam in ihm aufstieg, stammte auch aus einer anderen Quelle, aus der Abscheu, die er für sich selbst empfand, und der Angst, welcher Anblick ihn im Kreis der Todesser erwarten würde, doch dafür war nun keine Zeit. Er öffnete die Augen, sobald er angekommen war, und ließ seinen Blick hastig über die Lichtung wandern – und entdeckte Peter Pettigrew, der, über die Leiche seiner Schwester gekrümmt, auf dem von Tannennadeln bedeckten Waldboden kniete. Die Übelkeit verwandelte sich in Galle, die in seinem Hals hochstieg, doch er schluckte sie hinunter und trat gemeinsam mit Lucius auf den Dunklen Lord zu, ohne seinen Jahrgangskollegen zu beachten. Wie Pettigrew hierher gekommen war, konnte er sich nicht erklären, aber dass er überhaupt den Versuch gemacht hatte, seiner Schwester zu helfen, zeugte von mehr Mut und Charakterstärke, als er dem kleinen Mitläufer zugetraut hätte. „Mein Lord.“ Gemeinsam sanken sie auf die Knie, während Severus hoffte, Pettigrew würde seine Stimme nicht wiedererkennen – aber so sehr, wie er schluchzte, glaubte Severus nicht, dass er seine Umgebung überhaupt wahrnehmen konnte. „Habt ihr getan, was ich befohlen habe?“ „Das haben wir, mein Lord.“ Lucius streckte die Hand auf und reichte ihm den Zauberstab, und Voldemort nickte kalt und schlangengleich. „Ausgezeichnet. Nehmt eure Plätze ein.“ Sie erhoben sich, Lucius ein wenig zittriger als Severus, oder vielleicht bildete er sich das auch nur ein, weil er wusste, was geschehen war, und stellten sich Seite an Seite in den Kreis der Todesser. Für einen Moment versuchte Severus Regulus zu erkennen, oder einen anderen seiner Freunde, Rosier vielleicht, doch in all den identischen Umhängen und Masken war sein Slytherinkollege verschwunden, verschmolzen mit den anderen. „Und jetzt wird es Zeit, diesen kleinen Wurm zurück zu Dumbledore zu schicken... Crabbe.“ Ein großer, stämmig gebauter Todesser trat nach vorne und sein Stiefel traf Pettigrew in die Seite, der laut aufjaulte und sich herumrollte, von seiner Schwester weg. Severus konnte gerade noch ein verräterisches Zusammenzucken vermeiden – so sehr er Potter und seine Bande auch hasste, das hatte niemand verdient... niemand... nicht einmal Potter oder Black selbst, und weniger noch dieser dumme Junge, der immer nur getan hatte, was sie sagten. Grob zerrte Crabbe Pettigrew auf die Beine, wo er schwankte und wieder gefallen wäre, hätte der Todesser ihn nicht am Kragen festgehalten. „Nimm das Gör und scher dich zurück nach Hogwarts.“ Pettigrews geweitete Augen, der Schock auf seinem Gesicht schienen sich direkt auf Severus zu richten, auch wenn das nicht möglich war, schienen ihn anzuklagen... und dann erschütterte ein lauter Knall die Lichtung und Severus riss die Augen auf – genau vor ihm stand Lily Evans. Für einen Moment hielt er sie für eine Halluzination, für eine Ausgeburt seines schlechten Gewissens, doch dann sah er, dass Potter neben ihr stand, gemeinsam mit seinen anderen Freunden und Professor Lovejoy, und begriff, was gerade geschah. Er hielt seinen Zauberstab in der Hand, bevor er überhaupt begriffen hatte, was geschehen war, und sein erster Fluch flog, bevor sein Kopf zur Reaktion seiner Reflexe aufgeholt hatte, doch nicht auf das logische Ziel – Lily – sondern auf Potter neben ihr. Dann stürzte er sich mit den anderen ins Getümmel und schob seine Angst weit von sich, nicht nur die um sich selbst, sondern auch jene um seine Freunde und vielleicht die Frau, die er liebte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)