Nebel über Hogwarts von Glasschmetterling ================================================================================ Kapitel 20: Konflikt des Herzens -------------------------------- Nebel über Hogwarts – Kapitel 20: Konflikt des Herzens Die große, schwarze Eule erschien während des Frühstücks und landete auf dem leeren Platz neben ihm am Slytherintisch, bevor sie gnädigerweise ein Stück seines Toastes annahm und ihm den Brief für ihn überreichte. Er kannte das Tier, es gehörte Wilkes, einem seiner Freunde, der im letzten Jahr seinen UTZ gemacht und die Schule verlassen hatte, und ihm jetzt regelmäßig schrieb. Zwar war er sich nicht ganz sicher, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht – denn auch Post von ihm enthielt, genauso wie Lucius' Briefe, Lobeshymnen auf den Dunklen Lord – aber Informationen über die Welt außerhalb Hogwarts' zu erhalten, die nicht aus dem Tagesprophet stammten, war immer eine gute Sache. Ungeduldig entfaltete er das Pergament und überflog die Begrüßung, ein warmherziger und lebendiger Stil hatte noch nie zu Wilkes' Vorzügen... er erstarrte, als er den ersten Absatz überflog. Wie du vielleicht schon aus anderer Quelle erfahren hast, Severus, bin ich mittlerweile den Reihen des Dunklen Lords beigetreten. Mein Arm schmerzt immer noch, doch wenn ich daran denke, wessen Mal ich trage, dann kommt mir der Preis nicht zu hoch vor. Ich habe schon einige Missionen für ihn durchgeführt und hoffe, dass du mir bald auf diesem Weg folgen wirst. Er wusste nicht, woher der plötzliche Schmerz stammte, der ihn durchschoss und der merkwürdigerweise stärker wurde, wenn er zum Gryffindortisch mit Lilys rotem Haarschopf hinüberblickte. Was ihm hier angeboten wurde, war Macht, pure Macht – und die Möglichkeit, seine Forschungen weiterzuführen, weiter in die Dunkle Magie einzutauchen, die ihn so faszinierte. Es war das, was er sich in den letzten Jahren immer gewünscht hatte, sich erträumt hatte, wenn James Potter und seine Freunde ihm wieder einmal auflauerten. Sie würden es nicht wagen, einen Todesser anzugreifen, und er würde Dinge sehen und lernen, die über alles hinausgingen, das er sich bis jetzt auch nur vorstellen konnte. Wieso war das alles nun für ihn in den Hintergrund gerückt? Wieso konnte er sich nicht freuen, dass der Dunkle Lord wirklich an ihm interessiert war, obwohl er noch nicht einmal die Schule abgeschlossen hatte? Er schüttelte langsam den Kopf, während er den Rest des Briefes überflog, belanglose Zeilen über die letzte Abendgesellschaft auf Malfoy Manor und eine hübsche, junge Reinblüterin, die Wilkes dort kennengelernt hatte. Nur sehr wenig von dem, was er las, nahm er auch wirklich wahr, so sehr schwammen seine Gedanken. Wieso? Wieso? Wieso? Was er bis jetzt nur vermutet und gehofft hatte, war nun zur Gewissheit geworden, also wieso schmerzte dieses Gefühl in seinem Inneren so sehr, dass er meinte, er müsste platzen? Die Antwort schlug erst dann auf ihn ein, als sich das Frühstück dem Ende zuneigte und er wie zufällig zum Gryffindortisch hinüberblickte, wo Lily gemeinsam mit ihrer besten Freundin aufstand und zum Unterricht aufbrach. Es war sie. Auf dem Weg, den er beschreiten wollte, war kein Platz für sie in seinem Leben, und das nicht nur, weil sie nicht reinblütig war. Er hatte gesehen, wie sie auf die Sprüche und Tränke reagierte, die er entwickelte, auf die dunklen Bücher, die er gelegentlich las, und auch, wie sehr sie seine Freunde verabscheute. Auch wenn der Dunkle Lord vielleicht bereit wäre, sie aufgrund ihres Talents und ihrer Fähigkeiten zu akzeptieren – Lily würde sein Angebot niemals annehmen. Und jetzt, wo sie ihn wieder ansah, mit ihm sprach, mit ihm lachte, hatte er wieder etwas, das er verlieren konnte, wo er zuvor geglaubt hatte, er hätte sie schon durch seine eigene Dummheit vertrieben. Nachdenklich starrte er auf seinen Teller, seit sie wieder Kontakt hatten, hatten sie nicht mehr explizit über die Dunklen Künste und seine Einstellung zu ihnen gesprochen, aber die Hoffnung, die bei dem Gedanken aufkeimte, verwelkte sofort wieder und hinterließ ein leeres Gefühl. Nur ein Idiot hätte nicht bemerkt, wie Lily zu schwarzer Magie stand, als sie im Krankenflügel saß und sich um Devers – und ihn selbst – sorgte und ihn warnte, vorsichtig zu sein. Nein – wenn er wollte, dass Lily auch in Zukunft einen Platz in seinem Leben hatte, wenn auch nur als Freundin, dann musste er sich gegen das Angebot des Dunklen Lords entscheiden, und er wusste nicht, ob er das konnte. Der freitägliche Unterricht brachte ihn einer Entscheidung auch nicht näher, auch wenn sich seine Gedanken während der Stunden fast ausschließlich um Lily drehten und um die Frage, wie er sich nun entscheiden sollte. Auch als die letzte Glocke klingelte, war er in seinen Überlegungen noch nicht sehr weit gelangt, sondern nur bis zu der Tatsache, dass er sich jetzt ja noch gar nicht entscheiden musste. Noch hatte kein definitives Angebot des Dunklen Lords ihn erreicht, nur die Einladung zu Lucius' Abendgesellschaft an Halloween, also konnte er sich noch ein wenig Zeit lassen, noch ein wenig überlegen, bevor er eine Antwort geben musste. Allerdings schaffte es auch diese Erkenntnis nicht, ihn davon abzuhalten, das Problem immer und immer wieder durch seinen Kopf zu jagen, bis seine Gedanken sich ständig im Kreis drehten, und um sich ein wenig abzulenken, packte er nach der letzten Stunde seine Tasche und machte sich auf den Weg in die Bibliothek. Die allermeisten Schüler würden an diesem Nachmittag die letzten Strahlen der wärmenden Septembersonne genießen, also würde er viel Zeit haben, ein wenig nachzudenken und in Ruhe ein Buch oder zwei durchzublättern. Und wirklich, als er durch die schweren Türen trat und hinein in die Luft, die so sehr nach altem Wissen roch, waren fast alle Tische verwaist und er konnte sich an seinen Lieblingsplatz setzen, von dem aus er über den See hinausblicken konnte. Müßig blätterte er durch die mageren Notizen des Schultages, seine Hausaufgaben würden seinen Geist genauso wenig fesseln können wie der Unterricht, der ihnen vorausgegangen war, also ließ er seine Tasche zurück und erhob sich. Ziellos wanderte er durch die Regalreihen, zog gelegentlich ein interessant aussehendes Buch von seinem Platz und betrachtete es kurz, bevor er es desinteressiert wieder zurückstellte. Egal, was er versuchte, egal, was er tat, seine Gedanken wanderten immer wieder zurück zu Lily. Nicht nur zur Frage, was er von ihr wollte oder was sie von ihm wollte, sondern auch zu den Gerüchten, die seit der Szene, die sie in der Eingangshalle gemacht hatten, durch die Schule wanderten. Obwohl sie sich versöhnt hatten, brannte die Ohrfeige in seiner Erinnerung noch immer, und dass er bei jeder Gelegenheit von geflüsterten Kommentaren und leisem Gelächter daran erinnert wurde, machte es nicht besser. Wenigstens in seinem eigenen Gemeinschaftsraum musste er den Spott nicht ertragen, den anderen Slytherins war sein Ruf viel zu bewusst, als dass sie sich darauf einlassen würden, ihn zu necken oder ihn gar auf die Gerüchte anzusprechen. Lily hingegen schien, obwohl sie ständig bei den Gryffindors ein und ausging, von den abstrusen Geschichten ihrer Mitschüler vollkommen unbeeindruckt – und schaffte es manchmal sogar, darüber zu lachen. „Pass auf, sie werden schon irgendeinen anderen Skandal finden“, hatte sie gesagt, doch das machte die momentane Situation für Severus nicht angenehmer und... „Schniefelus.“ Dass die Stimme leise war, machte sie um kein bisschen weniger bedrohlich. Severus' Hand schoss in die Tasche seines Umhangs und umfasste den Zauberstab darin, bevor er sich langsam umdrehte und James Potter und Sirius Black in die feindseligen Augen blickte. „Und was macht ihr hier? Ich dachte, ihr wärt gegen Bücher allergisch!“ Potter antwortete nicht, sondern machte nur einen Schritt nach vorne, während Black den Fluchtweg zwischen den Regalen hindurch zu Madame Pince' Tisch abschnitt. Severus verfestigte den Griff um seinen Zauberstab und überprüfte, ob er ihn schnell ziehen konnte, eine Bewegung, die Potters Hand ebenfalls in seiner Tasche verschwinden ließ. Die Spannung zwischen ihnen wirkte fast greifbar, prickelte in Severus' Nacken, und er spürte, wie sich der Kragen seiner Schuluniform plötzlich enger anfühlte. Zwar waren sie hier in der Bibliothek, was die Möglichkeiten der beiden Gryffindors einschränkte, aber er konnte eben nicht wissen, was sie vorhatten und... „Lass die Finger von Lily!“ Potter klang empört und Severus hatte gerade noch Zeit, die Ironie der Situation zu bewundern, bevor er feststellte, dass eine Antwort von ihm verlangt wurde. „Du sprichst doch nicht etwa von diesen unsäglichen Gerüchten, ich hätte eine Dreierbeziehung mit dir und ihr, Potter. Ich versichere dir, so tief würde ich niemals sinken.“ Noch bevor er es wirklich realisierte, hatten Potter und er selbst ihre Zauberstäbe gezogen und funkelten sich über die Spitzen hinweg an, während Black einen Blick durch die Regale wagte, aber offensichtlich nichts Beunruhigendes entdeckte. „Ich mein es ernst, Schniefelus. Lass die Finger von ihr. Sie ist viel zu gut für dich!“ Severus schnaubte – natürlich hätte er Potter sagen können, dass zwischen ihm und Lily nichts war und nach seiner jetzigen Einschätzung auch nie etwas sein würde, so sehr ihn das auch schmerzte... aber dann hätte er eine Niederlage eingestanden. Und das war Potter gegenüber vollkommen ausgeschlossen. „Ich dachte immer, Frauen dürften in eurer aufgeklärten, toleranten Gryffindorwelt selbst entscheiden, was gut für sie ist. Also könntest du Lily ja auch nach ihrer Meinung über dich fragen, wenn sie dir noch nicht bekannt ist...“ Die Kälte in seiner Stimme war kein Gegner für die glühende Wut in Potters Augen, und er konnte fast sehen, wie kurz der andere Junge davor stand, ihn zu verfluchen. So befriedigend dieses Gefühl auch war, besonders intelligent war es nicht, Potter zur Weißglut zu treiben – selbst wenn Severus den ersten Fluch abfeuerte, war da immer noch Black, der sich rächen konnte. Und so sehr er Black auch hasste, er wusste im Gegensatz zu Pettigrew immerhin, welches Ende des Zauberstabes nach vorne musste, und hatte im Gegensatz zu Lupin auch den Mut, ihn einzusetzen. „Lily würde sich niemals mit einem verdammten Schwarzmagier wie dir einlassen, Schniefelus!“ Vorsichtig machte er einen Schritt nach hinten, bemühte sich, seine beiden Gegner gleichzeitig im Auge zu behalten, doch einen Moment später spürte er Blacks bedrohliche Präsenz hinter sich. „Wir sind noch nicht fertig, Schniefelus.“ „Was möchtet ihr mir denn noch unbedingt mitteilen? Dass ich meine Finger von Lily lassen soll? Das hatten wir schon zwei Mal, und wenn ihr euch ohnehin nur wiederholt wie eine kaputte Schallplatte hätte ich jetzt Wichtigeres...“ Der nonverbale Petrificus Totalus traf ihn, bevor er reagieren konnte, und hilflos spürte er, wie er nach hinten gegen Black kippte, der ihn achtlos auffing, so als ob es nur eine lästige Pflicht gewesen wäre. Für einige Momente noch, während Potter ihn anstarrte, hoffte er, dass Madame Pince den Lichtblitz vielleicht bemerkt hatte, doch die Stille der Bibliothek verkündete das Gegenteil. „Hör mir zu, Schniefelus. Egal ob du es glaubst oder nicht, oder ob sie es glaubt oder nicht, du bist nicht gut für Lily. Überhaupt nicht. Bis jetzt scheint sie ja genug Verstand zu haben, um dir eine zu klatschen, wenn du ihr einen Liebesbrief schreibst, aber wenn du sie irgendwie verhext oder ihr einen Trank unterjubelst oder irgendwelche dunklen Zauber auf sie anwendest, bekommst du es mit mir zu tun. Verstanden?“ Severus erkannte eine rhetorische Frage, wenn er sie hörte, was nicht zuletzt daran lag, dass er sie ohnehin nicht beantworten konnte. Außerdem wusste er nicht, ob er im Moment vor lauter Wut und Hass auf die beiden Gryffindors einen vollständigen Satz hätte hervorbringen können – oder vor Wut und Hass auf sich selbst? Er wusste es nicht, bevorzugte im Zweifelsfall allerdings die Variante mit Potter und Black. „Also lass sie in Ruhe. Und glaub mir, ich habe Mittel und Wege, herauszufinden, wann du dich mit ihr herumtreibst, du verdammter Schleimbeutel!“ Ein kurzer Austausch von Blicken zwischen den beiden Jungen, dann nickte Potter abrupt und gab ihm noch einen kleinen Stoß, bevor Black ihn am Kragen packte und ihn wie ein steifes Brett auf dem Steinfußboden der Bibliothek ablegte. Es überraschte Severus, dass er nicht rüde fallen gelassen wurde, doch dann fiel ihm ein, dass jedes laute Geräusch Madame Pince auf den Plan gerufen hätte. Und jemanden auf seine Situation aufmerksam zu machen lag nun wirklich nicht im Interesse der beiden Gryffindors. Aus dem Augenwinkel konnte er noch ihre Schuhe erkennen, hörte das Echo ihrer Schritte, während sie durch die Buchreihen davongingen und zweifellos über den dummen Slytherin spotteten, der ihnen in die Finger gefallen war. Severus wusste selbst kaum, wieso seine Wut in ihrer Gegenwart immer seinen Verstand überstimmte und schämte sich jetzt, im Nachhinein dafür. Ein Trost allerdings blieb ihm: Potter hatte sicherlich keine Möglichkeit, seine Treffen mit Lily zu überwachen, und das erleichterte ihn ungemein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)