Nebel über Hogwarts von Glasschmetterling ================================================================================ Kapitel 12: Eine Frage der Moral -------------------------------- Nebel über Hogwarts – Kapitel 12: Eine Frage der Moral Nathan Devers' Krankenbett war zu ihrem Treffpunkt geworden, ohne dass sie wirklich bemerkt hatten, wie oder wann genau es geschehen war, doch Severus Snape bevorzugte es so, wie es war. Immerhin konnte er so vor seinen Hauskollegen behaupten, dass er einfach nur in den Krankenflügel ginge, um den verletzten Vertrauensschüler zu besuchen – dass er dort merkwürdiger- und zufälligerweise Lily Evans traf, dafür konnte er ja nun wirklich nichts. Zudem war die Wahrscheinlichkeit, von irgendwelchen anderen Schülern gestört zu werden, ausnehmend gering. Zwar hatte Dumbledore der Schule mittlerweile von dem tragischen Unfall Devers' erzählt, doch hatte diese neue Offenheit nur dazu geführt, dass der Großteil seiner Hauskollegen derselben Logikkette gefolgt war, die er auch schon Lily dargelegt hatte. Fast allen von ihnen war – durch einige gut platzierte Andeutungen Regulus Blacks gefördert – klar geworden, dass ein Slytherin hinter dem Angriff auf den abtrünnigen Vertrauensschüler steckte. In der momentan angespannten Situation zwischen den Häusern wollte allerdings niemand Slytherin schwächen und sich mit einem Besuch in der Krankenstation offen gegen den oder die Angreifer stellen. Natürlich hätte diese Schlussfolgerung auch für ihn gelten müssen. Allerdings konnte Severus anführen, dass er als derjenige, der Devers gefunden hatte, auch ein berechtigtes Interesse an seinem Wohlergehen hatte – und abgesehen davon hätte Regulus ihm seine Widerspenstigkeit auch ohne diese Ausrede durchgehen lassen. So wie Regulus so gut wie alles tun würde, um durch ihn ebenfalls eine Eintrittskarte in den illustren Kreis von Lucius Malfoy und seinen Freunden zu bekommen... und zu denjenigen, die hinter ihm standen und sich bereits offen dem Dunklen Lord angeschlossen hatten. Severus schüttelte vorsichtig den Kopf. Der Brief, den er heute Morgen mit der Post erhalten hatte, knisterte bei so gut wie jeder seiner Bewegungen in der Tasche seines Umhanges und schien sich, nachdem er den Gedankengang abgeschlossen hatte, noch schwerer und belastender anzufühlen als zuvor. Lucius hatte ihn eingeladen, wieder einmal, ihn gebeten, sich zu Halloween aus Hogwarts zu stehlen und nach Malfoy Manor zu apparieren. Das alte Herrenhaus gehörte ihm nun, nach dem Tod seiner Eltern und seiner Hochzeit mit Narzissa Black, alleine, und zur Feier dieses Umstandes wollte er ein rauschendes Fest ausrichten. Was wirklich hinter der Einladung steckte, wusste Severus nicht genau, doch sein Verdacht ging in eine Richtung, die ihm nicht behagte und die er auch nicht einschlagen wollte... noch nicht, wie die dunkle, pessimistische Stimme in seinem Hinterkopf flüsterte, wenn er abends im Bett lag und nicht einschlafen konnte. „Hallo? Severus?“ „Lily.“ Ertappt – wenn auch nur in seinen Gedanken – schreckte er hoch, bevor er es schaffte, sich zu beherrschen und ein Lächeln aufsetzte. „Was für ein Zufall.“ Sie grinste wissend, sich vollkommen der Tatsache bewusst, dass es alles andere als überraschend war, dass sie hier auf ihn gestoßen war, bevor sie einen langen Blick auf Nathan Devers warf und sich schließlich in einen der zwei Besucherstühle sinken ließ. „Wie geht es ihm?“ „Noch immer unverändert, sagt Madam Pomfrey. Mittlerweile waren schon drei Heiler aus St. Mungos hier, die allerdings auch nicht herausgefunden haben, was ihm fehlt, und versprochen haben, die Archive nach ähnlichen Fällen durchzusehen.“ Lily seufzte. „Und ich habe auch keine guten Neuigkeiten... Black weiß nichts, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob das wirklich stimmt oder ob er nur zu müde oder zu betrunken war, um seine drei Gehirnzellen in die richtige Reihenfolge zum Denken zu bringen.“ Ihr Tonfall war am Schluss beißender geworden, als sogar ihr selbst klar zu sein schien. Aber auch wenn Severus' Herz sich schon fast unanständig darüber freute, bemühte er sich, sich möglichst nichts davon anmerken zu lassen, während er für einen Moment schwieg, unsicher, ob er aussprechen sollte, was ihm durch den Kopf ging. „Ich weiß, ich weiß. Ich muss noch einmal mit ihm reden.“ Überrascht hob er den Kopf und stellte fest, dass Lily ihn mit einem merkwürdig schräg wirkenden Grinsen auf dem Gesicht ansah, das irgendwie nicht zu ihr passen wollte. „Und ich wäre dir auch nicht böse gewesen, wenn du das gesagt hättest – auch wenn du anscheinend das Gefühl hattest, dass es doch so ist.“ Fast wie ein nachträglicher Einfall wirkte die leise, fast unhörbare Verletztheit in ihrer Stimme, und Severus senkte den Kopf, versuchte, die vier Worte zusammenzusammeln von denen er wusste, dass er sie jetzt aussprechen sollte und die doch so unendlich schwierig zu finden waren. „Ich...“ Er brach ab, unsicher, was er jetzt sagen sollte, und wagte schließlich einen Blick auf Lily, die in ihrem Stuhl saß wie versteinert, in Devers' entrücktes, fernes Gesicht sah und es doch nicht wirklich zu bemerken schien. „Lily? Alles in Ordnung?“ Schon als er die Frage ausgesprochen hatte, wusste er, dass sie dumm klang und sinnlos und fast wie ein Hohn, was das kurze, bittere Lachen nicht mehr überraschend machte, sondern zu etwas, mit dem er gerechnet hatte. „In Ordnung? Sieh ihn dir an und dann sag mir, was in Ordnung ist!“ Mit ihren letzten Worten wichen die Wut und die Bitterkeit ersten Tränen und Lily vergrub ihr Gesicht in ihren Fingern, schluchzte fast stumm, während nur das Zucken ihrer Schultern ihre Gefühle preisgab. Severus rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, warf einen unbehaglichen Blick auf sie und fühlte sich wieder unbeholfen... und unzulänglich. Ein Gefühl, von dem er eigentlich gedacht hatte, dass er es schon längst überwunden hätte und das Erinnerungen wachrief, die er eigentlich tief in sich hatte begraben wollen. Gedanken an seinen Vater, der es immer wieder geschafft hatte, ihn klein zu machen, zu demütigen und fast zu zerbrechen, bis er sich der Magie zugewandt hatte, diesem Gebiet, von dem Tobias Snape nichts wusste und das er ihm nicht nehmen konnte, so sehr er es auch versucht hatte. Er begriff, dass Lily das nicht beabsichtigt hatte, doch Wissen war nur eine schwache Bastion gegen die Abgründe seiner Gefühle und obwohl er eigentlich wusste, dass er sie trösten sollte, konnte er sich doch nicht dazu aufraffen, schaffte es nicht einmal, eine Hand auf ihre Schulter zu legen, wo ihm keine Worte über die Lippen kommen wollten. Schließlich brachte er sich dazu aufzustehen, um Devers' Bett zu gehen, das Zittern seiner Finger zu verbergen, indem er unbeholfen die Decke zurechtrückte, eine Geste, mit der er wohl alles nur noch mehr durcheinanderbrachte und von der er genau wusste, wie sinnlos sie war. Doch trotz seines Versuches, sich abzulenken, gelang es ihm nicht, Lilys Blicke zu ignorieren, die ihm folgten und auf seiner Haut brannten, bevor sie sich schließlich räusperte. „Sev... Severus?“ Ihre Stimme klang rau von den Tränen, die noch immer auf ihren Wangen schimmerten, als er sie schließlich anblickte. Doch ihre verschwollenen, geröteten Augen machten sie auf mysteriöse Weise hübscher und faszinierender, weckten nun doch in ihm den Wunsch, sie zu berühren, sie festzuhalten und zu beschützen. „Ja?“ „Es tut mir leid.“ Die Worte ließen ihn fast unmerklich zusammenzucken, ihn merken, was er versäumt hatte – er war eigentlich derjenige, der sich entschuldigen musste, und dass Lily es getan hatte, für ihn, brachte ihn dazu, sich auf den Stuhl neben ihr sinken zu lassen anstatt eine Hand auf ihre Schulter zu legen. „Das muss es nicht, Lily.“ Sie winkte ab, eine Bewegung, die alles und nichts bedeuten konnte, und wischte sich mit dem Ärmel ihres Hogwartsumhanges über die Augen, schniefte ein letztes Mal, bevor sie sich augenscheinlich Mühe gab, sich zu beherrschen. „Ich rede noch einmal mit Black, ja?“ Severus nickte knapp, auch wenn ihm der Gedanke nicht behagte, Lily wieder in die Nähe dieses... Kerls zu schicken – aber nüchtern betrachtet hielt sie sich dort ohnehin jeden Tag auf. „Ja. Und ich werde mit Regulus sprechen.“ „Mit Regulus?“ Lilys Augen weiteten sich. „Aber... du hast doch gesagt, dass er derjenige ist, der wahrscheinlich hinter der Angelegenheit steckt. Und dass er schwarzmagische Flüche beherrscht.“ Das tue ich auch, Lily... das tue ich auch. Der Gedanke schoss durch seinen Kopf, doch es gelang ihm, ihn nicht auszusprechen, und er bemühte sich stattdessen, sie zuversichtlich anzulächeln. „Ja. Aber ich denke nicht, dass er einen Angriff auf mich riskieren wird – dafür hat er viel zu viel Respekt vor mir und ich denke nicht, dass er mich zum Feind haben möchte.“ Aus Gründen, die ich dir nicht erklären kann. Lily seufzte auf, mit einem Ausdruck auf ihrem Gesicht, den nun auch Severus nicht mehr für etwas anderes als Sorge halten konnte – was ihn gleichzeitig besorgte und ermutigte. „Pass auf dich auf, ja?“ Ihre Finger fanden den Weg zu seiner Schulter, drückten sie durch die schwarze Robe hindurch vorsichtig, bevor sie aufstand und auf die Vorhänge, die Devers' Krankenbett vom Rest der Station abtrennten, zutrat. „Das tue ich immer, Lily. Das tue ich immer.“ Drei Stunden später, in den auch nun, Mitte September, bereits empfindlich kühlen Gängen der Kerker von Hogwarts, war Severus Snape sich nicht mehr besonders sicher, ob diese Aussage der Wahrheit entsprach. Vor ihm, im tanzenden Licht der Fackeln, stand Regulus Black gemeinsam mit Rabastan Lestrange und einigen anderen Schülern aus den niedrigeren Klassen, offensichtlich in ein hitziges Gespräch vertieft, dessen Inhalt durch den Hall unkenntlich gemacht wurde. Noch hatte niemand von ihnen ihn bemerkt, doch Severus war sich der Tatsache bewusst, dass sich das jeden Augenblick ändern konnte – und trotzdem konnte er sich nicht dazu durchringen, einen weiteren Schritt auf sie zuzugehen, sie anzusprechen. Er hatte überlegt, Regulus im Gemeinschaftsraum zu stellen, doch den Gedanken schnell wieder verworfen wegen der zu vielen Zeugen, die zu spekulieren beginnen würden, von denen viele sogar die richtigen Schlüsse ziehen konnten. Slytherins waren, in der Gruppe gesehen, alles andere als dumm, auch wenn es immer wieder die eine oder andere unrühmliche Ausnahme gab. Lautlos sog Severus einen tiefen Atemzug ein, wappnete sich innerlich und kontrollierte noch einmal seinen Zauberstab, der in der Tasche seines Umhanges steckte, jederzeit griffbereit und doch verborgen, sodass er keine offensichtliche Bedrohung darstellte, dann räusperte er sich, während er einen Schritt nach vorne trat. Köpfe wirbelten zu ihm herum, erschrocken, fast ertappt wirkende Augen starrten ihn an, und dann wandte sich auch Regulus um, langsamer, gemessener, so als ob er die Störung nur widerwillig beachten würde. „Snape.“ Severus konnte nicht leugnen, dass er Regulus Gesicht nicht leiden konnte, doch ob das an seiner Abneigung für ihn selbst oder für seinen Bruder lag, vermochte er nicht genau zu sagen. Trotzdem blickte er ihm nun in die Augen, die so sehr Sirius' ähnelten, und brachte es sogar fertig, ein schmales Lächeln auf seine Lippen zu legen. „Black. Ich möchte nicht lange stören, aber... auf ein Wort?“ Einladend wies er auf die Tür eines lange aufgegebenen Klassenzimmers neben ihnen und zu seiner Überraschung nickte Regulus Rabastan Lestrange, einem Schüler aus dem fünften Jahr, kurz zu. „Könntest du für einen Moment übernehmen?“ „Natürlich“, antwortete der Junge kurz, bevor er sich wieder den anderen Slytherins zuwandte, und Regulus trat vor ihm in den Nebenraum, wartete geduldig, während Severus leise die Tür schloss. „Ich hoffe es macht dir nichts aus, wenn ich unser Gespräch ein wenig... privater mache?“ Der Black hob die Augenbrauen, nickte aber kurz, herrisch, und Severus zog seinen Zauberstab. „Impertubatio.“ Die Tür war nun versiegelt und Severus bezweifelte ernsthaft, dass irgendjemand sie durch die dicken Steinwände des Kerkers abhören konnte, also trat er weiter in den Raum hinein, ließ sich steif auf der Kante eines der verstaubten Tische nieder, die immer noch in dem alten Klassenzimmer standen. In einer Art und Weise, von der er hoffte, dass sie geistesabwesend wirkte, behielt er den Zauberstab in der Hand, drehte ihn vorsichtig zwischen den Fingern, doch seine Kunstpause wurde von Regulus rüde unterbrochen. „Was willst du?“ Nachdenklich hob Severus den Blick, sah in diese grauen Augen, die er so gut kannte, und schluckte die alte, schale Furcht hinunter. „Den Gegenfluch.“ „Welchen Gegenfluch?“ Regulus klang sehr gefasst, doch der Funken von Unschuld, den er ganz offensichtlich in die beiden Worte legen wollte, gelang ihm nicht wirklich – was möglicherweise daran lag, wie Severus sich überlegte, dass der andere Slytherin sehr vieles war, aber nicht unschuldig. „Du weißt, welchen Gegenfluch ich meine.“ Ihm gelang es, all seine Wut, all seine Abscheu für Regulus und das, was er getan hatte, hinauszuzischen, und war zufrieden, nun eine Reaktion zu bemerken, die wenigstens entfernt an Furcht erinnerte. Für einen Moment ließ er die Worte in der Luft hängen, dann trat er langsam auf Regulus zu, den Zauberstab noch immer in der Hand, doch nun auf eine Art und Weise, die vollkommen bewusst wirkte und gar nicht abwesend. „Hier ist mein Angebot, und es gilt für ungefähr dreißig Sekunden. Du verrätst mir, wie man Devers wieder heilen kann – und ich verzichte dafür darauf, irgendjemandem zu bestätigen, dass du es warst, der ihn angegriffen hat. Wenn du das nicht tust, werde ich... möglicherweise... in meinem nächsten Brief an Lucius erwähnen, dass du gerade fleißig damit beschäftigt bist, unserer Sache hier in Hogwarts zu schaden.“ Dass er die Ziele des Dunklen Lords so beiläufig als seine eigenen ausgab, nagte an ihm, doch das Gefühl wurde weggewaschen durch die Angst und die Unruhe auf Regulus' Gesicht. Severus spürte, wie sich ein kaltes Lächeln auf seine Züge schlich, während er auf eine Antwort wartete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)